Tagebuch, Montag, 27. Februar 2017 – 4.000 Zeichen gekürzt, 10.000 to go

Frühling ist mir ja eigentlich egal (TEAM HERBST!), aber es gibt kaum Dinge, die mein Serotoninlevel so schnell nach oben zaubern wie mit Übergangsjacke (keine schwere Winterjacke) bei Sonnenschein (kein blöder Schnee, bei dem ich nicht radfahren möchte) in Richtung Bibliothek (duh) zu radeln (weil radeln).

In der Stabi zückte ich allen Ernstes die BSB-Navigator-App, weil ich in einen Lesesaal musste, in dem ich noch nie war. Wie ich jetzt weiß, ist der Lesesaal Musik, Karten und Bilder der kleinste von allen (46 Plätze, wie niedlich) und im ersten Stock. Der Klassiker-Moment beim Blick auf den Gebäudeplan: „Ach, da geht’s noch weiter?“

Aber zunächst ging ich in den Allgemeinen Lesesaal (636 Plätze und trotzdem kaum jemals was frei), wo ich mal wieder Zeug auslieh und anderes abgab. Gestern las ich zwei Veröffentlichungen des Völkischen Beobachters, weil ich auf der Suche nach Bildern von Schlauchbooten im Kriegseinsatz war – fragt nicht, ich beiße mich mal wieder irgendwo auf einer Nebenbaustelle fest – und mir dachte, wenn der Beobachter Bücher über den Frontverlauf 1940 und 1941 rausgibt, könnten da vielleicht Bilder drin sein. Waren sie leider nicht, aber dafür fand ich was anderes, was ich kurz in der Leo-Hausarbeit notierte, aber ich ahne, dass das wieder rausfliegt. (Siehe Überschrift.)

Dann ging ich topcheckermäßig in den Lesesaal Musik, Karten und Bilder, weil ich ja total wusste, wo der war. Dort hatte ich mir einen Jahresband der Zeitschrift Die Wehrmacht von 1939 rauslegen lassen, weil ich da auch Bilder vermutete. Da ich in diesem Saal noch nie war, fragte ich erstmal, wo ich denn meine Bücher fände – aha, im Regal nach Nachnamen geordnet, nicht wie sonst nach der Bibliotheksausweisnummer. Im Regal lag aber nichts, weswegen ich nochmal nachfragte, woraufhin die Aufsicht hinter sich im Regal nach dem Band schaute. Ja, da ist er, aber ich müsste doch bitte noch diesen Beleg ausfüllen und unterschreiben, denn das Material sei ja … nun ja … anders. Das kannte ich noch nicht, dass ich bei Zeug aus der NS-Zeit unterschreiben musste, dass ich es nur zur wissenschaftlichen Verwendung nutze. Ich musste außerdem Namen, Anschrift, Ausweisnummer und Thema meiner wissenschaftlichen Arbeit angeben. Da ich gerade ohne jede Einschränkung Kram vom Völkischen Beobachter gelesen und in den vergangenen Semestern ähnlich kritisches Zeug unbehelligt hatte ausleihen können, wunderte mich das schon. Aber egal, Hauptsache, es ist da und ich kann reingucken.

Dort fand ich auch, was ich suchte: Schlauchbootwerbung. Ich fand außerdem Werbung für Uniformen, Patronenhülsen, bestimmte Metalle und Kugellager, auch super für die Flakabwehr. Daneben Werbung für Zahnpasta und Diätmittelchen für den deutschen Mann. Außerdem fiel mir auf, wie hochwertig das Magazin produziert war: große Fotos, gute Typo, alles ordentlich gesetzt – das war kein billiges Landserheftchen. Wenn man auf die Herrenmenschenästhetik steht, hat man da schön was zu gucken. Ich ahnte so langsam, warum die Bibliothek wissen wollte, wer sich sowas ausleiht.

In einem so kleinen Lesesaal ist es übrigens irre laut, in alten Zeitschriften zu blättern.

Nach der Stabi radelte ich IN ÜBERGANGSJACKE BEI SONNENSCHEIN in ZI, wo ich weiter an Leo rumkürzte. Also erstmal natürlich noch Zeug ergänzte, ist klar, da ist ja immer noch ein Buch, in das ich dringend reingucken muss, aber so allmählich kam in den First Draft ein bisschen mehr Zug. (Ich schrecke, gerade nach dem Absatz eben, vor dem Begriff „Disziplin“ zurück.) Ich begann mit dem üblichen Vorgang, meine Darlings zu killen und verabschiedete mich zum zweiten Mal von Oskar Maria Graf. Ob ich mich auch von Conrad Felixmüller verabschiede, weiß ich noch nicht. 10.000 Zeichen to go.

Nach sieben Stunden Bibliotheksarbeit heißhungrig in den Supermarkt gefahren, wo ich mich eigentlich auf Ofengemüse mit kurz blanchiertem, knackigen Lauch und Kräuterquark festgelegt hatte, aber dann sah ich eine Packung Schinkenspeck und vor meinem geistigen Auge entstand eine heiße Schüssel Spaghetti Carbonara. Die ist es dann auch geworden. Essen ist so großartig. Ich bin immer noch pissig auf mich selbst, dass ich erst 40 werden musste, um das zu kapieren.

Tagebuch, Sonntag, 26. Februar 2017 – Keep going

Tagebuch, Freitag, 24. Februar 2017 – Ziellinie

Sehr schlecht geschlafen (Kopf will Leo nicht loslassen), daher war der Tag eher zähes Waten im Wörtermeer mit vielen Pausen auf der Voyager, aber am späten Abend sah ich die Ziellinie und das Ende des First Drafts. Den werde ich am Wochenende runterkloppen, und am Montag beginnt dann die wohlige Zeit des Textpuschelns – hier ein bisschen löschen, da ein bisschen umformulieren, Sätze rumschieben und vor allem: kürzen wie blöde, denn natürlich bin ich schon wieder zu lang.

