Was schön war, Mittwoch, 7. Februar 2018 – Mezze

In meiner Mittagspause blätterte ich in meinem libanesischen Kochbuch (wie Ottolenghi, nur mit der Hälfte der Zutaten), weil ich mal wieder Lust auf Mezze hatte. Drei Rezepte brauchten ein paar Dinge, die ich nicht im Haus hatte, ein viertes (von Ottolenghi, schon gut) immerhin eine Zutat, also ging ich einkaufen, arbeitete dann noch ein paar Stündchen und kochte dann ein bisschen vor mich hin, bevor F. vorbeikam und wir zusammen ein kleines Festessen genossen.

Fladenbrot plus die obligatorische Breze, alles geht mit Brezn, wie ich inzwischen weiß. Daneben Hummus, der mir leider nicht ganz so cremig gelang wie ich es gerne gehabt hätte, darunter Ottolenghis Kartoffelsalat mit Pesto, darunter Baba Ghanoush (eine Aubergine war deutlich zu wenig, ich kaufe heute gleich nochmal welche, das war so lecker!), daneben Halloumi aus dem Ofen in einer Marinade aus Olivenöl, Zitronensaft, Knoblauch und Minze.

Charles Sprawson wrote a celebrated book. Then he vanished

Der Economist über einen englischen Autoren, der ein Buch über das Schwimmen schrieb, das sehr interessant klingt, und heute in einem Pflegeheim nach der Tür zum Pool sucht.

„His first and (so far) only book, “Haunts of the Black Masseur”, will be reissued later this year. When it was first published, in 1992, it enjoyed the kind of critical and commercial success that most debut authors only dream about. It has inspired and influenced homages and imitations. Mr Sprawson was feted—then forgotten. The story of his career since that triumph exemplifies the caprices of literary celebrity and the indignities of old age. It points to a deeper issue, too: what, in the end, defines a person’s life?

Mr Sprawson was born in Pakistan, the son of a headmaster, went to school in Kent and briefly taught classics in the Middle East. He married, settled in Gloucestershire and raised a family. He became an itinerant art dealer, specialising in Victoriana. On visits to the Channel Island of Jersey, his car loaded with oil paintings, he stayed at the Prince of Wales hotel in Greve de Lecq: it was on the beach and he could swim before breakfast. Along with books, swimming was at the heart of his life.“

Auf Deutsch heißt sein Buch übrigens Ich nehme dich auf meinen Rücken, vermähle dich dem Ozean (2002).

Und weil’s thematisch so schön passt:

The Lost Giant of American Literature. A major black novelist made a remarkable début. How did he disappear?

Der New Yorker über William Kelley, einen Autoren, der während der Civil-Rights-Bewegung bekannt wurde und im Laufe der Zeit immer experimenteller schrieb – die Autorin des Artikels, Kathryn Schulz, vergleicht sein Buch dunfords travels everywheres (1970) mit Finnegans Wake –, und wie er aus dem literarischen Gedächtnis Amerikas verschwand.

„William Kelley was thirty-two when “dunfords travels everywheres” appeared. He wrote constantly for the next forty-seven years, never published another book, and died a year ago, at the age of seventy-nine. […]

Still, Kelley was never a pat enough political writer to simply wash in and out with the ideological tides, and there were many other considerations, too. Chief among these was the strange chiasmus at the heart of his work: a black man writing about how white people think about black people. That perspective was smart and important—in effect, it transformed W. E. B. Du Bois’s double consciousness into a narrative device—but it radically diminished Kelley’s audience. Many white readers didn’t want a black writer telling them what they thought, especially when so much of it was withering, while many black readers, long starved for literary representation, didn’t want to read about more white characters. To make matters worse, very few people, white or black, wanted to subscribe to a vision of America that grew progressively more damning in the course of Kelley’s career. And, regardless of the topic of a book or the race of its author, almost no one wanted to contend with experimental prose.“

Was schön war, Montag/Dienstag, 5./6. Februar 2018 – Cleverle

Am Samstag nachmittag entdeckte ich nölig, dass mein Staubsauger seinen Geist aufgegeben hatte. Bzw. nicht der Staubsauger, aber ein winziges Plastiknupsi, das den Staubsaugerbeutel in Position hielt; das war anscheinend irgendwann abgebrochen, was ich daran merkte, dass der Sauger eben nicht mehr saugte – oder nicht mehr in den Beutel. Ich dachte noch über wilde Konstruktionen aus Zahnstochern und Superkleber nach, entschied mich dann aber, den Staubsauger zu verklappen (aka bis zum nächsten Umzug in den Keller zu stellen) und Montag einen neuen zu kaufen. Das tat ich dann auch, aber das war noch nicht das, was schön war. Was schön war, war die clevere Verpackung.

Ich bat an der Kasse um einen Tragegriff oder irgendwas ähnliches, um den Karton möglichst schmerzfrei zum Bus und von da nach Hause transportieren zu können. Die freundliche Dame an der Karstadt-Kasse meinte, nein, einen Tragegriff habe sie nicht, aber … und dann stieß sie ein Pappteil des Kartons ins Innere desselben … „wenn Sie dieses Pappteil entfernen, können Sie in den Karton greifen und haben den Staubsaugergriff in der Hand.“ Und genauso war es, und weil der Staubsauger im Karton quasi so stand wie er in Benutzung auf dem Fußboden steht, war der Griff am unteren Ende des Kartons, genau wie die nun entstandene Lücke. Das heißt, ich konnte den Karton fast wie eine Einkaufstasche direkt am Bein tragen, er stand nicht blöd ab oder nervte beim Gehen. Und da ich einen gerade sechs Kilo leichten Sauger erstanden hatte (aus Gründen), war das wirklich ein angenehmer Transport. Über diese schlaue Designidee – und die kenntnisreiche Karstadt-Verkäuferin – habe ich mich den ganzen Tag gefreut.

Ebenfalls am Wochenende bemerkte ich, dass inzwischen nicht nur der Wannenabfluss, sondern auch der in der Küchenspüle das Wasser nur noch seeehr langsam wegschaffte. Ich schüttete böses Pulver in die Abflüsse, ließ es einwirken, spülte nach – keine Veränderung. Dann schraubte ich den Küchensyphon ab, stellte mich auf widerliche Gerüche und Fettbrocken ein, aber das Ding war bis auf normale Gebrauchsspuren völlig in Ordnung. Ich entdeckte im weiteren Verlauf des Rohres, dass es nur locker in die Wand lief und nicht wirklich irgendwo fest verschraubt war, was mich etwas irritierte. Ich ließ das Rohr daher lieber weitestgehend in Ruhe und wollte am Montag die Hausverwaltung dazu anrufen. Anscheinend haben aber diese drei winzigen Handgriffe (Pulver, sauberen Syphon abschrauben, kurz mal am Rohr wackeln) schon irgendwas bewirkt – oder meine Heinzelmännchen waren da, mit denen ich mir immer die Welt erkläre, wenn ich sie nicht verstehe –, jedenfalls lief das Wasser Montag morgen in beiden Abflüssen schnell und einwandfrei ab. Ja gut.

