Monument

Ein paar Gedanken zu Monument, dem Kunstwerk von Manaf Halbouni, das noch bis Anfang April vor der Dresdner Frauenkirche steht. Aber erstmal lasse ich andere zu Wort kommen, die schon Schlaues gesagt haben, zum Beispiel Susanne Altmann im art-magazin:

„Manaf Halbouni, dem als Wehrdienstverweigerer die Rückkehr nach Syrien auf lange Sicht verwehrt ist, sieht in der Geschichte Dresdens ganz offensichtliche Parallelen zur Gegenwart, zu seiner Heimatregion. Hier wie dort wurden und werden Städte pulverisiert, die Zivilbevölkerung tyrannisiert. “Als ich das Bild aus Aleppo damals sah, überkam mich große Trauer darüber, dass man so krass viel Energie in das eigene Überleben investieren muss.”, erklärt Halbouni. Zunächst verwendete er die Bussperre in Fotocollagen, indem er das Motiv wahlweise vor den Buckingham Palast, das Metropolitan Museum oder vor die Dresdner Semperoper platzierte. Ein Spiel mit den Möglichkeiten. Er recherchierte zu temporären Schutzwällen während vergangener Kriege und beschloss: “Diese Figur darf nicht nur auf dem Papier bleiben.” Die aggressive physische Präsenz der Busse allein wäre schon eine starke Geste, doch erst dieser konkrete Standort bringt “Monument” auf den Punkt. Nirgendwo sonst in Dresden sei es ihm so bewusst geworden, dass Aufbau und Neubeginn nach einem Desaster möglich sind. Genau darin besteht die Botschaft, die “Monument” nach Syrien und an andere Kriegsgebiete senden will.“

Annekathrin Kohout zitiert Altmann und schreibt in ihrem Blog folgenden Kommentar:

„Trotzdem: Es ist wichtig, jetzt nicht um die „richtige“ Interpretation des Werkes zu streiten. Weil beide – ein Monument für den Frieden oder ein Mahnmal für den Krieg – richtig und natürlich auch beide wichtig sind. Mahnmale sollen per Definition Betroffenheit erzeugen. Aber es zeigt sich in der Diskussion um die richtige Interpretation auch ganz deutlich, wo die Grenzen von politischer Kunst im öffentlichen Raum liegen, wenn diese nicht mehr im Auftrag des Staates oder ausgehend von einem Volksentscheid entsteht. Und wenn an eine solche Kunst auch nicht mehr der Anspruch gestellt wird, repräsentativ, sondern Ausdruck eines individuellen künstlerischen Subjektes zu sein. Dann entsteht ein großes Missverständnis der jeweiligen Erwartungen: Bei einem Kenner der zeitgenössischen Kunst sind diese relativ und können variieren, bei einem Laien hingegen, der Michelangelo vor Augen hat, wenn er an „Kunst“ denkt, könnten sie jedoch größer kaum sein – und er wird sich vor den Kopf gestoßen fühlen.

Die Arbeit von Manaf Halbouni hat mich schließlich daran erinnert, wo die Spaltung besonders tief sitzt. Nämlich dort, wo es keine gemeinsamen Repräsentanten gibt. Und das ist eine Situationsbeschreibung, die auf viele Bereiche in Politik, Medien und Kunst, zutrifft.“

Samael Falkner befasst sich bei den Prinzessinnenreportern ebenfalls mit den wütenden Reaktionen einiger Menschen:

„Kunst ist ja oft auch Geschmackssache. Manche Menschen mögen Landschaftsgemälde, andere sind große Fans des abstrakten Expressionismus. Berufsverbote für Künstler gibt es in Deutschland heute nicht mehr. Und so können Touristen in Dresden sowohl die Gemäldegalerie Alte Meister besuchen, als auch zeitgenössische Kunst in wechselnden Ausstellungen der Staatlichen Kunstsammlung und privater Archive besuchen. Bis 26. März etwa die Nachlass-Sammlung der Werke Josef Hegenbarths in der Calberlastraße oder die Fotos von Benjamin Katz, mit denen er Gerhard Richter begleitete bis 21. Mai im Albertinum. Auch die Galerie Neue Meister stellt viele zeitgenössische Künstler aus. Zahlreiche kleine Galerien runden das Bild Dresdens als Standpunkt für moderne Kunst ab.