Diese Headline wurde nur für mich als Clickbait geschrieben:

Architect-turned-patisserie chef uses 3D modelling software to create desserts

Und deswegen musste ich auch ein paar Bilder bei Dezeen … äh … ausborgen.

pekingcake

Hier dachte ich sofort an das Nationalstadion in Peking. Und hier an das wunderschöne Dach der Elbphilharmonie:

elficake

Wo wir gerade bei gutem Essen sind: Ich habe eben eingekauft, ohne vorher gefrühstückt zu haben. Jetzt liegen Zutaten für Toast Hawaii in meiner Küche.

Tagebuch, Donnerstag, 23. Februar 2017 – Halber Tag frei

Vormittags eine Stunde hirntot auf mein Manuskript gestarrt und ein paar vermutlich sinnlose Korrekturen gemacht; dann entschieden, eine Runde spazierenzugehen und den Kopf auszumachen. Diese Tätigkeit geschickt damit verbunden, ein Päckchen zur Post zu bringen, einzukaufen und ein paar Pokémons zu fangen. Danach war ich allerdings immer noch nicht so recht konzentriert, weswegen ich mir selber den Rest des Tages freigab. (Dieser Luxus ist mir sehr bewusst.)

Da ich von den Buttermilk Pancakes am Dienstag noch Buttermilch im Kühlschrank hatte, hatte ich morgens nach weiteren lustigen Verwendungsmöglichkeiten für diese Zutat gesucht und landete beim Buttermilk Chicken. Um die Mittagszeit legte ich daher das soeben entstandene Hähnchenfilet, in mundgerechte Stücke geschnitten, in eine Marinade aus Buttermilch, Cayennepfeffer, Knoblauchsalz und Zwiebelpulver ein und ließ es ein paar Stunden in einem Gefrierbeutel im Kühlschrank stehen. Abends wälzte ich die Stücke in Mehl und briet sie in Butterschmalz aus (keine Lust auf Öl). Ich war überrascht davon, wie zart und frisch das Huhn schmeckte und wie schön die Panade wurde – für ein anständiges Wiener Schnitzel (bestes Essen ever) braucht es ja immer noch Semmelbrösel und Ei, aber hier reichte auch Mehl. Dazu gab’s für F. und mich frisch gestampften Kartoffelbrei, Salat, ein Bierchen und danach einen dringenden Birnengeist. Weil es so gut schmeckte, vergaß ich, es zu fotografieren.

Bei der Hausarbeit mal wieder gemerkt, dass ich längst nicht alles unterkriege, was ich schon über Leo weiß. Nachdem ich in der letzten Woche in Bibliotheken gearbeitet habe, konnte ich in dieser Woche am heimischen Schreibtisch sitzen und alles runterschreiben, was ich an biografischen und künstlerischen Daten über ihn rausgefunden hatte. Weil ich schon so lange über den Herrn nachdenke, musste ich dafür meist nicht mal meine Notizen verwenden, ich hatte das alles schon im Kopf. Das war ein sehr schönes Gefühl, mitzukriegen, wieviel ich mir so nebenbei gemerkt hatte.

Ich war allerdings auch ein bisschen traurig, eben weil ich merkte, was ich wegen der Zeichenbegrenzung alles nicht aufschreiben kann. Es fühlt sich ein bisschen an, Leo bewusst zu vergessen – all die Daten und Ausstellungen und Bildernamen und biografischen Details, die jetzt einfach weiter in den Archiven und Heimatmuseen liegen, bis vielleicht der oder die nächste Kunstgeschichtsstudi nach ihnen wühlt. Oder eben auch nicht. Und schon war ich in der deprimierenden Gedankenschleife, was uns alles an Wissen verlorengeht, weil a) Menschen nichts aufschreiben oder b) Studis ihre Hausarbeiten nicht veröffentlichen, weswegen vermutlich schon tausendmal über die Dinge geschrieben wurde, über die ich jetzt schreibe, es aber niemand mitkriegt.

Ich war sehr froh, als ich mich an den Herd stellen und kochen konnte, um nicht weiter sinnlos darüber zu trauern, wen und was wir alles schon vergessen haben.

Buttermilk Pancakes

Das ist einer dieser Einträge, die ich für mich und meine persönliche Rezeptsammlung mache. Ehe ich dauernd beim Rezept der NY Times dusselige cups in wunderschöne Milliliter umrechne, schreibe ich das schnell hier auf, damit ich es beim nächsten Pfannkuchenjieper griffbereit habe.

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Für 15 bis 20 Pfannkuchen, Durchmesser ca. zehn Zentimeter.

1 1/2 EL Butter schmelzen.

In einer Schüssel
130 g Mehl mit
3/4 EL Zucker,
3/4 TL Backpulver,
3/4 TL Natron und
1/2 TL Salz vermischen. Die geschmolzene Butter dazugeben sowie
300 ml Buttermilch und
1 Ei.

Alles kurz mit einem Schneebesen zu einem zähflüssigen Teig verrühren, ein paar Klümpchen dürfen bleiben. Eine beschichtete Pfanne auf mittlerer Hitze vorheizen, ein bisschen neutrales Öl dazugeben und die Pfannkuchen einzeln ausbacken. Nicht zu viele auf einmal in die Pfanne geben, sie laufen noch etwas auseinander; ich habe immer drei gleichzeitig gebacken. Die fertigen Pfannkuchen im auf 150° vorgeheizten Ofen warmhalten, bis der Teig verbraucht ist. Mit allem, was das Herz begehrt, servieren; im Bild ist mein Liebling Ahornsirup zu sehen.

PS: Den ersten Versuch mit diesem Rezept habe ich mit Milch statt Buttermilch gemacht, das ergibt dann einen viel zu dünnflüssigen Teig, der ausgebacken wie versalzenes Rührei schmeckt. Ähem.