Vielleicht hat aber auch jemand anders im Haus oder die Verwaltung irgendwie vorbereitend gezaubert, denn wir hatten gestern eine Trinkwasserprobe. Dazu kam ein freundlicher Herr mit Messbecher und Gerätschaften in die Wohnungen in den oberen Stockwerken, also auch in meine. Was ich bei Handwerkern noch nie gesehen hatte: Er zog sich im Treppenhaus die Straßenschuhe aus und betrat die einzelnen Wohnungen dann in mitgebrachten Hausschuhen. Sehr freundlich.

Wenn ich weiß, dass Strom- oder Wasserzählerableser oder Rauchmelderkontrollierer (das macht hier in meinem Viertel netterweise jemand alles auf einmal) vorbeikommen, rolle ich eh meine wenigen Teppiche an die Wand, und ob auf dem Holz-, Linoleum- oder Fliesenboden jemand Straßenschuhe trägt, ist mir wurscht. Ich persönlich mag es überhaupt nicht, wenn ich in anderer Leute Wohnungen die Schuhe ausziehen muss, aber ich kann das verstehen. Das hängt bei mir einfach damit zusammen, dass ich Schwierigkeiten damit habe, mal eben so in Schuhe zu schlüpfen und daher immer im Vorfeld überlegen muss: Kann ich mich da hinsetzen, um meinen Fuß festzuhalten, wenn ich ihm den rechten Schuh überstreife, denn im Stehen geht das nicht? Haben die Leute Schuhlöffel? (Den haben die wenigsten, wie ich inzwischen weiß.) Muss ich meinen mitbringen? (Mache ich meistens.) Das alles erledigt sich, wenn ich meine Schuhe einfach anbehalten darf. Aber wie gesagt, ich kann es nachvollziehen, dass man die Gäste darum bittet, sie auszuziehen. Ich selbst laufe hier ja auch auf Socken oder barfuß herum.

Am Montagabend den sehr fertig aussehenden F. besucht, der sich die Nacht beim Superbowl 52 um die Ohren geschlagen hatte. Immerhin hatte das Team gewonnen, von dem er seit, soweit ich weiß, fast 20 Jahren Fan ist, weswegen er kaum Stimme hatte, weil er nachts und morgens so brüllen musste. Wir tranken ein Glas Siegesprosecco zusammen und hatten mal wieder ein bisschen Zeit füreinander, ich fühlte mich aber dann doch wieder irgendwie kränklich und ging lieber zum Früh-Schlafen nach Hause.

Überhaupt schlafe ich gerade wieder früh ein und dann fest durch, was ich sehr genieße. Was so eine normale 40-Stunden-Woche nach fünf Jahren Studium halt mit einem macht.

Gestern ging ich nach einem ebensolchen normalen Arbeitstag im Home Office noch in die Uni-Bibliothek. Ich musste sowieso zur Ausleihe, um ein Buch abzuholen, eine Fernleihe war aber nur im Lesesaal für mich verfügbar. Eigentlich dachte ich, ich sei nach acht Stunden Rumtexten hirntot, aber sobald ich das Buch in den Händen hatte und auf meinem Platz saß, war die Lust am Lesen und an der Wissenschaft wieder da. Ich las, betrachtete Bilder, notierte Dinge in meinem Stoffsammlungs-Dokument und fühlte mich rundum wohl, obwohl ich den Lesesaal der Uni-Bibliothek am allerwenigsten von allen Lesesälen mag. Das Buch war recht kurz, weswegen ich schon nach anderthalb Stunden fertig war.

Vielleicht geht das doch, dieses gefühlt bröckchenweise Lesen und Lernen anstatt meiner gewohnten Fünf- bis Sechsstundenklötze, in denen ich alles lese, was nicht vor mir weglaufen kann und wonach ich immer das Gefühl habe, ALLES zu wissen. Oder noch viel mehr Fragen zu haben als vorher. Vielleicht wird die Diss sich auch im Lese- und Schreibprozess anders anfühlen als meine bisherigen Arbeiten. Wir werden sehen.

Auf dem Nachhauseweg im Bus sah ich in die Wohnungen am Rand der Straße. In einer stand ein beleuchteter Globus, und ich musste daran denken, dass ich auch mal so einen hatte, sogar mit einer kleinen Sonne, die über die Welt wanderte. Das einzigartige, hellblauweiße Licht des Globus fand ich schon als Kind schön, und der gestrige sah auch sehr heimelig aus. Vielleicht besorge ich mir so ein Ding mal wieder, einfach weil das Licht so schön ist.

Ein gläsernes Dankeschön …

… an Hanna, die mich mit diesem Messbecher überraschte, um den ich ewig rumgeschlichen bin.

Ich habe vor Jahren gelernt, dass es sich nicht lohnt, in der Küche Billozeug zu verwenden, denn im Gegensatz zu vielen anderen Kleinigkeiten habe ich Messer, meine Reibe, meine Zitronenpresse oder ähnliches dauernd in der Hand und arbeite ständig mit ihnen. Als ich nach München zog (und noch in Hamburg wohnte), kaufte ich mir zum Beispiel hier eine billige Kopie der wundervollen Microplane-Reibe. Die sah quasi genauso aus, aber, und ich weiß bis heute nicht warum, ich habe mir damit dauernd Teile der Fingerkuppen abgerieben, was mir mit der Microplane nie passierte. Natürlich war auch das Reiben nicht ganz so mühelos und das Ergebnis nicht ganz so gleichmäßig. Das hätte ich alles noch hingenommen, aber irgendwann war mir klar: Es nervt. Es nervt, dass nicht alles so gut ist wie es sein könnte für zehn Euro weniger. Also wurde die Billoreibe weggeschmissen und ich kaufte eine Microplane. Die ist natürlich immer noch mit Freude in Benutzung. Und nebenbei war das der einzige Gegenstand in der Hamburger Küche, bei dem mich Kai bat, ihn nicht in die Umzugskiste zu werfen. Das hat mich seltsam gerührt und so hat der Mann noch meine alte Microplane. OMG ich werde sentimental bei Parmesan- und Zitrusreiben!

