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31.12.2017

2017 Revisited

(2016, 2015, 2014, 2013, 2012, 2011, 2010, 2009, 2008, 2007, 2006, 2005, 2004, 2003.)

1. Der hirnrissigste Plan?

Ich glaube, man kann meinen Plan, mich weiterhin kunsthistorisch bilden zu wollen, obwohl vermutlich keine Karriere mehr daraus wird, als hirnrissig bezeichnen. Oder als gut für die Seele. #dissertation

Runner-up: den Wiesntisch ausgerechnet am Vorabend der Bundestagswahl zu haben, bei der ich Wahldienst leistete und dementsprechend früh aufstehen musste.

2. Die gefährlichste Unternehmung?

Im fünften Stock Fenster zu putzen. Erkältet bei offenem Fenster zu schlafen. Die heiße Suppe auf dem Löffel nicht anzupusten. Oder anders gesagt: Ich war sehr risikoscheu in diesem Jahr.

3. Die teuerste Anschaffung?

Mein altes iPhone zickte ungefähr ein Jahr rum und ich erduldete es, weil ich gerade kein Geld ausgeben möchte, wenn es nicht unbedingt nötig ist, aber in Kassel auf der documenta war ich kurz davor, das Telefon an die Wand zu werfen. Obwohl ich wusste, dass bald neue iPhones rauskommen, kaufte ich ein quasi veraltetes – einfach, um wieder ein funktionierendes Handy zu haben, das mich nicht wahnsinnig macht. 430 gut angelegte Euro. Jetzt kann ich wieder mindestens eine Generation überspringen.

4. Das leckerste Essen?

Ich befülle diesen Fragebogen immer über Monate hinweg, er liegt ab spätestens Mitte des Jahres in den Entwürfen, damit ich nichts vergesse. Bis Oktober stand hier: Der erste Kaffee mit selbst gemahlenen Bohnen. Der erste selbstgebastelte Irish Coffee. Das Voit in Kassel. Immer wieder das Broeding.

Nach Oktober kann hier nur noch das Tantris stehen. Ganz weit vorne und ohne jede Konkurrenz. F. und ich reden immer noch ehrfürchtig darüber.

5. Das beeindruckendste Buch?

Comic: Mawils Kinderland. War leider der einzige, den ich dieses Jahr gelesen habe, aber dafür war er richtig gut.

Sachbuch: The Unwinding: Thirty Years of American Decline von George Packer. Ist bereits 2014 erschienen, liest sich aber wie eine Bedienungsanleitung für die Wahl Donald Trumps. Sehr unangenehm, aber unwiderstehlich geschrieben, auch wenn die Stileigenheiten nach 200 Seiten etwas nervig werden.

Runner-up: Da hätte ich gleich zwei. Mein Verständnis für die Nachkriegspolitik in Europa hat James L. Sheehans Where Have All the Soldiers Gone? The Transformation of Modern Europe (auf deutsch: Kontinent der Gewalt: Europas langer Weg zum Frieden) sehr verbessert, und die englische Fassung las sich ganz hervorragend. Direkt dahinter: Carolin Emckes Gegen den Hass.

Fiktion: A Little Life von Hanya Yanagihara. Selten hat mich ein Buch so mitgenommen. Im Prinzip gleichauf: The Underground Railroad von Colson Whitehead. Außer Konkurrenz: The Handmaid’s Tale von Margaret Atwood. Das habe ich auch als Serie gleichzeitig fasziniert und verängstigt verfolgt.

6. Der ergreifendste Film?

Coco vor Moonlight. Lobende Erwähnung geht an Get Out; eigentlich mag ich keine Horrorfilme, aber der hier hatte eben doch deutlich mehr zu bieten als puren Grusel.

Generell sehe ich immer weniger Filme, sondern lungere stundenlang vor Serien rum (danke, Netflix). In diesem Jahr mochte ich Please Like Me, BoJack Horseman und Rick and Morty am liebsten. Weiterhin Pflichtprogramm sind seit letzter Season The Good Place und This Is Us, seit diesem Jahr wieder Will & Grace (I MISSED YOU SO MUCH!), seit immer Grey’s Anatomy und zum Schmachten Outlander. Hoffentlich hört Better Call Saul nie auf, jetzt wo ich von meinen geliebten The Leftovers Abschied nehmen musste.

7. Die beste CD? Der beste Download?

Keine Musik gekauft, aber dafür brav für Spotify Premium gezahlt. Das lohnt sich beim Walken jetzt so richtig, wo ich immer dem kompletten Mix der Woche zuhöre und nicht nur den ersten drei Songs.