Tagebuch, Dienstag, 21. Februar 2017 – Heute, gestern, morgen

Um kurz nach 10 im kunsthistorischen Institut gewesen, um meine Anmeldung zur Masterarbeit abzugeben.

Unsere offizielle Bearbeitungszeit hat am Montag begonnen, am 10. Juli ist Abgabetermin. Ich hatte einen kleinen Flashback zur Bachelorarbeit, wo ich mir einen Zeitplan gemacht hatte, der auch an meiner Küchenwand hing, damit ich ihn immer im Auge habe; ich erinnerte mich an den beschissenen Ablauf des Ganzen (meine Schuld) und überhaupt an das blöde sechste Semester. In diesem Semester habe ich keinen Zeitplan, es geht mir auf allen Ebenen deutlich besser als damals, und ich blicke meiner ersten wirklichen Langstrecke eher freudig als nervös entgegen. Wie wenig ich nervös bin, zeigt sich auch daran, dass ich mir für Leo noch so viel Zeit nehmen will wie Leo eben braucht, um auch da eine anständige Arbeit abzuliefern. Da ist die Deadline 15. März. Ich habe gestern erstmals die Wörter-zählen-Funktion in Word benutzt und war sofort wieder innerlich am Fluchen: Was, schon so viel? ICH HAB DOCH NOCH SO VIEL ZU SAGEN! Sofortiger Reflex, wie bei allen Arbeiten im MA: Was freue ich mich auf die Dissertation, wo endlich die beknackte Zeichenbegrenzung wegfällt und ich nicht mehr alle Argumente auf ihre Knochen herunterkürzen muss.

Dementsprechend gut gelaunt und beflügelt nach dem Termin im Institut (und einer kleinen Runde in die Unibibliothek – irgendwo liegt ja immer was für mich) wieder nach Hause gekommen, wo sich das schnell änderte, denn es lag eine Trauerkarte im Briefkasten. Mich nach dem ersten Schreck gefragt, ob diese Art Brief, also die mit dem schwarzen Rand am Umschlag, jetzt nett ist, weil man sofort weiß, dass was Schlimmes passiert ist, oder ob man sich ohne diesen Rand noch ein paar Sekunden in Sicherheit wiegen kann – und dann beim Brieföffnen erschreckt. Kann mich immer noch nicht entscheiden.

Computer Love – Looking back at Star Trek: The Next Generation on its 25th anniversary

Eine schöne Würdigung von TNG, meiner bis heute liebsten Star-Trek-Serie. Via Felix.

„Gene Roddenberry’s guiding vision of the Star Trek franchise was, famously, that it would offer an optimistic vision of humanity’s future. The Soviet Union collapsed a couple of years into the filming of The Next Generation, and the show’s optimistic future became startlingly coterminous with the optimistic present of the George H.W. Bush administration. Where else but space could you find a thousand points of light? The grand adventure of the NCC-1701-D was no longer to spread civilization, or even defend it; it was just to keep the machinery oiled. Remember 1991, America? […]

It was already possible, by the early ’90s and actually long before them, to trace the terms of the current partisan divide in America. Conservatives — think in Jonathan Haidt–ish terms here — value tradition, authority, and group identity; liberals value tolerance, fairness, and care. Or whatever; you can draw the distinctions however you’d like. The point is, The Next Generation depicts a strict military hierarchy acting with great moral clarity in the name of civilization, all anti-postmodern, “conservative” stuff — but the values they’re so conservatively clear about are ideals like peace and open-mindedness and squishy concern for the perspectives of different cultures. “Liberal” ideals, in other words.“

Why Facts Don’t Change Our Minds

Eher deprimierend zu lesen, dass wir anscheinend äußerst selten von einer Meinung abrücken, wenn wir sie einmal haben. Meine derzeitige Lösung: mir meines confirmation bias bewusst sein. Ob das immer klappt, weiß ich auch nicht. Ich habe aber durchaus beim wissenschaftlichen Arbeiten bemerkt, dass es meiner eigenen Argumentation gut tut, auch Gegenargumente nicht nur zu lesen und wahrzunehmen, sondern sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Ich weiß allerdings immer noch nicht, ob ich damit nur meine eigene Voreingenommenheit bestätige („ich hab mich mit der Gegenseite befasst und sie als doof bewertet“) oder wirklich ausgewogener argumentiere.

PS: Das New-Yorker-Abo war eine sehr gute Idee.

„In a study conducted at Yale, graduate students were asked to rate their understanding of everyday devices, including toilets, zippers, and cylinder locks. They were then asked to write detailed, step-by-step explanations of how the devices work, and to rate their understanding again. Apparently, the effort revealed to the students their own ignorance, because their self-assessments dropped. (Toilets, it turns out, are more complicated than they appear.)

Sloman and Fernbach see this effect, which they call the “illusion of explanatory depth,” just about everywhere. People believe that they know way more than they actually do. What allows us to persist in this belief is other people. In the case of my toilet, someone else designed it so that I can operate it easily. This is something humans are very good at. We’ve been relying on one another’s expertise ever since we figured out how to hunt together, which was probably a key development in our evolutionary history. So well do we collaborate, Sloman and Fernbach argue, that we can hardly tell where our own understanding ends and others’ begins.

“One implication of the naturalness with which we divide cognitive labor,” they write, is that there’s “no sharp boundary between one person’s ideas and knowledge” and “those of other members” of the group.

