The one where the friends I never had were there again

(Der Blogpost enthält ein paar Spoiler der Reunion-Folge, die vorgestern in den USA ausgestrahlt wurde.)

Ich weiß nicht mehr, wann ich angefangen habe, „Friends“ zu schauen. Die Wikipedia verrät mir, dass die Serie ab August 1996 in Deutschland lief, in den USA war sie im September 1994 gestartet. Ende 1999 zog ich von Hannover nach Hamburg und entdeckte eine Videothek um die Ecke. Dort versorgte ich mich von nun an an jeden Freitagabend mit einem Riesenstapel DVDs, gerne mal eine komplette Serienstaffel, guckte sie am Wochenende durch und schrieb kurze Filmkritiken, aus denen dann 2002 ein Blog wurde, nämlich dieses hier.

Ich lieh mir „Friends“ nur aus Neugier aus, ich kannte ja die Folgen, war aber sofort begeistert: Phoebe, die ich auf Deutsch stets als totale Nervensäge empfunden hatte, war auf einmal lustig! Bisher waren die Comics mit Calvin und Hobbes meine Quelle für tolle englische Vokabeln gewesen, ab jetzt lernte ich die Pointen von Chandler auswendig. (Could I BE any more mainstream?) Die „Friends“-DVDs waren mit die ersten originalsprachlichen, die ich käuflich erwarb, damals noch von Amazon UK, wo sie gefühlt irre teuer waren, egal. Ich las damals schon in diesem neuen crazy Internet, was in den Staffeln passierte, denn ich konnte die DVDs natürlich erst nach Ende der kompletten Staffel kaufen und war so immer ein Jahr hinter den Ausstrahlungen hinterher. Ich ahne, dass es auch damals schon möglich gewesen wäre, an aktuelle Folgen zu kommen, aber damit kannte ich mich nicht aus. Ich las, wartete ein Jahr, gab viel Geld aus und guckte dann eine komplette Staffel nach. Gerne mehrmals, denn jetzt besaß ich sie ja und musste sie nicht wieder in die Videothek tragen.

(Hier bitte ein Foto der runtergerockten Verpackungen vorstellen; die DVDs liegen, natürlich, bei meinen Eltern auf dem Dachboden in einer Hamburger Umzugskiste. Bevor ich mit Kai in Hamburg zusammenzog, warf ich alle meine Videokassetten weg, beim Auszug und Umzug nach München dann nochmal einen Berg DVDs, aber die „Friends“ sind noch da.)

Wenn ich mir einen neuen Rechner kaufe, überspiele ich meist den kompletten Inhalt des alten auf den neuen, denn jetzt habe ich irre viel Platz. So liegt auch auf diesem Macbook ein Dokument, das ich auf meinem allerersten iBook getippt habe, Ende 2001, es heißt Hospital Diary. Im Oktober 2001 wurde ich an der Bandscheibe operiert, allerdings nur so halb erfolgreich. Nach vier Wochen Krankenhaus kamen fünf Wochen Reha, die Daten hatte ich gar nicht mehr im Kopf, die stehen aber so im Hospital Diary, das ich gestern nach Jahren erstmals wieder las. Ich hatte natürlich das iBook im Krankenhaus – um Musik zu hören und zu schreiben und um DVDs zu gucken. Die einzige Serie, die ich mir mitbringen ließ: ihr ahnt es. Die einzige Serie, von der alle bis dahin erschienenen sechs Staffeln mit in die Reha-Tasche kam: genau. Aus dem Hospital Diary wurde kein Reha-Diary, alles, was ich dort tat, war gehen und pinkeln zu lernen und „Friends“ zu gucken; wenn ich mich richtig erinnere, guckte ich alle sechs Staffeln mehrere Male und es wurde nicht langweilig.

