Runaway Jury

Runaway Jury (Das Urteil): klassische Grisham-Verfilmung. Man weiß von Anfang an, wer die Guten und wer die Bösen sind, und man ahnt auch, dass die Bösen auf die Fresse kriegen – das einzige, was diese Art Film spannend macht, ist die Art, wie sie auf die Fresse kriegen.

Runaway Jury hat mir allerdings genau in dem Punkt nicht so gut gefallen. The Firm fand ich raffinierter und bedrohlicher, The Rainmaker fand ich sehr dicht und charakterlich ausgefeilter, A Time to Kill (Ja, liebe „Übersetzer“, den deutschen Titel Die Jury hattet ihr hier ja schon verbraten, wenn ich mir auch ziemlich sicher bin, dass eine Jury im Deutschen keine Geschworenen sind) gefiel mir gut, weil gleich drei Schnuckel dabei sind, namentlich Matthew McConaughey, Kevin Spacey und natürlich Kiefer, und weil ich die Story um Rassenhass in den Südstaaten spannender fand als die banale „Böse Waffenindustrie gegen arme Witwe“-Geschichte.

In Runaway Jury versammelt sich zwar auch eine schöne Starriege (Dustin Hoffman, Gene Hackman, Hasimaus John Cusack und Rachel Weisz), aber irgendwie gingen mir fast alle Charaktere auf die Nerven. Und daher auch der Film, der außerdem mit über zwei Stunden eindeutig zu lang für das bisschen Story geworden ist.

Fahrenheit 9/11

Fahrenheit 9/11 (USA, 2004)

Buch & Regie: Michael Moore

Ich mag Michael Moore nicht. Ich mag seine „Ich bin auf der Seite des kleinen Mannes“-Attittüde nicht, die er gerne benutzt, um mit Halbwahrheiten und Stammtischsprüchen durchzukommen. Ich halte Bowling for Columbine für eine billige Schmierenkomödie. Und so bin ich in Fahrenheit 9/11 reingegangen und habe die übliche Grütze aus Selbstinszenierung und Jahrmarktsunterhaltung erwartet.

Schön, dass ich ziemlich daneben lag.

Fahrenheit 9/11 ist eine Dokumentation (auch wenn ich das Wort im Zusammenhang mit Herrn Moore vorsichtig verwenden möchte) über die Wahl von George W. Bush zum Präsidenten, über seine Ineffizienz im Amt, über die Geschehnisse am 11. September und über den Weg in den Irak-Krieg.

Der Film schwört uns auf die richtige Linie ein, noch bevor die Flugzeuge in die Twin Towers krachen: Er stellt zunächst in Frage, ob George Bush überhaupt rechtmäßiger Präsident der Vereinigten Staaten ist. Er erinnert an die seltsamen Unregelmäßigkeiten bei der Stimmauszählung in Florida, wo zunächst Al Gore als Sieger und damit als neuer Präsident ausgerufen wurde, bis es plötzlich hieß, George Bush habe die Wahl gewonnen. Und schon kommt der übliche Michael Moore-Unterton aus dem Off: Ob es nicht praktisch sei, dass Bushs Bruder in Florida Gouverneur war? Moore kann nicht beweisen, dass Bush die Wahl wirklich gefälscht hat, aber er kann es fragend in den Raum werfen – und wir haben es im Hinterkopf.

Diese Art der „Informationsvermittlung“ ist das, was ich Michael Moore ankreide. Entweder er hat Beweise für seine Behauptungen – dann her damit. Oder er hat sie nicht – dann halt die Klappe. Aber solange er nicht mit absoluter Sicherheit sagen kann, ja, George Bush hat die Wahl gefälscht, ist es eine miese Unterstellung. Wobei ich die erste wäre, die sich über derartige Beweise freuen würde, denn – und da bin ich ganz Moores Meinung – dieser Präsident ist gefährlich und sollte auf keinen Fall wiedergewählt werden. Aber gerade weil ich Moores Meinung bin, kann ich es nicht leiden, wenn er eine Sache, mit der er absolut Recht hat, journalistisch nicht ganz sauber präsentiert und sie damit angreifbar macht.

Einige weitere Momente im Film kriegen ebenfalls Minuspunkte von mir. Als Moore über die Coalition of the Willing berichtet, die an der Seite der USA in den Krieg ziehen, nennt er seiner Meinung nach ziemliche Idiotenländer und bebildert sie dementsprechend. Er stellt in Frage, ob Länder wie Rumänien (wo wir Bela Lugosi als Dracula sehen) oder die Niederlande (Kiffer mit Riesen-Bong) eine Hilfe waren. Der Punkt, den er damit machen wollte, ist mir nicht klar. Ich hätte gerne gehört, dass Bush und seine Administration nicht nur die USA, sondern auch den Rest der Welt getäuscht haben, um Verbündete zu finden. Stattdessen soll ich darüber lachen, wie komisch fremde Völker drauf sind?

Und wenn er Bush, Rumsfeld, Cheney und Blair als die Jungs von der Bonanza-Ranch zeigt, geht das wieder in die Ecke der Dummen im Publikum: „Hey, falls ihr es noch nicht wusstet – Bush ist aus Texas und damit doof.“ Nur nebenbei: Bush ist ein waschechter Ostküstler, und auch der Cowboyhut macht ihn noch nicht per se zum Idioten. Das, was ihn zum Idioten macht, sind Momente, die mir schon im Trailer den Atem haben stocken lassen: Wenn Mr. President markig in die Kamera tönt, wie sehr wir uns dem Terrorismus entgegenstellen sollen – nur um sich dann wieder seinem Golfschläger zuzuwenden und keck zu sagen: “Now watch this drive.” Derartige Bilder zeigen die völlige Naivität (oder die grenzenlose Arroganz) des Staatsoberhaupts viel besser als alberne Montagen.

Andere Bilder wiederum haben mich davon überzeugt, dass ich Moore diesmal seine kleinen Ausrutscher durchgehen lassen möchte. Denn was er sonst noch zu sagen und zu zeigen hat, hat mich entweder tief berührt oder einfach fassungslos zurückgelassen. Er erspart uns zum Beispiel die Bilder vom World Trade Center. Nach dem Vorspann bleibt die Leinwand schwarz, aber wir hören den anfliegenden Jumbo und den Einschlag. Wir hören Weinen, Schreie, Feuerwehrsirenen, dann wird das Bild hell, und wir sehen Tausende von Papierseiten durch die Straßen von Manhattan fliegen. Ich war selbst davon überrascht, wie sehr ich die Bilder vom Feuerball und den stürzenden Menschen schon im Kopf hatte. Der Ton hat gereicht, um mich zum Weinen zu bringen.

Welche Bilder Moore uns allerdings nicht erspart, sind die, die die amerikanische Regierung gerne nie gesehen hätte: die Bilder der Särge mit amerikanischen Flaggen, die Bilder von verwundeten oder getöteten Irakis, die Bilder von schreienden, sterbenden GIs. Und dieser Bildermacht stellt er eine selbstgefällige Führungsriege gegenüber, die, laut Moore, wusste, dass der Irak nichts mit dem 11. September zu tun gehabt hat und die trotzdem einen Krieg wollte; die vor den Anschlägen verkündet hat, der Irak sei keine Gefahr; die Terrorwarnungen einfach igorierte, ja, sie nicht hören wollte; die gezielt eine Atmosphäre von Angst und Panik geschürt hat, um die Bevölkerung dazu zu bringen, einem Krieg zuzustimmen; die an Firmen beteiligt ist, die horrende Gewinne durch den Krieg einfahren – und einen Präsidenten, dem nichts Besseres einfällt, als dass Saddam Hussein seinen Daddy habe töten wollen.

Aber Moore wäre nicht Moore, wenn er auch in Fahrenheit 9/11 nicht wieder seine Kleiner Mann-Tour fahren würde. Er saust in einem Eiscreme-Wagen ums Kapitol und verliest über Lautsprecher den Patriot Act, der Zivilrechte gravierend beschneidet und den anscheinend keiner der Abgeordneten gelesen hat, und er versucht mit Handzetteln, Mitglieder des Kongresses dazu zu bewegen, ihre Kinder in die Army und damit an die Front zu schicken.

Aber auch darüber wollte ich hinwegsehen, denn Moore holt Lila Lipscomb vor die Kamera, eine Frau, die ihren Kindern den Militärdienst empfiehlt, weil diese dadurch ihre Ausbildung finanzieren können, was sie selbst nicht kann. Das Unfassbare: Lila hat einen Sohn an der Front verloren. Und trotzdem glaubt sie an ihr Land, an das, wofür es steht und daran, dass es „gute“ Kriege gibt. Die Bilder von Lila, wie sie versteht, dass ihr Sohn umsonst gestorben ist und wie sie vor dem Weißen Haus vor Schmerz fast zusammenbricht, weil sie so fürchterlich wütend über ihre Regierung ist und weil sie so fürchterlich viel verloren hat, sind fast genauso schwer zu ertragen wie die Bilder aus Bagdad.