This borderlessness, or, if you prefer, confusion, is also crucial to what we consider progress. As people invented new tools for new ways of living, they simultaneously created new realms of ignorance; if everyone had insisted on, say, mastering the principles of metalworking before picking up a knife, the Bronze Age wouldn’t have amounted to much. When it comes to new technologies, incomplete understanding is empowering.“

Tagebuch, Montag, 20. Februar 2017 – Schreibtischtag

In der Hausarbeit des Sommersemesters habe ich mich eher mit Leos Biografie beschäftigt und Irrtümer, (in meinen Augen) bewusste Auslassungen oder tendenziöse Formulierungen in der Forschungsliteratur korrigiert. In der vergangenen Woche las ich in verschiedenen Bibliotheken Bücher und Aufsätze über den expressiven Realismus, dem Leo von einigen wenigen Kunsthistoriker*innen zugerechnet wird, denn in diesem Semester setze ich mich stilkritisch mit ihm auseinander. Um im Referat mit den Augen zu rollen, reichten meinen bisherigen Kenntnisse, jetzt, für die Hausarbeit, will ich aber so ziemlich alles an dieser Stilrichtung zerpflücken, weswegen ich noch ein bisschen lesen musste.

Das Grundgerüst steht seit Samstag, am Sonntag puschelte ich noch ein bisschen daran rum, verschob, korrigierte, was ich halt so mache mit Texten. Gestern begann ich dann mit dem Leo-Teil, für den ich seine betreffende Literatur neu sichtete, die netterweise auf dem heimischen Schreibtisch liegt. Der Fokus lag bisher, wie gesagt, auf seiner Biografie, das heißt, ich nannte im Forschungsstand Blödsinn wie „der Mann galt als entartet“ oder „dufte nicht ausstellen“ oder „durfte nicht Mitglied der Reichskammer der bildenden Künste werden“ – er durfte letzteres nicht, weil er kein deutscher Staatsbürger war; das meine ich mit tendenziös. Die Forschungsliteratur besteht bei ihm hauptsächlich aus Museumskatalogen; es gibt gerade eine Monografie, und die hatte eine klare Agenda. Dagegen konnte ich wunderbar anargumentieren.

Dieses Mal geht es aber um seine Bilder und ob die dem expressiven Realismus entsprechen. Ich schreibe jetzt nicht auf, was ich an dieser Stilrichtung für sinnlos halte – Kurzfassung: alles –, aber jetzt muss ich natürlich andere Dinge aus der Literatur zitieren. Also las ich gestern die Aussagen über seine Bilder und Zeichnungen.

Ich weiß, ich weiß. Die Versuchung, den vielen wunderschönen Adjektiven und Adverbien zu erliegen, ist gerade in kunsthistorischer Literatur sehr groß. Bei Bildbeschreibungen kommt man kaum um sie rum, aber manchmal geht einfach jede Sinnhaftigkeit flöten, und das ärgert mich. Man kann auch Bildinhalte präzise beschreiben, Emotionen, die dadurch erweckt werden oder künstlerische Prozesse. Man kann natürlich auch sowas schreiben, wenn es bei Leo um seine abstrakten Experimente geht:

„[Von Welden] unterwarf seinen Realismus einer Nachprüfung, ohne allerdings zu einem anderen Ergebnis zu kommen als dem, daß sein Realismus – wie schon längst erstrebt und vollzogen – in tieferen Schichten durch die Bewältigung abstrakter Formen voll gedeckt war.“[1]

Alter! Was willst du mir damit sagen? „In tieferen Schichten“? Unter dem Abstrakten verbirgt sich der Realismus? Unter dem Realismus verbirgt sich das Abstrakte und muss daher in höheren Schichten, wo auch immer die sind, nicht mehr durchgedacht werden? WTF?

Bei derartigen Texten werde ich inzwischen sehr pissig. (Beim Forschungsstand nicke ich entweder alles ab und finde alles toll oder werde sehr pissig.) Ich hasse dieses Unkonkrete, in das sich kunsthistorische Literatur so gerne flüchten kann, weil es angeblich wissenschaftlich klingt. Auch wissenschaftliche Texte können – und sollen, verdammt noch mal – lesbar sein, wozu schreibe ich sie denn sonst? Sinnloses Wortgeklingel braucht gerade hier niemand und bringt uns auch nicht weiter.

Alles muss man selber machen. Und damit weiter im Text. (Diesen Ausdruck in meinem Wortschatz habe ich von der Werbung übernommen, der passt für alle Textarbeiter*innen.)

[1] Kat. Ausst. Leo von Welden 1899–1967, Pavillon Alter Botanischer Garten, München, 3.–26. Oktober 1979, Rosenheim 1979, ohne Seitenangabe.

Was schön war, Sonntag, 19. Februar 2017 – Sonntach

Gemeinsam aufgewacht.

Zu Fuß nach Hause gegangen, dabei einen kleinen Umweg über den Alten Nordfriedhof gemacht, viele Pokébälle gesammelt und neue Pokémons gefangen. Nachdem ich die App monatelang nicht mehr angefasst hatte, macht sie gerade wieder Spaß. Liegt vermutlich am Wetter.

Croissants mit Erdbeermarmelade zum Frühstück. (Oder eigentlich als Mittagessen.)

Weiter begeistert in The Unwinding gelesen. Etwas mehr als halb durch, aber ich spreche schon mal eine unbedingte Leseempfehlung aus.

Abends bei netten Leuten eingeladen gewesen, gut gegessen, mal wieder ein leckeres Spezi getrunken (keine Lust auf Alkohol gehabt).

Tram gefahren.

Tagebuch, Samstag, 18. Februar 2017 – Self-Care

Die letzten Tage waren sehr anstrengend für mich. Einerseits, weil mich die blöde Periode sehr im Griff hatte (ja, TMI, whatever) und andererseits, weil mir ein Werbespot in den Facebookfeed gespült wurde, den ich wirklich lieber nicht gesehen hätte. Ihr ahnt, welcher es ist. Ich habe die letzten Tage mit mir gerungen, darüber einen Blogeintrag zu schreiben, habe fünf angefangen und fünf wieder gelöscht, habe mich über vieles auf Twitter und YouTube geärgert, war verletzt, sauer, unfassbar pissig und dann wieder sehr traurig. Es hat mich überrascht, wie sehr mich dieses Thema immer noch runterreißt. Da denkt man, man habe das alles durchgedacht und sei auf der sicheren Seite und dann kommt so ein Scheiß und man ist wieder mit den absoluten Basics beschäftigt: auf sich aufpassen; sich nicht einreden lassen, sich anzustellen; sich ernst nehmen. Ernst nehmen, wenn etwas weh tut, denn das bedeutet, es ist etwas nicht in Ordnung. Und dann die Entscheidung treffen: fight or flight.