Zurück zum Messbecher: Ich habe, auch seit dem Umzug, einen Plastikmessbecher hier. Generell ist gegen Plastik nichts einzuwenden, aber mir fiel erst nach dem Kauf auf, dass die Maßeinheiten ganz seltsam auf dem Ding aufgedruckt sind. Die Milliliter-Angabe, die ich als einzige brauche (who cares about ounzes?) ist für mich nur sichtbar, wenn der Becher mit dem Ausguss nach rechts und der Griff nach links zeigt. Das ist eigentlich, EIGENTLICH kein Problem, aber mich macht es irre. Wenn ich arbeite, finde ich es schön, wenn der Griff nach rechts und der Ausguss nach links zeigt, denn das ist die Reihenfolge, in der ich nach dem Eingießen der Flüssigkeit arbeite: Ich bin Rechtshänderin und muss daher den blöden Messbecher immer umdrehen, sobald ich etwas in ihn gegossen habe. Ja, extreme Luxusprobleme, ichweiß, aber es nervt! Das ist ein Arbeitsschritt zuviel! EFFIZIENZ, BITCHES! Deswegen habe ich einen neuen Becher auf meinen Wunschzettel gepackt. Mir war es ein bisschen peinlich, wegen Einmalbecherumdrehen selbst einen neuen zu kaufen, aber umso mehr bin ich über das Päckchen glücklich, in dem sich ein Becher befindet, bei dem der Griff da ist, wo er sein soll. Und: Er ist aus Glas, das heißt, ich kann jetzt auch kochende Flüssigkeiten in ihn gießen, ohne mich vorher geistig damit zu beschäftigen, geschmolzenes Plastik von meiner Arbeitsfläche zu kratzen (worauf ich netterweise seit fünf Jahren vergeblich warte). Vielen Dank für das Geschenk, ich habe mich sehr gefreut, ich Irre.

CXI 17: Hamburger Kunsthalle: Vom Baustellenschild zum neuen Corporate Design

Herr Wortfeld empfahl mir Freitag ein Video, das ich bereits auf Twitter geteilt habe, aber ich lege euch das nochmal ans Herz – und gebe ein bisschen Senf dazu, denn für mich war das Video, in dem es um die werbische Begleitung des Umbaus der Hamburger Kunsthalle geht, auf verschiedenen Ebenen interessant. Ich fand mich beim Betrachten erstmals richtig im Spannungsfeld von Kunstgeschichte und Werbung wieder und dazu erinnerte ich mich an Dinge, die ich als schlichte Besucherin der Kunsthalle und als damalige Bewohnerin Hamburgs erlebt hatte.

Die ersten sieben Minuten sind ein bisschen Einführung zur betreffenden Agentur Heine/Lenz/Zizka sowie die Vorstellung des Marketingleiters der Kunsthalle Jan Metzler, aber dann geht’s in medias res.

CXI 17: Hamburger Kunsthalle: Vom Baustellenschild zum neuen Corporate Design. from CXI Konferenz on Vimeo.

Ab ca. 8.50 stellt Metzler die Kunsthalle vor und erwähnt die Situation vor dem Umbau: drei Gebäude aus drei unterschiedlichen Zeiten, die irgendwie zusammenhängen, ein total beknackter Eingang (endlich sagt’s mal wer), abgetretenes Linoleum, vergilbte Wände. Ich erinnere mich gut und weiß noch, wie es mir ging, als ich das erste Mal in der Alten Pinakothek in München war und über die bunte Wandbespannung und den schönen Holzfußboden staunte: Das geht also auch. Wieso nicht in Hamburch?

Was ich nicht wusste: Die Kunsthalle ist mit 12.000 Quadratmetern Ausstellungsfläche das größte Kunstmuseum Deutschlands. So kam es mir nie vor (auch nach dem Umbau nicht), was aber vermutlich an den teilweise immer noch getrennten Standorten liegt – die Galerie der Gegenwart ist gefühlt immer noch ein Anhängsel, wenn auch nicht mehr so massiv wie vor dem Umbau. Die Kunsthalle hatte damals 380.000 bis 400.000 Besucher im Jahr und zählt zu den fünf meistbesuchten Häusern in Deutschland. Hätte ich auch nicht gedacht, immer wenn ich da war, war es angenehm leer. Wobei: Wenn man hier tagsüber in die Pinakotheken geht, wird man auch nicht überrannt, vielleicht unterschätze ich das Besucher*innenaufkommen überall. Metzler erwähnt dann noch die Sammlungshöhepunkte und was so alles im Depot oder in den Räumen ist; so werden von den 3.500 vorhandenen Gemälden meist um die 1.000 ausgestellt. Hätte ich auch nicht gedacht.

Hier hakt Achim Heine ein und meint, sie als Agentur seien völlig überrascht gewesen von dem, was die Kunsthalle an Material zu bieten hatte: „Da verkauft sich die Kunsthalle komplett unter Wert.“ Metzler: „Wir würden sagen: hanseatisch zurückhaltend.“ Nett, aber aus Werbersicht natürlich katastrophal. Ich überlegte, an was ich mich überhaupt noch erinnere an Werbeaktionen der Kunsthalle oder wie ich sie damals wahrgenommen hatte: Ich konnte mich an keine große Ausstellungspräsentation erinnern, aber an die olle dunkelblaue Website, auf der man nie was fand und die aussah, als wäre sie 1996 programmiert worden. Ich empfand die Kunsthalle immer als altmodisch. Klar hängt da tolles Zeug, aber man hatte in jedem Raum das Gefühl, als wäre man in einer Mehrzweckhalle.

So ähnlich dachte sich das Marketingteam das anscheinend auch; Metzler spricht sinngemäß davon, dass ein Grundgedanke bei der Renovierung war, den alten, großzügigen Eingang zur Alsterseite wieder zu öffnen und den kleinen zur Innenstadt hin endlich dichtzumachen. Ein Stichwort, das sehr oft fällt, ist „offen“, und mir ist eigentlich erst bei der Präsentation klargeworden, wie gut das sowohl bei den Werbemaßnahmen als auch bei der Renovierung des Hauses geklappt hat (ich war ja neulich endlich mal da und twitterte auch sehr gut gelaunt darüber).

Die Bauzeit von 22 Monaten sollte kommunikativ überbrückt werden: Wie sagt man den Leuten, dass die Kunsthalle weiterhin zugänglich ist, obwohl nur noch 4.000 von 12.000 Quadratmetern Ausstellungsfläche übrig sind? (Die meiner damaligen Meinung nach großartig bespielt wurden.) Metzler erwähnt eine große Herausforderung heutiger Museen: Bilder sind dauernd und immer verfügbar, während man in einem Museum halt doch physisch vor Ort sein muss, um sie sich anzuschauen. Wobei ich ja inzwischen weiß, dass nichts das Erlebnis des Originals schlägt, einfach weil es eben ein Unterschied ist, ein Bild in Originalgröße zu sehen anstatt auf dem Laptop. Aber klar, man muss die Leute erstmal zum Original kriegen.

