Tagebuch, Mittwoch, 30. März

Wenn alle Hausarbeiten abgegeben sind und ich in keine Bibliothek mehr muss, schalte ich den iPhone-Wecker aus und schlafe aus. Ich wache zwar trotzdem immer zwischen 7 und 8 Uhr auf, aber es ist schön, abends mit dem Gefühl ins Bett zu gehen, dass mich morgens niemand elektronisch aufweckt.

In anderthalb Wochen geht das neue Semester los, und deswegen groove ich mich langsam wieder ans Weckerklingeln ran. Gestern stellte ich ihn auf 8 und war natürlich vorher wach.

Morgens mein Hamburgfahrrad in meine Leib- und Magenwerkstatt gebracht: Bitte einmal durchchecken, nachdem ich im Winter nicht so oft gefahren bin und zusätzlich die Gangschaltung einstellen. Von Anfang an hatte die ein bisschen vor sich hingeknarzt und ich hatte sehr oft das Gefühl, dass die Gänge nicht sofort anliegen, wenn ich sie schalte. Manchmal trat ich in ein Luftloch, die Schaltung machte ein fieses Geräusch und ich gab einen Schreckenslaut von mir, was für Nebenherradelnde vermutlich sehr unterhaltsam ist, wenn da neben ihnen jemand alle fünf Minuten „Ups!“, „Huch!“ oder „Woah!“ piepst, für mich aber eher nervig.

Abends holte ich das Rad wieder ab und ließ mir sagen, dass die Schaltung völlig in Ordnung wäre, super eingestellt und alles. Vielleicht schalte ich falsch? Ich fragte lieber noch mal nach: Man schaltet im Leerlauf und nicht beim Treten, oder? Ja, genau. Hatte ich von Anfang an so gemacht, hatte es irgendwann probehalber geändert, um die Luftlöcher zu vermeiden, allerdings (logischerweise) keinen Unterschied gemerkt. Ein Schrauber meinte, er wäre ne große Runde gefahren und es sei alles in Ordnung, ich fuhr selber auch nochmal ne Runde und hatte einmal den beschriebenen Effekt, kam wieder, ein weiterer Schrauber fuhr und meinte auch, das wäre alles top. Ich solle mal versuchen, wirlich jede Last rauszunehmen, bevor ich schalte, die Schaltung wäre in Ordnung und ein neues Getriebe koste um die 200, das sei echt nicht nötig.

Ich war nicht ganz überzeugt, zahlte aber meine entspannten 18 Euro fürs Durchgucken und Kette spannen (plus 2 Euro Trinkgeld) und radelte nach Hause – wie auf rohen Eiern. Und wie vorausgesagt: Alles lief perfekt. Bis auf die Tatsache, dass ich eben nicht mehr geistig abwesend vor mich hinkurbelte, sondern bei jedem Schaltvorgang den Atem anhielt. Ist für mich noch nicht die optimale Vorgehensweise, aber ich gucke mal, wie’s weitergeht.

Eine neue Folge Better Call Saul geguckt. Ich mag die Serie lieber als Breaking Bad, vermutlich weil sie nicht ganz so abgründig ist, das vertrage ich gerade etwas besser. Außerdem hatten in dieser Folge erstmals die quietschbunten Anzüge von Jimmy/Saul ihren großen Auftritt, was mich gerührt hat lächeln lassen. So als ob man einen alten Freund wiedersieht.

Die Serie spielt nicht heute, sondern ein paar Jahre vor Breaking Bad, also Anfang der 2000er (stimmt das?). Das fällt vor allem an Auto- und Handymodellen auf, die mir alle stimmig erscheinen, aber gestern stolperte ich über ein Detail: den Schrifttyp des Textverarbeitungsprogramms, mit dem Kim ihre Kündigung schreibt. Ich meinte die Cambria erkannt zu haben, die voreingestellte Schrift in Word (jedenfalls auf dem Mac), die erst seit 2007 erhältlich ist.

Abends erstmals ein Buzzfeedrezept nachgekocht, was okay war, aber nicht umwerfend. Ich muss allerdings zugeben, dass ich die kurzen Kochfilmchen über alles liebe und eigentlich nur wegen ihnen bei Facebook reingucke, wo sie in meinem Stream auftauchen.

Die Vogelnest-Hausarbeit hat laut meinem Online-Tool für die Uni eine 1,3 bekommen und ich bin ernsthaft enttäuscht. Mpf.

Ich hatte noch keine Einsicht, daher steht die Arbeit hier noch nicht, aber die kriegt ihr auf jeden Fall zu lesen. Bis dahin habe ich vielleicht wieder bessere Laune.

Links vom Mittwoch, 30. März 2016

Inside the specimen collections of the Smithsonian’s Museum of Natural History

This is an Ex-Parrot! (Mehr Bilder unter dem Link.)

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(keine Bildquelle gefunden, Originalpost auf Reddit)

(via @MaxCRoser)

Kaiser Franz Joseph I. – „Die kalte Sonne“

Spannender Artikel im Standard, in dem eine Biografie des Kaisers erwähnt wird, die ich mir gleich mal aus der UB geliehen habe. Die Ausstellung habe ich in Wien leider nicht geschafft, aber es juckt mir schon sehr in den Fingern, gleich nochmal nach Österreich zu fahren.

„Immerhin, so Schwarzenberg: “Für einen Neoabsolutisten war er sehr verfassungstreu.” Er wandelte sich vom absoluten zum konstitutionellen Monarchen. Die Folklore hat aus ihm den “gütigen Monarchen” gemacht, den weißbärtigen Opa, der freundlich winkte und die immergleichen Worte huldvoll und leutselig an die Untertanen richtete. Das ist nicht ganz falsch. Aber zum Volk hatte er im Grunde keine echte Beziehung. Nicht weil er es verachtete oder ihm die Leute zu gewöhnlich waren, sondern weil für das Volk in seinem Prinzip des Gottesgnadentums nur eine Rolle als schemenhafter Loyalitätskörper vorgesehen war. Die Pflicht des Volkes war, treu zu sein. Die Pflicht des Herrschers war es, zu herrschen.

Am deutlichsten und am verhängnisvollsten tritt das bei der wichtigsten Entscheidung seines Lebens zutage. Franz Joseph hat letztendlich den Ersten Weltkrieg allein beschlossen. Keine Volksvertretung debattierte einen so folgenschweren Schritt. Der Kaiser sah auch die Möglichkeit einer Katastrophe, aber wichtiger war die Ehre: “Wenn die Monarchie schon zugrunde gehen soll, so soll sie wenigstens anständig zugrunde gehen”, sagte er.“

(via @Planet_History)

Are you a grammar pedant? This might be why

Wie ich mal Liebesbriefe nicht ernstnehmen konnte, weil sie voller Rechtschreibfehler waren.

„When you picture a “grammar nazi”, what does that person look like? Are they old or young? Male or female? Professorial or blue-collar? A new study suggests they could be any of those things. In an experiment involving 80 Americans from a range of backgrounds, linguists Julie Boland and Robin Queen found no significant links between a judgmental attitude towards “typos” and “grammos” and gender, age or level of education. […]

So you can’t tell if someone hunts down misprints and writes letters to editors just by looking at them. If you know something about the way they experience the world, though, you might be able to take an educated guess.

Introverts, it turns out, are more likely to get annoyed at both typos and grammos. Not only that; they’ll probably not want to share their lives with you if you’re particularly error-prone.“

(via @LukasHeinser)

Dieser Tweet macht mich seit Tagen glücklich.

Tagebuch, vorletzte Märzwoche 2016

Zur Ruhe kommen. Kochen. Alleine sein, zu zweit sein, zu fünft sein. Aber hauptsächlich: zur Ruhe kommen.

Wien war großartig, aber auf eine schöne Art anstrengend. Inzwischen ist Dinge anzuschauen mehr als nur Dinge anzuschauen, es ist Arbeit. Es ist Teil meiner eigenen Fortbildung, mir eine visuelle Bibliothek im Kopf aufzubauen, auf die ich zurückgreifen kann, wenn ich andere visuelle Eindrücke einordnen will. Daher gehe ich nicht mehr durch Museen oder Straßen und denke „Ach, hübsch“, sondern ich denke „In welches Regal passt das jetzt?“

Daher war ich am Tag meiner Rückkehr, am letzten Samstag, ein bisschen erledigt, hatte aber abends ein sehr schönes Programm vor mir: Ich wurde nachträglich zum Geburtstag in mein Lieblingsrestaurant in München ausgeführt, ins Broeding.

Der Gruß aus der Küche war Lamm (? Ich habe mir keine Notizen gemacht, ich hatte mir in Wien genug Notizen für die nächsten drei Wochen gemacht) mit Wirsinggemüse und Chips. (Topinambur?) Auf jeden Fall gut: zartes Fleisch, mildwürziges, noch knackiges Gemüse. Wir gönnten uns einen Rieslingsekt als Aperitif.

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Erster Gang: Zweierlei vom Kaninchen, Couscous und Salzzitronenjogurt. Faszinierend, wie wenig Salzzitronenjogurt nach Salz oder Zitrone schmeckt, eher rauchig. Der erste Wein des Abends war ein Kikelet Furmint 2012, frisch und kühl, passte gut zum knusprigmilden Couscous und dem warmweichen Fleisch.

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Zweiter Gang: Selleriesuppe mit gebackenem Kräutersaitling. Ich bin kein Riesenselleriefan, aber ich esse mich langsam an dieses Gemüse ran. Wenn es immer so schmecken würde wie diese Suppe, würde ich es noch öfter essen. Der Pilz war außen knuspig und innen bissfest, alles zusammen wunderbar, und der Wein dazu mein erster Liebling des Abends: K vom Weingut Kracher, 2013, ein Cuvée aus Chardonnay, Scheurebe und Welschriesling. Roch ernsthaft haargenau wie Cornetto Erdbeer, schmeckte aber netterweise nicht danach.