Ich bewundere alle Menschen, die dauernd gegen Sexismus, Rassismus, Homophobie, Dickenhass und all die anderen Widerlichkeiten aufstehen. Ich konnte das die letzten Tage nicht. Ich war kurz davor, meinen Facebookaccount zu schließen, habe Twitter fast komplett ignoriert, habe versucht, so wenig wie möglich von allem mitzukriegen, aber ganz hat es nicht funktioniert. Deswegen war ich gestern morgen immer noch sehr waidwund, bis mir endlich, nach gefühlt drei Tagen Schockstarre eingefallen ist, was ich dagegen machen kann, jetzt, wo der Uterus nicht mehr nervt: Internet aus und ab in die Bibliothek.

Und das habe ich dann auch gemacht. Stundenlang konzentriert gelesen und geschrieben, mich auf meine Stimme in meinem Kopf konzentriert und nicht auf den Borgkubus auf Twitter und dann ging’s wieder.

Merke ich mir fürs nächste Mal.

Was schön war, Dienstag bis Donnerstag, 14. bis 16. Februar 2017

Sofa, Wärmflasche und Dolormin für Frauen.

Ein riesiges Dankeschön …

… an … äh … irgendjemand, deren Name mit –dith aufhört. Judith? Edith? Lilith? Meredith? (Mir fällt kein männlicher Name ein.) Die Amazons haben den Beilegezettel nämlich so dusselig ausgedruckt, dass ich weder den Namen noch die Widmung vollständig lesen konnte. Aber was ich von letzterer mitgekriegt habe, klang sehr nett. Neu in meinem Bücherregal ist seit gestern Robert K. Mertons Auf den Schultern von Riesen: Ein Leitfaden durch das Labyrinth der Gelehrsamkeit, das ganz simpel so klang, als würde ich es gerne lesen wollen. Schon den Titel mochte ich gerne, weil ich das Bild von den Riesen, auf denen wir stehen, so gerne mag. Vielen Dank für das Geschenk, ich habe mich sehr gefreut. (Und länger über Namen mit –dith nachgedacht.)

Was schön war, Montag, 13. Februar 2017 – Kunstlesen, Kunstgucken

Die Bibliothek des ZI macht neuerdings bereits um 9 statt um 10 auf, was mich sehr freut, denn dann kann ich früher anfangen und früher nach Hause gehen. Hätte ich in meinen 20ern auch nicht gedacht, aber inzwischen stehe ich lieber ein bisschen früher auf und arbeite bis in den Nachmittag anstatt ewig zu schlafen und dafür bis 21 Uhr irgendwo schuften zu müssen.

So saß ich um halb zehn (wir wollen es ja nicht gleich übertreiben) im ZI und arbeitete weiter an meiner Hausarbeit. Am Freitag hatte ich die Einleitung begonnen, die schloss ich gestern mit dem Forschungsstand ab. Wenn man überhaupt von einem Forschungsstand sprechen kann, denn der expressive Realismus ist, trotz des meist im Eigenverlag publizierenden Klüngelclans von einer Handvoll Autor*innen, der Kunstgeschichte relativ egal. Ein wunderschönes Thema, um sich daran abzuarbeiten. Gestern durchstöberte ich die wenigen Rezensionen, die es gab, und begann, mich am Begriff dieser Stilrichtung, die meiner Meinung nach keine ist, abzuarbeiten. Ich las also bergeweise Kram über den Realismus und den Expressionismus, rollte dauernd die Augen, wenn ich wieder zum Originaltext zurückmusste, war aber glücklich und zufrieden in meinem Büchermeer und merkte überhaupt nicht, wie die Zeit verging.

Um kurz nach vier schrieb mir F. eine DM, durch die ich bemerkte, wie spät es war. Wir waren um halb sechs verabredet, um uns Spaniens goldene Zeit in der HypoKunsthalle anzuschauen, und ich musste vorher unbedingt noch in die Stabi, um ein Buch abzugeben, das gestern fällig war. Die Stabi ist nämlich brutal in ihren Zahlungsforderungen und will sofort sieben Euro, wenn man ein Buch nicht wieder hergibt. Netterweise war ich beim Schreiben gerade an einem Punkt angelangt, an dem ich abbrechen konnte, stellte also mein Büchermeer brav ins Regal bzw. behielt ein paar Bücher im Handapparat, zog meinen Rucksack aus dem Schließfach und radelte zur Stabi. Ich hatte am Sonntag in weiser Voraussicht mein Rad wieder flott gemacht, nachdem es über die verschneite Zeit im Keller sehnsüchtig auf mich gewartet hatte. Buch abgegeben, nach Hause geradelt, den Rechner im Rucksack gegen Übernachtungszeug ausgetauscht und per Bus in die Kunsthalle gefahren. Um fünf vor halb da gewesen! (Beckerfaust!)

Die Ausstellung war okay, aber nicht überwältigend. Einige wenige Stücke fand ich aber doch herausragend, zum Beispiel das Gemälde Der heilige Johannes auf Patmos von Juan Bautista Maino; man sieht Johannes eher sinnierend in einer ruhigen Landschaft aufs Meer blickend, sein Attribut, der Adler, lagert entspannt-komisch neben ihm. Mir gefiel an dem Bild, dass es ein Landschaftsbild war – so ziemlich das einzige in der Ausstellung. F. meinte, er habe an einem weiteren Bild gelesen, dass Landschaften einfach nicht so en vogue waren im Spanien des Barock (ich habe kaum Bildtexte gelesen, und wir waren auch nach nur einer Stunde wieder draußen). Laut Wikipedia war Maino ein Schüler El Grecos, weswegen er vermutlich in dessen Saal hing, wo er natürlich noch mehr auffiel in seiner stillen Schlichtheit zwischen den ganzen exaltierten, überlangen Menschengestalten.

