Tagebuch, KW 10 – Musike, Eis und Schleifchen drum

F. machte mich auf ein schönes Schleifchen um mein Studium aufmerksam. Ganz zu Beginn, also 2012 OMG, meldete sich eine Kuratorin der Städtischen Galerie im Lenbachhaus bei mir und outete sich als Blogleserin. Sie freute sich, dass ich nun in München sei, ausgerechnet Kunstgeschichte studierte und bot mir an, mich durch das frisch renovierte Haus zu führen, was ich natürlich gerne annahm. (Ich stelle gerade fest, dass ich das nicht verbloggt habe. Unglaublich.) Damals wusste ich noch nicht, was die Neue Sachlichkeit ist, was mir bis heute peinlich ist. Davon hängt im Lenbachhaus nämlich einigermaßen viel, weniger als vom üppig vorhandenen Blauen Reiter, klar (Münchenbezug, städtische Galerie usw.), aber immerhin, ich ging vorbei, fand alles toll und hätte vielleicht damals schon merken können, dass mir die italienische Renaissance irgendwann egaler sein und mein kunsthistorisches Hirn in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Deutschland enden wird. Das wusste ich damals aber noch nicht. Aber heute bin ich Doktor in diesem Themengebiet und genau dazu gibt es demnächst im Lenbachhaus eine Ausstellung und auf Anfrage eben dieser Kuratorin darf ich ein winziges bisschen am Katalog mitarbeiten.

Die Woche war in meiner Freizeit gnadenlos von Musicals geprägt. Ich hatte mich geweigert, mir die Neuverfilmung der „West Side Story“ von Spielberg im Kino anzuschauen, aber als sie für lau auf Disney+ rumlag, klickte ich doch mal vorsichtig rein. Und, Überraschung: Ich fand sie gut.

Sie korrigiert quasi die Dinge, die heute bei der Verfilmung von 1961 Cringe erzeugen wie das Dubbing von Richard Beymer (Tony) und Nathalie Wood (Maria), die beide nicht selber sangen; wir hörten die Stimmen von Jimmy Bryant und Marni Nixon. Oder dass Nathalie Wood keine Latina war. Oder auch Songzeilen, die heute missverständlich sind wie bei „I feel pretty“, wo es eigentlich hieß: „I feel pretty and witty and gay“. Heute erklingt „pretty and witty and bright“, es reimt sich auf „tonight“ und nicht mehr auf „today“. Auch die Lyrics von „America“ bekamen ein Update, das ich noch nicht kannte. Wie mir die Website des Musicals verriet, wurden Textfassungen der Broadway-Version von 1957 wieder hervorgeholt. Anita singt nämlich nicht mehr von Hurricanes und Überbevölkerung, sondern von Ananas und Kaffeeblüten. Den Song kann man netterweise auch online anschauen und kann so prima vergleichen (1961, 2021). Hier mochte ich auch, dass die Sharks nicht mehr auf einem Dach tanzen, sondern sich alles in die Straßen von New York ergießt. Überhaupt, die Stadt: Sie kommt in der alten Verfilmung nur als Kulisse vor; in der Neuverfilmung wurde stärker spürbar, warum die Story im sprichwörtlichen Melting Pot so gut funktioniert. Und ja, sie funktioniert immer noch, wenn man akzeptiert, dass junge Menschen wegen sehr wenig total durchdrehen.

Und natürlich ist es fantastisch, dass Rita Moreno in beiden Verfilmungen dabei ist. Auch dass sie den Song „There’s a place for us“ singt, den sonst Maria dem angeschossenen Tony hinterherhaucht. Das war eine meiner persönlichen Cringe-Szenen im alten Film: dass Tony ewig rumsterben muss, damit der Song Zeit hat. Hier singt Maria etwas anderes, Tony darf wortlos gehen und das passte hervorragend.

Ein bisschen muss man sich an eine andere Atmosphäre gewöhnen, manchmal fehlten mir Bruchstücke oder Details der Songs, aber das liegt daran, dass ich den Soundtrack ewig gehört habe, seit ich, keine Ahnung, 14 bin und alle Songs mitsprechen kann. Zusammengefasst: Ja, kann man gucken, fand ich gut. Wobei ich bei Ansel Elgort ein bisschen gebraucht habe, um ihn okay zu finden. Mich hatte er erst bei „One Hand, One Heart“. Dann aber richtig.

Und weil ein Musical so schön war, guckte ich gleich noch zwei: „In the Heights“ von Lin-Manuel Miranda, bei dem sehr deutlich wurde, warum „Hamilton“ so gut funktioniert: weil Miranda hier schön üben konnte. Mir war der Film viel zu lang, auch wenn die Darstellenden alle durch die Bank niedlich und sympathisch waren. Und es ein wirklich schönes Easter Egg gab: The one and only Jimmy Smits hängt in einer Szene in der telefonischen Warteschleife von Stanford, und es erklingt: „I’ll be back“ aus „Hamilton“. Das habe ich peinlicherweise nicht erkannt, ich wusste, ich kenne den Song, aber auf diesen naheliegenden und charmanten Gag bin ich nicht gekommen, den musste ich ergoogeln.

Ebenfalls geguckt und deutlich mehr gemocht: „Tick, Tick … Boom!“, eine Art autobiografische Musicalszene von Jonathan Larson, dem Schöpfer von „Rent“. Läuft auf Netflix und ist sehr empfehlenswert. Ich hatte überhaupt keine Ahnung, was da auf mich wartete und war freudig überrascht.

Ich gab sogar „Newsies“ eine Chance, aber: nein. Wirklich nicht.