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Dritter Gang: Saibling mit Kohlrabi und Bärlauchsoße. Hier war ich zunächst damit beschäftigt, das Geschirr schön zu finden, bevor ich das Essen würdigen konnte. Knackiger Kohlrabi, mildscharfer Bärlauch, knuspriger Fisch – what’s not to love? Und als Wein dazu mein persönlicher Star des Abends, ein Riesling vom Weingut Hirsch (verlinkt ist der 2013, wir hatten den 2012er). Zuerst Mango, dann Rauch, der aber beim Essen verflog. Sehr vollmundig und einer von den Weinen, die solo schon toll sind und mit Essen nach toller. Eine Kiste für Frau Gröner, bitte.

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Vierter Gang: Kronfleisch, Aubergine und gefüllte Zucchiniblüte. Ich habe noch nie eine Aubergine hinbekommen, die nach irgendwas geschmeckt hat außer Fett, daher bin ich immer dankbar, wenn mich Restaurants daran erinnern, wie sie schmecken kann. Die Blüte war mit der schmelzigsten Polenta ever gefüllt, was mich – ein wahrhafter Taschentuchknotengang, dieser Gang – daran erinnerte, dringend mehr Polenta essen zu wollen. Der Wein dazu kam von meinem zweitliebsten Blaufränkisch-Lieferanten, dem Weingut Heinrich (mein liebster Lieferant für diese Traube sind die Damen und Herren von Kollwentz). Wir genossen einen Gabarinza (verlinkt ist 2012, wir hatten 2011), ein Cuvée aus Zweigelt, Blaufränkisch und Merlot. Ich fand ihn einen Hauch zu kalt und zu pferdig, und das blöde Ross wollte auch irgendwie nicht gehen. War nicht ganz so meiner.

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Erfrischung für den Magen: ein fruchtiges Sorbet. (Mango? Vergessen. Sehr gut, schön schmelzig; das habe ich nicht vergessen.)

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Käsegang: Affinierter Gorgonzola (wait, let me google this for you), Rosmaringelee und Rucola. Mochte ich sehr gerne, vor allem, weil der Gorgonzola nicht so bissig nach Gorgonzola schmeckte. Und vom Gewürzbrot im Salat hätte ich einen ganzen Laib essen können. Ein sehr kräftiger Gang, zu dem der weiße Burgunder von Ebner-Ebenauer hervorragend passte.

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Dessert: Topfentörtchen und Portweinbirne. Der einzige Gang, bei dem ich dachte, och jo. Filoteig finde ich eher seltsam in einem hochpreisigen Restaurant, aber egal, mit Milchprodukten und Zucker kriegt man mich immer. Und mit dem äußerst schmackhaften Süßwein dazu, einer Beerenauslese von Velich, 2010.

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Wir genossen über drei Stunden und verzichteten dann auf Espresso und Schnaps, weil alles so passte.

Die folgenden Tage fuhr ich den Kopf noch weiter runter, puschelte so vor mich hin, machte mir Sorgen um die Zukunft (wie immer), kochte ein bisschen, las ein bisschen, schlief viel. Und freute mich dann am Donnerstag abend über die Mail meiner Dozentin, die mich über meine erste 1,0 im Master informierte.

Es blutet mir das Herz, aber ich kann euch diese Arbeit nicht zeigen, denn vermutlich werde ich aus den unschuldigen 50.000 Zeichen in einem Jahr satte 100.000 machen und „Masterarbeit“ vorne drauf schreiben. Daher behalte ich meine tollen Forschungsergebnisse vorerst für mich, was eigentlich allem widerspricht, was ich in den letzten drei Jahren gelernt habe. Ich bin ein großer Fan von Open Access und Wissenschaftsblogs, aber momentan will ich meine Arbeit noch nicht öffentlich machen. Das mag albern sein, aber vielleicht schlummert darin auch irgendwo ein Aufsatz, den ich publizieren könnte. Falls irgendein Journal einen Aufsatz einer Studentin ernstnimmt; die Wissenschaft scheint da ja ein bisschen seltsam drauf zu sein. Jedenfalls: Sobald ich irgendwas habe, was ich für veröffentlichenswert halte, steht das hier. Auch aus dem Grund, weil ich noch auf keine Arbeit so stolz war wie auf diese. Hier ahnte ich zum ersten Mal, dass ich da was richtig Gutes fabriziert hatte, aber jetzt, wo die Note vorne drauf steht, habe ich es auch schwarz auf weiß.

Auch das Bloggen habe ich letzte Woche etwas runtergefahren; einerseits, weil ich in Wien so viel produziert habe, andererseits, weil mir mein vorerst letzter Ausflug nach Hamburg übernächste Woche ein wenig in den Knochen liegt. Dann packe ich alles zusammen, was noch von mir in der ehemals gemeinsamen Wohnung steht und lasse es zu meinen Eltern karren. Ich will das nicht wirklich tun, ich will nicht in diese Stadt, ich will die Wohnung nicht endgültig leerräumen. Wien hat mich gut von diesen Gedanken ablenken können, aber zuhause haben sie mich natürlich wieder eingeholt. Ich wollte aber nicht fünf Tage hintereinander „Ich grübele viel und heule rum und esse zu viel Schokolade“ schreiben, daher war es hier etwas ruhiger. Vielleicht bleibt das auch noch ein paar Tage so, ich weiß es selbst nicht.

Blauschimmelblini mit Birne und Rucola

Das Rezept stammt aus Maria Elias Die neue vegetarische Küche, das, wenn ich mich richtig erinnere, mein erstes vegetarisches Kochbuch war. Ist immer noch gut, raffinierter als Nudeln und einfacher als Ottolenghi.

Wobei Blini nicht ganz korrekt ist – eigentlich sind es eher Oladji, also nicht die dünnen, crêpeartigen, sondern eher dickliche Pfannkuchen. Ich belasse es mal bei dem Namen, der auch im Buch verwendet wird.

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Im Originalrezept werden Topinambur verwendet, ich habe Petersilienwurzeln genommen; Pastinaken gehen auch oder man nimmt nur Kartoffeln. Aus der untenstehenden Menge sollen laut Buch acht Blinis rauskommen; ich habe sie halbiert und ebenfalls acht erhalten, die man mit etwas Mühe zu zweit (eher zu dritt) als Hauptspeise verzehren könnte.

350 g Kartoffeln und
400 g Topinambur würfeln und in Salzwasser weichkochen. (Das Buch sagt getrennt, ich habe alles in einem Topf gekocht.) Zerstampfen oder pürieren und abkühlen lassen.

100 Mehl, Type 405,
80 g Crème double (bei mir Crème fraîche),
2 TL Dijon-Senf,
2 Eigelb, verquirlt, und
2 TL frisch gehackten Rosmarin zur Kartoffel-Topinambur-Masse geben.
2 Eiweiß steif schlagen und unter die Masse heben. Mit
Salz und
Pfeffer abschmecken.

In einer Pfanne
Butter und
Olivenöl erhitzen und die Blinis bei mittlerer Hitze ausbacken. Danach auf ein Backblech umsiedeln, das mit Backpapier ausgelegt ist.
400 g Blauschimmelkäse in Scheiben schneiden und jeweils eine Scheibe auf ein Blini legen. (Ich habe die Blauschimmelkäsemenge ungefähr halbiert, weil mir der Geschmack sonst zu intensiv gewesen wäre.) Im Ofen überbacken, bis der Käse zerlaufen ist; das geht recht schnell.

Währenddessen in einer Pfanne
250 g Topinambur, in Scheiben oder schmale Streifen geschnitten, in
Olivenöl bei starker Hitze braten. (Bei mir war es auch hier weniger Topinambur bzw. Petersilienwurzel. Nach Augenmaß halt.)

100 g Salat der Saison (bei mir Rucola) und
1 Birne, in Spalten geschnitten, mit einem Dressing vermischen, das aus
2 EL Weißweinessig,
2 EL flüssigem Honig und
6 EL Olivenöl besteht.

Zum Servieren die überbackenen Blinis mit Salat, Birne und den Topinamburstreifen belegen.

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Die Blini lassen sich übrigens gut vorbereiten. Ich habe sie weit vor dem Essen ausgebacken, dann kurz vor dem Eintreffen des Gastes mit Käse überbacken und gleichzeitig die Petersilienwurzelstreifen gebraten. Dann hat man eine schöne Kombination aus lauwarmem Gebäck mit heißem und kaltem Gemüse bzw. Obst. Das Dressing sorgt für das nötige Gegengewicht zum mummeligen Schimmelkäse. Ich werde beim nächsten Mal allerdings für noch mehr Frische sorgen, vielleicht durch geriebene Zitronenschale oder Zitronensaft statt Essig im Dressing.

Was (verdammt) schön war, Donnerstag, 24. März 2016

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Pittole

Ein uraltes Rezept von Nicky aus ihrem ersten Kochbuch. Mache ich nicht allzu oft, aber immer, wenn ich die kleinen Teigpäckchen frittiert und genossen habe, frage ich mich: warum eigentlich? Sie passen hervorragend zu Käse, Antipasti, Oliven oder, so esse ich sie immer, gedippt in Olivenöl und grobes Salz.

pittole

Für ungefähr 50 Stück.

300 g Mehl, Type 405, mit
1 TL Salz in einer Schüssel vermischen. In der Mitte eine kleine Mulde formen.

20 g Frischhefe (also ein halber Würfel) und
1 Prise Zucker in
200 ml lauwarmem Wasser auflösen und in die Mehlschüsselmulde gießen. Noch
2 EL Olivenöl dazugeben und alles miteinander verkneten. Ich mache das per Hand, eine Küchenmaschine tut’s natürlich auch. Der Teil soll, wie es sich für einen anständigen Hefeteig gehört, glatt und geschmeidig sein und nicht mehr an den Händen kleben. Dazu eventuell ein bisschen Mehl zugeben.

Den Teig in einer abgedeckten Schüssel an einem warmen Ort für 30 bis 45 Minuten gehen lassen; er sollte sich dabei ungefähr verdoppeln.

