Seit Wochenanfang fielen die Temperaturen; am Samstag hatten sie zwischenzeitlich minus 9 Grad erreicht. Aber gegen sowas wurde ja der Zwiebellook erfunden. Als ich mich Samstag nachmittag einzwiebelte, musste ich allerdings fünf Minuten später die Wohnung verlassen, sonst wäre ich an Hitzschlag gestorben.
Nach dem letzten Stadionbesuch im November (FCB – Villarreal in der Allianz-Arena, die ich beharrlich mit Bindestrich schreibe) war mir klar: Ich brauche eine Winterjacke. Seit ich meine Kleidung selber kaufe und mir nicht mehr von Mama aufs Bett legen lasse, habe ich keine Winterjacke gehabt. Meistens beschränkte sich mein Winter auf die kurzen Wegstrecken von Auto zu Supermarkt/Arbeitsstelle/irgendwas, und diese wenigen Meter ließen sich auch mit Longsleeve, T-Shirt, Wollpulli und Hoodie bewältigen. Seit ungefähr einem Jahr fahre ich aber überhaupt kein Auto mehr, weswegen ich im letzten Winter (und in diesem nochmal, weil anscheinend abgenommen, ts) eine dickere Jacke kaufte. Endlich kein Schlumpfhoodie mehr, sondern irgendwas, das man so allgemein als „weiblich“ bezeichnet. Die neue Jacke reicht locker, um vom Bus zur Arbeitsstelle zu wandern, aber wie ich im November merkte, reicht sie überhaupt nicht, um bei knapp über null Grad zwei Stunden bewegungslos in einem Stadion zu sitzen. Deswegen ging ich einen Tag nach dem Spiel auf dem Weg zum Terminal 2/Flughafen MUC nochmal einkaufen und erwarb im Fanshop das hier. (Für Vereinsmitglieder gibt’s übrigens Rabatt.) Die Jacke ist zwar alles andere als das, was man so allgemein als „weiblich“ bezeichnet, aber dafür ist sie oh dear God so unglaublich warm. Was an Nicht-Spieltagen im Bus zur Arbeit eher doof ist, aber wie ich Samstag in der Imtech-Arena merkte, ganz, ganz großartig.
Unter der Jacke trug ich ein rotes Longsleeve, ein rotes Shirt und das Gomez-Trikot, unter meiner Jeans zwei Paar Leggings, in meinen gefütterten Schuhen steckten drei Paar Socken. Bayern-Schal um den Hals, Decke, Handschuhe und Mütze im Rucksack. Derartig ausstaffiert wankte ich zum Bus, der mich zur S-Bahn brachte, die mich wiederum mit vielen, vielen weiteren Michelinmännchen zur Arena chauffierte. Oder zumindest bis nach Stellingen, von wo man noch 15 Minuten Fußmarsch vor sich hat, wenn man den Shuttlebus nicht nutzen will. Was @derkutter und ich nicht wollten, weil wir uns vor dem zweistündigen Rumsitzen noch ein bisschen aufwärmen wollten.
Die S-Bahn-Fahrt fand ich schon sehr spaßig, denn mein Wagen war jeweils zur Hälfte mit rot- und blau gekleideten Menschen gefüllt, die sich gut gelaunt Schlachtengesänge um die Ohren brüllten. Die HSV-Fans hatten allerdings eine Killerline in petto, zu der den Bayern-Fans nichts mehr einfiel. Mir eh nicht, ich musste zu laut lachen.
„Hier – regiert – der HSV!“
„Wir hol’n die Meisterschaft … und den Pokal …“
„Ihr seid nur Norditaliener, ihr seid nur Norditaliener …“
„Deutscher Meister wird nur der FCB, nur der FCB, nur der FCB!“
„Wir – ham – ne – Bär-chen-dek-ke!“
Ein freundlicher Bayern-Fan fragte mich nach meiner Jacke, ein anderer meinte, er käme gerade aus dem Hofbräuhaus, wo man mit dem Fanclub in entspannter Runde TV-Übertragungen gucken könnte (Mitglied der Facebook-Gruppe bin ich immerhin, aber zum Fanclub-Beitritt hat es noch nicht gereicht) – also eine angenehme Hinfahrt.
Frau Pleitegeiger hatte mir freundlicherweise zwei Tickets besorgt; meine einzige Bitte war: möglichst nah am Gästeblock. Hat geklappt, wir saßen in 12B, wobei Herr Kutter als 96-Fan darauf bestand, den Sitz zu kriegen, der weiter weg von UNS war. Sein Glück, denn das Pärchen neben ihm gab das ganze Spiel lang keinen Mucks von sich. Sie trugen auch keine Schals und jubelten weder beim Tor für den HSV noch für UNSEREN Ausgleich, weswegen wir uns nach dem Spiel fragten, ob sie überhaupt irgendwem die Daumen gedrückt hatten oder einfach nur mal bei Minusgraden in einer Arena sitzen wollten.