8. Das schönste Konzert?

Nur in einem mit den Münchner Symphonikern gewesen, daher war das eindeutig das schönste. Und in der Oper war Rusalka als All-Time-Favorite vorne.

9. Die tollste Ausstellung?

Ich habe die irrwitzig große und vollgehängte Postwar-Ausstellung im Haus der Kunst als grundlegend wahrgenommen. Sie hat mein Wissen über die Nachkriegskunst entscheidend erweitert, vor allem, weil sie sich nicht auf Europa und die USA beschränkt hat, sondern ich mir auch Kunst aus Asien und Afrika anschauen konnte. Wer die Gelegenheit hat, im gefühlt acht Kilo schweren und knapp 900 Seiten dicken Katalog zu blättern, sollte das tun.

Ebenfalls im Haus der Kunst sah ich Thomas Struth, über den wir im Podcast gesprochen haben und mit dem ich mich in einem Einzelmeister beschäftigte. Die Ausstellung wurde verlängert und läuft noch bis zum 7. Januar – schnell noch rein!

Völlig überwältigt war ich von Hisako Inoues Bibliothek der Gerüche in der Villa Stuck. Ich habe leider nicht über sie gebloggt, aber wir sprachen im Podcast begeistert darüber, wie toll es ist, seine Nase in Bücher zu stecken. Auch diese kleine Ausstellung läuft noch und zwar bis zum 14. Januar.

Für mich persönlich hat sich der Besuch in der Galerie Michael Hasenclever sehr gelohnt, in der ich mir Carl Grossberg anschauen konnte.

10. Die meiste Zeit verbracht mit …?

Lesen und schreiben. Ab August Zukunftspanik schieben.

11. Die schönste Zeit verbracht mit …?

Lesen und schreiben. Und kuscheln. Netterweise nicht erst seit August.

12. Vorherrschendes Gefühl 2017?

Okay, jetzt schnell ein Masterthema finden! Okay, jetzt schnell die Masterarbeit schreiben! Okay, jetzt schnell ein Dissertationsthema finden! Okay, jetzt für die Promotion immatrikulieren! Okay, jetzt bei allen Werbeagenturen, die dich jemals gebucht haben, vorstellig werden! Okay, zwischendurch mal atmen und dich hinsetzen und über dein Leben nachdenken. … nee, warte, doofe Idee, lieber atemlos weiterhetzen!

Das nervt mich seit einigen Wochen gewaltig, dass ich nach der Masterarbeit keinen bewussten Schnitt gemacht habe, um mich neu aufzustellen. Was genau will ich in den nächsten Jahren machen, wo, mit wem? Wie positioniere ich mich und als was eigentlich? Da habe ich sehr viele hysterische Schnellschüsse produziert anstatt erst zu denken und dann zu schreiben. Immerhin ist am Jahresende doch noch eine neue Website dabei rausgekommen, die ich hinter den Kulissen gefühlt fünfmal komplett umgeschmissen habe. Jetzt bin ich mit ihr und meiner Positionierung aber sehr zufrieden.

13. 2017 zum ersten Mal getan?

Cold Brew angesetzt. Eine Dauerkarte für einen Fußballverein besessen. (Na gut, nur ne halbe, aber das zählt, finde ich.) Ein, zwei Museumskataloge in der Hand gehabt, in denen der eigene Name steht. In Regensburg gewesen. Im Ägyptischen Museum München gewesen. Auf der documenta gewesen. Eine Masterarbeit abgegeben. Doktorandin geworden. Im Tantris gegessen. Stundenlang übers Olympiagelände gegangen.

14. 2017 nach langer Zeit wieder getan?

Ein Studium abgeschlossen (MA, der BA war 2015, das lasse ich als „lange Zeit“ durchgehen). Halbwegs regelmäßig Sport gemacht. Eine gedruckte Zeitung abonniert. Vorstellungsgespräche gehabt. Wahldienst geleistet.

15. Drei Dinge, auf die ich gut hätte verzichten können?

Die erste Diss-Idee, die keine fünf Minuten hielt. Die gefühlt zehn Erkältungen im November. Der Abstiegskampf vom FC Augsburg in der Saison 2016/17, der mich als So-gerade-noch-Bayern-Fan aber sehr geerdet hat – so fühlt sich also normaler Fußball an.

16. Die wichtigste Sache, von der ich jemanden überzeugen wollte?

Die ganzen Hamburger und Berliner Agenturen, mich wieder für die Langstrecke zu buchen, nachdem ich fünf Jahre lang nur kleine Jobs angenommen habe, weil die Uni halt wichtiger war. Das läuft langsam an, was mich sehr freut.

