„Und, Anke, wie war so dein drittes Semester?“

(Erstes, zweites Semester)

Ich habe gelernt, dass ich noch irrwitzig viel lernen muss und will. Ich begreife so langsam, was das Fach Kunstgeschichte alles zu bieten hat an Richtungen, Theorien, KünstlerInnen, HistorikerInnen, und ich weiß wirklich nicht, wer sich ernsthaft nach sechs popeligen Semestern hinstellt und sagt, klar bin ich KunsthistorikerIn. Ich kriege hier so viel Zeug vor die Nase und sauge es auf und wurste es in meinem Kopf durch, aber ich weiß jetzt, dass da draußen noch so wahnsinnig viel mehr rumliegt. Und wo ich im ersten Semester dachte, ach du Scheiße, drei Jahre Uni, denke ich jetzt, WAS, NUR DREI JAHRE UNI, DA SCHAFF ICH JA NIX!? Ich bin jetzt halb durch mit dem Bachelor und denke schon über den Master nach. (Und nicht über meinen Kontostand.)

Ich habe gelernt, wie schnell ich auch in wissenschaftlichen Diskussionen auf den Barrikaden bin. Mein liebster Geschichtskurs hieß Geschlecht im Zeitalter der Extreme 1900–1939 und befasste sich mit Männlichkeitsbildern, Frauengeschichte und dem Verhältnis der Geschlechter zueinander. Und egal um welches Thema es bei den Damen ging – ich habe es nicht geschafft, darüber sachlich und distanziert zu diskutieren. Zu merken, dass wir heute noch elende Diskussionen führen, die wir schon vor 50, 100 oder 200 Jahren geführt wurden, hat mich unglaublich genervt und müde gemacht. Zu lernen, dass die dusseligen Geschlechtszuschreibungen (Frauen sind so, Männer sind so, Natur, Biologie, isso, kannste nix machen) ein Konstrukt der Aufklärungszeit sind, das aber bedingt, dass Frauen sich heute noch rechtfertigen müssen, wenn sie beruflich arbeiten wollen und Männer, wenn sie lieber Gardinen aussuchen und Kinder großziehen möchten, regt mich seit der Unterrichtsstunde auf, in der wir darüber was gelesen haben. Ich hatte 25-Jährige neben mir, die sich „nur für sich schminken“ und aufbrezeln und verkennen, dass die eigentliche Freiheit, sich schminken zu dürfen, ohne für eine Prostituierte gehalten zu werden, sich irgendwann wandelte in einen Zwang, es zu müssen, wenn man als „weiblich“ gelten will, was auch immer das heißt. Ich habe darüber diskutiert, wie sehr Konsum weiblich konnotiert ist und warum das doof ist, weil Männer schließlich auch einkaufen. Ich habe dagegen anargumentiert, dass es eine tolle Möglichkeit ist, dass „wir Frauen“ unseren Typ ständig ändern können (heute verrucht, morgen der Kumpel), weil „die Männer“ locker auf diese angebliche Freiheit pfeifen und einfach immer sie selbst sind, ohne sich verrenken zu müssen und irgendwelchen Stereotypen genügen zu wollen. Ich habe versucht zu erklären, warum Kinder und Job zwar eine kleine Freiheit, aber gleichzeitig eine große Doppelbelastung für Frauen in den 1920ern war, weil damals das Konzept „Männerarbeit im Haushalt“ schlicht noch nicht angedacht war und dass sich nicht so irrwitzig viel geändert hat, auch wegen der oben angesprochenen Zuschreibungen, die beiden Geschlechtern schaden. Ich hatte des Öfteren den „Oma Gröner erzählt vom Krieg“-Tonfall drauf und war komplett von mir selbst genervt. Der Rest des Kurses, glaube ich, nicht, aber dafür hatten die Mädels meist den verklärten „Bei mir wird alles anders“-Blick drauf. Hmja. So hab ich mit 20 auch geguckt.

Learnings für das nächste Semester: nur noch Kurse belegen, die mich persönlich nicht betreffen. Wird super.

Ich habe gelernt, dass meine Toleranz für doofe Ausflüchte an der Uni ähnlich gering ist wie im Job, was aber damit zu tun hat, dass ich inzwischen beides kenne. Vor 20 Jahren habe ich ähnlichen Quatsch von mir gegeben und war total von der Richtigkeit desselben überzeugt. Sätze wie „Ich hab’s nicht geschafft, den Text zu lesen, ich hatte so viel zu tun“ ziehen automatisch meine Augenbrauen nach oben und ich denke dann, den Spruch solltest du mal im Arbeitsleben bringen, Hase. Im ersten Semester wollte ich noch Kontakte zu KommilitonInnen knüpfen, um mit Gleichgesinnten über Kunst reden zu können, aber ich merke jetzt doch, dass eine kleine Welt zwischen uns liegt, vor allem was die Herangehensweise an Arbeiten, Lesestoff und Deadlines geht. Ja, ich habe auch Texte fürs Dienstagsseminar manchmal erst Montag um Mitternacht gelesen, aber ich habe sie gelesen und mir nicht stattdessen eine Ausrede überlegt.

Ich habe gelernt, dass das Leben an zwei Orten gleichzeitig manchmal Vorteile hat. Gut, die Nachteile überwiegen – anderthalbfache Miete, Flugkosten, Fernbeziehung, mein Lieblingsshirt liegt grundsätzlich am anderen Ort und ich weiß nie, wo was im Kühlschrank vorrätig ist –, aber ich kann nicht nur in einer, sondern in zwei Staatsbibliotheken Bücher ausleihen. Ha!

Ich habe gelernt, dass ich stolz auf meine Leistungen bin und freiwillig viel für gute Noten tue.

Ich habe gelernt, dass ich immer weniger Verständnis für die Beschränkung von Wissen habe. In meinen ersten beiden Semestern Kunstgeschichte habe ich mich, warum auch immer, um Zeitschriftendatenbanken etwas herumgedrückt; in meinem wirklich grandiosen Basiskurs Geschichte wurde ich allerdings liebevoll gezwungen, mich da mal durchzuwühlen. Und, man glaubt es kaum, so ein Aufsatz ist echt schneller durchgelesen als ein Buch! Wer hätte es gedacht. Und es gibt zu jedem noch so obskuren Thema jemanden, der sich schon mal darüber Gedanken gemacht hat, damit ich sie zitieren kann. Aber: Man kommt nicht an alle Gedanken ran. Viele Zeitschriften sind noch nicht digital erhältlich (warum, wenn sie gedruckt irgendwo rumliegen?) und viele andere befinden sich hinter Bezahlschranken. Selbst die Journale, für die meine wunderbare Institution einen Zugang übers Uninetz bereitstellt, geben manchmal erst Artikel raus, die vor, sagen wir: 2008 erschienen sind. Hallo? Ich kann verstehen, dass die HerausgeberInnen dieser Magazine ihre neuen Ausgaben nur gegen Geld zur Verfügung stellen, aber hey: Fünf Jahre alte Artikel für wissenschaftliche Zwecke nicht umsonst abrufbar zu machen, ist einfach lächerlich. Gilt auch für nicht-wissenschaftliche Zwecke, wenn ich’s mir recht überlege. Was nützt das ganze Wissen, wenn niemand rankommt? Ich hätte meiner geschätzten Leserschaft in den letzten Monaten gerne alles verlinkt, was ich lese, because awesome. Geht aber nicht, außer diese Leserschaft ist selbst in irgendwelchen Uninetzen unterwegs. Doof, das. Ändert das!

Ich habe gelernt, dass ich wissenschaftliche Texte inzwischen wie Literatur verschlinge. (Okay, bei Kunstgeschichte sind auch ne Menge bunte Bilder in den Büchern, das hilft.) Ich lese den Kram so unglaublich gerne, dass es mich selbst immer wieder verblüfft. In jedem Text stecken so viele neue Gedankengänge, denen ich folge, über die ich nachdenke, während der Text weiterfließt, und am Ende tauche ich aus den Buchstaben genauso neu auf wie nach einem Ausstellungsbesuch oder einer guten Vorlesung. Ich nehme aus jedem Text so viel mit und kann es beim nächsten Text, im nächsten Seminar, bei der nächsten Hausarbeit anwenden. Klingt simpel, aber in den letzten Jahren war ein Buch für mich ein abgeschlossener Kosmos, der damit endete, dass ich den Band zurück ins Regal stellte. Jetzt wirken Seiten, Sätze, Worte viel länger nach und auf einmal ergibt vieles Sinn, dem ich vor anderthalb Jahre noch schulterzuckend oder ratlos gegenüberstand. Ich glaube, ich habe das Konzept „Wissenschaft“ verstanden.

Ich habe erleichert festgestellt, dass der Fachwechsel von Musikwissenschaft zu Geschichte eine sehr gute Idee war. Geschichte ergänzt mein geliebtes Hauptfach deutlich besser als die Musik, auch wenn die Kurse in Musik viel emotionaler und puscheliger waren und ich mich immer sehr gefreut habe, in ihnen zu sitzen. In Geschichte ist es weniger innerer Jubel, aber dafür, genau wie im Hauptfach, irrsinnige Neugier, über die ich mich manchmal wundere, die ich aber gleichzeitig freudig zur Kenntnis nehme. Selbst aus dem Kurs, dessen Dozentin ich eher so meh fand, der sich etwas zog und ein extrem undiskussionsfreudiges TeilnehmerInnenfeld hatte, selbst aus dem bin ich jedesmal rausgekommen mit dem Gedanken, ach guck, was du jetzt wieder weißt und gelernt hast und was du mit anderen Dingen in Verbindung bringen kannst. Der Kurs ging über Zeitschriften und Journale der Aufklärungszeit, und ich glaube, ich habe diese Zeit noch nie so gut verstanden wie jetzt. Denn lustigerweise puzzelt mein Kopf nicht nur die kunstgeschichtlichen Entwicklungen in den historischen Ablauf, sondern auch die alten Kenntnisse aus der Musikwissenschaft und der Fortentwicklung der Klassik von Haydn über Mozart zu Beethoven passen auf einmal. Haben sich die zwei Semester Müsique dann doch gelohnt.

Ich habe wiederholt festgestellt, wie sehr ich es mag, in Bibliotheken zu sitzen. Das wird immer toller, weil ich allmählich weiß, wo überall die Uni München welche hat, in welcher ich lieber bin als in anderen (bessere Stühle, bessere Luft, besseres Licht, größere Auswahl an freien Plätzen) und vor allem: wie gut ich dort arbeiten kann. Mit dem neuen Fach kam auch eine neue Bibliothek ins Spiel, nämlich die im Historicum, die die größte geschichtswissenschaftliche Bibliothek Deutschlands ist. Und so gerne ich unsere überschaubare KuGi-Bib mag – die Historicums-Bibliothek hat sofort den ersten Platz in meinem Herz erobert. Fünf Stockwerke voller Bücher und Zeitschriften winseln in Freistunden um meine Anwesenheit, und ich gebe jedesmal nach, obwohl ich in acht Minuten mit dem Fahrrad zuhause sein könnte. Aber zuhause gucke ich eh bloß Serien weg, während ich in der Bibliothek auch gerne mal was für eine Automarke texte, Magazinartikel für einen neuen Kunden verfasse oder ohne Plan an das Regal mit den Zeitschriften gehe (mein Liebling: das Archiv für Kulturgeschichte) und mich irgendwo festlese.

Ich habe in meiner Lieblingsvorlesung über Ausstellungskonzepte der letzten 60 Jahre gelernt, dass Kunst nicht nur aus Werken besteht, sondern aus Ideen und Positionen. Es geht in der zeitgenössischen Kunst nicht mehr um das Bild oder die Skulptur, die vor mir steht, sondern um den gedanklichen Prozess, der in sie eingeflossen ist. Es geht nicht mehr um den Geniebegriff, den wir seit der Renaissance mit uns rumschleppen und der jahrhundertelang einen großen Künstler oder eine große Künstlerin definiert hat. Der Weg von Alleskönner Leonardo zu Beuys, der bekanntlich sagte, jeder wäre ein Künstler, ist mir zum ersten Mal klargeworden. Ich habe gelernt, dass Kunst nicht im luftleeren Raum entsteht und/oder zeitlos ist, dass sie nicht nur einen Geistesblitz braucht oder ein einmaliges Talent. Ich habe gelernt, dass Kunst bedeuten kann, sich mit dem Selbst, der Umgebung, dem politischen Klima oder anderer Kunst zu befassen und das alles seine Richtigkeit und Wertigkeit und Sinnhaftigkeit hat, wenn man sich darauf einlässt. Diese Vorlesung war ein größeres Geschenk als die Dozentin wahrscheinlich ahnt.

Ich habe mal wieder festgestellt, dass ich für alles zu begeistern bin, wenn es mir anständig präsentiert, erklärt, vorgesungen, vorgemacht wird. Das ist einerseits toll, andererseits doof, weil: Vor dem Studium so RENAISSANCE RULES! Nach dem ersten Semester so GOTISCHE KATHEDRALEN, BITCHES! Nach dem zweiten ALTER, SKULPTUREN! Und nach dem dritten ZEITGENÖSSISCHE KUNST WHERE HAVE YOU BEEN ALL MY LIFE?

Ich muss im vierten Semester meine Vertiefungskurse wählen und ich habe nicht den Hauch einer Ahnung, was ich vertiefen will. Und „Hauch einer Ahnung“ ist schon ein Euphemismus.

< quote >

„Sie verdrängte all die erbärmlichen „Das ist das Letzte, was ich riechen werde“-Gedankenschleifen. Joelle wird sich hier Zuviel Spaß genehmigen. Mehr als alles andere war es am Anfang so viel Spaß. Orin hatte weder gewettert noch mitgemacht; sein Urin war wegen des Footballspielens ein aufgeschlagenes Buch. Jim hatte weniger gewettert als leeres Desinteresse gezeigt. Sein Zuviel war purer Bourbon, er hatte das Leben in vollen Zügen genossen und sich dann trockenlegen lassen, immer wieder. Das war einfach Zuviel Spaß gewesen, zu Beginn. Sogar noch viel besser als den Stoff durch einen zusammengerollten Geldschein hochzunäseln, auf den klaren bitteren Tropfen im Rachen zu warten und die neue geräumige Wohnung, dann bis in die letzte Ecke zu putzen, während die Mundwinkel unter dem Schleier ungebeten zucken und zittern. Crack befreit und verdichtet, es komprimiert die ganze Erfahrung zur Implosion einer schrecklichen verheerenden Spitze der Kurve, ein inspirierter Orgasmus des Herzens, durch den sie sich wahrhaft attraktiv fühlt, geschützt von Grenzen, entschleiert und geliebt, beobachtet, allein, fähig und weiblich, erfüllt, gleichsam einen Augenblick lang von Gott gesehen. Nach dem Inhalieren, genau auf der Kuppe, an der Spitze der Kurve, sieht sie aus unerfindlichen Gründen immer Berninis „Verzückung der heiligen Theresa“, hinter Glas, in der Vittoria, die rücklins in Ohnmacht fallende Heilige, deren fließendes Steingewand der Engel mit der einen Hand anhebt, während er in der anderen einen Pfeil hält, im Begriff, ihr Allerheiligstes zu durchbohren, die Beine der Heiligen in leichter Öffnung erstarrt, im Ausdruck des Engels keine Barmherzigkeit, sondern das vollkommene Laster stachelspitzer Liebe.“

David Foster Wallace (Ulrich Blumenbach, Übers.) – Unendlicher Spaß,* Köln 2011, S. 337 (von 1899, keine Ahnung, wie man vernünftig aus eBooks zitiert).

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Total subtile Aufforderung zum Bloggen an einem zehnten Jubiläum

Der Kerl und ich schenken uns heute Rosen oder gehen fein aus oder lungern im Schlafanzug den ganzen Tag auf dem Sofa rum und bestellen Pizza, mal gucken. Aber weil’s so schön ist, gibt’s zur Feier des Tages noch mal meinen Blogeintrag zum Einjährigen von 2005. Stimmt immer noch so gut wie alles, sogar das mit den zwei Kühlschränken, wobei die gerade in zwei verschiedenen Städten stehen. Aber spätestens zum Zwölfjährigen hat sich das dann auch wieder erledigt.

Falls jemand mich/ihn/uns noch nicht so lange liest: Wir haben uns über unsere Blogs kennengelernt. Ich sag’s nur so.

Kunst gucken: Unpainted 14, Postpalast München

(Dieser Eintrag steht auch in meinem Zweitblog, in dem die Videos eine anständige Größe haben.)

Ich klaue mal von der offiziellen Website: „Die UNPAINTED media art fair ist Münchens erste Messe für digitale Kunst und Medienkunst.“ Heißt im Klartext: relativ wenig Raum für relativ viele Kabel, Monitore, Festplattenrecorder, DVD-Player und Ausstellungsstücke. Im runden Postpalast konnte man in der Mitte halbwegs ordentlich um die Kunstwerke rumgehen oder auch mal Abstand zu ihnen gewinnen; in den umliegenden Kabinetten war das manchmal etwas schwerer, weil die gerne sehr voll waren und gefühlt zehn Quadratmeter pro Kabinett eben schnell voll sind. Daher sind mir auch mehr im Innenraum Werke aufgefallen, weil ich bei denen nicht ständig das Gefühl hatte, irgendwem im Weg zu stehen.

Meine erste Entdeckung ist schon über 20 Jahre alt, aber das würde ich mir sofort an die Wand hängen: Die Serie Leaving Shadows (1989–97) von Stephan Reusse hat mir sehr gefallen. Am ersten Bild stand noch nichts von den Schatten dran, daher habe ich mir selbst zusammengereimt, dass das wohl Wärmespuren sind oder einfach gefakte Hinterlassenschaften eines Menschen, der jetzt nicht mehr da ist. Mir gefiel es sehr, einen Gegenstand zu sehen, der noch menschliche Spuren trägt, eine Erinnerung, eine Anmutung – ein totes Objekt zeigt ein lebendes. In der Ausstellung hingen unter anderem der Blue Chair (siehe Link) und der Thonet Chair, der leider nicht online ist, aber für 5.400 Euro meiner gewesen wäre.

Ebenfalls auf meiner Einkaufsliste hätten die Aluminium-Captchas von Aram Bartholl gestanden (Serie Are You Human? (2009–13), die ich schlicht clever finde. Beim Durchblättern des Ausstellungskatalogs fiel uns auf, wie viel man von Bartoll kennt: Map zum Beispiel, die Dead Drops oder How to Build a Fake Google Street View Car – alles Werke, die man durch Twitter oder Blogs mitbekommen hat, was für mich schön die Vernetzung von Netzkunst zeigt.

Sehr gut unterhalten hat mich Uterus Man (2013), ein Anime von Lu Yang, der netterweise komplett online steht (ihr könnt euch also die 15 Euro Eintritt sparen, aber die Ausstellung läuft eh nur noch heute). Ich mochte die Idee sehr, dass eine ureigene weibliche Eigenschaft als Superkraft interpretiert wird, was sie ja auch ist – da können wir mal etwas, was wirklich noch kein Mann jemals hinbekommen hat. Bis Uterus Man kam, der die Nabelschnur als Peitsche benutzt, eine Monatsbinde als Skateboard und das Baby als Waffe. Ist übrigens sehr interessant, wie er das Baby zur Welt bringt. Ich stand elf Minuten gut unterhalten im Kabinett.

Uterus Man full version 2013 finally released !!! by LuYang from LuYang on Vimeo.

Ich verweilte noch bei Sabine Pigalle, deren Dutch Last Supper (2012) mir natürlich gefallen hat, weil es so viel verbindet: ein klassisches Motiv (Abendmahl) mit klassischen Stilrichtungen (Stillleben) und der feministische Blick, indem die Männer aus dem Original zu Frauen wurden. Ihre Timequakes von 2011 und 2012 haben sich mir allerdings erst nach dem Blick auf ihre Website erschlossen: Eigentlich fand ich die Idee, moderne Menschen in alte Gemälde zu platzieren, eher so meh. Wenn man allerdings weiß, dass die Hintergründe die flackernden Lichter von Tokio sind, wo Pigalle sich während eines Erdbebens aufhielt, werden die Bilder plötzlich geerdet. Plötzlich hält man sich wieder an Althergebrachtem fest, während einem der Boden unter den Füßen weggezogen wird.

Dann lungerte ich bei Jacques Perconte rum, der es geschafft hat, dass mich zeitverzögerte Pixel an Monet erinnern. Sein Santa Maria Madalena (2013) ließ mich an die Zeit denken, als ich noch mit meinem 14.000er-Modem die Telefonkosten in die Höhe jagte, um mir dreiminütige Filmclips anzuschauen, die eine Stunde zum Laden brauchten und dann gerne mal so verzerrt waren wie Percontes Videos. Künstlerisch kann ich zu den Werken nichts sagen, außer dass sie mir persönlich gefallen habe, weil sie so schön in meine Biografie passen. Einer der ersten Maler, die ich mir gemerkt habe, war Monet mit seinem Seerosenteich, der in meinem liebsten Kinderkunstbuch abgebildet war. Dann wurde ich erwachsen und sprang ins Internet, und 20 Jahre später studiere ich Kunstgeschichte, stehe auf einer Kunstmesse und werde gleichzeitig an meine 20er und meine Kindheit erinnert. Well done, Jacques.

Jacques Perconte – Santa Madalena Rocha (madeira) – Enregistrement n°1 from Galerie Charlot on Vimeo.

Mein Liebling im Gewusel war ein Künstler namens Quayola. Er bezog sich auf die Werke Michelangelos (schon gewonnen). Seine Kunststoffskulpturen Captives (2013) reflektierten die Unfertigkeit vieler Stücke, die Michelangelo nie vollendet hatte. Die waren spannend, aber was mich wirklich begeistert hat, war eine Serie, die leider nicht online ist und deren Titel ich mir bräsigerweise auch nicht gemerkt habe. Man sah zwei Rahmen, in denen eine Skulptur von Michelangelo von einer sich ständig bewegenden Flüssigkeit überspült war – die Skulptur war nie ganz zu sehen, immer nur als Fragment. Ich mochte die Auseinandersetzung mit dem Wesen der Skulptur, die mir durch ihre Dreidimensionalität eine vollständige Ansicht gewährt – ich kann um sie herumgehen und sie mir von allen Seiten betrachten. Hier war sie auf einmal zweidimensional und nie ganz zu sehen, was mich gleichzeitig irre und sehr neugierig gemacht hat.

Online und mein Favorit von gestern: Strata #1 (2008) – von Strata gibt es mehrere Versionen, und überhaupt solltet ihr euch einfach die ganze Website anschauen. Ich kann gar nicht genau sagen, was mich so an diesem Video fasziniert hat – vielleicht ist es schlicht der Kontrast aus dem ewigen Kunstwerk mit den 500 Jahre alten, exakt komponierten Farben, aus dem plötzlich eben diese Farbtöne vorwitzig ausbrechen und sich neu und individuell arrangieren, sich zu neuen Konstellationen verbinden, neue Formen einnehmen und dazu auch noch einen schönen Soundtrack haben. Auch im Hinterkopf: der Anspruch der Kirche auf die einzig seligmachende Wahrheit, an dem plötzlich gerüttelt wird, Kunst, die sich gegen Dogmen stellt usw.

Strata #1 from Quayola on Vimeo.

Es gab noch viel mehr – viel zum Anfassen und Rumspielen, Werke, die plötzlich Töne von sich gaben oder sich veränderten, je näher man ihnen kam, alles hübsch, alles bunt, aber die obenstehenden Werke waren die, die mich wirklich beeindruckt haben. Einziger Wermutstropfen: Jetzt, wo ich Kunstgeschichte studiere, um mir den ganzen modernen Kram anständig erschließen zu können, habe ich keine Werbungshonorare mehr, um mir den ganzen modernen Kram auch leisten zu können. Irgendwo ist da immer noch ein Fehler in der Matrix.

Links vom 12. Januar 2014

„In einer Mannschaft sind Spielsüchtige normaler als Schwule“

Corny Littmann, der ehemalige Präsident vom FC St. Pauli, schreibt in der ZEIT darüber, dass nicht die Fans das Problem für homosexuelle Fußballer sind – wobei er in seiner Argumentation auch nicht ganz vorurteilsfrei arbeitet, soweit ich das beurteilen kann:

„Bei den Mitspielern fängt das Problem an. Eine Fußballelf besteht aus Männern verschiedener Nationalität, aus Männern mit verschiedenen kulturellen Hintergründen. Und manch Kroate oder Serbe sieht das mit der Homosexualität nun mal anders als der liberale Westeuropäer. Auch manch Russe, selbst wenn er nicht so reaktionär wie Putin ist. Ich will das Phänomen aber nicht auf Osteuropa beschränken.

Als Schwuler gilt man in einer Fußballmannschaft als merkwürdig. Ich kenne einige schwule Spieler im deutschen Fußball. Viele haben eine hysterische Angst davor, an Kleinigkeiten erkannt zu werden, daher geben sie sich extrem heterosexuell, härter als die Kollegen. Ich sage immer: Wer wissen will, wer schwul ist, sollte auf die Spieler schauen, die die meisten Gelben Karten kriegen. Ist natürlich übertrieben und kein völlig zuverlässiges Indiz.“

Struktur und Methode: Das Problem mit @1914Tweets

Moritz Hoffmann alias HelloJed, einer der Mitbegründer des großartigen Twitteraccounts @9nov38, schreibt nachvollziehbar, was ihn an den Tweets aus dem „Weltkriegsjahr“ 1914 stört:

„Die Beschaffung und Sichtung von Quellen ist nur der erste Schritt – die richtige Arbeit beginnt mit der Auswahl der relevanten Informationen, um überzeugende Belege für eine These oder ein Narrativ zu finden. Dieses Narrativ benötigt zugleich eine Kontextualisierung seiner Inhalte, eine Erklärung des historischen Vorgangs in seiner Welt und seinen Rahmenbedingungen.

Das ist das größte Problem von @1914Tweets: Bislang ist nicht einmal im Ansatz ein Narrativ erkennbar. Jeder Tweet für sich alleine könnte Teil eines großen Ganzen sein, zusammen ergeben sie ein vermeintlich gegenwartreproduzierendes Chaos.“

Die Rückkehr der vertriebenen Töchter

In der FAZ schreibt Swantje Karich über die Doppelausstellung von Eva Hesse und Gego, die ich mir auch angeschaut habe:

„Die Hamburger Kunsthalle nimmt mit den Ausstellungen „Eva Hesse. One More than One“ und „Gego. Line as Object“ eine historische Setzung vor, auf die man hier lange warten musste. Das Ausstellungshaus kämpfte in den vergangenen Jahren mit unerfreulichen Meldungen. Der Ungers-Anbau der Galerie der Gegenwart ist ja schon unabhängig von Querelen eine kuratorische Herausforderung. Nun aber ist den Leiterinnen Brigitte Kölle und Petra Roettig ein Auftritt gelungen, der das Haus überzeugend nutzt.

Die beiden ausgestellten Künstlerinnen verbindet das Erleben einer Vertreibung – und ein Leben für die Kunst, die Linie, die Form, den Raum.“

Hat nichts mit dem Artikel zu tun, aber: Seit wann trennt die FAZ ihre Posts in Einzelseiten? Das mochte ich bei den Damen und Herren aus Frankfurt immer sehr gerne, dass sie nicht diese össelige Seitenschinderei betreiben. Nervt.

Nachtrag

Ich habe meinen Eintrag zur Stillleben-Sendung auf BBC4 (nur noch heute im iPlayer!) um ein paar Zeilen ergänzt. Wenn Sie da mal runterklicken würden?

Salat mit Kürbis, Quinoa und Zitronen

Kann man warm essen, schmeckt kalt aber besser. Mehr habe ich zu meinem neuen Lieblingsessen nicht zu sagen. #nofilter

quinoa_kuerbis_zitrone

500 g Butternusskürbis schälen, in mundgerechte Stücke verwandeln, in einer Schüssel mit
1 EL Olivenöl (bei mir mehr because I can) und
2 TL Ras el Hanout mischen, auf ein Backblech umsiedeln und im auf 220° vorgeheizten Ofen für 20 bis 25 Minuten backen. Ras el Hanout kann man selber machen oder, wer hätte es gedacht, als fertige Mischung kaufen. Ich hab’s bei Kaufhof entdeckt. Ach ja, und mein Butternusskürbis war gestern zum Fototermin ein Hokkaido. (Leider, denn mit Butternuss schmeckt’s deutlich besser.)

125 g Quinoa waschen und nach Packungsbeilage zubereiten.

Das Rezept hätte jetzt gerne noch 1 EL eingelegte Zitronen. Die hatte ich nicht und habe sie auch nirgends gefunden (vulgo: war zu faul, lange zu suchen). Stattdessen habe ich eine Biozitrone genommen, davon die Schale abgerieben und die Frucht in Scheiben verwandelt. Diese für wenige Minuten mit Olivenöl und einer guten Prise Salz anbraten, dann ein paar Esslöffel Wasser drauf und die Pfanne für zehn Minuten zum Kürbis in den Ofen schieben. Der weiße Rest der Schale wird dadurch weich und verliert seine Bitterkeit, die Zitrone ein bisschen ihre fiese Säure. Aus dem Ofen nehmen, in kleine Stücke hacken, ab zur Zitronenschale in die Salatschüssel. Dazu noch

2 EL Zitronensaft und
frischen Koriander, so viel man will.

Quinoa dazu, Kürbis dazu, salzen, nicht ganz so viel pfeffern, abkühlen lassen, fertig. Milder Kürbis, frischer Koriander, spritzige Zitrone, nussiger Quinoa, Urlaubsgewürz, lecker, toll, alles, basta.