Inzwischen ist „Friends“ ein Phänomen: Durch Streaming-Services wird die Serie von einer neuen Generation entdeckt – die allerdings auf Dinge aufmerksam macht, die mir damals nicht aufgefallen waren, weil ich mich schlicht nicht mit ihnen beschäftigt hatte. Ein Beispiel: Alle sechs Hauptdarsteller:innen sind weiß, was bei heutigen Castings vermutlich nicht mehr so locker durchgehen würde. Generell finden sich auch in den Nebenrollen kaum People of Color, es fällt sehr auf, wenn es einmal nicht so ist. Dieses Problem war mir schlicht nicht bewusst, weil ich meine Hautfarbe noch nie hinterfragen musste bzw. weil mir damals noch nicht klar war, dass sie mir Vorteile einbrachte.

Was mir allerdings auffiel, war natürlich „fat Monica“. Dass Dicksein in Filmen oder im Fernsehen etwas irre lustiges ist, dass dicke Menschen lächerlich sind, hatte ich schon gelernt und hinterfragte auch das nicht. Gleichzeitig sah ich hier eine dicke Frau, die tanzt und isst und der es offensichtlich gut geht – bis die Show es dadurch ruinierte, dass sie sich nach 20 Sekunden körperlicher Betätigung schnappatmend setzen muss. Meine Gefühle für „fat Monica“ ähnelten denen, die ich mir selbst gegenüber hatte: Ich bin doch eigentlich okay, aber dann doch nicht, aber dann doch. Das ganze löste sich erst auf, als ich fast 40 war, und wenn ich einen miesen Tag habe, weine ich über die ganzen guten Tage, die ich mir 40 Jahre lang selbst versaut habe, weil ich dachte, ich wäre nicht gut so, wie ich bin. Ich hinterfragte viel zu spät die Idee, dass ich erst glücklich sein kann, wenn ich dünn bin, was offensichtlich Blödsinn ist. Insofern spiegelten die Szenen, in denen „fat Monica“ eine punch-line ist, meine eigenen Empfindungen, lösten sie aber nicht auf oder machten sie besser. Das fiel mir aber erst auf, als ich mit mir selbst im Reinen war.

Ich sah die Serie über die letzten 20 Jahre mehrfach, ich weiß nicht, wie oft, vermutlich auch durch die Verbundenheit, die ich während der Reha mit ihr entwickelt hatte – sie war immer irgendwie Teil meiner Heilung. Durch die Streams oder generell den dunklen Ecken des Interwebs kann ich jede Folge jederzeit ansehen, und in Zeiten, in denen mich die Realität überfordert, mache ich genau das. Nach „Friends“ gab es einen „How I Met Your Mother“-Rewatch, der ähnlich schlecht gealtert ist (alles, was Barney sagt), danach die „Gilmore Girls“ (auch bei ihnen kann man sehr viel hinterfragen, aber Rory aka Bookbag rettet zumindest in den ersten Staffeln viel) und dann guckte ich erneut „Friends“, obwohl ich inzwischen wirklich jeden Gag kommen sehe, weil ich ihn schon so oft gesehen habe. Es ist trotzdem immer noch lustig, und die unlustigen Sachen werden vorgeskippt.

Ich wusste nicht genau, was ich von der Reunion der Darsteller:innen halten sollte. Im Trailer war James Corden zu sehen, und ich befürchtete eine ähnlich banale Episode wie die zum Ende der Serie, in der Conan die Interviews führte (müsste auf Youtube sein). Netterweise ist die Talkshow nur ein kleiner Teil der Episode, wenn er auch einige für mich interessante Dinge zutage förderte. Zum Beispiel die Antwort Lisa Kudrows auf die Frage, ob man nicht vielleicht doch noch weitere Folgen drehen …? Sie sagte sehr klar, nein danke, alle Figuren hätten ein gutes Serienende bekommen, und irgendwann müsse man erwachsen werden.