Meinen Doktorvater musste ich nicht groß von mir überzeugen. Ich nehme das als gutes Zeichen.

17. Das schönste Geschenk, das ich jemandem gemacht habe?

Am letzten documenta-Tag nicht mehr zu quengeln.

18. Das schönste Geschenk, das mir jemand gemacht hat?

Der Besuch im Tantris, den eine Leserin übernommen hat. Die Opernkarte für Rusalka, die total überraschend kam. Eine neue Website. Eine Kaffeeflasche. Und lauter süße Kleinigkeiten, die F. auf mein Kopfkissen legt, während ich mich im Bad für die Nacht fertig mache. („Du musst mir nicht dauernd was schenken.“ – „Aber du freust dich immer so.“ – „😍“)

19. Der schönste Satz, den jemand zu mir gesagt hat?

„Diss passt.“

20. Der schönste Satz, den ich zu jemandem gesagt habe?

„Ich freue mich darüber, bei jemandem im Arm zu liegen, der sich darüber freut, dass ich bei ihm im Arm liege.“

21. 2017 war mit einem Wort …?

Unlangweilig.

30.12.2017

What Anke Ate in 2017

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28.12.2017

Meine Großeltern

Weihnachten verbringe ich seit einigen Jahren immer in der alten Heimat, also dem Wohnort meiner Eltern. So setzte ich mich auch in diesem Jahr am Heiligen Abend in München in den Flieger und ließ mich vom Schwesterherz in Hannover abholen, genoss zweieinhalb ruhige und entspannte Tage und flog am späten Nachmittag des 26. Dezember wieder nach Hause. Die Zeiten, in denen wir mit Kaffee, Tee und Plätzchen oder Pralinen, Whisky und Sekt um diverse Tische saßen, nutzte ich, um meine Eltern nach ihren Eltern auszufragen. Ein paar Dinge wusste ich, aber diesen Blogeintrag der Kaltmamsell von Anfang Dezember wollte ich doch nicht kommentieren, weil ich mir bei einigen Details nicht sicher war.

Ich wusste, dass Opa (die Eltern meines Vaters heißen bei uns Oma und Opa, die meiner Mutter Omi und theoretisch Opi, denn den lernte ich nie kennen) in der Wehrmacht gewesen war, wie so viele seines Geburtsjahrgangs, und ich wusste auch, dass er ein paar Auszeichnungen bekommen hatte, die Papa im Bankschließfach aufbewahrt. Sie sind nicht sehr viel wert – ich habe bei einigen Militaria-Händlern gegoogelt –, aber da liegen sie trotzdem gut. Aus Interesse an der NS-Zeit, mit der ich mich bekanntermaßen auch in der Dissertation beschäftigen werde, bat ich Papa, sie aus dem Schließfach zu holen, damit ich sie mir anschauen könnte. Im Zuge dessen meinte Papa, er habe mir auch den Ordner rausgelegt, in dem er die Verleihungsurkunden zu den Ehrenzeichen aufbewahrte. Erster Lerneffekt über die Feiertage: Es gibt schriftliche Unterlagen zum Blech. Wusste ich nicht.

Ich verbrachte einen Teil des ersten Weihnachtstags damit, Schriftstücke zu scannen; im Ordner von Opa fand ich auch einiges von Oma, die vor ihm verstorben war und deren Unterlagen er scheinbar einfach zu seinen genommen hatte. Viel war es nicht, aber jetzt kann ich drüben endlich kommentieren bzw. auf einen anständigen Blogeintrag verlinken.

Mein Opa stammt aus Baden-Württemberg, wo er direkt nach seiner achtjährigen Schule eine vierjährige Glasschleifer-Lehre bei WMF machte; sein Gesellenstück, eine Obstschale, besitzen wir heute noch. Während der Zeit der Weltwirtschaftskrise war er als Kurzarbeiter tätig, bevor er 1934 kurzzeitig Polizist in Ulm wurde. 1935 trat Opa in die Wehrmacht ein. Er war bei der Luftwaffe, ließ sich im Laufe der Zeit zum Bordmechaniker ausbilden und verließ das Heer als Oberfeldwebel. In seinen Unterlagen finden sich zwei Verpflichtungserklärungen, eine von 1935, eine von 1938, von denen die letzte theoretisch bis September 1946 gegolten hätte. Ich fand auch die Unterlagen der Alliierten über seine Entlassung aus den Streitkräften („Certificate of Discharge“) vom 25. Juni 1945. Nach seiner Kriegsgefangenschaft, von der ich nicht weiß, wo er sie verlebt hat und wie lange sie dauerte, erlernte er das Zimmermannshandwerk, das er bis zu seinem Tod ausübte. 1957 bewarb er sich für einen Posten in der inzwischen gegründeten Bundeswehr, scheint aber abgelehnt worden zu sein. In seinen Unterlagen finden sich zwei von ihm handgeschriebene Lebensläufe, einer von August 1945, in dem seine Gefangenschaft noch nicht erwähnt wird, und einer von 1957, der für die Bewerbung zur Bundeswehr erstellt wurde. Wofür der erste war, weiß ich leider nicht.