Dass die Dresdner nicht wissen, was sie an ihrer kulturellen Vielfalt haben, ist natürlich gelinde gesagt ein wenig schade. Kultur, und damit einhergehend auch Kunst, sind schließlich der einzige Grund, warum Touristen aus aller Welt die Stadt besuchen. Dass jedoch einige Protestierende bei der gestrigen Eröffnung der Installation “Monument” des Künstlers Manaf Halbouni, der seit vielen Jahren in Dresden lebt und arbeitet und an der Hochschule für Bildende Künste in Dresden als Meisterschüler bei Eberhard Bosslet im letzten Jahr sein Zweitstudium abschloss, schrien man sollte diese “entartete Kunst”, diesen “Müll” aus ihrer Stadt entfernen – das ist ein anderer Fall. Das ist keine persönliche Betrachtung von Kunst, das ist bewusste Verwendung der nationalsozialistischen Sprache, die zu Vertreibung und Mord der damals unerwünschten Künstler führte.“

Ich hätte noch eine weitere Lesart. Als ich Monument zum ersten Mal sah, dachte ich, ach, coole Werbeaktion. Ich habe es, vermutlich durch meine Biografie, zunächst nicht als Kunst wahrgenommen, sondern als Werbung, weil es so perfekt auf den Punkt ist. Es ist ein ganz schlichtes Bild, das sofort funktioniert, und in Verbindung mit der Frauenkirche sogar noch einen zweiten, emotionalen Punkt macht. Also das, was Werber*innen gerne hätten: eine Botschaft, die ohne große Erklärung ankommt. Auch als ich wusste, dass ich gerade die Abbildung eines Kunstwerks anschaue, dachte ich weiter: Das wird jetzt tausendfach fotografiert und instagrammt und Leute schreiben darüber. Ein weiterer Punkt, den die Werbung liebt: kostenlose Verbreitung, ohne dass man selbst als Agentur oder Kunde etwas dafür tun muss. Das Ding geht viral und es gibt nicht die befürchteten Streuverluste, die lokal begrenzte Aktionen gerne haben.

Seit ich die oben verlinkten Artikel gelesen habe, denke ich darüber nach, ob die Reaktion der Menschen vor Ort eine andere gewesen wäre, wenn an den Bussen irgendwo das Logo einer beliebigen Menschenrechtsorganisation geklebt hätte. Wenn also klar gewesen wäre, das ist Werbung, das kann man ignorieren. Ich behaupte, es wäre dann auch von vielen Dresdner*innen ignoriert worden. Es hätte sich vermutlich jemand darüber aufgeregt, dass man jetzt die Frauenkirche nicht mehr so hübsch fotografieren kann, aber ansonsten hätte man drumherum geguckt. Denn wenn etwas Werbung ist, dann will es zwar etwas von mir, aber ich bin ja eine gewiefte Konsumentin: Ich lasse nichts mehr von mir wollen. Die Busse kann ich prima wegdenken; die machen mir zwar jetzt kurz ein schlechtes Gewissen, weil ich weiß, wieviele Menschen täglich im Mittelmeer ertrinken und das Foto von Alan Kurdi, ja, das war auch schlimm, aber das kann ich im täglichen Leben genauso ignorieren wie die Werbebilder von Brot für die Welt (über deren rassistische Implikationen Noah Sow übrigens sehr schlau geschrieben hat).

Viele Menschen haben gerade durch Werbung gelernt, Bilder rational zu verdrängen. Wahrscheinlich muss man das auch; ich mache das Fass mit den sehr dünnen, weißen, gephotoshoppten Frauenkörpern, mit denen wir täglich konfrontiert werden, nur kurz auf. Aber auch die Bilder aus der Tagesschau belasten, und ich persönlich muss mich gerade sehr anstrengen, Bilder aus den USA aus dem Kopf zu schieben, weil ich sonst den ganzen Tag lang fassungslos und wütend bin. Und ja, auch ich versuche, nicht dauernd an Kurdi zu denken. Als ich Monument sah, wollte ich auch dieses Bild sofort wegbekommen, weil es eben so gut funktioniert und einen sofort erwischt und mich damit konfrontiert, dass mein Engagement für Flüchtlinge aus eine Tüte Hygieneartikel bestand, die ich am Bahnhof in München abgegeben habe und dass ich ab und zu per Twitter und Blog für Tolerenz werbe.

