Höllentour

Höllentour
(D, 2004)

Mitwirkende: Erik Zabel, Rolf Aldag, Andreas Klöden, Alexander Winokurow, Mario Kummer, „Eule“
Musik: Till Brönner
Kamera: Michael Hammon, Wolfgang Thaler, Filip Zumbrunn
Regie: Pepe Danqwart

Die Tour de France gilt als das härteste Radrennen der Welt. Nachdem ich Pepe Dankqarts Dokumentation Höllentour gesehen habe, würde ich auch die Fahrer als die härtesten Sportler der Welt bezeichnen. Was sind schon 80 Runden in einem Rennwagen gegen 2500 Kilometer mit gebrochenem Schlüsselbein?

Der Film wurde während der Tour 2003 gedreht und konzentriert sich auf das Team Telekom, genauer gesagt, einige seiner Akteure: zum einen Erik Zabel, der in den Jahren zuvor das Grüne Trikot des Zeitschnellsten erringen konnte. Dieser Triumph wird ihm diesmal verwehrt bleiben, und er erklärt, was daran so schmerzhaft ist. Es ist nicht ein- und derselbe Fahrer, der stets die eine Zehntel oder Hundertstel Sekunde voraus ist, es sind verschiedene. Und das zehre ganz besonders, weil man eben nicht sagen könne, na gut, oder eher: Najut, der iss eben schneller, da kann man nüscht machen, wa?

Auch die anderen Fahrer lassen Danqwart und sein Kamerateam sehr nah an sich und ihre Eigenheiten heran. Rolf Aldag sinniert in der Badewanne darüber, dass es ja eigentlich ganz schön bescheuert sei, sich im vorauseilenden Gehorsam die Beine zu rasieren, damit die Haare bei einem eventuellen Sturz die Wunde nicht noch schlimmer machten. Andreas Klöden, der bereits in der ersten Etappe eine unfreiwillige Begegnung mit der Straße macht und sich trotzdem noch bis in die Berge quält, bis er doch schlussendlich mit dem Besenwagen aufgesammelt wird, beklagt genau das: diese Schmach, die Tour nicht zuende gefahren zu sein; die Peinlichkeit, wenn der letzte Wagen mit fünf Stundenkilometern neben einem hertuckert und darauf wartet, dass du aufgibst.

Höllentour konzentriert sich bei all seinen beeindruckenden Bergpanoramen und dem riesigen Mediengewusel und den unüberschaubaren Fanmassen auf die kleinen Szenen, die Charaktere, von denen die Tour lebt: die Männer, die sie durchstehen. Zu Beginn der Tour galten sie als Übermenschen, berichtet der Film: 1903, als die Tour zum ersten Mal stattfand, fuhren die Teilnehmer auf Straßen, über die sonst Bauern mit ihren Heuwagen rumpelten. Es gab kaum Autos, viele Menschen kannten nicht mal ihr Nachbardorf in 20 Kilometer Entfernung. Wie unglaublich wirkte da eine Strecke von 2500 Kilometern durch ganz Frankreich.

Und den Status der Übermenschen haben die Fahrer immer noch, auch wenn sie selbst das ganz anders sehen. Zabel spricht vom Respekt vor den Bergen; Aldag, der eine Bergetappe gewinnt, streichelt fast zärtlich über das gepunktete Trikot und meint nicht mal ironisch, dass jeder Punkt auf dem Shirt ihn ein Jahr seines Lebens gekostet habe. In vielen kleinen Interviews, die meist bei der Massage durch Teambetreuer „Eule“ stattfinden, zeigt sich besonders im Gesicht von Zabel das Auf und Ab an Emotionen, das die Fahrer durchzustehen haben. Die Freude am Start. Die Befürchtung, im Mannschaftszeitfahren nicht gut genug für die anderen zu sein. Die Hoffnung darauf, dass es morgen besser läuft als heute. Die Beklemmung vor den nächsten 200 Kilometern durch die Pyrenäen. Die völlige Erschöpfung nach dem Zeitfahren. Aber auch das schlichte, leise Lächeln nach einer Etappe, die einfach gut war.