Fahrenheit 9/11 trägt auf jeden Fall die Handschrift von Michael Moore. Er ist mit dem fact checking diesmal etwas gründlicher gewesen als bei Bowling for Columbine – zum Glück, denn dieses Thema ist eine Ecke wichtiger als die Waffengesetze in den Staaten. Trotzdem konnte ich das ungute Gefühl nicht ganz abschütteln, in einem fiesen Propagandafilm gesessen zu haben. Dass auch die Demokraten dem Irak-Krieg zugestimmt haben, wird mal kurz erwähnt, aber ansonsten ist das Feindbild klar. Ich hätte mir ein bisschen weniger REM und Neil Young im Hintergrund gewünscht und mehr sauber aufbereitete Fakten anstatt ironisch angehauchte Fragestellungen, die Wahrheit nur suggerieren.

Trotzdem bleibt als übergreifender Eindruck: Diese Regierung hat das amerikanische Volk (und wahrscheinlich auch den Rest der Welt) wissentlich getäuscht und in einen Krieg geschickt, der ideologisch und finanziell motiviert war, aber auf keinen Fall der Präventivschlag war, als der er verkauft wurde. Es bleibt die Fassungslosigkeit über diese Kaltschnäuzigkeit und Bösartigkeit – und die Trauer über die vielen unschuldigen Opfer. Fahrenheit 9/11 mag seine Macken haben, aber ich bin froh, dass es diesen Film gibt.

Sylvia

Sylvia: deprimiert-düster fotografiert, bieder gespielt, braves Drehbuch – das hat die faszinierende Sylvia Plath nicht verdient. Jedes Gedicht von ihr ist zehnmal aufwühlender als diese Schnarchnummer, und Gwyneth Paltrow war noch nie so berechenbar. Nach einer Stunde in die Tonne gekloppt.

House of Sand and Fog

House of Sand and Fog (Das Haus aus Sand und Nebel): einer von den Filmen, bei denen man am Anfang schon weiß, dass es böse ausgehen wird. Wir sehen Ambulanzwagen von einem Haus wegfahren, ein Polizist fragt die verheulte Jennifer Connelly: “Is this your house?” worauf sie nicht antwortet und die zurückliegende Handlung beginnt.

Es geht um dieses Haus. Es geht um Kathy (Connelly), die ihre Steuern nicht bezahlt hat und nun das Haus ihrer Familie an den Staat verliert. Es geht um den iranischen Colonel Behrani (Ben Kingsley), der mit seiner Familie das Haus kauft, was Kathy nicht hinnehmen will. Ein Streit entbrennt, Kathys Freund mischt sich ein, die Situation eskaliert. Die Geschichte überrascht mit einigen Wendungen, endet aber trotzdem relativ konventionell für ein Drama, vielleicht sogar ein bisschen zu dick aufgetragen.

Was den Film sehenswert macht, sind seine gelungene Charakterstudien. Jede Figur wird in wenigen Szenen und Dialogen umrissen; es wird ein klares Bild gezeichnet, was im Laufe des Film aber mehrmals verwischt und neue Konturen bekommt. Die Entwicklung der Figuren ist stimmig und trotzdem überraschend; das Tempo langsam, aber sehr angemessen. Einzig die vielen Geigen von James Horner im Hintergrund tragen ein wenig zu dick auf, aber ansonsten bleibt von House of Sand and Fog eine beeindruckte Stimmung zurück. Beeindruckt von der Unausweichlichkeit mancher Dinge und dem vergeblichen Wunsch, vielleicht doch etwas ändern zu können.

Spider-Man 2

Spider-Man 2
(USA, 2004)

Darsteller: Tobey Maguire, Kirsten Dunst, Alfred Molina, James Franco, Rosemary Harris, J.K. Simmons
Musik: Danny Elfman
Kamera: Bill Pope
Drehbuch: Alvin Sargent
Regie: Sam Raimi

Der erste Spider-Man-Film endet damit, dass Peter Parker sich entscheidet, lieber Spider-Man zu sein anstatt Peter, lieber Superheld anstatt Normalbürger. Dafür opfert er sogar seine Liebe zu Mary-Jane und will den Weg alleine gehen, den er seiner Meinung nach gehen muss, denn die zentrale Botschaft “With great power comes great responsibility” hat Peter noch im Ohr. Ich persönlich hätte ihn lieber als Normalo gesehen. Und in Spider-Man 2 bekomme ich diesen Wunsch auch erfüllt.

Das gezeichnete Intro erzählt uns noch einmal kurz den ersten Teil, bevor wir mitten in das seltsame Leben zwischen Held und Held der Arbeit geworfen werden. Peter Parker ist immer noch Fotograf, immer noch Spider-Man, muss aber inzwischen irgendwie seine Miete selbst zahlen und fährt deshalb zusätzlich Pizza aus. Als er eine Lieferung nicht pünktlich zu schaffen droht, tut er das einzige Richtige, was seinem Charakter entspricht: Er schlüpft ins Superhelden-Kostüm, vergisst sein Moped und schwingt sich lieber mit acht Pizzakartons durch New Yorks Häuserschluchten.

Der Tonfall, in dem Regisseur Sam Raimi Spider-Man 2 beginnen lässt, weicht ein wenig vom entweder actionlastigen und melancholischen ersten Teil ab. Der zweite kommt plakativer, Comic-hafter daher, ohne aber seine Charaktere albern werden zu lassen. Wenn Peter sein Spider-Man-Kostüm waschen muss und dabei das Rotblau seine weiße Wäsche einfärbt, ist das nicht lächerlich, sondern zeigt ganz schlicht, dass der gute Mann zwei sehr anstrengende Leben verbinden muss. Wenn ich persönlich es auch sehr erfrischend zu sehen fand, dass selbst Superhelden keine Kochwäsche beherrschen. Die gute alte „Wann gehen Cowboys eigentlich aufs Klo“-Frage mal ganz neu gestellt.

Auch diesmal gibt es einen Schurken, dem sich Spider-Man entgegenstellen muss, auch diesmal wird dieser unfreiwillig von einem Guten zu einem Bösen. Dieser Kniff macht es uns schwer, ihn als herzlosen Mistkerl zu sehen, der gefälligst auf die Zwölf kriegen soll, denn wir hoffen immer noch darauf, dass das Gute sich seinen Weg zurückbahnt. Und Spider-Man ist vielleicht derjenige, der ihm diesen Weg weist. Aber Spider-Man hat in diesem Teil erst einmal genug eigene Probleme am Hals. Er behauptet zwar, ohne Mary-Jane auskommen zu können, liebt sie aber selbstverständlich immer noch. Und daher nagt es fürchterlich an ihm, dass er ständig Verabredungen nicht einhalten kann, weil wieder ein paar Bösewichter dazwischenkommen. Er kann seine Tagesjobs nicht behalten, weil er nachts Verbrecher jagt (wie hat Superman das eigentlich geschafft?), und er verliert sogar nach und nach seine Fähigkeiten, die es ihm ermöglichen, Wände hochzuklettern und Spinnennetze zwischen Wolkenkratzern zu basteln. Fast könnte man das ganze als Quarterlife-Crisis bezeichnen, die bei vielen dazu führt, sich über sich und seine Ziele nochmal grundlegend Gedanken zu machen und die bei Peter darin gipfelt, dass er sein Superhelden-Outfit in den Müll wirft und wieder brav studiert.

Der Bruch zwischen dem Heldendasein und der Rückkehr ins normale Leben wird wundervoll bebildert, Burt Bacharachs Heuler “Raindrops keep falling on my head” dudelt im Hintergrund, und ich persönlich habe nur noch auf die Zeitlupe und den rosigen Weichzeichner gewartet, durch den Peters Leben plötzlich wieder in Ordnung kommt. Überhaupt: Die Bilder bleiben stets auf sehr hohem Filmlevel, werden nie zu billigen Actionabbildungen; das Timing der Szenen ist ausgeklügelt und in unseren MTV-Blitzkriegschnitt-gewohnten Augen teilweise fast dramatisch gedehnt. Die Kamera verharrt gerne bei den Protagonisten und zeigt sie nicht nur heldenhaft gegen blauen Himmel, sondern auch einsam zwischen den Hochhäusern, alleine in kleinen Appartements oder hilflos nach sich selbst und dem richtigen Weg suchend.