Monument ist aber nun mal keine Werbung. Es ist Kunst und hat damit einen ganz anderen Anspruch, was von den protestierenden Menschen interessanterweise sofort verstanden wurde. Werbung kann man ignorieren, aber Kunst muss man erstmal wahrnehmen. Kunst konfrontiert, und was man dabei über sich selbst erfährt, ist manchmal nicht immer gut auszuhalten. Ich ahne, dass deshalb die Gegenstimmen so laut und wütend sind. Ich ahne auch, dass die ganzen gebrüllten Argumente (Opferstadt, Täterstadt, was geht uns Syrien an, es kommen eh zu viele Flüchtlinge und echt jetzt mal, ich kann die blöde Playmobilkirche nicht mehr knipsen) genau davon ablenken. Es ist einfacher, nach außen hin zu pöbeln als sich selbst den Schuh anzuziehen und zu sagen: Ich komme aus einem ehemaligen Täterstaat und diese Kunstaktion weist mich anscheinend mehr darauf hin als die wiederaufgebaute Frauenkirche. Dass genau dieser Täterstaat durch seinen heutigen Wohlstand die Möglichkeit hat, anderes Leid zu lindern und Dinge in der Vergangenheit wenigstens ansatzweise wiedergutzumachen, scheint – warum auch immer – ein großes Problem zu sein. Und da hört bei mir dann auch jedes Verständnis auf. Die Pöbelnden wollen doch immer so gerne auf ihr Land stolz sein – das wäre jetzt gerade eine prima Gelegenheit. Ein Land, das Hilfe anbietet anstatt sie abzulehnen, wäre für mich eine erstrebenswerte Heimat. Aber anscheinend nicht für alle.

Ein doppeltes Dankeschön …

… an Annekathrin Kohout und Wolfgang Ullrich, die mich mit einem gemeinsamen Buchpaket überraschten. Darin befanden sich Leif Randts Planet Magnon – ein Teil der Widmung: „… auch wenn Coby County besser ist …“ – und Ullrichs Siegerkunst. Sehr praktisch, denn letzteres stand auf meiner „Hole ich aus der Bibliothek, wenn ich Zeit habe“-Liste. Muss ich jetzt nicht mehr und kann dazu auch noch herzhaft mit Bleistift im Buch rummalen. Ja, meine eigenen Bücher sehen so aus wie die, die ich hasse, wenn ich sie in der Bibliothek so antreffe.

Noch schöner als der weitere Zuwachs in meinem Bücherregal war die Widmung, in der die beiden sich als „Dauerleser [meines] so inspirierenden Blogs“ bezeichnen. Davon habe ich dann doch gerührt rote Bäckchen bekommen, dass zwei Kunsthistoriker*innen, die ich selbst gern lese, das anscheinend auch bei mir machen (was ich nicht wusste). Vielen Dank für das Geschenk, ich habe mich sehr gefreut.

Wo wir gerade bei Büchern sind: Die Münchner Stadtbibliothek veranstaltet gerade eine Blogparade zum Thema „Public! Die Stadt und ihre Bibliotheken“, bei der man darüber schreiben kann, „wie öffentliche Bibliotheken im 21. Jahrhundert sein können, sollen und müssen“. Heiko Bielinski verlinkte gestern seinen Beitrag – gerne gelesen! – und wies mich auch auf Twitter auf die Parade hin. Ich grübele seitdem über schlaue Antworten, aber ich glaube, ich bin gerade nicht die Zielgruppe.

Ich bin zur Zeit (und vermutlich noch länger) eher in wissenschaftlichen Bibliotheken unterwegs. Die Stadtbücherei nutze ich nur, wenn ich Comics lesen will, die mir inzwischen schlicht zu teuer geworden sind, oder ich in Romane reingucken will, die ich in der Stabi nicht finde. Das war’s. Was ich mir aber beim letzten Besuch gewünscht habe, wäre eine Sofalandschaft mit Kaffeetheke, damit ich den Comic gleich vor Ort lesen kann. Die meisten hat man halt in einer Stunde durch, weswegen es sich nervig anfühlt, sie nach Hause zu schleppen, flugs durchzulesen und sie wieder zurückbringen zu müssen. Weswegen ich natürlich immer gleich fünf ausleihe, damit sich’s wenigstens lohnt. Deswegen freue ich mich über die einfach zugänglichen Medien – man muss gar nicht die Suchmaschine im Netz anwerfen, man geht einfach in die Bücherei ans Regal und guckt, was vor einem steht. Das klappt in wissenschaftlichen Bibliotheken nur so halb; wenn ich zum Beispiel im Zentralinstitut für Kunstgeschichte nach einer bestimmten Künstlerin suche, kann ich zwar ans Regal mit ihren Monografien gehen, aber es gibt dazu noch die Ecke mit den Ausstellungskatalogen, die in einem anderen Stockwerk sind, außerdem Aufsätze in diversen Zeitschriften, die wieder woanders stehen und so weiter und so ungeordnet.