Während der Teig ruht, in eine große Pfanne oder einen Topf, worin auch immer ihr frittierten wollt,
zwei Fingerbreit Olivenöl eingießen,
3 bis 5 Zweige Rosmarin dazu plus
5 Knoblauchzehen (oder so viel ihr wollt. Bei mir sind’s fünf). Das Öl erwärmen, damit es den wunderbaren Rosmarin- und Knoblauchgeschmack annehmen kann. Gewürze rausfischen und das Öl zum Frittieren erhitzen.

Den Teig nochmal kurz durchkneten, fingerdick ausrollen, in Streifen und dann in kleine Quadrate schneiden und diese dann frittieren. Die kleinen Päckchen verdoppeln sich im Öl ungefähr, also nicht zu viele davon auf einmal in die Pfanne geben.

Noch warm servieren. Oder mit der neuen Kamera fotografieren, an der man eventuell noch üben sollte, wie man auf das fokussiert, auf das man fokussieren möchte. Aber schöne graue Platte da im Vordergrund, oder?

Spaghetti Carbonara

Unglaublich, aber mein babyeinfaches Rezept für Carbonara habe ich noch nie aufgeschrieben. Vermutlich, weil ich es aus dem Handgelenk mache und nie irgendwas abwiege. Das könnt ihr auch!

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Für eine Person.

1 Ei in einer Schüssel aufschlagen und mit
Pfeffer verquirlen.

Eine Handvoll Parmesan fein in genau diese Schüssel reiben.

In einer Pfanne
eine Handvoll gewürfelten Bauchspeck, Pancetta oder ähnliches bei mittlerer Hitze anbraten. Eigentlich braucht man bei fettem Speck kein extra Fett mehr, aber ich habe trotzdem immer ein bisschen Olivenöl in der Pfanne.

Eine Portion Spaghetti oder Spaghettini (hier im Bild) in reichlich Salzwasser al dente kochen.

Sobald die Nudeln fertig sind, in die Speckpfanne umsiedeln. Dabei darf gerne noch ein wenig Kochwasser mitkommen. Ich gieße die Nudeln immer ab, indem ich den Deckel leicht versetzt auf dem Topf lasse, das Wasser auskippe und alles, was bei diesem Auskippen nicht mitkommt, in die Pfanne gleiten lasse. Das passt ziemlich perfekt.

Pfanneninhalt gut verrühren, alles in die Ei-Käse-Schüssel schütten, zügig umrühren und ebenso zügig servieren. Notfalls noch ein bisschen nachpfeffern, salzen sollte eigentlich mit dem Kochwasser und dem Parmesan nicht nötig sein. Fertig ist mein allerliebstes Nudelrezept.

Tagebuch, Freitag, 18. März 2016 – Wien, Tag 3

Nach dem sehr vollgepackten Donnerstag (Teil 1, Teil 2) ließ ich es Freitag etwas ruhiger angehen. Einziger Programmpunkt, den ich dafür aber auch stundenlang auskostete: die Hofburg.

Wo der Eingang bzw. die Kasse war, wusste ich ungefähr, seit ich am Vortag die Augustinerkirche gefunden hatte, die zum Gesamtkomplex gehört. Mein Orientierungssinn ist quasi nicht vorhanden, und trotz Googlemaps auf dem iPhone verlaufe ich mich immer, selbst wenn es nur geradeaus geht. Den Eingang fand ich dann aber nicht nur, indem ich nach der Kirche einfach weiterging, sondern auch, weil mir der widerliche Pferdegestank der Hofreitschule schon 150 Meter vorher den Atem raubte. Mit dem Jackenärmel vor der Nase ging ich zur Kasse und kaufte eine Eintrittskarte, die mir Eintritt in die Silberkammer, das Sisi-Museum und die Kaiserappartements gewährte.

Die Silberkammer. Hashtag #HACH. Ich weiß nicht, warum, aber ich kann mir stundenlang Geschirr und Besteck angucken. Die Kammer bzw. die gefühlt 30 Räume mit hervorragend angeordneten und ausgeleuchteten Glasvitrinen begann mit einer Sammlung von Kupfergeschirr. Mich beeindruckten vor allem die vielen Formen, die für Bisquit, Kuchen oder Gelee verwendet wurden – ich weiß nicht, wie man da jemals irgendwas heile beim Stürzen rausbekommen hat, aber die Hofzuckerbäcker konnten das vermutlich deutlich besser als Klumpfuß und -finger Gröner. Auf Schautafeln wurden Küche, Weinkeller und alle Menschen erklärt, die für das Servieren zuständig waren, was ich mir leider nicht alles gemerkt habe. Aber der Job einer Hofsilberputzgehilfin war vermutlich recht anstrengend bei den Massen an Besteck, Tellern, Schüsseln und Platten, die ich in den Vitrinen bewundern durfte. Von meinem absoluten Lieblingsgeschirr, den Blumentellern, hat die offizielle Seite leider nur ein Teil abgebildet, aber die hätte ich als Replik sofort alle gekauft.

Irgendwann hat man einen völligen Overkill von diesen Bergen an Hausrat und ist versucht, den Kopf abfällig über die Kaisers zu schütteln, aber da hatten die Ausstellungsmacher*innen einen cleveren Trick auf Lager. Irgendwo inmitten einer Vitrine stand nämlich das heutige Geschirr, das bei österreichischen Staatsempfängen eingedeckt wird. Dort habe ich anhand eines Beispiels aus weißem Leinen gelernt, dass es eine Serviettenfaltung namens „kaiserliche Faltung“ gibt, die heute nicht mehr verwendet wird. Ein Stündchen später stand ich in einem Salon, in dem Kaiser Franz Joseph („Franz!“) und Kaiserin Elisabeth („Sissi!“) ab und zu miteinander speisten. Dort war ein Frühstückstisch eindeckt, und ich habe natürlich sofort geguckt, ob es die kaiserliche Faltung war. Ich möchte behaupten: ja.

In der Silberkammer steht aber nicht nur Tisch-, sondern auch Hygienegeschirr, das heißt, Waschschüsseln und ähnliches, wie zum Beispiel Nachttöpfe. Der heißt bei Damen übrigens Bourdalou (warum auch immer). Elisabeth hatte dafür gesorgt, dass in ihrem Wohnbereich Badewanne und Toilette eingebaut wurden, und eine konnte man nachher in den Kaiserappartements auch sehen. Da steht man dann ein bisschen hilflos und denkt sich, jo, hier hat also die Sisi gekackt. Hätte ich jetzt auch nicht unbedingt wissen müssen.

Am Schluss der Silberkammer stand noch ein Dessertservice einer englischen Firma, das der kaiserliche Hof von Königin Victoria geschenkt bekam. Jedenfalls die Hälfte, die andere steht im Buckingham Palace (auch hier wieder der Hinweis: Wenn ich mir das richtig gemerkt habe. Ich war zu faul zum Aufschreiben, ich wollte nur gucken.) Darüber musste ich doch sehr grinsen. Sowohl an der Vitrine als auch auf der Website ist erwähnt, dass dieses Service „bruchanfällig“ ist. Da steht also seit über 100 Jahren Geschirr rum, das niemand jemals benutzt hat, weil es dafür anscheinend gar nicht gemacht wurde. Die Kaisers. Unsereins hätte sowas ja längst in die Tonne gekloppt.

Nach gut einer Stunde Geschirrgucken („Was, schon vorbei?“) wollte ich in die Kaiserappartments. Das Sisi-Museum wollte ich gar nicht sehen, aber wie ich jetzt feststellte: Darum kommt man nicht herum, denn der Weg zu den Appartments führt eben durch das Museum. Wobei ich das Wort „Museum“ fast ein bisschen hoch gegriffen finde.

Das Ding ist relativ frei von wirklichen Erkenntnissen, sondern dient einzig und alleine dazu, im Souvenirladen Glitzerstifte und Postkarten zu verkaufen. Die meisten Ausstellungsstücke sind Nachbildungen, und was mich völlig verstört hat, waren die Gedichte Elisabeths, die an die Wände geschrieben waren (mit englischer Übersetzung). Ich wusste aus der schönen Hamann-Biografie, dass Sisi Gedichte schrieb, um mit dem Leben am Hof klarzukommen und ihrer Depression und (vermutlichen) Magersucht Herrin zu werden. Daher wusste ich allerdings auch, wie fürchterlich schlecht diese Gedichte sind. Sie nun übergroß an so gut wie jeder Wand wiederzufinden, hätte meiner Meinung nach nicht sein müssen, auch wenn sie natürlich recht plakativ den Seelenzustand Elisabeths widerspiegeln.

Worüber ich mich allerdings sehr gefreut habe, war Elisabeths ganzfigures Porträt von Franz Xaver Winterhalter, das vermutlich jede*r kennt. Es hing tollerweise neben dem dazugehörigen Porträt von Franz Joseph, das ich noch nicht kannte. In diesem Raum standen außerdem zwei große Glasvitrinen, in denen zwei Kleider von Sisi als Nachbildung standen. Dort konnte man ihre legendär schlanke Taille bewundern – und jetzt, wo ich das Bild direkt daneben hatte, fiel mir zum ersten Mal auf, wie wohlgenährt sie gemalt im Vergleich zu den Kleidern wirkte. Das wunderte mich etwas, weil Sisi großen Wert auf ihre Außenwirkung legte und sich, gerade in den letzten Lebensjahren, nicht mehr fotografieren oder malen ließ. Dass sie, die nachweislich tagelang nur von Fleischbrühe lebte und ihre Hofdamen zu stundenlangen Gewaltmärschen zwang, um die eben aufgenommenen Kalorien gleich wieder auszuschwitzen, sich offensichtlich dicker malen ließ als ihre Kleidung vermuten lässt, hat mich erstaunt.

Damit ließ ich das Museum dann auch hinter mir, länger als zehn Minuten wollte ich dort nicht sein. (Viel länger kann man dort auch nicht sein.) Nach einem kleinen Shop-Hindernis kamen endlich die Kaiserappartements, und über die freute ich mich dann ausgiebig.