Aber mitten in die ganzen dramatischen Überlegungen platzt natürlich der Schurke, Mary-Jane will heiraten, Peters alter Kumpel Harry hat noch nicht vergessen, dass Spider-Man seinen Vater getötet hat undsoweiterundsofort. Genug zu tun also, um das Kostüm wieder hervorzuholen. Und genau in dem Augenblick, in dem ich befürchtet hatte, dass jetzt doch der Standard-Blockbuster mit den obligatorischen Actionszenen beginnt, die mir den ersten Teil fast ein wenig verleidet haben, passiert genau das Gegenteil. Der Film nimmt sich noch mehr Zeit für seine Helden, bringt noch ausgefeiltere Dialoge (die übrigens in ihrer Schlichtheit eher ergreifend als banal sind – auch mal was Neues) und beschäftigt sich mit der großen Frage, was einen Helden ausmacht, in ganz kleinen Geschichten: der Nachbarsjunge, der ein Vorbild braucht. Peter, der seiner Tante endlich die Wahrheit über den Tod des Onkels sagt. Peter, der sich auch ohne Kostüm couragiert zeigt und so ganz simpel klar macht, dass man keine Maske braucht, um ein Held zu sein.

Trotzdem ist Peters Zwiespalt noch nicht ausgeräumt: War die Entscheidung, nur noch Spider-Man zu sein, die richtige? Will ich das überhaupt? Will ich nicht doch lieber mein ganz kleines privates Glück haben, mit einem Mädel an meiner Seite, mit dem ich nachmittags Schokoladenkuchen essen kann? Auch im zweiten Teil muss sich Peter entscheiden, und auch diesmal spielt Mary-Jane eine große Rolle. Denn sie ist es, die ihm klarmacht, dass wir nicht nur eine Facette haben: Held oder nicht. Wir bestehen aus so vielen Schichten, Ideen, Wünschen und Stärken – wenn unser Leben schon nicht schwarzweiß ist, wenn selbst im Bösen noch ein Funken Gutes ist, wieso darf der Held dann nicht auch einmal Mensch sein und umgekehrt?

Spider-Man 2 schafft etwas, das ich vorher nicht für möglich gehalten hätte. Er bringt sehr viel Tiefe in eine sehr schlichte Geschichte. Er trägt Komik auch in ernste Momente, ohne diese Stimmung zu ruinieren und bildet ernste Momente ab, ohne kitschig zu werden. Er huldigt den klassischen Comic-Verfilmungen mit kreischenden Mädels und teilweise karikaturhaften Charakteren (wie dem wundervollen Chefredakteur des Daily Bugle), nimmt einem aber nie die Illusion, in einem ernsthaften Film zu sitzen. Er wirkt bis auf eine Anspielung auf ein großes Online-Auktionshaus gleichzeitig modern und altbacken, seltsam zeitlos und fühlt sich daher in jeder Situation stimmig an.

Spider-Man 2 macht Spaß, rührt an, unterhält, fasziniert und hat atemberaubende CGI-Sequenzen, die nichts mehr mit den etwas holprigen Bildern des ersten Teils gemeinsam haben. Er ist mit über zwei Stunden einen Hauch zu lang geworden; wäre er allerdings kürzer geworden, hätte er darauf verzichten müssen, jeden begonnenen Handlungsstrang schön zu Ende zu führen bzw. hätte einige Figuren stiefmütterlich entlassen müssen. So nimmt man die lange Laufzeit gerne in Kauf, weil man das Gefühl hat, einen wohl durchdachten Film zu genießen.

Wohl durchdacht auch die Besetzung: Wie im ersten Teil veredeln Tobey Maguire und Kirsten Dunst die zwei Fast-Schablonen Peter und Mary-Jane zu wirklichen Charakteren, die in keiner Sekunde lächerlich wirken. Alfred Molina gibt einen sehr menschlichen Schurken, und Rosemary Harris rührt als Tante zu Tränen. Allein James Franco als rachsüchtiger Sohn übertreibt es ein wenig, tritt damit aber sehr passend in die Fußstapfen seines Filmvaters Willem Dafoe, der auch für eine Minute nochmal auf die Leinwand darf.

Spider-Man 2 ist kein typischer, actionhaltiger Sommerkracher geworden, sondern eine Charakterstudie. Dass der Hauptcharakter ein Superheld ist und nicht nur ein junger Mann, der ohne Maske immer noch seinen Platz im Leben sucht, den er mit Maske schon gefunden zu haben scheint, fällt einem nur auf, wenn eben dieser junge Mann sich mal eben halsbrecherisch durch New York schwingt. Und das wird er wahrscheinlich auch noch einen dritten Teil lang tun dürfen. Ich freu mich schon drauf.

Super Size Me

Super Size Me
(USA, 2004)

Drehbuch & Regie: Morgan Spurlock

Vorneweg: Ich kann den Film nicht objektiv beurteilen – falls ich jemals einen Film objektiv beurteilt habe. Ich kann es nicht, weil ich einer der fetten Menschen bin, über die das ganze Kino wohlig-schaudernd gelacht hat, als man sie über die Leinwand watscheln sah in ihren viel zu engen Hosen und T-Shirts, durch die man die Speckrollen zählen konnte. Ich habe mich selten so unwohl in einem Kino gefühlt, denn Super Size Me mag ein halbwegs gelungener Blick auf das amerikanische Essverhalten sein – ein toleranter Blick ist es nicht.

Super Size Me ist erst einmal eine Dokumentation eines ziemlich bescheuerten Experiments. Regisseur Morgan Spurlock, ein gesunder Mann in den 30ern, beschließt, sich 30 Tage lang nur von McDonald’s-Essen zu ernähren. Er muss jedes Gericht mindestens einmal bestellen, muss alles aufessen, und wenn er an der Kasse gefragt wird: “Do you want to super size your order?” muss er Ja sagen und die Riesenportion essen. Im Klartext: zusätzlich zum Burger über ein Pfund Pommes und ein Zwei-Liter-Getränk.

Der Film zeigt, wie sehr Spurlocks Gesundheit in den 30 Tagen leidet, wie seine Cholesterinwerte immer höher und seine sexuelles Verlangen immer weniger wird, wie seine Stimmung leidet, wie er kotzt und wie er in vier Wochen zwölf Kilo zunimmt. Der Film beleuchtet außerdem einige Facetten des amerikanischen Gesundheitssystems, Hintergründe der Lebensmittelindustrie und dass durch ungesunde Schulspeisungen und ein riesiges Werbebudget der großen Konzerne schon Kinder ein falsches Essverhalten lernen. Nach Spurlocks Rechnung sind 37 Prozent aller Amerikaner übergewichtig. Womit das Problem anfängt, das mir Super Size Me etwas verleidet hat: Wo beginnt Übergewicht?

Seit Jahren streiten Experten darüber, was zu fett ist und was nicht. Früher galt die Faustregel: Körpergröße minus 100 minus 15 Prozent bei Frauen, minus 10 Prozent bei Männern. Heute ist man davon wieder ein bisschen abgerückt; 15 Prozent müssen es nicht mehr sein. Vielen Dank auch. Dafür gibt es seit einiger Zeit den BMI, den Body Mass Index, der nun darüber befindet, ob wir schlank und damit attraktiv und begehrenswert sind oder mollig, dick, übergewichtig, fett und eklig und damit von vornherein ungesund und dem frühen Herztod geweiht. Und auch wenn es genügend Gegenbeispiele gibt von dicken Menschen, die 90 geworden sind und durchtrainierten Modellathleten, die mit 30 gestorben sind: Die Botschaft, die der Film vermittelt, ist: Fett ist hässlich, Fett ist ungesund, Fettleibigkeit ist eine Epidemie, die uns heimsucht, und wir müssen alles tun, damit das aufhört.

Es ist unbestritten, dass Schlanksein generell gesünder ist als Dicksein, keine Frage. Aber das Bild, das Super Size Me zeichnet, dient nicht gerade dazu, die Toleranz für die Menschen, die eben nun mal nicht gertenschlank sind, aus welchen Gründen auch immer, zu erhöhen. Die vielen Krankheiten und Todesursachen, die er als unausweichliche Folge von Fettleibigkeit anführt, können schlanke Menschen genauso ereilen. Oder ist der Herztod jetzt nur noch Menschen über 100 Kilo vorbehalten? Unbestritten ist übrigens auch, dass 10 Kilo zuviel auf den Rippen immer noch gesünder sind als jahrelange und meist vergebliche Versuche, sich dieses „Übergewicht“ durch bescheuerte Diäten abzuhungern.