Ich bin längst nicht so oft in öffentlichen Büchereien wie in den Unibibliotheken, daher habe ich nur den Vorschlag mit Sofas und Milchkaffee. Ich ahne aber, dass die Idee, kleckernde Heißgetränke zwischen Bücherregalen auszuschenken, nicht so sinnvoll ist. Wobei ich Heikos Anmerkung, dass Leute zu Starbucks gehen, weil die Sessel bequem sind und es WLAN gibt, für einen durchaus wichtigen Hinweis halte. Starbucks mit Büchern und ohne die beknackte Musik – das wär’s.

Tagebuch, Montag, 6. Februar 2017 – Dozentengespräch

Meine erste Prüfung in diesem Semester war die zum Lektürekurs in Geschichte. Wir konnten uns aus fünf Büchern über das (kurze) 20. Jahrhundert zwei aussuchen und sollten sie über den Zeitraum des Semester lesen. Die Prüfungsleistung war dann ein gemeinsames Gespräch mit dem Dozenten. Wir waren nur fünf Leute und saßen im Büro des Dozenten, weswegen sich das eher nach einem entspannten Plaudern anfühlte; das hat mir sehr gefallen, das hätte ich gerne öfter gehabt.

Drei hatten Hobsbawms Zeitalter der Extreme gelesen, auf das ich keine Lust gehabt hatte, aber nach dem Gespräch gestern werde ich es wohl doch mal lesen. Die drei klangen jedenfalls sehr beeindruckt. Den Sheehan hatte noch eine Kommilitonin mit mir gelesen, den Kershaw noch zwei. Für den Blom hatte sich nur ein Kommilitone entschieden, aber der war recht angetan, und auch der Dozent legte uns das Buch noch einmal ans Herz. Wir plauderten über die Periodisierung von Geschichte, dem jeweiligen roten Faden der Bücher oder der Thesen, die von den Autoren aufgestellt wurden. Dabei merkte ich an, dass ich im Kershaw keine Thesen hatte finden können; auch die Rezension bei hsozkult, die ich nach der Lektüre las, klang nicht gerade euphorisch. Der Dozent fragte, für wen unserer Meinung nach solche Bücher, die eine reine Nacherzählung von Fakten seien, geschrieben werden, woraufhin eine Kommilitonin meinte, für ihren Vater, der lese sowas total gern. Der Dozent meinte, er könnte sowas wie den Kershaw überhaupt nicht lesen, woraufhin ich erst grinsen musste und dann etwas verstimmt war, dass das Buch überhaupt auf der Liste war. Was ich aus diesem Kurs mitgenommen habe: Gute Bücher haben Thesen (wie der Sheehan) und mit Militärgeschichte könnte ich mich auch mal intensiver beschäftigen. Der Dozent meinte, es fehle für das 20. Jahrhundert noch ein großes Werk zur Entwicklung der Zivilgesellschaft, gerade die nach 1945. Falls also eine/r von euch Lust hat?

Weiter für die beiden noch ausstehenden Klausuren gelernt, eher lustlos, weil sie keinerlei Erkenntnisgewinn mehr für mich haben. Pflichtübung halt.

Die blöde blaue Miles-and-more-Karte im Briefkasten gehabt, mit der meine schöne silberne Frequent-Traveller-Karte ungültig wird. Jetzt wo ich nicht mehr dauernd fliege, darf ich auch nicht mehr in die Flughafenlounges, was ich sehr vermissen werde. Mir geht es dabei nicht um den besseren Kaffee oder die größere Zeitungsauswahl; die ignoriere ich eh meist, nehme mir aber oft eine französische Zeitung mit, um mir selbst den Eindruck zu vermitteln, ich würde was lernen. Nein, was mir wirklich fehlen wird, ist die Ruhe. Man wird nicht wie unten am Gate alle 30 Sekunden mit einer Durchsage genervt, es gibt natürlich weniger Durchgangsverkehr, die Leute haben meist verstanden, wie man Tastentöne deaktiviert (okay, den telefonierenden Businesskasper gibt’s überall) und als letzten Punkt: Die Klos sind angenehmer. Seufz.