Ich hatte mich seelisch auf das Versailles-Gefühl eingestellt: mit 300 Leuten in einem Raum sein, kaum etwas sehen können, kaum stehenbleiben können, vielfältiges und vielsprachiges Stimmengewirr. Was ich stattdessen bekam: Räume, in denen ich größtenteils ganz alleine war und die ich in meinem Tempo und ungestört durchschlendern konnte. Ich hatte mich im Vorfeld sehr auf die Kiefer-Ausstellung in der Albertina gefreut, einfach um mal in den Genuss zu kommen, eine quasi leere Ausstellung anschauen zu können, aber die Hofburg übertraf dieses Gefühl überraschenderweise sogar noch.

Zunächst war ich über das Konferenzzimmer erstaunt, damit hatte ich gar nicht gerechnet im Wohntrakt. Im Arbeitszimmer Franz Josephs musste ich dann doch an die Marischka-Filme denken, bei denen Sissi einen ewig langen Weg zu Franzerls Schreibtisch zurücklegen muss, um ihm von ihrer Schwangerschaft zu erzählen. Diesen Weg gab es nicht, totale Überraschung. Man kriegt die Bilder aber trotzdem nicht aus dem Kopf. (Okay, ich nicht. Ich mag die Filme aber auch unangemessen gern.) Gerührt war ich über die beiden soganannten intimen Porträts von Sisi, ebenfalls von Winterhalter gemalt, die sie mit unbedeckten Schultern und offenem Haar zeigen; eins stand anscheinend wirklich immer an Franz Josephs Schreibtisch, und da steht es noch heute.

Die Turngeräte, zum Beispiel Ringe in einem Türrahmen, deprimierten mich dann wieder, wie mich auch schon in der Silberkammer die französische Entenpresse deprimiert hatte. Die diente eigentlich dazu, aus Entenkarkassen noch das letzte Restchen Fleischsaft zu quetschen, aber meist wurden sie verwendet, um aus Kalbfleisch Brühe zu machen, damit die Kaiserin ihr tägliches Tässchen Nahrung bekam.

Ich genoss den kleinen Gang durch die schönen Räume sehr, erfreute mich an Tapeten, Möbeln und Kronleuchtern, ignorierte danach auch den zweiten Souvenirladen und ging eine Treppe hinunter, um wieder im Hof zu stehen. Einmal um die Ecke zurück in den großen Innenhof, die nächste Eintrittskarte gekauft, Jacke und Rucksack abgegeben (das musste ich in der Hofburg nicht) und schon stand ich in der Schatzkammer. Dort musste ich mich erstmal an die sehr geringe Beleuchtung gewöhnen, denn hier kann man uralte und dementsprechend fragile Gewänder betrachten, die für herrschaftliche oder geistige Zeremonien genutzt wurden (diese Tunika aus dem 12. Jahrhundert hätte ich gerne als Sommerkleidchen). Ich wollte allerding viel dringender Klunker gucken, denn noch viel lieber als Gemälde und Häuser und Geschirr gucke ich Juwelen an. Kann man mir auch prima schenken. Sind hier wirklich in guten Händen.

Mein erstes „Ooooh“ war dann auch standesgemäß vor der Krone des Kaisertums Österreich mit Zepter und Reichsapfel. (Nebenbei: Danke an die fabelhafte Bilddatenbank für bergeweise Wiener Museen!) Weiteres Staunobjekt: dieses unschätzbare Gefäß aus einem Smaragd. Ja, genau. Mein Liebling: eine goldene Rose, bei der ich mir durchaus vorstellen kann, als gestresste, hungrige Kaiserin auf die zartgliedrigen Blätter zu schauen, um wieder gute Laune zu bekommen. In der geistlichen Schatzkammer lagen neben den üblichen Kreuzen und Reliquiaren noch zwei Bilder aus Mexiko, bei denen ein Jesus aus Vogelfedern nachgebildet wurde. Das schillerte und schimmerte ganz wunderbar vor sich hin. Und in den letzten Räumen der weltlichen Kammer kam dann endlich das, weswegen ich den ganzen Komplex angucken wollte: die Krone des Heiligen Römischen Reiches. Keine Ahnung warum, aber die wollte ich sehen, und nachdem ich das getan hatte, fühlte sich die Zeit in Wien komplett an.

Abends hervorragendes Schnitzel in ausgesucht charmanter Gesellschaft. Das ruiniert jetzt total den hochkulturellen Inhalt dieses Blogeintrags, aber das war Wien für mich: Kunst und paniertes Essen. Ich mochte beides sehr, und ich komme garantiert wieder.

Immer noch Tagebuch, Donnerstag, 17. März 2016 – Wien, Tag 2: Vier Kirchen und eine Ausstellung

Nach dem Besuch bei Anselm Kiefer schlenderte ich im oberen Stockwerk der Albertina durch die russische Avantgarde. Über die wusste ich einen winzigen Hauch Bescheid, weil ich mich etwas intensiver mit der Ausstellung 0,10 sowie Rodtschenko beschäftigt hatte, aber trotzdem hat mich die Vielfalt der ausgestellten Werke sehr beeindruckt. Das war ein gelungener Querschnitt, der deutlich gezeigt hat, wie unterschiedlich in einem recht begrenzten (Zeit-)Raum gemalt wurde. Ich habe mich gefreut, ein paar Gemälde von Tatlin zu sehen, von dem ich bisher nur skulpturale Werke kannte wie sein Konterrelief. Außerdem waren einige Werke von Malewitsch zu sehen, zum Beispiel sein Rotes Quadrat von 1915, mit dem er sich von jeder Gegenständlichkeit löste und dem/ der Betrachter*in die Chance gab, sich nur mit einer Farbe auseinanderzusetzen. (Also im Prinzip das, was Rothko und Newman 40 Jahre später noch mal gemacht haben. Sehr vereinfach ausgedrückt, aber immer wenn ich an die beiden Jungs denke, denke ich sofort an Malewitsch.) Neu für mich entdeckt habe ich Boris Grigorjew und Natalia Gontscharowa.

Den Kopf voller Kunst, den Rucksack voll mit zwei schweren Katalogen trabte ich 500 Meter weit in Richtung Hofburg. Dort steht die romanische Augustinerkirche, in der ich mir ein Grabmal anschauen wollte. Dort erlebte ich den Tourigruppenklassiker, in diesem Fall mit einer italienischen Schulklasse. Man kommt in einem Pulk rein, bleibt im Pulk stehen, zückt im Pulk die Smartphones oder Tablets, fotografiert sinnlos einmal das Mittelschiff runter, geht dann zögernd dem Führer hinterher, der bereits in der Mitte der Kirche steht und was erzählen will, fotografiert da das, worüber erzählt wird, und dann geht man im Pulk wieder raus.

Ich fand das gar nicht schlecht, denn so hatte ich nach zehn Minuten Pulkunruhe die Kirche fast ganz für mich alleine. Das Gebäude selbst war mir ziemlich wurst – ich wollte ein Grabmal anschauen, nämlich einen klassizistischen Pyramidalbau (echt jetzt), der als Kenotaph für die Herzogin Marie Christine, einer Tochter von Maria Theresia, von Antonio Canova 1805 in der Augustinerkirche errichtet worden war. Ich mochte die leise trauernde Figurengruppe sehr gerne und empfand die dunkle Öffnung, in der jedes irdische Leben verschwindet, trotz ihrer geringen Raumtiefe als beeindruckend bedrohlich.

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Genauso spannend empfand ich den Kontrast der Figuren zu denen der Pestsäule, die in der Nähe meines Hotels steht, zu dem ich jetzt die Kataloge schleppte. Das erste Foto ist für eine genauere Ansicht nicht ganz so gut geeignet, aber hier mochte ich den Kontrast zwischen Licht und Schatten sowie das strahlende Gold vor blauem Himmel so gerne.

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Aber in der Nahaufnahme erkennt man sehr gut, wie dramatisch hier mit Gesten und Gesichtsausdruck gearbeitet wird im Gegensatz zur leisen Einkehr des Kenotaphen. Gut, wir sind auch noch im Barock, da macht man halt noch Faxen. Im Klassizismus reißen wir uns alle wieder zusammen. (Immer schön an Winckelmann denken: „edle Einfalt, stille Größe“.)

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Wie gesagt, eigentlich wollte ich ins Hotel, aber da die Peterskirche direkt vor der Hoteltür liegt, dachte ich, gehste da halt auch noch schnell rein. Den Namen eines Baumeisters, Johann Lucas von Hildebrandt, hatte ich gerade ewig in der Barockvorlesung gehört und so freute ich mich, mal eins seiner Bauwerke in echt anstatt auf einer Powerpointfolie zu sehen.

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Blöd war natürlich nur, dass wir gerade in der Passionszeit sind und deswegen alle Kreuze verhängt sind. Deswegen sieht man am Altar auch nur das olle violette Tuch, wo ich doch so gerne Jesusse besichtige. Dann gucke ich mir halt Details an. Wände, die fast kaskadenartig nach vorne springen zum Beispiel. Oder runde Säulen mit eckigen Kapitellen, die keck in den Raum reingedreht werden anstatt brav an der Wand zu stehen. Und natürlich meine geliebten Pilaster. Eventuell ist das sogar ein Knickpilaster, aber ich glaube, der heißt nur so, wenn er innen an einer Ecke ist anstatt außen. Also wenn er 90 Grad beschreibt, nicht 270. (Ergibt das Sinn?)

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Jetzt aber ab ins Hotel. Kataloge in den Schrank packen, ein kleines Schläfchen halten, frisch machen – und dann spontan ein, zwei Bonner Twitterdamen auf eine Melange treffen. Ich muss mich inzwischen arg zusammenreißen, nicht in diesen angenehmen Singsang zu verfallen, den hier jeder spricht – gefühlt vor allem Kellner*innen. In Bayern kann ich der Verlockung total widerstehen, weil ich weiß, dass ich beknackt klinge, wenn ich versuche, bairisch zu sprechen. Aber wienerisch klingt so, als könnte ich es ansatzweise imitieren. Ich lasse das lieber, möchte aber trotzdem eine Petition starten, die Worte Sackerl und Packerl in den bundesdeutschen Sprachgebrauch aufzunehmen. (Tüte. Pffft.)

