Tagebuch Ende Februar, Anfang März 2022 – Very mixed bag
Ich weiß nicht, wie ich diesen Eintrag anfangen soll und vermutlich weiß ich auch nicht, wie er aufhören wird. Es fühlt sich falsch, fast frivol an, auf Insta Mahlzeiten zu posten und auf Twitter die Artbots zu retweeten, während nicht wirklich weit von mir weg Menschen in einem Krieg sterben. Ich hatte in meinem Leben bisher das Glück, noch nicht persönlich von einer derartigen Katastrophe betroffen zu sein bzw. kenne persönlich keine Menschen, die fliehen mussten, höchstens den Mann aus dem damals noch existierenden Jugoslawien, mit dem ich ein Einstellungsgespräch führte, als ich in den 1990er Jahren ein Kino in Hannover leitete. Dieser Krieg war entfernungsmäßig sogar noch näher an mir dran, fühlte sich aber bescheuerterweise wie ein lokaler Konflikt an, den ich schön ignorieren konnte. Dass es das Internet noch nicht in der heutigen Form gab, half vermutlich auch. Aber heute habe ich halt Twitter, das ich zwischendurch immer wieder vom Handy werfe, um es drei Stunden später wieder zu installieren. Auch um Artbots zu retweeten, um dem Strom aus Katastrophennachrichten etwas entgegenzusetzen, aber ich weiß selbst nicht, ob das albern ist oder irgendjemandem außer mir hilft.
Einige Menschen habe ich stumm geschaltet oder bin ihnen entfolgt, weil sie minütlich Dinge aus dem Krieg posten und ich weiß nicht, was ich damit anfangen soll, kann, muss, müsste.
(Edit, halbe Stunde nach Veröffentlichung:
Klar kenne ich Flüchtende, nämlich meine Mutter und meine Omi. Meine Omi hat nie über Ostpreußen gesprochen und ist auch nie nach Polen gefahren, während ihre Schwester sich das in den 1980er Jahren nochmal angeschaut hat. Mit meiner Mutter. Muss mal die Fotoalben anschauen, wenn ich wieder im Norden bin. Meine Mutter hat selten über ihre Fluchterfahrungen gesprochen, sie verarbeitet die Zeit anders. Sie kann zum Beispiel kein Essen wegwerfen, nie. Sie friert den Saft einer viertel Zitrone ein und isst steinhartes Brot. Und sie ist vor Jahren mal nicht mit nach Bayreuth mit mir gefahren, als wir Karten für den „Lohengrin“ hatten, in dem Menschen als Ratten auftreten. Ratten gehen gar nicht. Auch hier ist sie nicht in Detail gegangen, sondern erwähnte nur ungern Leichen am Weg, als sie flohen. Und eben Ratten.)
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Ich lenke mich ab, indem ich über Kunstgeschichte oder Werbung nachdenke, beides ist gerade sehr willkommen. Außerdem hat mein Kopf mal wieder Zeit, über meine Wohnung nachzudenken, Wandfarben, neue Möbelanordnungen, was sich genauso frivol anfühlt, weil nicht wirklich weit von mir weg Menschen keine Wohnungen mehr haben, weil sie von sinnlosen Gefechten zerstört wurden.