Spurlock hat genau zwei kleine Vignetten im Film, die ein bisschen die Situation von Übergewichtigen in Amerika anklingen lassen, und sie zeigen, was er selbst von solchen Menschen hält. Einmal berichtet ein weiblicher, etwas rundlicher Teenager davon, wie groß der Druck ist, so auszusehen wie die ganzen unterernährten Models, was unkommentiert bleibt. Ein anderes Mal spricht eine deutlich dickere junge Frau davon, dass es schwierig ist, so zu bleiben wie man ist, wenn einem andere Leute erzählen: Hey, ich hab’s geschafft abzunehmen – das kannst du auch. Und das Publikum schnauft verächtlich, wie man das aus trashigen Talkshows gewohnt ist: Die will doch bloß nicht.

Nein, vielleicht kann sie einfach nicht. Fettleibigkeit ist nicht nur angefressen, sie ist zu einem großen Teil erblich bzw. genetisch bedingt. Und selbst, wenn der Wille und die Fähigkeit da sind: Eine große Menge an Gewicht zu verlieren, ist nicht mal eben so geschafft. Es heißt auch nicht, mal ein, zwei Jahre Diät zu halten und dann da weitermachen zu können, wo man aufgehört hat. Abnehmen bedeutet, seine gesamten Essgewohnheiten aufzugeben für den Rest des Lebens. Und dass das schwierig ist, lässt der Film nicht gelten. Er preist sogar die chirurgische Magenverkleinerung als Maßnahme an; eine Operation, die erst seit ein paar Jahren bei extrem Fettleibigen durchgeführt wird und von der noch nicht bekannt ist, wie die Spätfolgen aussehen. Nicht nur der Magen wird verkleinert, der gesamte Organismus ist betroffen. Der Körper kann nur noch eine gewisse Menge an Fett, aber auch an Nährstoffen aufnehmen, wodurch man den Teufel mit dem Beelzebub ausgetrieben hat: Was der Körper vorher zuviel bekam, bekommt er nun eventuell zuwenig.

Ich persönlich hatte einen Moment im Film, wo ich gerne etwas in Richtung Leinwand geschmissen hätte. Ein Sozialwissenschaftler erzählte die Geschichte, dass ein Raucher in einer Gesellschaft sofort darauf angesprochen würde, ob er nicht wisse, wie ungesund das sei, warum er das seinem Körper antue usw. Er wünschte sich, dass die Zeit käme, in der man dicken Menschen das gleiche sagen dürfe: “Why are you doing this to yourself, you fat pig?” Ich hätte dem Blödmann gerne geantwortet: “It’s already happening, you stupid asshole.”

Jeder, der auch nur ein Hauch zuviel (nach welchen Maßstäben auch immer) auf den Rippen hat, hat sicher schon mal im Schwimmbad einen Spruch abgekriegt. Kein Dicker wurde in der Schule nicht gehänselt. Selbst in meinen Augen absolut perfekt aussehende Menschen wie z.B. Beyoncé oder Jennifer Lopez müssen sich in der Presse als „dick“ bezeichnen lassen. Und genau da ist für mich der Punkt erreicht, wo der Schlankheitswahn komplett über die Stränge schlägt. Super Size Me hat natürlich Recht damit, dass wir unsere Essgewohnheiten ändern sollten, dass Obst und Gemüse gesünder sind als Fett und Zucker, aber wenn man schon anfängt, objektiv gesehen schlanke Menschen als eben nicht mehr schlank zu bezeichnen, dann weiß ich auch nicht mehr.

Mir ist schon klar, dass die obigen Zeilen nicht unbedingt eine Filmkritik darstellen. Ich muss einfach zugeben, dass ich vor diesem Film ein wenig die Waffen strecke. Ich fand ihn gut, ich fand ihn spannend, unterhaltsam, nachdenklich, interessant – aber ich habe fast jede Minute als Angriff gewertet. Ich habe zum ersten Mal im Kino nicht das Gefühl genießen können, in der Dunkelheit zu verschwinden und damit mal Ruhe zu haben vor irgendwelchen blöden pubertären Scherzen, die an schlechten Tagen verdammt weh tun und die mir in einer Sekunde mein eigentlich gutes Körpergefühl nehmen. Stattdessen hatte ich jedesmal, wenn ich mich im Sitz bewegt habe, um das andere Bein überzuschlagen, das Gefühl, dass mein schlanker Nachbar denkt, Kann die fette Kuh nicht mal stillsitzen?

Super Size Me zeigt sehr drastisch, wie ungesund 30 Tage Fat … Freud’scher Vertipper … Fast Food sind. Ich bin zwar der Meinung, dass 30 Tage Eierdiät ein ähnliches Ergebnis gehabt hätten, weil jede einseitige Ernährung ungesund ist, aber das wäre nicht so plakativ gewesen. Der Film hat es allerdings erreicht, dass McDonald’s die Super Size-Menüs von der Speisekarte gestrichen hat; wahrscheinlich auch, weil sie auf Spurlocks berechtigte Frage keine Antwort gefunden haben: Wer braucht ein Pfund Fritten und zwei Liter Cola?

Ich hab auch keine Antwort. Ich kann nur sagen: Ab und zu sind ein Pfund Fritten ganz nett. Und ich hab auch keine Lust, das sein zu lassen. Und ich mag keine Filme, die einen kompletten Menschenschlag über einen Kamm scheren und sie als unfähige Trottel darstellen, die zu doof zum Essen sind. Aber das ist wahrscheinlich nur eine Überinterpretation. Guckt euch den Film selbst an; sagt ihr mir, wie er war. Nach ungefähr 20 Ansätzen, diese Kritik halbwegs würdig über die Bühne zu kriegen, gebe ich offiziell auf. Und geh was essen. Nen Salat. You win.

(T)Raumschiff Surprise – Periode !

(T)Raumschiff Surprise – Periode 1
(D, 2004)

Darsteller: Michael Herbig, Rick Kavanian, Christian Tramitz, Til Schweiger, Anja Kling, Sky Dumont, Christoph Maria Herbst
Kamera: Stephan Schuh
Drehbuch: Michael Herbig, Rick Kavanian, Alfons Biedermann
Regie: Michael Herbig

Dass (T)Raumschiff Surprise überhaupt gedreht wurde, verdanken wir den vielen Fans der bullyparade, die darüber abstimmen durften, ob wir einen zweiten Teil vom Schuh des Manitu bekommen, einen Sissi-Film, einen Film, wo keiner mit rechnet oder eben einen Film mit der rosafarbensten Crew des Weltalls. Ich persönlich wollte ja gerne Sissi sehen, aber nachdem ich aus dem Kino gekommen bin, war ich ganz froh, dass es doch die Weltraumtucken geworden sind.

Wer sich bei Manitu amüsiert hat, wird das auch garantiert bei (T)Raumschiff Surprise tun, denn das Grundrezept, nach dem die Witze funktionieren, ist das gleiche: Pubertärer Brachialhumor wechselt sich ab mit wunderbar intelligenten Wortspielen, die man erst kapiert, wenn sie vorbei sind, die einem dann aber nachträglich Bewunderung abringen. Das Tempo im Weltraum ist noch eine Ecke höher als im Wilden Westen, und das tut dem Film sehr gut. Bei Manitu hatte ich einige Male den Wunsch, es möge doch jetzt bitte weitergehen; bei (T)Raumschiff Surprise war ich fast erstaunt, als der Abspann mit den obligatorischen Outtakes anfing.

Die Geschichte der drei schwulen Raumfahrer, die als letzte Retter der Erde eine Zeitreise unternehmen und dabei ins Mittelalter und in den, war ja klar, macht aber Spaß, Wilden Westen gelangen, bevor sie im Jahr 2004 ankommen, nimmt sich selbst nie ernst und persifliert ein Filmklischee nach dem anderen. Star Wars-Fanatiker sollten sich das Traumschiff nicht antun, denn was Bully aus dem guten, alten Laserschwert macht oder aus dem „Darth Vader ist mein Papi“-Trauma, ist pure Blasphemie. Das allerdings verdammt unterhaltsam. Aber eigentlich ist die Story kaum von Belang, dient sie doch nur als Korsett für viele kleine Einzelszenen, die alle auch in der bullyparade hätten stattfinden können. Beziehungsweise fast alle, denn in das Münchner Studio hätten wahrscheinlich weder ein phallusförmiges Raumschiff, ein fliegendes Taxi, ein Scheiterhaufen, auf dem ein Sofa steht, und ein Moped, das als Zeitmaschine fungiert, gepasst. So dürfen sich die drei Recken zusammen mit Til Schweiger und Anja Kling auf der großen Leinwand austoben. Und das tun sie dann auch.