Psychologie gestern

erfahrungsseelenkunde

Der Text stammt aus dem Magazin zur Erfahrungsseelenkunde als ein Lesebuch für Gelehrte und Ungelehrte, das als erste psychologische Zeitschrift Deutschlands gilt. Gegründet wurde es 1783 von Karl Philipp Moritz, von dem viele wahrscheinlich durch Anton Reiser in der Schule mal was gehört haben. Das Magazin erschien zehn Jahre lang, und genau diese zehn Jahre sind als Bände erhältlich. Oder – wie sich’s gehört – online (hier als Faksimile bei meinen Lieblingen der Bayerischen Staatsbibliothek). Das Magazin wurde von prominenten Vertretern der Berliner Aufklärung, z.B. Moses Mendelssohn oder Marcus Herz, unterstützt bzw. geschrieben und versuchte, psychologische Probleme zu erörtern. Leser sandten Traumerfahrungen oder Kindheitserinnerungen ein, und deren Fälle wurden besprochen. Ist ein bisschen wie Oliver Sacks, nur eben 200 Jahre älter.

(File under: Was ich mir aus meinen Geschichtsseminaren so nebenbei merke. Das aus dem Handgelenk gemachte Foto war übrigens nur deshalb möglich, weil unsere Dozentin zu jeder Stunde einen Stapel Bücher mitschleppt und uns vorstellt. Großartige Sache.)

Stillleben

Eigentlich wollte ich zu dem Thema noch ein bisschen mehr schreiben (vielleicht editiere ich hier noch mal rum), aber jetzt gerade drängt die Zeit etwas, daher der fast kommentarlose Hinweis auf eine wunderbare Sendung bei BBC4 über die Geschichte der Stillleben. Mit meinem Liebling Juan Sánchez Cotán. Noch für fünf Tage im iPlayer zu sehen.

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Juan Sánchez Cotán: Stilleben mit Quitte, Kohl, Melone und Gurke (ca. 1602), Öl auf Leinwand, 68,9 x 84,5 cm, San Diego Museum of Art. Bildquelle: Wikimedia Commons.

Zum oben stehenden Stillleben hat Ori Gersht eine filmische Variante geschaffen. Pomegranate von 2006 ist hier in einem längeren Ausschnitt zu sehen. Oder etwas kleiner gleich hier:

Ori Gersht, Pomegranate, 2006 from Noga Gallery of Contemporary Art on Vimeo.

Im Film kommt außerdem der Philosoph Alain de Botton zu Wort, der aus seinem Buch Wie Proust Ihr Leben verändern kann* zitiert. Es geht um einen traurigen jungen Mann, den Marcel Proust kurzerhand zu den Stillleben Jean Chardins im Louvre schickt. Das Artblog hat den längeren Abschnitt, aus dem de Botton im Film zitiert, veröffentlicht. Ich fasse mich kurz, aber ich empfehle euch wirklich, da mal rüberzuklicken – ihr findet eine sehr schöne Beschreibung der Kunst Chardins:

„After an encounter with Chardin, Proust had high hopes for the spiritual transformation of his sad young man.

‚Once he had been dazzled by this opulent depiction of what he called mediocrity, this appetizing depiction of a life he had found insipid, this great art of nature he had thought paltry, I should say to him: “Are you happy?”‘

Why would he be? Because Chardin had shown him that the kind of environment in which he lived could, for a fraction of the cost, have many of the charms he had previously associated only with palaces and the princely life. No longer would he feel painfully excluded from an aesthetic realm, no longer would he be so envious of smart bankers with gold-plated coal tongs and diamond-studded door handles. He would learn that metal and earthenware could also be enchanting, and common crockery as beautiful as precious stones. After looking at Chardin’s work, even the humblest rooms in his parents’ flat would have the power to delight him.“

Der Künstler Mat Collishaw (den ich nebenbei mal wieder in einer Vorlesung kennengelernt habe und zwar mit seinem Werk Bullet Hole, das in der wichtigen Ausstellung Freeze von 1988 zu sehen war) nutzte die alte Technik des Stilllebens für ein makrabes und gleichzeitig faszinierendes, fotografisches Arrangement: Er inszenierte die letzten Mahlzeiten von Menschen kurz vor ihrer Hinrichtung. Auf seiner Website finden sich die Bilder von Last Meal on Death Row, Texas (2011).

Ich finde die Stelle im Film leider nicht mehr, aber einer der Kunsthistoriker, die zu Wort kommen, erwähnt Rachel Ruysch, eine der wenigen weiblichen Künstler, die in der Sendung erscheinen. (Wenn ich mich richtig erinnere, hängt auch in der Hamburger Kunsthalle ein Bild von ihr.) Er erklärt, dass Frauen eher Stillleben malten als figürliche Darstellungen, einfach aus dem Grund, weil sie in der Akademie, sofern sie überhaupt zugelassen wurden, nicht an den Aktkursen teilnehmen durften, in denen unbekleidete Männer rumstanden. „They weren’t allowed to look at naked men, but they were allowed to look at a bunch of grapes.“

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Kunst gucken: Eva Hesse/Gego, Kunsthalle Hamburg

(Dieser Eintrag steht auch in meinem Zweitblog, wo die Bilder ne Ecke größer sind.)

Es gibt ein Gefühl, das ich bisher nur nach aufwühlenden Kinofilmen oder Opernaufführungen kannte; wenn ich aus dem dunklen Zuschauerraum, in dem ich kurz Teil einer anderen Welt war, wieder hinaustrete und die Realität vor den Kopf geknallt kriege. Das Gefühl, diese Realität sofort wieder von mir wegstoßen, sie von mir abwischen zu wollen in ihrer Hektik, Lautstärke, dummen Nervigkeit. Dieses Gefühl kenne ich jetzt auch nach einem Ausstellungsbesuch.

In der Kunsthalle bzw. der Galerie der Gegenwart läuft noch bis zum 2. März eine Doppelausstellung von Eva Hesse und Gego. Zusätzlich ordnet die dritte Ausstellung Serial Attitudes die beiden Künstlerinnen in ihr zeitliches und künstlerisches Umfeld ein, was den Besuch perfekt macht. Ganz simpel ausgedrückt: Wenn man sich den ersten Stock und die Serial Attitudes anguckt, sieht man sofort, was an Hesse und Gego so besonders ist. Das heißt, man braucht kein Vorwissen und keine drei Semester Kunstgeschichte, sondern nur einen aufmerksamen Blick und ein bisschen Zeit. Wobei ich trotzdem ganz dankbar für die drei Semester Kunstgeschichte war, denn so konnte ich bei Serial Attitudes wieder die ganze Zeit innerlich rumquietschen, kenn’ ich, kenn’ ich, ha! Und weniger quietschig: Kannste dir gleich alles für die Klausuren im Februar über amerikanische Kunst und Ausstellungskonzepte merken.

Ich habe im dritten Stock mit Hesse angefangen. Das erste Objekt, um das ich ewig rumgeschlichen bin, war Accession III (1968), ein Würfel aus Glasfaser, Polyesterharz und Kunststoff, der in einem Raum stand mit Accretion (1968) und Repetition Nineteen III (1968).

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Eva Hesse, „Accretion“ (1968), Glasfaser und Polyesterharz, 50 Röhren zu je 147,5 x 6,3 cm, Kröller-Müller Museum, Otterlo/Niederlande.
Foto: Abby Robinson, New York
© The Estate of Eva Hesse. Courtesy Hauser & Wirth

Dass die drei Werke in einem Raum stehen, fand ich sehr schön, denn diese Aufstellung erinnert an die einzige Einzelausstellung, die Eva Hesse in ihrer kurzen Lebenszeit in den USA hatte: In der Fischbach Gallery in New York waren 1968 genau diese Werke ebenfalls in einem Raum versammelt, wenn auch in leicht anderer Anordnung. Aber das ist nur ein nettes Kopfnicken – was viel spannender ist, sind die drei Objekte.

Über Accession III habe ich mich gefreut, weil ich eine Variante, Accession II, schon in einer Vorlesung gesehen hatte. Mal wieder der Gemeinplatz: Bilder und Skulpturen direkt vor der Nase sind was anderes als Bilder und Skulpturen per Powerpoint oder Buch. Ich mochte die Materialität, den Kontrast zwischen den runden, weichen Röhrchen und den klaren, harten Kanten, die sie begrenzen. Noch besser gefallen hat mir allerdings Accretion, das schlicht durch seine Größe beeindruckt. Das sieht man auf dem Detailfoto leider nur im Ansatz, aber die 50 Röhren nehmen eine gesamte Wandlänge ein. Man kann ein, zwei, fünf Meter zurückgehen und das üppige Werk auf sich wirken lassen. Mir hat es gleichzeitig eine positive Verspieltheit als auch eine tiefe Ruhe durch seine Schlichtheit vermittelt. An den beiden Exponaten sieht man auch gut den Unterschied zwischen Hesses Postminimalismus und dem Minimalismus, dem man im ersten Stock begegnet. Wo der Minimalismus meist streng und gerade daherkommt und im Hinterkopf mathematische Formeln oder absolute Symmetrie mit sich rumschleppt, bricht der Postminimalismus hier und da ein Eckchen ab, nimmt es mit den Abständen zwischen den Einzelteilen des Objekts nicht so genau, nutzt weichere Materialien oder sichtbare Handarbeit, kurz: bringt wieder etwas Menschlichkeit in die immer noch klaren Konstrukte.

Das einzige, was an dem Raum ein winziges bisschen gestört hat, war die konsequente Aufmerksamkeit des Wachpersonals. Normalerweise gehen die AufseherInnen netterweise aus den Räumen, wenn man alleine reinkommt oder wenden sich ab, damit man sich nicht so beobachtet fühlt. Das Dumme an diesem Raum – was gleichzeitig das Tolle ist –: Die Exponate sind nicht abgesperrt, kein Seil oder Verglasung stört den unmittelbaren Kontakt zwischen BetrachterIn und Kunst. Das ist wunderbar, bedeutet aber auch, dass die AufseherInnen dafür sorgen müssen, dass man nicht zu nah rangeht. Um mich nicht ganz so doof zu fühlen, habe ich die Dame einfach mal angesprochen, ob sie gerne hier steht oder lieber drüben bei den alten Meistern. Sie meinte freundlich, dass sie die gegenständliche Kunst lieber möge, weil sie „das hier“ alles nicht verstehe. Da ist mir wieder aufgefallen, dass mir mein Studium ein weiteres großes Geschenk gemacht hat: Ich habe mich schon länger davon verabschieden können, irgendwas an der modernen Kunst verstehen zu wollen. Ich kann sie mir inzwischen einfach anschauen, ihre Konzepte würdigen und vor allem gucken, was sie mit mir macht. Meiner Meinung nach ist das die Triebfeder für Kunstgucken: Was passiert mit mir, in mir, wenn ich mich mit einem Objekt konfrontiere? Eigentlich genau das gleiche Motiv wie für einen Besuch im Theater oder der Oper, bei der man ja eh meist die Stücke kennt – und trotzdem sind sie jedesmal anders, und ich komme jedesmal anders aus ihnen heraus.

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Eva Hesse, „Repetition Nineteen III“ (1968), Glasfaser und Polyesterharz, 19-teilig, je 48,3 x 27,9 cm (Durchmesser), The Museum of Modern Art, New York.
Foto: The Museum of Modern Art, New York/Scala, Florence
© The Estate of Eva Hesse. Courtesy Hauser & Wirth

Meine liebste Skulptur gibt’s leider nicht als Pressefoto: No title (Seven Poles) von 1970, das einen Raum fast für sich alleine hat. Man kommt in den Raum hinein und hat dementsprechend erstmal eine Perspektive vorgegeben, aus der man sich das Werk betrachtet. Mein Kopf hatte sich bis hierhin brav zurückgehalten mit Interpretationen oder Assoziationen, aber hier klickte sofort was im Hirn und ich bekam die Ansage: Sieht aus wie Beine. Dagegen konnte ich dann auch nichts mehr machen, ging um das Werk herum und bemerkte, dass es sich gefühlt bewegte! Ich konzentrierte mich auf ein „Beinpaar“ und guckte, wie sich die Formation der anderen „Beine“ entwickelte, wenn ich meine Perspektive änderte. Und wo ich zunächst dachte, das sind gelangweilte Menschen, die auf einer Cocktailparty eng beieinander stehen und Smalltalk machen, sah es von der anderen Seite aus wie hektisches Großstadtleben, wo man fast über den Haufen gerannt wird.

Was mir an Seven Poles noch aufgefallen ist, allerdings eher bedauernd, ist die Fragilität der Exponate. Was Hesse zu Lebzeiten so besonders gemacht hat, nämlich das Benutzen und Verarbeiten von neuen, modernen Materialien, wird ihrem Werk jetzt zum Verhängnis. Es vergilbt und bröselt, der Draht, der die „Beine“ bildet, scheint zu rosten. Ein paar Räume vor den Poles hing ein weiteres Werk, das mich lange fesseln konnte: Sans II, das aus fünf einzelnen Zellkästen besteht, die blöderweise sonst in fünf unterschiedlichen Museen hängen. Hier ist die Skulptur wieder vereint und beeindruckt, genau wie Accretion, durch ihre raumgreifende und raumdefinierende Größe. Durch die fünf unterschiedlichen Aufbewahrungsorte und -umstände ist es unterschiedlich stark nachgedunkelt, was den Zusammenhalt des Werks etwas stört, es aber gleichzeitig nahbarer macht. Es scheint ein Eigenleben entwickelt zu haben, einen Charakter – und man sieht ihm die Vergänglichkeit an. Ehe ich mich allerdings in morbide Gedanken vertiefen konnte, habe ich mich lieber an den Strukturen erfreut. Auch hier kann man die Handarbeit erkennen, die Hesse verrichtet hat, um industriellen Materialien eine emotional fassbare Form zu geben. Die Zellen sind nicht exakt rechtwinklig, sie scheinen auszufasern; die Linie, die ihre Fassung erzeugt, scheint zu vibrieren, es entsteht in der Mitte des Werks fast eine kleine Welle, der ich recht lange mit den Augen gefolgt bin. Genau wie bei Accretion habe ich Ruhe und Besinnung gespürt.

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Eva Hesse, „Sans II“ (1968), Glasfaser und Polyesterharz, 96,5 x 218,4 x 15,6 cm (ein Element von fünf), Museum Wiesbaden.
Foto: Ed Restle, Museum Wiesbaden
© The Estate of Eva Hesse. Courtesy Hauser & Wirth

Gego ein Stockwerk tiefer hat hoffentlich etwas beständige Materialien verwendet, jedenfalls sieht das alles etwas zeitloser aus. Ihre Skulpturen bestehen aus Draht, Stahl, Aluminium – eigentlich hartes, kantiges Zeug, aber sie verwandelt es in filigrane Objekte, die wunderschön inszeniert sind. An einer Wand stand ein Zitat von ihr, das die Ausstellung „Line as Object“ gut zusammenfast: „There is no danger to get stuck, because with each line I draw, hundreds more wait to be drawn. That is the circle of knowledge with the ring around; you enlarge the inner circle and the outer one becomes greater without end.“ Den Satz habe ich natürlich sofort auf mich, mein Studium und meinen Wissendurst bezogen. War klar.

Ich habe mich bei ihr sehr auf die Formen konzentriert, die durch das Verbinden von Linien aus Stahl entstehen. Eins ihrer Werke, Tronco N. 5 von 1968, besteht nur aus Dreiecken. Ein paar Meter weiter steht ein anderer Stamm (Tronco 8 von 1977), der sich aber aus unterschiedlichen Formen zusammensetzt. Plötzlich taucht ein Fünfeck auf oder ein Vieleck, das den Blick auf das Innere des Stamms freizugeben scheint, obwohl der ja sowieso nie behindert ist.

Bei Hesse habe ich kaum auf das Umgebungslicht geachtet, hier ist es mir aufgefallen. Die Werke sind teilweise sehr exakt beleuchtet, stehen quasi im Scheinwerferlicht, während der Raum dunkler ist. Das hat mir persönlich sehr gefallen, und auch wenn ich kein Objekt vernünftig fotografiert gekriegt habe – die Raumatmo habe ich einfangen können. (Bei Hesse durfte man nicht fotografieren, in den anderen beiden Stockwerken schon.)

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Gego, „Tronco N. 8“/Detail (1977), Stahldraht, Bronze, Metallklammern, 150 x 70 cm, Fundación Gego Collection at the Museum of Fine Arts, Houston.

Der erste Stock mit den vielen Minimalisten ist, wie gesagt, eine wirklich gute Einordnung. Hier erfreute ich mich unter anderem an der Exaktheit von Donald Judd, dessen Boxen ich aus der Pinakothek der Moderne kenne, an den Lichtspielen von Dan Flavin und vor allem an einem Raum, in dem sich zwei Stoffskulpturen von Robert Morris und eine von Franz Erhard Walther versammeln. Die beiden Morris-Werke hängen an den Wänden und sind grau und schwarz, während die weißen Falttaschen von Walther den Boden bedecken. Ich mochte den Kontrast zwischen den beiden Aufbewahrungsorten, also der Wand und dem Boden, einmal klassisch, einmal modern, und das Farbspiel, das sich zwischen den Exponaten ergab.

Ich habe mich außerdem über ein Wiedersehen mit Bill Bollingers Pipe gefreut, das ich (natürlich mal wieder) von einer Folie kenne. In der Vorlesung über Ausstellungskonzepte sprachen wir über die Wundertüte When Attitudes Become Form (Bern 1969), in der unter anderem Morris, Bollinger und Eva Hesse zu sehen waren, wobei Pipe direkt neben Hesses Augment lag, das auch gerade in Hamburg zu sehen ist.

tl;dr
Bitte dringend alle drei Stockwerke angucken. Ich war wissenschaftlich beeindruckt und grönerig verzaubert.

Links vom 3. Januar 2014

Kann denn Kochen Sünde sein? / In der Küche mit Alain Passard

Ich habe für das charmante Comicgate-Magazin über die zwei Kochcomics geschrieben, die ich in den letzten Monaten in der Leseliste hatte. Ich zitiere mich mal selbst:

„Zwei sehr unterschiedliche Comics übers Kochen: Das erste ist eher unterhaltsam und nahbar, das zweite etwas distanzierter und ganz dem Sujet Sterneküche verpflichtet. Trotzdem sind beide ein Genuss. (Entschuldigung, der musste raus.)“

I, Glasshole: My Year With Google Glass

Mat Honan über sein Jahr mit Google Glass:

„It took a long time before Google truly opened it up to third party developers. Once it did, things got interesting again. The Strava cycling app, for example, really shows off the promise of Glass by combining location tracking with updates that let you keep your eyes on the road and hands on the handlebars. So too does AllTheCooks, which lets you create and follow recipes without taking your eyes and hands away from sharp knives and hot ovens. There’s another app that will translate signs just by looking at them. What a world.

Which is to say, I’m really, really excited about where Glass is going. I’m less excited about where it is.“

(via wirres.net)

Scoble says Google Glass is doomed

Robert Scoble über sein Jahr mit Google Glass:

„So, what would I do if I were Google? Reset expectations. Say “this is really a product for 2020 that we’re gonna build with you.” First release is in 2014, but let’s be honest, if it’s $600 and dorky looking, it’ll be doomed – as long as expectations are so high.

By 2020 I’m quite convinced this will be a big deal and there will be lots of competitors by then. So, if you make it about 2020, then it isn’t doomed. If it’s about beating the Apple iWatch in 2014? Yes, totally doomed.“

(via @helmi)

Der Tatortreiniger: Angehörige

Auf der NDR-Website gibt’s gerade eine neue Folge vom Tatortreiniger (ich kannte die jedenfalls noch nicht).

„Schotty trifft in der Wohnung eines verstorbenen Zauberers auf dessen schwulen Freund. Dieser hat mit der Leiche so seine Pläne.“

Eva Hesse: One More than One / Gego: Line as Object

Ich verblogge meinen Ausstellungsbesuch noch, aber ihr solltet schnellstmöglich in die Kunsthalle bzw. die Galerie der Gegenwart gehen, um euch diese beiden wunderbaren Ausstellungen (und ihre Begleitausstellung „Serial Attitudes“) anzuschauen. Ich war, und das sage ich mal total unwissenschaftlich, verzaubert.

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Eva Hesse, Accretion (1968), Glasfaser und Polyesterharz, 50 Röhren zu je 147,5 x 6,3 cm, Kröller-Müller Museum, Otterlo/Niederlande.
Foto: Abby Robinson, New York
© The Estate of Eva Hesse. Courtesy Hauser & Wirth

Twitter-Lieblinge Dezember 2013

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Favorite Entries 2014

31.12.2014

2014 revisited

(2013, 2012, 2011, 2010, 2009, 2008, 2007, 2006, 2005, 2004, 2003.)

1. Mehr Kohle oder weniger?

Es pendelt sich langsam ein zwischen der goldenen Werberinnennase und der mittellosen Studentin.

2. Mehr ausgegeben oder weniger?

Weniger. Der größte Posten sind weiterhin die doppelte Miete und die Flüge, aber beim Rest lebe ich gefühlt eher wie eine Studentin. Wofür ich weiterhin Geld ausgebe wie eine Werberin: Wein und Fußballtickets.

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PS: Danke an den #tpmuc, durch den ich viele Bayernfans mit Dauerkarten kennengelernt habe, die ihrerseits Leute mit Dauerkarten kennen, und wenn die mal nicht können, darf ich ins Stadion. Deswegen war ich in diesem Jahr so oft in der Arena wie nie zuvor, habe aber die wenigsten Tickets davon. Wo ich doch so gerne Eintrittskarten aufhebe.

3. Mehr bewegt oder weniger?

Gleichbleibend ständig auf dem Fahrrad unterwegs. Allerdings mehr die 1000 Meter zur Uni oder die fünf Kilometer zum Biergarten als Riesentouren.

4. Der hirnrissigste Plan?

In Hamburg entspannt Fahrrad zu fahren.

5. Die gefährlichste Unternehmung?

Jede neue Strecke in Hamburg ist auf dem Rad eine gefährliche Unternehmung, denn so was wie eine intuitive Straßenführung ist für RadlerInnen anscheinend nicht vorgesehen. Ich komme eigentlich immer angepisst nach Hause, wenn ich in Hamburg auf dem Rad unterwegs bin, weil ich mich konstant über Gegenverkehr ärgere oder Radwege, die einfach aufhören, Radwege in miesem Zustand, Radwege, die auf einmal auf der anderen Straßenseite weitergehen oder auch einfach gar keine Radwege. Bis jetzt habe ich es netterweise immer ohne Schrammen nach Hause geschafft, aber einmal bin ich locker vor ein Auto geradelt, weil ich schlicht nicht gesehen hatte, wo ich verdammt noch mal lang muss. Der Autoverkehr hat tausend Schilder, die rechtzeitig (!) ankündigen, wenn sich irgendwo was ändert. Das hätte ich für Radwege auch gerne. Oder, wie gesagt, überhaupt Radwege.

In München ist auch nicht alles perfekt, aber doch um Klassen besser als in Hamburg. (Wo fieserweise das tolle Rad steht, während ich in München immer noch auf meiner guten, alten Aldi-Möhre unterwegs bin.) Vielleicht habe ich auch nur das Pech, in Hamburg genau die Strecken zu befahren, die mies ausgebaut sind und von Geisterradlerinnen bevorzugt werden.

Mir fällt immer mehr auf, wie sehr wir unsere Städte für den Autoverkehr perfektioniert haben und es geht mir inzwischen extrem auf die Nerven, dass alle anderen sich diesem einen lauten, schadstoffreichen und nicht ungefährlichen Verkehrsmittel unterordnen müssen. Hätte ich jetzt auch nicht gedacht, dass meine zunehmende Radikalisierung im Alter sich ausgerechnet auf den Autoverkehr konzentriert, wo ich die Karren doch eigentlich äußerst attraktiv finde.

6. Der beste Sex?

Kannnichklagen.

7. Die teuerste Anschaffung?

Ein iPhone 6 und ein Fahrrad für Hamburg. Runner-up: für meine Begriffe ungewöhnlich viele neue Klamotten, siehe Frage 21.

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8. Das leckerste Essen?

Das neu entdeckte Mansaaf in Hamburg mit dem Kerl, Nudelsalat im Biergarten nach dem Frauenchiemseeausflug, gegrillte Maiskolben auf dem sommerlichen Balkon des ehemaligen Mitbewohners. Die besten Weine gab’s übrigens beim Walter & Benjamin und bei Herrn @sammykuffour im Wohnzimmer.

9. Das beeindruckendste Buch?

Comic: Hotel Hades von Katharina Greve.

Sachbuch: Update. Eine neue Version ist verfügbar von Dirk von Gehlen.

Fiktion: Unendlicher Spaß von David Foster Wallace, The Goldfinch von Donna Tartt, Americanah von Chimamanda Ngozi Adichie, Stoner von John Williams, Wir haben Raketen geangelt von Karen Köhler.

10. Der ergreifendste Film?

Im Kino Clouds of Sils Maria, auf DVD Broken Circle Breakdown.

11. Die beste CD? Der beste Download?

Weder eine CD noch einen Download habe ich so oft gehört wie das Woodkid-Radio auf Spotify.

12. Das schönste Konzert?

Roxanne de Bastion.

12a. Die tollste Ausstellung?

Eva Hesse in der Kunsthalle Hamburg und Hans Op de Beeck in der Sammlung Goetz in München.

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13. Die meiste Zeit verbracht mit …?

… meinen Büchern und meinem Rechner in diversen Bibliotheken.

14. Die schönste Zeit verbracht mit …?

… lernen, den Kerl kuscheln (viel zu selten), Kunst gucken, mit den Jungs über Kunst reden.

15. Vorherrschendes Gefühl 2014?

„Ach, fuck it, jetzt mach ich auch noch den Master.“ Oder anders: „Hamburg? München? Hamburg? München? Heidelberg, Göttingen, Berlin? Hamburg? München?“ (Tipp meines Dozenten für digitale Kunstgeschichte: „Das Getty Institute in Los Angeles könnte ich Ihnen für dieses Thema auch empfehlen.“ NOT HELPING!)

16. 2014 zum ersten Mal getan?

Die ESA in Darmstadt und im Anschluss das Städelmuseum in Frankfurt besucht. Am Chiemsee gewesen und mich in ein Kloster verliebt. Ein-, zweimal die Note 1,0 unter einer Hausarbeit stehen gehabt. Ein Dirndl getragen. Meine Schwester als Braut gesehen (sie war wunderschön und hat ihren Nachnamen behalten). Einen Podcast aufgenommen. Einen Prüfer für meine Bachelorarbeit im SoSe 2015 ausgesucht.

17. 2014 nach langer Zeit wieder getan?

Ein Auto verkauft. Kein Auto besessen – diesen Status hatte ich mit 18 das letzte Mal. Deutschland beim Weltmeisterwerden zugeguckt.

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18. Drei Dinge, auf die ich gut hätte verzichten können?

Herzschmerz, #JanHaraldMatthias/Pegida/die ganze intolerante Rotze halt sowie die zweite Halbzeit FC Bayern gegen AS Rom. Ja, es ist Bayern, ja, ich freue mich, im Stadion zu sein, aber meine Fresse, war das kalt und langweilig.

19. Die wichtigste Sache, von der ich jemanden überzeugen wollte?

Dass wir das hinkriegen.

20. Das schönste Geschenk, das ich jemandem gemacht habe?

Länger zu bleiben als geplant.

21. Das schönste Geschenk, das mir jemand gemacht hat?

Ich bin immer noch dankbar für das Foodcoaching von 2009, und in diesem Jahr kam das letzte Geschenk als Nachzügler zur Selbst- und Körperakzeptanz dazu: keine Panik mehr davor zu haben, im Rock rauszugehen und meine dicken Beine zu zeigen. 2014 war der erste Sommer seit meiner Kindheit, in dem ich nicht schlechtgelaunt in Jeans und Turnschuhen rumgelaufen bin, sondern in Flatterröckchen, Leggings und offenen Sandalen. Das war der schönste Sommer, an den ich mich erinnern kann. (Gebt mir weitere fünf Jahre und ich lasse auch noch die Leggings weg.)

Runner-up an schönen Geschenken: ein Gutschein, ein gesaugter Teppich im Flur und ein paar DMs mit Ankunftsdaten in München.

22. Der schönste Satz, den jemand zu mir gesagt hat?

„Sie scheinen für die Wissenschaft talentiert zu sein.“

23. Der schönste Satz, den ich zu jemandem gesagt habe?

„Ich liebe dich.“

24. 2014 war mit einem Wort …?

Herausfordernd.

26.12.2014

What Anke Ate in 2014

(2013, 2012, 2011, 2010)

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21.12.2014

Was Eva Hesse mit dem Typ vorgestern in der U-Bahn zu tun hat

Eine meiner ersten richtigen Ideen für die Bachelorarbeit, die im nächsten Semester ansteht, war, über Eva Hesse und Francesca Woodman zu schreiben. „Richtig“ im Sinne von: mehr als ein Geistesblitz oder ein flüchtiger Gedanke, schon eine Grundidee, von der ich wusste, dass sie über 60.000 Zeichen tragen würde und mich vor allem sehr interessieren würde. Ich wollte mich mit der Rezeptionsgeschichte der beiden Künstlerinnen auseinandersetzen – also nicht vornehmlich mit ihren Werken, sondern eher damit, wie die Gesellschaft, die Kunstkritik und vor allem die Nachwelt mit den beiden und ihrem Vermächtnis umgegangen ist. Sowohl Hesse als auch Woodman sind jung gestorben und ihnen haftet etwas Tragisches an: Hesse starb an einem Gehirntumor mit 34 Jahren, Woodman verübte mit 22 Jahren Selbstmord. Je länger ich mich mit den beiden Frauen auseinandersetzte, desto mehr hatte ich das Gefühl, dass ihre Werke stets dadurch verschleiert wurden, dass die Künstler a) weiblich waren und b) man immer dieses wohlig-gruselige Gefühl mit ihnen verbindet. Kann man auf die Werke schauen, ohne die Biografie im Hinterkopf zu haben? Soll man das überhaupt? Oder soll man genau das nicht?