Am Mittwoch radelte ich endlich mal wieder ins ZI, unter anderem für den kleinen Katalogjob. Dabei stöberte ich in der wenigen Literatur über Henny Protzen-Kundmüller, die Ehefrau des Herrn, über den ich promoviert habe. Ich hatte mich in der Diss sehr wenig mit ihr befasst, auch weil ihr Anteil am gemeinsamen Nachlass geradezu lächerlich winzig ist im Vergleich zu der Überlieferung seiner malerischen Tätigkeit. Mpf. Ich stieß beim Rumlesen auf eine Dissertation von 2005, die sich mit mit der GEDOK befasste, einer Überorganisation, in der sich seit den 1920er Jahren Künstlerinnenverbände zusammengeschlossen hatten. (Die ist in der Wikipedia noch nicht mal als Literatur angegeben, werde ich nachtragen, wenn ich mich endlich an diese Website rantraue.) Dort fand ich ein Detail, das mich überraschte, netterweise mit Quellenangabe des Bundesarchivs.

Ab 1933 wurde Kunstschaffenden im „Dritten Reich“ sehr deutlich nahegelegt, in die Reichskammer der bildenden Künste einzutreten. Bis heute hält sich die in meinen Augen zu sehr verallgemeinerte Aussage, dass man ohne diese Mitgliedschaft nicht künstlerisch tätig sein konnte. Ich selbst fand in den Beständen zur GDK noch Anlieferungsunterlagen von 1944, wo Maler und Malerinnen statt ihrer RKK-Mitgliedsnummer angaben, noch kein Mitglied zu sein. Ich meine mich an Begriffe wie „Kriegszulassung“ zu erinnern, aber ich bin mir selbst nicht sicher. Ich hatte dazu eine ewig lange Fußnote verfasst, die ich schließlich doch rauskippte, aber vielleicht hätte ich sie drinlassen sollen, um eben dieser Verallgemeinerung noch einen Gegenbeleg zu liefern. Wie dem auch sei: Laut den Unterlagen des Bundesarchivs stellte Protzen-Kundmüller erst im November 1938 einen Aufnahmeantrag – nachdem sie jahrelang problemlos arbeiten und ausstellen konnte, zum Beispiel auf der ersten GDK 1937, und sie auf der Weltausstellung 1937 sogar mit einer Silbermedaille ausgezeichnet wurde, wo im Deutschen Pavillon ein Werk von ihr hing.

Gestern sahen F. und ich uns endlich die John-Heartfield-Ausstellung im NS-Dokumentationszentrum an. Ich war überrascht, wie viel ich von ihm kannte, aber auch, wie wenig ich über seine Biografie wusste. Die Schau empfehle ich gerne weiter, kostet nicht mal Eintritt, läuft noch bis Ende April.

Viel Gutes gekocht und genossen und mich immer gefreut, wenn ich gut gekocht und genossen habe.


Seit ich einen Reiskocher habe, esse ich deutlich mehr Reis, weil ich immer gleich zwei Portionen mache. Eine gibt’s gleich, aus der anderen, inzwischen trockenen wird einen Tag später herrlich knuspriger Bratreis mit allem, was halt aus dem Gemüsefach wegmuss.

Cannoli Cake. Auf den hatte ich letzten Samstag unbändige Lust – aber so gar keine Lust, auf die Suche nach Pistazien in den umliegenden Supermärkten zu gehen. Also orderte ich Amazon Fresh, was ich bisher nur einmal 2020 gemacht hatte, als ich mich ungeimpft nicht so recht vor die Tür getraut hatte. Es gab sogar noch ein Lieferfenster am selben Tag, ich bestellte, wartete … und wartete … und sah irgendwann die Nachricht, dass ich den Laden bitte kontaktieren solle, die Lieferung sei verspätet. Ach was. Ich ließ mich anrufen und sah eine Londoner Nummer auf dem Handy-Display. Eine indisch klingende Dame las die üblichen Floskeln brav vom Blatt ab: „Danke, dass Sie sich an uns wenden … danke für Ihre Geduld … vielen Dank, dass Sie kurz gewartet haben …“ Schon gut. Sie musste mich schlussendlich doch weiterverbinden, weil ich ihr nicht klarmachen konnte, worum es ging. Der nächste Herr, dessen Nummer ich nicht zuordnen konnte, verstand mich besser, buchte meine Bestellung auf ein späteres Zeitfenster, entschuldigte sich mehrfach, schon gut, ich freute mich auf die Lieferung zwischen 18 und 19 Uhr statt auf die zwischen 15 und 16 Uhr – und wartete. Um 17.59 klingte es, ich bekam mein Zeug und begann, in der Küche Tüten auszuräumen, als es erneut klingelte. Huch, hatte der gute Mann irgendwas vergessen? Nee, alles da. Ich öffnete erneut die Tür und stand einem weiteren Amazon-Lieferanten gegenüber, der mir die gleiche Lieferung wie eben übergeben wollte. Er war genauso verwirrt wie ich, musste aber leider mit allem wieder abziehen, und ich hatte nicht mal mehr Kleingeld fürs Trinkgeld.


Pastinakenpuffer mit Kräuterdipp und zu enthusiastisch verteiltem Korianderöl. Das war überraschend gut, wo es eigentlich nur eine Notidee für „Die Pastinaken müssen jetzt aber WIRKLICH weg“ war.


Gestern eröffneten F. und ich die Eisdielensaison, natürlich beim Ballabeni. Es gab Cappuccino, Pistazie und einen Probierlöffel Banane-Kokos, das ich demnächst dringend in Kugelform brauche.


Abends landeten die allerletzten Pastinaken als Chips auf einem Topinambursüppchen, für das ich eine Flasche Malzbier gekauft hatte, wie es die Jahreszeiten-Kochschule haben möchte. Auch das war ganz hervorragend.