Spaß haben mit dem eigenen Archiv.

Happy-Go-Lucky

Mike Leighs Filme kriegen bei mir immer einen kleinen Vorsprung, weil ich weiß, dass ich etwas geduldiger sein muss als bei dem ganzen amerikanischen Kram, den ich mir sonst reinziehe. Ich weiß, dass die Charaktere sperriger sind und dass es etwas länger dauert, bis ich weiß, worum’s geht. So auch bei Happy-Go-Lucky, den ich normalerweise nach zehn Minuten aus dem MacBook gerissen hätte, weil mir die extremst gut gelaunte Hauptfigur Poppy (Sally Hawkins) extremst auf die Nerven gegangen ist. Wer selbst bei Rückenschmerzen noch lacht und als einzige Reaktion auf ein geklautes Fahrrad “I didn’t get to say good-bye” rausbringt, hat bei mir Teilzeitmisanthrop aber so richtig verloren.

Aber wie immer bei Herrn Leigh entpuppen sich die Figuren dann doch als weitaus mehr als man ihnen zuerst zugetraut hat. Und so habe ich mich nach und nach in diese fürchterliche Nervensäge verliebt und habe ihr zum Schluss wehmütig zurufen wollen: Hab weiter so gute Laune! Gib uns Rest der Welt nicht auf! Und überzeug vor allem deine miesepetrige, spießige Schwester davon, ihren armen Gatten PlayStation spielen zu lassen. Und kümmer dich weiter um Menschen, um die sich sonst niemand kümmert. Und hab weiter Respekt vor denen, die so ganz anders sind als du, denn ich krieg das nicht hin. Und die meisten anderen auch nicht.

Happy-Go-Lucky ist anstrengend – aber auf die Art anstrengend wie freiwillig eine Stunde aufs Laufband zu gehen, weil man weiß, dass man das für sich tut. Oder zu den Eltern zu fahren, wo man von vornherein weiß, dass sie die immer gleichen Fragen stellen, das Essen nie so schmeckt, als ob man es selbst gekocht hätte und man immer noch in seinem Kinderzimmer schlafen muss, aber man weiß, dass es gut ist, was man macht. Nach dem Film fühlt man sich, als hätte man dafür gesorgt, dass es auch dem Rest der Welt etwas besser geht. Und man nimmt sich vor, morgen genau dasselbe zu machen. Immer einen kleinen Schritt Karma nach dem anderen.

Iron Man

Die nächste Comicbuchadaption, bei der ich nicht weiß, wie der Comic ist. Ich hab noch nicht mal Batman gelesen, und ich wusste bis gestern auch nicht, dass es einen Superhelden namens Iron Man gibt. Wenn man sich die ersten 20 Minuten des gleichnamigen Films angeguckt hat, weiß man das immer noch nicht, und genau das fand ich sehr nett.

Wir lernen den leicht schmierigen Waffenproduzenten Tony Stark kennen (Robert Downey Jr., dem ich endgültig verfallen bin), wie er in Afghanistan tolles neues Sprengzeug vorführt. Dummerweise haben auch die Gegner der Amerikaner Interesse an den Knallbonbons und entführen Stark, damit er ihnen was Hübsches zusammenschweißt. Bei der Entführung gerät Stark ins Kreuzfeuer seiner eigenen Waffen und verliert sein Herz – aber glücklicherweise sitzt in seiner Gefängnishöhle noch ein weiterer Ingenieur, Arzt, keine Ahnung, der ihm mal eben eine Art Batterie dafür einbaut. Ein hübsches Gimmick, das im Folgenden bläulich-fotogen unter Robbis engem Shirt leuchtet. Die beiden sollen den Fieslingen nun also Waffen schmieden, aber stattdessen bauen die beiden einen eisernen Anzug, mit dem sich immerhin einer von ihnen den Weg freikämpft. Die Szenen bis zum Ausbruch fand ich ewig lang – und vor allem fehlte ihnen die Zutat, die den Rest des Films so herrlich entspannt gemacht hat: der Mal-eben-so-nebenbei-Humor von Downey Jr., der jeden Satz so raushaut, dass man ihm den größten Quatsch abkauft, sich aber trotzdem bewusst ist, dass es Quatsch ist.