Wie wäre es, wenn beide männlich gewesen wären? Woodman setzt ihren als weiblich wahrgenommenen Körper fotografisch in Szene und zwingt uns als Publikum, unsere Wahrnehmung eines weiblichen Körpers zu überprüfen. Wie würden sich ihre Werke anfühlen, wenn ein schmaler, junger Mann sein Verschwinden inszeniert hätte, sein Aufgehen in der Umgebung, sein Nicht-Sichtbar-Sein-Wollen? Ist das überhaupt ein Sujet, das in männlicher Kunst vorkommt? Gibt es männliche und weibliche Kunst? Oder gibt es nur Werke, denen wir weibliche und männliche Klischees einschreiben? Hätte die Kunstkritik im Werk eines männlichen Künstlers den Wunsch nach einem Schutzraum gelesen wie bei Hesse?

Dass ich selbst nicht frei von solchen Gedankengängen bin, habe ich beim Fehlfarben-Podcast über Florine Stettheimer gemerkt. Hat die Künstlerin von mir schon im Vorfeld Bonuspunkte bekommen, weil sie weiblich ist? Mochte ich die Ausstellung, weil sie eine Lebenswirklichzeit nachzeichnet, in der ich mich wiederfinde, oder will ich mich bewusst in ihr wiederfinden? Habe ich mir selbst eine Echokammer und eine Filterblase gebaut?

Ich verwarf die Arbeitsidee wieder, habe aber zum wiederholten Male gemerkt, dass ich mich lieber mit der Rezeption oder dem Umgang mit Kunst befasse als mit der Kunst selbst. Ich werde anscheinend eine Meta-Kunsthistorikerin. (Verdammtes Internet.)

Trotzdem lässt mich Hesse nicht los. In der Pinakothek der Moderne bin ich sehr gerne bei den Minimalisten und immer dann vermisse ich ihren Post-Minimalismus noch mehr. Ich mag an ihren Werken das minimalistische Beharren auf Wiederholung, das Verwenden von modernen Materialien, die Auseinandersetzung mit dem Raum. Aber noch mehr mag ich, dass man an ihren Werken eine menschliche Handschrift wahrnimmt. Natürlich weiß ich, dass Donald Judd seine Metallboxen nicht durch Zauberei übereinander gestapelt hat, sondern vermutlich mit Zollstock und Nägeln, und natürlich weiß ich, dass Dan Flavin seine Leuchtröhren anfassen musste, um sie neben- und übereinander anzuordnen. Aber das sehe ich nicht. Ich sehe kühle Perfektion und das mag ich. Aber noch mehr mag ich die warme Unperfektion Hesses, die geschwungenen Linien in ihren Körpern, das kleine Abweichen von der Präzision, dass aus Geraden Wellen werden und aus Symmetrie ein Ungleichgewicht.

Wahrscheinlich mag ich deshalb auch die Romanik lieber als die Gotik. Die Gotik will mich beeindrucken mit ihrer übermenschlichen Größe, ihrem göttlichen Licht, ihrer (in der Spätgotik) perfekten Wiedergabe des menschlichen Antlitzes in Stein. In der Frühgotik suchten die Bildhauer noch nach dieser Perfektion, wie man zum Beispiel in Chartres sehen kann. Und in der Romanik noch mehr – wobei ich mir immer noch nicht sicher bin, ob eine lebensechte Darstellung überhaupt gewünscht war. Ich will inzwischen glauben: nein, war sie nicht. Ich bin sehr fasziniert von den Kapitellen in St. Lazare und dem Tympanon, das Eva zeigt. Überhaupt nicht perfekt, wenn man „perfekt“ als „naturgetreue Wiedergabe“ ansieht. Aber genau deshalb sehe ich es so gerne.

Überhaupt: sehen. Ich glaube inzwischen, dass mich sowohl mein jahrelanger intensiver Filmkonsum als auch, wer hätte es gedacht, die Arbeit in der Werbung ziemlich gut auf mein Studium vorbereitet haben. Ich habe mir beim Ansehen von Filmen unbewusst ein visuelles Vokabular zusammengebastelt, auf das ich schon in der Werbung zurückgreifen konnte, wenn es um neue Looks für Autokataloge ging, auch wenn das natürlich eher der Job der ArterInnen war. Und ich habe durch die Werbung gelernt, nach dem Besonderen Ausschau zu halten, dem Einzigartigen – ich kann um die Ecke denken, um Dinge zu finden, die bisher niemand vor mir gefunden hat.

Ich merke, dass ich Bildwerke und Skulpturen ähnlich angehe wie ich früher Filme geschaut habe: mit dem inneren Wunsch, begeistert zu werden. Das mag erstmal kein wissenschaftliches Herangehen sein, dieses unkritische „Mach was mit mir“, aber ich behaupte, es wird dem Werk gerecht. Denn kein Bild wurde gemalt, damit ich als Studentin missmutig draufgucke; Bilder wurden gemalt, um zu begeistern, zu faszinieren, aufzuwühlen, zu dokumentieren, zu verführen, sie sollen Emotionen wecken und erst danach vielleicht ein Subjekt für eine kritische Auseinandersetzung sein. Ich will es mir auch gar nicht abgewöhnen, emotional an Dinge heranzugehen. Ich will in eine Kirche gehen und staunend mit offenem Mund in Richtung Chor blicken, ich will in einem Museum fröhlich sein, erstaunt, aufgewühlt, ich will auf Werke unmittelbar und unverfälscht reagieren anstatt sie blasiert unter ein Mikroskop zu schieben. Dann gucke ich mir an, warum ich wie reagiert habe und nähere mich dem Werk so auf eine Weise, wie es sonst niemand kann. Und wenn ich dann durch meine individuelle Reaktion etwas an das Werk herantrage, was vorher noch nicht da war, dann, glaube ich, könnte aus mir eine ganz passable Kunsthistorikerin werden. (Oder ein total emotionales Weichei, das vor jedem Lehmbruck rumflennt. Wir werden sehen.)

Auf keine Filmkritik habe ich so viele Reaktionen bekommen wie auf Scorseses The Aviator von 2005. Die meisten Mails zogen sich an einem Detail hoch, über das ich einen ganzen Absatz lang schreiben musste, weil es mich so fasziniert hat: die rasiermesserexakt geschnittenen Haare von Leonardo di Caprio. Das ist auch das einzige, an das ich mich aus dem Film erinnere, das scheint mich wirklich mitgenommen zu haben. Aber wenn ich mir die Kritik nochmal durchlese, erkenne ich, dass ich schon damals eher auf Bilder als auf Handlung geachtet habe. Und ich muss immer an diese Kritik und an Leos Haare denken, wenn ich in der U-Bahn stehe und Leute angucke.

Ich sehe gerne das Menschliche in der Kunst, das Unperfekte. Ich lasse mich überwältigen und reagiere erst danach objektiv auf mein subjektives Empfinden. Und weil ich anscheinend nicht genug davon habe, mir Kunst in Museen oder Vorlesungen anzuschauen, sehe ich Menschen inzwischen wie Kunst an. Ich lese in der U-Bahn nicht mehr, ich starre stattdessen Leute an.

Mir fällt immer ein Detail auf, das mich dazu bringt, mir den Rest anzuschauen. Mal ist es eine besondere Statur, ein Mensch, der besonders raumgreifend steht oder, genau das Gegenteil, am liebsten verschwinden möchte wie Francesca Woodman. Ich schaue mir Kleidung an, ihre Farbe, vor allem ihre Stofflichkeit, ich fühle mich bei teuren Mänteln an Tizian erinnert, bei jedem Hijab denke ich an Rogier van der Weyden und ich verfluche Multifunktionsjacken, weil sie keine Stofflichkeit mehr besitzen, sondern aussehen wie Plastik. Ich schaue auf die Wirkung von Menschen, ich achte darauf, ob sie selbst darauf achten, eine Wirkung zu haben oder ob sie selbstvergessen in der Gegend rumstehen, was sie für mich deutlich attraktiver macht. Ich schaue mir Schmuck an, Frisuren, Tücher, Schuhe. Und ich schaue in Gesichter, suche nach Narben, Gesichtsausdrücken, Regungen, die in mir etwas auslösen. Ich sehe den ganzen Tag Perfektion und Unperfektion, Menschliches und von Menschen gemachtes, Kunst und alles, was ich für Kunst halte. Alles passt zusammen, weil ich es passend mache, weil ich es individuell rezipiere und mir danach über diese Rezeption Gedanken mache. Und weil ich keine Arbeit darüber schreibe, ist es ein Blogeintrag geworden.

30.11.2014

Neuerdings weniger Futter auf Instagram

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Allianz-Arena.

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Blick aus dem ersten Stock des Hauptgebäudes der LMU.

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St. Anton. Das „nichts“ gehört zu einem ganzen Satz.

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Sehr überstrahltes Lenbachhaus.

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Kottwitzstraße, Hamburg.

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St. Matthäus.

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Waltherstraße, München.

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Akademie der bildenden Künste.

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Alte Pinakothek, vom Dach der TU gesehen.

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Waltherstraße, München.

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St. Franziskus.

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St. Franziskus.

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(Wird nicht langweilig.)

13.09.2014

Kunst gucken: Der Kontext zählt

(Dieser Eintrag steht auch in meinem Zweitblog, wo die Bilder ein bisschen größer sind.)

Die Hamburger Kunsthalle baut um, weswegen die Sammlung derzeit nur eingeschränkt zugänglich ist – und das ist überraschenderweise ziemlich großartig. Denn die KuratorInnen haben sich anscheinend ihre Lieblinge (und die des Publikums) rausgepickt, neu angeordet und damit wunderbare Blickwinkel geschaffen.

Dass sich ein Bild anders anfühlt bzw. ansieht, wenn es auf einem anderen Hintergrund hängt, ahnt jeder, der mal mit Instagramfiltern rumgespielt hat. Es kommt aber auch auf die Umgebung an, die Beleuchtung, die Nachbarschaft und wenn’s nach mir geht, auch die Ecke des Raumes, in der das Werk hängt oder steht. Als ich das erste Mal in der Alten Pinakothek war, wollte ich nur zu den Raffaels. Die drei hingen damals in einer Ecke; wenn man aus der Richtung der Franzosen kam, war links von der Tür zum Saal der da Vinci (und noch irgendwas), dann hörte die Wand auf, die lange Seitenwand begann und auf ihr hingen meine drei Schnuffis. Direkt nach ihnen kam der Durchgang in die Kabinette. Sie hatten also quasi eine Wand für sich, wenn auch nur eine recht kurze. Eine der ledernen Sitzinseln stand direkt vor ihnen, so dass man Muße hatte, sie sich genau anzuschauen.

Seit einiger Zeit hängen die Raffaels aber fast genau gegenüber von der Position, auf der ich sie kennengelernt habe. Sie hängen nun rechts in der Mitte der langen Wand, die von keiner Tür unterbrochen wird, sind also zentral im Raum angeordnet – aber sie gehen meiner Meinung nach unter, weil rechts und links von ihnen noch andere Bilder hängen. Ich muss mich inzwischen immer selber bremsen, nicht an ihnen vorbeizuschlendern, wozu lange Wände mich immer verführen. Ich mag kleinere Säle lieber, die mit Ecken und Türen automatisch Zäsuren einfügen und mich innehalten lassen.

Im letztem Semester hatte ich den Kurs Spaces of Experience (ich schrieb darüber), in dem wir durch mehrere Museen gingen und uns ausnahmsweise nicht die Kunst, sondern die Art ihrer Präsentation anschauten. Genau über die Raffaels habe ich mit einer Kommilitonin diskutiert: Sie fand, sie wirkten jetzt weniger gequetscht und hätten den Raum, der ihnen zusteht, was ich, wie gesagt, ganz anders empfinde. Ich mochte die kleine Extraecke, die sie hatten, denn diese betonte für mich ihre Einzigartigkeit. Natürlich ist jedes Werk einzigartig, das in dem Raum hängt, aber die Raffaels sind für mich etwas Besonderes und eben diese Besonderheit konnte ich allein durch ihre Anordnung spüren. Jetzt sind sie drei Bilder unter vielen.

Ein anderes Beispiel aus der Alten Pinakothek: unser aller Liebling, der kleine Dürer im Pelzrock. Der hing vorher direkt neben einer Tür, so dass man selten ungestört vor ihm stehen konnte, weil dauernd Bewegung neben einem war. Wenn man von den Franzosen kam, übersah man ihn auch gerne, weil er rechts vom Durchgang hing, was man kaum im Blick hat, wenn man in den Raum reingeht. Seit einiger Zeit hängt er in der Blickachse des gesamten Flügels, man ahnt ihn quasi schon fünf Räume im voraus. Das ist einerseits toll, andererseits geht er jetzt neben den Aposteln total unter, die ungefähr viermal so groß und deutlich farbintensiver sind. Und obwohl ich Sitzgelegenheiten direkt vor Bildern mag, ist die Insel hier eher deplatziert, weil genau vor dem Bild eigentlich immer wer steht, so dass man es im Sitzen sowieso nicht genießen kann.

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Richard Serra, „Spot On“ (1996)
Wandmalerei, Ölkreide auf Dispersionsfarbe (paint stick), geschmolzen und aufgespachtelt, entstanden in der Woche vom 11.–15.03.1996
174 x 184 cm
Hamburger Kunsthalle/bpk
© VG Bild-Kunst, Bonn 2014
Photo: Kay Riechers

Mit diesem Wissen im Hinterkopf besuchte ich gestern die Kunsthalle, die, wenn ich ganz ehrlich sein darf, nicht unbedingt mein Liebling ist. Ich mag die Beleuchtung nicht, ich mag die Fußböden nicht, und wenn da nicht meine Herzblätter wie Leibl und Lehmbruck hängen und stehen würden, wäre ich deutlich seltener da. Wahrscheinlich hat mich deshalb die eingeschränkte Präsentation so umgehauen, weil sie deutlich moderner und weniger beliebig wirkt.

Ich kam aus dem dritten Stock der Galerie der Gegenwart, wo noch bis zum 18. Januar eine sehr gute Ausstellung mit Stillleben von Max Beckmann läuft (kann ich sehr empfehlen, los, angucken!), stieg aus dem Fahrstuhl – und stand erstmal vor einem Fernseher. Darauf lief neckischerweise Florian Slotawas Museums-Sprints 2000–2001, ein 13-minütiger Film, in dem ein Mann in Hemd und Shorts zu sehen ist, wie er durch diverse Museen der Republik rennt. Ich blieb eigentlich nur deshalb stehen, weil gerade das Treppenhaus der Alten Pinakothek zu sehen war – und verharrte dann grinsend ungefähr zehn Minuten, während der Sprinter noch durch die Hamburger Kunsthalle, das Freisinger Diözesanmuseum, das Fridericianum in Kassel und andere Ausstellungsräume rannte. Während ich dem stummen Film zuschaute, hörte ich schon das Werk im nächsten Raum: On Kawaras One Million Years, bei dem zwei Stimmen eine Jahreszahl nach der anderen runterbeten. Betritt man den Raum, in dem die Stimmen erklingen, steht man auch dem Werk gegenüber, das der Sonderpräsentation ihren Namen gegeben hat: Spot on von Richard Serra. Alleine die drei Werke in ihrer Zusammenstellung haben den Besuch schon gelohnt.

Den Kawara hört man übrigens auch im anschließenden Raum, quasi dem ersten des eigentlichen Rundgangs. Dort hängen meine Lieblinge aus dem 15. Jahrhundert, und ich fand es sehr spannend, direkt aus der Moderne fünfhundert Jahre zurückgeworfen zu werden – aber die Moderne noch im Ohr zu haben.

Der nächste Raum ist recht klein, aber das passt ganz wunderbar zum zentralen Bild. Dort hängt nämlich das Kunstkammerregal von Johann Georg Hinz, das quasi vorausahnen ließ, was einen beim Rundgang erwartete: eine kleine Schatzkammer nach der anderen. Wo die Sammlung sonst brav nach Jahrgängen, Schulen und/oder MalerInnen geordnet hängt, hängt sie nun eher thematisch. Ganz aufgegeben wird die Chronologie nicht, aber zwischendurch gibt es immer wieder Räume, die Bilder neu verknüpfen und, ich wiederhole mich da gerne, das hat mir ausgesprochen viel Spaß gemacht. Es kam mir weniger verschult, sondern verspielter, vergnügter vor, weniger „Ehrfurcht vor der Kunst, bitte“, mehr „Guckt mal, was wir alles Tolles haben“.

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Johann Georg Hinz, „Kunstkammerregal“ (1666)
Leinwand, 114,5 x 93,3 cm
© Hamburger Kunsthalle/bpk
Photo: Elke Walford

Da darf ein Porträt von Paula Modersohn-Becker neben einem von Anita Rée hängen – der Picasso zwischen ihnen ist mir fast nicht aufgefallen, so gerne habe ich die beiden Damen betrachtet –; da haben meine geliebten Kathedralen-Bilder von Hendrik van Steenwijck und Gerard Houckgeest endlich mal Platz und hängen nicht gequetscht in einem Seitenkabinett, sondern zentral an einer langen Wand, was viel besser zu ihren gotischen Gewölben und dicken Säulen passt; da gibt es einen Raum mit Porträts der Moderne, der die Stilvielfalt zeigt, und einen Raum mit Landschaften, wo kleine und größere Werke nebeneinander hängen, ohne sich in die Quere zu kommen, sondern sich ergänzen. Für mich fast am schönsten: Die Bilder von Caspar David Friedrich wirken endlich mal weniger verwaschen, weil sie nicht mehr auf dem ollen Hellgrau hängen und mit Raumlicht beleuchtet sind, sondern stattdessen edel auf tiefem Graublau durch gezielte Spots erstrahlen.

Für mich etwas überraschend war die neue Hängung der Brücke-Jungs: Normalerweise ist das der Raum, den ich am wenigsten mag, denn er ist riesig, und man wird quasi zugeschmissen mit Kirchner, Nolde, Pechstein und Schmidt-Rottluff. Ich kann mich in dem Raum nie auf ein Bild konzentrieren, weil um mich rum 30 weitere um Aufmerksamkeit winseln. Hier hängen deutlich weniger Werke, und auf einmal kann man zwischen ihnen atmen.

Aber das Tollste war diese Blickachse, die mein beknacktes iPhone-Foto nicht anständig wiedergeben kann, weswegen ihr wirklich und echt jetzt mal selbst in der Kunsthalle vorbeigehen müsst, denn dieser Raum ist schlicht großartig:

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Das meinte ich mit „Guckt mal, was wir alles Tolles haben“. Da komme ich nichtsahnend um die Ecke gebogen, schaue nach links – und sehe in einem Raum meinen Lieblingslehmbruck von 1918, den wunderschönen Pierre de Wiessant (1885) von Rodin und zwischen ihnen, ganz selbstverständlich, einen Beuys von 1970. Und auf einmal ist Beuys nicht mehr der verkopfte Künstler, den man nur versteht, wenn man 200 Seiten Ausstellungskatalog durchgearbeitet hat. Auf einmal hat man einen Zugang, weil sein Filzanzug hier zwischen zwei menschlichen Abbildern hängt, die ihn erden und sinnhaft werden lassen. Nicht mehr auf dem Bild: Ganz rechts steht der wunderbare goldglänzende Kopf der Skulptur 23 von Belling (1923), und links stehen eine Holzmadonna aus dem 15. Jahrhundert und ein Giacometti einträchtig nebeneinander. Fünfhundert Jahre Kunstgeschichte in einem Raum – und es passt.

Ich habe mich wahrscheinlich ziemlich zum Affen gemacht, weil ich mich von dem Raum und seinen Achsen gar nicht losreißen konnte und ich deswegen dauernd rein- und rausgerannt bin. Wenn man die Augen zusammenkneift, sieht man im Bildhintergrund schon den nächsten Raum, wo sich noch mal Richard Serra die Ehre gibt, dieses Mal mit Measurements of Time, eine Bleischüttung, die ich auch sehr gerne mag und die 1996 speziell für die Galerie der Gegenwart angefertigt wurde. Auch diese Kombination mochte ich gerne: Die feste Installation, vor der sich neue Werke anordnen. Weil sie’s können. Danke, Kunsthalle. Punktlandung.

30.08.2014

Mein Fahrrad heißt Grane

Der Nordbayerische Kurier bat mich vor einiger Zeit um einen Artikel für ihren Festspielkurier, der zu den Wagner-Festspielen in Bayreuth erschienen ist. Ich sagte natürlich sofort zu, schrieb, las dann später meinen Artikel auf einer Doppelseite und twitterte freudig darüber – und jetzt ist die Sperrfrist rum und ihr könnt meinen Beitrag zum Heft auch hier lesen.

Wer auch den Rest des Festspielkuriers genießen möchte, was ich euch natürlich wärmstens an Herz lege, kann ihn hier für 9,50 Euro bestellen – auch als eBook. Dort versteckt sich in der Vorschau ein etwas ausführlicheres Inhaltsverzeichnis. Ihr sollt ja nicht die Katze im Sack kaufen.

Aber meinen Artikel kriegt ihr jetzt für lau.

Mein Fahrrad heißt Grane

Meine Eltern nahmen mich zum ersten Mal mit in die Oper, als ich ungefähr zehn Jahre alt war. Meine Schwester war acht und gelangweilt, mein Vater saß pflichtschuldig daneben, meine Mutter machte wie immer in der Oper gerne die Augen zu und genoss nur die Musik, aber ich sah völlig fasziniert nach vorne, wo ein großer, blonder Mann nur für mich sang. Er stand vor einem durchsichtigen Vorhang, auf den gelbgrünes Flimmern projiziert wurde, und ich verstand erst viel später, dass das ein Wald sein sollte. Wie der Mann hieß, wusste ich – Siegfried –, denn die ganze Oper hieß so. Von da an war ich überzeugt, dass alle Siegfrieds groß und blond seien. Der Irrtum klärte sich schon in der zweiten Siegfried-Aufführung meines Lebens auf, wo ich einen kleinen, knubbeligen Siegfried vor mir hatte, was mich etwas enttäuschte. Aber etwas anderes enttäuschte mich niemals: die Musik von Richard Wagner.

Wenn ich gefragt werde, was meine Lieblingsoper von Wagner ist, sage ich meistens: „Die, aus der ich gerade rauskomme.“ Ich höre seit über 30 Jahren seine Musik und ich merke, dass sie sich immer wieder ändert, immer wieder neu für mich ist und ich mich immer wieder neu in sie verlieben kann. Als Jugendliche mochte ich den Fliegenden Holländer am liebsten mit seiner offensiven Suche nach Liebe und Zugehörigkeit. In meinen 20ern, die ich im Nachhinein als ein Rumstochern im Nebel nach einer Richtung in meinem Leben empfinde, war es die Götterdämmerung, die mir Halt versprach: Alles zerfällt, aber alles kommt wieder. In meinen 30ern, in denen ich endlich erwachsen wurde – oder das, was man dafür hält: fester Job, feste Beziehung, jetzt läuft’s irgendwie –, war es der Tannhäuser, der passte, weil er so strebsam und ordentlich war. Und jetzt, in meinen 40ern, in denen ich wieder angefangen habe zu studieren, in zwei Städten wohne und mich noch mal neu orientiere, spricht Die Walküre am meisten zu mir mit ihrer ganzen Herzensverwirrung, ihrem Feuer und ihrer Leidenschaft. Mal sehen, wann ich alt genug bin, um Tristan und Isolde meine Lieblingsoper zu nennen, denn die schüchtert mich in ihrer Kompromisslosigkeit seit Jahrzehnten ein.

Über Wagner-Inszenierungen kann man wahrscheinlich regalweise Dissertationen schreiben. Ich muss zugeben, dass ich eher selten in andere Opern gehe, deswegen weiß ich nicht, ob man sich da auch so irrwitzig Mühe gibt, dauernd etwas Neues in die Handlung zu interpretieren, um eben dieses Neue bebildern zu können. Manchmal geht das fürchterlich daneben – ich erinnere mich an eine Berliner Aufführung des Holländers, wo wir zum Schluss Nutten und Koks auf dem Fußboden eines Trading Floors hatten –, manchmal klinke ich mich irgendwann aus, weil ich keine Ahnung mehr habe, was ich gerade sehe – ich denke vor allem an Schlingelsiefs Parsifal in Bayreuth –, aber manchmal erwischt mich eine Aufführung so sehr, dass ich ein paar Minuten brauche, bis ich klatschen kann. Wieder der Parsifal in Bayreuth, dieses Mal von Stefan Herheim, 2011. Ich habe noch nie vorher und leider auch seitdem nie wieder eine Aufführung gesehen, die mich so atemlos, so fassungslos und so verzaubert zurückgelassen hat. Bei der Ouvertüre jeder Oper verdrücke ich still ein paar Tränen, weil es mich jedesmal anrührt, in einem Opernhaus zu sitzen und diese einzigartige Kunst genießen zu dürfen. Bei diesem Parsifal weinte ich auch zum Schluss. Und diese Aufführung hallt immer noch in mir nach.

In meinen 20ern wurde ich von einem Freund gefragt, was mir an Wagner so gefalle. Ich wedelte begeistert mit den Armen, sprach von großen Weltentwürfen in Verbindung mit kleinen, intimen Szenen voller Menschlichkeit, schwärmte von der unendlichen Melodie und wie Wagner die Opernwelt revolutioniert habe, kurz, gab das totale Fangirl – und das anscheinend so überzeugend, dass der junge Mann, der mich gefragt hatte, mich gerne einmal begleiten wollen würde, wenn das alles so toll sei. Ich freute mich über eine Begleitung – Wagner war in meinem Freundeskreis eher weniger en vogue, weswegen ich meist alleine oder mit meinem Mütterchen in der Oper saß – und sagte zu, ihm Bescheid zu geben, wenn ich das nächste Mal zu Herrn Wagner wollte.

Das war bereits wenige Wochen später, als die Niedersächsische Staatsoper in Hannover den kompletten Ring aufführte. Ich erwähnte, dass Das Rheingold nicht unbedingt ein guter Reinkommer für einen Novizen sei, vor allem, wenn man weder ein Werk Wagners noch jemals irgendeine andere Oper gesehen hatte. Der junge Mann ließ sich aber nicht davon abbringen, mich begleiten zu wollen; ich kaufte also zwei Karten und beschwor ihn, sich wenigstens vorher den Inhalt durchzulesen. Damals gab es noch keine Übertitel und selbst heute, wo so ziemlich jedes Opernhaus sie hat, behaupte ich, dass sie einen nicht viel weiterbringen, wenn man überhaupt nicht weiß, worum es geht. Aber auch hier hatte der junge Mann eine eigene Meinung: Er wolle alles, O-Ton, unvoreingenommen auf sich wirken lassen. Ich wedelte wieder mit den Armen, dieses Mal weniger begeistert, sondern verzweifelt, denn ich wollte so gern, dass es dem Herrn gefiel, was bei Rheingold schon schwierig genug ist und wenn man dann nicht weiß, was passiert, noch schwieriger. Mein letzter Versuch, ihn vom Besuch abzubringen, war der Hinweis, dass die Oper keine Pause hätte, woraufhin er leichtsinnig meinte, ach, zweieinhalb Stunden, das ginge ja.

Man ahnt, wie der Abend verlaufen ist. Der Herr begann nach gefühlt 20 Minuten unbehaglich im Sitz hin- und herzurutschen, wagte es aber immerhin nicht, mich zwischendurch nach Plotpoints auszufragen (was ich mir auch böse verbeten hätte), nach ungefähr 40 Minuten war er gebrochen und saß nur noch ergeben neben mir und wartete darauf, dass alles da vorne zuende ging. Nach der Vorstellung brachte er den Satz, der ihn mir sehr unsympathisch machte: „Ich fühle mich wie vergewaltigt“, und wir haben heute keinen Kontakt mehr. Ich glaube auch nicht, dass er Wagner noch eine zweite Chance gegeben hat. Ein weiterer Versuch mit einem anderen Freund verlief ähnlich – der Herr war zwar nicht ganz so erschlagen, wollte aber nach der Walküre auch nichts mehr mit Wagner zu tun haben. (Aber immerhin mit mir, wir sind heute noch befreundet.)

Ganz anders erging es mir vor wenigen Jahren mit einer Freundin, die ich immerhin davon überzeugen konnte, es vielleicht erst einmal mit ein bisschen konzertantem Wagner zu versuchen. Wir hörten in der Hamburger Laeiszhalle zunächst Strawinsky und dann das Finale der Götterdämmerung mit der großen Arie der Brünnhilde. Und wo ich ängstlich auf eine herumrutschende und ungeduldige Freundin vorbereitet war, bekam ich: eine Freundin, die sich langsam vorbeugte, um ja nichts zu verpassen und die beim Schlussapplaus diesen ganz besonderen Gesichtsausdruck hatte, dieses „Sowas habe ich noch nie gehört und ich frage mich gerade, warum zum Teufel nicht?“ Sie war zunächst stiller als sonst, hatte leuchtende Augen, musste sich erst einmal sortieren, aber dann schwappte sie über mit Fragen zur Götterdämmerung, zur Sängerin, die wir gerade gesehen hatten (Deborah Voigt) und wann ich bitte Zeit hätte, mit ihr mal eine ganze Oper zu sehen. Das taten wir wenige Wochen später mit der kompletten Götterdämmerung in Hamburg, wo nicht mal die olle Sozialtristesse-Inszenierung uns den Abend verderben konnte, und seitdem ist sie meine treue Begleiterin.

Mein Fahrrad heißt Grane. Jedenfalls das, das in München steht. Ich wohne zurzeit sowohl in der bayerischen Landeshauptstadt als auch in Hamburg, wo ich ein weiteres Fahrrad besitze, das noch keinen Namen hat. Ich hätte allerdings eben jenes Grane taufen sollen, denn das Fahrradfahren in beiden Städten fühlt sich sehr unterschiedlich an. In München fahren alle brav, wie sie sollen, in Hamburg fahren alle, wie sie gerade Lust haben. Weswegen ich in München deutlich entspannter unterwegs bin, weil ich nicht damit rechnen muss, Geisterfahrer in meiner Spur zu haben oder Fußgänger oder irgendwen anders, der das Konzept „Radweg“ nicht verstanden hat. Ich höre beim Radeln keine Musik, aber in München habe ich meist das freundlich-gemütliche „Sommer in der Stadt“ von der Spider Murphy Gang im Kopf, wenn ich locker-flauschig dahinradele, ohne mir über irgendetwas Sorgen zu machen.