Das Schöne an (T)Raumschiff Surprise ist, dass man dem Film den Respekt vor seinen großen Vorbildern anmerkt; vieles wird liebevoll zitiert, ohne es albern wirken zu lassen. Wenn man mal so tut, als sei der komische Rat mit Samuel L. Jackson in den unbequemen Sesseln aus Episode 1 nicht schon albern genug. Aber nicht nur vor den verschiedenen Genres hat (T)Raumschiff Surprise Respekt – er lässt auch seine Charaktere nicht im Stich. Bei all den Kalauern und Schenkelklopfern haben die Jungs komischerweise wirklich eine Persönlichkeit; sie sind nicht nur Mittel zum Zweck, in diesem Falle ein billiger Lacher. Als einer von ihnen zurückgelassen werden muss, habe ich wirklich um ihn getrauert, anstatt wie mein Hintermann darüber zu grölen. Aber das war eh einer von Sorte, die schon das Lichterlöschen im Saal todkomisch fand.

(T)Raumschiff Surprise lebt von seiner straffen Story, vielen kleinen Ideen, die jede Szene abrunden, guten Akteuren, die nicht typisch-deutsch-pseudokomisch sind, sondern die wirklich das Talent für eine Pointe besitzen. War Manitu schon gut gecastet, ist es das Traumschiff erst recht. Bully kann es sich zwar auch hier nicht verkneifen, die Menschen singen zu lassen, aber diesmal sind die musikalischen Einlagen deutlich kürzer. Und als Christoph Maria Herbst als mittelalterlicher Barde seine Bontempi anwarf, war ich eh verloren.

Der Film ist sicherlich keine Neuerfindung des Rads. Manche Jokes sind ein bisschen angestrengt, andere wiederum haben diese völlig irrwitzige Qualität, die schon die bullyparade vom Rest der Pausenclowns unterschied. Mich persönlich hat es gefreut zu sehen, dass man aus einem kleinen Einspieler wirklich einen ganzen Film hinkriegt, der nicht langweilt und nicht nervt; ich hatte befürchtet, dass das konstante Dauergeschwuchtel einem doch irgendwann auf den Keks geht. Aber immer wenn’s zuviel wurde, durfte Til Schweiger sexy in die Kamera gucken oder Rick Kavanian als Lord Maul durch die Gegend sächseln. Und wenn gar kein Dialog mehr half, waren die Special Effects da, die sehr, sehr ordentlich geworden sind.

Simples Fazit: Mir hat’s gefallen. Ich wollte mich amüsieren – ich hab mich amüsiert. Keine schwere Kost, sondern ein sehr liebevoll gemachter Film, der einen gut unterhält und mit einem fluffigen, warmen (der musste sein) Gefühl aus dem Kino entlässt.

Elephant

Elephant: dokumentarisch anmutende Nacherzählung des Massakers in Littleton. Der Film folgt sehr bedächtig mehreren Schülern auf ihren endlos scheinenden Wegen durch die Schule, so dass der Zuschauer sich zum Schluss dort perfekt auskennt und daher die Bedrohung fast selbst spürt, wenn einer der beiden Täter um eine Ecke biegt. Das Werk bezieht seine komplette Spannung daher, dass man auf die Bilder wartet, die man kennt: die Cafeteria, die Leichen in den Gängen, die waffenstrotzenden Schützen. Regisseur Gus van Sant widersteht der Versuchung, das Ganze reißerisch aufzumachen und lässt stattdessen scheinbar einfach die Kamera laufen an einem ganz normalen Schultag. Die 80 Minuten Film fühlen sich bis auf den Schluss ziemlich langweilig an; gleichzeitig ist das aber der Pluspunkt des Films, denn genauso wird sich das Leben in Littleton angefühlt haben, bis auf einmal alles anders wurde.

Einige zaghafte Erklärungsversuche wie das Außenseiter-Dasein und die Waffenverrücktheit der beiden Täter, ihre Faszination für Ego Shooter oder die Nazis klingen an, werden aber nicht als Grund für das Massaker herangezogen. Am eindringlichsten fand ich die Schlussszene, in der einer der beiden einen Abzählreim nutzt, um für sich selbst klarzumachen, wen der zwei Schüler, die er flehend vor sich hat, er nun als erstes erschießen wird. Das ganze ist ein Spiel, ein Spaß, hat keine Konsequenzen und ist genauso „normal“ wie die kotzenden Mädchen nach dem Lunch auf dem Klo oder dass der eine Täter den anderen erschießt, einfach so, es ist egal. Grundlos, sinnlos. Dieses Gefühl fängt der Film perfekt ein. Trotzdem bleibt die Frage, was er eigentlich soll, denn er erzählt mir nichts Neues oder Überraschendes und ist, wie gesagt, verdammt langweilig.

Cold Mountain

Cold Mountain (Unterwegs nach Cold Mountain): epische, langsame Reise eines Deserteurs (Jude Law) im Bürgerkrieg der USA nach Hause, nach Cold Mountain, zu seiner Geliebten (Nicole Kidman), die mit einer einzigen weiblichen Hilfskraft (Renée Zellweger) versucht, ihre Farm vor den Kriegswirren und dem Winter zu retten.

Ich musste mich anstrengen, diesen Film zu mögen, denn ich kann Nicole Kidman nicht leiden, und auch ihre zerstrubbelten Haare (die aber immer noch nach Fotoshooting aussahen) und dreckigen Hände haben mich nicht davon überzeugen können, dass sie eine Farm bewirtschaftet. Genau wie Renée Zellweger anscheinend immer einen Schmollmund hat; ihr schöner Südstaatenslang hat aber einiges wettgemacht. Jude Law ist mir ein wenig zu feingliedrig gewesen für das ganze Schlachten um ihn herum, aber vielleicht sind mir gerade deswegen die Gewaltszenen so nahe gegangen.

Die Sequenzen aus dem Schützengraben hatten eine satte Farbigkeit und wirkten durch Kameraführung und Zeitlupe wie Gemälde. Kostüme und Ausstattung schufen eine perfekte Illusion; gerade deshalb hat es genervt, so viele bekannte und vor allen nicht gerade zeitlose Gesichter in der Geschichte wiederzufinden. Giovanni Ribisi, Charlie Hunnam, Jack „The White Stripes“ White, Philip Seymour Hoffman … einzig Natalie Portman schien mir in das Lokalkolorit zu passen.

Die Geschichte hat zwar den roten Faden des Nach-Hause-kommen-Wollens, aber das, was den Film ausmacht, sind eher die verschiedenen Menschen, die Law auf eben diesem Weg trifft. Jedes einzelne Schicksal ist vom Krieg gezeichnet; die Sinnlosigkeit gerade dieses Krieges wird sehr deutlich, obwohl der Film sie geschickt und nicht mit dem Holzhammer transportiert. Untermalt wird das ganze von der einfühlsamen Musik von Gabriel Yared: sehr martialisch bei den Kampfszenen, aber sehr zurückgenommen und zärtlich bei allem anderen.

Die Dialoge tun ihr übriges: Sie schwanken angenehm zwischen erdiger Bodenständigkeit gerade von Zellweger und völlig gestriger Südstaaten-Vornehmheit. Manchmal etwas plakativ, aber deshalb nicht weniger wahr, z.B. wenn Law sich rechtfertigt, dass er Kidman nicht öfter geschrieben habe: “If you could see my inside, or whatever you want to name it; my spirit, that’s what I fear. I think I’m ruined. They kept trying to put me in the ground but I wasn’t ready. But if I had … if I had goodness, I lost it. If I had anything tender in me, I shot it dead! How could I write to you after what I’d done? What I’d seen?”

Mona Lisa Smile

Mona Lisa Smile (Mona Lisas Lächeln): pseudo-feministisches Geblubber mit Julia Roberts als Kunstlehrerin am traditionsreichen Wellesley-College in den 50ern. Der Film kann sich nicht entscheiden, ob er nun eine der fünf angerissenen Liebesbeziehungen mehr als nur schablonenartig anreißt oder doch lieber den Konflikt „Küche oder Karriere“ beleuchtet oder nur den Selbstverwirklichungswunsch der Hauptfigur abbildet oder generell ein Statement zum Leben der amerikanischen Frau nach dem Zweiten Weltkrieg abgibt.

Es sollte wohl so eine Art Dead Poets Society für Mädchen werden; das ist es leider sowas von gar nicht geworden. Stattdessen quält sich Mona Lisa Smile von einer Handlungsebene auf die nächste, und keine wirkt richtig fertig. Viele Nebenfiguren werden spannend angerissen (die lesbische Krankenschwester, die einsame Vermieterin, die promiskuitive Studentin), aber alle versacken in einem sehr unstrukturiert wirkenden Drehbuch. Und Julia Roberts habe ich bisher nur Pretty Woman abgekauft und danach keine einzige Rolle mehr. Vor allem nicht diese.