Iron Man macht einfach Spaß, denn wir sehen keinen fertigen Superhelden, sondern einen im Entstehen. So muss er sich nicht nur mit unfertigen Heldenanzügen abplagen, sondern auch noch mit sprechendem oder zumindest surrendem technischen Gedöns, das genauso schlagfertig ist wie er, und seiner extrem charmanten Assistentin, die von Gwyneth Paltrow gar zauberhaft interpretiert wird. Der Film fühlt sich meisten schön altmodisch an; man wartet die ganze Zeit darauf, dass Robert Gwyneth einen Mantel in die Pfütze schmeißt, damit sie trockenen Fußes über die Straße kommt, aber stattdessen bricht wieder die Neuzeit ein, und wir sehen wiederholt Gadgets, das Apple-Logo und den Audi R8. Was ja auch okay ist. Die Story an sich – Gut gegen Böse, what else is new – lässt sich in drei Sätzen erzählen, und ich fand das völlig in Ordnung, denn der Film lebt viel eher von seiner Atmosphäre und den extrem gut gelaunten Darstellern. Davon hätt ich gerne noch nen Nachschlag. Solange der Held jetzt nicht plötzlich total schlecht draufkommt.

Forgetting Sarah Marshall

Schnuffelnase Jason Segel spielt Musiker Peter, der am liebsten den ganzen Tag auf der Couch rumliegen und bunte Fruit Loops essen würde, anstatt ab und zu pseudo-dämonische Musik zu einer Fernsehsendung schreiben zu müssen, in der seine Freundin Sarah (Kristen Bell) die Hauptrolle spielt. Dazu bekommt er jetzt die Chance, denn Sarah macht Schluss mit ihm, er leidet wochenlang vor sich hin, bis ihn sein Stiefbruder nach Hawaii jagt, damit er mal auf andere Gedanken kommt. Auf Hawaii trifft er allerdings ausgerechnet Sarah – und dazu ihren neuen zotteligen Gespielen (Russell Brand), den er sympathischer findet als er möchte.

Forgetting Sarah Marshall (Nie wieder Sex mit der Ex – ich krieg Ausschlag, wenn ich noch öfter solche Titel tippen muss) vereint ein knuffiges Ensemble mit einer relativ überraschungsfreien Story, was ihn besser werden lässt, als man vermutet. Die Gags sind noch nicht tausendmal gehört, die Charaktere allesamt schön schräg, und alleine für den Spaß, den harmosen Marshall (jetzt kapier ich auch den Witz mit Sarahs Nachnamen) aus How I Met Your Mother das F-Wort benutzen zu hören, lohnt sich der Film. Und natürlich für die wunderbare Szene, in der Peter seine Sarah, als sie noch seine Sarah war, mit einem geräuschvoll schwingenden Penis begrüßt.

Wanted

Es gibt Ballerfilme, die mir fürchterlich auf den Keks gehen – und es gibt welche, bei denen ich ganz großartig entspannen kann, auch wenn total unchristlich literweise, ach was, hektoliterweise Blut fließt, Logik und Schwerkraft mal ne Pause machen und die Story auf eine Streichholzschachtel passt. Wanted ist ein Film der zweiten Kategorie.

James McAvoy wird vom Nobody zur Killermaschine und soll im Auftrag der geheimnisvollen Fraternity den Mann töten, der seinen Vater auf dem Gewissen hat. Ob die Fraternity wirklich nur aus netten Jungs (und dem einzigen Mädel Angelina Jolie) besteht und ob young blue eyes McAvoy seinen Job gebacken kriegt, ist fast egal. Der einzige Grund, Wanted zu gucken, sind die irrsinnigen Spezialeffekte, die man hier im Sekundentakt um die Augen gehauen kriegt. Die beschäftigen sich zwar zu 90 Prozent damit, uns in Zeitlupe zu zeigen, wie Leute ihr Leben aushauchen, aber das ist blöderweise genau das Tolle am Film. Während viele Actionfilme mit besinnungslosen Schnitten arbeiten, um Tempo vorzutäuschen, macht Wanted das genaue Gegenteil. Klar gibt es auch hier die unvermeidliche Autojagd, aber es kommen immerhin noch ein Schnellzug, ein Tunnel und eine Schlucht hinzu. Wobei „Auto“ auch ein Kompliment ist für den beigefarbenen Lada, in dem sich Frau Jolie auf die Socken macht – ein charmanter Gegensatz zum Q7 und der Corvette eine halbe Stunde (gefühlt: zehn Sekunden) früher. Oder eine weitere Fahrt knapp über der Geschwindigkeitsbegrenzung, in der fantastisch vorgeführt wird, wie man jemanden erschießt, der in einer kugelsicheren Limousine sitzt. Ach, eigentlich lohnt sich der Film alleine für die feine Szene, in der McAvoy dem Kerl, der seine Freundin auf dem Ikea-Küchentisch flachlegt, mit seinem Computerkeyboard die Nase plättet, denn es fliegen nicht nur fotogen Zähne durch die Gegend, sondern auch folgende Buchstaben aus der Tastatur: F-U-C-K-Y-O.

