Höllentour
Höllentour
(D, 2004)
Mitwirkende: Erik Zabel, Rolf Aldag, Andreas Klöden, Alexander Winokurow, Mario Kummer, „Eule“
Musik: Till Brönner
Kamera: Michael Hammon, Wolfgang Thaler, Filip Zumbrunn
Regie: Pepe Danqwart
Die Tour de France gilt als das härteste Radrennen der Welt. Nachdem ich Pepe Dankqarts Dokumentation Höllentour gesehen habe, würde ich auch die Fahrer als die härtesten Sportler der Welt bezeichnen. Was sind schon 80 Runden in einem Rennwagen gegen 2500 Kilometer mit gebrochenem Schlüsselbein?
Der Film wurde während der Tour 2003 gedreht und konzentriert sich auf das Team Telekom, genauer gesagt, einige seiner Akteure: zum einen Erik Zabel, der in den Jahren zuvor das Grüne Trikot des Zeitschnellsten erringen konnte. Dieser Triumph wird ihm diesmal verwehrt bleiben, und er erklärt, was daran so schmerzhaft ist. Es ist nicht ein- und derselbe Fahrer, der stets die eine Zehntel oder Hundertstel Sekunde voraus ist, es sind verschiedene. Und das zehre ganz besonders, weil man eben nicht sagen könne, na gut, oder eher: Najut, der iss eben schneller, da kann man nüscht machen, wa?
Auch die anderen Fahrer lassen Danqwart und sein Kamerateam sehr nah an sich und ihre Eigenheiten heran. Rolf Aldag sinniert in der Badewanne darüber, dass es ja eigentlich ganz schön bescheuert sei, sich im vorauseilenden Gehorsam die Beine zu rasieren, damit die Haare bei einem eventuellen Sturz die Wunde nicht noch schlimmer machten. Andreas Klöden, der bereits in der ersten Etappe eine unfreiwillige Begegnung mit der Straße macht und sich trotzdem noch bis in die Berge quält, bis er doch schlussendlich mit dem Besenwagen aufgesammelt wird, beklagt genau das: diese Schmach, die Tour nicht zuende gefahren zu sein; die Peinlichkeit, wenn der letzte Wagen mit fünf Stundenkilometern neben einem hertuckert und darauf wartet, dass du aufgibst.
Höllentour konzentriert sich bei all seinen beeindruckenden Bergpanoramen und dem riesigen Mediengewusel und den unüberschaubaren Fanmassen auf die kleinen Szenen, die Charaktere, von denen die Tour lebt: die Männer, die sie durchstehen. Zu Beginn der Tour galten sie als Übermenschen, berichtet der Film: 1903, als die Tour zum ersten Mal stattfand, fuhren die Teilnehmer auf Straßen, über die sonst Bauern mit ihren Heuwagen rumpelten. Es gab kaum Autos, viele Menschen kannten nicht mal ihr Nachbardorf in 20 Kilometer Entfernung. Wie unglaublich wirkte da eine Strecke von 2500 Kilometern durch ganz Frankreich.
Und den Status der Übermenschen haben die Fahrer immer noch, auch wenn sie selbst das ganz anders sehen. Zabel spricht vom Respekt vor den Bergen; Aldag, der eine Bergetappe gewinnt, streichelt fast zärtlich über das gepunktete Trikot und meint nicht mal ironisch, dass jeder Punkt auf dem Shirt ihn ein Jahr seines Lebens gekostet habe. In vielen kleinen Interviews, die meist bei der Massage durch Teambetreuer „Eule“ stattfinden, zeigt sich besonders im Gesicht von Zabel das Auf und Ab an Emotionen, das die Fahrer durchzustehen haben. Die Freude am Start. Die Befürchtung, im Mannschaftszeitfahren nicht gut genug für die anderen zu sein. Die Hoffnung darauf, dass es morgen besser läuft als heute. Die Beklemmung vor den nächsten 200 Kilometern durch die Pyrenäen. Die völlige Erschöpfung nach dem Zeitfahren. Aber auch das schlichte, leise Lächeln nach einer Etappe, die einfach gut war.
Der Film beeindruckt durch seine bildnerische Spannung, die durch große Schwenks über die französische Landschaft und demgegenüber klaustrophobischen Gefühl eines Massenzieleinlaufs entsteht; dem Wechsel zwischen Schussfahrten mit 95 km/h und dem zähen Kampf eines Aufstiegs; den Bildern des einsamen Fans am Straßenrand, der eine Sekunde das Gefühl genießen darf, dass ihre Stars zu ihm kommen in „der größten Sportarena der Welt“ und dem überschwenglichen Menschentunnel, durch den sich die Fahrer auf den Bergetappen quälen müssen; dem Nebeneinander von technischer Perfektion der geschmeidig laufenden Räder und der im Vergleich dazu unperfekten Menschen, die trotz ihrer Hochleistungsmaschinen verwundbar bleiben, Nasenbluten haben, geprellte Schultern und gebrochene Schlüsselbeine. Und die trotzdem wieder aufstehen, in die Pedale treten und wenigstens die Etappe zuende fahren wollen. Am besten die ganze Tour. Menschmaschinen. Beißen und treten. Beißen und treten. Beißen und treten.
Höllentour erliegt nicht der Versuchung, die Tour reißerisch aufzublasen oder mit Superlativen aus der Vergangenheit um sich zu werfen; das hat die Tour gar nicht nötig. Die Leistung der Fahrer ist ein Superlativ, und genau das bleibt auch als Gesamteindruck hängen. Bei allem Schmunzeln über die sächsischen Fans mit der Deutschlandflagge, die weggeworfene Trinkflaschen aufsammeln, bei allem Lachen über die „Ehe“ der ewigen Zimmerkumpanen Zabel und Aldag, die sich schon blind verstehen und sich kampflos die Fernbedienung überlassen, bei all den kleinen, freundlichen Szenen bleibt doch ein anderes Gefühl zurück: ein Gefühl von Größe und Erhabenheit. Höllentour schafft es, den Zuschauer Respekt vor einer unmenschlichen Strapaze empfinden zu lassen, ohne sich fassunglos zu fragen: Warum tun die sich das bloß an? Der Film gibt die Antwort: Sie tun es eben. Schließlich ist das nicht irgendein Rennen. Es ist die Tour de France. Das härteste Rennen der Welt. Dieser Herausforderung kann man sich als Radprofi nicht entziehen. Auch wenn sich Erik Zabel in den Bergen selbst einmal fragt, warum er nicht lieber Surfen gelernt habe.