In Hamburg läuft in meinem Kopf stattdessen der Walkürenritt.

28.08.2014

ESA: European Space Awesomeness

Am 6. August 2014 erreichte Rosetta endlich den Kometen 67P/Tschurjumow-Gerassimenko, nachdem die tapfere Sonde zehn Jahre lang unterwegs gewesen war. Die Annäherung an den Kometen wurde live von der ESA gestreamt, ich lag im Bettchen, hatte Semesterferien, guckte gebannt auf mein Macbook, twitterte und ließ hemmungslos das Space-Fangirl raushängen. Das bekam Andreas Schepers mit, der die PR für die ESA macht – wir folgen uns schon länger auf Twitter –, der daraufhin ein, zwei mir schon lange bekannte Damen und mich einlud, doch einfach mal in Darmstadt rumzukommen und sich den Laden anzugucken. Also ESA. Die europäische Weltraumorganisation. Angucken. Mal so.

Nachdem ich aufgehört hatte zu hyperventilieren, sagte ich kreischend zu (danke, Twitter, dass du ein schriftliches Medium bist), buchte Züge und Hotel und freute mich wochenlang vor. Dienstag war es dann so weit.

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Herr Schepers war noch im Meeting, aber dafür holte uns Flugdynamik-Ingenieur Rainer Kresken von der Pforte ab, an der wir immer noch unsere Ausweise anhimmelten. Da es Mittagszeit war, ging’s erstmal in die Kantine. Ich erwartete mindestens sternförmige Fischstäbchen oder Ananasscheiben, die um Kiwis gewickelt waren (Saturn, you know), aber nix. (Erstmal quengeln.) Dafür sah ein Drittel der Belegschaft aus wie Sheldon Cooper. Auf meine Frage, wie es mit dem Frauenanteil aussehe, der in der Kantine jetzt nicht so irre hoch war (zehn, fünfzehn Prozent?), meinte Kresken, der sei leider recht gering, und die meisten Ingenieurinnen und Wissenschaftlerinnen der ESA seien auch nicht aus Deutschland. Wir sinnierten darüber, warum das so sei, dachten darüber nach, dass Italien und Spanien, was die Emanzipation angeht, in den 70ern quasi einen Sprung aus dem Mittelalter in die Moderne gemacht hatten, während das bei uns eher schleichend voranging, und dass die südeuropäischen Damen anscheinend eher vom Crashkurs „Everything you can do, I can do better“ profitiert haben als wir im Norden. Hm.

Dann schlenderten wir ein bisschen durch die kleine ESA-Stadt, die zwar wie ein Gewerbegebiet aussieht, aber natürlich tausendmal cooler ist, und kamen an diesem Ding vorbei:

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(Foto: Andrea Diener – hier ihr ganzes Flickr-Set vom ESA-Besuch.)

Das ist ein Modell von ERS-2, dem Nachfolger von ERS-1 (ach was), die beide Erdbeobachtungen betrieben haben. Das heißt, sie beobachteten zum Beispiel Wellenbewegungen oder Eisvorkommen. Ich zitiere die Wikipedia for more amazing stuff:

„Nach dem Start von ERS-2 konnten die SAR-Sensoren von ERS-1 und ERS-2 in sehr kurzen Zeitabständen (in der Regel einem Tag) dieselbe Erdoberfläche erfassen und diese Daten für Interferometrie benutzt werden. Dabei führen die leicht verschiedenen Orbits der zwei Satelliten (in der Regel wenige 100 Meter) zu leicht unterschiedlichen „Blickwinkeln“ desselben Gebietes der Erdoberfläche. Durch rechnerische Kombination der zwei Aufnahmen konnten somit entweder digitale Höhenmodelle der Erdoberfläche erstellt werden oder auch kleine Bewegungen der Erdoberfläche zwischen den zwei Aufnahmen auf etwa einen Zentimeter genau erfasst und sichtbar gemacht werden (differentielle Radar-Interferometrie, DInSAR).

So lieferten die Satelliten Daten über Veränderungen der Erdoberfläche vor oder nach einem Vulkanausbruch oder über Verschiebungen der Erdoberfläche durch Erdbeben. Die Expansion einer Lavakammer des Ätna oder die Vorhersage der Schlammlawine eines Vulkans in Island waren weitere Beispiele.“

Die beiden ERSis sind nicht mehr aktiv. Ihr Arbeitsplatz war in circa 800 bis 900 Kilometer Höhe über der Erde, wo sich die meisten Satelliten rumtreiben. Also auch die mit militärischen Zielen, von denen keiner wissen soll, wo sie sind, aber es gibt inzwischen nicht nur Train- und Planespotter, sondern auch Menschen, die Raketentarts genauer angucken und aus den offiziellen Daten und dem, was sie beobachten, schließen können, was da oben so rumfliegt.

ERS-1 und ERS–2 sind nur noch Weltraumschrott – oder im offiziellen Slang „Raumfahrtrückstände“ (ich bin sehr in dieses Wort verliebt). Wenn man lange genug wartet, nähern sie sich irgendwann der Erdatmosphäre und verglühen. Die chinesische Weltraumagentur CNSA hat vor kurzem einfach mal einen ihrer Satelliten mit einer Rakete beschossen, um zu gucken, was so passiert, wenn man keine Lust mehr hat zu warten. Den Satelliten hat es zerlegt und wir haben jetzt noch mehr Raumfahrtrückstände da oben. Aber eben auch die Gewissheit, dass man feindliche Satelliten, wenn’s nötig ist, außer Gefecht setzen kann. Ich weiß immer noch nicht, wie ich das finde.

Das erinnerte uns sofort an Gravity, wo dieser blöde Schrott dafür sorgt, dass George Clooney sterben muss, und Kresken meinte, den Film fänden hier alle super. Klar müsse man bei vielen Dingen alle Augen zudrücken („… was bei einem 3D-Film ganz schön doof ist“), aber das sei tolles Kino. Das hat mich etwas überrascht; ich dachte, wenn man wirklich weiß, was da oben abgeht, könnte man sich das nicht angucken, aber nein, ganz im Gegenteil.

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(Foto: Andrea Diener)

Der nächste Stopp war vor einem Gebäude, durch dessen Fenster wir gucken konnten, wo ein weiteres Modell auf uns wartete – und zwar eins von Rosetta. Das ist komplett baugleich bis auf die rechts und links angebrachten Solarsegel, die jeweils 16 Meter lang sind, und dafür ist der Raum zu klein. Rosetta ist ordentlich groß, wenn sie ein Würfel statt einer Tonne wäre, hätte sie eine Kantenlänge von ungefähr zwei Metern. Das Modell wird dazu genutzt, Befehle auszuprobieren, bevor sie an die echte Rosetta geschickt werden, oder Gegenmaßnahmen zu testen, falls wirklich mal etwas schiefläuft. Quasi wie bei Apollo 13, wo die Jungs auf der Erde Sauerstofffilter nachbauen mussten aus Zeug, das die Jungs oben in der Raumkapsel zur Verfügung haben.

Nebenbei: Ich hoffe, ich habe mir alles richtig gemerkt, ich hatte nichts zum Mitschreiben dabei, weil ich nur gucken und staunen wollte, aber im Nachhinein ärgert mich das doch etwas, dass ich nur aus der Erinnerung zitieren kann – und das vor allem wahrscheinlich so unwissenschaftlich wie nix Gutes. Hey, ich studiere KUNSTGESCHICHTE! Wenn’s um eine Bildanalyse von 67P geht – ruft mich an! Wenn’s um physikalischen Kram geht – Bahnhof mit sieben Siegeln. Rainer, wenn hier kompletter Quatsch steht, melde dich bitte.

Nach dem Rosetta-Modell ging’s in ein Gebäude, wo wir ehrfürchtig vor einem Kontrollraum rumlungerten und den Ingenieuren durch die Glasscheibe bei der Arbeit zuguckten. In diesem Fall arbeiteten sie an der Rosetta-Mission, aber ich muss gestehen, ich habe vergessen, woran genau. Der Komet 67P, dem sich Rosetta gerade nähert, ist übrigens nicht grau, wie wir ihn aus den ganzen Aufnahmen kennen, sondern pechschwarz. Aber so ein schwarzer Komet im schwarzen All sähe halt doof aus in den Pressebildern.

Kresken erklärte uns, warum der Komet so wichtig für die Forschung ist. Kometen sind generell „Bauschutt“ des Universums Sonnensystems (Edit-Tweet 1 und 2). Beim Big Bang flog viel Zeug rum, und Kometen tragen quasi den Bauplan des Universums in sich: Ihre stoffliche Zusammensetzung kann uns viel über die Entstehung des Weltalls verraten – vor allem, wenn sie noch Wasser enthalten. Das Problem bei Kometen: Es gibt periodische und aperiodische. Die periodischen haben eine feste Umlaufbahn um die Sonne, wir wissen, wo sie wann sind – aber durch ihre Nähe zur Sonne geht gerne mal das ganze schöne Wasser verloren, das uns so interessiert. Die aperiodischen Kometen kommen nur einmal bei uns im Sonnensystem vorbei, wir beobachten sie, wenn wir Glück haben, und schon sind sie wieder weg. Aber dafür haben sie all das gute Zeug an Bord, das wir erforschen wollen. Das Tolle an 67P: Er vereint quasi das Beste aus beiden Welten in sich. Laut Wikipedia war er ein langperiodischer Komet – hatte also eigentlich eine feste, wenn auch eeeewig lange Umlaufbahn um die Sonne –, wurde aber von einem Gravitationsfeld gestört und so zu einem kurzperiodischen, den wir verfolgen können. Und: Wir gehen davon aus, dass er noch Wasser bzw. Eis mit sich führt. Deswegen ist Rosetta so wichtig – und ihr Gepäck Philae noch mehr: Wenn Philae im November wie geplant über dem Kometen (der übrigens 800 Millionen Kilometer von uns weg ist, so von wegen „kurz“) abgeworfen wird, soll der Lander erstmals auf einem Kometen Messungen vornehmen.

Hier bitte mal kurz anerkennend in Richtung Darmstadt nicken.

Beim Thema Big Bang kam das Stichwort Kreationismus auf und um was für irrwitzige wissenschaftliche Erkenntnisse sich die Menschen bringen, die daran glauben. Trotzdem fragte ich nach: Besteht nicht doch irgendwo eine winzige Möglichkeit, dass das Universum geschaffen wurde anstatt einfach so zu beginnen? Kresken meinte, es sei durchaus möglich, Gottesglauben und die Wissenschaft miteinander zu vereinbaren – bei der ESA gäbe es auch genügend gläubige Menschen –, aber man könnte schlicht erklären, wie das Universum entstanden sei und müsse nicht mehr an irgendwas glauben. Interessanterweise besitzt ausgerechnet der Vatikan die größte Meteoritensammlung der Welt und beteiligt (?) sich an einem der großen Teleskope. Vielleicht sucht der Vatikan nach etwas anderem als die ESA, aber das ist nur meine Theorie.

Kresken und Schepers, der inzwischen zu uns gestoßen war, erzählten quer durch die Bank von ESA-Projekten, über die Zusammenarbeit mit der NASA, führten uns von einem Raum mit Glasscheiben, an denen coole Titel dranstanden („flight dynamics room“, „estrack control centre“, zum nächsten, wir guckten und staunten und fragten und kriegten alles beantwortet.

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(Foto: Andrea Diener. Das niedliche Pappmodell an der Wand ist XMM.)

Dann durften wir endlich mal in einem Raum rein: in den Kontrollraum für XMM und INTEGRAL, zwei Satelliten, die Gamma- und Röntgenstrahlung im Weltall erforschen. XMM war eigentlich nur für fünf Jahre ausgelegt und kreist inzwischen seit 15 um uns rum, INTEGRAL immerhin seit zwölf. Eine Ingenieurin erklärte uns mit leuchtenden Augen, was genau sie da oben machen – und vor allem, was hier unten im Kontrollraum passiert. Die Satelliten senden pausenlos Telemetrie nach unten, und im Kontrollraum werden alle ankommenden Daten überwacht. Falls mal etwas unplanmäßiges passiert – das heißt, auf einem der gefühlt 20 Monitore leuchtet irgendwas nicht mehr grün, sondern rot und außerdem gibt’s ein akustisches Signal –, gibt es Handbücher (ja, genau wie in Gravity), in denen steht, welcher Befehl nach oben gesendet werden muss, um den Fehler zu beheben. Die Systeme laufen übrigens auf einem ESA-eigenen Betriebssystem, die Anwendungen sind Linux. „Aber für Twitter darf man auch Windows benutzen.“ (Edit: genau andersrum, siehe die Tweets 1 und 2 von @hessi.)

Kresken erzählte, dass sie XMM das Spritsparen beigebracht hätten: Jetzt verbraucht er nur noch ein Schnapsglas Hydrazin alle zwei Tage. Hydrazin wird auf der Erde für so gut wie nichts genutzt, was ich wieder irrwitzig fand: Da entwickelt man ein Gerät, das nur im Weltall funktioniert und betankt es mit etwas, das ebenfalls (fast) nur im Weltall Anwendung findet. (Edit: Das mit dem „so gut wie nichts“ scheine ich mir falsch gemerkt zu haben.)

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Zum Abschluss gingen wir in ein weiteres Gebäude („mit dem langsamsten Fahrstuhl Westeuropas“), um ohne Vorwarnung vor dem Rosetta-Kontrollraum zu stehen. Kresken meinte launig, er suche mal Andrea, was Schepers relativ fassungslos zurückließ. Er hatte aber kaum Zeit, sich zu wundern, als plötzlich Rosettas Flight Director Andrea Accomazzo vor uns stand, der uns zwischen Tür und Angel mit lebhaften Gesten die nächsten Flugmanöver von Rosetta erklärte, die bis November bis auf weniger als 20 Kilometer (!) an den Kometen herangeführt werden soll, um den kleinen Philae abzuwerfen. Accomazzo beschrieb, wie Rosetta sich in Dreiecksbewegungen 67P nähere, der die Sonne umkreise und sich dazu noch unregelmäßig um sich selbst drehe und das bei einer irrwitzigen Geschwindigkeit (was ich bei den ganzen schönen Moodfilmchen gerne vergesse). Ich hatte sehr große Augen und konnte es kaum glauben, dass der Leiter der zurzeit wichtigsten ESA-Mission mit uns drei Noobs spricht. Wir bedankten uns euphorisch und kletterten wieder in den Fahrstuhl, wo Schepers immer noch fassungslos war: „Der wissenschaftliche Redakteur von [total wichtiges Printprodukt] wartet seit zehn Tagen auf ein Interview … wie hast du Andrea zu fassen gekriegt?“ „Ich hab ihn heute morgen angerufen, ob er nachher ne Viertelstunde Zeit hat.“ Ich war noch mehr verliebt und hätte mir vielleicht doch Körperteile signieren lassen sollen. Robbie Williams ist ja nix gegen die ganzen Jungs und Mädels da in Darmstadt.

Und das war’s dann schon. Eigentlich hatten wir uns für knapp zwei Stündchen verabredet, im Endeffekt waren es über drei, wenn ich richtig auf die Uhr geguckt habe, und ich war platt und gleichzeitig sehr begeistert. Auf Twitter quietschte ich den ganzen Abend lang rum, summte Space Oddity vor mich hin („… and the stars look very different today“) und fand es im Nachhinein doch sehr schade, damals in Physik so komplett desinteressiert gewesen zu sein.

Aber dafür interessierten und interessieren mich andere Dinge, und so guckte ich mir einen Tag später im Städelmuseum die Flémaller Tafeln an (1, 2, 3) und empfand so ziemlich das gleiche, was ich 24 Stunden vorher in Darmstadt empfunden hatte: große Begeisterung und tiefe Bewunderung für eine Leistung, die mir gerade präsentiert wird und die ich niemals auch nur in Ansätzen erbringen könnte. Aber: Die mittelalterliche Malerei mit ihrer christlichen Ikonografie hat mir ganz persönlich dann doch noch etwas mitgeben können, was selbst die ESA nicht hinkriegt: das Gefühl von Aufgehobensein. Der Weltraum ist für mich irrwitzig spannend, aber gleichzeitig zutiefst unheimlich in seiner Unermesslichkeit, die ich in meinem Kopf schlicht nicht erfassen kann. Ich weiß, dass Einrichtungen wie ESA und NASA und wie sie alle heißen, genau diese Unsicherheit abbauen mit ihren Forschungsmissionen und -ergebnissen, mit Zahlenreihen, Berichten und Beweisen. Jede Art von Wissenschaft soll Bestätigung bringen, wo wir herkommen, wohin wir gehen und wie wir uns auf dem Weg verhalten. Aber ich ganz persönlich kann mir immer noch eher einen göttlichen Funken vorstellen als Materie, die aus Nichts entsteht.

Wobei: Vielleicht sind die beiden Theorien gar nicht so weit auseinander.

(Ich bin jetzt selbst ein bisschen überrascht über das Ende. Wenn ich über Dinge schreibe, die ich erlebt habe oder darüber, wie’s mir gerade mit etwas geht – also Einträge, die kein Argument machen wollen, denn bei denen weiß ich natürlich von Anfang an, wie das Ende aussehen soll –, lasse ich meine Finger einfach lostippen, denn die wissen meist am besten, wo sie hinwollen. Ich hatte nicht geplant, einen Eintrag über eine wissenschaftliche Einrichtung mit einer theologischen Frage zu beenden, aber jetzt, wo sie da steht, lasse ich das so. Passt schon.)

19.08.2014

Kunst gucken

Ich gehe nicht gerne zu zweit oder in Gruppen in Museen, ich bin gerne alleine mit Bildern und Skulpturen. Ich kann in meinem eigenen Tempo durch die Räume wandern, ohne immer im Hinterkopf zu haben, dass jemand auf mich wartet oder mir jemand hinterherbummelt, womöglich schon schlecht gelaunt, dass es so schnell oder so langsam geht. Ich lasse mich auch nur ungern aus meinem eigenen Fluss herausziehen, in den ich inzwischen falle, sobald ich in einem Museum umherlaufe; ich mag es nicht, wenn mich jemand am Ärmel zupft und mir etwas bestimmt ganz Großartiges zeigen will, ich mag jetzt nicht, ich möchte jetzt genau hier, an diesem Punkt sein und das Bild anschauen, das vor mir hängt und nicht das, was du mir zeigen willst, du wirbelst meinen Fluss auf und das nervt.

Ich höre keine Audioguides mehr. Wo ich früher wissen wollte, was mir KuratorInnen oder ExpertInnen zu den Werken zu erzählen haben, gucke ich jetzt einfach selbst. Mir entgehen bestimmt viele Anspielungen und Hinweise, aber dafür sehe ich Dinge, die mich ansprechen, die etwas von mir wollen und mir etwas sagen, denn nur deswegen sehe ich sie. So werden aus irgendwelchen Bildern meine Bilder, sie tauchen aus der Masse auf, die an den Wänden hängt und bleiben bei mir.

Ich gucke inzwischen selektiv. Ich weiß, dass die Durchschnittsverweildauer vor einem Bild sieben Sekunden ist. Ich weiß auch, dass ich nicht alles angucken kann, was in einem Museum hängt, genauso wie ich nicht alles lesen kann, was in einer Buchhandlung steht. Ich bleibe nicht mehr pflichtschuldig vor Werken stehen, von denen ich weiß, dass die Kunstgeschichte sie großartig findet; wenn sie mir egal sind, sind sie mir egal und ich gehe weiter. Ich laufe in der Alten Pinakothek immer am da Vinci vorbei, weil er mir egal ist, und starre dafür auf die Bilder, die traurig oben in zweiter Reihe hängen, weil sie nicht so wichtig sind, wichtig für wen, ich mag die gerne, ich sehe sie gerne, ich gucke zu ihnen hoch und habe den da Vinci schon wieder vergessen.

Ich höre den Menschen zu, wenn sie über moderne Kunst lästern und kann sie verstehen und gleichzeitig nicht. Dass in der Pinakothek der Moderne Zeitgenössisches hängt und steht und liegt und leuchtet und flimmert und flüstert, sollte man eigentlich wissen, bevor man Eintritt bezahlt. Es ist völlig in Ordnung, sich lieber die Alten Meister anzuschauen, geh einfach rüber zu ihnen, sind nur 100 Meter, die Fußböden knarzen so schön und die Bilder hängen teilweise sogar in zwei Reihen. Aber wenn du hier in der Moderne bist, dann guck doch einfach mal. Bleib stehen und guck. Länger als sieben Sekunden. Hör auf, mit deiner Begleitung verschiedene Level des Unverständnisses auszutauschen und guck. Wenn Kunst dich aufregt oder verstört oder dich zum Lachen bringt, ist das ein gutes Zeichen, dass du diesem Gefühl mal nachspüren solltest anstatt es mit „Versteh ich nicht“ abzuwürgen. Wenn ein Werk nichts mit dir macht, geh weiter.

Ich stehe in der Hamburger Kunsthalle und vermisse die Münchner Pinakotheken. Ich stehe in den Pinakotheken und vermisse die Berliner Gemäldegalerie. Irgendwo hängt immer das Bild, das ich jetzt gerade sehen möchte, und nie bin ich da. Ich schlendere durch Museen und taumele innerlich zwischen Pflichtbewusstsein und purer Freude. Ich weiß, dass ich das alles kennen müsste, was vor mir hängt, ich müsste es inzwischen im Schlaf datieren und Bezüge herstellen und Biografien und Besonderheiten runterbeten können. Manchmal kann ich das, manchmal zwinge ich mich zur Konzentration, aber manchmal bummele ich auch nur einfach, wie andere Leute das mit Schaufenstern machen. Ich gucke, genieße, freue mich, kann atmen und den Kopf ausmachen, obwohl er gerade im Museum die ganze Zeit an sein müsste.

Ich kann vor einem Werk, auf dem quasi nichts zu sehen ist, zehn Minuten stehenbleiben. Das erste Mal ist mir das bei Mondrian im Bucerius-Kunstforum passiert, das nächste Mal vor einem Twombly im Museum Brandhorst. Twombly ist meistens nicht so meins, aber eines der vielen mit „untitled“ bezeichneten Bilder hat mich dann doch gekriegt. Ich guckte zehn Minuten lang auf einen bläulichen Hintergrund, auf dem dünne, zittrige, weiße Linien in mehreren Reihen sanft abwärts liefen, ich stand da und guckte, mal gesellte sich jemand zu mir, mal mehrere, man guckte, wie ich guckte, denn anscheinend gab’s da was zu sehen, oh, Linien, hm, gut, ich geh dann doch mal weiter, ich nicht, ich stand vor dem namenlosen Twombly und verstand zum ersten Mal, was es bedeutet, in einem Werk zu versinken. Weil es gerade passte, zum Tag, zum Moment, zu mir. Untitled. Passt ja auch auf alles, den Tag, den Moment, mich.

21.07.2014

München – Kirchensur – Gstadt – Fraueninsel – Herreninsel – Gstadt – München

Sandwiches geschmiert, Salate gemacht, erst im Auto daran gedacht: Wann sollen wir das bloß alles essen? Als ob wir in menschen- und restaurantleere Gegenden fahren. Egal. Kühltasche angestöpselt, losgefahren.

sandwiches

Auf dem Weg zum Chiemsee durch Kirchensur gefahren. Ich fiepste, weil ich die Kirche so schön fand in ihrer schmalen, hohen Schlichtheit, der ehemalige Mitbewohner hielt an, wir bemühten uns, die Autotüren nicht allzu lange offen zu lassen, damit aus den klimaanlageproduzierten 22 Grad keine 30 wurden, stapften zur Kirche – und fanden sie verschlossen. Immerhin konnten wir kurz ins Innere gucken, das uns alt und goldig entgegenglänzte, aber das hätte ich mir gerne aus der Nähe angeschaut.

kirchensur

In Gstadt fuhren wir in eine Parkhauseinfahrt, nur um festzustellen, dass das Parkhaus keines war, sondern nur eine abgesperrte Ecke von Gstadt, die jetzt anscheinend als Parkplatz dient. Wir fanden sogar noch ein Plätzchen im Schatten, bepackten unsere Rucksäcke bzw. Taschen mit Sandwiches, Wasser und Sonnencreme und gingen zum Bootsanleger, um uns in fünf Minuten zur Fraueninsel schippern zu lassen.

fraueninsel

Auf die Fraueninsel wollte ich, seit ich mein Referat über Teile des Klosters gehalten hatte. In den nächsten Tagen beginne ich die Hausarbeit zu diesem Thema und vorher wollte ich mir dann doch mal selbst anschauen, worüber ich da eigentlich schreibe. Auf der Autofahrt las ich dem ehemaligen Mitbewohner die kurzen Texte zur Insel aus zwei Reiseführern vor und quengelte diverse Male über Ungenauigkeiten, Fehler und Rumgemeine, freute mich aber über die Bezeichnung „knuffig“ für den Campanile. Ich ballerte den Herrn mit Jahreszahlen, Namen, Gegenständen und Malereien voll und wurde immer hibbeliger, bis wir endlich anlegten. Die Frage „Erst Kultur oder erst mal rumgucken“ wurde von mir dann auch mit ungläubigem Augenrollen quittiert, und ich sprintete schon in Richtung Torhalle, bevor der Mann überhaupt die Frage zuende formuliert hatte.

torhalle

Das Kloster auf der Fraueninsel ist recht gut erforscht, aber um die genaue Datierung einzelner Bauwerke bzw. Bauabschnitte streiten sich seit Jahrzehnten diverse Wissenschaftler; ich bin bei meinen Referatsvorbereitungen jedenfalls immer über die gleichen Namen gestolpert. Das Kloster wurde 782 geweiht; Stifter war Tassilo III. (741–nach 784), der letzte Herzog des bayerischen Geschlechts der Agilolfinger. Ihm wird bis heute als Stifter die Totenmemoria gehalten. Die erste heute noch bekannte Äbtissin ist die selige Irmengard (831/33–866), Tochter Ludwig des Deutschen (um 806–876) und Urenkelin Karls des Großen (747/48–814). Das Kloster war ein königliches Stift und stand adligen Mädchen und Frauen offen; sie mussten nicht in den Konvent eintreten bzw. ein Gelübde ablegen. Stattdessen war ihnen hier ein religiöses Leben in standesgemäßem Rahmen möglich, das Kloster diente der Erziehung und sorgte für das Gebetsgedenken (memoria) für verstorbene Familienmitglieder. Nach der Säkularisation 1803 wurde der Konvent aufgelöst, und der Besitz ging an den Staat über. Ludwig I. genehmigte 1836 die Wiederherstellung des Klosters, die Neueröffnung fand im März 1838 statt. In den Folgejahren war es neben der eigentlichen Klostertätigkeit unter anderem Mädchenpensionat und Schule, seit 1983 ist es ein Seminarhaus für Erwachsenenbildung.

Die Torhalle ist ein zweigeschossiges, rechteckiges Bauwerk nördlich der Hauptkirche. Im Erdgeschoss befinden sich drei Tonnengewölbe, die untereinander mit Bogenöffnungen verbunden sind sowie im Ostteil die kaum erforschte Nikolauskapelle. Im Obergeschoss liegt die Michaelskapelle, zu der ich gleich komme. Die Torhalle wurde vor den Grabungen von Vladimir Milojčić 1961–64 auf romanisch datiert; Milojčić fand allerdings zwischen Kirche und Torhalle Scherben und Fundamente und konstruierte eine Einheit von Klosterkirche, Torhalle und dazwischenliegenden Gebäuden (was durchaus diskussionswürdig ist, aber das erspare ich euch an dieser Stelle mal). Er datierte die Torhalle auf spätkarolingisch, also Ende 9. Jahrhundert. 1971 ließ er eine Radiokarbondatierung (C14-Datierung) eines Kantholzes von der Nordseite des Torbaus anfertigen, die das Holzstück auf um 880 plusminus 50 Jahre datierte. Diese frühe Datierung wurde von Großteilen der Wissenschaft angezweifelt, bis Hermann Dannheimer (ehemaliger Direktor der Prähistorischen Staatssammlung in München, Forschungsschwerpunkt seiner Veröffentlichungen ist die Archäologie des Mittelalters) in den 1980er Jahren weitere Grabungen durchführte. Er fand im ersten Bodenbelag der Torhalle einen Holzspan, der 2002 mit Radiocarbon-Messung auf 665–729 datiert wurde, was für ihn die frühe Datierung der Torhalle rechtfertigt. Vor allem Friedrich Oswald widersprach und wies auf die sehr geringe Größe der Insel hin: Baumaterial wurde so gut wie immer mehrfach verwendet, weil es zu aufwendig gewesen wäre, ständig neues heranzuschaffen. Der Holzspan könnte durchaus vorher schon mal verbaut worden sein, sein Vorkommen in der Torhalle sei rein zufällig.

tl;dr: Wir haben keine Ahnung, von wann genau die Torhalle ist.

Enter the Erzengel.

erzengel

Milojčić legte bei seiner Arbeit in den 1960er Jahren Fresken in der Michaelskapelle frei; sie zeigen Erzengel mit Stäben und der Erdscheibe. Ungewöhnlich ist an ihnen, dass sie nicht farbig ausgemalt sind, sondern offensichtlich nur als rote Umrisse gefertigt wurden, was wir aus der karolingischen Zeit nur als Vorzeichnung kennen, nicht aber als fertiges Kunstwerk. Außerdem erinnern sie eher an byzantinische denn an karolingische Bildwerke, ihre nächsten stilistischen Verwandten finden wir eher in ottonischer Zeit. Aber: Sie befinden sich auf der ersten Putzschicht der Torhalle, das heißt, auch sie könnten Auskunft über die Entstehung des Bauwerks geben – wenn wir denn mal wüssten, von wann sie sind. Hans Sedlmayr datierte die Engel trotz eingestandener mangelnder Vergleichsmöglichkeit auf um 860, die Große bayerische Kunstgeschichte von 1963 sinnierte locker was von „780–820“, Otto Demus sagte in Romanische Wandmalereien von 1968 „versuchweise erste Hälfte 11. Jahrhundert“, und Matthias Exner datierte sie 2003 auf „nicht vor dem ausgehenden 10. oder frühen 11. Jahrhundert“.

tl;dr: Wir haben immer noch keine Ahnung, von wann genau die Torhalle ist.

