Tagebuch Montag, 14. Januar 2019 – Das einzig Positive an der Trump-Zeit
Ich wollte ja nicht mehr, aber usw. Mir kann Trump ja egal sein, aber usw.
Hilft ja nix:
Gestern kaufte ich wieder die FAZ, aber ab morgen lest ihr das nicht mehr, denn ab dann läuft das Abo wieder, mal sehen wie lange, haha. (*wimmer*)
Montag ist ja bekanntlich mein liebster Zeitungstag, weil da die schöne Seite 6 drin ist, auf der entweder Historisches neu beleuchtet und gerne in einen aktuellen Zusammenhang gebracht wird oder mir ein politisch-soziologisches Essay was zu erzählen hat. Gestern schrieb Stephan Bierling über „Die zerrissene Nation“, also die USA. (Stelle beim Verlinken gerade fest, dass der Mann sich laut Wikipedia mit ph schreibt, in der FAZ steht er mit f.) So irre viel Neues war für mich nicht dabei, aber das hier:
„Die amerikanischen Politikwissenschaftler Matt Grossmann und David Hopkins argumentieren in ihrem Buch „Asymmetric Politics“, die Republikanische und die Demokratische Partei verkörperten heute zwei unterschiedliche Parteitypen: Die Quellen ihrer öffentlichen Unterstützung, die Ziele ihrer Aktivisten und das Verhalten ihrer Politiker seien grundverschieden. Die Republikaner, so Grossmann und Hopkins, sehen sich in einem großen ideologischen Konflikt mit den Demokraten und setzen deshalb auf weltanschauliche Themen wie traditionelle gesellschaftliche Werte, Abbau der Staatsaufgaben und Nationalismus. Die Demokraten hingegen betrachteten Politik nicht als Kampf politischer Philosophien, sondern als Streit gesellschaftlicher Gruppen darüber, wer wie viel von staatlichen Programmen profitiere. Sie betonten konkrete politische Ziele wie Erhöhung des Mindestlohns, Darlehen für Studenten, bessere Gesundheitsversorgung oder Luftreinhaltung. Ansprachen von republikanischen Politikern sind deshalb voll von Wörtern wie „konservativ“, „Werte“ und „Überzeugungen“. Demokraten vermeiden dagegen Begriffe wie „links“ oder „progressiv“ und reden über die spezifischen Anliegen von ethnischen Minderheiten, Gewerkschaftern, Umweltschützern, Feministinnen oder Homosexuellen.
[Ich stolperte hier total über das einmal genutzte Femininum, knickknack.]
Die meisten Wähler, so Grossmann und Hopkins, sind in ihren Einstellungen widersprüchlich: Ihre weltanschauliche Disposition ist grundsätzlich konservativ, aber sie schätzen viele der linken Programme zur Umverteilung und Regulierung. Für die Republikaner liegt es darum in ihrem strategischen Interesse, abstrakte Prinzipien in den Vordergrund zu stellen, für die Demokraten, nicht über Ideologie zu sprechen, sondern über praktische Probleme. Beide Parteien verstehen die Motive der anderen Seite damit nicht mehr: Wenn Republikaner mehr individuelle Freiheit fordern, glauben sie, die Demokraten bekämpften sie. Und wenn Demokraten sich für benachteiligte Gruppen einsetzen, nehmen sie an, Republikaner wollten nur die Reichen begünstigen. […]
Der Präsidentschaftswahlkampf 2016 ist ein eindrucksvoller Beleg für diese These: Trump konzentrierte sich auf die Themen Nationalismus, Abschottung, schlanker Staat und traditionelle Werte, ohne sich um Details zu scheren. Clinton hingegen legte ein Sammelsurium konkreter Vorschläge für ihre fragmentierte Regenbogenkoalition vor, ohne eine übergreifende Vision zu liefern.“
(Zitate aus: Stephan Bierling: „Die zerrissene Nation“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 14.1.2019, S. 6.)
Allmählich ahne ich, warum es so schwer ist, republikanische Wähler*innen davon zu überzeugen, demokratisch zu wählen: weil es eben eher um Einzelinteressen geht, die vielleicht nichts mit der eigenen Lebenswirklichkeit zu tun haben. Dass durch die Achtung von Minderheiten oder Randgruppen auch der Rest der Gesellschaft lernt und wächst und profitiert, scheint nicht vermittelbar zu sein, denn dafür müssten diese Einzelinteressen ein großes Ziel für alle skizzieren. Und generell zu sagen „Wir wachsen gemeinsam“ scheint nicht zu funktionieren.
Ich zitiere die FAZ, weil sie ins Thema passt, denn gestern kamen, mal wieder, neue Dinge zutage, die Trump belasten, aber ich habe das Gefühl, dass das seit zwei Jahren so läuft und es ist alles egal. Trotzdem fand ich diesen Artikel im Atlantic lesenwert, der sich fragt, ob man die Übersetzerin vorladen sollte, die beim Trump/Putin-Treffen dabei war und deren Notizen Trump an sich genommen oder sogar vernichtet hat – was, wenn ich diesem Twitter-Thread glauben darf, nicht gestattet ist, Stichwort „National Archive“.