Das war genau das Gefühl, mit dem ich die Show sah. Sie war teilweise unangenehm, weil sie zum Beispiel Matthew Perry verdächtig oft nicht im Bild hatte. Er erzählte, wie er panische Angst davor gehabt hatte, keine Lacher zu bekommen bei seinen Witzen, was seiner Alkohol- und Tablettensucht, wenn ich den Tabloids glauben darf, noch eine Ebene verleiht, die mir bislang nicht so klar war. Immer vorausgesetzt, dass der Mann die Wahrheit sagte und nicht das, was eine schlaue PR-Beraterin ihm aufgetragen hatte, weil sehr deutlich zu sehen ist, dass er von allen sechs am dramatischsten gealtert ist. Auch die plötzliche Offenbarung, dass Aniston und Schwimmer angeblich in der ersten Staffel ineinander verknallt waren und diese Gefühle in Ross und Rachel kanalisiert hatten, kam mir beim zweiten Sehen eher quatschig und inszeniert vor, damit die Reunion noch ein paar andere Schlagzeilen produziert als „OMG they are OLD!“

Die wohlfühlige Inszenierung des Ganzen ließ mich außerdem sehr vergessen, dass alles natürlich kalkuliert und kein launiger Dienst an den Fans war; soweit ich weiß, sollte das Special eigentlich als Promo dienen für den neuen Ausstrahlungsort in den USA, wo „Friends“ (gerade) nicht auf Netflix läuft. Und gut bezahlt wurden alle auch, aber das nehme ich ihnen nicht übel; der Bedarf scheint da zu sein, also vergoldet das ruhig.

Trotzdem haben einige Segmente mich sehr berührt, und damit sind wir wieder beim Erwachsenwerden. Ich mochte es, den Darsteller:innen zuzuhören, wie sie ohne Moderation in den nachgebauten Sets sitzen und Erinnerungen austauschen. In diesen Momenten fühlte es sich nicht inszeniert an, sondern so, als ob die „Friends“, die mit mir in der Reha waren und mir die Welt erträglicher machten, nochmal kurz in meinem Wohnzimmer waren. Ihnen zuzuhören, wie sie die Zeit vor 17 Jahren erlebt hatten, ließ auch mich nachdenken. Das mag eine Binsenweisheit sein, aber mal wieder zu merken, wie sehr man sich verändert, wie man sich weiterentwickelt hat und wie weit man gekommen ist in dieser Zeit, war schön für mich. Und gleichzeitig traurig, weil in der Zeit auch einiges auf der Strecke geblieben ist.

Es ist im Moment nicht alles einfach, es ist sogar vieles schwierig, aber trotzdem hat es mich gefreut zu sehen, was aus diesen Menschen, deren inszenierte Freundschaft mir lange sehr viel bedeutet hat, geworden ist. Dass es natürlich irgendwo ein Job war. Dass dieser vorbei ist. Dass man andere Dinge mit anderen Menschen macht, weil man das halt macht nach 17 Jahren. Dass es trotzdem in Ordnung und gut und vielleicht sogar heilsam ist, die Vergangenheit zu besuchen, so wie ich mich meist gerne an die alten Zeiten im Kino oder in der Kneipe erinnere, mehr als an die ersten beiden Werbeagenturen, in denen ich gearbeitet habe. Es ist aber genauso in Ordnung, die Vergangeheit ruhen zu lassen bzw. sich von ihr zu verabschieden. Das muss kein TV-Special sein. Man kann auch einfach ein Buch zuklappen, eine Nummer aus dem Handy löschen, einen neuen Job suchen oder ein Blog ausfaden lassen, weil Dinge auserzählt sind. Und in 17 Jahren wühlt man in einer Kiste und findet alte Postkarten. Oder erinnert sich an diese eine Wohnung, in der man. Oder an diesen alten Job, bei dem man. Man hält kurz inne, denkt nach und macht dann mit dem normalen Tagwerk weiter. Die DVDs sind noch da, der Streaming-Service ist bezahlt. Aber vielleicht habe ich gestern ein Kapitel abgeschlossen, von dem ich gar nicht wusste, dass es noch ein Ende brauchte. Oder um es mit Rachel zu sagen: „Now I have closure.“