Während seiner Wehrmachtszeit wurde Opa nach Norddeutschland versetzt, wo er meine Oma kennenlernte. Sie stammte aus Oldenburg und war nach ihrer Schulzeit als Küchenhilfe tätig. Ich fand Unterlagen bzw. Zeugnisse von verschiedenen Orten, zum Beispiel einer Heil- und Pflegeanstalt sowie von einem Gasthof auf Wangerooge. Ich erinnere mich, dass Oma manchmal von ihrer Zeit „auf der Insel“ erzählt hatte. Eine berufliche Ausbildung hat sie anscheinend nicht gemacht, sie ging, wie es für viele Frauen ihrer Zeit üblich war, nach der Schule „in Stellung“. Während des Kriegs arbeitete sie als Köchin, unter anderem in einem Gefangenenlager für französische Soldaten. Mit mindestens einem von ihnen hatte sie noch jahrzehntelang brieflichen Kontakt, aber Genaueres wusste mein Vater auch nicht. Ich habe auch keine Briefe gefunden. Ich kannte Oma als immer beschäftigte Frau, auch wenn sie, soweit ich das verstanden habe, nach 1945 keinen Beruf mehr ausübte, sondern sich um Haus, Familie, Garten und Kleinvieh kümmerte; ich kenne noch den Hühnerhof bei Oma und Opa, aber auf alten Fotos sind auch noch Ziegen, Schweine und Schafe zu sehen. Sie engagierte sich beim Aufbau des DRK in ihrem Wohnort und wurde dafür mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet; ich weiß peinlicherweise gerade das Jahr nicht, aber Ernst Albrecht war Ministerpräsident, es müsste also irgendwann in den 1980er Jahren gewesen sein. Sie ist 1989 gestorben.

Auch meine Omi ging nach ihrer Schulzeit „in Stellung“; sie kam aus der Nähe von Bartenstein, dem heutigen Bartoszyce. Soweit ich weiß, war sie als Hausmädchen bzw. Hauswirtschafterin tätig. Auf dem Foto ist sie links zu sehen, recht von ihr steht ihre Schwester, deren Mann 1944 fiel (glaube ich). Mein Großvater fiel bereits 1943 bei Leningrad. Die Schwestern blieben für den Rest ihres Lebens zusammen und heiraten beide nicht mehr. Meine Mutter erzählte, dass Omi eigentlich ihren Schwager hätte heiraten sollen, was sie aber nicht wollte. Sie hatte danach auch keinen Kontakt mehr zur Familie ihres Mannes; meine Mutter konnte sich auch nicht wirklich an ihre Großeltern erinnern. Ihr Großvater floh irgendwann in den Westen. 1948 flohen auch Omi, ihre Schwester und ihre insgesamt vier Kleinkinder in die damalige sowjetisch besetzte Zone, bevor sie 1951 (1953?) nach Westdeutschland zu einer Verwandten übersiedeln konnten. Meine Mutter erzählte mir, dass sie anfangs zu neunt auf zwei Zimmern gewohnt hatten. Meine Omi war danach als Hauswirtschafterin bei einer Familie im Ort angestellt, die ein für mich irrwitzig großes Haus mit ebenso irrwitzig großem Garten besaßen. Meine Schwester und ich durften manchmal dort vorbeischauen, wenn unsere Schule vorbei war und Mama noch arbeitete. Ich war immer sehr vom Klavier beeindruckt, an das ich mich aber nur selten rantraute, und ich weiß noch, wie sehr ich den blöden Boxer gehasst habe, der immer sabbernd auf einen zusprang.

Meine Mutter erzählte, dass sie bereits nach der Volksschule in die Lehre gehen musste, weil das Schulgeld für eine weiterführende Schule nicht zu bezahlen war. Auch deswegen habe sie sehr darauf geachtet, dass meine Schwester und ich die bestmögliche Bildung bekamen. Wir sind beide auf dem Gymnasium gewesen, meine Schwester hat neben ihrer Angestelltentätigkeit noch ein Abendstudium gemacht und ich bin die erste Doktorandin unserer Familie.

Über meinen Opi, wenn ich ihn denn hätte so nennen dürfen, weiß ich leider gar nichts.