(Diese Kritik ist für das Nuf und Felix, die sich darüber in die Haare gekriegt haben, ob der Film toll oder doof ist. Das Nuf redet jetzt nicht mehr mit mir.)

The Visitor

The Visitor zeigt uns zunächst in kurzen Szenen das Leben von Professor Walter Vale – wie er versucht, Klavier zu lernen und dabei die fünfte Lehrerin feuert, wie er uralte Uni-Vorlesungen neu aufwärmt, indem er nur das Datum ändert, wie er alleine in der Cafeteria sitzt, wie er teilnahmslos in Besprechungen auf deren Ende wartet. Für eine Konferenz muss er von Connecticut nach New York fahren, wo er eine weitere Wohnung besitzt – in der sich aber zu seiner und ihrer Überraschung zwei junge Ausländer aufhalten: Tarek aus Syrien und seine Freundin Zainab aus dem Senegal. Erst vertreibt Walter die beiden, um sie dann doch in einem ihm fast fremden Anflug von Sozialverhalten bei sich wohnen zu lassen, bis sie etwas Neues gefunden haben. Tarek trommelt in einer Band, und eines Tages setzt sich Walter einfach an sein Instrument und fängt an zu spielen.

Der Film scheint nur zu beobachten anstatt uns etwas erzählen zu wollen. Das vorsichtige Auftauen von Walter seiner Umwelt gegenüber. Die Liebe zur Musik, die sich in ganz unerwarteter Weise manifestiert. Freundschaften, die so unwahrscheinlich sind, dass sie umso ehrlicher ausfallen. Und nebenbei noch die Botschaft, dass die USA groß genug für eine Menge Leute sind, die dort vielleicht nicht geboren wurden. Schönes Buch, gute Darsteller, keine Holzhämmer als Botschaft. Feiner Film.

Eagle Eye

Haha, über eine Stunde Verwirrung und Action und Rumgehetze und Technikschnickschnack für eine Auflösung, die so dermaßen von einem Klassiker geklaut ist, dass es schon nicht mehr feierlich ist. In Eagle Eye (Außer Kontrolle) wird Milchbart Shia LaBeouf von einer säuseligen Frauenstimme auf dem Handy angerufen, dass das FBI gleich vor seiner Tür stände – nur, falls er sich wundern sollte, warum sein Winzappartement auf einmal mit Sprengstoff, Waffen und Geheimdokumenten vollgepackt ist. Der Kleine wird daraufhin verhaftet, kann aber mit Hilfe der Dame vom Amt wieder fliehen und muss in der nächsten, bereits erwähnten Stunde, hauptsächlich Sachen machen, die anscheinend einen bösen Hintergrund haben, uns aber logisch nicht wirklich weiterbringen. Ist auch egal, denn sobald die wahnwitzig überraschende Pointe kommt, möchte man eigentlich gar nicht mehr weiter zugucken. Dauert dann auch nicht mehr lange, bis das rührselige Finale kommt, und dann darf man endlich einen vernünftigen Film gucken.

Man on Wire


© Magnolia Pictures

Man on Wire (Man on Wire – Der Drahtseilakt, UK/USA 2008, 94 min)

Mitwirkende: Philippe Petit, Jean-Louis Blondeau, Annie Allix, Barry Greenhouse, Jean François Heckel, Alan Welner, David Forman
Musik: J. Ralph
Kamera: Igor Martinovic
Regie: James Marsh

Trailer

Offizielle Seite

Manche Geschichten sind zu irrsinnig, als dass sie sich jemand ausdenken könnte. So auch die von Man on Wire: Der Drahtseilartist Philippe Petit entdeckt in einer Zeitschrift im Wartezimmer seines Zahnarztes einen Bericht über die Bauarbeiten am World Trade Center in New York, das einmal das höchste Gebäude der Welt sein soll. Sobald er die Skizzen gesehen hat, ist ihm klar: Wenn die Türme stehen, spanne ich ein Drahtseil zwischen ihnen und laufe drüber. 450 Meter über der Erde, auf dem Dach der Welt. Wozu sind Türme sonst da?

Der Film ist eine Mischung aus Spielszenen und Originalaufnahmen aus den 70er Jahren, die die Gruppe um Petit von sich selbst angefertigt hat. Wie Petit das Gehen auf dem Seil beherrscht, wie er sich sogar darauf hinlegen kann, knien, wippen, winken. Und was er da gerade auf einer grünen Wiese in Frankreich macht, knapp drei Meter über dem Boden, wiederholt er später, am 7. August 1974, eines Morgens in New York. Unwesentlich höher, aber mit der gleichen Konzentration – und dem gleichen seligen Gesichtsausdruck. Den durfte seine Umwelt bereits vor dem weltberühmten Akt in Amerika kennenlernen: Erstmals spannten seine Freunde und er heimlich ein Seil zwischen den Türmen der Notre Dame, auf dem er minutenlang spazierenging, bis er sich anstandslos von der Polizei abführen ließ. Der Film erzählt auch von seiner Motivation: Gibt es einen schöneren Anblick als jemand, der zwischen zwei Türmen entlangläuft?