Mir war das in dem Moment egal, denn ich vertiefte mich in die Zeichnungen, bewunderte den klaren, bewussten Schwung der Gewänder, die kraftvolle Darstellung, die mir hier nach 1000 Jahren noch entgegenleuchtete und fand alles ganz großartig.

Nach der Torhalle marschierten wir auf meinen zweiten Liebling der Insel zu, das Kirchenportal.

portal

Auch hier kabbelt sich die Wissenschaft noch, von wann genau denn welches Bauteil ist. Die Kirche selbst steht auf tassilonischen Grundmauern, aber von wann das Portal ist, ist noch ungeklärt. Gehörte es womöglich schon zum Gründungsbau? Dann wäre es das älteste Kirchenportal, das wir kennen. Der Streit geht übrigens nur um das Tympanon und das erste Portal; das Trichterportal ist später davorgesetzt worden, genau wie die gotischen Bögen in der Vorhalle, die das Portal netterweise etwas vor der Witterung schützt und aus den 70er Jahren des 15. Jahrhunderts stammt.

Das Tympanon zeigt einen sehr vereinfachten Lebensbaum mit Fruchtdolden. Die räderartig wirkenden Gebilde kann ich mir nicht erklären, und ich habe auch in der Literatur keine Erläuterung gefunden. Für mich sieht es aus wie Hände, die durch Radspeichen greifen. Der Lebensbaum ist eine alte Darstellung, was für Dannheimer Beleg genug ist, um das Tympanon auf Ende des 8. Jahrhunderts zu datieren. Friedrich Oswald weist darauf hin, dass diese architektonische Gestaltung in der von Dannheimer vorgeschlagenen Zeit keinerlei Entsprechung in anderen Bauwerken habe; gestaltete Türstürze und Tympana treffen wir erst im Hildesheimer Dom von 872 (also 100 Jahre später) oder in St. Genis-des-Fontaines in den Pyrenäen, dessen Türsturz laut Inschrift auf 1019/1020 datiert ist.

Ich habe keine Ahnung, ich stand da nur und guckte uraltes Zeug an, während diverse Besucher achtlos an mir und dem Tympanon vorbeigingen, um sich die olle Barockkirche anzugucken. Da waren sie in guter Gesellschaft, denn so ging es auch meiner Begleitung.

tympanon

„Und wann kommt jetzt endlich das Ding, von dem du so schwärmst?“

„DU STEHST GENAU DAVOR EINSELF!“

„WAS, DIESER STEIN, AUF DEM MAN NIX ERKENNT?“

„…“

Mpf. Der Mann hat ja recht. Zuerst habe ich mich natürlich aufgeplustert und was von Kulturbanause gejammert, aber dann ist mir eingefallen, dass ich vor zwei Jahren noch genauso geredet habe. Die Gotik in ihrer schieren Mächtigkeit erschließt sich, glaube ich, auch jedem, der kein Proseminar über sie belegt hatte. Die Romanik hingegen mit ihrer schlichten, fast naiven Gestaltung ist eher so joah. Gut. Whatever. Zumindest war sie das. Jetzt nicht mehr. Inzwischen kann ich sie einordnen, weiß so ein bisschen was darüber, was vorher und nachher kam und bin seitdem absolut fasziniert von genau dieser einfachen Gestaltung.

Ich glaube, Dinge zu schmücken oder sie mit Bedeutung zu versehen, ist eine sehr menschliche Eigenart, siehe Höhlenmalerei, antiker Schmuck oder ägyptische Grabbeigaben. Nach dem Niedergang des römischen Reiches und dem christlichen Bilderverbot kam der Menschheit die Fähigkeit abhanden, realitätsgetreu oder idealisiert Dinge abzubilden, die sie bereits besaß, wie wir von diversen antiken Statuen und Triumphbögen wissen. Auf den romanischen Baustellen gab es aber durchaus Handwerker aus den Reichsgebieten, die wir heute als Griechenland oder Italien bezeichnen, und sie kannten Bauwerke wie die Akropolis oder das Kolosseum, sie wussten, dass die Menschheit schon mal Derartiges in die Landschaft gestellt hatte. Die Romanik ist der erste Versuch, sich dieser klassischen Schönheit wieder zu nähern. Man kann quasi der Menschheit in unseren Breitengeraden dabei zugucken, wie sie sich Fähigkeiten wiedererkämpft, die sie schon mal hatte. Mich rührt das ungemein, und deswegen stand ich recht lange vor diesem Stein, auf dem man nichts erkennt und den Engeln, deren Kopflosigkeit vom Begleiter scherzhaft bemängelt wurde.

chiemsee

Irgendwann schob mich der Begleiter weiter in Richtung Inselrundgang, wir kauften im Klosterladen Schnaps (was sonst), aßen ein paar Sandwiches mit Blick aufs Wasser, ich stapfte kurz in den See und ärgerte mich, keinen Badeanzug mitgebracht zu haben, und dann schipperten wir aus der TOTAL SCHÖNEN Romanik in den VÖLLIG ÜBERZOGENEN Barock.

herrenchiemsee

Auf Herrenchiemsee darf man nicht einfach so ins Schloss, sondern muss sich eine Karte kaufen, die einen zu einer ganz bestimmten Uhrzeit in eine Gruppe steckt, die dann durch zehn (?) Räume des Schlosses geführt wird. Die Führung war gut, aber für mich mit ihren 30 Minuten natürlich viel zu kurz. Ich wäre gerne länger in jedem Raum geblieben, vor allem in dem mit dem Kronleuchter aus Porzellan, der mir wider Erwarten doch sehr gefallen hat, aber das ging leider nicht. Fotografieren und Filmen ging übrigens auch nicht. Dem Begleiter gefiel das Schloss deutlich besser als die Kirche, während ich mich nach der Schlichtheit der Fraueninsel zurücksehnte. Trotzdem ist Herrenchiemsee natürlich einen Besuch wert – alleine wegen der 5.000 Kerzen in den weißnichtmehrwievielen Kronleuchtern –, aber ich habe mich sehr zugekleistert gefühlt. Barock halt. Bzw. Barockimitation.

Eigentlich wollten wir auf der Rückfahrt irgendwo einkehren und fürstlich tafeln, aber uneigentlich waren wir verschwitzt und müde und hatten noch einen Berg an Salat in der Kühlbox. Daher endete der lange Tag in einem unserer Lieblingsbiergärten in München.

biergarten

Ich habe Sonnenbrand auf den Füßen und im Nacken und den ganzen Sonntag über war ich viel zu müde, aber das war’s wert. Chiemsee rockt. Und Frauenchiemsee rules. Ich komme wieder. Mit Badeanzug und einer hoffentlich großartig benoteten Hausarbeit.

13.07.2014

„Und, Anke, wie war so dein viertes Semester?“

(Erstes, zweites, drittes Semester)

Ich hatte mir vom Studium erhofft, dass ich nach sechs Semestern mit einem Diplom in der Hand da stehe und sagen kann: „Jetzt weiß ich alles.“ Inzwischen habe ich gelernt, dass ich nichts weiß, und je länger ich an der Uni bin, desto stärker wird dieses Gefühl. In jedem neuen Kurs habe ich plötzlich Dinge, Orte, Zeitläufte, Kunstwerke, Personen und ihre Aktionen vor der Nase, von denen ich noch nie gehört hatte, und meine Allgemeinbildung, die ich immer für eine recht gute gehalten habe, winkt hilflos aus der Ecke und zuckt die Schultern. Je mehr ich lerne, desto mehr merke ich, was ich noch alles lernen muss. Aber: Was ich im ersten Moment als einschüchternd empfand, entpuppt sich langsam als eine wunderschöne Lebensaufgabe. Ich weiß nichts – aber ich kann noch so viel lernen. Allerdings nicht in sechs Semestern.

Ich habe gelernt, dass ich manchmal etwas vorschnell in meinen nöligen Urteilen bin. (Was mich leider nicht davon abhält, sie trotzdem zu fällen.) Ich quengelte am Anfang des Semesters über den Dozenten, bei dem ich schon mal eine Vorlesung hatte, die ich als seeehr zääääh empfunden hatte und schob das auf seine Sprechweise. Die hat sich nicht geändert – aber mein Wissensstand. Inzwischen weiß ich nämlich, dass der Herr einfach sehr genau auf jedes Kunstwerk eingeht, jeden Schwung einer Initiale beschreibt, jede Fingerhaltung einer Majestas Domini im Vergleich zu einer anderen, jede Dekoration, die sich am Rand einer alten Buchseite befindet, jeden Ziegel, jedes Kapitell, jedes alles. Was ich im ersten Semester als Neu-Studi als zäh empfunden habe, empfinde ich jetzt als hingebungsvoll und exakt und es ergänzt mein bisheriges Wissen um eine Ebene, die es bisher nicht hatte und im ersten Semester nicht haben konnte. Ich habe innerlich reuig Abbitte geleistet und in der Evaluation eine Lobeshymne verfasst – auch um mein Gemecker aus dem ersten Semester wieder gutzumachen.

Ich habe gelernt, auf Twitter vielleicht mal die Klappe zu halten. Nach meiner spannenden Geschichtsübung zu Ludwig dem Bayern tönte ich rum, dass ich mit meinem bisherigen Wissen locker Leute eine Stunde rund um den Marienplatz führen könne – was drei Damen beim Wort genommen haben. Und so musste ich mir an einem ansonsten freien Wochenende eine kleine Tour zusammenbasteln und zeigte dann Frau Kaltmamsell und Frau Donnerhallen „mein“ München (Frau Mellcolm war leider erkrankt). Wir begannen am Isartor, wo ich über die zweite Stadtmauer Münchens sprechen konnte, zu der das Tor gehört, ich erwähnte die Fresken aus dem 19. Jahrhundert, die kunsthistorisch leider nix hergeben, aber – wenn Sie vorbeikommen, achten Sie mal drauf: Am linken Rand sieht man die MünchnerInnen noch hektisch das Stadttor schmücken, damit Ludwig als Sieger der Schlacht von Mühldorf einreiten kann. Wo wir schon im 19. Jahrhundert waren, konnte ich generell über Ludwig I. sprechen und seine Architekten von Klenze und von Gärtner, die für meine Lieblingsplätze in München verantwortlich sind.

Dann gingen wir zum Alten Rathaus, wo neben Ludwig noch Heinrich der Löwe als Statue zu sehen ist, bei dem ich auf meiner niedersächsischen Herkunft rumreiten konnte und den Damen die Welfen näherbrachte. (Und die Welfenspeise.) Am Alten Hof sprach ich über das Reisekönigtum und dass der Alte Hof eine der ersten festen Residenzen war, auf dem Marienplatz erwähnte ich, dass Ludwig dafür gesorgt hatte, dass der Platz heute noch so weiträumig ist wie damals vor 700 Jahren, denn er verfügte, dass er nicht bebaut werden solle, woran sich lustigerweise alle bis heute halten. Außerdem konnte ich über die Stadtfarben Münchens sprechen (schwarz und gold), die nur deswegen so aussehen, weil Ludwig Rom ärgern wollte, dessen Stadtfarben ebenfalls schwarz und gold waren.

Zum Abschluss wollten wir in die Frauenkirche, in der Ludwig bestattet liegt, aber ich Hirn hatte nicht daran gedacht, dass Kirchen irgendwann ihre Tore schließen. So standen wir auf den Stufen vor dem Eingang und ich zeigte mein liebstes Kunstwerk in der Kirche, den Schmerzensmann links vom Altar, stattdessen auf meinem iPhone rum, erklärte den Unterschied zwischen Schmerzensmännern und Ecce-Homo-Darstellungen und erläuterte Hallen– und Saalkirchen, Zentralbauten und Basiliken. Mir hat die Tour sehr viel Spaß gemacht und ich hoffe, die Damen hatten auch was davon. Und meine Dozentin, der ich davon erzählte, amüsierte sich ebenfalls.

Die Stadtführung war leider fast meine einzige extrakurrikulare Aktivität. In diesem Semester habe ich nur einen Vortrag besucht und nur einen einzigen Tag zum Spaß in der Kugi-Bib gesessen. Ansonsten war ich stets mit Zeug beschäftigt, für das es Noten bzw. ECTS-Punkte gab. Ich schiebe es ein wenig auf die WM und das Filmfest, aber das hat mir mittendrin des Öfteren gefehlt, dieses ziellose Rumblättern in Regalmetern oder das Kennenlernen von Sichtweisen außerhalb meines Stundenplans. Ein Vorsatz fürs Wintersemester wäre natürlich, das wieder in den Zeitplan einzubauen, aber das Semester wird leider noch arbeitsintensiver als das vergangene, denn es ist quasi mein letztes Semester, in dem ich noch Kurse und Vorlesungen besuche – im sechsten sollte eigentlich nur noch die Bachelorarbeit anstehen. Mal sehen, ob ich das schaffe, denn statt fünf Semestern Geschichte habe ich ja nur drei, in die ich die Pflichtkurse von fünf quetschen muss. Wobei die Kurse nicht das Problem sind, sondern die Hausarbeiten, für die ich in den Winterferien lausige acht Wochen Zeit haben werde. Und vier Hausarbeiten zu jeweils 30.000 Zeichen in acht Wochen – das wird selbst für mich Schnellschreiberin sehr eng.

Ich habe gelernt, dass in der Heraldik das Winterfell eines sibirischen Eichhörnchens eine Rolle spielt, dass es in Bayern diverse Klöster gibt, die noch viel zu wenig erforscht sind, dass die Fotografie nicht meine liebste Kunstgattung ist oder sein wird (immerhin eine, die ich von der Liste streichen kann), dass ich, wenn ich mich etwas anstrenge, mittelhochdeutsche Urkunden lesen und verstehen kann und dass überhaupt das Mittelalter eine sehr spannende Zeit ist. So spannend, dass ich dringend mehr über sie wissen will – und voraussichtlich auch meine Bachelorarbeit über sie schreiben möchte.

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Ich habe gelernt, meine Prüfungsordnung besser zu lesen. Nach vier Semestern habe ich es zum ersten Mal geschafft, einen falschen Kurs zu belegen. Okay, ganz falsch war er nicht, aber er bringt mir keine Punkte. So habe ich mich viele Dienstage lang um 6 Uhr aus dem Bett gequält, um um 8 Uhr (s. t.) am Gasteig zu sitzen und italienische Vokabeln und Grammatik zu pauken. Italienisch ist eine sehr schöne Sprache, aber jetzt, wo ich weiß, dass ich sie nicht lernen muss, werde ich das auch nicht weiter tun. Scusi. Aber danke dafür, dass ich meine Opernarien im Gesangsunterricht ein winziges bisschen besser verstehen und aussprechen kann.

Ich habe gelernt, dass ich im wissenschaftlichen Arbeiten inzwischen einen ähnlichen Anspruch an mich habe wie in meinem Brotberuf (der hoffentlich nicht mehr allzulange mein Brotberuf ist). Dieser Anspruch hat dafür gesorgt, dass ich in allen Referaten in diesem Semester ausgezeichnete Noten bekommen habe und ich hoffe, dass das dieses Mal auch endlich bei den Hausarbeiten klappt, denn da war ich bisher nie besser als 1,3. (Knurr.)

Das Blöde ist, dass ich diesen Anspruch inzwischen auch an meine KommilitonInnen habe. Das heißt, mich nerven schlecht vorbereitete Referate mehr, als sie sollten. Mich nervt es, Handouts mit Rechtschreibfehlern zu bekommen oder Handouts über fünf Seiten (braucht kein Mensch) oder Handouts mit einer einzigen Literaturangabe (geht’s noch?) oder überhaupt kein Handout. Es sollte mir egal sein, ich kriege ja keine Note auf die Referate anderer Leute, aber da sie ein wichtiger Bestandteil der Kurse sind, würde ich mir wünschen, dass sie einen gewissen Standard hätten. Klar, das lernen wir alle noch, dafür sitzen wir ja hier, aber nach vier Semestern hoffe ich allmählich auf mehr.

Und ja, ich weiß, das hört sich scheiße-großkotzig an. Das kann und will ich nicht ändern.

Ich habe ein Word-Dokument angelegt, in dem ich Ideen für die Bachelorarbeit sammele.

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(Und eine Autokorrektur bei Tweets. #lasttweeTTTT)

Ich habe zum ersten Mal in einer Kunstgalerie gestanden und mit meinen Kommilitoninnen darüber gestritten, ob jetzt Cy Twombly oder Silvia Bächli „besser“ ist. Ich habe Beuys verteidigt, ich habe Barnett Newmann als Referenz herangezogen, ohne darüber nachzudenken, ich habe über die Romantik und Caspar David Friedrich diskutiert, ich habe in Ausstellungen im Kopf Verbindungen hergestellt, ohne es darauf anzulegen, ich sehe anders, ich spreche anders über Kunst, ich gucke sie anders an als vor vier Semestern. Ich hatte zum ersten Mal im meinem Studium das Gefühl, fundiert über Kunst sprechen zu können, und zwar in der Galerie zwischen lauter Bächlis. Das war ein sehr großartiger Moment und ich hoffe, er kommt noch mal wieder.

Ich habe gelernt, dass ich am liebsten irgendwo alleine inmitten eines Bergs von Büchern und Aufsätzen sitze und aus diesem Berg ein kleines, überschaubares Häufchen mache, das ich dann meinen KommilitonInnen und DozentInnen präsentiere. Mir machen Referate sehr viel Spaß und ich freue mich das ganze Semester über auf die Hausarbeiten, weil ich da endlich schreiben kann. Ja, natürlich mag ich auch die Seminare und Vorlesungen, aber so richtig, richtig gerne sitze ich eben zwischen Büchern und lese und schreibe. Gibt es dafür irgendeine Berufsbezeichnung, die ich anstreben kann?

In diesem Zusammenhang: Ich fühle mich beim Studieren nicht mehr wie 20, aber beim Nachdenken darüber, was nach dem Studium passiert. Na super. Ich dachte, das hätte ich alles längst hinter mir. Ganz toll gemacht, Gröner.

Und noch mal in diesem Zusammenhang: Wenn ich nicht innerhalb des nächsten Jahres eine weitere Sinnkrise kriege – also so eine wie die von vor drei Jahren, die dafür gesorgt hat, dass ich gerade den Bachelor mache –, dann mache ich ab WS 2015 den Master. Das macht alles viel zu Spaß, um jetzt schon damit aufzuhören.

25.05.2014

Kunst gucken: PLAYTIME, Kunstbau im Lenbachhaus, München

(Dieser Eintrag steht auch in meinem Zweitblog, wo die Bilder etwas größer sind.)

Der Kurs Spaces of Experience wird immer mehr zur Wundertüte. Am Anfang dachte ich, naja, da gucken wir uns halt ein paar Museen an, was soll sich da schon groß unterscheiden, das sind ja immer Räume mit Zeug drin, aber je länger der Kurs dauert, desto spannender werden die Einblicke. Wir waren zum Beispiel in der Alten Pinakothek, wo wir über den Einfluss von Wandfarben und Licht auf die Kunstrezeption sprachen. Danach kam das Bayerische Nationalmuseum dran, in dem ich die sogenannten period rooms kennenlernte – also Räume, die so gar nicht dem heute gewohnten white cube entsprechen, sondern Räume, die die BesucherInnen in eine bestimmte Stimmung versetzen sollen, indem durch Einrichtung und Gestaltung des Raums eine Epoche erweckt wird. So gibt es Räume, die an eine gotische Kirche erinnern, wieder andere sind im Stil von römischen Thermen gestaltet, und ein dritter ist quasi selbst das Ausstellungsstück: Die Holzvertäfelung der Augsburger Weberstube wurde auf eine eigens dafür gestaltete Wand aufgebracht, so dass man sich wirklich wie im 15. Jahrhundert fühlt. Was eine wissenschaftliche Auseinandersetzung aber erschwert – der Kurator erwähnte, dass man die Wandvertäfelung natürlich auch auf ein Stahlgerüst hätte anbringen können, aber das war Ende des 19. Jahrhunderts – aus der Zeit stammt der Raum – noch nicht en vogue.

Dann kam die Hypo-Kunsthalle, die sich von den bisherigen Museen dadurch unterschied, dass sie keine ständige Sammlung hat, was die Organisation von Ausstellungen erschwert. Normalerweise laufen die Deals zwischen Museen flapsig ausgedrückt so: „Leihst du mir deinen Kirchner, leihe ich dir meinen Picasso.“ Diese Möglichkeit hat die Hypo-Kunsthalle nicht, weswegen sie meist mit anderen Museen kooperiert, das heißt, eine Ausstellung findet nacheinander an zwei Orten statt. Was das andere Museum davon hat? Ganz simpel: mehr Einnahmen. Ein Beispiel: Bei einer Kooperation mit dem Kunsthistorischen Museum in Wien waren die Einnahmen durch Kataloge deutlich höher als bei einer Einzelausstellung im KHM – aus dem schlichten Grund, dass das KHM eher eine Touristenattraktion ist. Touris gucken sich die Kunst pflichtschuldig an, wollen aber keinen schweren Katalog mit nach Hause schleppen. Die Hypo-Kunsthalle wird eher von MünchnerInnen besucht bzw. Menschen, die gezielt diese eine Ausstellung sehen wollen, und die geben dann auch mal 40 Euro aus und tragen drei Kilo Papier in die U-Bahn. Schon werden deutlich mehr Kataloge zur gleichen Ausstellung verkauft und beide Museen haben was davon.

Was ich an dem Haus auch spannend finde, ist seine variable Ausstellungsarchitektur. Die Räume sind sehr wandelbar, weswegen ich bei der von uns besuchten Dix-Beckmann-Ausstellung auch fast in den Ausgang anstatt in den Eingang gelaufen wäre, denn der lag bei meinem letzten Ausstellungsbesuch (Pracht auf Pergament, 1000 Jahre alte Bücher) eben am anderen Ende. Diese Ausstellung kam für mich etwas früh; jetzt, mit meinem ganzen frisch erworbenen Mittelalterwissen, könnte ich sie viel mehr würdigen. Aber ich war ja damals schon eine brave Besucherin und habe 40 Euro für drei Kilo Papier ausgegeben und kann mir daher jetzt immerhin noch den Katalog angucken.

Dann kam das Haus der Kunst und die Matthew-Barney-Ausstellung zu seinem Film River of Fundament, die mich überraschenderweise doch beeindruckt hat (hatte ich nicht erwartet). Hier fand ich natürlich besonders die Geschichte des Hauses spannend, die inzwischen auch wieder sichtbar ist. Wo nach dem 2. Weltkrieg versucht wurde, die klassische Nazi-Architektur zu verschleiern, wurde nach und nach bewusst zurückgebaut. Blöderweise habe ich mir ausgerechnet das Wort „Blutwurstmarmor“ für die rostroten Säulenverkleidungen gemerkt. Und noch mehr sinnloses Wissen: Die Fliesengröße der Fußböden ist im ganzen Haus unterschiedlich, je nachdem wie langsam oder schnell man die BesucherInnen an den Werken vorbeiführen will. In der ehemaligen Ehrenhalle – die heutige Mittelhalle, also der Riesenraum, in den man reinkommt, wenn man geradeaus durchgeht – sind die Fliesen ungefähr ein mal einen Meter groß: perfekte Stechschrittweite. Im ersten Stock, wo die kleinen Bildwerke hängen, sind es ungefähr 50 mal 50 Zentimeter, damit man sich möglichst langsam bewegt. Und im Erdgeschoss, da wo jetzt gerade Barney vor sich hinmonumentiert, liegen Fliesen, die ungefähr 65 mal 65 Zentimeter groß sind: die „Schlenderfliesen“. Der Begriff ist seit dem Besuch gnadenlos in meinem Wortschatz.

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Tehching Hsieh, „One Year Performance 1980-1981 (Waiting to Punch the Time Clock)“
Photograph by Michael Shen
© 2014 Tehching Hsieh
Courtesy the artist and Sean Kelly, New York

Letzten Mittwoch besuchten wir den Kunstbau des Lenbachhauses, also diesen lustigen Ausstellungsraum an der U-Bahn-Station Königsplatz, wo man aus dem Haus raus auf die Rolltreppen zur U-Bahn guckt und umgekehrt die U-Bahn-Gäste beim Runterfahren ein bisschen Kunst mitkriegen. Die Ausstellung: PLAYTIME. Ich zitiere von der Ausstellungswebsite (Binnen-I, yay):

„Arbeit verspricht nicht nur Selbstverwirklichung, sondern auch soziale Anerkennung und gesellschaftliche Teilhabe. Nicht zuletzt deshalb hat in den letzten Jahrzehnten eine enorme Entgrenzung zwischen Arbeit und Privatleben stattgefunden. Das Paradox von Arbeit liegt heute vor allem darin, dass der arbeitende Mensch durch die zunehmende Automatisierung und Technisierung überflüssig zu werden scheint, während gleichzeitig alles zu Arbeit wird. (…)

Die Ausstellung PLAYTIME knüpft an die in Jacques Tatis gleichnamigen Film geäußerte, feinsinnige Kritik der modernen Arbeitswelt an und stellt verschiedene Fragen: Wie setzen sich KünstlerInnen unterschiedlicher Generationen und Hintergründe mit dem Thema Arbeit auseinander? Was bedeutet künstlerisches Arbeiten heute? Und inwiefern unterscheidet sich künstlerische Arbeit von anderen Formen der Arbeit?“

Die Ausstellung versammelt Videokunst, Zeichnungen, Fotografien, Dokumentationen von Performances und Objektkunst und ist damit von vornherein sehr abwechslungsreich. Noch spannender sind natürlich die einzelnen Auseinandersetzungen mit dem Thema – und für mich als Kursteilnehmerin bzw. Studentin wie immer die Hintergrundinfos bzw. Diskussionen mit der Kuratorin. So habe ich zum Beispiel noch nie darüber nachgedacht, ob es sich um verschiedene Kunstwerke handelt bzw. sich das Wesen des Werks ändert, wenn sich das Medium ändert, mit dem es wiedergegeben wird.

Eines meiner liebsten Werke war Martha Roslers Semiotics of the Kitchen von 1975 (hier auf YouTube zu sehen), das ich im letzten Semester im Kurs über amerikanische Kunst seit 1945 kennengelernt habe. Dieses Werk habe ich zum ersten Mal vollständig in einem Ausstellungskontext gesehen und das fühlte sich ein bisschen an wie einen Klassiker zu lesen. Rosler setzt sich mit der Rolle der Frau auseinander, die traditionell in der Küche verortet ist. Sie zeigt, wie auf Shopping-Kanälen, verschiedene Küchenutensilien in alphabetischer Reihenfolge in die Kamera, nutzt sie aber nicht so, wie wir heute im Zeitalter von kuscheligen Foodblogs eine Pfanne oder ein Messer zeigen würden, sondern geht aggressiv mit ihnen um bzw. nutzt harte, abgesetzte Bewegungen statt des klischee-igen Umgangs, den man erwartet. Wir haben uns generell bei den Videoinstallationen gefragt, ob es noch das gleiche Kunstwerk ist, wenn es von einer DVD abgespielt wird. Es gibt durchaus KünstlerInnen, die genau vorgeben, wie ihr Werk wiedergegeben werden soll – auf welchem Gerät welcher Bauweise, in welchem Abstand stehen eventuell Sitzgelegenheiten davor oder eben nicht, soll der Raum dunkel sein, muss es überhaupt ein Extraraum sein usw. Gehört die Wiedergabe des Werks noch zum Inhalt oder ist es eine Äußerlichkeit, die verhandelbar ist?

Ein weiteres Kunstwerk hat mich länger beschäftigt: Tehching Hsieh hat mit seinem Time Clock Piece eine einjährige Performance geschaffen, die viele Dokumente erzeugte. Sein Werk: ein Jahr lang, jeden Tag zu jeder vollen Stunde eine Karte in einer Stempeluhr stempeln. Was mich so irre macht an diesem Werk, ist der schiere Aufwand an körperlicher und geistiger Kraft, die dazu nötig ist, ein Jahr lang nie richtig durchzuschlafen und nichts wirklich machen zu können, weil es alle 60 Minuten unterbrochen wird. Von einem Jahr ausgesprochener Anstrengung bleibt nichts übrig, was irgendeinen Nutzen hat, wenn man schlichte kapitalistische Maßstäbe anlegt. Was stattdessen übrig bleibt, sind Berge von Stempelkarten, ein Video, das den Künstler bei jedem Stempeln zeigt sowie Fotos, auf denen das gleiche zu sehen ist. Hier fand ich eben diese Dokumente spannend, denn Hsieh überlässt es den jeweiligen Museen, was sie von diesem Werk ausstellen: alles? Nur eine Stempelkarte oder 150? Nur das Video und nicht die Bilder? Nur ein paar Bilder und kein Video? Ich finde dieses flexible Kunstwerk sehr interessant, mal abgesehen von der Performance an sich, die mir fassungslose Bewunderung abringt.