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Mit warmen Kaffeebauch ging ich zur Karlskirche. Die hatte ich auch auf einer Unifolie gesehen, und ich gucke mir ja alles an, was man mir auf Unifolien zeigt. Von draußen sieht die Kirche wie ein einziger Verkehrsunfall aus: Wir haben eine griechisch anmutende Tempelvorhalle, seitliche Glockentürme mit Durchgängen, die an römische Triumphbögen erinnern, eine schöne barocke Kuppel mit Laterne und dazu diese beknackten Säulen, die einen an die römische Trajanssäule denken lassen. Ich wusste nicht, warum unser Dozent uns diese Kirche ans Herz gelegt hat. Das verstand ich aber sofort, als ich reinging.

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Ich habe noch nie ein derartiges Licht gesehen. Man ahnt es schon in der Gesamtansicht – das Bild wollte ich ins Blog stellen, damit sich alle mit mir über den beknackten Panoramalift aufregen können, der den Eindruck des Innenraums ziemlich ruiniert. Ja, man kann damit bis unter die Decke fahren, um sich die Fresken anzugucken, aber dafür sind die gar nicht da. Die soll man von unten angucken, deswegen sind sie da oben. Baut die Scheiße ab, sie nervt. *krückstockfuchtel* Weil der blöde Lift da steht, kostet diese Kirche übrigens Eintritt. Ist aber okay, weil: das Licht.

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Man sieht hier ganz wunderbar das clevere barocke Theatrum Sacrum: die Zentrierung des Blicks auf den Altar. Man kann gar nicht anders, als dorthin zu schauen, denn der Chorraum ist enger als der Kirchensaal, und der Blick wird nochmals verengt durch die Säulen, die sich immer weiter in die Mitte schieben. Und: Wenn man in Richtung Altarraum geht, wird das Licht intensiver. Das Tageslicht strömt nur noch durch wenige Rundfenster und wird im goldenen Altaraufsatz zentriert; es fällt durch das mit Sonnenstrahlen umkränzte Dreieck mit den hebräischen Buchstaben JHWH und verteilt sich im gesamten Altarraum, von wo es in den Innenraum weiterleuchtet.

Barock war für mich immer ein winziges bisschen überkandidelt. Ich mochte die naive Romanik, die gewaltige Gotik, ich mochte den rauen Stein und das bisschen Putz, was die Gotteshäuser zusammenhielt. Barock war mir immer zu pastellig, zu puttig, zu hübsch. Und dann stand ich in der Karlskirche und dachte, scheiß auf pastellig – das ist das schönste Licht, was du je gesehen hast. Das ist, Achtung, Pathos: göttliches Licht. Hier hat der Mensch es hinbekommen, das göttliche Leuchten in Architektur zu packen. Und seitdem halte ich die Klappe und meckere nicht mehr über Putten und Engelchen und Flitterzeug, sondern denke, wenn das der Preis für dieses Licht ist, dann passt das.

Nach der Karlskirche sollte eigentlich die Krönung kommen: der Stephansdom. Ich ging also mit goldenem Herzen in die riesige Kathedrale – und wollte sofort wieder raus. Ich stand in einem dunklen, grauen Raum, ja, hohe Decken, toll, ja, Gotik, super, aber: Ich hatte doch gerade das göttliche Licht gesehen. Ich wollte nicht wieder zurück ins Mittelalter. Ich wollte das Licht wiederhaben, das Leben, das Gold. Und da verstand ich zum ersten Mal, warum der Barock so revolutionär war – weil er die Überwältigung der gotischen Architektur durch etwas Heiteres, Freieres, Luftiges ersetzte.

Ich blieb drei Minuten in der Kathedrale, fühlte mich von den Steinmassen erdrückt und ging einfach wieder. Aber alleine für diese Erkenntnis – so geht Barock, Baby – hat sich die Wienreise sowas von gelohnt.

Tagebuch, Donnerstag, 17. März 2016 – Wien, Tag 2: Anselm Kiefer

Die Albertina lud mich zur Ausstellungseröffnung von Anselm Kiefers Holzschnitten nach Wien ein und übernahm netterweise Flug- und Hotelkosten. Man hat mich nicht um eine Gegenleistung dafür gebeten, aber jetzt kommt trotzdem eine große Lobeshymne.

Ich habe mich sehr über die Einladung zur Ausstellung gefreut, weil ich auf Kiefers Werke gespannt war, die ich alle noch nicht im Original gesehen hatte, viele davon aber natürlich bereits in Katalogen. Schon beim Betreten des ersten Raums dachte ich, jo, hat sich gelohnt. Die Holzschnitte von Kiefer sind wie der überwiegende Teil seiner Werke sehr großformatig, und die Albertina hat netterweise genug Platz, die sie den Bildern geben kann. Klassischer White Cube, aber schön luftig gehängt und gut beleuchtet.

Albertina-Direktor Klaus Albrecht Schröder führte die versammelten Pressemenschen in die Ausstellung ein. Anselm Kiefer hatte sich zu seinem 70. Geburtstag im letzten Jahr drei Ausstellungen gewünscht – einmal die seiner Bücher in der Bibliothèque nationale de France (von der ich Idiotin nichts wusste, die lief bis Februar und die hätte ich sehr gerne gesehen, weil seine Bücher selten ausgestellt werden – UND ICH WAR DOCH IN PARIS, HERRGOTT), dann die große Retrospektive im Centre Pompidou, die noch bis April läuft (immerhin die konnte ich sehen), und abschließend die Präsentation seiner Holzschnitte, ab heute in der Albertina.

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Das Reingold (1982–2013), Holzschnitt, Acryl und Schellack auf Papier, Collage auf Leinwand, 280 x 382 cm, Privatsammlung.

Nebenbei: Diese kleinformatigen Fotos machen mich irre. Mein Blog wird sich in nicht allzuferner Zukunft etwas verändern, und eines der Dinge, auf das ich mich am meisten freue, ist: große Bilder. Jetzt sind sie leider noch klein, weswegen ich es bis auf dieses eine Bild gar nicht erst versucht habe, die großformatigen Werke Kiefers einzufangen, sondern mich stattdessen auf Details konzentriert habe.

Die Holzschnitte sind in drei große Themenbereiche eingeteilt. Da ist zunächst der Rhein, einmal unter dem Aspekt der deutsch-französischen Grenze, die Kiefer selbst irgendwann überwand, indem er von Deutschland nach Frankreich zog, dann aber auch als der mythische deutsche Fluss, in dem auch Richard Wagners Rheintöchter baden. Die Kuratorin der Ausstellung Antonia Hoerschelmann wies auf das Fiktionale von Grenzen hin, wie willkürlich sie sind und was sie für Auswirkungen haben, wie wir gerade aktuell sehen. Auch mit dem Stichwort der Grenzen setzt sich Kiefer auseinander, zum Beispiel, indem er uns mit dicken, vertikalen, schwarzen Balken die Sicht auf den Rhein versperrt. Das können Bäume sein, das können aber auch Vorurteile sein, mit denen wir in uns Grenzen ziehen. (Auf der Ausstellungswebsite ist eine Abbildung von Der Rhein zu sehen.)

Ich persönlich mochte an einem Rheinbild, dass ich in ihm die Holzbohlen wiederfand, mit denen ich mich bei den sogenannten Dachbodenbildern von 1973 auseinandergesetzt habe. Je länger man sich mit Kiefers Werk beschäftigt, desto mehr sieht man Versatzstücke immer wieder, was ich sehr spannend finde. Auch wenn er sich neuen Themen zuwendet, neuen Techniken – manchmal greift er auf Dinge zurück, die er schon einmal benutzt hat, und ich mag diesen dünnen roten Faden, der sich durch sein Werk zieht.

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Der Rhein (Detail) (1982), Holzschnitt, Öl und Emulsion auf Papier, Collage auf Leinwand, 242 x 432 cm, Privatsammlung.

Das zweite Thema war Brünnhilde (oder wie Kiefer sie immer schreibt: Brünhilde) und ihr Pferd Grane. In Wagners Götterdämmerung entzündet die Walküre Brünnhilde den Weltenbrand und sorgt dafür, dass der ganze verdammte Rotz untergeht, der sie um ihre Liebe gebracht hat. Meiner Meinung nach wird im Nibelungenlied der Tod Brünnhildes überhaupt nicht erwähnt, daher bin ich etwas über einen Wandtext gestolpert, der die ganze Story mit dem Feuertod in eben dieses Epos packt. Aber vielleicht irre ich mich auch gewaltig; dann hoffe ich, dass es meiner Dozentin nicht auffällt.

Jedenfalls bin ich bei meinen Recherchen (wir erinnern uns: Ich versuchte, alle Werke aufzuzählen, in denen Kiefer sich auf Wagners Opern bezieht) auch auf einige Schnitte zu Brünhilde und/oder Grane gestoßen. Leider nicht alle, wie ich nölig vermerken muss. Auch Die Rheintöchter (1982–2013), Woglinde (1982–2013) und das oben abgebildete Reingold (ja, auch hier schreibt Kiefer wieder, wie er lustig ist) hatte ich nicht gefunden. Das mag daran liegen, dass es bisher nur zwei lausige Essays gibt, die sich mit Kiefers Holzschnitten befassen (hier das erste, das zweite ist auch von Hyman) – das steht jedenfalls im Katalog der Albertina, den wir Pressemenschen umsonst in die Hand gedrückt bekamen, worüber ich mich nochmals gefreut habe. Diese Essays habe ich nicht gesehen, und das ärgert mich jetzt wieder tagelang. Immerhin ruiniert es nicht das Argument, auf dem ich meine Hausarbeit aufgebaut habe, aber trotzdem. Da kommt gerade arg die Strebernase durch, die sich fragt, wieso sie diesen Text nicht gelesen hat.