Der Film beeindruckt durch seine bildnerische Spannung, die durch große Schwenks über die französische Landschaft und demgegenüber klaustrophobischen Gefühl eines Massenzieleinlaufs entsteht; dem Wechsel zwischen Schussfahrten mit 95 km/h und dem zähen Kampf eines Aufstiegs; den Bildern des einsamen Fans am Straßenrand, der eine Sekunde das Gefühl genießen darf, dass ihre Stars zu ihm kommen in „der größten Sportarena der Welt“ und dem überschwenglichen Menschentunnel, durch den sich die Fahrer auf den Bergetappen quälen müssen; dem Nebeneinander von technischer Perfektion der geschmeidig laufenden Räder und der im Vergleich dazu unperfekten Menschen, die trotz ihrer Hochleistungsmaschinen verwundbar bleiben, Nasenbluten haben, geprellte Schultern und gebrochene Schlüsselbeine. Und die trotzdem wieder aufstehen, in die Pedale treten und wenigstens die Etappe zuende fahren wollen. Am besten die ganze Tour. Menschmaschinen. Beißen und treten. Beißen und treten. Beißen und treten.

Höllentour erliegt nicht der Versuchung, die Tour reißerisch aufzublasen oder mit Superlativen aus der Vergangenheit um sich zu werfen; das hat die Tour gar nicht nötig. Die Leistung der Fahrer ist ein Superlativ, und genau das bleibt auch als Gesamteindruck hängen. Bei allem Schmunzeln über die sächsischen Fans mit der Deutschlandflagge, die weggeworfene Trinkflaschen aufsammeln, bei allem Lachen über die „Ehe“ der ewigen Zimmerkumpanen Zabel und Aldag, die sich schon blind verstehen und sich kampflos die Fernbedienung überlassen, bei all den kleinen, freundlichen Szenen bleibt doch ein anderes Gefühl zurück: ein Gefühl von Größe und Erhabenheit. Höllentour schafft es, den Zuschauer Respekt vor einer unmenschlichen Strapaze empfinden zu lassen, ohne sich fassunglos zu fragen: Warum tun die sich das bloß an? Der Film gibt die Antwort: Sie tun es eben. Schließlich ist das nicht irgendein Rennen. Es ist die Tour de France. Das härteste Rennen der Welt. Dieser Herausforderung kann man sich als Radprofi nicht entziehen. Auch wenn sich Erik Zabel in den Bergen selbst einmal fragt, warum er nicht lieber Surfen gelernt habe.

Die Spielwütigen

Die Spielwütigen (D, 2004)

Darsteller: Prodromos Antoniadis, Constanze Becker, Karina Plachetka, Stephanie Stremler
Buch und Regie: Andres Veiel

Der Dokumentarfilm Die Spielwütigen begleitet drei Frauen und einen Mann auf ihrem Weg, Schauspieler zu werden. Alle vier sprechen bei der renommierten Ernst-Busch-Akademie vor, werden aufgenommen, die einen sofort, die anderen beim nächsten Anlauf, alle vier erleben die Zeit der Ausbildung, verlieben sich, trennen sich, durchleiden Selbstzweifel, legen sich mit ihren Lehrern an, schließen die Schule ab – werden erwachsen.

Sieben Jahre lang hat Regisseur Andres Veiel die vier begleitet, hat sie immer wieder sich selbst und ihre Arbeit kommentieren und hinterfragen lassen, hat sie von den ersten Gehversuchen bis zum ersten Engagement gefilmt. Was mich an Die Spielwütigen besonders fasziniert hat, war nicht unbedingt die Arbeit an einer Schauspielschule – obwohl das natürlich auch einen großen Reiz des Films ausmacht: zu sehen, wie aus Talenten „fertige“ Darsteller werden. Nein, was mir am meisten Spaß gemacht hat, waren die ganz unterschiedlichen Charaktere, die alle das gleiche wollen und doch auf so unterschiedliche Weise ihr Ziel erreichen.

