Tagebuch, Dienstag/Mittwoch, 22./23. Oktober 2019 – Schlechte Laune, gute Laune
Dienstag vormittag war Erledigungszeit: Buch aus der Stabi geholt, Buch abgegeben, einkaufen gewesen, Wohnung aufgehübscht, Quittengelee gekocht (leider nur halbfest geworden, meh, aber immerhin schmeckt’s), halbherzig an der Diss gepuschelt.
Abends ging es dann mit F. ins Amerikahaus, wo Khalil Gibran Muhammad den Vortrag „America’s Whiteness Problem and What to Do About it“ hielt. Der kam mal wieder sehr zeitgenau, denn gerade am Nachmittag hatte sich der Präsident nicht entblödet, sein anstehendes Impeachment-Verfahren ernsthaft als „lynching“ zu bezeichnen. Man glaubt ja immer, es geht keine Stufe mehr nach unten an Ignoranz, Geschmacklosigkeit und purer Böswilligkeit, aber ja, doch, geht.
Vor dem Vortrag schlenderten wir noch durch die Ausstellung „“Hope, Never Fear”: Michelle und Barack Obama zwischen Öffentlichkeit und Privatleben / Fotografien von Callie Shell“, bei der wir überlegt hatten, sie für einen Podcast anzuschauen. Gut, dass wir uns dagegen entschieden haben, denn die gab nicht genug her. War aber trotzdem eine fies sentimentale Reise in eine Zeit der Präsidentschaft, die gefühlt schon viel zu lange her war.
Ich fand es spannend, dass Muhammad durchaus Kritik an Obama übte; er erinnerte an die Ereignisse rund um Reverend Jeremy Wright, von dem sich Obama distanzierte – vielleicht distanzieren musste, um weiße Wähler*innen nicht zu verprellen. Er zitierte folgenden Ausspruch von Wright, den man auch durchaus so hätte stehen lassen können:
„And the United States of America government, when it came to treating her citizens of Indian descent fairly, she failed. She put them on reservations. When it came to treating her citizens of Japanese descent fairly, she failed. She put them in internment prison camps. When it came to treating her citizens of African descent fairly, America failed. She put them in chains, the government put them on slave quarters, put them on auction blocks, put them in cotton field, put them in inferior schools, put them in substandard housing, put them in scientific experiments, put them in the lowest paying jobs, put them outside the equal protection of the law, kept them out of their racist bastions of higher education and locked them into positions of hopelessness and helplessness. The government gives them the drugs, builds bigger prisons, passes a three-strike law and then wants us to sing “God Bless America”. No, no, no, not God Bless America. God damn America — that’s in the Bible — for killing innocent people. God damn America, for treating our citizens as less than human. God damn America, as long as she tries to act like she is God, and she is supreme. The United States government has failed the vast majority of her citizens of African descent.“
Der Vortrag im Ganzen war eine einzige deprimierende Anhäufung von Verfehlungen und widerlicher Politik, um Schwarze Menschen nie zu weißen aufschließen zu lassen. Ich hatte einiges schon im Buch von Ibram X. Kendi gelesen, aber die historische Abfolge wurde von Muhammad noch einmal kurz zusammengefasst, quasi unter dem Stichwort Aktion – Reaktion. Also: Auf das Ende der Sklaverei und die Reconstruction folgte als Reaktion die Gründung des Ku-Klux-Klan und Jim Crow. Auf die Great Migration folgten massenhaft Lynchmorde, auf die Black Panther eine intrigante Drogenpolitik, die vermehrt Schwarze in neue, große Gefängnisse brachte. Das folgende Zitat von John Ehrlichman, Berater unter Nixon, hat mich fertiggemacht:
“The Nixon campaign in 1968, and the Nixon White House after that, had two enemies: the antiwar left and black people. You understand what I’m saying? We knew we couldn’t make it illegal to be either against the war or black, but by getting the public to associate the hippies with marijuana and blacks with heroin, and then criminalizing both heavily, we could disrupt those communities. We could arrest their leaders, raid their homes, break up their meetings, and vilify them night after night on the evening news. Did we know we were lying about the drugs? Of course we did.”
Als Abschluss dieser ekligen Pendelbewegung natürlich: Auf Obama folgte Trump. Auch dass es nach der Reconstruction-Zeit, wo erstmals zwei Schwarze Senatoren wurde, bis 1967 dauerte, bis der nächste Schwarze dieses Amt innehatte, wusste ich nicht. Bis heute gab es lausige zehn Schwarze Senator*innen, einer davon war Barack Obama.
Muhammad verwies auch auf die Art und Weise, wie die Geschichte der Schwarzen in den USA gelehrt wird, zeigte den miserablen Stand der Bildung auf und erinnerte an Formulierungen in Schulbüchern wie „Blacks were deported to the Americas“. nicht: Weiße verschleppten Schwarze, folterten sie, beuteten sie aus. Immer schön im Passiv bleiben. Wobei mich das durchaus an deutsche Formulierungen erinnerte wie „Juden wurden deportiert“. Wer das genau tat, wird auch sehr oft hübsch verschwiegen.
F. und ich diskutierten noch lange und brauchten viel Käse und Wein und Quittenpaste dazu.
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Gestern war ich wieder in der Stabi, dieses Mal aber fast den ganzen Tag im Lesesaal, wo ich mich durch neue Bücher und Zeitschriftenbände wühlte, um weiter an der Diss zu arbeiten. In den letzten Wochen hatte ich mich sehr auf die Aviso „Grille“ konzentriert – ich las viel über die deutsche Marine, wusste ich auch alles noch nicht, ich merke ja leider dauernd, dass ich gar nichts weiß, Klassiker des Studierendendaseins –, aber gestern fasste ich das Autobahnkapitel wieder an, das zwei Wochen Zeit zum Rumliegen hatte. Und was soll ich sagen: Das finde ich bisher ganz hervorragend. (Hat auch genug Arbeit gemacht.)
Als Rausschmeißer ein Foto, das ich gestern im National Geographic von 1937 gemacht habe, in dem ein langer Text über „Changing Berlin“ stand. Was für ein Bau! Wird aber anscheinend nicht wieder aufgebaut, danke für die Hinweise.
Chandler, Douglas: „Changing Berlin“, in: The National Geographic Magazine 2 (1937), S. 131– 170, hier S. 159.