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Julian Röder, from the series: „Human Resources“, 2007–2009
backlight illuminated A1A transfer print in aluminium frame, 70 x 50 cm
Courtesy the artist and Russi Klenner, Berlin

Ich habe mich gefreut, mal einen Blick auf Andrea Frasers Untitled von 2003 werfen zu können, denn davon hatte selbst ich, die immer noch erschreckend ungebildet ist, was zeitgenössische Kunst angeht, etwas gehört. Ich zitiere die Künstlerin, die den Begleittext zu ihrem Werk selbst verfasste:

„Das Projekt Untitled begann im Herbst 2002, als Fraser den Galeristen Friedrich Petzel bat, einen Sammler zu finden, der an einem Projekt partizipieren würde, bei dem dieser Sex mit der Künstlerin in einem Hotelzimmer haben würde und die Begegnung auf einem vorab gekauften Videoband dokumentiert werden sollte. Der Verkauf war arrangiert und die Künstlerin und der Sammler trafen sich in einem Hotel in New York Anfang 2003. Das entstandene Video, das bis auf die Löschung des Tons unbearbeitet blieb, wurde als Kunstwerk definiert; von der Auflage von fünf erhielt der teilnehmende Sammler die Auflagennummer 1/5.“

Fraser stellt das Werk nur noch äußerst selten in Sammelausstellungen aus; stattdessen ist es fast ausschließlich in ihren Werkschauen zu sehen. Umso mehr hat es mich gefreut, es im Kunstbau zu finden. Auch hier ist die Aufstellung wichtig: Man sieht dem tonlosen Video auf einem kleinen Monitor zu, der in Kniehöhe in einer Ecke gedrängt steht. Man kann sich nicht hinsetzen und entspannt einem Geschlechtsakt zugucken, sondern lungert irgendwie komisch-voyeuristisch im Museumsgang rum. In unserer Gruppe kam die Frage nach dem Jugendschutz auf, woraufhin die Kuratorin erklärte, dass man sich bewusst gegen irgendwelche Hinweisschilder entschieden habe, sondern die Menschen an der Kasse angewiesen sind, Familien mit Kindern oder Jugendliche darauf hinzuweisen, welche Art Material zu sehen sein wird. Die Idee fand ich sehr gut; das Kunstwerk bekommt so keinen seltsamen Schmuddelcharakter, und einen persönlichen Hinweis finde ich eh netter als noch mehr Schilder bzw. Text an den Wänden. Wobei ich dessen Menge sehr angenehm fand.

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Ausstellungsansicht PLAYTIME
Dieter Roth, „Solo Szenen“
Dan Perjovschi, „Still Drawings Moving News“
Foto: Lenbachhaus
Städtische Galerie im Lenbachhaus, München

Weitere Lieblinge der Ausstellung waren die Bürozeichnungen von Peter Piller, die zwischen 2000 und 2004 entstanden. Als Angestellter einer Medienagentur verarbeitete er den schnarchigen Büroalltag auf dem Firmenbriefpapier, das jetzt mit Sätzen und Bildern versehen gerahmt im Museum hängt. Oder die Fotoserie Human Resources von Julian Röder. Erst in dieser Ausstellung ist mir die Perfidie dieses Begriffs so richtig aufgefallen. Außerdem die Wandbemalung von Dan Perjovschi. Er gestaltete, mit dicken Eddings ausgestattet, die Wandfläche direkt am Eingang und stimmt einen so auf die Ausstellung ein. Mir kam sein Werk zwar eher politisch motiviert vor anstatt dass es dem Motto der Ausstellung folgte, aber vielleicht ist es bei ihm eher die Arbeit des Wandbeschriftens an sich und nicht so sehr der Inhalt, der passt. Er leistet für die Ausstellung eine Arbeit, und mit dem Ende der Schau endet auch sein Werk, denn die Wände werden wieder überstrichen. Das fasst er übrigens selbst ganz rechts unten in der Ecke zusammen: “They pay me to mess with their walls, can you believe it?”

PLAYTIME läuft noch bis zum 29. Juni. Den Katalog kann man sich tollerweise für lau als eBook runterladen. Keine 40 Euro, keine drei Kilo Papier.

12.05.2014

Warum hier zwei Wochen nichts los war

Mich hatte ein Referat im Griff.

In meinem Kunstgeschichtskurs über bayerische Klöster seit den Karolingern wurden nicht wie sonst in der ersten Semesterwoche die Referate verteilt, sondern erst in der zweiten Sitzung. Und da Frau Naseweis ja unbedingt das Mittelalter wollte, wurde ihr Referatwunsch entsprechend quittiert: „Gut, dann sind Sie in zwei Wochen die erste.“ Ächz.

Zwei Wochen hört sich nach viel Zeit an (jedenfalls war halb Twitter dieser Meinung), aber ich habe in den letzten Semestern festgestellt, dass ich mit mindestens drei Wochen am besten arbeite. In der ersten Woche lese ich kreuz und quer alles, was mir unter die Finger kommt, am liebsten Aufsätze, denn die sind kürzer als Bücher und schon sehr speziell, was es mir erleichtert, eine ebenso spezielle Fragestellung zu entwickeln, mit der ich mich im Referat beschäftigen möchte. Außerdem dient die erste Woche dazu, in der Unibibliothek und der Stabi alles zu bestellen, was ich klicken kann und dann drei bis fünf Tage darauf zu warten, dass die Bücher in meinem Abholfach liegen.

In der zweiten Woche, in der ich so gut wie alles Material habe, das ich brauche, lese ich gründlicher bzw. suche gezielter nach Antworten auf die Frage, die ich hoffentlich inzwischen formuliert habe. Meist finde ich in Fußnoten noch weitere Literatur, in die ich mal reingucken will, und da ich ja noch über eine Woche Zeit bis zum Referat habe, klappt das meistens auch.

In der dritten Woche steht mein Referat schon ziemlich. Ich halte es mir selbst einmal, wobei ich grundsätzlich merke, was geht und was nicht: Wo muss ich Inhalte vorziehen oder zurückstellen, damit mir meine ZuhörerInnen folgen können, wo brauche ich ein Bild, wo nicht und was muss ich kürzen, damit ich nicht länger als die geforderten 20 Minuten werde. Ich musste bis jetzt immer kürzen: Wo ich am ersten Tag denke, keine Ahnung, wie ich jemals die Zeit rumkriegen soll, habe ich schon nach wenigen Tagen meist genug, um eine Stunde zu reden.

Wenn das Referat steht, bastele ich die Präsentation dazu. In Kunstgeschichte wollen wir immer Bilder sehen, in Geschichte war das bisher noch nicht nötig, aber das ändert sich vermutlich nächste Woche, denn da steht lustigerweise schon das nächste Referat an, weswegen es hier wahrscheinlich nach diesem Eintrag wieder ruhiger wird. Nach der Präsentation kommt noch das Handout für die KommilitonInnen, das quasi aus meinem Referat besteht, das ich auf Stichpunkte runterkürze und mit einer kleinen Literaturliste versehe.

Was ich an drei Wochen Zeit auch schätze, ist die Möglichkeit, zwischendurch einen Tag alles liegenlassen zu können. Ich mag es sehr gerne, den Kopf alleine weiterarbeiten zu lassen, während ich mich um andere Dinge kümmere, um dann nach einem Tag Pause frisch auf alles draufzugucken. Die drei Wochen geben mir auch einen kleinen Puffer, falls einer der hirntoten Tage kommt, an denen nichts geht. Das kenne ich schon von der Arbeit: Es gibt einfach Tage, an denen weißt du, dass du jeden Satz, den du jetzt gerade schreibst, morgen wieder löschst, weil er fürchterlich ist. Das beunruhigt mich nicht mehr so wie früher, weil ich weiß, dass das nur eine Phase ist. Diese Ruhe habe ich an der Uni aber noch nicht, weil ich mich da um lauter Themen kümmere, um die ich mich vorher noch nie gekümmert habe. In der Werbung, gerade wenn es um Autokataloge geht, weiß ich, was auf mich zukommt. In meinen Referaten weiß ich das nicht, da finde ich dauernd neue Fakten und Daten und lustige Einzelheiten, die ich gestern noch nicht wusste und die manchmal meine schöne These ruinieren, weswegen ich noch mal neu rangehen muss. Und dann ist es praktisch, wenn man drei Wochen Zeit hat.

Zu guter Letzt bietet mir diese Zeit auch die Möglichkeit, über den Tellerrand wegzugucken: Ich befasse mich nicht nur mit meinem speziellen Thema, sondern schaue mir auch das Umfeld an. Bei Hans Memling also: Was hat er von seinem (vermuteten) Lehrmeister Rogier van der Weyden mitgekriegt und wie malten die Italiener zu seiner Zeit? Bei Archipenko: Wie sah die Kunstszene in Paris und Berlin in den Zehnerjahren des 20. Jahrhunderts aus, was machten Picasso, Brancusi und Gris gerade? Und bei den German Sales: Wie sehen andere Datenbanken aus, was Inhalte und Funktionalität angeht? Ich sitze dann vorne nicht wie ein Fachidiot, sondern kann einschätzen, wo sich mein Thema einordnet.

Das ging dieses Mal alles nicht. Zusätzlich lag der 1. Mai in meiner Vorbereitungszeit, an dem alle Bibliotheken geschlossen haben, und von den wichtigen Büchern konnte ich mir gerade eins ausleihen, alle anderen standen im Historicum oder meiner geliebten KuGi-Bib, was mir aber am Feiertag so gar nichts brachte. Netterweise war ausgerechnet der 1. Mai der Tag, an dem mein Kopf überhaupt keine Lust hatte, weswegen das nicht weiter schlimm war. Trotzdem war es wieder ein Tag weniger, und ich war eh schon nervös genug, denn übermäßig viel Literatur hatte ich nicht gefunden, vor allem kaum wirklich neue, was der Dozent explizit gefordert hatte: „Nichts, was älter ist als zehn Jahre.“

grundriss
(Grundrissrekonstruktion der ersten Klosterkirche. Quelle: Dannheimer, Hermann: Frauenwörth. Archäologische Bausteine zur Geschichte des Klosters auf der Fraueninsel im Chiemsee, München 2005, S. 40.)

Mein Thema war das Kloster Frauenwörth auf Frauenchiemsee. Die Ansage: „Was wissen wir eigentlich über Torhalle und Kirche?“ Ich suchte im OPAC also brav nach dem Kloster, fand eine Aufsatzsammlung von 2003 und entschied, die geht gerade noch, sowie einen Ausgrabungsbericht von 2005. Der brachte mich zu einem Grabungsbericht von 1966, und zusätzlich fand ich Rezensionen zu diesen Berichten, die die wissenschaftliche Diskussion der letzten 50 Jahre in Ansätzen nachzeichneten. Die Berichte befassten sich aber nicht nur mit Torhalle und Kirche, sondern auch mit den Klostergebäuden, dem Campanile, dem Friedhof und einzelnen Details wie den Bildprogrammen in der Kirche, einer Kapelle in der Torhalle und dem Kirchenportal mit seinem Tympanon und dem Türzieher. Ich hatte also einen Berg an Zeug und fand blöderweise immer mehr Zeug, denn die eben angesprochenen wissenschaftlichen Diskussionen wollte ich gerne selbst nachvollziehen. Das heißt, ich verließ mich nicht auf einen Halbsatz in einer Rezension, sondern suchte die Originalquelle. Deswegen verfranste ich mich langsam in der Stofffülle – was genau an der Torhalle und der Kirche wollte ich eigentlich besprechen? Die Architektur? Die Ausgrabungen? Die Bildprogramme?

Am Wochenende vor dem Referat war ich kurz davor, das Ding abzusagen, weil ich immer noch keinen roten Faden hatte, immer noch keine wirkliche Frage, aber dafür immer mehr Daten, Fakten und Namen, die sich in meinem Kopf gefühlt zu nasser Watte knüllten, ohne eine Chance für mich, irgendetwas fassen zu können. Ich erzählte mir meine Stoffsammlung selber, um so ein Ziel zu finden, fand es zwar nicht, merkte aber, dass ich mal wieder viel zu viel hatte und brach nach 35 Minuten Reden ab. Die Bildprogramme flogen raus, aber mehr wusste ich nicht. Erst beim Einschlafen kam der rettende Gedanke, der mir heute so logisch erscheint, dass ich mich frage, wieso ich nicht früher draufgekommen bin: Ich vergleiche die beiden Grabungsergebnisse und ihre Rezensionen und erzähle ganz simpel nach, einmal für die Kirche, einmal für die Torhalle, welcher Wissenschaftler wann was gesagt hat und wie er es begründet. Also: Wissenschaftler A findet ein altes Fundament unter der bisher als ältesten Kirche angenommenen, datiert es auf dann und dann und glaubt, es könnte eine Saalkirche gewesen sein. Wissenschaftler B glaubt, es könnte eine dreischiffige Basilika gewesen sein und begründet das so. Wissenschaftler C sagt, alles Quatsch, Jungs, Saalkirche it is und zwar deswegen. Genauso mit der Torhalle: „Der Putz ist von dann und dann.“ „Ja, aber der Holzfußboden ist älter.“ „Schnickschnack, Fußboden, ich hab hier einen Holzspan im nachweisbar ältesten Kalkmörtelestrich und der ist noch älter, ätsch!“

Damit konnte ich endlich mal wieder beruhigt schlafen, kürzte am Dienstag meinen Textwust auf eine anständige Menge runter und bereitete gleichzeitig die Präsentation vor. Im Laufe meiner Stoffsammlung hatte ich mir immer brav aufgeschrieben, wo welcher Grundriss und wo welches Diagramm zu finden war, um es schnell einscannen zu können. Das hatte ich Montag schon gemacht – viel zu viel gescannt, aber egal, das hatte ich jetzt Dienstag alles griffbereit und konnte es gemütlich in Keynote ziehen. Dienstag abend nahm ich mir frei, um am Mittwoch, nach der üblichen Nacht-zum-drüber-Schlafen, aus dem Referat das Handout zu erstellen. Dafür brauchte ich bis 22 Uhr – ich hatte ja auch noch Uni und Hausaufgaben –, hielt mir dann quasi zum ersten und einzigen Mal das Referat mit der Präsentation zusammen und ging gefühlt so unvorbereitet wie nie ins Bettchen.

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(Portal mit Tympanon der Klosterkirche Frauenwörth. Quelle: Brugger, Walter/Weitlauff, Manfred (Hrsg.): Kloster Frauenchiemsee 782–2003. Geschichte, Kunst, Wirtschaft und Kultur einer altbayerischen Benediktinerinnenabtei, Weißenhorn 2003, S. 69.)

Am Donnerstag saß ich ab acht in der Uni, konnte da also auch nicht mehr machen als in jeder Pause zwischen den Seminaren noch mal meine Notizen zu überfliegen, wenn ich nicht gerade mit Gebäude- bzw. Raumwechsel oder Jogurt essen beschäftigt war. Um 14 Uhr war ich dann dran – dachte ich jedenfalls. Aber eine Kommilitonin begann vor mir: Ihr Thema war St. Emmeram in Regensburg, das weitaus wichtigere Kloster als mein kleines, schnuffiges Frauenwörth, an das ich ein bisschen mein Herz verloren habe. Sie begann, ohne ein Handout auszuteilen, was mich etwas wunderte, aber ich wollte auch nicht danach fragen. Das hatte ich auch schon öfter gesehen: Referentinnen, die so nervös waren, dass ihnen erst nach ihrem Referat einfiel, dass sie ja noch ein Zettelchen für uns hatten. Also sagte ich nichts, sondern hörte ihr zu, wenn auch etwas angestrengt, weil ich keinen roten Faden fand. Der Dozent anscheinend auch nicht, denn nach fünf Minuten stellte er die Killerfrage: „Geht das so weiter?“ Der Kurs zuckte wahrscheinlich ähnlich fies innerlich zusammen wie ich, keine Ahnung, wir saßen nur lämmergleich da und guckten starr nach vorne, wo die Referentin sich ihr eigenes Grab schaufelte, indem sie auf die Frage, welche Literatur sie denn benutzt habe, antwortete: „Ich hab ein paar Kirchenführer gelesen.“

Daraufhin wurde die Atmosphäre noch mal ungemütlicher, ich verabschiedete mich innerlich von einer guten Note, ging aber nach einer etwas lauteren Ansprache des Dozenten an den Kurs nach vorne und begann, mein Macbook mit dem Beamer zu verbinden, was meist nie auf Anhieb klappt. Währenddessen fragte eine Kommilitonin, wie sich der Dozent denn ein gutes Referat vorstellte; die Antwort habe ich nicht mitgekriegt, ich befand mich in den Systemeinstellungen und betete, dass die Beamergötter mich heute bitte liebhaben mögen, was sie taten: Alles ging, ich teilte mein Handout aus und hielt mein Referat, von dem ich bis eine Sekunde nach dem „Danke für eure Aufmerksamkeit“ nicht wusste, ob es totaler Quatsch war. War es anscheinend nicht, denn nachdem ich fertig war, drehte sich der Dozent zu der Kommilitonin von vorhin um und meinte: „Um Ihre Frage noch mal zu beantworten: So stelle ich mir ein gutes Referat vor.“

Ich war äußerlich natürlich professionell unbeeindruckt, aber eigentlich war ich Beckerfaust.

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Gelernt: Ich kann anscheinend in zwei Wochen ein ziemlich gutes Referat hinkriegen. Dafür komme ich aber nicht mehr zum Bloggen, zu Museumsbesuchen oder zum entspannten Biergartensitzen. Daher bleibe ich lieber bei meinem Drei-Wochen-Rhythmus. Dann bin ich auch weitaus ausgeglichener und muss vor allem keine Jobs für Geld absagen, was ich letzte Woche in meiner Unizeit das erste Mal getan habe, weil ich meinem Kopf und meinem Zeitplan schlicht kein Platz mehr war.

Und jetzt stürze ich mich wieder ins nächste Referat, dieses Mal über die Gartenlaube. Ich freue mich schon sehr auf das Buch über die Mund- und Kieferheilkunde in dieser Publikation.

01.05.2014

Die letzten Wochen auf Instagram oder: Mein Geburtstagsgeschenk auf dem Weg von Hamburg nach München

06.04.2014

Radfahren in Hamburg vs. Radfahren in München

Ich nutze mein Rad nicht, um damit lauschige, stundenlange Radtouren zu veranstalten oder mal das Umland meiner derzeitigen zwei Wohnorte zu erkunden. Ich nutze mein Rad ganz simpel als Fortbewegungsmittel, um damit in die Uni zu kommen, in den Supermarkt, in die Bibliothek, zum Gesangsunterricht, zur Lieblingsweinbar oder ins Fußballstadion. Ich fahre selten Umwege (außer wenn ich dringend zum Münchner Königsplatz muss, weil mich der immer so schön runterkommen lässt), sondern meist nur da, wo ich eben lang muss. Daher ahne ich, dass man zu allen Punkten, die im Folgenden kommen, genau das Gegenteil sagen kann, sowohl für Hamburg als auch für München, weil die Städte eben nicht nur aus den Strecken von meiner Wohnung zum Supermarkt, zur Uni und zum Fußballstadion bestehen. Aber netterweise ist das hier mein supisubjektives Blog und daher wumpe.

Radwegsqualität

Hamburg hat Radwege, die ihren Namen sehr oft nicht verdienen. Damit meine ich nicht, dass die Bezeichnung „Radweg“ übertrieben ist – schon das Wort „Weg“ ist ein gewagter Euphemismus. Ich kenne Kreuzungen, an denen ein frisch gepflasterter, wunderschöner, breiter, nagelneuer roter Radweg übergeht in: nichts. Man radelt lustig vor sich hin, hält brav an der Ampel, fährt über die Straße – und darf sich dann blitzschnell entscheiden, ob man auf dem Fußweg weiterfährt oder sich spontan in die von hinten kommenden Autos einreiht. In 150 Metern fängt der Radweg überraschend wieder an. Dann allerdings gerne in der Variante „60 Zentimeter schmales Stückchen Buckelpiste, das seit 30 Jahren von Baumwurzeln untergraben wird“. Oder in der Variante „rotes Arschloch-Pflaster aus den 70ern, das einem die Kraft direkt aus den Unterschenkeln zieht“. Oder in der Variante „ausgeblichene Linie auf dem Fußweg, die jeder Fußgänger ignoriert, weswegen man besser auf der Straße fährt“.

Es ist nicht alles fürchterlich, Hamburg hat auch sehr schöne Radwege, aber bis jetzt bin ich auf nicht viele von ihnen gestoßen. Ich habe auf meinen Strecken noch keine einzige entdeckt, auf der der Radweg sich nicht spätestens alle 500 Meter verändert. Immerhin lerne ich so, sehr vorausschauend zu fahren: Ich muss nicht nur auf sich öffnende Beifahrertüren achten, Fußgänger und Radfahrer, die einem entgegenkommen (darauf komme ich gleich nochmal zurück), sondern auch darauf, wo zum Geier der Radweg jetzt vielleicht weitergehen könnte.

München scheint eher damit zu rechnen, dass Menschen auf Fahrrädern in der Stadt unterwegs sind. Dort lässt es sich weitaus besser fahren, vor allem im Univiertel, wo quasi per Naturgesetz viele RadlerInnen unterwegs sind (und wo ich wohne). Viele kleine Straßen in der Maxvorstadt haben keine Radwege, aber man kann entspannt auf der Straße fahren, weil die AutofahrerInnen wissen, dass viele von uns Studis unterwegs sind, und in die schmaleren Einbahnstraßen darf man als RadlerIn auch in die entgegengesetzte Richtung fahren. Was München allerdings hat, was Hamburg nicht hat: die Tram. Vor der und ihren Schienen habe ich einen gehörigen Respekt und daher vermeide ich es, wenn es geht, in Straßen zu fahren, in denen auch die Tram fährt.

Noch mal zum Univiertel: Das ist in Hamburg ein einziger Schmerz im Arsch, jedenfalls per Rad. Die AutofahrerInnen haben eine schöne zwei- bis vierspurige Straße von der Grindelallee bis zum Dammtor, die RadlerInnen hingegen teilweise ein 80-Zentimer-Streifchen, auf dem auch gerne Autos parken und wo gerade jetzt eine lustige Baustelle alles noch enger macht. Teilweise ist dort auch ein richtig toller Radweg, schön breit, direkt an der Straße, wo einen alle sehen – und dann kommt von der Staatsbibliothek bis zum Dammtor ein Radweg, der für beide Richtungen gilt. Darüber musste ich sehr lachen, denn:

Geisterfahrer

Ich habe es in München zweimal gewagt, auf dem Radweg auf der falschen Straßenseite zu fahren (also entgegen der vorgesehenen Fahrtrichtung), weil’s eben kürzer war als bis zur nächsten Ampel zu fahren und dort zu wenden. Beide Male bin ich richtig schön angekackt worden und seitdem fahre ich brav nach Verkehrsregeln, weil ich sehr ungern angekackt werde.

In Hamburg interessieren irgendwelche Regeln keine Sau. Jeder fährt, wo gerade Platz ist, egal, ob auf dem Fußweg oder in der falschen Richtung. So lange nichts passiert, ist alles super, jedenfalls scheint das das ungeschriebene Gesetz in Hamburg zu sein. Ich als in München gedrillte Fahrerin werde dabei irre. Wie ich oben schon schrieb: Man muss zu allen üblichen Dingen, auf die man auf dem Rad achtet, auch auf Gegenverkehr achten. Und das leider nicht auf den anständigen Münchner Radwegen, sondern auf den fürchterlich schmalen Buckelpisten. Ich konnte mich anfangs nicht so recht entscheiden, ob ich das Konzept „Jeder fährt, wie er will“ besser finde als „Jeder fährt, wie er soll“, aber inzwischen bin ich gnadenlos bei „Fahrt gefälligst, wie’s in der StVO steht, ihr Nervensägen!“ Denn das ist deutlich entspannter. Und ja, ich fahre auch in Hamburg bis zur nächsten Ampel, um zu wenden. Mein kleines Stück Bayern im Norden. Was mich zum nächsten Punkt bringt:

Hügeligkeit

Man glaubt ja immer, der Norden sei so schön flach. Denkste, Puppe. Was mir im Bus oder zu Fuß nie so extrem aufgefallen ist: Hamburg ist eine einzige Hügellandschaft. Es geht wirklich ständig auf und ab. Nie so richtig hoch und richtig runter, aber in meinem Kopf denke ich dauernd: „Gnarg, Steigung, wiiiiiiii, ABWÄRTS!“ Wohingegen in München, wo man bei Föhn quasi mit der Hand die Alpen anfassen kann: alles platt. Ich kenne nur zwei Steigungen in München: Eine geht zum Grünwalder Stadion hoch, wo die Bayern-Amateure spielen, und sie ist OBERFIES, und die zweite ist am Rosenheimer Platz am Gasteig. Da darf ich in diesem Semester jeden Dienstag Morgen um 7.45 Uhr hoch, weil mein Italienischkurs an der VHS im Gasteig stattfindet. Aber so richtig schreckt mich das nicht, denn:

Fahrgefühl

In München rase ich nicht mit dem Rad – ich radele stattdessen entspannt in der Gegend rum. Vielleicht liegt es auch hier wieder an den Strecken, die ich fahre. Die Ludwigstraße zwischen Siegestor und Feldherrnhalle fahre ich extra langsam, weil ich so gerne die Gebäude angucke. Über den Odeonsplatz, an der Residenz vorbei zum Marienplatz muss ich langsam fahren, weil da Fußgängerzone ist – in der ich laut Schild im Schritttempo fahren darf, sonst würde ich das NIE TUN. Ist mir sehr recht, denn auch hier gucke ich gerne rum (die Drückebergergasse! die Oper! das Residenztheater! die Maximilianstraße! der Dallmayr! der Dom!). Erst ab Marienplatz nehme ich ein bisschen Fahrt auf, wenn ich in Richtung Sendlinger Tor fahre, vor allem, weil es da ausnahmsweise mal bergab geht („wiiiiiiii“).

Meine andere Lieblingsstrecke ist, wie schon erwähnt, über den Königsplatz und da fahre ich quasi in Zeitlupe, damit es möglichst lange dauert, über ihn rüberzukommen. Eine andere Strecke, die ich öfter fahre, ist an der Nymphenburger Straße lang – hier gibt es zwar weniger historische Ensembles zu gucken, aber der Weg ist angenehm, er führt unter Bäumen entlang und komischerweise habe ich es in München eh nie eilig, daher fahre ich auch hier eher gemächlich.

In Hamburg erwische ich mich hingegen dauernd dabei, schnell zu fahren. Das könnte auch an meinem Rad hier liegen, es ist leichter als mein Münchner Rad und ich fahre deutlich weiter vornübergebeugt. Der letzte Link ist nur so halbrichtig: Meins ist ein Damenrad, aber sonst sieht’s ungefähr so aus. Ja, ich fahre ein Aldi-Rad. Als ich mir überlegte, mal wieder Rad zu fahren, wusste ich nicht, ob das so mein Ding sein würde (little did I know), also wollte ich nicht ganz so viel Geld ausgeben. Wie sinnvoll das ist, vielleicht doch etwas mehr Geld auszugeben, merke ich an meinem Stevens-Rad: Es ist nicht viel leichter als das Aldi-Ding, aber meine Güte, fühlt es sich leichter an! Es ist deutlich leichtgängiger und gefühlt viel wendiger. Trotzdem werde ich die Räder vermutlich nicht tauschen, auch wenn ich inzwischen mehr Zeit in München verbringe als in Hamburg: In Hamburg mit seinen fiesen Wegen und dauerndem Auf und Ab brauche ich den kleinen Flitzer viel mehr als in München, wo ich ein behäbiges Schlachtross bewege. Passt schon.

Ich habe letzte Woche endlich mein Auto verkauft und natürlich lautstark auf Twitter bzw. Facebook rumgejammert, aber dann auch festgestellt: Ich habe seit 27 Jahren das erste Mal kein Auto mehr. Aber dafür zwei Fahrräder.

Frau @hammwanich hatte dazu einen schönen Kommentar: Vier Räder sind vier Räder. Stimmt.

18.03.2014

Food for Thought

Omi hat uns früher immer Kalten Hund/Kalte Schnauze/Kalten Arsch zum Geburtstag gebacken. Ich backe lieber Käsekuchen.

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Sieben Eier. Das gibt Ärger mit der VeganerInnenfraktion. Food – you’re doing it wrong. Geht mir ja schon auf den Zeiger, diese ewige Futterdiskussion. Andererseits denkt man so über Dinge nach, über die man sonst eben nicht nachdenkt. Irgendwer muss einem ja etwas sagen, damit man sein eigenes Handeln reflektiert. Vielleicht doch nicht so doof. Aber das geht neuerdings gefühlt immer gleich von Null auf Hundertachtzig. Nie wieder Fleisch versus Jetzt erst recht. Nie wieder Industriefutter versus Ei-Ersatz und Sojasahne. Auch gerne bei anderen Themen, zum Beispiel, was jetzt der richtige oder der falsche Feminismus ist. Beine rasieren, ja oder nein? Binnen-I oder Gender-Gap? (Das finde ich übrigens auch immer putzig – Leet Speak ist cool oder hier, Wahnsinn, Alter, „Erster und letzter Buchstabe des Wortes reichen, den Rest schafft der Kopf alleine“, toll, wa, aber sobald irgendwo ein großes I auftaucht, sind alle angeblich völlig überfordert.) Beruflich Karriere machen oder Vollzeitmutter sein? Lippenstift oder Latzhose oder womöglich, OMG, beides? Being a woman – you’re doing it wrong. Oder nie wieder Nespresso trinken, immer den Müll trennen, nur noch Öffis fahren oder Fahrrad, die richtige (?) Partei wählen, lieber die falsche Partei wählen als gar nicht, Fußball ist was für Idioten (IdiotInnen, Idiot_innen), Impfen macht autistisch, Stillen ist super, am besten ganz flach atmen und nicht aufs Gras treten, alle anderen sind doof, Pep knows best. Being human – you’re doing it wrong. Immer.

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Ich liebe es, mit Händen im Essen rumzuwühlen. Teig kneten ist großartig. Der Mürbeteig wird leider nicht richtig geknetet; ich hacke die Zutaten kurz mit meinem Lieblingsriesenmesser durch, quetsche das Häufchen aus Butter- und Zuckerkrümeln, Eigelbmatsch und Mehl zu einer Kugel zusammen und walke sie kurz durch, damit der Teig nicht zu klebrig wird. Hefeteig ist toll, den könnte ich ewig kneten, der vermittelt so ein seltsam ambivalentes Gefühl an die Hände, er ist warm, aber durch seine Glätte irgendwie kühl, er ist gleichzeitig zart und zäh, ich spüre fast die Oberflächenspannung, wenn ich ihn verarbeite. Beim Ausrollen zuckt er bockig in seine ursprüngliche Form zurück und ich muss an die beknackten Schönheitstipps in Frauenzeitschriften denken, die einem sagen, wenn man die Haut zwischen zwei Finger nimmt, kurz hochzieht und wieder fallenlässt, soll die wieder so aussehen wie vorher, sonst müsse man dringend viel trinken oder am besten 20 Jahre jünger werden. Ich frage mich bei derartigem Quatsch erstens, wer sich so was ausdenkt und zweitens, wieso ich mir so was merke. Und ich denke an meinen Lieblings-Calvin-und-Hobbes, wo Calvin Hobbes fragt: Wer hat eigentlich als erstes Kuheuter angeguckt und sich gedacht, egal was da rauskommt, ich trink’ das jetzt?