Wir lernen zum Beispiel Prodromos kennen, der unter anderem mit dem bekannten „You’re talking to me?“-Monolog aus Taxi Driver bei der Aufnahmeprüfung vorspricht. Der junge Mann wirkt am fertigsten von allen vieren; er ist selbstbewusst, stark, fordernd. Der einzige Zweifel, den er hat: Wird er vielleicht deshalb nicht angenommen, weil er nicht mehr formbar ist, schon zu gut? Und es wirkt nicht einmal arrogant, was er da sagt, er, der einer von 1000 Bewerbern ist, von denen 30 die Prüfung überstehen werden.

Prodromos wird angenommen, und seine Stärke, sein Selbstbewusstsein sind genau das, was ihm die Arbeit schwer macht. Er weiß, was er kann und scheint nicht dazulernen zu wollen. Ein Lehrer drückt es treffend aus: „Wir bekommen von dir vermittelt, alles Ärsche zu sein.“ Er fällt durch eine Prüfung, ihm droht die Exmatrikulation – und plötzlich beginnt er zu zweifeln. Plötzlich versucht er, Ratschläge anzunehmen, sich formen zu lassen – und wird dadurch besser. Aber sobald er die Abschlussprüfung in der Tasche hat, schlägt seine alte Ader wieder durch. Er wird der einzige der vier ohne Engagement bleiben, er, der so fertig begonnen hat.

Wir lernen Constanze kennen, die schon immer nur spielen wollte und das auch tut. Zielstrebig, geradeaus, klar. Sie sitzt zum Schluss in ihrer Wohnung, mit ihrem charakteristisch unbewegten Gesicht, das nur auf der Bühne lebendig zu werden scheint und meint, ja, sie sei wohl glücklich. Glaube sie. Da ist sie auf einmal doch unsicher, wo alles andere in ihrem Leben sicher ist.

Wir lernen Karina kennen, die Brave, die immer alles durfte, und jetzt, wo sie Regeln zu befolgen hat, diese nutzt, um rebellisch zu werden; um sich selbst zu entdecken und um immer und immer wieder an sich zu zweifeln. Und genau diese Zweifel scheinen es zu sein, die sie immer weitermachen lassen und sie immer besser werden lassen. Es ist das Rebellieren gegen sich selbst, gegen den Zweifel, was sie ausmacht. Ihr kriegt mich nicht.

Und wir lernen Stephanie kennen. Sie ist mir persönlich fürchterlich auf die Nerven gegangen – mit ihrer seltsam unfassbaren Art, mit ihrer Naivität, aus der doch plötzlich präzise, intelligente, wissende Sätze kommen, mit ihrem trotzigen „Die müssen mich doch nehmen“ und dem gleichzeitigen völligen Verständnis, als sie beim ersten Mal durchfällt. Stephanie ist der spannendste „Charakter“, denn sie wächst wirklich an sich selbst und an ihrem Leben. Sie fängt am kindlichsten an und scheint zum Schluss als einzige wirklich und wahrhaftig erwachsen zu sein, weil sie am meisten Veränderungen erlebt hat.

Sie hat mir auch am deutlichsten gezeigt, was es heißt, Schauspieler zu sein: das Aufgehen in einer Rolle, das Mitnehmen von eigenen Eigenschaften und das Umwandeln in etwas völlig Neues. Alle vier haben mich sehr beeindruckt mit ihrem ganz unterschiedlichen Können, aber Stephanie, mit der ich es im wahren Leben keine zwei Minuten ausgehalten hätte, ohne wahnsinnig zu werden, dieser Stephanie hätte ich auf der Bühne stundenlang zuschauen können. Sie hat in jeder ihrer gefilmten Probeszenen eine derart atemberaubende Präsenz und verschwindet so sehr in ihren Rollen, dass ich es jedesmal fast verflucht habe, wenn die anderen wieder zum Zug kamen.