Ein paar Räume weiter trafen wir Velázquez wieder, den wir ausgiebig im Prado hatten bewundern dürfen. Wir waren uns einig, dass wir eine Leihgabe von dort – ein Porträt Philipps IV. – auch vor Ort gesehen hatten, aber so oft, wie Velázquez den König gemalt hat, waren wir uns nicht ganz sicher. F. guckte noch die Velázquezze an, während ich schon in den nächsten Raum ging – und dort breit grinsend nach einem kurzen Rundumblick stehen blieb. F. hatte dann auch seinen wissenden Gesichtsausdruck drauf, als er zu mir aufschloss, denn ich stand beseelt vor einem Stillleben Cotáns. Dem Mann bin ich verfallen, seit ich ihn in einer Vorlesung sah, und habe das F. vermutlich stundenlang im Prado erzählt – die gleiche Vorlesung wies mich übrigens auch auf Chardin hin, dessen Stillleben ich ebenso verfallen bin. Als wir im Prado waren, habe ich, glaube ich, laut gequietscht, als ich den Cotán entdeckte, weil ich nicht wusste, dass dort einer hängt. Aus der Bildbeschreibung vor Ort lernten wir, dass es nur sechs Stillleben gibt, die zweifelsfrei Cotán zugeschrieben werden können. Jedenfalls meinten wir gestern abend, dass das dort gestanden hätte. Ich hatte auf die Wikipedia als Quelle für diesen tollen Fakt getippt, aber dort stand nichts (jedenfalls nicht in der deutschen oder englischen Ausgabe). Daher lest ihr diesen Blogeintrag auch erst etwas später als gewohnt, denn ich tippe ihn im ZI, wo ich natürlich erstmal nachschauen musste, ob diese Aussage stimmt. Sowas kann ich ja nicht mehr einfach so ungeprüft schreiben. Seit wenigen Minuten kann ich bestätigen: Es gibt wirklich nur sechs zweifelsfrei Cotán zugeschriebene Stillleben, und es gibt sogar nur vier, die in öffentlichen Museen hängen (im Prado, in Chicago – da kam die gestrige Leihgabe her – sowie in San Diego und Granada). Ich kann jetzt also von mir behaupten, die Hälfte aller für mich zugänglichen Stillleben Cotáns gesehen zu haben. Ha!

(Die Quelle für den Fakt, falls das jemand in der Wikipedia eintragen will: Jordan, William B.: An Eye on Nature. Spanish Still-Life Paintings from Sanchez Cotán to Goya, 2. überarbeitete Auflage, London 1997, S. 28.)

Nach dem Museum gab’s endlich was zu essen, was dringend nötig war, denn ich hatte seit meinem üblichen morgendlichen Cappuccino und Saft nichts zu mir genommen. Wir gönnten uns Pizza bei Ciao Ragazzi, die meiner Meinung nach aber nicht ganz so gut war wie beim verwandschaftlich verbundenen Unternehmen direkt gegenüber, Lo Studente. Trotzdem schmackhaft, und mit Pizza macht man mich ja immer glücklich.

Was schön war, Samstag/Sonntag, 11./12. Februar 2017 – Hoch die Hände, Wochenende

Trotz zwei Flaschen Rotwein am Freitagabend Samstag ohne Schädel aufgewacht. Für jeden Schluck Wein einen Schluck Wasser zu trinken, klappt noch ganz gut.

Keine Lust auf Einkaufen gehabt, stattdessen Gegen den Hass von Carolin Emcke ausgelesen. Das Buch zieht sich im Mittelteil etwas, aber ich habe viel über die Transgender-Bewegung gelernt, mit der ich eher selten konfrontiert werde bis auf die wenigen Tweets in meiner Timeline. Mit King Cotton: Eine Globalgeschichte des Kapitalismus von Sven Beckert (in der Übersetzung von Annabell Zettel und Martin Richter) angefangen; das Buch hatte uns mal ein Dozent empfohlen als eins der besten Bücher über das 19. Jahrhundert. Ich bin gespannt.

Abends im Resi den Faust gesehen. Okay: die erste Hälfte. Ich bin in der Pause gegangen und musste das dem verwunderten F. mit den Beispielen erklären, dass ich kein Buch zuende lese, wenn es mich nicht mehr interessiert und ich auch keinen Teller mehr leeresse, nur weil er vor mir steht. So ging’s mir leider mit dem Faust, den die Kritik ziemlich toll fand: Ich wollte einfach nicht mehr wissen, wie’s weiterging. (Mit dem Buchtext hatte der Spieltext nur als Mash-up etwas zu tun, sonst hätte ich ja gewusst, wie’s weiterging.) Ich mochte die Bühne sehr, ich liebe Frau Beglau (wer nicht), ich hätte den wummernden Soundtrack, der fast dauernd lief, gerne als MP3, aber alles zusammen fühlte sich für mich wie Fight Club an, über dem ein Fass Blut und Sperma ausgeschüttet wurde.