Spätes Abendessen: Milchreis mit Zimt und Zucker und vielen Butterinseln.

Tagebuch, 5. Februar 2017 – Prüfungsvorbereitung

Die zwei Lektürekursbücher für das heutige Prüfungsgespräch nochmal sehr drastisch quergelesen und meine Notizen dazu vervollständigt.

Die letzten Cézanne-Lernkärtchen gebastelt und durchgegangen. Weil ich mit denen noch nicht fertig war, habe ich mir den Stadionbesuch in Augsburg verkniffen, wo natürlich noch in der Nachspielzeit das Siegtor für den FCA fiel. Das hätte ich schon gerne live gesehen anstatt mit halbem Auge auf dem iPad. Selber schuld, zu lange rumgetrödelt.

Ein weiteres Mal den Lernkärtchenstapel zur osmanischen Architektur durchgeblättert, dabei einige Gebäude rausgelegt, deren türkische Namen ich mir auch beim zehnten Durchgang und mit allen Eselsbrücken dieser Welt anscheinend nicht merken kann. Ich lerne für diese beiden allerletzten (unbenoteten) Klausuren meines Studiums gnadenlos nur noch auf „Bestehen“ und nicht auf „Mit Bravour alle Fragen beantworten“, was zumindest im Bachelor meist mein Anspruch an mich selbst war. Da wusste ich aber auch noch nicht, wohin meine kunsthistorische Reise geht, weswegen ich mir dachte, das kann ja alles nicht schaden, was du dir hier gerade reinstopfst. Kann es vermutlich auch dieses Mal nicht, aber ich weiß inzwischen, dass ich osmanische Architektur nie wieder brauchen werde, und für Cézanne gibt es eine Million Kataloge.

Außerdem weiß ich inzwischen auch: 95 Prozent von dem, was ich für Klausuren lerne, vergesse ich nach dem Prüfungstermin sofort. Ich kann heute noch Details aus Memlings Leben abrufen, die ich mir im ersten Semester für Referat und Hausarbeit selbständig erarbeitet habe, aber was ich für die elf KuGi-Klausuren der letzten vier Jahre gelernt habe, ist so ziemlich alles weg. In Geschichte könnte etwas mehr hängengeblieben sein, denn dort haben wir keine Multiple-Choice-Dinger geschrieben, sondern Essayfragen gehabt, wofür ich auch anders gelernt habe. Multiple Choice ist für Kunstgeschichte sowieso das dämlichste Format, um Wissen abzufragen, aber bestimmt haben die BA-Ausdenker*innen sich was total Sinnvolles dabei gedacht.

Bagels gebacken, die aber nicht so toll geschmeckt haben wie sie aussahen. Monika Marons Stille Zeile Sechs durchgelesen und als „fand ich gut“ ins Regal gestellt; mit Carolin Emckes Gegen den Hass angefangen.

In den Endnoten fand ich ihr Buch Kollektive Identitäten: Sozialphilosophische Grundlagen, das mir eventuell für die Masterarbeit nützlich sein könnte. Beim Einschlafen noch einen Geistesblitz zur Arbeit gehabt, mir schnell mit dem iPhone am Bett eine Mail geschrieben, damit ich ihn nicht vergesse.

Tagebuch, Samstag, 4. Februar 2017 – Dösen

Ich hatte die Nacht von Freitag auf Samstag sehr schlecht geschlafen, ich kann gerade meinen Kopf nicht ausmachen, und auch die üblichen Strategien, mit denen ich mich zum Einschlafen kriege, klappten nicht (Dankesrede als frisch mit dem Oscar prämierte Drehbuchautorin, dabei Fat Acceptance in der Ansprache unterbringen; Blumenschmuck überlegen für Hochzeit mit dem Promischnucki des Tages; sich an uralte Gedichte erinnern, die ich mal im Deutschunterricht gelernt habe etc.). Daher war ich gestern den ganzen Vormittag über sehr dösig und unkonzentriert. Nach ein paar Stunden am Schreibtisch, die zu gar nichts führten außer zu Gereiztheit, weil ich ja schließlich lernen muss, legte ich mich aufs Sofa und schlief beim Fußball ein. Nach ein paar Stündchen war ich fit und munter, ignorierte aber die Klausuren und gönnte mir stattdessen Urlaub bei einem Buch, das nichts mit der Uni zu tun hatte und viel Pasta.