24.11.2017

Kunst gucken: Einzelmeister – Martin Parr, „Gourock Lido“ (2004)

In der Kategorie „Einzelmeister“ betrachte ich ein Werk, meist mit wenig bis gar keinen Vorkenntnissen, schreibe auf, was ich sehe, und gehe dann in die Bibliothek, um mir etwas Wissen anzulesen. Einige der Arbeiten Parrs kannte ich, vor allem The Last Resort, das Foto vom Gourock Lido kannte ich nicht.

Was ich sehe:

Gourock Lido ist eine Fotografie im Querformat. In der Ausstellung Souvenir im Kunstfoyer München hing es an einer einzelnen Wand und musste nicht mit neben ihm gehängten Werken um meine Aufmerksamkeit buhlen. Aber ich glaube, auch in Gesellschaft wäre ich länger vor diesem Bild stehen geblieben. Es fällt aus den weiteren Bildern der Ausstellung heraus; es wirkt großflächiger, weniger detailreich, weniger grell und bunt. Das mag daran liegen, dass das Bild von großen Farbflächen beherrscht wird und der Mensch, Parrs Lieblingssubjekt, fast nur Beiwerk ist.

In der unteren Hälfte des Bildes ist ein öffentlicher Pool zu sehen. Das Blau des bewegten Wassers entspricht fast dem der Balustrade, die das Schwimmbad vom ebenfalls bewegen Fluss trennt, der direkt hinter dem Bad zu sehen ist. Das Blau findet sich auch in den Pollern im Bildvordergrund wieder sowie im Papierkorb in der Bildmitte, der mit einer hellen Werbung beklebt ist. Rechts und links vom Papierkorb stehen weiße Liegestühle, nicht ganz ordentlich, vielleicht hat der Wind, der das Wasser aufwühlt, auch die Liegen etwas verschoben. Sie sind komplett unbelegt, das Wetter lädt nicht unbedingt dazu ein, sich auf ihnen auszuruhen. Ein einzelner männlicher Schwimmer in dunkler Badehose zieht trotzdem seine Bahnen.

Ignoriert man den Fluss und den weiteren Bildhintergrund, der die obere Hälfte des Bildes einnimmt, hat das Bild etwas Friedliches, fast Niedliches. Ein kleiner roter Rettungsring ist links im Bild zu sehen, im Vordergrund steht ein ins lachsfarben ausgeblichener Hochsitz für den derzeit anscheinend abwesenden Bademeister.

Aber hinter dem knackigen Blau wälzt sich der dunkelgraue Clyde entlang, auf seinen Wellen blitzen ab und zu weiße Schaumkronen auf. Am rechten Bildrand scheint ein kleines Segelboot dringend in den Hafen zurückzuwollen. Man kann das Ufer des Flusses kaum erkennen, es geht, nur durch eine schmale helle Linie angedeutet, direkt in eine bergige, dunkelgrüngraue Landschaft über, die unter einem tiefen, grauen Himmel hängt. Ein Sturm zieht auf.

Was ich las:

Anscheinend bin ich nicht die einzige, die von diesem Pool-Bild fasziniert ist. Catrin Barnsteiner begann ihren Artikel in der Welt vom 16. Dezember 2007 auch mit diesem Bild, und sie sagt auch, was ich über Parrs Werke denke, auf denen zum allergrößten Teil Menschen zu sehen sind: Er macht sich nicht über seine Subjekte lustig, auch wenn diese vielleicht nicht normgerecht aussehen oder skurrile Dinge tun:

„Es ist immer genau der Moment, bevor wir uns eine Pose aussuchen oder gerade nachdem wir die Pose aufgegeben haben und erschöpft die Füße hochlegen. Szenen, wie wir sie hinter Schlüssellöchern finden. Nur: Martin Parr schaut nie durch Schlüssellöcher, das ist gar nicht nötig. Alles, was wir hier sehen, hat sich in aller Öffentlichkeit so zugetragen. Das löst Unbehagen aus – denn: Sind die Leute echt so?

Martin Parr fragt nie vorher, ob er jemand fotografieren darf, damit sich der nicht schnell in Szene setzen kann. Kritiker werfen ihm vor, in seinen Bildern die Menschen bloßzustellen. […] Und vielleicht ist das auch ein Grund, warum man nicht wegschauen kann von diesen Fotos: Martin Parr fotografiert nicht irgendwen – sondern uns. Alle. Nur – Gott sei Dank und Glück gehabt – dieses Mal bleiben wir unerkannt in der Gestalt einer dicklichen Engländerin mit Badetuch um die Hüften.“

Vielleicht war ich auch deshalb so von Gourock Lido fasziniert, weil dort der Mensch zu einem kleinen Detail wird und nicht im Mittelpunkt steht. Das Bild lebt vom Kontrast des quietschigen Aquamarin zum bedrohlichen Grüngrau, aber auch davon, dass die Natur hier scheinbar die Zivilisation – oder was wir für sie halten – wieder in die Schranken weisen will.