Der Ärger kommt jetzt aber erst beim Schreiben und Verlinken. In der Ausstellung war ich noch gut gelaunt, vor allem, weil mal wieder der Effekt eintrat, der immer eintritt, wenn man ein Werk zum ersten Mal groß an der Wand sieht, das man bisher nur klein als Abbildung kannte: Man kapiert, was der Künstler wollte. Für diesen Blogeintrag blättere ich die ganze Zeit im Katalog und denke, die Bilder sehen genau so aus wie alle anderen Abbildungen von Grane auch, die ich bisher kannte, aber jetzt, wo ich es an der Wand gesehen habe, kommen mir alle Abbildungen falsch vor. Beim Rhein oder der Weltweisheit (darauf komme ich noch) hat mich das nicht so gestört, aber bei Grane fehlt mir auf einmal das Lebendige, das der Schnitt hatte, als er direkt vor mir war. Was eigentlich Quatsch ist, denn Grane wird fast immer als Skelett dargestellt. (Auch hier verweise ich auf die Abbildung auf der Ausstellungswebsite.)

Ich stehe also vor einem über zwei Meter hohen Holzschnitt, der ein skelettiertes Pferd zeigt – und trotzdem fühlt es sich so an, als spürte ich den Atem des Tiers. Ja, das ist Blödsinn, weiß ich auch, und ich ahne, dass ich diese Assoziation nur habe, weil ich die Götterdämmerung halt so mag und ich mein Fahrrad Grane getauft habe. Ich bin anscheinend ein Fan dieses Pferdes (hier rächt sich jedes Pferdebuch meiner Jugend), und deswegen kann ich dieses Vieh nicht als tot hinnehmen. Das ist jetzt die subjektivste und unwissenschaftlichste Auseinandersetzung mit Kiefers Werk ever, aber hey. Dafür sind Blogs da. In meiner Hausarbeit konnte ich jedenfalls nicht über mein Fahrrad schreiben.

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Brünhilde – Grane (Detail) (1977/78), Holzschnitt und Öl auf Papier, Collage, 242,5 x 193 cm, The Sonnabend Collection and Antonio Homem.

Der letzte Themenbereich umkreist das Werk Wege der Weltweisheit: die Hermannsschlacht (zwei Werke, 1980 und 1993). Hier ging es mir ähnlich wie bei Grane: In den Katalogen konnte ich die Werke intellektuell nachvollziehen – viele Köpfe, die Verehrung von Persönlichkeiten, ja, okay. Aber erst, als ich es vor mir sah, ergaben die schwarzen Kreise und Linien einen Sinn. Wo ich sie im Katalog immer nur als dekoratives Beiwerk empfunden hatte, waren sie hier auf einmal Verbindungslinien, konzentrische Kreise, die Personen verbanden, ihre Werke, ihre Aussagen, auf einmal hing alles zusammen, wie eben, Achtung, Banalität: alles zusammenhängt. Niemand ist eine Insel. Die Weltweisheit gehört nicht zu meinen Lieblingen, aber auch hier habe ich mich gefreut, sie im Original zu sehen.

Aber das ist ja eh der Kernpunkt jedes musealen Sehens. Man sieht auf einmal Farbschichten, Lücken in der Leinwand, verschiedene Materialien. Auch so eine simple Erkenntnis, die ihren Namen gar nicht verdient, aber genau wie im Centre Pompidou konnte mich der schichtweise Auftrag auf dem Bilduntergrund faszinieren. Mein Liebling: Sonnenblumenkerne. Ein total unterschätztes Material. (Nebenbei: Hört bitte auf, mir das Interview mit Sylvester Stallone und den Strohhalmen zu schicken, ich kenne es wirklich schon. Trotzdem lieb, dass ihr an mich denkt. Bussi!)

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Cette obscure clarté qui tombe des étoiles (Detail) (1997–2015), Holzschnitt, Sonnenblumenkerne und Kohle auf Papier, auf Leinwand kaschiert, 375 x 396 cm, Privatsammlung.

Ich fand es, genau wie im Centre Pompidou, spannend, mich mit den Bildern eines Malers auseinanderzusetzen, dessen Werke ich mir emotional erschlossen habe, bevor ich sie intellektuell verstand. Um jetzt mal das Fangirl zu machen: Ich mag Kiefers Werke. Jetzt wo ich mich intensiv mit ihnen beschäftigt habe, mag ich sie noch mehr, aber das Grundgefühl ist bei ihm immer Sympathie und nicht Bewunderung. Deswegen fand ich es wieder interessant, dass ich auch hier nicht breit grinsend und seligglücklich durch die Räume schlenderte und freudig vor mich hinpiepste, wie ich das sonst gern tue, wenn ich tolle Bilder sehe. Stattdessen ging ich aufmerksam, interessiert, fasziniert durch das Museum und hatte wie in Paris das Gefühl eines großen Geschenks. (Hier sogar im wahrsten Sinne des Wortes.) Es war mehr Arbeit als Vergnügen, aber es war gleichzeitig die Bestätigung für meine Arbeit, für meine Vorarbeit, für mein Interesse und ja, auch für den Spaß, den ich an Kiefers großen, düsteren Mythenbildern habe. (Wagnerfan halt.)

Ich bin mir aber sicher, dass man an dieser Ausstellung genauso Freude empfinden kann, wenn man nicht gerade monatelang über Kiefer gelesen hat (BIS AUF EIN VERDAMMTES ESSAY). Die thematische Hängung fand ich sehr schlau, den vielen Platz, den die Bilder haben, erwähnte ich bereits. Für mich persönlich hat der Besuch mein Werkverständnis vertieft und abgerundet. Ich kann mir aber auch vorstellen, dass die Holzschnitte ein schöner Reinkommer in das Werk Kiefers sind, gerade durch ihre eng gefasste Thematik. Ich empfand sie als gradliniger als viele andere seiner Werke, gerade die neueren (nach 2000), mit denen ich selbst ein bisschen kämpfe. Insofern: klare Anguckempfehlung. Und wenn ihr schon mal im Haus seid, nehmt die russische Avantgarde gleich mit. Die war nämlich auch toll, aber die beschreibe ich (vielleicht) ein anderes Mal.

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Wege der Weltweisheit: die Hermannsschlacht (Detail) (1980), Holzschnitt auf Papier (Collage), Emulsion, Acryl, Schellack und Karton, 291,5 x 501 cm, Sanders Collection, Amsterdam.

Tagebuch, Mittwoch, 16. März 2016 – Wien, Tag 1 (okay, 0,5)

Die Albertina lud mich zur Ausstellungseröffnung von Anselm Kiefers Holzschnitten nach Wien ein und übernimmt netterweise Flug- und Hotelkosten. Man hat mich nicht um eine Gegenleistung dafür gebeten, aber ich ahne euphorische Blogeinträge und dutzende ebensolcher Tweets. Wir werden sehen. #ooohvienna #AlbertinaKiefer

Ich so bräsig nach dem Start in München auf dem iPad lesend, kurz mal einen Blick nach draußen werfend, kennste ja alles, fliegst ja dauernd die gleiche Strecke – bis mir auffiel: nee, diese nicht. Nach Wien bist du noch nie geflogen und unter dir sind gerade die Alpen. DIE ALPEN!

Als Norddeutsche kenne ich das nur so: Man guckt bis zum Horizont und dann kommt irgendwann das Meer. (Meer ist immer super.) In Bayern musste ich mich daran gewöhnen, dass plötzlich so Klötze in der Landschaft stehen und sie machen mich bis heute irgendwie nervös. Aber von oben sind sie genau das, was man über sie sagt: majestätisch. Ich legte das iPad in den Schoß, sagte irgendwann die üblichen An-Bord-Sätze „Ich hätte gerne einen Tee, bitte … nein, ohne alles … danke“ und guckte geschätzt 30 Minuten aus dem Fenster. Irgendwann kam dann Schönbrunn – das stand eigentlich nicht auf meiner Anguckliste, weil ich nicht so viel Zeit habe, aber jetzt kann ich sagen: hab ich auch gesehen, ha! – und schon landeten wir.

Der Flughafen Wien sieht vom Rollfeld aus wie eine Festung aus Game of Thrones, ist innen aber brav beschriftet und schön übersichtlich. Ich fand es lustig, im Ausland zu sein und alles zu verstehen – oder zumindest fast alles. Ein paar Vokabeln sind anders, aber im Prinzip grinste ich die ganze Zeit, weil ich dachte, ich kann alles lesen, ich versteh alles, das ist super. Next Level: Schweiz.

Der CAT brachte mich in 16 Minuten in die Mitte Wiens, von dort aus fuhr ich zwei Stationen zum Stephansplatz, kletterte nach oben und streifte mit wenigen Blicken dieses kleine Kirchlein, das dort steht. So hübsch ich die gesäuberten Sandsteinfassaden finde – der schwarze Brocken in Köln macht doch irgendwie mehr her. Aber ich komme noch mal wieder – der Plan ist: heute nachmittag – und gucke ihn mir genauer an.

Ich rollte mein Köfferchen 300 Meter weiter und stand von meinem Hotel. Im zweiten Stock angekommen, öffnete ich die Gardinen – und guckte direkt auf eine weitere Kirche, die ungefähr acht Meter Luftlinie von meinem Balkon weg steht. Besser kann man für eine Kunsthistorikerin echt kein Zimmer buchen.

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(Die Aufnahmen sind von heute morgen, gestern war es diesig.)

Kurz frischgemacht, Zeug verstaut und dann wieder los: Erstmal den Fußweg zur Albertina abgehen, damit ich heute bloß nicht zu spät komme. Ein braves Foto gemacht und weiter. Dass ich neuerdings nicht nur mein iPhone habe, sondern auch eine anständige Kamera, ist mir erst aufgefallen, als ich wieder im Hotel war. Ich übe das noch mit dem Touri-Sein. Daher kommen jetzt leider nur noch Telefonfotos.

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Von der Albertina ging ich direkt zur Konkurrenz, dem Kunsthistorischen Museum. Egal ob in Wien oder Paris oder in so gut wie jeder anderen europäischen Stadt, die mit Häusern aus der Jahrhundertwende und davor vollsteht – ich denke immer: So könnte das auch bei uns aussehen. Könnte. Dann bin ich kurz traurig, dann denke ich an die spannenden Stadtgestalten, die wir dafür in der Bundesrepublik haben, dann bin ich wieder traurig und dann muss ich an was anderes denken. Gestern waren es die ganzen schlecht gelaunten italienischen Schulklassen, die mich gut abgelenkt haben, aus denen sich quasi der komplette 1. Bezirk zusammensetzt.