(sorry für unscharf)
Die beiden Jungs auf meiner Seite waren dagegen eindeutig dem HSV zuzuordnen. Darunter mussten die beiden älteren Herren direkt vor uns ziemlich leiden, die als Bayern-Fans zu erkennen waren. Nach dem Führungstreffer für die ollen Hamburger brüllten die beiden Schlachtrufe in einer Tour, wobei sie sich immer schön weit nach vorne beugten, um den beiden Bayern-Fans quasi direkt in die Ohren zu schreien. Der genervten Bitte, das sein zu lassen, wurde nicht nachgekommen, aber immerhin gab es etwas, was die beiden kurz vom Brüllen ablenkte: Bier.
Der Typ neben mir balancierte schon beim Reinkommen Bratwurst und Bier so dusselig, dass meine schöne, schwarze Kuscheldecke erstmal mit Ketchup und Gerstensaft getauft wurde. Egal, kann man waschen, dachte ich noch. Der Typ war aber entweder so blöd oder er hatte schon vor dem Spiel getankt, dass er seinen vor sich auf den Boden abgestellten Bierbecher in schöner Regelmäßigkeit umstieß. Was zur Folge hatte, dass ich irgendwann meinen Rucksack zwischen die Knie klemmte, die Decke nicht mehr bis zum Boden hängen ließ und meine Füße es sich in einer Eispfütze aus Bier bequem machen mussten. (Zu diesem Zeitpunkt verfluchte ich meine Memmigkeit, nicht doch die Zehenwärmer ausprobiert zu haben, die ich als Weihnachtsgeschenk bekommen hatte.) Nebenwirkung des stets leeren Bierbechers: Honk musste sich alle zehn Minuten einen vollen organisieren. Das waren die einzigen Zeiten, in denen die Kerle in der Reihe vor mir Ruhe hatten, denn es dauerte netterweise immer so gut zehn Minuten, bis der Depp wieder da war, ein paar Schlucke trank, die Bayernfans anbrüllte, noch was trank, den Becher vor sich abstellte und ihn fünf Minuten später wieder umtrat.
Nach dem Ausgleich hatten die Herren vor uns immerhin Ruhe vor Honk, der aber inzwischen so blau war (oder eben über eine gewisse Grundbräsigkeit verfügte), dass er auch bei „Steht aaaauf, wenn ihr Bayern seid“ aufsprang und mitsang, was ihn mir wieder kurzfristig sympathisch machte. Überhaupt Gesänge: sehr schöne Stimmung in der Arena. Ich habe sowohl die HSV-Fans als auch UNS ordentlich laut gehört, und es war weitaus mehr los als in der Allianz-Arena, wo die Gesänge leider immer etwas verpuffen. Nach 75 Minuten taten allmählich die kalten Füße weh, aber ansonsten war mir mummelig warm. Tolle Jacke, tolle Decke, alles supi. Laut Anzeigentafel waren es minus 5 Grad in der Arena, also quasi total warm.
Ich war mir todsicher, dass WIR noch das 2:1 schießen würden, denn in der zweiten Halbzeit sah es für mich so aus, als hätten wir die deutlich bessern Karten. Lustigerweise sahen Pleitegeiger und Ned Fuller, mit denen ich mich nach dem Spiel noch traf, das ganz anders: Sie waren sich sicher, dass ihre Jungs noch den Heimsieg holten. Ist jetzt wurscht, hat ja beides nicht geklappt, wobei die HSV-Fans das lausige Unentschieden wie einen Sieg feierten und es sich für mich wie eine Niederlage anfühlte.
Die S-Bahn-Fahrt zurück war dann auch nicht so lustig wie die Hinfahrt. Wo ich auf der Hinfahrt im Bayernpulk stand, geriet ich diesmal in eine blau gekleidete Gruppe und wurde dann auch sofort gefragt, wie’s mir so ginge – „Geht, war ein spannendes Spiel, verdientes Unentschieden“ –, wo ich herkäme – „Hamburg“ –, und nach der Antwort, ob ich denn keinen Stolz hätte. Ich hätte zwar gerne gesagt, he, ich bin wenigstens nüchtern, und ich kann Bierbecher vor mir abstellen, ohne sie unkoordiniert umzutreten, und ich singe nur bei den Fangesängen mit, die zu meinem Verein gehören, aber ich war zu müde.
Immerhin waren meine Füße zu dem Zeitpunkt wieder warm. Und nächste Woche in der Allianz-Arena gewinnen wir, denn bis jetzt haben wir immer gewonnen, wenn ich in der Allianz-Arena saß. Nach dem 1:2 in Hannover und dem Unentschieden fühle ich mich jetzt allerdings wie Auswärtsgift. Vielleicht sollte ich mal zu ein paar Auswärtsspielen des BVB fahren.