Eigentlich hatte ich schon nach sehr kurzer Zeit richtig schlechte Laune, denn ich hatte die Warnungen übersehen, dass „in dieser Vorstellung extreme Lautstärken (Schüsse, Explosionen) und Stroboskoplicht eingesetzt“ wurden (siehe Website). „Extreme Lautstärke“ bedeutete nach fünf Minuten, dass vor mir sehr überraschend UND MIT SEHR VIEL LÄRM die halbe Bühne in Flammen stand und ich das Gefühl hatte, mitten in einer Flugzeugkatastrophe zu sitzen. Es hat ewig gedauert, bis mein Puls sich wieder normal anfühlte, aber ich war danach so angespannt, dass ich mich nicht auf das Stück konzentrieren konnte – oder wollte. Mit Stroboskoplicht komme ich eigentlich klar, aber vorgestern musste ich mir dabei die Augen zuhalten. Ich bin anscheinend inzwischen zu alt und/oder zu memmig fürs moderne Theater. Ich werde jetzt stattdessen in der Staatsoper Operetten anschauen und in der Pause warmen Kakao schlürfen.

Am Sonntag wollte ich eigentlich vormittags in der Stabi sitzen, aber als der Wecker klingelte, schaltete ich ihn aus und schlief einfach weiter. Das Buch, das ich dort lesen wollte, steht auch im Zentralinstitut für mich schon in meinem Handapparat, und da bin ich schließlich Montag wieder. Ausgeschlafen, Saturday Night Live geguckt – und dann den totalen Putzflash gekriegt. Das Bad mal wieder grundgereinigt und nicht wie üblich nur so, dass es okay ist, nein, das war gestern die Form „Selbst die Zahnzwischenbürstchen werden ausgetauscht, obwohl die noch in Ordnung sind, weil die Ablage frisch geputzt ist, auf der sie liegen – dann sieht das auch im Ensemble gut aus“.

Zwei Folgen Voyager geguckt, gelesen, unter anderem im Internet, wo ich eine wissenschaftliche Zitation für die Deern fand.

Abends für F. und mich Kartoffelgratin, Salat und danach ein bisschen Pfirsichcrumble zubereitet; was ich halt so im Haus hatte. F. brachte den besten Blaufränkisch mit, den ich je getrunken hatte (gibt’s im Broeding) und wir hatten endlich mal wieder einen etwas längeren Abend zu zweit, wo keiner von uns irgendwo anders war oder lernen musste. Gemeinsam eingeschlafen.

Was schön war, Freitag, 10. Februar 2017 – Erfüllung

Gemeinsam aufgewacht. Nackte Haut unter den Händen gehabt. (Best thing ever.)

Hagebuttenkrapfen zum Frühstück.

Im Zentralinstitut für Kunstgeschichte alle Bücher gefunden, die ich brauchte, konzentriert ein paar Stündchen gelesen. Mit der Einleitung für die Hausarbeit begonnen und mit dieser halb fertig geworden.

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In der U-Bahn-Station Königsplatz gesehen, dass dort ein Cézanne als Wanddekoration gedruckt ist. (Daneben ist noch ein Manet zu erkennen.) Normalerweise stehe ich am anderen Ende des Bahnsteigs und glotze auf den Böcklin.

Ein Nickerchen auf dem Sofa unter der Kuscheldecke.

Abends in äußerst charmanter und kluger Begleitung zwei Flaschen Rotwein geleert und über Politik, Engagement, Kunst, Kunstrezeption, Lebensläufe und Hoffnung gesprochen. Und vermutlich über noch mehr. (Zwei Flaschen Rotwein.)

Ein perfekter Tag.

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„Und, Anke, wie war so dein neuntes Semester?“

*wimmer*

(Erstes, zweites, drittes, viertes, fünftes, sechstes, siebtes, achtes Semester.)

Gestern schrieb ich die allerletzte Klausur meines Studierendendaseins. Jetzt kommen noch die Hausarbeit zu Leo und die Masterarbeit – auf beide freue ich mich, denn das ist für mich keine Arbeit im Sinne von „muss ich machen“, sondern Arbeit im Sinne von „yay, viel Zeug lesen und dabei was lernen“. Aber was ich ab sofort nicht mehr haben werde, sind ein Dozent oder eine Dozentin, die vor mir stehen und mir etwas beibringen wollen. Ab jetzt ist alles Eigenverantwortung.

Dem Lernen für Klausuren werde ich nicht hinterhertrauern, das war in jedem Semester nervig, vor allem, weil ich inzwischen weiß, dass ich nach der Klausur alles wieder großflächig vergessen hatte, was ich mir wochenlang in den Kopf gekloppt hatte. Um kunsthistorisches Wissen bzw. Zusammenhänge abzufragen, eignen sich Essays natürlich viel besser als doofe Multiple-Choice-Fragen, aber ich kann auch die Lehrkräfte verstehen, die keine 200 Essays von Erstis lesen wollen. Trotzdem: Die Vorlesungen, die eben mit Klausuren abgeprüft wurden, sind jetzt für mich durch. Genau wie die Seminare, für die ich Hausarbeiten schreiben musste, oder die Übungen, in denen ich Referate hielt. Jetzt wartet im allerletzten Semester noch ein sogenanntes Oberseminar auf mich, in dem alle Teilnehmenden ihr gerade zu bearbeitendes Thema vorstellen, also Bachelor- und Masterarbeiten sowie Dissertationen. Dafür muss ich noch ein Referat vorbereiten, das ich mir vermutlich aus dem Ärmel schütteln kann, weil ich in dem Thema seit drei Semestern drin bin, und das war’s. Den Rest des Semesters werde ich anderen Leuten zuhören, die mir ihre Projekte erzählen. Der Teil meines Studiums, der sich wie ein Studium anfühlt, ist jetzt vorbei.

Deswegen war ich gestern sehr traurig. Dafür hatte ich vorher keine Zeit, weil ich ja noch lernen musste, aber gestern hatte es mich erwischt. Ich wollte nach der Klausur eigentlich brav in die Bibliothek gehen, merkte aber schon, als ich die Hörsaaltür hinter mir schloss, dass ich total wimmerig drauf war und kroch daher lieber nach Hause und verdaddelte den ganzen Tag vor Netflix. Mit Chips und Eis und allem, was zum anständigen Trauern dazugehört. (Der von @Ellebil gestrickte Pussyhat, der gestern in meinem Briefkasten landete, konnte mich aber zeitweilig sehr aufheitern.)