Along Came Polly

Along Came Polly (… und dann kam Polly): unausgegorene Komödie mit einem völlig verschenkten Ben Stiller und einer langweiligen Jennifer Aniston. Die beiden haben es doch eigentlich gar nicht nötig, sich in sowas Halbgarem rumzutreiben. Ich habe beiden keine Sekunde lang geglaubt, dass sie füreinander bestimmt waren, ich fand keinen der Frettchen-Jokes lustig und die Furz-und-Kotz-Orgie schon gar nicht. Für 13jährige waren zu wenig Titten drin, für die Älteren zu wenig Story und für alle zu wenig Witz. (Philip Seymour Hoffman und Hank Azaria waren die einzigen Lichtblicke. Aber selbst die haben’s nicht gerissen.)

Höllentour

Höllentour
(D, 2004)

Mitwirkende: Erik Zabel, Rolf Aldag, Andreas Klöden, Alexander Winokurow, Mario Kummer, „Eule“
Musik: Till Brönner
Kamera: Michael Hammon, Wolfgang Thaler, Filip Zumbrunn
Regie: Pepe Danqwart

Die Tour de France gilt als das härteste Radrennen der Welt. Nachdem ich Pepe Dankqarts Dokumentation Höllentour gesehen habe, würde ich auch die Fahrer als die härtesten Sportler der Welt bezeichnen. Was sind schon 80 Runden in einem Rennwagen gegen 2500 Kilometer mit gebrochenem Schlüsselbein?

Der Film wurde während der Tour 2003 gedreht und konzentriert sich auf das Team Telekom, genauer gesagt, einige seiner Akteure: zum einen Erik Zabel, der in den Jahren zuvor das Grüne Trikot des Zeitschnellsten erringen konnte. Dieser Triumph wird ihm diesmal verwehrt bleiben, und er erklärt, was daran so schmerzhaft ist. Es ist nicht ein- und derselbe Fahrer, der stets die eine Zehntel oder Hundertstel Sekunde voraus ist, es sind verschiedene. Und das zehre ganz besonders, weil man eben nicht sagen könne, na gut, oder eher: Najut, der iss eben schneller, da kann man nüscht machen, wa?

Auch die anderen Fahrer lassen Danqwart und sein Kamerateam sehr nah an sich und ihre Eigenheiten heran. Rolf Aldag sinniert in der Badewanne darüber, dass es ja eigentlich ganz schön bescheuert sei, sich im vorauseilenden Gehorsam die Beine zu rasieren, damit die Haare bei einem eventuellen Sturz die Wunde nicht noch schlimmer machten. Andreas Klöden, der bereits in der ersten Etappe eine unfreiwillige Begegnung mit der Straße macht und sich trotzdem noch bis in die Berge quält, bis er doch schlussendlich mit dem Besenwagen aufgesammelt wird, beklagt genau das: diese Schmach, die Tour nicht zuende gefahren zu sein; die Peinlichkeit, wenn der letzte Wagen mit fünf Stundenkilometern neben einem hertuckert und darauf wartet, dass du aufgibst.

Höllentour konzentriert sich bei all seinen beeindruckenden Bergpanoramen und dem riesigen Mediengewusel und den unüberschaubaren Fanmassen auf die kleinen Szenen, die Charaktere, von denen die Tour lebt: die Männer, die sie durchstehen. Zu Beginn der Tour galten sie als Übermenschen, berichtet der Film: 1903, als die Tour zum ersten Mal stattfand, fuhren die Teilnehmer auf Straßen, über die sonst Bauern mit ihren Heuwagen rumpelten. Es gab kaum Autos, viele Menschen kannten nicht mal ihr Nachbardorf in 20 Kilometer Entfernung. Wie unglaublich wirkte da eine Strecke von 2500 Kilometern durch ganz Frankreich.

Und den Status der Übermenschen haben die Fahrer immer noch, auch wenn sie selbst das ganz anders sehen. Zabel spricht vom Respekt vor den Bergen; Aldag, der eine Bergetappe gewinnt, streichelt fast zärtlich über das gepunktete Trikot und meint nicht mal ironisch, dass jeder Punkt auf dem Shirt ihn ein Jahr seines Lebens gekostet habe. In vielen kleinen Interviews, die meist bei der Massage durch Teambetreuer „Eule“ stattfinden, zeigt sich besonders im Gesicht von Zabel das Auf und Ab an Emotionen, das die Fahrer durchzustehen haben. Die Freude am Start. Die Befürchtung, im Mannschaftszeitfahren nicht gut genug für die anderen zu sein. Die Hoffnung darauf, dass es morgen besser läuft als heute. Die Beklemmung vor den nächsten 200 Kilometern durch die Pyrenäen. Die völlige Erschöpfung nach dem Zeitfahren. Aber auch das schlichte, leise Lächeln nach einer Etappe, die einfach gut war.

Der Film beeindruckt durch seine bildnerische Spannung, die durch große Schwenks über die französische Landschaft und demgegenüber klaustrophobischen Gefühl eines Massenzieleinlaufs entsteht; dem Wechsel zwischen Schussfahrten mit 95 km/h und dem zähen Kampf eines Aufstiegs; den Bildern des einsamen Fans am Straßenrand, der eine Sekunde das Gefühl genießen darf, dass ihre Stars zu ihm kommen in „der größten Sportarena der Welt“ und dem überschwenglichen Menschentunnel, durch den sich die Fahrer auf den Bergetappen quälen müssen; dem Nebeneinander von technischer Perfektion der geschmeidig laufenden Räder und der im Vergleich dazu unperfekten Menschen, die trotz ihrer Hochleistungsmaschinen verwundbar bleiben, Nasenbluten haben, geprellte Schultern und gebrochene Schlüsselbeine. Und die trotzdem wieder aufstehen, in die Pedale treten und wenigstens die Etappe zuende fahren wollen. Am besten die ganze Tour. Menschmaschinen. Beißen und treten. Beißen und treten. Beißen und treten.

Höllentour erliegt nicht der Versuchung, die Tour reißerisch aufzublasen oder mit Superlativen aus der Vergangenheit um sich zu werfen; das hat die Tour gar nicht nötig. Die Leistung der Fahrer ist ein Superlativ, und genau das bleibt auch als Gesamteindruck hängen. Bei allem Schmunzeln über die sächsischen Fans mit der Deutschlandflagge, die weggeworfene Trinkflaschen aufsammeln, bei allem Lachen über die „Ehe“ der ewigen Zimmerkumpanen Zabel und Aldag, die sich schon blind verstehen und sich kampflos die Fernbedienung überlassen, bei all den kleinen, freundlichen Szenen bleibt doch ein anderes Gefühl zurück: ein Gefühl von Größe und Erhabenheit. Höllentour schafft es, den Zuschauer Respekt vor einer unmenschlichen Strapaze empfinden zu lassen, ohne sich fassunglos zu fragen: Warum tun die sich das bloß an? Der Film gibt die Antwort: Sie tun es eben. Schließlich ist das nicht irgendein Rennen. Es ist die Tour de France. Das härteste Rennen der Welt. Dieser Herausforderung kann man sich als Radprofi nicht entziehen. Auch wenn sich Erik Zabel in den Bergen selbst einmal fragt, warum er nicht lieber Surfen gelernt habe.

Die Spielwütigen

Die Spielwütigen (D, 2004)

Darsteller: Prodromos Antoniadis, Constanze Becker, Karina Plachetka, Stephanie Stremler
Buch und Regie: Andres Veiel

Der Dokumentarfilm Die Spielwütigen begleitet drei Frauen und einen Mann auf ihrem Weg, Schauspieler zu werden. Alle vier sprechen bei der renommierten Ernst-Busch-Akademie vor, werden aufgenommen, die einen sofort, die anderen beim nächsten Anlauf, alle vier erleben die Zeit der Ausbildung, verlieben sich, trennen sich, durchleiden Selbstzweifel, legen sich mit ihren Lehrern an, schließen die Schule ab – werden erwachsen.

Sieben Jahre lang hat Regisseur Andres Veiel die vier begleitet, hat sie immer wieder sich selbst und ihre Arbeit kommentieren und hinterfragen lassen, hat sie von den ersten Gehversuchen bis zum ersten Engagement gefilmt. Was mich an Die Spielwütigen besonders fasziniert hat, war nicht unbedingt die Arbeit an einer Schauspielschule – obwohl das natürlich auch einen großen Reiz des Films ausmacht: zu sehen, wie aus Talenten „fertige“ Darsteller werden. Nein, was mir am meisten Spaß gemacht hat, waren die ganz unterschiedlichen Charaktere, die alle das gleiche wollen und doch auf so unterschiedliche Weise ihr Ziel erreichen.