Hätte ich nicht gedacht, dass Saturday Night Live mal wichtig für meine seelische Gesundheit wird. Hier ist Melissa McCarthy als Sean Spicer. Grandioses Casting.

Durch Replys auf dumme Tweets von dummen Rassisten gelernt, wo Fish and Chips herkommen.

Tagebuch, Freitag, 3. Februar 2017 – Endspurt

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Was schön war, Donnerstag, 2. Februar 2017 – Alte Bücher

Nachdem ich den Mittwoch damit verbracht habe, meine Hausarbeit zu Amnesty International ein allerletztes Mal Korrektur zu lesen und auszudrucken, konnte ich sie gestern abgeben. Einmal in physischer Form, indem ich den Ausdruck in den Briefkasten der Dozentin warf, einmal in digitaler Form als PDF per Mail.

Zur Abgabe einer Hausarbeit gehört bei mir auch immer der kathartische Akt der Buchrückgabe. Im Laufe einer Arbeit sammele ich über München verstreut kleine Bücherberge, zum Beispiel in den Lesesälen von Stabi und UB oder im Ablagefach des Zentralinstituts für Kunstgeschichte. Dazu kommt der eigene Schreibtisch, auf dem die Bücher thematisch geordnet rumliegen; bis gestern gab es den Stapel „Amnesty“ und den Stapel „Leo“, der sich allerdings auch schon auf einen Stuhl und das Regal hinter mir ausgedehnt hat, weil ich zu Leo noch mappenweise Korrespondenz und ausgedruckte Bilderlisten habe. Den Amnesty-Stapel konnte ich nun aber abtragen. Die UB-Bücher hatte ich bereits am Dienstag zurückgegeben, die Stabi-Bücher waren gestern dran.

So trug ich den Stapel zur Rückgabe im Erdgeschoss und ging dann gleich nach nebenan, um Nachschub aus der Ausleihe zu holen. (Unter anderem ein paar Bücher, die mir sowohl für die Leo-Hausarbeit als auch für die Masterarbeit, deren Bearbeitungszeit offiziell Ende Februar beginnt, helfen sollen.) Dann ging ich in den ersten Stock, wo ich zunächst an der Infotheke meine zurückgelegte Mikrofichesammlung endgültig zurückgab; danach schleppte ich vier riesige Zeitungsbände der Süddeutschen und des Münchner Merkur zur Rückgabetheke sowie zwei Jahresberichte von AI. Für die Zeitungsbände gönnte ich mir einen der Rollwägen, die ich bisher immer verschmäht hatte, aber gestern dachte ich mir, ach, machste mal kurz Krach und rollst zehn Kilo Zeitung durch den Lesesaal. War super.

Der letzte Gang führte mich in den Handschriftenlesesaal, in dem ein letzter Jahresbericht von AI lag, der wieder ins Magazin durfte. Nachdem ich das erledigt hatte, ging ich in die Schatzkammer, an der ich die letzten Wochen nur eilig vorbeigelaufen war. Wenn ich in der Stabi bin, ist das für mich Arbeit, die will ich erledigen und dann nach Hause. Ich habe auch nie verstanden, warum Leute in der Agentur gerne ewig um Kickertische und Kaffeemaschinen rumstanden; ich saß lieber am Schreibtisch und hatte um 18 Uhr Feierabend.

Aber gestern war diese Arbeit erledigt, das letzte Buch war weg und ich konnte meinen Kopf in mittelalterliche Handschriften und Drucke stecken. Das könnt ihr bis zum 24. Februar übrigens auch, und das lohnt sich sehr. Hier sind alle Bücher schon mal vorab zu betrachte, aber wie immer ersetzt natürlich nichts das Original. Vor allem ist es schlicht toll, in zwei Räumen zu stehen, die Schatzkammer heißen und sich auch so anfühlen. Im Sommer besonders, denn die Räume sind immer schön runtergekühlt.