Mir wird es fehlen, dass da vorne jemand die Themen setzt. Ich wäre jedenfalls nicht von alleine darauf gekommen, mich zum Beispiel mit dem Thema Heimat zu befassen, was ich im fünften Semester tat. Ich bin dann allerdings darauf gekommen, mich dem Thema über Instagram zu nähern, um ein bisschen am Hauptfach dranzubleiben. Ich habe dadurch gelernt, dass auch so ein flüchtiges Medium wie Instagram eine historische Quelle sein kann. Ich habe überhaupt generell gelernt, dass man viele Themen durch eine kunsthistorische Brille betrachten kann, was meinen Alltag neuerdings spannender werden lässt (Pokéstops, Futterfotos, Werbung, Filmarchitektur und so weiter und so fort).

Ich wäre auch von alleine nicht auf Menschenrechte als Seminarthema gekommen; aus dem Seminar nahm ich vor allem die ganz junge Geschichte der Nachkriegszeit mit, und ich durfte mich kurz als echte Seniorstudentin fühlen, weil ich Teile der im Seminar angesprochenen Geschichte miterlebt hatte (die 1980er). Ich wäre auch nicht auf bestimmte Skulpturen gekommen, die mir diese Medienart überhaupt erst eröffnet haben, bestimmte Bauwerke oder Stilrichtungen; ich wäre vermutlich nicht mal auf Kiefer gekommen, weil der für mich so durchgeforscht klang, bis ich gemerkt habe, dass es sogar bei solchen Mainstreamkünstlern noch Ecken gibt, in die noch keiner reingeguckt hat – oder nicht in der Detailtiefe, die ich anbringen konnte. Ich wäre auf so ziemlich gar nichts gekommen, wenn da nicht jemand vorne gestanden hätte, der oder die uns Themen anriss und uns dann von der Leine ließ. Das werde ich sehr vermissen. Aber, wie gesagt, ich habe gelernt, mir meine Themen jetzt selbst zu setzen. Das ist für mich ein sehr großer Lernerfolg.

Ich habe gelernt, dass es zwei Themen gibt, die ich gleich gerne bearbeite, und ich habe mich für die Masterarbeit für die Kunst der NS-Zeit und die Kunst der jungen Bundesrepublik entschieden (eventuell mit einem kurzen Exkurs in die junge DDR). Diese Zeit ist für mich nicht nur kunsthistorisch, sondern auch historisch die spannendste, mit der ich mich im Studium befassen durfte, und für die NS-Zeit hatte ich mich vorher auch schon sehr interessiert. Mein zweites Lieblingsthema wird weiterhin die Architektur bleiben, aber die kann ich jetzt entspannt genießen und mich ganz simpel und unwissenschaftlich an ihr erfreuen.

Ich habe (mal wieder) gelernt, dass die Entscheidung für das Studium die richtige war, auch wenn sich jetzt wieder, wie nach dem Bachelor, die Zeit nähert, in der ich hysterisch in eine Papiertüte atme und mich frage, was aus mir werden soll. Ich genieße die Zeit, die ich mit Büchern und Lernen verbringen darf, immer noch so sehr, und je mehr ich weiß, desto größer ist der Genuss, weil ich nicht dauernd bei Null anfange, sondern auf mein gesammeltes Wissen zurückgreifen kann.

Ich habe schon immer gerne gelesen, aber in den letzten Jahren habe ich vermehrt Bücher verschlungen, die mich weniger unterhalten haben wie Romane, sondern stattdessen mein Weltbild auf so vielen Ebenen erweitert haben. Ich durfte so viele neue Ideen, Ansätze, Theorien kennenlernen, die mich nicht nur zu einer Kunsthistorikerin gemacht haben, sondern zu einem reflektierteren Menschen. Das schrieb ich bereits im Rückblick aufs achte Semester, aber das wurde mir in diesem Semester wieder bewusst, als ich begann, mich wieder mehr für Politik und Soziologie zu interessieren.

Auch meine Sprache hat sich über die letzten viereinhalb Jahre verändert; ich glaube, dass ich fokussierter schreibe und auch im Blog eine etwas gewähltere Wortwahl habe. Diese Veränderung hatte ich schon mal: Als ich mit Ende 20 aufhörte, in einer Kneipe zu arbeiten, die bis morgens um 5 Uhr geöffnet hatte und in der man sich notgedrungen einen etwas raueren Umgangston angewöhnt hatte, musste ich mein Hafenvokabular für die Werbung etwas zügeln. Das scheint nun wieder passiert zu sein, obwohl mir in Referaten immer noch ab und zu der flapsige Werbetonfall durchrutscht. Den möchte ich auch nicht ganz verlieren, das Sprechen auf Pointe habe ich nach 10.000 Stunden Sitcomgucken ganz gut drauf.

Ich habe gelernt, mein neues Leben in München nicht mehr als Ausnahmezustand zu sehen. Die Trennung von Hamburg und Kai hat länger gedauert als ich dachte; wo die letzten zwei Jahre im Studium wie im Flug vergingen, waren sie im Bezug auf mein Privatleben gefühlt ein ewiger Kaugummi. Seit einiger Zeit ist aber aus der schmerzhaften Trauer ein leises Bedauern geworden und aus dem verwirrten Knäuel, in dem ich mich lange befand, ein roter Faden, an dem ich mich entlanghangele. Ich sehe das Ende noch nicht, aber ich habe wieder das Gefühl, auf ein Ziel zuzulaufen: erstmal in Ruhe die Masterarbeit schreiben – und dann eine Dissertation. Das wäre ja eine totale Verschwendung, mein ganzes schönes Wissen einfach rumliegen zu lassen.