Die Spielwütigen nimmt einen mit hinter die buchstäblichen Kulissen. Er entwirft keine wilde, aufregende Theaterwelt, er zeigt stattdessen die harte, detailverliebte Arbeit, die hinter dem Applaus steht. Der Film kommt sehr behutsam daher und gibt den Spielszenen viel Raum. Man genießt Theater auf eine neue Weise und wird sich plötzlich bewusst, dass man gerade im falschen Medium ist: Immer, wenn der Film die lebendige Bühne abbildet, wird einem klar, wie banal ein Film eigentlich ist. Karina fasst es schön zusammen, wenn sie sich weigert, z.B. für Daily Soaps zu spielen: Sie habe doch eine Verantwortung ihrem Beruf gegenüber. Diese Verantwortung, dieses Ernst-Nehmen macht der Film sehr schön deutlich, ohne dabei überambitioniert oder zeigefingerig zu werden. Er bildet ab, er zeigt, aber er führt nie vor.

Ich habe aus dem Film einiges mitgenommen: eine neue Faszination für einen spannenden Beruf. Die Erkenntnis, dass man nur an sich selbst wachsen kann. Die plötzliche Dankbarkeit, dass ich wachsen durfte. Und das völlig neue Gefühl, ganz schnell aus dem Kino zu wollen. Denn ich wollte viel lieber ins Theater.

The Day After Tomorrow

The Day After Tomorrow
(USA, 2004)

Darsteller: Dennis Quaid, Jake Gyllenhaal, Ian Holm, Sela Ward, Dash Mihok, Emmy Rossum, Kenneth Walsh
Musik: Harald Kloser
Kamera: Ueli Steiger
Drehbuch: Roland Emmerich, Jeffrey Nachmanoff
Regie: Roland Emmerich

Das Schöne an The Day After Tomorrow ist, dass Regisseur Roland Emmerich sich auf spannendere Bedrohungen für die Menschheit besonnen hat als doofe Aliens, die man mit lausigen Starfightern vom Himmel holen kann; dass weiterhin diesmal nicht die Amis die Welt retten, sondern sie im Gegenteil ziemlich (haha) kalte Füße kriegen und dass außerdem die Dialoge einen Hauch besser sind als z.B. in Independence Day oder dem Meilenstein an miesen Dialogen, Stargate. Das Dumme an The Day After Tomorrow ist, dass das immer noch nicht für einen guten Film reicht.

Auf Emmerich kann man sich ja verlassen: Wenn in seinen Filmen etwas passiert, dann immer in XXL. Seien es Godzilla, der den Madison Square Garden plattmacht oder eben ein paar Aliens, die das Weiße Haus in Trümmer legen – wenn schon, denn schon. Auch diesmal geht eine Menge zu Bruch, aber nicht durch Lebewesen, denen man schon irgendwie beikommen kann, wenn man nur genug Feuerkraft, markige Sprüche und amerikanische Flaggen dabei hat, nein, diesmal will Mutter Natur nicht mehr mitspielen. Genauer gesagt, der Golfstrom, dem wir unser gemäßigtes Klima verdanken. Durch die globale Erwärmung sind die Polkappen soweit abgeschmolzen, dass (ab hier Hirn ausschalten) die kalten Wassermassen das gesamte Klima beeinflussen. Kurz gesagt: Die Menschheit steuert auf die nächste Eiszeit zu. Und zwar nicht erst in ein paar Jahren, denn solange wollen wir ja alle nicht im Kino sitzen, sondern quasi übermorgen (cleverer Filmtitel, gell?).

Was also passiert? So ziemlich die gesamte Nordhalbkugel der Erde wird von Stürmen verwüstet, von Hagelschauern getroffen oder vereist in Sekundenschnelle – je nachdem, was den Charakteren gerade zustoßen soll. Können sich ein paar britische Hubschrauberpiloten nicht mehr vor der drohenden Vereisung in Sekunden retten, so haben im Gegensatz zu ihnen die Amerikaner ein paar Minuten mehr. Vielleicht liegt’s an der Zeitverschiebung, wer weiß das schon so genau. Vielleicht liegt’s auch, wie immer bei Emmerich, am arg durchgeplanten Drehbuch, das gnadenlos auf ein Ziel zusteuert. Alles, was sich dem in den Weg stellt, muss weichen. Die Logik sowieso.