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Ich wollte noch googeln, woher das Wort „blindbacken“ kommt. In unserer Speisekammer steht ein Weckglas mit einem Pfund Linsen drin und mit denen backe ich seit Jahren blind. Jedesmal, wenn ich sie benutze, denke ich, ich müsste mal etwas Schwereres finden, trockene Bohnen vielleicht, die sehen auch niedlicher aus als die banalen Linsen, aber dann ist der Teig fertig, ich fülle die Linsen zurück ins Glas und vergesse es wieder. Ach ja, und ich wollte noch googeln, woher das Wort „blindbacken“ kommt.

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Ich habe zwei orange- und zwei beigefarbene Schüsseln zum Backen. In der einen hohen orangefarbenen schlage ich immer Eiweiß oder püriere Zeug, die anderen drei haben verschiedene Größen und stehen ineinandergestapelt in einer Schublade. Ich weiß nicht, ob meine Mutter schon mit diesen Schüsseln gebacken hat, ich erinnere mich nicht an das Handwerkszeug, nur noch, dass wir viel gebacken haben und dass immer Margarine in die Teige kam statt Butter. Aber zum Auszug habe ich diese Schüsseln mitnehmen dürfen und seitdem benutze ich sie. Das ist, glaube ich, das erste Mal, dass ich sie im Blog herzeige, denn kein einziges Nahrungsmittel sieht in orangefarbenem oder beigem Plastik gut aus, nicht mal so leuchtende Wunder wie Quark und Zitronenschale. Aber die Schüsseln sind von Mama, sie gehören seit 25 Jahren zu mir und sie werden erst durch weiße oder Metallschüsseln ersetzt, wenn sie von selbst auseinanderfallen.

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Ich muss endlich daran denken, meinen Münchner Mixer zur Reparatur zu bringen. Als ich meine kleine Studentinnenbutze einrichtete, kaufte ich so günstig wie möglich, also auch einen preiswerten Mixer und eine Billokopie meiner geliebten Microplanereibe. An der Reibe habe ich mir fünfmal irgendwelche Finger blutig gerieben, bevor ich sie entsorgte und mir wieder das Original kaufte (seitdem kein Blut mehr im Essen). Wenn ich meine Haushalte wieder zusammenlege, habe ich den Luxus von zwei Reiben – die mit dem grünen Griff aus München werde ich dann nur noch für Zitrusfrüchte nutzen, die mit dem schwarzen Griff aus Hamburg für Käse. Auch den Mixer werde ich doppelt haben, denn auch da habe ich den Billigscheiß nach nur zwei oder dreimal nöligem, weil unkomfortablem Benutzen verschenkt und mir genau den gleichen gekauft, den ich auch schon in Hamburg habe. Aber wo mir der Hamburger seit Jahren treue Dienste leistet, hat der Münchner jetzt leider eine Macke: Er kann nur noch eine Geschwindigkeit, nämlich die höchste, was zwar besser ist als keine Geschwindigkeit, aber beim größeren Mengen Mehl so ziemlich alles einsaut, was in Mixernähe ist. (Meaning: me.)

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Ich liebe Zitronen. Schale, Saft, Kuchen, Limo, Alsterwasser/Radler, meine Güte, gehen mir diese zwei Sprachen auf den Keks. Manchmal rutscht mir in Hamburg ein „SERVUS“ raus, was selten gut ankommt, denn gefühlt mag niemand im Norden die BayerInnen. Das „MOIN“ in München wird eher unbeeindruckt zur Kenntnis genommen, aber man identifiziert mich sofort als Nicht-Einheimische, weswegen ich bei meiner Metzgerin immer doof nachfragen darf, wenn ich ihr tiefes Bairisch nicht verstehe. Ich glaube, sie spricht auch extra langsam für mich. Gut, dass „Zitrone“ überall gleich heißt. Die kann ich nur dann nicht ab, wenn sie in meiner Coke light rumlungert, die ich ab und zu noch in Cafés bestelle – dann landet sie sofort in der Serviette.

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Irgendwann werde ich eine Ode an den Teigschaber dichten.

Festgeschmaddert in der Schüssel
klebt der Teig, aus Mehl und Schmand.
Heute muss der Kuchen werden,
frisch, GesellInnen, seid zur Hand.
Von der Stirne heiß
rinnen muss der Schweiß,
soll das Werk die MeisterIn loben;
doch der Segen … ist der Teigschaber.

Könnte man eventuell noch mal beigehen.

kuchen_auskuehlen

Die linke Tür im Hintergrund führt in unsere Abstellkammer (eine Mindestanforderung an jede meiner Wohnungen, die in München hat auch eine), die zweite in die Speisekammer. Die Speisekammer ist im Winter gefühlt kälter als der Kühlschrank, aber im Sommer heizt sie kaum auf. Man kann selbst bei 30 Grad Außentemperatur Gemüse in ihr rumliegen lassen, was mich jedesmal verzückt. Direkt nach dem Foodcoaching standen in ihr zwei Schüsseln mit Tomaten und ein paar Nudelpackungen. Nach und nach wurde sie immer voller, ich musste zusätzliche Regalbretter anbringen für die ganzen Köstlichkeiten, dann kamen irgendwann auch noch zwei Weinregale dazu, die quellen auch schon über, Weinregale sind die neuen Bücherregale, kommt, wir machen noch ein paar klassistische Shelfies mit 800 Jahre altem Whisky und Mammutfleisch und Eiswürfeln aus der Antarktis, die besonders knusprig im Kristallglas knistern. Internet. You’re doing it wrong.

Kann endlich mal jemand googeln, woher „blindbacken“ kommt?

kuchen_fertig

(Edit: Frau Esskultur erklärt mir auf Facebook das Blindbacken, und ich bin noch mehr verliebt: „blindbacken: wie blindtext. also mit einem ersatz für die echte fülle vorbacken, damit [der teig] flach und knusprig bleibt. die blindfülle ist platzhalter für die eigentliche fülle, wie blindtext eben. blindbacken ist quasi das lorem ipsum der küche.“)

15.03.2014

Kunst gucken: „Mondrian. Farbe“, Bucerius-Kunst-Forum Hamburg

(Dieser Eintrag steht auch in meinem Zweitblog, in dem die Bilder etwas größer sind.)

Piet Mondrian (1872–1944) dient bei Quengelnden über abstrakte Kunst gerne als Beispiel für „kann ich auch“ oder „was solln das“. Genauer gesagt, sind es seine Kompositionen aus Linien und Farbflächen, die gerne für deppige Bemerkungen herhalten müssen. (Ich quengele lieber über dusselige Produktverpackungen, mag aber das Mondrian-Dress von Yves Saint Laurent sehr gerne.) Auch deswegen fand ich die Ausstellung Mondrian. Farbe im Bucerius-Kunst-Forum sehr gut, weil sie den Weg von Mondrians Landschaften im 19. Jahrhundert zu seinen Gitterbildern ganz einfach nachvollziehbar macht.

Mondrian-Ausstellung

Ausstellungsansicht „Mondrian. Farbe“, Foto: Ulrich Perrey.

In den ersten Räumen sehen wir eben diese Landschaften: Breite Pinselstriche und erdige, unverklärte Farbtöne werden langsam zu leicht abstrahierenden Flächen und Farben. Auch die Szenerie ändert sich fast unmerklich: Wo anfangs noch ein Hauch von Genremalerei zu spüren war, verzichtet Mondrian bald darauf, eine Geschichte erzählen zu wollen, eine Szene zu etablieren: Er schaut, malt, geht weiter. Es geht ihm scheinbar nicht mehr um die reine Abbildung, wenn auch durch seine Augen, sondern um einen flüchtigen Eindruck, der rasch festgehalten werden soll. Licht, Schatten, Nebel, Stimmungen werden wichtiger als das Motiv selber. Die Striche werden flächiger, die Szenerie abstrakter, aber dadurch auch – jedenfalls für mich – stimmungsvoller.

Ich gebe zu, ich bin (noch?) nicht der größte Fan von Landschaftsmalerei; vor Bildern mit Bäumen und Wolken und Seen stehe ich meist etwas ratlos. Das ist alles hübsch, und ich weiß auch um die Entwicklung von Fantasielandschaften in Bildern zu besonders schön angelegten echten, die gemalt wurden, weil sie eben so schön waren, bis hin zu Bildern im 19. Jahrhundert, wo das Zufällige in der Natur plötzlich Motiv war, aber irgendwas will da nicht zu mir sprechen. Ich gucke mir das an, finde es hübsch und habe es zwei Meter weiter wieder vergessen. Deswegen mag ich wahrscheinlich die Landschaften von van Gogh so gerne, weil sie nicht pur abbilden, sondern mir zeigen, was der Maler in ihnen gesehen hat – und das ist deutlich unvergesslicher. Mein Liebling ist der Blick auf Arles (1889), der praktischerweise in der Neuen Pinakothek hängt und vor Farbe, aber auch vor innerem Schmerz nur so strotzt. Das sieht man bei Mondrian nicht; in seinen Bildern spüre ich keine innere Spannung, die sich in Baum- und Himmelsdarstellungen ausdrückt, aber stattdessen ein intuitives Gefühl dafür, was gerade das Besondere in diesem Moment, an diesem Ort ist.

In den Nuller- und Zehnerjahren des 20. Jahrhunderts begann Mondrian, seine Farbpalette zu erweitern: Aus den erdigen, weichen Tönen wurden kräftige Grundfarben, die seine Landschaften völlig veränderten. Das kann man hervorragend in der Ausstellung nachvollziehen, bei der man nicht mal einen Audioguide braucht. An den Wänden und an den Werken selbst stehen knappe, sehr informative Texte, die einem das nötige kunsthistorische Rüstzeug mitgeben. Und selbst wenn man sie nicht durchliest – die Hängung erklärt es genauso nachdrücklich.

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Piet Mondrian: „Zeeuws(ch)e Kerktoren (Kirchturm in Zeeland)“, 1911,
Öl auf Leinwand, 114 x 75 cm, Gemeentemuseum Den Haag.
© 2014 Mondrian/Holtzman Trust
c/o HCR International USA

Mein Liebling war Die rote Mühle (1911) und das obenstehende Werk, der Kirchturm in Zeeland (1911). Bei der Mühle mochte ich den Bildausschnitt; das Motiv muss nicht mehr ganz gezeigt werden, um zu wirken, gerade die Beschneidung macht es so spannend. Und beim Kirchturm gefiel mir die Farbe, die natürlich am Bildschirm nicht annähernd so wirken kann wie im Original. Das ganze Gebäude scheint nur noch aus Farbflächen zu bestehen, die Dreidimensionalität wird nur noch angedeutet; das Objekt ist nicht mehr wichtig, die Farbe ist es. Sonnenuntergangsrosa trifft auf Dämmerungsviolett, das Licht, das durch das Blätterdach fällt, schafft grüne und blaue Flächen, die Fenster der Kirche leuchten türkis, der Boden versinkt schon fast in Nachtblau. Vor dem Bild stand ich mindestens zehn Minuten und wollte es am liebsten mitnehmen.

Schließlich trennte ich mich doch und ging in den ersten Stock, wo genau die Bilder hängen, bei denen man so schön „kann ich auch“ sagen kann (wenn man doof ist). Die chronologische Hängung macht es auch hier ganz einfach, die Entwicklung nachzuvollziehen: von der Komposition im Oval mit Farbfeldern (1914), die noch die Pastelltöne der Landschaften mitzunehmen scheint über die Komposition mit Gitter 8 (1919, ebenfalls im letzten Link zu sehen), die erstmals in der Kunstgeschichte konsequent ein Raster nutzt, um das Bild zu unterteilen – bis hin zu den Kompositionen aus Linien und den drei Grundfarben. Anfangs nutzte Mondrian noch Schattierungen von Grau; es lässt erahnen, dass man Farben modellieren kann, um aus ihnen Körper entstehen zu lassen. Zum Schluss verzichtet Mondrian auch darauf – er konzentriert sich auf die Grundfarben, Weiß und Schwarz. Die einzige „Körperlichkeit“, die noch zu ahnen ist, sind die verschiedenen Richtungen, in die der Pinselstrich geht, der so eine kleine Dynamik in der Strenge erzeugt.

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Piet Mondrian: „Komposition mit Blau und Gelb“, 1932, Öl auf Leinwand, 45,4 x 45,4 cm, Denver Art Museum.
© 2014 Mondrian/Holtzman Trust
c/o HCR International USA

Leider nicht in der Pressedatenbank: die Komposition mit Linien und Farben III (1937), die ich persönlich am liebsten mochte. Auch vor diesem Bild stand ich gefühlt ewig rum, während hinter mir die BesucherInnen kurz anhielten, guckten, innerlicher Monolog wahrscheinlich: „Linien, blaues Rechteck, alles klar, hab ich, weiter“ und zum nächsten Bild gingen. Klar kann man so auf abstrakte Bilder gucken und ich gebe zu, auf die meisten neuen Richter-Bilder gucke ich inzwischen so. (Mein derzeitiges Lieblingsspiel in jedem zeitgenössischen Museum: Spot the Gerhard Richter. Funktioniert immer. Kurz den Blick schweifen lassen, ah, da hinten hängt er, alles klar, hab ich, weiter.) Man kann aber eben auch gefühlt ewig davor stehen. Mir ist bei diesem Bild zum ersten Mal aufgefallen, dass ich abstrakte Bilder genauso angucken kann wie nicht-abstrakte. Bei einem Raffael gucke ich immer nach der Feinheit des Heiligenscheins, nach den Augen und Lippen. Bei van der Weyden achte ich auf Hautgestaltung, Handhaltung, Faltenwurf der Kleidung. Bei einem van Gogh vertiefe ich mich in Pinselstrich und Farbauftrag. Und bei diesem Mondrian war ich damit beschäftigt, die Linienstärke zu betrachten, die nicht überall gleich ist. Ich habe geschaut, ob alle Linien bis an den Bildrand gehen (gehen sie nicht). Wie dicht sie aneinander liegen bzw. wie weit auseinander. Wo kreuzen sich Linien, wo stoßen sie nur aufeinander? Das Bild hat mir durch die intensive Betrachtung die gleiche innere Ruhe bzw. Transzendenz vermittelt wie die angesprochenen Raffaels und van der Weydens, vor denen ich ähnlich lange stehe und mich schlicht in ihnen und ihren Details verliere. Das habe ich selten vor einem abstrakten Gemälde, und daher war ich freudig überrascht, als ich entdeckte, dass das auch möglich ist.

Die Ausstellung läuft noch bis zum 11. Mai, ist täglich von 11 bis 19 Uhr (Donnerstags bis 21 Uhr) geöffnet und kostet 8 Euro Eintritt (ermäßigt 5, für Kunstgeschichtsstudis und alle unter 18 frei). Auch den Katalog kann ich empfehlen; die Bilder sind nicht ganz so toll, wie ich sie gerne hätte, aber die Texte fand ich sehr aufschlussreich und lesenswert. Den Audioguide kann man sich übrigens schon vor dem Besuch runterladen.

08.03.2014

Let it Go

Was mir meine Gesangslehrerin seit langem versucht abzugewöhnen, ist mimisches Quengeln. Ich neige dazu, nach jedem Lied den Mund zu verziehen, denn besser geht’s immer und Frau Gröner, die Streberin aller Streberinnen, will es gefälligst perfekt hinkriegen. Neben „Mund verziehen“ kann ich noch „nölig ausatmen“, „verächtliche Handbewegung machen“ oder alles zusammen. Martina meinte irgendwann nach jedem Stück: „Nein, du machst jetzt nichts. Du stehst da jetzt gefälligst einfach mal rum, atmest normal und machst gar nichts. Wenigstens für ein paar Sekunden. Das war nämlich gut, auch wenn du das nicht glaubst.“ Nicht sie ist es, die mich dafür anpault, wenn ein Ton nicht klang wie einer von der Callas, sondern ich. Ich und mein völlig überzogener Anspruch an meine Leistung, die nicht mal eine sein muss, denn ich bin zum Spaß hier und nicht, weil ich damit Geld verdienen muss. Nach dem Kommando „Hab Spaß“ kann ich übrigens auch prima den Mund verziehen, nölig ausatmen und verächtliche Handbewegungen machen.

Das mache ich seit ein paar Monaten nicht mehr – oder wenigstens deutlich weniger. Was ich stattdessen mache, ist loszulassen (ich schrieb schon mal darüber) und mir und meinem Körper zu vertrauen. Der weiß nämlich, wie das geht mit dem Singen, und wenn ich ihn lasse, dann klingt es ziemlich okay. Oder gut. Oder toll, weiß ich nicht, ich bin eventuell mit verächtlichen Handbewegungen beschäftigt. Aber es wird wirklich weniger. Inzwischen kann ich mich breit grinsend freuen, wenn ich Oper gesungen habe. Denn gerade die wirft mich in ein Dutzend Gefühle auf einmal, und ich glaube, mein innerer Mechanismus, der alles schlecht machen will, kommt einfach nicht mehr hinterher damit, wie er sich jetzt gefälligst zu fühlen habe. Zuerst habe ich Angst, denn es ist schließlich PucciniMozartBizet. Dann kommen die ersten Töne, da taste ich meistens noch etwas rum, bin noch nicht richtig da, werde quengelig, es ist schließlich PucciniMozartBizet, dann geht’s das erste Mal richtig nach oben, das wackelt gerne etwas und ich werde vor Ehrfurcht atemlos, ES IST SCHLIESSLICH PUCCINIMOZARTBIZET, aber interessanterweise stürzen keine Wände ein, wenn ich einen hohen Ton singe, keine Nachbarn klingeln, meine Lehrerin bekommt keinen Herzinfarkt und es sterben keine Katzenbabys. Ich kann hier stehen und singen, und alles, was passiert, ist, dass ich hier stehe und singe. Aber das musste ich erst hundertmal machen, bevor ich es geglaubt habe.

Was passiert, wenn ich mich machen lasse? Ich halte die Töne nicht fest, so dass sie am Ende irgendwie gequetscht klingen, sondern lasse sie frei. Ich musste mich daran gewöhnen, sehr laut zu sein, und ich muss mich immer noch daran gewöhnen, die Kontrolle abzugeben. Es fällt mir überhaupt nicht schwer, da oben im zweigestrichenen Bereich rumzuturnen, aber ich will das alles festhalten, was ich da mache, ich will es nicht hergeben, ich will es kontrollieren, denn vielleicht sterben doch Katzenbabys, wenn ich es nicht tue. Wahrscheinlich muss ich es erst tausendmal machen, bevor ich es WIRKLICH glaube. Ich arbeite daran.

Musicals sind wieder was anderes. Die klingen nicht nach Kopfstimme, wie ich sie in der Oper einsetze – die klingen nach viel Kraft. Hier kann ich noch weniger loslassen, denn die Bruststimme sitzt viel zu nahe an mir und meinem Herzen dran, als dass ich sie einfach machen lassen kann. Hier halte ich noch mehr fest und will noch mehr kontrollieren. Und was ich dagegen tue, widerstrebt mir komplett, aber es funktioniert blöderweise: Ich singe, so albern ich kann.

Ich HASSE es, auf Kommando albern zu sein. Ich nehme diesen Singkram viel zu ernst, als dass ich mal eben die großen Powerballaden wie Defying Gravity (oder auch die Klassik) veralbern könnte. Aber so geht’s immer, und so ging’s auch vorgestern. Ich erzähle meiner Lehrerin, wie mein Tag so war: „Something has changed within me / Something is not the same / I’m through with playing by / the rules of someone else’s game“ und ignoriere dabei, dass ich von „the“ zu „rules“ mehr als einen Oktavsprung nach oben mache. Und ich achte beim „me“ darauf, dass ich kein kleines I-Mündchen mache und „miii“ singe, sondern mehr so „meh“. Und bei „game“ hänge ich nicht auf dem blöden M rum, sondern schön auf dem A und halte das gefälligst nicht fest, sondern lasse es los. Und zwar, während ich die Arme ausgebreitet habe, als ob ich Obelix umarmen wollte, mit den Händen wackele wie Jim Knopf und mir vorstelle, dass mein Kopf an einer Schnur hängt, die mich kerzengerade hält. Wenn ich zum Playback singe, also nicht am Klavier begleitet werde, hat Martina Zeit, meine Gesprächspartnerin zu sein. Wenn ich ihr also albern rumzappelnd erzähle, dass something in mir gerade gechanged hat, kommt von ihr mittendrin ein „Ach was?!“, damit ich bloß nicht wieder anfange, das ernst zu nehmen, was ich da mache. „Echt? Erzähl mir mehr. Voll spannend!“ Und irgendwann fühlt es sich dann wirklich wie ein Frauenabend mit zu viel Rotwein an, wo man über die Jungs lästert, anstatt wie die große Ballade, die beschreibt, das ab jetzt alles verdammt noch mal anders wird, BIG TIME, BABY.

Vielleicht gerade, weil es mir fürchterlich gegen den Strich geht, hat mein Körper vorgestern einen guten Tag gehabt. Normalerweise gehe ich spätestens beim c” in die Kopfstimme – heute ging auch das e” noch mit der Bruststimme. Ohne dass ich es wollte, ohne dass ich es darauf angelegt hatte, es kam einfach so und zwar, weil ich rumgealbert habe und so damit beschäftigt war, über mich selbst zu lachen, dass ich keine Zeit mehr hatte, irgendwelche Töne festzuhalten, die anscheinend dringend von mir wegwollten.

Das war allerdings deutlich anstrengender als sonst. Ich hatte zum ersten Mal mitten im Lied das Gefühl, dass ich mich jetzt gerne setzen und einen Schnaps trinken wollte, aber ich habe mit Playback gesungen und das zieht mich immer irgendwie mit. Als der herrliche Kampfschrei zum Schluss durch war, war ich es auch, und obwohl sich meine Schultern zwei Meter breit anfühlten und die Energie meiner Endorphine wahrscheinlich eine durchschnittliche Großstadt hätten beleuchten können, war ich nicht so euphorisch wie sonst, sondern eher: „Ach, so kann sich das anfühlen. Cool!“

Als Rausschmeißer haben wir einen anderen Liebling von mir gesungen, Can’t help lovin’ that man of mine. Und wo ich eben noch unglaublich laut und kraftvoll war, war ich jetzt ganz klein und kuschelig, so klein und kuschelig war ich noch nie, und ich habe ungefähr fünfzehnmal mitten im Lied entweder „wow“ gesagt oder angefangen zu heulen, weil es so unfassbar gut klang. Ich habe alle Töne losgelassen, die noch da waren; ich war so fertig von Defying Gravity, dass ich keine Kraft mehr hatte, irgendwas machen zu wollen, irgendwie zu arbeiten, zu pushen, zu meckern, ich habe nur noch machen lassen und es war großartig. Als das Lied vorbei war, habe ich nicht nölig geatmet und keine verächtliche Handbewegung gemacht, weil ich zum ersten Mal in den zweieinhalb Jahren, in denen ich jetzt wieder singe, das Gefühl hatte: So soll’s sein. So soll sich’s anfühlen.

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16.02.2014

Everyone I have ever slept with

(Überschrift natürlich geklaut bei Tracy Emin)

Du warst im Zug in ein anderes Land und ich dachte, ich wäre in einem Zug in ein anderes Leben und für den Weg zwischen Nürnberg und Wien waren wir zusammen und ich weiß nicht mehr, wie du heißt.

Du warst der mit der Freundin und dem geradeschlussgemacht, dem Hotelzimmer, dem Shirt von ihr, das ich jetzt trug, und dann warst du die Freundin mit dem geradeschlussgemacht, die ihr Shirt wiederhaben wollte und dem Abend, an dem wir viel redeten und viel tranken und du hast nach Erdbeersekt geschmeckt und ich habe dir die Haare gehalten und dir das Shirt wiedergegeben.

Du warst eine Feder, du hattest Flügel, ich hatte noch nie so wenig Gewicht auf mir und du hattest zarte, leichte Flügelfinger und einen weichen, geflügelten Rücken und das Licht war zart und leicht und weich und hatte Flügel und ich hatte sie auch.

Du warst derjenige mit der anderen Augenfarbe.

Du warst eine Party, auf die ich nicht wollte, ein Song, den ich nicht mochte, ein Bier, das nicht schmeckte und ein Auto, das nur Blödmänner fahren.

Du warst ein Geheimnis, das keines war, und du hast mir einen Brief geschrieben, von dem ich bis heute bereue, dass ich ihn irgendwann weggeworfen habe.

Du warst der, der plötzlich weg war. Du warst ausgefranst, unscharf. Ich wiederholte ein Best-of unserer Momente in meinem Kopf, aber es hörte immer mittendrin auf. Ich wartete jahrelang auf die Fortsetzung, aber sie kam nicht. Deine Bilder waren wie eine alte Videokassette, die immer schlechter wurde, je öfter man sie abspielte.

Du warst eine Überraschung und du trägst einen Namen, den ich viel zu oft in meinem Leben gehört habe, aber das wusste ich damals noch nicht.

Du warst der, bei dem ich sicher war.

Du warst der, der mir weh tat.

Du warst die Einsamkeit.

Du warst die Neugier.

Du warst ein fremdes Land und eine fremde Sprache und gleichzeitig derjenige, bei dem man beim „Hallo“ wusste, wo die Geschichte enden wird und ich habe „Hallo“ gesagt, weil ich sie genau dort enden lassen wollte.

Du warst der, bei dem jemand anders sagte, du wärst der für mich, und das warst du auch, aber ich war plötzlich nicht mehr ich und deswegen warst du plötzlich nicht mehr du und ich googele immer noch nach dir und gucke bei Maps, wo du wohnst.

Du warst der mit den Händen.

31.01.2014

„Und, Anke, wie war so dein drittes Semester?“

(Erstes, zweites Semester)

Ich habe gelernt, dass ich noch irrwitzig viel lernen muss und will. Ich begreife so langsam, was das Fach Kunstgeschichte alles zu bieten hat an Richtungen, Theorien, KünstlerInnen, HistorikerInnen, und ich weiß wirklich nicht, wer sich ernsthaft nach sechs popeligen Semestern hinstellt und sagt, klar bin ich KunsthistorikerIn. Ich kriege hier so viel Zeug vor die Nase und sauge es auf und wurste es in meinem Kopf durch, aber ich weiß jetzt, dass da draußen noch so wahnsinnig viel mehr rumliegt. Und wo ich im ersten Semester dachte, ach du Scheiße, drei Jahre Uni, denke ich jetzt, WAS, NUR DREI JAHRE UNI, DA SCHAFF ICH JA NIX!? Ich bin jetzt halb durch mit dem Bachelor und denke schon über den Master nach. (Und nicht über meinen Kontostand.)

Ich habe gelernt, wie schnell ich auch in wissenschaftlichen Diskussionen auf den Barrikaden bin. Mein liebster Geschichtskurs hieß Geschlecht im Zeitalter der Extreme 1900–1939 und befasste sich mit Männlichkeitsbildern, Frauengeschichte und dem Verhältnis der Geschlechter zueinander. Und egal um welches Thema es bei den Damen ging – ich habe es nicht geschafft, darüber sachlich und distanziert zu diskutieren. Zu merken, dass wir heute noch elende Diskussionen führen, die wir schon vor 50, 100 oder 200 Jahren geführt wurden, hat mich unglaublich genervt und müde gemacht. Zu lernen, dass die dusseligen Geschlechtszuschreibungen (Frauen sind so, Männer sind so, Natur, Biologie, isso, kannste nix machen) ein Konstrukt der Aufklärungszeit sind, das aber bedingt, dass Frauen sich heute noch rechtfertigen müssen, wenn sie beruflich arbeiten wollen und Männer, wenn sie lieber Gardinen aussuchen und Kinder großziehen möchten, regt mich seit der Unterrichtsstunde auf, in der wir darüber was gelesen haben. Ich hatte 25-Jährige neben mir, die sich „nur für sich schminken“ und aufbrezeln und verkennen, dass die eigentliche Freiheit, sich schminken zu dürfen, ohne für eine Prostituierte gehalten zu werden, sich irgendwann wandelte in einen Zwang, es zu müssen, wenn man als „weiblich“ gelten will, was auch immer das heißt. Ich habe darüber diskutiert, wie sehr Konsum weiblich konnotiert ist und warum das doof ist, weil Männer schließlich auch einkaufen. Ich habe dagegen anargumentiert, dass es eine tolle Möglichkeit ist, dass „wir Frauen“ unseren Typ ständig ändern können (heute verrucht, morgen der Kumpel), weil „die Männer“ locker auf diese angebliche Freiheit pfeifen und einfach immer sie selbst sind, ohne sich verrenken zu müssen und irgendwelchen Stereotypen genügen zu wollen. Ich habe versucht zu erklären, warum Kinder und Job zwar eine kleine Freiheit, aber gleichzeitig eine große Doppelbelastung für Frauen in den 1920ern war, weil damals das Konzept „Männerarbeit im Haushalt“ schlicht noch nicht angedacht war und dass sich nicht so irrwitzig viel geändert hat, auch wegen der oben angesprochenen Zuschreibungen, die beiden Geschlechtern schaden. Ich hatte des Öfteren den „Oma Gröner erzählt vom Krieg“-Tonfall drauf und war komplett von mir selbst genervt. Der Rest des Kurses, glaube ich, nicht, aber dafür hatten die Mädels meist den verklärten „Bei mir wird alles anders“-Blick drauf. Hmja. So hab ich mit 20 auch geguckt.