Der Herr im Bild ist übrigens Zahnarzt und hat sich erst viele Jahre nach der Aufnahme überrascht entdeckt. Er meint, das Foto fange hervorragend eine Facette schottischer Schrulligkeit ein: „the eccentric local who decided to go swimming when no one else would.“ In den Kommentaren zum Artikel weist ein Autor darauf hin, dass es wohl nur wenige Menschen gäbe, die von Parr abgelichtet wurden und sich im Nachhinein zu erkennen geben wollen; er verlinkt auf einige Bilder, die man auf den ersten Blick als „unvorteilhaft“ ansehen könnte. Aber auch hier würde ich widersprechen.

Im Podcast zu Parr habe ich es mehrfach gesagt: Meiner Meinung nach stellt Parr nicht bloß, sondern bildet ab, unvoreingenommen und immer im Bewusstsein, dass er selbst nicht besser ist. Seine wunderbare Serie Autoportraits zeigt das recht gut: Dort lässt sich Parr von anderen Menschen (oder Automaten) fotografieren und sieht genauso seltsam aus wie wir alle.

Sandra Phillips nennt Parrs Fotografie „socially observant photography“. Sie beschreibt in ihrem Buch von 2007, wie Parr sich von seinen ersten Gehversuche in Schwarzweiß der Farbfotografie zuwandte, ein Weitwinkelobjektiv sowie mehr Blitzlicht, auch tagsüber, nutzte, um die fast grelle, schattenlose Farbigkeit seiner Bilder zu erreichen. Sie erwähnt einflussreiche Fotobücher, die Parr nachweislich (teilweise spricht er in Interviews oder eigenen Veröffentlichungen selbst darüber) gelesen hat, zum Beispiel Robert Franks The Americans oder Walker Evans Let Us Now Praise Famous Men. Beide zeigen vor allem die amerikanische Unter- und Mittelschicht; auch Parr fotografierte zunächst eher Menschen dieser Klassen in seiner Umgebung, zum Beispiel in New Brighton. Sein Buch The Last Resort zeigt genau diese Menschen. Phillips unterstellt diesen Personen eine gewisse Vulgarität, meint aber auch, dass Parr hier vor allem den Wandel in der britischen Gesellschaft zeigen wollte: Es ginge nicht mehr darum, einfach sein Leben zu leben, sondern sich zu zeigen, materielle Werte zu erringen, in der Arbeiterklasse so zu tun, als sei man schon Mittelklasse.

Im Buch Common Sense konzentriert sich Parr auf die neuen Trophäen dieser Klasse: Tattoos, Fast Food, Gebrauchsobjekte, die in Massen gekauft und weggeworfen werden. Phillips kann dieser Serie nicht so viel abgewinnen:

„These pictures show us what we have become by that we eat. They are frightening – how can people consume so much grotesque food, how can we treat our own bodies so tastelessly and cheaply and with such reckless abandon? All of us have grown too fond of cheap sugar and fat, and of food produced by brand-name companies rather than food made with care. These pictures are as close to hatefulness as Parr has ever come.“ (Phillips 2007, o. S.)

Hier fühlte ich mich arg an die händeknetenden Moralapostel erinnert, die uns zuwimmern, bitte keine Fertigpizza zu essen, wo es doch so schönen Salat gibt. Ich habe eine andere Lesart dieser Bilder, auch weil ich persönlich keine Angst vor Zucker und Fett habe und genau diese Angst bescheuerter und ungesünder finde als das zu essen, was einem halt schmeckt. Hartwig Dingfelder, der für die Bremer Kunsthalle über Parrs Bild Doughnut, Margate aus der eigenen Sammlung schrieb, findet fettiges Essen – und damit die Menschen, die es verspeisen – auch irgendwie bäh:

„Wie ein Alarmsignal wirkt der Schmutz unter den Fingernägeln des Kindes, unappetitlich schimmert der Fettglanz auf der Haut, schmuddelig erscheint der angegraute Anorak im Hintergrund.“ (Dingfelder 2011, 316.)

Spannend, wie unterschiedlich man auf Bilder schauen kann: Ohne dass ich das Kind sehe, das mit dreckigen Fingernägeln zu einem süßen Donut greift, glaube ich, dass dieses Kind gerade sehr glücklich ist und ihm sein vom Spielen angeschmutzter Anorak total egal. Meiner Meinung nach entlarven diese Interpretationen eher die Autor_innen als den Fotografen.