Diesmal ist das Ziel die Versöhnung von Papa Dennis Quaid und Sohnemann Jake Gyllenhaal. Papa ist Klimatologe und warnt alle, die ihm zuhören wollen, vor der drohenden Eiszeit. Das Perfide an solch kalkulierten Actionfilmen ist, dass man schon nach fünf Minuten weiß, wie das Ding ausgeht. Natürlich hören die Wichtigen nicht auf Papa, natürlich fallen sich Sohnemann und Vater am Schluss in die Arme, natürlich passiert zwischendurch noch irgendwas, aber was, ist eigentlich egal. Gerade bei Emmerichs Filmen habe ich immer mehr das Gefühl, dass man sich die Dinger wegen drei schöner Effekte anguckt und den Rest halt irgendwie über sich ergehen lassen muss.

Umso mehr war ich darüber verwundert, dass Emmerich wirklich noch versucht, eine Botschaft unterzubringen. Von der augenfälligen „Habt mehr Respekt vor der Natur“-Message mal abgesehen, will er uns auch noch sagen, dass wir vielleicht doch alle Brüder sind. Im Kleinen wäre das die Geschichte mit dem Penner, der erst von allen abgewiesen wird und dann doch mit ihnen in der Bibliothek überwintern darf. Im Großen sind das die Massen von Amerikanern, die illegal über die Grenze nach Mexiko fliehen, um sich vor der Kaltfront in Sicherheit zu bringen. Und wer dieses Bild noch nicht kapiert hat, für den wird zum Schluss in der Ansprache des amerikanischen Präsidenten nochmal sinngemäß gesagt: Wir haben überlebt, weil uns Länder aufgenommen haben, die wir bisher als Drittweltländer bezeichnet haben. Ah, danke, jetzt hab ich’s verstanden.

Was The Day After Tomorrow davor rettet, eine komplette Gurke zu sein, sind – natürlich – die Bilder. Ich fand es sehr spannend, dass Emmerich aus täglich Gesehenem wie Wolken, Wellen oder Schnee Neues, Bedrohliches macht. Plötzlich kommt Wind nur noch als Tornado vor und zerstört mal eben das Hollywood-Sign (muss der Mann eigentlich immer Wahrzeichen ruinieren?). Plötzlich wird aus dem plätschernden Gewässer, das Ellis Island umspült, eine Flutwelle, die fast die Lady Liberty mitreißt. Und plötzlich ist die Stille, die von gigantischen Schneefeldern erzeugt wird, nicht mehr beeindruckend, sondern beängstigend. Vor allem, wenn noch die Spitze der Freiheitsstatue aus dem Schneefeld schaut.

Die Charaktere bleiben blass, wie immer, wenn die Bilder wichtiger sind und vor allem größer. Die Liebesgeschichte zwischen Jake und seiner Schulfreundin ist einem genauso egal wie das Schicksal des krebskranken Kindes, auf das die Mutter von Jake aufpasst. Ich finde es immer schade, dass Emmerich sich nicht auf zwei oder drei Figuren konzentrieren kann, sondern unbedingt die Tragweite der Katastrophe dadurch sichtbar machen will, dass er viele Handlungsstränge an vielen Orten stattfinden lässt. Dadurch müssen alle schablonenhaft platt werden, um möglichst schnell ihre Funktion zu erfüllen: die treusorgende Mutter, der entschlossene Vater (keiner schiebt seinen Kiefer markanter in die Kamera als Dennis Quaid), der großkotzige und zum Schluss reuige Vizepräsident … Emmerich legt teilweise interessante Charaktere an und lässt sie dann einfach verhungern. Was hätte der Mathe- und Computer-Nerd mit seinem Wissen alles anstellen können außer ein Radio zu reparieren? Wieso ist die Mutter, die dem kranken Kind etwas vorliest, Ärztin? Das hätte auch eine Putzfrau hingekriegt. Wieso muss der alte Kumpel von Quaid das Zeitliche segnen, und wieso berührt mich das nicht mal? Es gibt Actionfilme, die mehr aus ihren Figuren herausholen wie z.B. The Core, dessen Geschichte noch dämlicher ist als die hier, wo aber die Personen ein Herz zu haben scheinen und auch weniger Einzeiler aufsagen müssen.