„On Saturday, The Washington Post’s Greg Miller reported new details of the extreme things done by Trump to conceal his talks with Russian President Vladimir Putin from even the senior-most members of Trump’s own administration. Trump even reportedly seized the interpreter’s notes after one of his meetings, the Trump-Putin sit-down at the Hamburg G20 meeting in July 2017. Even more disturbingly, Trump and Putin met privately a second time at Hamburg—with no American present. In an act of astonishing recklessness, Trump relied entirely on the Russian interpreter, preventing any U.S. record-keeping at all. […]
Is the president of the United States a Russian asset? Is he subject to Russian blackmail? Is he at this hour conniving with the Russian president against the interests of the United States? These are haunting questions, and Trump’s own determination to defy normal presidential operating procedures to keep secret his private conversations with Putin only lends credibility to the worst suspicions.“
Der Artikel listet gute Gründe dafür auf, die Übersetzerin nicht vorzuladen: Es würde ein Präzendenzfall geschaffen für alle weiteren vertraulichen Unterredungen zwischen Politiker*innen. Übersetzer*innen haben keinen gesetzlich festgeschriebenen Vertraulichkeitskodex, fühlen sich aber anscheinend trotzdem an ihn gebunden; aus diesem Grund könnte die Übersetzerin sich weigern auszusagen und müsste dafür eventuell eine Gefängnisstrafe in Kauf nehmen – ist es fair, sie in diese Position zu bringen? Autor David Frum kommt trotzdem zu diesem Schluss:
„The scandal of the Trump presidency leaves Americans only bad choices. Powers and privileges essential to the functioning of an honest and patriotic presidency are called into question by this dishonest and unpatriotic presidency. Succeeding presidents and Congresses will have to find a way to restore or replace busted norms with new ones—but pretending now that the old rules can function as intended is not only delusive, but dangerous.
Subpoena the interpreter now; write a new law formalizing the confidentiality of interpretation later.“
Wie ich gestern schon twitterte: Das einzig Gute an der Trump-Zeit ist, dass man so viel über die amerikanische Gesetzgebung lernt.
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Schnell eine Überleitung zu etwas Schönerem: Der Tatortreiniger hatte neulich eine Episode, die in einer Kunstgalerie spielte. Ich bin jetzt erst dazu gekommen, sie zu sehen und empfehle sie natürlich weiter. Wie alle anderen Folgen auch. Neben den üblichen Schwafelkunstworten ist durchaus auch was Wahres an der Kunstbeschreibung der Galeristin dran.
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Und noch was Schönes: Zu meinem Traum über meine Oma vor ein paar Tagen kam eine schlaue Mail (danke dafür!), die unter anderem diesen Interpretationsversuch wagte:
„Mich rührt das Existentielle darin an, denn mit diesen Fragen beschäftigen wir uns alle[:] Kontakt zu Verstorbenen, das helle Licht, in das wir alle mal gehen werden, die Kunst, die überdauert, der kindliche „Schöpfergott“ in uns allen …“
Ich hatte die vielen Bilder noch gar nicht in einen Sinnzusammenhang gebracht, aber das schien mir sehr auf die Zwölf zu sein. Mir fiel im Nachhinein auch auf, dass ich seit Weihnachten öfter an Oma gedacht habe: Ihr Bild hängt ja jetzt in meinem Flur, ich sehe sie also neuerdings dauernd. Und bei jedem Spaziergang denke ich an sie, so auch bei meinem Bummel im verschneiten Englischen Garten. Wenn wir bei Oma zu Besuch waren, gab’s immer fürstlich zu Mittag, aber dann, anstatt in Ruhe zu verdauen und rumzuliegen, musste SOFORT ein Waldspaziergang gemacht werden. Immer. Ohne Ausnahme. Alle. Ich habe es so gehasst, dass ich mich heute, bei meinen freiwilligen und durchaus auch lustvollen Gängen, immer daran erinnere, wie doof ich das Rumlaufen früher fand – und wie unglaublich entspannend und beruhigend heute. Ich habe Oma 40 Jahre zu spät verstanden, und ich ahne, dass auch das noch im Hinterkopf war.
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Ich bin euch noch ein paar Musiktipps von Year of Wonder schuldig. Die habe ich natürlich alle brav gehört, aber so recht wollte ich zu keinem was schreiben; ihr könnt sie schließlich auch ohne mich anhören, ihr seid ja schon groß.
Was ich aber anmerken wollte, weil ich selbst so erstaunt war: Das Ubi caritas et amor vom 11. Januar hätte ich vom reinen Anhören in die Renaissance gepackt; der Komponist Maurice Duruflé lebte aber von 1902 bis 1986. Den kleinen Gesang hörte ich mehrfach, weil er so wunderschön war.
Clara Schumann kommt in der Playlist als zweite Frau nach Hildegard von Bingen vor. Ihre Drei Romanzen kannte ich vorher nicht, habe sie aber gern gehört. Aus dem Buch zum 13. Januar gelernt: Schumann war eine der ersten Konzertpianist*innen, die ohne Noten auftrat, was heute fast alle tun. Der letzte Satz zu ihrem Eintrag war dann auch sehr hübsch: „Clara was married to a man called Robert who also wrote music. More on him later.“
Und gestern kam dann endlich mal Oper, natürlich ein, haha, Klassiker: E lucevan le stelle aus Tosca. Schmachtfetzen, aber Tosca halt. Der Puccini halt. Ich mag’s. Was mich erstaunt hat: Der Sänger ist Jonas Kaufmann, den ich auf Deutsch bei Wagner ganz grauenhaft finde. Auf Italienisch mag ich ihn gerne.