In einem Lehrbuch konnte ich ein Bild Albrecht Dürers bewundern, der den Lesern (und Leserinnen?) die Perspektive mittels eines Gitters beibrachte. (Ich kannte bereits die Arbeit Albertis dazu sowie diese bekannte Darstellung Dürers.) Dann erfreute ich mich am angeblich ältesten modernen Atlas der Welt von Johannes Schott, der 1513 gedruckt wurde. Die aufgeschlagene Seite zeigt die neu entdeckten Gebiete Amerikas und darunter einen riesigen Blob namens Terra Incognita. Ebenfalls toll: eine gezeichnete Weltkarte von Martin Waldseemüller, den den Globus in Segmente unterteilt hatte. Auch hier war Amerika schon zu sehen, aber noch längst nicht in der Größe, die heute bekannt ist. Das sah sehr seltsam und rührend aus und es warf mich kurz in eine Gedankenschleife, die mit der Star-Trek-Enterprise-Musik unterlegt war: It’s been a long road. Ich musste daran denken, was wir alles gelernt hatten über die letzten Jahrtausende hinweg – und dann fiel mir ein, dass wir das anscheinend alles gerne wieder vergessen. Anders kann ich mir schlicht nicht erklären, wieso derzeit gerne Idioten gewählt werden, die Ansichten vertreten, von denen ich dachte, wir hätten die durchgedacht und uns im gesellschaftlichen Konsens dafür entschieden, sie als rückständig und doof hinter uns zu lassen. Falsch gedacht.

Eine Abbildung aus dem Ring bzw. der Begleittext dazu ließ mich dann aber wieder fröhlich werden, denn ich lernte die Namen des Liebespaares Bertschi Triefnas und Mätzli Rüerenzumph kennen. Sehr beeindruckt hat mich eine touronische Bibel, die im frühen 9. Jahrhundert geschrieben wurde. Ich erinnerte mich an die Mittelalterseminare, die ich im Laufe des Studiums genossen hatte und freute mich, dass ich wusste, was ich da vor mir liegen hatte. Gleichzeitig schaute ich mir die Pergamentstruktur der verschiedenen Bücher genauer an und bewunderte die Feinheit der Seiten, genau wie das Schriftbild und die kaum oder gar nicht verblassten Farben. Mir strahlten gold und blau entgegen und ich erfreute mich an kleinen Details in einem Lehrbuch für Schmuckformen der Buchmalerei wie Ranken, Früchte und Tierfiguren. Auch in der Ottheinrich-Bibel verlor ich mich in Details und bewunderte die vielförmigen Pflanzen auf dem aufgeschlagenen Blatt. Und dann sah ich noch meine erste Gutenbergbibel. Was die Stabi halt so im Depot hat.

Das war eine schöne, ruhige Pause, bevor es wieder an den Schreibtisch ging. Manchmal brauche ich eine kleine Versicherung, dass die Menschheit nicht ganz so blöd ist wie ich derzeit denke. Alte Bücher scheinen eine gute Therapie zu sein.

Die Hamburger Staatsbibliothek hat einen Talmud nach Israel restituiert.

„Das Ehepaar Loebenstein wurde am 19. Juli 1942 nach Theresienstadt deportiert. Rahel Loebenstein starb dort knapp zwei Jahre später im April 1944. Eliesar Loebenstein wurde am 9. Oktober 1944 nach Auschwitz deportiert und dort ermordet. Ihr in Hamburg zurückgelassener Besitz wurde wie aller jüdische Besitz umgehend nach Deportation beschlagnahmt und öffentlich versteigert. „Verbotene Literatur“ – und dazu gehörte jegliche jüdische Religionsliteratur – nahm die Gestapo beiseite und bot sie verschiedenen öffentlichen Bibliotheken an, so auch der Stabi. Diese Bücher sollten nur unter Auflagen zugänglich gemacht werden. Welchen Weg der großformatige, 15bändige Talmud genau nahm, ist nicht mehr zu rekonstruieren. Klar ist, dass er in den Bestand der Stabi gelangte und von dort als Dauerleihgabe in das Institut für die Geschichte der deutschen Juden kam.“

Pioniere der Foodfotografie

Annekathrin Kohout und Wolfgang Ullrich starten in ihren Blogs eine Interview-Reihe:

„Wir sprechen mit Fotografen, die im letzten Jahrhundert ein Genre entdeckt oder maßgeblich beeinflusst haben, das als solches bisher nur wenig Beachtung gefunden hat. Wie ist die Lebensmittel-Fotografie entstanden? Und wer hat die ästhetischen Standards, von denen Instagram-Foodies noch heute profitieren, gesetzt? Unser erster Gesprächspartner ist Christian Teubner, der in den 1950er Jahren begonnen hat, Essen zu fotografieren.“