„Das Schöne an Martin Parrs Bildern ist, dass sie nichts wollen. Keine Konsumkritik üben, kein Mahnmal der Wegwerfgesellschaft sein oder die englischen Klassenunterschiede anprangern. Journalisten mit allzu komplexen Interpretationsversuchen warnt Martin Parr dann auch: ‚Ich bin kein Intellektueller. Ich fotografiere nur das, was ich sehe.‘“ (Barnsteiner 2007.)

Val Williams beschrieb diesen entlarvenden Blick sehr schön:

„Martin Parr’s photographs can make us feel very uncomfortable. He has made a comedy about the food we eat, the clothes we wear, the places we go; scrutinized the very way we live our lives. Some might say that Martin Parr has exploited our lack of taste and good judgment by picturing it all, latterly in the brightest of colours, exposing our petty vanities to the world. Others, who have perhaps a more honed sense of the political, […] could insist that Parr has merely recorded a myriad of social ills, the loosening of community ties, the mass embrace of consumerism, the manic pursuit of leisure and global tourism, the vanity fair of the English middle class and the phantasmagoria of the sub-class that emerged in Britain during the 1980s.“ (Williams 2014, 3/4.)

Williams weist auch auf eine Stärke Parrs hin: seine extreme Farbigkeit. Sie nennt sie eine „visual extravaganza“; seine Fotos seien ein Spiegel von, aber kein Urteil über diese Welt. (S. 10.) Manches ist eben einfach sehr bunt und sehr schrill und vielleicht sehr fett oder sehr billig, aber sich darüber zu beklagen, hat für mich den Geschmack des Snobismus. Gerade Nahrung ist heute ein Distinktionsmerkmal; der Weg von „dieses Plunderteilchen ist bestimmt nicht gesund“ zu „Der Mensch, der dieses Plunderteilchen isst, ist nicht gesund und vermutlich zu doof, was Vernünftiges zu essen und liegt mir garantiert auf der Tasche, weil meine Krankenkassenbeiträge steigen“ ist unangenehm kurz und wenn man sich jede beliebige Diskussion zu Essen online anschaut, weiß man, dass viele ihn schon gegangen sind, ohne ihn weiter zu hinterfragen. Für mich ist jeder ästhetisch dampfende Spiced Pumpkin Latte auf Instagram eher ein sozialer, weil distinktiver Kommentar als die Fleischberge, die Parr ablichtet oder die eingeschweißten Süßigkeiten, die bereits an der Folie kleben, weil die Auslage zu warm ist.

Ich gebe zu, ich bin sehr weit vom Gourock Lido weggekommen, aber ich mag Parrs Bildsprache sehr gerne und reagiere etwas gereizt auf manche Unterstellungen. Obwohl ich ihm natürlich genauso Dinge unterstelle, nämlich, dass er kein Problem damit hat, wenn Leute Fast Food essen, rauchen, sich bis zum Hautkrebs sonnen oder in Massen vor der Mona Lisa stehen, ohne das Bild richtig sehen zu können, weil man da halt mal hin muss, wenn man in Paris ist, wo man auch nur hin muss, weil alle irgendwie hinfahren. Ich mag an ihm, dass er scheinbare Nebensächlichkeiten ins Zentrum seiner Arbeit stellt – und dass diese anscheinend keine Nebensächlichkeiten sind, denn sonst würden sich nicht diverse Kataloge an ihm abarbeiten. Auch das Bild vom Gourock Lido, dem ersten beheizten Außenpool Schottlands, ist eigentlich eine Nebensächlichkeit: Das Foto entstand im Rahmen einer Auftragsarbeit, die Parr für den schottischen Architekten John McAsland ausführte. Er sollte die A8 in Schottland fotografieren, aber Parr interessierte sich natürlich eher für die durchschnittlichen Menschen entlang dieser Straße, die teilweise unästhetischen Bauwerke und – natürlich – das Essen. Ich glaube, ich bin in der Ausstellung auch deshalb so lange vor diesem Bild geblieben, weil es eben so untypisch ist. Es zeigt mir nicht die Welt, die ich sowieso jeden Tag um mich herum sehe, sondern eine andere. Aber selbst in ihr findet sich eine Werbung auf dem Papierkorb, vermutlich für Eiscreme, billiges Plastik anstatt solidem Metall und ein Mann mit einer leichten Glatze beim ungelenken Brustschwimmen.