Die einzige Figur in The Day After Tomorrow, die mich berührt hat und um die ich trauern konnte – denn natürlich bleiben einige der Helden auf der Strecke – war der britische Wissenschaftler, der wundervoll von Ian Holm verkörpert wird. Er schafft es sogar, auf die Menschheit anzustoßen, ohne dabei pathetisch zu wirken. Die Szene, in der drei englische Klimatologen auf ihr sicheres Ende toasten, war überhaupt eine, die zeigt, wie es hätte gehen können. Der eine stößt, worauf auch sonst, auf “England!” an, dann folgt Holm besonnen mit “To mankind!”, worauf der dritte, Bodenständige fast trotzig “To Manchester United!” ausstößt. Die drei haben es in ihrer begrenzten Zeit geschafft, ein weites Spektrum an menschlichen Gefühlen auszuloten, zu zeigen, dass natürlich das große Ganze wichtig ist, aber eben auch das Kleine, Persönliche. Ihre Hintergrundgeschichten, wenn auch nur sehr, sehr kurz angerissen, und ihre Dialoge waren einfach erfrischend normal und doch von soviel Humanität geprägt, dass ich mir vom nächsten Emmerich-Film wünsche, er würde mal in Europa spielen. Wir haben hier auch ein paar Staatsoberhäupter, die nicht zuhören wollen, und den Eiffelturm zusammenzufalten, sähe bestimmt auch ganz nett aus.

The Day After Tomorrow reißt sich ein bisschen mehr zusammen als Independence Day. Die Dialoge verzichten auf Ekliges wie “I love you, Dad”, sondern schneiden stattdessen sogar Themen an, die man nicht unbedingt in einem Katastrophenfilm erwartet. Ich hätte jedenfalls nicht mit einer Diskussion um Nietzsche, die Gutenberg-Bibel und die Rettung der Zivilisation gerechnet. Ja, sie war kurz, aber sie war immerhin da. Der Film hat weniger Heldenmut, weniger Stars & Stripes und kein „Jetzt zeigen wir’s dir aber, du Scheißsturm“. The Day After Tomorrow ist ruhiger, nachdenklicher, fast demütig vor der Macht des „Feindes“. Das reicht zwar nicht, um ihn wirklich einen guten Film zu nennen, aber er lässt sich angenehmer überstehen als die meisten Filme, die Emmerich in den letzten Jahren gemacht hat.

Pieces of April

Pieces of April (Ein Tag mit April Burns): Bei den ersten Bildern durch die wackelige Videokamera hatte ich geistig schon fast abgeschenkt. Aber glücklicherweise nur fast. Denn Pieces of April entwickelt sich zu einer sehr schönen, kleinen Charakterstudie.

April Burns ist das schwarze Schaf der Familie, lebt mit ihrem Freund in New York und lädt den Rest der Sippe zu Thanksgiving ein. Nicht, weil sie Lust darauf hat oder gar kochen könnte, sondern weil ihre Mutter in nicht allzu ferner Zeit an Krebs sterben wird und sie noch einmal zusammensein wollen. Die Familie macht sich mit Schwester, Bruder, Mutter, Vater und Oma im Auto auf den Weg, und April versucht derweil, den Truthahn irgendwie fertigzukriegen, denn natürlich streikt ausgerechnet heute ihr Ofen. Sie rennt von Apartment zu Apartment, während ihr Freund in der Stadt “the thing” durchzieht, von dem wir erst sehr spät erfahren, was es denn nun genau ist.

In beiden Handlungssträngen erfahren wir im Gespräch die familiären Hintergründe, das Generve, das Gezicke, die unerfüllten Erwartungen, die sowohl die Eltern an die Kinder als auch umgekehrt der Nachwuchs an die Erzeuger stellen; aber wir erfahren auch die guten Momente, die Talente, die in allen schlummern, ihre Triumphe, ihre Tragödien. Im Laufe des Films entsteht ein sehr schönes, überzeugendes Familienbild, ohne Geigen im Hintergrund und überzogene Dramatik. Ganz im Gegenteil: Der Film nähert sich dem Tabuthema Tod recht respektlos, teilweise sehr, sehr komisch und daher wohltuend ehrlich. Und bis auf wenige Ausnahmen erliegt er nicht der Versuchung, eine heile Welt zu zeigen, wo keine ist.