Das Ursprungsbriefing war: Entwicklung eines Störers, der auf Plakate gedruckt werden kann, der den Betrachter*innen sagt: Die Kunsthalle ist weiter geöffnet, kommt doch mal rum. Hier hakt Heine wieder ein und meint, das war quasi der kleine Finger, aus dem im Endeffekt etwas viel Größeres wurde. Er nennt viele Teams von Desigern und Kunden, die vertrauensvoll miteinander gearbeitet hätten und wo Kompetenz auf beiden Seiten zusammenkommt anstatt dass die Agentur einfach irgendwas verkaufen und der Kunde einfach irgendwas abnicken will, solange es nicht viel kostet. Was, wie wir Werber*innen wissen, grundsätzlich beschissene Werbung und Unzufriedenheit auf beiden Seiten zur Folge hat.

Dann leitet Heine auf die langsame Um- und Neugestaltung von Haus und Werbung über. Er beginnt mit dem alten Logo der Kunsthalle, das noch eine Serifenschrift hat. Und hier merkte ich peinlich berührt, dass mir der Logowechsel nicht mal aufgefallen ist. Das alte Logo war so egal, dass mir beim Relaunch der Website nicht auffiel, dass es jetzt anders aussieht. Dass die Website anders aussah, fiel mir sehr deutlich auf, aber das war auch nicht schwer. Heine zeigt alte Broschüren im alten Layout, wo das Logo kaum sichtbar ist und meint: „Die Marke war quasi nicht da.“ Das kann ich bestätigen. Nach der Eröffnung sollte eine neue Gestaltung zum Tragen kommen, die Kunsthalle sollte sich „häuten“, wie Heine es ausdrückt. Also: Die temporäre Kommunikation – wir sind geöffnet – sollte überblenden in ein moderneres Erscheinungsbild.

Dann stellt Heine Konzepte vor, die nicht umgesetzt wurden, was ich sehr souverän fand. Die Idee, dem Wanderer über dem Nebelmeer einen Bauhelm aufzusetzen, ist zwar für fünf Sekunden charmant, aber dann nur noch albern. Hier fühlte ich mich beim Betrachten des Videos erstmals als Kunsthistorikerin, die mürrisch den Mund verzog: HÄNDE WEG VON DER KUNST! Während die Werberin eben noch fünf Sekunden dachte, och lustig. Ich habe heute auch Schwierigkeiten mit den ganzen Kunstmemes, bei denen ugly Renaissance babies in gifs verwandelt werden. Genauso zerrissen bin ich bei klassischen Statuen, die moderne Kleidung tragen: irgendwie spannend als Hingucker, aber gleichzeitig total doof, weil die Skulpturen diesen Quatsch gar nicht nötig haben. Ich kann mich echt nie entscheiden, wann ich geremixte Kunst gut und wann ich sie doof finde.

Der Agentur war sehr schnell klar, dass sie mit Gelb arbeiten wollte als Baustellenfarbe. Auch hier kam für mich die interessante Erkenntnis: Alleine dieser Farbwahl hat die Kunsthalle für mich um Jahrzehnte nach vorne katapultiert, was ihre Modernität angeht, denn diese Farbe hätte ich nie erwartet von der grauen Maus mit der blaugrauen Website. Ich weiß noch, wie ich erstmals die Baustellenplakate sah und dachte, wow, fresh, was geht, Kunsthalle?! Was mir allerdings erst während der Präsentation auffiel, war, wie genial der Claim „Weiter offen“ ist. Die Doppeldeutigkeit zwischen „wir sind weiter geöffnet“ und „wir machen die Kunsthalle weiter, moderner, offener“ habe ich echt erst Freitag kapiert. Asche auf mein Werberinnenhaupt.

Metzler zitiert eine Kollegin, die meinte, das Haus sei durch die gelbe Beflaggung und den Pfeil, der den Besucher*innen den Weg zum neuen Eingang zeigt, offener als vorher. Das kann ich von Besucherinnenseite bestätigen; ich hatte oben schon meinen Blogeintrag über die komprimierte Sammlungspräsentation verlinkt – alleine die hat für mich gefühlt die Kunsthalle schon deutlich modernisiert. Es fühlte sich nicht mehr nach schulbuchmäßiger Ausstellungschronologie an, sondern, wie ich damals schrieb, hey, guckt mal, was wir alles Tolles haben.

Was ich noch gelernt habe: Es gibt die sogenannte Binnenalsterverordnung, die besagt, dass im Sichtfeld der Alster keine Werbung zu sehen sein darf. Ist mir noch nie aufgefallen. Da hat man endlich mal eine Ecke in der Stadt, in der man nicht mit Quatsch zugeballert wird, und dann merke ich das nicht mal.

Dann kommt kurz die Microsite zur Sprache mit dem Blog, das über die Renovierung informierte, das anscheinend deutlich weniger gut besucht war als erwartet. Metzler sah das als eine wichtige Info zur Innensicht: Man denkt immer, das müsste doch alle interessieren, tut’s aber nicht. Das wäre für mich ein wichtiger Hinweis für andere Museen, aus meiner sehr persönlichen Besucherinnenperspektive: Mir ist es echt egal, wo ihr gerade eure Unterlagen neu ordnet oder wer jetzt neu an der Garderobe arbeitet. Aber mich interessiert total, was mit eurer Kunst passiert: wie Ausstellungen entstehen, wie sie konzipiert werden, wie ihr Aufbau abläuft, was sich im Haus ändert, wenn Werke umgehängt werden etc. Wie eurer Depot aussieht, ist mir eher wurst. (Okay, das interessiert mich als Kunsthistorikerin, weil ich irre gerne mal im Depot der Bayerischen Staatsgemäldesammlung die ganzen NS-Dinger angucken wollen würde, aber das ist jetzt ein sehr persönliches Interesse.) Trotzdem finde ich es spannend, dass viele Museen sich anscheinend wieder auf Blogs zurückbesinnen anstatt weiter irre auf Social Media Zeug rauszublasen. Ich unterstütze das sehr.

Im Zuge des sich Öffnens kommen dann Dinge wie #emptymuseum zur Sprache, eine Aktion, in der Instagrammer nachts durchs Museum wandern dürfen, was intern große Diskussionen auslöste, denn damit gibt das Museum die Hoheit über die Bilder ab, die nach draußen gehen. Ich glaube, neben den ganzen beknackten Rechtediskussionen ist das auch immer noch der Punkt, mit dem Kurator*innen Schwierigkeiten haben: Da kommen Leute ohne Ahnung und knipsen einfach den Friedrich, wie’s ihnen passt. Lustigerweise knipsen wir ja eh immer alles das gleiche, insofern ist diese Angst vielleicht unbegründet.