Learnings für das nächste Semester: nur noch Kurse belegen, die mich persönlich nicht betreffen. Wird super.

Ich habe gelernt, dass meine Toleranz für doofe Ausflüchte an der Uni ähnlich gering ist wie im Job, was aber damit zu tun hat, dass ich inzwischen beides kenne. Vor 20 Jahren habe ich ähnlichen Quatsch von mir gegeben und war total von der Richtigkeit desselben überzeugt. Sätze wie „Ich hab’s nicht geschafft, den Text zu lesen, ich hatte so viel zu tun“ ziehen automatisch meine Augenbrauen nach oben und ich denke dann, den Spruch solltest du mal im Arbeitsleben bringen, Hase. Im ersten Semester wollte ich noch Kontakte zu KommilitonInnen knüpfen, um mit Gleichgesinnten über Kunst reden zu können, aber ich merke jetzt doch, dass eine kleine Welt zwischen uns liegt, vor allem was die Herangehensweise an Arbeiten, Lesestoff und Deadlines geht. Ja, ich habe auch Texte fürs Dienstagsseminar manchmal erst Montag um Mitternacht gelesen, aber ich habe sie gelesen und mir nicht stattdessen eine Ausrede überlegt.

Ich habe gelernt, dass das Leben an zwei Orten gleichzeitig manchmal Vorteile hat. Gut, die Nachteile überwiegen – anderthalbfache Miete, Flugkosten, Fernbeziehung, mein Lieblingsshirt liegt grundsätzlich am anderen Ort und ich weiß nie, wo was im Kühlschrank vorrätig ist –, aber ich kann nicht nur in einer, sondern in zwei Staatsbibliotheken Bücher ausleihen. Ha!

Ich habe gelernt, dass ich stolz auf meine Leistungen bin und freiwillig viel für gute Noten tue.

Ich habe gelernt, dass ich immer weniger Verständnis für die Beschränkung von Wissen habe. In meinen ersten beiden Semestern Kunstgeschichte habe ich mich, warum auch immer, um Zeitschriftendatenbanken etwas herumgedrückt; in meinem wirklich grandiosen Basiskurs Geschichte wurde ich allerdings liebevoll gezwungen, mich da mal durchzuwühlen. Und, man glaubt es kaum, so ein Aufsatz ist echt schneller durchgelesen als ein Buch! Wer hätte es gedacht. Und es gibt zu jedem noch so obskuren Thema jemanden, der sich schon mal darüber Gedanken gemacht hat, damit ich sie zitieren kann. Aber: Man kommt nicht an alle Gedanken ran. Viele Zeitschriften sind noch nicht digital erhältlich (warum, wenn sie gedruckt irgendwo rumliegen?) und viele andere befinden sich hinter Bezahlschranken. Selbst die Journale, für die meine wunderbare Institution einen Zugang übers Uninetz bereitstellt, geben manchmal erst Artikel raus, die vor, sagen wir: 2008 erschienen sind. Hallo? Ich kann verstehen, dass die HerausgeberInnen dieser Magazine ihre neuen Ausgaben nur gegen Geld zur Verfügung stellen, aber hey: Fünf Jahre alte Artikel für wissenschaftliche Zwecke nicht umsonst abrufbar zu machen, ist einfach lächerlich. Gilt auch für nicht-wissenschaftliche Zwecke, wenn ich’s mir recht überlege. Was nützt das ganze Wissen, wenn niemand rankommt? Ich hätte meiner geschätzten Leserschaft in den letzten Monaten gerne alles verlinkt, was ich lese, because awesome. Geht aber nicht, außer diese Leserschaft ist selbst in irgendwelchen Uninetzen unterwegs. Doof, das. Ändert das!

Ich habe gelernt, dass ich wissenschaftliche Texte inzwischen wie Literatur verschlinge. (Okay, bei Kunstgeschichte sind auch ne Menge bunte Bilder in den Büchern, das hilft.) Ich lese den Kram so unglaublich gerne, dass es mich selbst immer wieder verblüfft. In jedem Text stecken so viele neue Gedankengänge, denen ich folge, über die ich nachdenke, während der Text weiterfließt, und am Ende tauche ich aus den Buchstaben genauso neu auf wie nach einem Ausstellungsbesuch oder einer guten Vorlesung. Ich nehme aus jedem Text so viel mit und kann es beim nächsten Text, im nächsten Seminar, bei der nächsten Hausarbeit anwenden. Klingt simpel, aber in den letzten Jahren war ein Buch für mich ein abgeschlossener Kosmos, der damit endete, dass ich den Band zurück ins Regal stellte. Jetzt wirken Seiten, Sätze, Worte viel länger nach und auf einmal ergibt vieles Sinn, dem ich vor anderthalb Jahre noch schulterzuckend oder ratlos gegenüberstand. Ich glaube, ich habe das Konzept „Wissenschaft“ verstanden.

Ich habe erleichert festgestellt, dass der Fachwechsel von Musikwissenschaft zu Geschichte eine sehr gute Idee war. Geschichte ergänzt mein geliebtes Hauptfach deutlich besser als die Musik, auch wenn die Kurse in Musik viel emotionaler und puscheliger waren und ich mich immer sehr gefreut habe, in ihnen zu sitzen. In Geschichte ist es weniger innerer Jubel, aber dafür, genau wie im Hauptfach, irrsinnige Neugier, über die ich mich manchmal wundere, die ich aber gleichzeitig freudig zur Kenntnis nehme. Selbst aus dem Kurs, dessen Dozentin ich eher so meh fand, der sich etwas zog und ein extrem undiskussionsfreudiges TeilnehmerInnenfeld hatte, selbst aus dem bin ich jedesmal rausgekommen mit dem Gedanken, ach guck, was du jetzt wieder weißt und gelernt hast und was du mit anderen Dingen in Verbindung bringen kannst. Der Kurs ging über Zeitschriften und Journale der Aufklärungszeit, und ich glaube, ich habe diese Zeit noch nie so gut verstanden wie jetzt. Denn lustigerweise puzzelt mein Kopf nicht nur die kunstgeschichtlichen Entwicklungen in den historischen Ablauf, sondern auch die alten Kenntnisse aus der Musikwissenschaft und der Fortentwicklung der Klassik von Haydn über Mozart zu Beethoven passen auf einmal. Haben sich die zwei Semester Müsique dann doch gelohnt.

Ich habe wiederholt festgestellt, wie sehr ich es mag, in Bibliotheken zu sitzen. Das wird immer toller, weil ich allmählich weiß, wo überall die Uni München welche hat, in welcher ich lieber bin als in anderen (bessere Stühle, bessere Luft, besseres Licht, größere Auswahl an freien Plätzen) und vor allem: wie gut ich dort arbeiten kann. Mit dem neuen Fach kam auch eine neue Bibliothek ins Spiel, nämlich die im Historicum, die die größte geschichtswissenschaftliche Bibliothek Deutschlands ist. Und so gerne ich unsere überschaubare KuGi-Bib mag – die Historicums-Bibliothek hat sofort den ersten Platz in meinem Herz erobert. Fünf Stockwerke voller Bücher und Zeitschriften winseln in Freistunden um meine Anwesenheit, und ich gebe jedesmal nach, obwohl ich in acht Minuten mit dem Fahrrad zuhause sein könnte. Aber zuhause gucke ich eh bloß Serien weg, während ich in der Bibliothek auch gerne mal was für eine Automarke texte, Magazinartikel für einen neuen Kunden verfasse oder ohne Plan an das Regal mit den Zeitschriften gehe (mein Liebling: das Archiv für Kulturgeschichte) und mich irgendwo festlese.

Ich habe in meiner Lieblingsvorlesung über Ausstellungskonzepte der letzten 60 Jahre gelernt, dass Kunst nicht nur aus Werken besteht, sondern aus Ideen und Positionen. Es geht in der zeitgenössischen Kunst nicht mehr um das Bild oder die Skulptur, die vor mir steht, sondern um den gedanklichen Prozess, der in sie eingeflossen ist. Es geht nicht mehr um den Geniebegriff, den wir seit der Renaissance mit uns rumschleppen und der jahrhundertelang einen großen Künstler oder eine große Künstlerin definiert hat. Der Weg von Alleskönner Leonardo zu Beuys, der bekanntlich sagte, jeder wäre ein Künstler, ist mir zum ersten Mal klargeworden. Ich habe gelernt, dass Kunst nicht im luftleeren Raum entsteht und/oder zeitlos ist, dass sie nicht nur einen Geistesblitz braucht oder ein einmaliges Talent. Ich habe gelernt, dass Kunst bedeuten kann, sich mit dem Selbst, der Umgebung, dem politischen Klima oder anderer Kunst zu befassen und das alles seine Richtigkeit und Wertigkeit und Sinnhaftigkeit hat, wenn man sich darauf einlässt. Diese Vorlesung war ein größeres Geschenk als die Dozentin wahrscheinlich ahnt.

Ich habe mal wieder festgestellt, dass ich für alles zu begeistern bin, wenn es mir anständig präsentiert, erklärt, vorgesungen, vorgemacht wird. Das ist einerseits toll, andererseits doof, weil: Vor dem Studium so RENAISSANCE RULES! Nach dem ersten Semester so GOTISCHE KATHEDRALEN, BITCHES! Nach dem zweiten ALTER, SKULPTUREN! Und nach dem dritten ZEITGENÖSSISCHE KUNST WHERE HAVE YOU BEEN ALL MY LIFE?

Ich muss im vierten Semester meine Vertiefungskurse wählen und ich habe nicht den Hauch einer Ahnung, was ich vertiefen will. Und „Hauch einer Ahnung“ ist schon ein Euphemismus.

20.01.2014

Kunst gucken: Unpainted 14, Postpalast München

(Dieser Eintrag steht auch in meinem Zweitblog, in dem die Videos eine anständige Größe haben.)

Ich klaue mal von der offiziellen Website: „Die UNPAINTED media art fair ist Münchens erste Messe für digitale Kunst und Medienkunst.“ Heißt im Klartext: relativ wenig Raum für relativ viele Kabel, Monitore, Festplattenrecorder, DVD-Player und Ausstellungsstücke. Im runden Postpalast konnte man in der Mitte halbwegs ordentlich um die Kunstwerke rumgehen oder auch mal Abstand zu ihnen gewinnen; in den umliegenden Kabinetten war das manchmal etwas schwerer, weil die gerne sehr voll waren und gefühlt zehn Quadratmeter pro Kabinett eben schnell voll sind. Daher sind mir auch mehr im Innenraum Werke aufgefallen, weil ich bei denen nicht ständig das Gefühl hatte, irgendwem im Weg zu stehen.

Meine erste Entdeckung ist schon über 20 Jahre alt, aber das würde ich mir sofort an die Wand hängen: Die Serie Leaving Shadows (1989–97) von Stephan Reusse hat mir sehr gefallen. Am ersten Bild stand noch nichts von den Schatten dran, daher habe ich mir selbst zusammengereimt, dass das wohl Wärmespuren sind oder einfach gefakte Hinterlassenschaften eines Menschen, der jetzt nicht mehr da ist. Mir gefiel es sehr, einen Gegenstand zu sehen, der noch menschliche Spuren trägt, eine Erinnerung, eine Anmutung – ein totes Objekt zeigt ein lebendes. In der Ausstellung hingen unter anderem der Blue Chair (siehe Link) und der Thonet Chair, der leider nicht online ist, aber für 5.400 Euro meiner gewesen wäre.

Ebenfalls auf meiner Einkaufsliste hätten die Aluminium-Captchas von Aram Bartholl gestanden (Serie Are You Human? (2009–13), die ich schlicht clever finde. Beim Durchblättern des Ausstellungskatalogs fiel uns auf, wie viel man von Bartoll kennt: Map zum Beispiel, die Dead Drops oder How to Build a Fake Google Street View Car – alles Werke, die man durch Twitter oder Blogs mitbekommen hat, was für mich schön die Vernetzung von Netzkunst zeigt.

Sehr gut unterhalten hat mich Uterus Man (2013), ein Anime von Lu Yang, der netterweise komplett online steht (ihr könnt euch also die 15 Euro Eintritt sparen, aber die Ausstellung läuft eh nur noch heute). Ich mochte die Idee sehr, dass eine ureigene weibliche Eigenschaft als Superkraft interpretiert wird, was sie ja auch ist – da können wir mal etwas, was wirklich noch kein Mann jemals hinbekommen hat. Bis Uterus Man kam, der die Nabelschnur als Peitsche benutzt, eine Monatsbinde als Skateboard und das Baby als Waffe. Ist übrigens sehr interessant, wie er das Baby zur Welt bringt. Ich stand elf Minuten gut unterhalten im Kabinett.

Uterus Man full version 2013 finally released !!! by LuYang from LuYang on Vimeo.

Ich verweilte noch bei Sabine Pigalle, deren Dutch Last Supper (2012) mir natürlich gefallen hat, weil es so viel verbindet: ein klassisches Motiv (Abendmahl) mit klassischen Stilrichtungen (Stillleben) und der feministische Blick, indem die Männer aus dem Original zu Frauen wurden. Ihre Timequakes von 2011 und 2012 haben sich mir allerdings erst nach dem Blick auf ihre Website erschlossen: Eigentlich fand ich die Idee, moderne Menschen in alte Gemälde zu platzieren, eher so meh. Wenn man allerdings weiß, dass die Hintergründe die flackernden Lichter von Tokio sind, wo Pigalle sich während eines Erdbebens aufhielt, werden die Bilder plötzlich geerdet. Plötzlich hält man sich wieder an Althergebrachtem fest, während einem der Boden unter den Füßen weggezogen wird.

Dann lungerte ich bei Jacques Perconte rum, der es geschafft hat, dass mich zeitverzögerte Pixel an Monet erinnern. Sein Santa Maria Madalena (2013) ließ mich an die Zeit denken, als ich noch mit meinem 14.000er-Modem die Telefonkosten in die Höhe jagte, um mir dreiminütige Filmclips anzuschauen, die eine Stunde zum Laden brauchten und dann gerne mal so verzerrt waren wie Percontes Videos. Künstlerisch kann ich zu den Werken nichts sagen, außer dass sie mir persönlich gefallen habe, weil sie so schön in meine Biografie passen. Einer der ersten Maler, die ich mir gemerkt habe, war Monet mit seinem Seerosenteich, der in meinem liebsten Kinderkunstbuch abgebildet war. Dann wurde ich erwachsen und sprang ins Internet, und 20 Jahre später studiere ich Kunstgeschichte, stehe auf einer Kunstmesse und werde gleichzeitig an meine 20er und meine Kindheit erinnert. Well done, Jacques.

Jacques Perconte – Santa Madalena Rocha (madeira) – Enregistrement n°1 from Galerie Charlot on Vimeo.

Mein Liebling im Gewusel war ein Künstler namens Quayola. Er bezog sich auf die Werke Michelangelos (schon gewonnen). Seine Kunststoffskulpturen Captives (2013) reflektierten die Unfertigkeit vieler Stücke, die Michelangelo nie vollendet hatte. Die waren spannend, aber was mich wirklich begeistert hat, war eine Serie, die leider nicht online ist und deren Titel ich mir bräsigerweise auch nicht gemerkt habe. Man sah zwei Rahmen, in denen eine Skulptur von Michelangelo von einer sich ständig bewegenden Flüssigkeit überspült war – die Skulptur war nie ganz zu sehen, immer nur als Fragment. Ich mochte die Auseinandersetzung mit dem Wesen der Skulptur, die mir durch ihre Dreidimensionalität eine vollständige Ansicht gewährt – ich kann um sie herumgehen und sie mir von allen Seiten betrachten. Hier war sie auf einmal zweidimensional und nie ganz zu sehen, was mich gleichzeitig irre und sehr neugierig gemacht hat.

Online und mein Favorit von gestern: Strata #1 (2008) – von Strata gibt es mehrere Versionen, und überhaupt solltet ihr euch einfach die ganze Website anschauen. Ich kann gar nicht genau sagen, was mich so an diesem Video fasziniert hat – vielleicht ist es schlicht der Kontrast aus dem ewigen Kunstwerk mit den 500 Jahre alten, exakt komponierten Farben, aus dem plötzlich eben diese Farbtöne vorwitzig ausbrechen und sich neu und individuell arrangieren, sich zu neuen Konstellationen verbinden, neue Formen einnehmen und dazu auch noch einen schönen Soundtrack haben. Auch im Hinterkopf: der Anspruch der Kirche auf die einzig seligmachende Wahrheit, an dem plötzlich gerüttelt wird, Kunst, die sich gegen Dogmen stellt usw.

Strata #1 from Quayola on Vimeo.

Es gab noch viel mehr – viel zum Anfassen und Rumspielen, Werke, die plötzlich Töne von sich gaben oder sich veränderten, je näher man ihnen kam, alles hübsch, alles bunt, aber die obenstehenden Werke waren die, die mich wirklich beeindruckt haben. Einziger Wermutstropfen: Jetzt, wo ich Kunstgeschichte studiere, um mir den ganzen modernen Kram anständig erschließen zu können, habe ich keine Werbungshonorare mehr, um mir den ganzen modernen Kram auch leisten zu können. Irgendwo ist da immer noch ein Fehler in der Matrix.

04.01.2014

Kunst gucken: Eva Hesse/Gego, Kunsthalle Hamburg

(Dieser Eintrag steht auch in meinem Zweitblog, wo die Bilder ne Ecke größer sind.)

Es gibt ein Gefühl, das ich bisher nur nach aufwühlenden Kinofilmen oder Opernaufführungen kannte; wenn ich aus dem dunklen Zuschauerraum, in dem ich kurz Teil einer anderen Welt war, wieder hinaustrete und die Realität vor den Kopf geknallt kriege. Das Gefühl, diese Realität sofort wieder von mir wegstoßen, sie von mir abwischen zu wollen in ihrer Hektik, Lautstärke, dummen Nervigkeit. Dieses Gefühl kenne ich jetzt auch nach einem Ausstellungsbesuch.

In der Kunsthalle bzw. der Galerie der Gegenwart läuft noch bis zum 2. März eine Doppelausstellung von Eva Hesse und Gego. Zusätzlich ordnet die dritte Ausstellung Serial Attitudes die beiden Künstlerinnen in ihr zeitliches und künstlerisches Umfeld ein, was den Besuch perfekt macht. Ganz simpel ausgedrückt: Wenn man sich den ersten Stock und die Serial Attitudes anguckt, sieht man sofort, was an Hesse und Gego so besonders ist. Das heißt, man braucht kein Vorwissen und keine drei Semester Kunstgeschichte, sondern nur einen aufmerksamen Blick und ein bisschen Zeit. Wobei ich trotzdem ganz dankbar für die drei Semester Kunstgeschichte war, denn so konnte ich bei Serial Attitudes wieder die ganze Zeit innerlich rumquietschen, kenn’ ich, kenn’ ich, ha! Und weniger quietschig: Kannste dir gleich alles für die Klausuren im Februar über amerikanische Kunst und Ausstellungskonzepte merken.

Ich habe im dritten Stock mit Hesse angefangen. Das erste Objekt, um das ich ewig rumgeschlichen bin, war Accession III (1968), ein Würfel aus Glasfaser, Polyesterharz und Kunststoff, der in einem Raum stand mit Accretion (1968) und Repetition Nineteen III (1968).

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Eva Hesse, „Accretion“ (1968), Glasfaser und Polyesterharz, 50 Röhren zu je 147,5 x 6,3 cm, Kröller-Müller Museum, Otterlo/Niederlande.
Foto: Abby Robinson, New York
© The Estate of Eva Hesse. Courtesy Hauser & Wirth

Dass die drei Werke in einem Raum stehen, fand ich sehr schön, denn diese Aufstellung erinnert an die einzige Einzelausstellung, die Eva Hesse in ihrer kurzen Lebenszeit in den USA hatte: In der Fischbach Gallery in New York waren 1968 genau diese Werke ebenfalls in einem Raum versammelt, wenn auch in leicht anderer Anordnung. Aber das ist nur ein nettes Kopfnicken – was viel spannender ist, sind die drei Objekte.

Über Accession III habe ich mich gefreut, weil ich eine Variante, Accession II, schon in einer Vorlesung gesehen hatte. Mal wieder der Gemeinplatz: Bilder und Skulpturen direkt vor der Nase sind was anderes als Bilder und Skulpturen per Powerpoint oder Buch. Ich mochte die Materialität, den Kontrast zwischen den runden, weichen Röhrchen und den klaren, harten Kanten, die sie begrenzen. Noch besser gefallen hat mir allerdings Accretion, das schlicht durch seine Größe beeindruckt. Das sieht man auf dem Detailfoto leider nur im Ansatz, aber die 50 Röhren nehmen eine gesamte Wandlänge ein. Man kann ein, zwei, fünf Meter zurückgehen und das üppige Werk auf sich wirken lassen. Mir hat es gleichzeitig eine positive Verspieltheit als auch eine tiefe Ruhe durch seine Schlichtheit vermittelt. An den beiden Exponaten sieht man auch gut den Unterschied zwischen Hesses Postminimalismus und dem Minimalismus, dem man im ersten Stock begegnet. Wo der Minimalismus meist streng und gerade daherkommt und im Hinterkopf mathematische Formeln oder absolute Symmetrie mit sich rumschleppt, bricht der Postminimalismus hier und da ein Eckchen ab, nimmt es mit den Abständen zwischen den Einzelteilen des Objekts nicht so genau, nutzt weichere Materialien oder sichtbare Handarbeit, kurz: bringt wieder etwas Menschlichkeit in die immer noch klaren Konstrukte.

Das einzige, was an dem Raum ein winziges bisschen gestört hat, war die konsequente Aufmerksamkeit des Wachpersonals. Normalerweise gehen die AufseherInnen netterweise aus den Räumen, wenn man alleine reinkommt oder wenden sich ab, damit man sich nicht so beobachtet fühlt. Das Dumme an diesem Raum – was gleichzeitig das Tolle ist –: Die Exponate sind nicht abgesperrt, kein Seil oder Verglasung stört den unmittelbaren Kontakt zwischen BetrachterIn und Kunst. Das ist wunderbar, bedeutet aber auch, dass die AufseherInnen dafür sorgen müssen, dass man nicht zu nah rangeht. Um mich nicht ganz so doof zu fühlen, habe ich die Dame einfach mal angesprochen, ob sie gerne hier steht oder lieber drüben bei den alten Meistern. Sie meinte freundlich, dass sie die gegenständliche Kunst lieber möge, weil sie „das hier“ alles nicht verstehe. Da ist mir wieder aufgefallen, dass mir mein Studium ein weiteres großes Geschenk gemacht hat: Ich habe mich schon länger davon verabschieden können, irgendwas an der modernen Kunst verstehen zu wollen. Ich kann sie mir inzwischen einfach anschauen, ihre Konzepte würdigen und vor allem gucken, was sie mit mir macht. Meiner Meinung nach ist das die Triebfeder für Kunstgucken: Was passiert mit mir, in mir, wenn ich mich mit einem Objekt konfrontiere? Eigentlich genau das gleiche Motiv wie für einen Besuch im Theater oder der Oper, bei der man ja eh meist die Stücke kennt – und trotzdem sind sie jedesmal anders, und ich komme jedesmal anders aus ihnen heraus.

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Eva Hesse, „Repetition Nineteen III“ (1968), Glasfaser und Polyesterharz, 19-teilig, je 48,3 x 27,9 cm (Durchmesser), The Museum of Modern Art, New York.
Foto: The Museum of Modern Art, New York/Scala, Florence
© The Estate of Eva Hesse. Courtesy Hauser & Wirth

Meine liebste Skulptur gibt’s leider nicht als Pressefoto: No title (Seven Poles) von 1970, das einen Raum fast für sich alleine hat. Man kommt in den Raum hinein und hat dementsprechend erstmal eine Perspektive vorgegeben, aus der man sich das Werk betrachtet. Mein Kopf hatte sich bis hierhin brav zurückgehalten mit Interpretationen oder Assoziationen, aber hier klickte sofort was im Hirn und ich bekam die Ansage: Sieht aus wie Beine. Dagegen konnte ich dann auch nichts mehr machen, ging um das Werk herum und bemerkte, dass es sich gefühlt bewegte! Ich konzentrierte mich auf ein „Beinpaar“ und guckte, wie sich die Formation der anderen „Beine“ entwickelte, wenn ich meine Perspektive änderte. Und wo ich zunächst dachte, das sind gelangweilte Menschen, die auf einer Cocktailparty eng beieinander stehen und Smalltalk machen, sah es von der anderen Seite aus wie hektisches Großstadtleben, wo man fast über den Haufen gerannt wird.

Was mir an Seven Poles noch aufgefallen ist, allerdings eher bedauernd, ist die Fragilität der Exponate. Was Hesse zu Lebzeiten so besonders gemacht hat, nämlich das Benutzen und Verarbeiten von neuen, modernen Materialien, wird ihrem Werk jetzt zum Verhängnis. Es vergilbt und bröselt, der Draht, der die „Beine“ bildet, scheint zu rosten. Ein paar Räume vor den Poles hing ein weiteres Werk, das mich lange fesseln konnte: Sans II, das aus fünf einzelnen Zellkästen besteht, die blöderweise sonst in fünf unterschiedlichen Museen hängen. Hier ist die Skulptur wieder vereint und beeindruckt, genau wie Accretion, durch ihre raumgreifende und raumdefinierende Größe. Durch die fünf unterschiedlichen Aufbewahrungsorte und -umstände ist es unterschiedlich stark nachgedunkelt, was den Zusammenhalt des Werks etwas stört, es aber gleichzeitig nahbarer macht. Es scheint ein Eigenleben entwickelt zu haben, einen Charakter – und man sieht ihm die Vergänglichkeit an. Ehe ich mich allerdings in morbide Gedanken vertiefen konnte, habe ich mich lieber an den Strukturen erfreut. Auch hier kann man die Handarbeit erkennen, die Hesse verrichtet hat, um industriellen Materialien eine emotional fassbare Form zu geben. Die Zellen sind nicht exakt rechtwinklig, sie scheinen auszufasern; die Linie, die ihre Fassung erzeugt, scheint zu vibrieren, es entsteht in der Mitte des Werks fast eine kleine Welle, der ich recht lange mit den Augen gefolgt bin. Genau wie bei Accretion habe ich Ruhe und Besinnung gespürt.

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Eva Hesse, „Sans II“ (1968), Glasfaser und Polyesterharz, 96,5 x 218,4 x 15,6 cm (ein Element von fünf), Museum Wiesbaden.
Foto: Ed Restle, Museum Wiesbaden
© The Estate of Eva Hesse. Courtesy Hauser & Wirth

Gego ein Stockwerk tiefer hat hoffentlich etwas beständige Materialien verwendet, jedenfalls sieht das alles etwas zeitloser aus. Ihre Skulpturen bestehen aus Draht, Stahl, Aluminium – eigentlich hartes, kantiges Zeug, aber sie verwandelt es in filigrane Objekte, die wunderschön inszeniert sind. An einer Wand stand ein Zitat von ihr, das die Ausstellung „Line as Object“ gut zusammenfast: „There is no danger to get stuck, because with each line I draw, hundreds more wait to be drawn. That is the circle of knowledge with the ring around; you enlarge the inner circle and the outer one becomes greater without end.“ Den Satz habe ich natürlich sofort auf mich, mein Studium und meinen Wissendurst bezogen. War klar.

Ich habe mich bei ihr sehr auf die Formen konzentriert, die durch das Verbinden von Linien aus Stahl entstehen. Eins ihrer Werke, Tronco N. 5 von 1968, besteht nur aus Dreiecken. Ein paar Meter weiter steht ein anderer Stamm (Tronco 8 von 1977), der sich aber aus unterschiedlichen Formen zusammensetzt. Plötzlich taucht ein Fünfeck auf oder ein Vieleck, das den Blick auf das Innere des Stamms freizugeben scheint, obwohl der ja sowieso nie behindert ist.

Bei Hesse habe ich kaum auf das Umgebungslicht geachtet, hier ist es mir aufgefallen. Die Werke sind teilweise sehr exakt beleuchtet, stehen quasi im Scheinwerferlicht, während der Raum dunkler ist. Das hat mir persönlich sehr gefallen, und auch wenn ich kein Objekt vernünftig fotografiert gekriegt habe – die Raumatmo habe ich einfangen können. (Bei Hesse durfte man nicht fotografieren, in den anderen beiden Stockwerken schon.)

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Gego, „Tronco N. 8“/Detail (1977), Stahldraht, Bronze, Metallklammern, 150 x 70 cm, Fundación Gego Collection at the Museum of Fine Arts, Houston.

Der erste Stock mit den vielen Minimalisten ist, wie gesagt, eine wirklich gute Einordnung. Hier erfreute ich mich unter anderem an der Exaktheit von Donald Judd, dessen Boxen ich aus der Pinakothek der Moderne kenne, an den Lichtspielen von Dan Flavin und vor allem an einem Raum, in dem sich zwei Stoffskulpturen von Robert Morris und eine von Franz Erhard Walther versammeln. Die beiden Morris-Werke hängen an den Wänden und sind grau und schwarz, während die weißen Falttaschen von Walther den Boden bedecken. Ich mochte den Kontrast zwischen den beiden Aufbewahrungsorten, also der Wand und dem Boden, einmal klassisch, einmal modern, und das Farbspiel, das sich zwischen den Exponaten ergab.

Ich habe mich außerdem über ein Wiedersehen mit Bill Bollingers Pipe gefreut, das ich (natürlich mal wieder) von einer Folie kenne. In der Vorlesung über Ausstellungskonzepte sprachen wir über die Wundertüte When Attitudes Become Form (Bern 1969), in der unter anderem Morris, Bollinger und Eva Hesse zu sehen waren, wobei Pipe direkt neben Hesses Augment lag, das auch gerade in Hamburg zu sehen ist.

tl;dr
Bitte dringend alle drei Stockwerke angucken. Ich war wissenschaftlich beeindruckt und grönerig verzaubert.