Was den Film auszeichnet, sind seine vielen kleinen Szenen, die völlig unprätentiös daherkommen und doch noch lange nachhallen. Wenn die Mutter im Fotoalbum ihr liebstes Bild auswählen soll und sie auf das zeigt, auf dem sie keine Brüste mehr hat. Oder wenn April fälschlicherweise glaubt, dass ihre Familie nicht gekommen ist und bitterlich darüber weint, obwohl sie doch morgens gar nicht aufstehen wollte, um sie zu empfangen. Wenn der Vater entsetzt den Wagen anhält, weil er glaubt, seine Frau im Beifahrersitz sei gestorben, obwohl sie nur schläft.

Das Ende versinkt dann leider doch ein wenig im Kitsch und kommt zu hopplahopp daher – ohne Grund, denn der Film ist gerade mal 80 Minuten lang. Da hätte man sich ruhig noch ein wenig Zeit nehmen können. Und ich persönlich wäre auch gerne noch eine Weile bei den Burns’ geblieben. So anstrengend sie auch sein mögen.

Girl with a Pearl Earring

Girl with a Pearl Earring (Das Mädchen mit dem Perlenohrring): bedächtig erzählte Kunstgeschichte. Scarlett Johansson schreitet mit dem gleichen Blick durch den Film, den sie schon in Lost in Translation drauf hatte: mit leicht geöffneten Lippen und großen, blauen Augen bezirzt sie ungewollt den Maler Johannes Vermeer, der sie schließlich malt, ausgestattet mit den Perlenohrringen seiner Frau, die natürlich eifersüchtig ist undsoweiterundsofort.

Das Drehbuch bietet exakt gar keine Überraschung, und sämtliche Charaktere sind eher Scherenschnitte denn vielschichtig. Trotzdem kann man sich den Film anschauen, denn die Set Designer und Kostümbildner haben ganze Arbeit geleistet. Die Ausstattung ist mehr als liebevoll; man fühlt sich die ganze Zeit, als ob man durch ein Museum geht. Aber es sieht nie aus wie ein Kostümfilm, sondern organisch und einfach richtig. Die Gelb- und Brauntöne sind stets warm und erdig, die Blautöne kühl und pudrig. Der Film wirkt von Tempo und Optik behutsam, schwebend, fast träumend; wie eine Reise in ein altes Meisterwerk.

The Mother

The Mother (Die Mutter): schwermütiger Film über eine Frau, die gerade ihren Mann verloren hat und eine Affäre mit dem Freund ihrer Tochter anfängt. Und als ob das noch nicht reicht, hat die Tochter generell Probleme, ihr Leben in den Griff zu bekommen, der Sohn und seine zickige Ehefrau haben finanzielle Schwierigkeiten, und alle Enkelkinder sind widerliche Wichte. Fast jeder der Charaktere hat ein paar gute Seiten, die ihn zunächst sympathisch machen, aber zum Schluss ging mir die ganze Truppe einfach nur noch auf die Nerven mit ihrer Egozentrik, ihrer Naivität, ihrer Rücksichtslosigkeit. Ich hätte mir etwas mehr Freude als die paar kleinen Glücksmomente der Mutter gewünscht und das leicht hoffnungsvolle Ende. So bleibt es ein deprimierender Exkurs in eine Familie, deren Bande eher Vorwürfe sind als Liebe.

Matchstick Men

Matchstick Men (Tricks): entspanntes Filmchen, das sich nicht recht entscheiden kann. Es fängt an wie eine kleine Gaunerkomödie (“You have won an incredible prize”), wird dann zum Familienfilm (“I’m not good at being your dad”), wird dann wieder zum Gaunerfilm, aber diesmal mit Blut, und das Schlussbild beinhaltet eine Großaufnahme eines schwangeren Bauchs. Hm.