Dann gibt’s noch viel zur Weiterentwicklung des „Weiter offen“ und zum neuen Erscheinungsbild, aber das guckt ihr euch bitte selbst an, das ist sehr spannend. Erwähnen möchte ich noch die Kampagne „Die Kunst ist zurück“ zur Wiedereröffnung, die flächendeckend in Hamburg plakatiert wurde und die ich damals als sehr souverän empfunden habe, weil kein Abbinder auf den Plakaten und Leuchttafeln zu sehen war. Aber von wem sollte das denn sonst kommen als von der Kunsthalle? Wie gesagt, souverän. Macht auch nicht jeder Kunde mit, einfach mal seinen Namen wegzulassen.

Ganz zum Schluss gibt’s Zahlen, die mich auch beeindruckt haben: Während der 22-monatigen Renovierung kamen 540.000 Besucher ins Haus, also gab es keinen großen Einbruch der Zahlen, was man mit einer deutlich verkleinerten Sammlung auch erstmal hinkriegen muss. Aber dann: Im ersten Monat nach der Eröffnung war der Eintritt frei (da war ich gerade nach München gezogen) und alleine in diesem Monat drängelten sich 200.000 Besucher*innen durch die Räume. Ein Irrsinn, aber wie toll! Da scheinen Agentur und Kunde wirklich sehr viel richtig gemacht zu haben. Falls das nach den gefühlt 500 Zeilen eben noch nicht deutlich geworden ist: Dieses Video ist eine klare Guckempfehlung.

Tagebuch, Samstag, 3. Januar 2018 – Notungs Trümmer zertrotzt’ ich mir nicht

Eigentlich wäre gestern der Siegfried in der Staatsoper drangewesen und bis Freitag abend war ich auch der Meinung, ich geh da hin und wenn ich wirklich alles zerhuste, gehe ich halt zur Pause, ehe mich einer von meinen Sitznachbarn erschlägt. Samstag setzte sich dann aber die Vernunft durch, die blöde Nervensäge.

Ich fühle mich gesund, aber der dusselige Husten ist halt immer noch da; deutlich weniger häufig, nicht schmerzhaft, jetzt kommt ein bisschen TMI: kein Schleim mehr, TMI vorbei, sorry und danke fürs Mitlesen, aber er ist halt da. Und wenn ich irgendetwas von vergangenen Bronchitissen oder wie immer hier der korrekte Plural lautet gelernt habe, dann: Nimm deine Lunge ernst, schon dich, kasper nicht rum. Also blieb ich brav zuhause, während F. sein sehr kurzentschlossenes Mütterchen in die Oper ausführte. Die Dame war noch nie in einer Wagner-Oper, fand es aber anscheinend sehr nett, und so kann ich mich immerhin darüber freuen, dass nicht nur meine erste Wagner-Oper der Siegfried war, sondern auch die meiner derzeitigen Schwiegermutter in spe. (F. schnappt gerade beim Lesen nach Luft, sorry, Hase!)

Das heißt natürlich auch, dass ich heute nicht nach Augsburg ins Stadion fahre. Mit angegriffenen Bronchien bei Nullgraden draußen rumzusitzen, scheint mir der Heilung nicht förderlich. Seufz. Noch kein Stadionbesuch in diesem Jahr.

Da meine Buchungssituation gerade so schön ist, traute ich mich, Geld für Bücher auszugeben und legte mir drei Standardwerke zur NS-Kunst zu, die ich sonst nur in der Bibliothek vor der Nase habe. Jedenfalls meistens, das Buch von Frau Brenner habe ich noch nie im ZI gefunden, ich glaube inzwischen, das hat jemand geklaut oder perfekt falsch eingeordnet. Dabei ist genau dieses Buch von 1963 die erste Auseinandersetzung mit NS-Kunst nach 1945 und deswegen habe ich es gerne als Ausgangspunkt für jeden Forschungsstand im Anschlag.

Im Thread zum Tweet schrieb ich noch, dass die „Dokumente der Unterwerfung“ von 1975 sind; das ist der Katalog zur ersten Ausstellung von NS-Kunst in Deutschland nach 1945 und war dementsprechend umstritten. In ihm sind aber noch heute grundlegende Aufsätze, in denen, was mich sehr erstaunt hat, als ich sie das erste Mal las, schon Thesen erwähnt werden, die wir heute noch versuchen zu belegen. Was wir im Rosenheim-Seminar und in der Ausstellung aufzeigen wollten, war die Kontinuität der Zeit, dass also nicht 1933 plötzlich in der Kunst alles anders wurde und 1945 wieder, sondern dass einiges schlicht weiterlief und nun verstärkt gefördert wurde (der ganze revanchistische und naturalistische Schnarchkram, der aussieht wie aus dem 19. Jahrhundert), während anderes offiziell verboten war, aber hinter den Kulissen – also fernab der Ausstellungswelt – weiterproduziert wurde (alles, was nicht nach revanchistischem und naturalistischem Schnarchkram aussieht). Wobei es auch da Ausnahmen gab, weswegen ich persönlich so von Carl Grossberg fasziniert bin, der, wie ich hier schon schrieb, heute als rein neusachlich wahrgenommen wird, aber zur NS-Zeit weiter an Ausstellungen teilnahm und 1942, zwei Jahre nach seinem Tod, sogar noch eine Einzelausstellung bekam – mit Bildern, die so gar nicht nach dem aussehen, was auf den Titelbildern im Tweet abgebildet ist.

Ein Beispiel: Das ist eine Seite aus dem Ausstellungskatalog von 1942, die ich mal eben für F. fotografiert hatte, um ihm zu zeigen, an was für spannendem Zeug ich wieder sitze. Ich habe mir den Titel nicht notiert, aber es war etwas in Richtung Tapetenfabrik, und ich meine mich daran zu erinnern, dass das Bild von 1938 ist.

Dirksen, Victor Alexander/Krause, Franz: Carl Grossberg. Sein Malschaffen 1920 bis 40, Dortmund 1942, S. 23.

Die auf den Titelbildern abgebildeten Gemälde sind Ivo Saligers Rast der Diana (1940) sowie Adolf Zieglers Göttin der Kunst (1938). Sehr deutlich erkennbar eine ganz andere Richtung als Grossberg, aber quasi zeitgleich entstanden. Ich will Grossberg jetzt um Himmels willen nicht unterstellen, ein NS-Maler zu sein, aber was mich an dem ganzen Themenkomplex so interessiert, ist eben diese Zweigleisigkeit der Kunstentwicklung bzw. die Diskrepanz zwischen den politischen Positionen und den hehren Reden und dem, was anscheinend trotzdem möglich war. Wobei ich Widerlichkeiten wie die Schau „Entartete Kunst“ und deren Folgen natürlich nicht ausblenden will.