Letzte Woche räumte ich meine Küche mal wieder um, was ich seit meinem Einzug turnusmäßig mache, weil ich nie glücklich mit ihr war. 2019 strich ich eine Wand, was kurz half, dann schob ich ständig Regale hin und her, zog den Tisch ein oder aus, überlegte Farbkonzepte und Ordnungsstrukturen, aber irgendwie sah die Küche immer aus, als ob jemand vor fünf Minuten eingezogen war und irgendwo Möbel hingeräumt hätte. Jetzt zum ersten Mal nicht. Links von der Tür ist die eingebaute Küchenzeile, an deren Anordnung ich nichts ändern kann und über die ich mich weiterhin aufregen werde, weil die einzige Besteckschublade ganz links ist und die einzige größere Arbeitsfläche vier Meter weiter rechts. Alles andere – freistehender Kühlschrank, komisches Ikea-Küchenmöbel aus Edelstahl (2012), Kallax (2018?) – steht jetzt rechts von der Tür und in der Mitte der komplett ausgezogene Tisch. Den Tipp hatte ich in Hamburg mal von einer Innenausstatterin bekommen, als ich mit dem Tisch im Esszimmer haderte, der irgendwie verloren rumstand: Tische so groß wie möglich, dann sieht der Raum auch größer aus. Wenn alle ausziehbaren Platten drin sind, passiert genau das, was mein Problem war: Der Tisch steht verloren in der Mitte, und um ihn rum ist sinnloser Platz, der nur nervös macht. Jetzt muss ich zwar beim Kochen noch längere Wege zurücklegen als vorher, weil ich halt um den Tisch muss, um an meine Pfannen und Töpfe zu kommen, aber mir gefällt der Raum jetzt erstmals wirklich. Mal sehen, wie lange das hält.
Halten werden nun auch die beiden schwarzen Regalbretter, die ich mit meiner eigentlich guten Bosch nicht angedübelt bekommen habe, im Gegensatz zur kleineren Wohnung einen Stock über mir, wo ich beide alleine und sogar halbwegs gerade an die Wand dengelte. Dieses Mal musste der Mann mit der Hilti vorbeikommen, was aber auch nett ist.
Die beiden Tabletts hat Papa vor Jahrzehnten von den Philippinen mitgebracht, als der geschäftlich dort war. Als ob er geahnt hätte, dass ich heute einen Halb-Filipino an meiner Seite habe. Die Schüssel davor ist auch von ihm, ich finde den Blogeintrag dazu nicht mehr (falls ich ihn je geschrieben habe): Er hat mal Holz zur Kirche im Dorf gebracht, die von diesen Spenden Schalen hat herstellen lassen. Das ist eine davon.
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Es gab gutes Essen in den letzten Tagen, aber auch viel Schokolade.
Bibimbap mit Zucchini, Spinat, Tempeh, eingelegter Möhre und Ei drüber, das all das schöne Zeug darunter verdeckt. Dazu Gochujang und Korianderöl, im Prinzip wie Schnittlauchöl.
Rote Bete im Päckchen mit Linsen und Mozzarella.
Spaghetti mit Tomatensauce, nach Frau Hazan, natürlich.
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Gestern und vorgestern lief ich zum ersten Mal mit einem Audiobook auf den Ohren durch die Gegend anstatt mit der hundertsten 80er-Jahre-Playlist auf Spotify. Es ist ein Sachbuch, über das beim Videokurs öfter gesprochen wurde, ich hätte mich sonst nicht damit beschäftigt. Der Autor liest selbst, das ist nett, ich höre ihm auch gerne zu und bin erstaunt darüber, wie wenig mir das Rumlaufen ausmacht, weil ich mich auf die Inhalte konzentriere, die ich auf die Ohren bekomme, aber ob wirklich viel hängenbleibt, wage ich noch zu bezweifeln. Bei einem Punkt, der vorkam, dachte ich sofort an mein verändertes Essverhalten in den letzten gut zehn Jahren im Vergleich zum Leben davor und ich dachte, ach, guck, könnteste bloggen, aber jetzt weiß ich schon nicht mehr, welcher Satz mich genau angesprochen hatte und da es kein Papierbuch ist, kann ich nicht nachschlagen. Hm. Vielleicht für mich doch eher ein halbgares Konzept.
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Ich habe die ganzen Belegexemplare an Museen und Archive verschickt, damit diese mir Rechnungen für ihre abgebildeten Gemälde schicken können, für die ich schon Nutzungsgebühren bezahlt habe.
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Meine Omi hätte heute Geburtstag. Ich denke immer an sie, wenn ich Tee aus ihrem Service trinke.
Ich habe meinen Schreibtisch um 90 Grad gedreht und gucke nun nicht mehr auf Sofa und blaue Wand, sondern auf Luise. Und seit gestern auch noch auf Tulpen. Jede Kleinigkeit hilft (mir).