Nicholas Cage kann endlich mal aus gutem Grund sein overacting einsetzen, weil er jemanden mit einer Menge Tics spielt, und Sam Rockwell gibt lässig seinen Gegenpart. Ich hab mich ganz gut unterhalten, aber immer, wenn die Rührseligkeit einsetzte, habe ich mir den Gaunerfilm zurückgewünscht. Reicht für einen netten Samstagnachmittag.

Ash Wednesday

Ash Wednesday: schon nach zehn Minuten keine Lust mehr auf sepia-getöntes Hell’s Kitchen gehabt. Edward Burns geht mir nur noch auf den Keks, und Elijah Wood sieht mit Knarre in der Hand einfach albern aus.

Dogville

Dogville: Ich wollte diesen Film nicht mögen, weil ich Nicole Kidman nicht abkann und Lars von Trier mir oft zu zeigefingerig daherkommt. Frau Kidman muss ich hier Abbitte leisten; in dem engen Korsett, das ihr Charakter ihr lässt, macht sie ihre Sache hervorragend, genau wie der Rest der Besetzung, der aus vielen, großen amerikanischen Namen besteht. Den Zeigefinger hat der Film aber trotzdem, und man ahnt schon nach einer halben Stunde, wie er ausgeht. Umso nerviger, dass man noch weitere zweieinhalb braucht, um sich bestätigt zu sehen. Trotzdem fand ich ihn als Experiment sehr sehenswert, wenn auch viele von von Triers guten Absichten nicht funktionieren; dafür wird die Geschichte der Frau, die in einer fremden Stadt um Hilfe bittet und dafür übelst bezahlen muss, zum Schluss zu plakativ und schlicht. Dass alles in Gewalt endet, ist meiner Meinung nach ein „richtiges“ Ende. Aber trotzdem fühlt es sich an wie eine naive Kapitalismus-Kritik, wo der Kleine dann doch den Großen eins auswischt.

Der fast Brecht’sche Aufbau der Bühne hat mich sehr fasziniert, auch wenn es sich selten wie ein abgefilmtes Theaterstück anfühlte, sondern mehr wie ein Guckloch, durch das man in eine Welt bzw. in eine Stadt hineinschaut. Von den Dialogen und der parabelähnlichen Handlung erinnerte mich Dogville ein wenig an Frischs Andorra. Allerdings zieht sich Andorra nicht so fürchterlich lang hin und ist vor allem nicht ganz so moralinsauer wie Dogville.

Den Vorwurf des Anti-Amerikanismus kann ich nicht nachvollziehen. Für mich könnte Dogville auch überall sonst auf der Welt spielen, in der eine Mehrheit die Macht über einen Einzelnen bekommt und sie missbraucht. Dass von Trier hier eine amerikanische Stadt genommen hat – nun gut. Es macht den Film nicht besser und nicht schlechter.

Behind the Red Door

Behind the Red Door: mal wieder ein Kiefer-Filmchen, bei dem ich schon vorher wusste, dass er fürchterlich werden würde. Aber immerhin darf Kiefer die ganze Zeit aussehen wie ein wandelnder Armani-Katalog. Ansonsten geht es um Brüderlein und Schwesterlein (Kyra Sedgewick, alt ist sie geworden), die sich seit zehn Jahren nicht mehr gesehen haben, und jetzt, wo Brüderlein, der schwule Modemagazin-Herausgeber an Aids stirbt, treffen sie sich wieder, sie pflegt ihn, obwohl er ein Arschloch ist, sie versöhnen sich, und nebenbei arbeitet sie auch noch ein traumatisches Ereignis aus ihrer Kindheit auf, das in wackeligen Schwarzweiß-Bildern erzählt wird.

Ich hatte die ganze Zeit das Gefühl, dass die Drehbuchautoren eine Strichliste neben sich liegen hatten, auf der alle blöden Kitschfilm-Klischees draufstehen. Diese Liste haben sie einfach abgearbeitet, inklusive Sonnenuntergang und tränenreichem “I love you dearly”. Aber dieses Badezimmer mit Blick auf den Ozean hätte ich auch gerne.