Über dieses Thema zu bloggen, bedeutet für mich immer, 17 Disclaimer einzubauen, dass mir schon klar ist, dass das ein Drecksstaat war. Manchmal frage ich mich, warum Historiker*innen sich nicht dauernd von ihrem Forschungsfeld distanzieren müssen, aber die Kunstgeschichte schon.

Links von Samstag, 3. Februar 2018

Straightening out Ulysses. A translator’s notes.

The Paris Review republizierte gestern einen Artikel von 2017, in dem die französischen Übersetzer*innen von Ulysses von ihrer Arbeit berichten, zusammengefasst von einem der Übersetzer, Bernard Hœpffner, der letztes Jahr verstarb. Dass Ulysses als Team-Arbeit funktioniert, erschließt sich sofort, weil die Kapitel alle unterschiedlich klingen.

„October 30, 2000 – First meeting at Éditions Gallimard with several staff members, Stephen Joyce and his wife, Jacques Aubert (the general editor), and nine of the other preliminary translators. I am the sole professional translator. Antoine Gallimard appears briefly. Stephen Joyce promises not to interfere in the translation. Homage is paid to the “complete French translation of M. Auguste Morel, with the help of M. Stuart Gilbert, fully revised by M. Valery Larbaud and the author” (1929), which we decide to stow out of sight, at the expense of using the edition’s critical apparatus.

We agree, as our guiding principle, on the credo in Stephen Hero: “He put his lines together not word by word but letter by letter.” We also decide not to Gallicize everything, as Larbaud had done with the preceding translation.

Contract terms are discussed. The new translation will be published on June 16, 2004, the one hundredth anniversary of Bloomsday, with no notes.“

Ich fand es spannend zu lesen, dass auch Namen übersetzt wurden – Joyce spielte mit einigen Bestandteilen von Namen und wenn diese Bestandteile französisch waren, mussten eben auch die Namen galliziert werden:

„When it’s necessary to translate a proper name or a last name because there’s a particular significance that recurs in the text, we decide to find a name that “sounds” English (so as not to create a Dublin where everybody has French names). Blazes Boylan becomes Flam Boylan (a brilliant trick by Tiphaine—we ended up resolving many seemingly irresoluble problems after unwinding a bit), Miss Dubedat becomes Mlle Wimafoy, Alexander Keyes is rechristened Alexander Descley, and so on. What a strange activity to “translate” English names into English names; we’re veering dangerously far away from “translation,” from Charybdis, and we’ll be ensnared by Scylla.“

(Skylla und Charybdis ist ein Kapitel im Buch. Clevere Anspielung.)

Zum Schreien schwierig

Der obige Text meckert ein wenig an der deutschen Übersetzung herum, die den französischen Übersetzer*innen nicht bei ihrer Arbeit half. Über deren Entstehung durch Hans Wollschläger schrieb 1976 die Zeit einen langen Beitrag:

„Der „Ulysses“ wirkt noch heute wie der totale Roman, in dem alle möglichen Romane, auch die „aktuelleren“, bereits enthalten und in gewisser Weise im voraus entkräftet sind: wüst und zart, offen für Außen- wie Innenwelt, modern und vergangenheitsträchtig. Er ist in dieser Hinsicht, wie der französische Kritiker Edmond Jaloux weise sagte, „über jedes Lob erhaben“. Er hatte unabsehbare Folgen, aber keine Nachfolger.

Dieser Totalitätseindruck rührt unter anderem daher, daß der „Ulysses“ ein radikal neues Verhältnis zur Sprache bezieht. Sie ist hier nicht mehr bloß Werkzeug zur Wiedergabe einer Geschichte: Sie selber ist Stoff des Buches. „Ulysses“ ist unter anderem eine Enzyklopädie der Stile: vom feierlichen Heldensang, den Idiomen der Theologie, Philosophie, Naturwissenschaft, des Kommerzes, der Politik, des Sports, des Journalismus, über alten und neuen Realismus, Kitsch, Vaudeville bis zu den kaputtesten Slangs. Joyce – das ist vor allem ein einzigartiges Sprachgehör, das alle Sprachstadien und Sprachschichten in sich aufnimmt und verarbeitet.

Darum ist ein Superlativ bestimmt nicht verfehlt: „Ulysses“ ist der schwerstübersetzbare Roman der Weltliteratur – abgesehen von seiner Steigerungsform, Joyces Spätwerk „Finnegans Wake“; aber das ist jenseits der Übersetzbarkeit.“

In meinem Regal steht neben der Oxford-Ausgabe auch die Übersetzung. Ich habe mal geschaut, wie der schöne Satz aus einen meiner letzten Blogeinträge auf deutsch klingt. Hier das Original:

„Stephen, greeting, then all amort, followed a lubber jester, a wellkempt head, newbarbered, out of the vaulted cell into a shattering daylight of no thought.“ (Kapitel 9, Zeilen 1110–1113, Gabler-Edition.)

Übersetzung:

„Stephen grüßte und folgte dann melancholisch einem Flegel und Witzbold, einem wohlbewollten Kopf, einem frischbalbierten, aus der gewölbten Zelle hinaus in ein zerschmetterndes Taglicht keiner Gedanken.“ (Ulysses, übersetzt von Hans Wollschläger, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1981, S. 300.)

Wobei dieser Satz keine großen Sprachspielereien enthält, ich wollte nur wissen, wie er übersetzt klingt.

Im Juli erscheint übrigens eine revidierte Übersetzung, an der zehn Jahre gefeilt wurde; hier ein Logbuch-Eintrag des Suhrkamp-Verlags dazu.

Ulysses: Good or Bad? 21 Famous Writers and one Famous Pychoanalyst Weigh in

Ich bin jetzt erst gut bei der Hälfte im Buch, kann aber jedes dieser Statements schon nachvollziehen.

„AGAINST: I have read 200 pages [of Ulysses] so far—not a third; and have been amused, stimulated, charmed, interested, by the first 2 or 3 chapters—to the end of the cemetery scene; and then puzzled, bored, irritated and disillusioned by a queasy undergraduate scratching his pimples. And Tom, great Tom, thinks this is on par with War and Peace! An illiterate, underbred book it seems to me; the book of a self taught working man, and we all know how distressing they are, how egotistic, insistent, raw, striking, and ultimately nauseating. When one can have the cooked flesh, why have the raw? But I think if you are anaemic, as Tom is, there is a glory in blood. Being fairly normal myself I am soon ready for the classics again.