Wir lernen zum Beispiel Prodromos kennen, der unter anderem mit dem bekannten „You’re talking to me?“-Monolog aus Taxi Driver bei der Aufnahmeprüfung vorspricht. Der junge Mann wirkt am fertigsten von allen vieren; er ist selbstbewusst, stark, fordernd. Der einzige Zweifel, den er hat: Wird er vielleicht deshalb nicht angenommen, weil er nicht mehr formbar ist, schon zu gut? Und es wirkt nicht einmal arrogant, was er da sagt, er, der einer von 1000 Bewerbern ist, von denen 30 die Prüfung überstehen werden.

Prodromos wird angenommen, und seine Stärke, sein Selbstbewusstsein sind genau das, was ihm die Arbeit schwer macht. Er weiß, was er kann und scheint nicht dazulernen zu wollen. Ein Lehrer drückt es treffend aus: „Wir bekommen von dir vermittelt, alles Ärsche zu sein.“ Er fällt durch eine Prüfung, ihm droht die Exmatrikulation – und plötzlich beginnt er zu zweifeln. Plötzlich versucht er, Ratschläge anzunehmen, sich formen zu lassen – und wird dadurch besser. Aber sobald er die Abschlussprüfung in der Tasche hat, schlägt seine alte Ader wieder durch. Er wird der einzige der vier ohne Engagement bleiben, er, der so fertig begonnen hat.

Wir lernen Constanze kennen, die schon immer nur spielen wollte und das auch tut. Zielstrebig, geradeaus, klar. Sie sitzt zum Schluss in ihrer Wohnung, mit ihrem charakteristisch unbewegten Gesicht, das nur auf der Bühne lebendig zu werden scheint und meint, ja, sie sei wohl glücklich. Glaube sie. Da ist sie auf einmal doch unsicher, wo alles andere in ihrem Leben sicher ist.

Wir lernen Karina kennen, die Brave, die immer alles durfte, und jetzt, wo sie Regeln zu befolgen hat, diese nutzt, um rebellisch zu werden; um sich selbst zu entdecken und um immer und immer wieder an sich zu zweifeln. Und genau diese Zweifel scheinen es zu sein, die sie immer weitermachen lassen und sie immer besser werden lassen. Es ist das Rebellieren gegen sich selbst, gegen den Zweifel, was sie ausmacht. Ihr kriegt mich nicht.

Und wir lernen Stephanie kennen. Sie ist mir persönlich fürchterlich auf die Nerven gegangen – mit ihrer seltsam unfassbaren Art, mit ihrer Naivität, aus der doch plötzlich präzise, intelligente, wissende Sätze kommen, mit ihrem trotzigen „Die müssen mich doch nehmen“ und dem gleichzeitigen völligen Verständnis, als sie beim ersten Mal durchfällt. Stephanie ist der spannendste „Charakter“, denn sie wächst wirklich an sich selbst und an ihrem Leben. Sie fängt am kindlichsten an und scheint zum Schluss als einzige wirklich und wahrhaftig erwachsen zu sein, weil sie am meisten Veränderungen erlebt hat.

Sie hat mir auch am deutlichsten gezeigt, was es heißt, Schauspieler zu sein: das Aufgehen in einer Rolle, das Mitnehmen von eigenen Eigenschaften und das Umwandeln in etwas völlig Neues. Alle vier haben mich sehr beeindruckt mit ihrem ganz unterschiedlichen Können, aber Stephanie, mit der ich es im wahren Leben keine zwei Minuten ausgehalten hätte, ohne wahnsinnig zu werden, dieser Stephanie hätte ich auf der Bühne stundenlang zuschauen können. Sie hat in jeder ihrer gefilmten Probeszenen eine derart atemberaubende Präsenz und verschwindet so sehr in ihren Rollen, dass ich es jedesmal fast verflucht habe, wenn die anderen wieder zum Zug kamen.

Die Spielwütigen nimmt einen mit hinter die buchstäblichen Kulissen. Er entwirft keine wilde, aufregende Theaterwelt, er zeigt stattdessen die harte, detailverliebte Arbeit, die hinter dem Applaus steht. Der Film kommt sehr behutsam daher und gibt den Spielszenen viel Raum. Man genießt Theater auf eine neue Weise und wird sich plötzlich bewusst, dass man gerade im falschen Medium ist: Immer, wenn der Film die lebendige Bühne abbildet, wird einem klar, wie banal ein Film eigentlich ist. Karina fasst es schön zusammen, wenn sie sich weigert, z.B. für Daily Soaps zu spielen: Sie habe doch eine Verantwortung ihrem Beruf gegenüber. Diese Verantwortung, dieses Ernst-Nehmen macht der Film sehr schön deutlich, ohne dabei überambitioniert oder zeigefingerig zu werden. Er bildet ab, er zeigt, aber er führt nie vor.

Ich habe aus dem Film einiges mitgenommen: eine neue Faszination für einen spannenden Beruf. Die Erkenntnis, dass man nur an sich selbst wachsen kann. Die plötzliche Dankbarkeit, dass ich wachsen durfte. Und das völlig neue Gefühl, ganz schnell aus dem Kino zu wollen. Denn ich wollte viel lieber ins Theater.

The Day After Tomorrow

The Day After Tomorrow
(USA, 2004)

Darsteller: Dennis Quaid, Jake Gyllenhaal, Ian Holm, Sela Ward, Dash Mihok, Emmy Rossum, Kenneth Walsh
Musik: Harald Kloser
Kamera: Ueli Steiger
Drehbuch: Roland Emmerich, Jeffrey Nachmanoff
Regie: Roland Emmerich

Das Schöne an The Day After Tomorrow ist, dass Regisseur Roland Emmerich sich auf spannendere Bedrohungen für die Menschheit besonnen hat als doofe Aliens, die man mit lausigen Starfightern vom Himmel holen kann; dass weiterhin diesmal nicht die Amis die Welt retten, sondern sie im Gegenteil ziemlich (haha) kalte Füße kriegen und dass außerdem die Dialoge einen Hauch besser sind als z.B. in Independence Day oder dem Meilenstein an miesen Dialogen, Stargate. Das Dumme an The Day After Tomorrow ist, dass das immer noch nicht für einen guten Film reicht.

Auf Emmerich kann man sich ja verlassen: Wenn in seinen Filmen etwas passiert, dann immer in XXL. Seien es Godzilla, der den Madison Square Garden plattmacht oder eben ein paar Aliens, die das Weiße Haus in Trümmer legen – wenn schon, denn schon. Auch diesmal geht eine Menge zu Bruch, aber nicht durch Lebewesen, denen man schon irgendwie beikommen kann, wenn man nur genug Feuerkraft, markige Sprüche und amerikanische Flaggen dabei hat, nein, diesmal will Mutter Natur nicht mehr mitspielen. Genauer gesagt, der Golfstrom, dem wir unser gemäßigtes Klima verdanken. Durch die globale Erwärmung sind die Polkappen soweit abgeschmolzen, dass (ab hier Hirn ausschalten) die kalten Wassermassen das gesamte Klima beeinflussen. Kurz gesagt: Die Menschheit steuert auf die nächste Eiszeit zu. Und zwar nicht erst in ein paar Jahren, denn solange wollen wir ja alle nicht im Kino sitzen, sondern quasi übermorgen (cleverer Filmtitel, gell?).

Was also passiert? So ziemlich die gesamte Nordhalbkugel der Erde wird von Stürmen verwüstet, von Hagelschauern getroffen oder vereist in Sekundenschnelle – je nachdem, was den Charakteren gerade zustoßen soll. Können sich ein paar britische Hubschrauberpiloten nicht mehr vor der drohenden Vereisung in Sekunden retten, so haben im Gegensatz zu ihnen die Amerikaner ein paar Minuten mehr. Vielleicht liegt’s an der Zeitverschiebung, wer weiß das schon so genau. Vielleicht liegt’s auch, wie immer bei Emmerich, am arg durchgeplanten Drehbuch, das gnadenlos auf ein Ziel zusteuert. Alles, was sich dem in den Weg stellt, muss weichen. Die Logik sowieso.

Diesmal ist das Ziel die Versöhnung von Papa Dennis Quaid und Sohnemann Jake Gyllenhaal. Papa ist Klimatologe und warnt alle, die ihm zuhören wollen, vor der drohenden Eiszeit. Das Perfide an solch kalkulierten Actionfilmen ist, dass man schon nach fünf Minuten weiß, wie das Ding ausgeht. Natürlich hören die Wichtigen nicht auf Papa, natürlich fallen sich Sohnemann und Vater am Schluss in die Arme, natürlich passiert zwischendurch noch irgendwas, aber was, ist eigentlich egal. Gerade bei Emmerichs Filmen habe ich immer mehr das Gefühl, dass man sich die Dinger wegen drei schöner Effekte anguckt und den Rest halt irgendwie über sich ergehen lassen muss.