Für das KHM hatte ich leider nicht irrsinnig viel Zeit, denn ich war abends verabredet. Also sprintete ich nur durch die Gemäldegalerie, aber dort hingen natürlich genug Bilder, die mich anhalten ließen. So habe ich Pieter Bruegel den Älteren ganz neu zu schätzen gelernt. Klar kannte ich den Turmbau zu Babel und die Bauernhochzeit, aber ich habe beide Bilder gestern zum ersten Mal richtig gesehen. Beim Turmbau fiel mir auf, dass der Baustil romanisch ist, was ich lustig fand, denn im 16. Jahrhundert stand genug Gotik in der Gegend, die Romanik war lange vorbei und out, und man baute schicke Renaissancepaläste. Ich gehe davon aus, dass Bruegel bewusst einen älteren Stil wählte, um die biblische Szene zu zeigen, aber dass er sich so brav an romanische Details hält, ist mir noch nie aufgefallen. Auch die Vielfalt der einzelen Bildteile war mir neu, und alleine für dieses Bild würde ich gerne noch mal wiederkommen. Und für die Bauernhochzeit, die ich in Abbildungen immer als naiv und irgendwie niedlich, aber mehr auch nicht, empfunden habe. Wenn man vor dem nicht ganz kleinen Bild steht, wirkt es auf einmal sehr modern; das blaue Hemd des Suppenträgers sieht frisch gewaschen aus, die Schürze ist mit einem fast filigranen Band gebunden, das aber gleichzeitig fest wirkt. Was mich besonders gerührt hat: der glückliche Gesichtsausdruck der Braut, die still und zufrieden breit lächelnd vor ihrem grünen Stoffvorhang sitzt. Wunderschön und alles andere als naiv. Auch toll: der Bethlehemitische Kindermord, den Bruegel (der Jüngere) ins Flämische verlegt hat, was die Szene noch irrealer wirken lässt. Das hat ein bisschen gedauert, bis ich kapiert habe, worum es geht, denn den Kindermord kenne ich nur in hellen, antiken Kulissen und in bunt-italienisch. Ich gucke immer erst aufs Bild und dann auf die Beschriftung, was im KHM prima funktioniert, denn da stehen die Texte auf einer Bande vor den Bildern und nicht direkt daneben. Oder sie stehen auf einem großen ausliegenden Blatt, das man leihweise in die Hand nimmt, wenn man die vollgehängten Räume abschreitet.

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Im Anthonis-van-Dyck-Saal ließ ich meinen Blick nur kurz schweifen, blieb bei einem Prinzenporträt hängen und dann bei einem Bild, bei dem ich dachte, hm, das ist doch kein van Dyck? War’s auch nicht, war ein Vermeer. Das war das Stichwort für den asiatisch aussehenden Touristen mit der Kamera, der quasi in meinem Tempo durch die Säle ging, aber nicht wie ich schnell guckte, sondern schnell knipste. Alles. Ich glaube, er hat sich kein einziges Bild richtig angeschaut, höchstens um die Kamera scharf zu stellen. Alter – wenn du nur Abbildungen der Werke sehen willst, kannst du auch Google anwerfen. Ich verstehe es einfach nicht.

Bei den deutschen Malern konnte mich Hans Holbein der Jüngere zum ersten Mal richtig begeistern, und ich blieb lange vor der jungen Venezianerin von Dürer stehen, weil sie mich immer an meine Mama erinnert. Bei den Italienern reichte ein Blick in den üppig bunten Saal, um den Raffael zu erspähen, und vor einem besonders dramatischen Caravaggio testete ich die hervorragendenden Sofas (SOFAS!) an, die überall in den Räumen standen. Können bitte alle Museen Sofas aufstellen und nicht mehr diese blöden lehnenlosen Inseln?

Abend traf ich mich mit einem charmanten Herrn, der mir viel über Architektur erzählte (Koalagehege!) und einen schönen Zweigelt ausgab, weil ich ja Geburtstag hatte. Weil der Herr noch einen beruflichen Termin hatte, war ich sogar pünktlich zum Anpfiff des CL-Spiels zwischen Bayern und Juve im Hotel. Und weil die Bayern auch nett zu mir sein wollten, gewannen sie das Spiel. So kann der Kurzurlaub weitergehen.

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Tagebuch, Dienstag, 15. März 2016

Koffer gepackt. Darauf gewartet, dass es Mittwoch wird.

Was schön war, Montag, 14. März 2016

Ich habe mit meiner neuen Kamera rumgespielt.

Ich besitze seit Jahren ein Smartphone mit halbwegs okayer Kamera, aber einen großartigen Ehrgeiz, damit richtig gute Fotos zu machen, hatte ich nie – erstens, weil ich um die Limitationen der Kamera wusste und zweitens um die meinen als Fotografin. Vor zehn Jahren kaufte ich mir eine kleine gebrauchte Digiknipse, die erstmal ewig in der Schublade lag, aber dann mit den ersten Kochversuchen zur Futterfotografie genutzt wurde. Einmal durfte sie mit in den Urlaub nach Rom, danach war sie wieder nur für Nahaufnahmen zuständig, weil ich mit den Rom-Fotos nicht so glücklich war und dort schließlich wieder mit dem iPhone knipste. (Man kann das wirklich nicht „fotografieren“ nennen, was ich da trieb.)

Seit ich Kunstgeschichte studiere und mich verstärkt mit Architektur beschäftige, renne ich mit weit offenen Augen und meist dem Kopf im Nacken durch meine Stadt und gucke mir Giebel an, Dachfirste, Trauflinien, Ornamente, Fensterlaibungen und was sonst noch so an Häusern dran ist. Und immer öfter juckt es mich in den Fingern, schöne Details zu fotografieren, um darüber zu bloggen. Ich zücke also das iPhone, knipse – und stelle zuhause fest, dass ich kaum ein Detail so scharf ranholen kann, dass man es abbilden möchte.

Diese Missstand habe ich jahrelang ausgehalten, aber jetzt, wo ich ernsthaft darüber nachdenke, mich mit der Architektur noch tiefergehender zu befassen, als ich das eh schon tue, muss eine vernünftige Kamera her. Die kleine Digiknipse gibt nicht mehr her als das iPhone 6 (inzwischen sogar weniger), und deswegen ließ ich mich von einem charmanten Herrn in meiner Timeline beraten, klickte mir eine gebrauchte Kamera mit zwei Objektiven in den Einkaufswagen und holte das Päckchen am Samstag aus der Packstation.

Während ich mich im Fußballstadion rumtrieb, lud der Akku auf; am Sonntag las ich dann brav die Bedienungsanleitung durch (ja, ich bin eine von denen), klickte mich durch alle Untermenüs, probierte sinnlose Bildeinstellungen aus und fotografierte als erstes anständiges Motiv eine Erbsensuppe. Das ist noch keine Kunst, sondern alles automatisch voreingestellt, aber ich habe mich trotzdem sehr darüber gefreut, in meinen Blogbildern wieder eine gewisse Tiefe vorzufinden, die sie mit den iPhone-Schnappschüssen nicht mehr hatten.

Gestern schraubte ich dann das Zoom-Objektiv auf und ging zu meinem Lieblingsmotiv, dem Königsplatz. Verwirrt musste ich feststellen, dass ich bereits in der Grundeinstellung kaum die Glyptothek aufs Bild bekam, obwohl ich 50 Meter von ihr weg stand. Deswegen kam ich nicht mal auf die Idee, den Zoom auch richtig auszutesten, sondern fotografierte nur das komplette Gebäude in der kleinsten Einstellung (ich Depp). Und trotzdem saß ich 20 Minuten später am Rechner und sagte laut „Whoa“, als ich die Bilder sah. Diese Tiefe! Diese Schärfe! Diese Feinheit in den Details! Aus fucking 50 Meter Entfernung! Und noch nicht mal richtig gezoomt! Als totaler Zoom-Newbie war ich schwerstens begeistert. Und ich kann endlich die Giebelfiguren anständig sehen!

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Es ärgert mich etwas, dass ich euch kein anständiges Foto zeigen kann, weil ich ein bisschen überfordert neben mir stand und eher ziellos auslöste, aber da ich am Mittwoch nach Wien fliege, wo eventuell ein paar Gebäude stehen, bei denen sich ein Zoom lohnt, werde ich das hoffentlich nachholen können.

Ich möchte außerdem darauf hinweisen, dass es mich nur drei Versuche gekostet hat, darauf zu kommen, dass man an diesen Kameras nicht dadurch scharfstellt, indem man aufs Display tippt. Und das Auslösegeräusch kann man auch nicht abstellen, wie mir F. mit einem sehr mitleidigen Blick erklärte („mechanisches Bauteil“).

Smartphones made me stupid.

Erbsensuppe

(Ich mag meine Rezept-Blogeinträge mit so unscheinbaren Titeln.)

Es gibt einen Kindheitsgeschmack, an den ich mich genau und gerne erinnere – den von deftiger Erbsensuppe. Also nicht das feine hellgrüne Süppchen mit Minze oder Jogurt, sondern der dampfende Eintopf, am besten aus Kesseln, die 50 Liter fassen. Diese Art Suppe gab’s immer bei unserem Himmelfahrtsfest an der Michaeliskirche im Dorf, an der aus Tradition ein Banner mit Rechtschreibfehler hing: „Wir wollen alle fröhlich sien – Himmelfahrt 1985“. Die Zahl wurde jedes Jahr mit einem neuen Stofffetzen übernäht, der Fehler blieb. Ich mochte das seltsamerweise gern. (Und frage mich gerade, ob das Banner immer noch aufgehängt wird.)