–Virginia Woolf, in a 1922 diary entry

[…]

FOR: I don’t want to get away from him. It’s male writers who have a problem with Joyce; they’re all “in the long shadow of Joyce, and who can step into his shoes?” I don’t want any shoes, thank you very much. Joyce made everything possible; he opened all the doors and windows. Also, I have a very strong theory that he was actually a woman. He wrote endlessly introspective and domestic things, which is the accusation made about women writers—there’s no action and nothing happens. Then you look at Ulysses and say, well, he was a girl, that was his secret.

–Anne Enright in a 2008 interview with the Boston Globe

The 50 best one-star Amazon reviews of James Joyce’s Ulysses

Gleich die erste reicht eigentlich schon: „I bought this having been a huge fan of the cartoon series, but Mr Joyce has taken a winning formula and produced a prize turkey. After 20 pages not only had Ulysses failed to even board his spaceship, but I had no idea at all what on earth was going on. Verdict: Rubbish.“

Links von Freitag, 2. Februar 2018

Animals on the Playing Field

Dieser Artikel machte mich gestern sehr glücklich. Das erste Eichhörnchen! Die Schattenmöwen!

Customer Satisfaction at the Push of a Button

In den Toilettenräumen des Münchner Flughafens hängen Displays, auf denen man aus drei Smiley-Gesichtern auswählen kann, wie zufrieden man mit den Örtlichkeiten war. Ich drücke immer gerne auf den grinsenden grünen Smiley. Aus diesen Daten kann man weitaus mehr erkennen als ich bisher dachte.

„In 2016, a European gas-station chain hired HappyOrNot, a small Finnish startup, to measure customer satisfaction at its hundred and fifty-plus outlets. One gas station rapidly emerged as the leader, and another as the distant laggard. But customer satisfaction can be influenced by factors unrelated to customer service, so, to check, the chain’s executives swapped the managers at the best and worst performers. Within a short time, the store at the top of the original list was at the bottom, the store at the bottom was at the top, and one of the managers was looking for work.“

Hat wenig mit dem Artikel zu tun, außer dass es um eine finnische Firma geht, aber den Satz mochte ich gerne: „There’s an old joke that a Finnish introvert looks at his shoes when he talks to you, and a Finnish extrovert looks at your shoes.“

Tony 2013 Opener

Ich gucke seit Tagen dieses uralte Video, einfach weil es mich sehr zufrieden macht. Und gut gelaunt. Die Wikipedia verriet mir, dass die Nummer von Lin-Manuel Miranda geschrieben wurde, der zusammen mit Tom Kitt dafür einen Emmy gewann.

„There’s a kid in the middle of nowhere sitting there,
living for Tony performances
singin’ and flippin’ along with the Pippins and Wickeds and Kinkys, Matildas and Mormonses.
So we might reassure that kid
And do something to spur that kid
Cause I promise you all of us up here tonight – we were that kid.“

Genau.

„Und, Anke, wie war so dein elftes Semester?“

(Erstes, zweites, drittes, viertes, fünftes, sechstes, siebtes, achtes, neuntes, zehntes Semester.)

In der Abrechnung zum zehnten Semester beantwortete ich die Frage in der Überschrift gleich im ersten Satz: „Es war das letzte, und das war mir immer bewusst.“ Da hatte ich natürlich vergessen, dass ich auch als Doktorandin Studentin bin und damit die lustige Semesterzählerei weitergeht, auch wenn auf meinem Studiausweis jetzt wieder eine 1 steht, wie beim BA- und nochmal bei MA-Anfang.

Ich habe gelernt, dass man Fehler durchaus mehrfach machen kann. Das ist der Punkt, über den ich mich immer noch und immer wieder ärgere. Bei der Bachelorarbeit hatte ich mir theoretisch ein tolles Thema überlegt, stellte das dem Prüfer vor, er nickte es ab, ich reichte es ein – und merkte beim ersten Bearbeiten, dass es totaler Quatsch war. Damals schwor ich mir, nie wieder so dusselig vorzupreschen, sondern anständig Vorarbeit zu leisten, bevor ich mich auf etwas festlege. Ich gewöhnte mir an, ergebnisoffen an Referate und Hausarbeiten heranzugehen; ich hatte zwar meist eine wolkige Frage im Hinterkopf oder eine Ahnung, wo es hinging, aber die genaue Fragestellung ergab sich erst aus dem gesichteten Material bzw. verfestigte sich oder änderte sich total.

Mit einer wolkigen Frage ging ich auch dieses Mal los, merkte aber, dass mir genau das gleiche passiert war wie in der Bachelorarbeit. Ich dachte, durch meine Vorarbeit in diesem speziellen Thema (Kunst im Nationalsozialismus) würde sich einfach wieder irgendwas ergeben, sobald ich anfing, Literatur und Quellen zu sichten, wobei mir die Literatur ja größtenteils bekannt war. Hier hatte ich mich von meiner Quellenidee aber total einlullen lassen und musste sehr schnell zugeben, dass meine Idee Mist war. Auch mit leichten Veränderungen an der Frage oder dem zu besprechenden Zeitraum. Und damit mache ich in der Diss genau das gleiche noch einmal, was ich schon in der BA-Arbeit machen musste: von vorne anfangen.

Ich habe gelernt, dass mir die Struktur und die Deadlines eines Seminars mehr fehlen als ich dachte. In der Masterarbeit hatte ich auch schon kein begleitendes Seminar mehr, aber immerhin an drei Terminen ein Kolloquium, wo man selbst seine Arbeit vortanzen musste und zuhören konnte, was die anderen so machen und womit sie Schwierigkeiten haben (oder auch nicht). Das fand ich spannend und abwechslungsreich, und es gab eben eine Deadline vor dem Abgabetermin, zu dem ich mir darüber klar sein musste, wohin die Reise geht. Gut, in diesem Semester fing die Reise schon mit einem völlig falschen Ziel an, aber irgendwie bin ich danach auch nicht wirklich wieder in den Tritt gekommen.

Ich habe mich bisher darum gedrückt, genauer zu beschreiben, was ich eigentlich in der Diss mache. Ich will das auch immer noch nicht komplett im Blog ausplaudern, aber die zweite Richtung, in die ich ging – nach der ersten, die ich nie ausplaudern werde –, ähnelte der Herangehensweise an Leo von Welden. Ich nahm mir zwei Künstler vor: einen neusachlichen Maler, den ich schlicht faszinierend finde und bei dem es zur NS-Zeit noch ein paar Forschungslücken gibt, und einen zweiten, mit dem sich niemand mehr beschäftigt, weil er als reiner NS-Maler angesehen wird: Carl Grossberg und Carl Theodor Protzen. Irgendwo im Hinterkopf hatte ich eine erneute Nachlassauswertung bei Grossberg, dessen schriftliches Erbe bisher nur von einer seiner Töchter für einen Katalog aus den 1990er Jahren erforscht wurde, sowie das Rumstöbern in Protzens Nachlass, der in Nürnberg im Kunstarchiv liegt. Wo genau ich hinwollte, wusste ich noch nicht, aber ich knabbere generell seit Monaten am Thema Industrie- und Technikdarstellungen herum. Das ist kunsthistorisch recht stiefmütterlich behandelt worden, und gerade die NS-Zeit liegt relativ brach (wobei es da durchaus schon Arbeiten gibt). Ich erwähnte bereits die Dissertation von 1987, die in der DDR erstellt wurde und die sich mit Industriemotiven in der deutschen Malerei und Grafik befasst. In ihr findet sich ein schöner Forschungsstand, bei dem ich es spannend zu sehen fand, wieviel Platz die Verfasserin den einzelnen Zeitabschnitten widmet, um zu den Themenkreisen der Bilder zu kommen: Die Zeit zwischen 1914 und 1933 hat acht Seiten, die Bundesrepublik 38, die DDR 20 – und die NS-Zeit eine.