Genau dieses Motiv zieht sich auch durch die unglaublich spannend aufbereitete Story rund um das World Trade Center. Petit erzählt sie uns selbst, daher wissen wir einerseits, dass er es geschafft hat, seinen Traum umzusetzen, und wir wissen auch, dass er da lebend wieder runtergekommen ist. Trotzdem hält man dauernd den Atem an, weil das Ganze wie ein Krimi inszeniert ist. Vor allem bei den Szenen kurz vor dem coup, wie die Gruppe ihr Vorhaben nennt, in denen sich die Wachleute nachts vergewissern, dass auch niemand mehr im fast vollendeten Trade Center ist, während die vier Männer – zwei im Nord-, zwei im Südturm – sich mehr oder weniger geschickt eingeschleust und sich nun versteckt haben, um einen Pfeil von einem Turm zum anderen zu schießen, an dem eine Angelleine hängt. An der ein Seil hängt. An dem das Drahtseil hängt. Und schließlich müssen noch vier weitere Seile gespannt werden, die das Hauptseil davor bewahren, sich in sich selbst zu drehen. Wie wird das Wetter? Wie fühlt sich Petit nach der stundenlangen Schufterei, im Dunkeln und möglichst leise ein 60 Meter langes Seil zwischen zwei Türme zu spannen, einen knappen halben Kilometer über der Erde? Und hier kommt wieder das Motiv, und ich habe im Kino gesessen und angefangen zu weinen, vor Glück, vor Rührung, vor Anspannung, als ich einen der Freunde über Philippe sprechen hörte: wie er die ersten vorsichtigen Schritte machte … und wie dann auf einmal der Moment da war, an dem klar war, das Seil ist sicher, das Wetter ist gut, alles ist in Ordnung, und Philippe geht draußen einfach mal 45 Minuten auf einem Seil spazieren, legt sich hin, spricht mit einer Möwe, winkt den winzigkleinen Menschen weit da unten zu und weiß: Alles ist gut. Gibt es einen schöneren Anblick als jemand, der zwischen zwei Türmen entlangläuft?

Der Film macht diesen absolut einzigartigen Moment sehr greifbar, holt etwas, das vor 35 Jahren passiert ist, nochmal ganz nah heran, und obwohl man weiß, was passiert ist, schüttelt man nur staunend den Kopf über diesen Mann, der einfach etwas Einmaliges schaffen wollte. Das Staunen und die Freude mit Petit ist allerdings nicht das einzige, was der Film transportiert. Er zeigt auch, wie sehr sich die Gruppe dem Traum eines Einzelnen unterordnen musste und wie sich die Dynamik zwischen den Beteiligten ändert.

Dass der erwähnte einzigartige Moment nicht wiederholbar ist, liegt natürlich nicht nur an Petit, sondern auch an der Tatsache, dass die Zwillingstürme nicht mehr stehen. Seltsamerweise vergisst man das irgendwann; anfangs gibt es Originalmaterial von den Bauarbeiten zu sehen, und es hat sich sehr schmerzhaft angefühlt, die charakteristischen Fassadenteile zu sehen, wie sie neu und stolz in die Höhe gehievt werden, weil wir inzwischen wissen, wie sie wieder zur Erde zurückgekehrt sind. Und die Grube, in der das Fundament gelegt wird, sieht Ground Zero von 2001 gespenstisch ähnlich. Aber diese Gedanken schieben sich irgendwann in den Hinterkopf und man folgt wieder dem irrsinnigen Plan, auf dem Dach der Welt zu tanzen. Vielleicht vergisst man es auch irgendwann, weil inzwischen ein anderer Ort das Dach der Welt geworden ist. Was man aber nicht vergisst, ist der Anblick des lächelnden Mannes im Nebel, schlicht in schwarz gekleidet auf dem Seil über der Tiefe. Und seine Motivation: jeden Tag als Chance zu begreifen. Jeden Tag am Abgrund zu leben. Jeden Tag Schönheit zu schaffen. Und jeden Tag einen unvergesslichen Moment zu finden. Petit hat seinen auf dem Drahtseil gefunden. Man on Wire hat ihn mir geschenkt.