Umso mehr war ich darüber verwundert, dass Emmerich wirklich noch versucht, eine Botschaft unterzubringen. Von der augenfälligen „Habt mehr Respekt vor der Natur“-Message mal abgesehen, will er uns auch noch sagen, dass wir vielleicht doch alle Brüder sind. Im Kleinen wäre das die Geschichte mit dem Penner, der erst von allen abgewiesen wird und dann doch mit ihnen in der Bibliothek überwintern darf. Im Großen sind das die Massen von Amerikanern, die illegal über die Grenze nach Mexiko fliehen, um sich vor der Kaltfront in Sicherheit zu bringen. Und wer dieses Bild noch nicht kapiert hat, für den wird zum Schluss in der Ansprache des amerikanischen Präsidenten nochmal sinngemäß gesagt: Wir haben überlebt, weil uns Länder aufgenommen haben, die wir bisher als Drittweltländer bezeichnet haben. Ah, danke, jetzt hab ich’s verstanden.

Was The Day After Tomorrow davor rettet, eine komplette Gurke zu sein, sind – natürlich – die Bilder. Ich fand es sehr spannend, dass Emmerich aus täglich Gesehenem wie Wolken, Wellen oder Schnee Neues, Bedrohliches macht. Plötzlich kommt Wind nur noch als Tornado vor und zerstört mal eben das Hollywood-Sign (muss der Mann eigentlich immer Wahrzeichen ruinieren?). Plötzlich wird aus dem plätschernden Gewässer, das Ellis Island umspült, eine Flutwelle, die fast die Lady Liberty mitreißt. Und plötzlich ist die Stille, die von gigantischen Schneefeldern erzeugt wird, nicht mehr beeindruckend, sondern beängstigend. Vor allem, wenn noch die Spitze der Freiheitsstatue aus dem Schneefeld schaut.

Die Charaktere bleiben blass, wie immer, wenn die Bilder wichtiger sind und vor allem größer. Die Liebesgeschichte zwischen Jake und seiner Schulfreundin ist einem genauso egal wie das Schicksal des krebskranken Kindes, auf das die Mutter von Jake aufpasst. Ich finde es immer schade, dass Emmerich sich nicht auf zwei oder drei Figuren konzentrieren kann, sondern unbedingt die Tragweite der Katastrophe dadurch sichtbar machen will, dass er viele Handlungsstränge an vielen Orten stattfinden lässt. Dadurch müssen alle schablonenhaft platt werden, um möglichst schnell ihre Funktion zu erfüllen: die treusorgende Mutter, der entschlossene Vater (keiner schiebt seinen Kiefer markanter in die Kamera als Dennis Quaid), der großkotzige und zum Schluss reuige Vizepräsident … Emmerich legt teilweise interessante Charaktere an und lässt sie dann einfach verhungern. Was hätte der Mathe- und Computer-Nerd mit seinem Wissen alles anstellen können außer ein Radio zu reparieren? Wieso ist die Mutter, die dem kranken Kind etwas vorliest, Ärztin? Das hätte auch eine Putzfrau hingekriegt. Wieso muss der alte Kumpel von Quaid das Zeitliche segnen, und wieso berührt mich das nicht mal? Es gibt Actionfilme, die mehr aus ihren Figuren herausholen wie z.B. The Core, dessen Geschichte noch dämlicher ist als die hier, wo aber die Personen ein Herz zu haben scheinen und auch weniger Einzeiler aufsagen müssen.

Die einzige Figur in The Day After Tomorrow, die mich berührt hat und um die ich trauern konnte – denn natürlich bleiben einige der Helden auf der Strecke – war der britische Wissenschaftler, der wundervoll von Ian Holm verkörpert wird. Er schafft es sogar, auf die Menschheit anzustoßen, ohne dabei pathetisch zu wirken. Die Szene, in der drei englische Klimatologen auf ihr sicheres Ende toasten, war überhaupt eine, die zeigt, wie es hätte gehen können. Der eine stößt, worauf auch sonst, auf “England!” an, dann folgt Holm besonnen mit “To mankind!”, worauf der dritte, Bodenständige fast trotzig “To Manchester United!” ausstößt. Die drei haben es in ihrer begrenzten Zeit geschafft, ein weites Spektrum an menschlichen Gefühlen auszuloten, zu zeigen, dass natürlich das große Ganze wichtig ist, aber eben auch das Kleine, Persönliche. Ihre Hintergrundgeschichten, wenn auch nur sehr, sehr kurz angerissen, und ihre Dialoge waren einfach erfrischend normal und doch von soviel Humanität geprägt, dass ich mir vom nächsten Emmerich-Film wünsche, er würde mal in Europa spielen. Wir haben hier auch ein paar Staatsoberhäupter, die nicht zuhören wollen, und den Eiffelturm zusammenzufalten, sähe bestimmt auch ganz nett aus.

The Day After Tomorrow reißt sich ein bisschen mehr zusammen als Independence Day. Die Dialoge verzichten auf Ekliges wie “I love you, Dad”, sondern schneiden stattdessen sogar Themen an, die man nicht unbedingt in einem Katastrophenfilm erwartet. Ich hätte jedenfalls nicht mit einer Diskussion um Nietzsche, die Gutenberg-Bibel und die Rettung der Zivilisation gerechnet. Ja, sie war kurz, aber sie war immerhin da. Der Film hat weniger Heldenmut, weniger Stars & Stripes und kein „Jetzt zeigen wir’s dir aber, du Scheißsturm“. The Day After Tomorrow ist ruhiger, nachdenklicher, fast demütig vor der Macht des „Feindes“. Das reicht zwar nicht, um ihn wirklich einen guten Film zu nennen, aber er lässt sich angenehmer überstehen als die meisten Filme, die Emmerich in den letzten Jahren gemacht hat.

Pieces of April

Pieces of April (Ein Tag mit April Burns): Bei den ersten Bildern durch die wackelige Videokamera hatte ich geistig schon fast abgeschenkt. Aber glücklicherweise nur fast. Denn Pieces of April entwickelt sich zu einer sehr schönen, kleinen Charakterstudie.

April Burns ist das schwarze Schaf der Familie, lebt mit ihrem Freund in New York und lädt den Rest der Sippe zu Thanksgiving ein. Nicht, weil sie Lust darauf hat oder gar kochen könnte, sondern weil ihre Mutter in nicht allzu ferner Zeit an Krebs sterben wird und sie noch einmal zusammensein wollen. Die Familie macht sich mit Schwester, Bruder, Mutter, Vater und Oma im Auto auf den Weg, und April versucht derweil, den Truthahn irgendwie fertigzukriegen, denn natürlich streikt ausgerechnet heute ihr Ofen. Sie rennt von Apartment zu Apartment, während ihr Freund in der Stadt “the thing” durchzieht, von dem wir erst sehr spät erfahren, was es denn nun genau ist.

In beiden Handlungssträngen erfahren wir im Gespräch die familiären Hintergründe, das Generve, das Gezicke, die unerfüllten Erwartungen, die sowohl die Eltern an die Kinder als auch umgekehrt der Nachwuchs an die Erzeuger stellen; aber wir erfahren auch die guten Momente, die Talente, die in allen schlummern, ihre Triumphe, ihre Tragödien. Im Laufe des Films entsteht ein sehr schönes, überzeugendes Familienbild, ohne Geigen im Hintergrund und überzogene Dramatik. Ganz im Gegenteil: Der Film nähert sich dem Tabuthema Tod recht respektlos, teilweise sehr, sehr komisch und daher wohltuend ehrlich. Und bis auf wenige Ausnahmen erliegt er nicht der Versuchung, eine heile Welt zu zeigen, wo keine ist.

Was den Film auszeichnet, sind seine vielen kleinen Szenen, die völlig unprätentiös daherkommen und doch noch lange nachhallen. Wenn die Mutter im Fotoalbum ihr liebstes Bild auswählen soll und sie auf das zeigt, auf dem sie keine Brüste mehr hat. Oder wenn April fälschlicherweise glaubt, dass ihre Familie nicht gekommen ist und bitterlich darüber weint, obwohl sie doch morgens gar nicht aufstehen wollte, um sie zu empfangen. Wenn der Vater entsetzt den Wagen anhält, weil er glaubt, seine Frau im Beifahrersitz sei gestorben, obwohl sie nur schläft.

Das Ende versinkt dann leider doch ein wenig im Kitsch und kommt zu hopplahopp daher – ohne Grund, denn der Film ist gerade mal 80 Minuten lang. Da hätte man sich ruhig noch ein wenig Zeit nehmen können. Und ich persönlich wäre auch gerne noch eine Weile bei den Burns’ geblieben. So anstrengend sie auch sein mögen.