Nach dem letzten Gespräch mit meinem Doktorvater habe ich eine leicht veränderte Richtung meines bisher wilden Rumlesens – ich weiß jetzt echt viel über die Reichsautobahn, obwohl ich mit der gar nichts anfangen will, denn darüber gibt’s schon genug –, bin ein bisschen von Grossberg und Protzen als tragende Figuren weg, aber am generellen Sujet Industriemalerei zur NS-Zeit näher dran. Mal sehen, wo es noch hingeht. Jedenfalls habe ich zum ersten Mal das Gefühl, das Ziel fassen und beschreiben zu können, was ich bisher eher blumig-wolkig-mal-sehen-was-die-Quellen-hergeben vermieden habe.

Ich habe (mal wieder, schon gut) gelernt, dass es manchmal sinnvoll ist, einen Schritt zurückzugehen, sich hinzusetzen und durchzuatmen und über alles nachzudenken anstatt in der üblichen Anke-Hektik weiterzurödeln. Im Nachhinein glaube ich, es wäre besser gewesen, ein Urlaubssemester einzulegen, sich also nicht sofort als Doktorandin einzuschreiben, sondern mal eine Pause zu machen. Erstmal die eigenen Ansprüche ordnen: Wo und wie will ich in den nächsten Jahren leben, was muss ich dafür tun, um dieses Ziel zu erreichen, auf was kann ich verzichten, auf was nicht?

Die letzten fünf Jahre des Studiums waren eine kleine Blase der Glückseligkeit, finanziert durch Ersparnisse und getragen von einer stets wachsenden Begeisterung für die Wissenschaft. Nach einigen Bewerbungsrunden und diversen akademischen Tweets bin ich mir inzwischen sicher, dass eine wissenschaftliche Karriere für mich nicht mehr machbar ist. An der Uni ist meine Karriere nie so recht in Schwung gekommen; ich wurde zwar mehrfach eingeladen, mich als wissenschaftliche Hilfskraft zu bewerben, aber es ist nie etwas daraus geworden, was ich schlicht aufs Alter schiebe. Das ist jetzt keine Koketterie, aber ich weiß, dass ich jünger aussehe als ich bin, und mitten in einem Seminar falle ich vielleicht nicht so auf, aber gegen mein Geburtsdatum schwarz auf weiß in einer Bewerbung kann ich leider nichts machen. Ähnlich ist es bei Museen, die werden zugeballert mit irrwitzig qualifizierten Bewerberinnen, und wenn ich gegen 25-Jährige anstinken soll, habe ich mit 48 schlicht verloren. Mir ist bei diesen Bewerbungen allerdings auch klar geworden, dass ich gar keine Lust habe, für einen Hungerlohn an den Rand der Republik zu ziehen, um nach den zwei Jahren eines Volontariats wieder auf Jobsuche zu gehen, die mit 50 vermutlich noch schwieriger wird.

Was mir in diesem Semester erstmals zu schaffen gemacht hat, war, dass ich das Ende meines Kontos sehen konnte. Ich jammere zwar seit Jahren, dass ich kein Geld mehr habe, aber allmählich habe ich wirklich keins mehr. Im Vergleich zu Festangestelltengehalt und der sprudelnden Quelle der fünfjährigen Dauerbuchung habe ich in den letzten fünf Jahren quasi nichts verdient, und langsam wird das sichtbar. Auf einmal hatte München ein Verfallsdatum und in ganz schlechten Momenten habe ich mich schon wieder in meinem Kinderzimmer in der Nähe von Hannover gesehen, weil ich mir diese Stadt schlicht nicht mehr leisten kann. Auch deswegen war klar, dass ich wieder in die Werbung gehen wollte, so fern mir diese Branche und ihr Gebaren inzwischen auch geworden war. Ich habe netterweise aber auch gemerkt, dass ich, sobald ich wieder als Texterin unterwegs war, das gerne war – und bin. Ich bin seit dem 2. Januar gebucht bis mindestens Anfang März mit der Option auf den ganzen März. Damit sind die nächsten Monate München entspannt finanziert, und schon fällt das Nachdenken über die Doktorarbeit wieder sehr viel leichter. Innerlich habe ich mir allerdings die Devise gegeben: Bis Juni wird jeder Job angenommen, der reinkommt, danach sehen wir weiter. Insofern wird es vielleicht vorerst beim Nachdenken bleiben, weil ich bei einer 40-stündigen Arbeitswoche schlicht nicht ins ZI komme, das sehr unfreundliche Öffnungszeiten hat. (Wochenendgeöffnete Lesesäle der Stabi, here I come! Nee, Moment, wann soll ich dann jemals wieder Fußball gucken? PROBLEME!)

Ich habe gelernt, dass es egal ist, ob man mit 48 oder mit 25 sein Studium beendet – die Panik „OH GOTT WAS JETZT?!?“ ist vermutlich in jeder Altersklasse gleich.

Ich habe gelernt, dass mir die letzten fünf Jahre genügend wissenschaftliches Rüstzeug mitgegeben habe, um mein Interesse an der Kunstgeschichte wachzuhalten, auch wenn ich damit beruflich vermutlich nichts mehr anfangen kann. Alleine die ganzen Bände im ZI, die es noch durchzulesen gilt! Ich bin beschäftigt.

Wenn ein Studium bedeutet, ein Interesse zu wecken und den Kopf aufzumachen für Neues, Anderes, Ungewohntes, dann hat es funktioniert. Wenn ein Studium bedeutet, mich zielgenau auf einen Job vorzubereiten, hat es total versagt. Aber ehrlich gesagt finde ich die erste Variante eh sinnvoller. Irgendeinen Job gibt’s immer. Aber diese Neugier auf Wissen, die Lust am Lernen, die habe ich neu entdecken dürfen. Und dafür bin ich sehr dankbar.