Beim Fest rund um die Kirche bestückten viele Freiwillige riesige Kuchenbuffets, organisierten einen Flohmarkt, es gab Zelte, in denen Handarbeiten verkauft wurden, Bücher, Spielzeug, und es gab eines, in dem aus einem riesigen Bottich Erbsensuppe geschöpft wurde. Wer wollte, bekam noch ein Wiener Würstchen in den weißen Plastikteller, und dann setzte man sich draußen auf die Bierbänke und aß, und es war total egal, wie frisch der Wind gerade war, denn die Suppe wärmte alles durch.

Genau so eine Suppe kommt raus, wenn man sich an das untenstehende Rezept hält, und es hat mich sehr bräsig-erinnerungsselig-glücklich gemacht.

Es stammt aus der essen & trinken bzw. von deren Website. Das Heft hatte ich jahrelang abonniert, habe aber irgendwann gemerkt, dass ich, wenn’s hochkommt, ein oder zwei Rezepte nachkoche, noch ein paar Post-its ins Heft verteile, die aber nie wieder angucke, sondern das Heft auf einem immer höher werdenden Stapel vor sich hingammeln lasse. Also habe ich das Abo gekündigt und gucke seitdem immer, wenn ich auf Rezeptsuche bin und die Kochblogs nicht das hergeben, was ich suche, auf der e&t-Website nach. Und meistens werde ich nicht nur fündig, sondern finde ein Rezept, das nachkochbar ist, ohne dass man durch zig Spezialitätenläden rennen muss und das, noch wichtiger: schmeckt.

Die e&t-Website lässt jedes Mal ein Fenster aufploppen, wenn ich sie anwähle, das mich darum bittet, meinen Adblocker auszuschalten. Das werde ich natürlich nicht tun, weil ich sonst wahnsinnig werden würde, aber ich würde mit Freuden den Heftpreis dafür bezahlen, eure Seite betrachten zu dürfen. Vielleicht ein zukunftsfähiges Modell?

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Für vier bis sechs Portionen.

In einem großen Topf
200 g Möhren,
200 g Knollensellerie,
200 g durchwachsenen Speck und
125 g Zwiebeln, alles gewürfelt, in
Öl für knapp zehn Minuten bei mittlerer Hitze andünsten.

250 g grüne Schälerbsen,
2 Lorbeerblätter und
1 Zweig Majoran (bei mir war’s ein TL getrockneter) dazugeben und mit
1,5 l Wasser aufgießen. Zum Kochen bringen und anderthalb Stunden zugedeckt bei mittlerer Hitze vor sich hinköcheln lassen.

Nach 45 Minuten
400 g Kartoffeln, in mundgerechte Stücke geschnitten, dazugeben und mitkochen lassen.

Kurz vor Ende der Garzeit noch
4 Wiener Würstchen, kleingeschnitten, dazugeben. Mit
Salz und
Pfeffer abschmecken. Ich habe ganz zum Schluss noch
1 Bund Petersilie, fein gehackt, untergerührt.

In der letzten Kitchen-Impossible-Folge gab’s übrigens auch Erbsensuppe. Da wurde Lauch statt Zwiebeln verwendet sowie frisches Bohnenkraut. Außerdem könnte man für eine etwas grünere Farbe (also mehr neon statt oliv) noch einen Schwung frische oder TK-Erbsen durchpürieren und sie kurz vor Schluss in die dicke Suppe geben. Ich werde das ausprobieren – wobei ich gerade das Olivgrün so gerne mag, weil es herbstlich-mummelig ist.

#12von12 im März

Das Übliche am 12. des Monats: zwölf Fotos vom Tagesverlauf instagrammen. Alle anderen Mitspieler*innen gibt’s drüben bei Caro.

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Ich wachte bereits um 7 auf, warum auch immer, meine normale Aufstehzeit ist 8. Deswegen verdaddelte ich konsequent eine Stunde im Bett mit dem iPhone und las das Internet leer, um dann brav um 8 in Richtung Badezimmer zu schlendern.

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Mein übliches Frühstück aus Cappuccino und Saft nahm ich in der Ringelmiez-Variante zu mir. Ella bastelt aus Rohkost immer kleine Kunstwerke (einfach mal den Stream anklicken), die unglaublich appetitlich aussehen. Meine Orangenspalten sind eher freie Kunst, waren aber auch sehr schmackhaft. Und die Kombi mit Walnüssen ist klasse.

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Normalerweise schreibe ich die Blogeinträge abends, damit sie eine Nacht ausdampfen können. Morgens gehe ich noch mal mit dem feinen Kamm drüber und dann kommen sie ins Netz. Vorgestern abend nach der Oper und dem standesgemäßen alkoholischen Getränk danach (sonst in den Pausen, aber der Holländer wird in München brav durchgespielt, wie sich’s gehört) hatte ich aber keine Lust mehr zum Schreiben, weswegen ich das ausnahmsweise mal morgens erledigt.

Okay, diesen Blogeintrag schreibe ich auch gerade fünf Minuten, bevor er online geht. Das reißt hier alles ein! THE SYSTEM! IT ALL BREAKS DOWN!

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Dann kam leider eine doofe Mail. Eine charmante Hamburger Agentur mit einem schönen Kunden hatte mich für ein paar Tage angefragt, was mir gerade hervorragend in den Zeitplan und ins Budget gepasst hätte. Leider wird jetzt doch mit Angestellten gearbeitet, statt das total praktisch und für alle zum Vorteil und frühen Feierabend gereichend outzusourcen. Schade.

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Aber wie ich in den letzten 40 Jahren gelernt, entlernt und wieder neu gelernt habe: Schmerz bekämpft man mit Essen. Früher mit Schokolade, heute mit stundenlangem Kochen. Dafür ging ich in den nahegelegenen Supermarkt und packte den Wagen mit leckerem Zeug voll. Und nachdem ich den Wagen geinstagrammt hatte, kam natürlich noch Schokolade dazu. Man weiß ja nie, wie mies der Tag noch wird. (Keine Bange, der gestrige war schön.)

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Gerade als ich die Einkaufstüten zuhause ausgepackt hatte, vibrierte das Handy: Meine Amazon-Sendung war in der Packstation eingetroffen. Natürlich nicht in die um die Ecke, sondern in die weiter weg. Gut, dass ich die Schuhe noch anhatte; gleich wieder zur Tür raus, ab in den Bus, dann in die Tram, dann einen kleinen Fußweg und zack, hatte ich mein Paket. Hat insgesamt dann auch nur ne Stunde Zeit gekostet, wo es sonst 15 Minuten gedauert hätte. Aber es ist ja Samstag, wir haben Zeit, komm mal klar, und weil du auf dem Rückweg keine Lust hattest, auf den Bus zu warten, hast du auch noch einen kleinen Spaziergang durch deine Hood machen können. Alles gut.

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Den halben Inhalt des Einkaufswagens kleingeschnippelt und in meinen großen Suppentopf geworfen. Den benutze ich hier in München das erste Mal, der stand die letzten Jahre in Hamburg, weil ich hier ja nie groß kochen musste.

Ich frage mich, wie lange das dauert, bis es aufhört mir aufzufallen, wenn ich Dinge hier zum ersten Mal benutze, die seit Jahren in meinem Besitz sind. Wenn man umzieht, benutzt mal ja alles an einem anderen Ort zum ersten Mal, aber ich hatte mich drei Jahre lang an zwei getrennte Haushalte gewöhnt, weswegen ich immer noch darüber stolpere, wenn hier plötzlich irgendwas ist, was hier gar nicht sein sollte.

Ich brauche ein Emoji, dessen Gesichtsausdruck sagt: „Das macht mich jetzt kurz traurig, weil ich mich daran erinnere, was ich verloren habe, aber gleichzeitig freue ich mich, dass dieser schöne Gegenstand hier ist, weil ich hier lebe und die Stadt mag und meinen Job (also mein Studium) und allmählich auch die Gesamtsituation, auch wenn ich zwischendurch immer wieder zusammenzucke, weil alles so anders ist als noch vor wenigen Jahren.“ Kann den mal eine/r basteln? Danke, ganz lieb.

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Samstags ist eigenlich Putztag, aber gestern hatte ich nur Lust (also Lust wie in „dafür kann ich mich gerade aufraffen) zum Staubsaugen. Das Bad putze ich heute. Oder morgen. Ähem.

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Endlich aufs Sofa und lesen, während die Suppe anderthalb Stunden vor sich hinkocht.

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Aber um 15.30 Uhr musste ich aufhören zu lesen, weil ich Fußball gucken wollte. Bei der Konferenz schlafe ich erfahrungsgemäß immer ein, weswegen ich mir vorsichtshalber den Wecker auf 16.30 Uhr stellte. Das war eine gute Idee, denn natürlich schlief ich ein. Ich hatte aber noch einen Termin, zu dem ich dringend wollte.

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Nämlich nochmal Fußball gucken.

In der U-Bahn zum Stadion saßen zwei Kerle aus Frankfurt neben mir, die sich das Spiel ausmalten. Der eine trug ein Müller-Trikot und sinnierte: „Das wär so toll, wenn sie 5:0 gewinnen und Müller ein paar Tore schießt.“ Der Junge hatte vermutlich einen ziemlich guten Abend.

Auf dem Weg ins Stadion las ich auf dem iPhone, weil ich bei der Taschenkontrolle gerne mal doof angesprochen werde, wenn ich ein Buch ins Stadion schleppe. Ich habe mehrere Kunstgeschichts-PDFs auf dem Handy, die man zwischendurch weglesen kann, aber gestern wollte ich was Romaniges, also fing ich mit Ben Lerners Leaving the Atocha Station an, das schon länger bei iBooks rumlungert, zu dem ich mich aber nie aufraffen konnte. Gestern las ich mich allerdings fest und abends im Bett noch weiter, weswegen ich jetzt anscheinend erstmal dieses Buch zuende lese, bevor ich mich wieder Herrn Franzen zuwende. Verdammter Fußball.

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Trotz Zwiebellook, Stiefeln und Handschuhen war mir nach dem Stadion kalt. Wie praktisch, dass ich vorhin eine dicke, warme Erbsensuppe gekocht hatte. Rezept steht morgen im Blog. Wenn ich heute Abend Lust zum Schreiben habe. (THINK OF THE SYSTEM!)