Literatur:

Barnett, Laura: „ That’s me in the picture: Ian Galt, swimmer in Martin Parr’s image of Gourock lido“, in: The Guardian, 27.9.2014, abrufbar unter https://www.theguardian.com/artanddesign/2014/sep/27/gourock-lido-martin-parr-swimmer-in-picture.

Barnsteiner, Catrin: „Die wundersame Urlaubswelt des Mr. Parr“, in: Welt, 16.12.2007, abrufbar unter https://www.welt.de/kultur/article1460820/Die-wundersame-Urlaubswelt-des-Mr-Parr.html.

Dingfelder, Hartwig: „Martin Parr: ‚Doughnut, Margate‘ (Common Sense), 1997“, in: Kreul, Andreas/Riemer, Katja (Hrsg.): Wunderkammermusik, Köln 2011, S. 316/317.

Phillips, Sandra S.: Martin Parr, London 2007.

Williams, Val: Martin Parr, London 2014.

6.11.2017

Gelesen: „The Underground Railroad“

Ich habe den kompletten Sonntag auf meinem Sofa verbracht, um das Buch durchzulesen, das ich am Samstag begonnen hatte: The Underground Railroad von Colson Whitehead, hier der Link zur deutschen Fassung, Übersetzung von Nikolaus Stingl. Nach dem Reinlesen in die deutsche Leseprobe glaube ich, dass die Übersetzung gut gelungen ist, denn was mir am Roman fast am besten gefallen hat, war seine unromanhafte Sprache, er liest sich fast dokumentarisch. Das ist allerdings auch genau die fiese Falle, in die man als Leserin tappt – man meint, historische Fakten mit einer Romanhandlung ummantelt zu lesen, was größtenteils falsch ist. Aber das hat mir noch vor der Sprache am besten gefallen.

Ich interessiere mich schon recht lange für den Amerikanischen Bürgerkrieg bzw. seine Vorgeschichte sowie die Zeit danach (Reconstruction). Neben Machwerken wie Vom Winde verweht, das ich mit 13 erstmals las und damit ein richtig schön falsches Bild der Südstaaten vermittelt bekam, habe ich aber, soweit ich mich erinnere, keinen Roman über diese Zeit gelesen, auch Onkel Toms Hütte nicht. Stattdessen las ich ausgezeichnete Werke wie James McPhersons Battle Cry of Freedom: The Civil War Era (hier auf deutsch), das ich schon hundertmal in diesem Blog empfohlen habe und ich höre auch nicht auf damit, sowie Eric Foners Reconstruction: America’s Unfinished Revolution, 1863-1877 oder Slavery By Another Name: The Re-Enslavement of Black Americans from the Civil War to World War II von Douglas Blackmon, das sich mit den Langzeitfolgen des Krieges beschäftigt. Daher wusste ich, dass die Underground Railroad nicht wirklich eine Bahnstrecke ist, sondern ein Netzwerk aus Menschen und Wegen, die geflohene Sklaven in den vermeintlich sicheren Norden brachten. „Vermeintlich“ wegen der Fugitive Slave Laws, die Sklaven nicht automatisch zu freien Menschen werden ließen, sobald sie die Südstaaten hinter sich gelassen hatten. Der Roman tut nun aber so, als ob die Underground Railroad genau das ist, wonach es klingt: eine unterirdische Bahnstrecke, von Unbekannten in die Felsen und in den Grund geschlagen, auf der Züge verkehren, die Sklaven und Sklavinnen schnell über weite Strecken transportieren.

Ich habe mich recht lange während des Lesens gefragt, warum Whitehead zu diesem Kniff gegriffen hat. Ohne jetzt groß Rezensionen gegoogelt zu haben, glaube ich, dass diese Möglichkeit des weiten Reisens (wenn man eine Flucht als Reise bezeichnen will) ihm schlicht die Möglichkeit gab, mehrere Staaten der USA und der späteren Konföderierten zu beschreiben bzw. ihre jeweilige Auffassung von Recht und Gesetz, dem Umgang mit der schwarzen Bevölkerung und der eigenen Geschichte. Teils fiktiv, teils immerhin historisch inspiriert. (Zum Beispiel das Kapitel zu Indiana.)

Die Sklavin Cora ist die Figur, der wir hauptsächlich folgen, aber wir erfahren in kleinen Einzelkapiteln auch Hintergrund zu anderen, zum Beispiel zum slave catcher Ridgeway. Dessen Vater war Schmied und sein Gehilfe, ein amerikanischer Ureinwohner, erzählte gerne vom great spirit, in dessen Namen nun auch der Vater arbeitete. Der Sohn schlug eine andere Karriere ein. Das Buch klingt streckenweise so, oft einen historischen Fakt (die Maßlosigkeit der Menschenjäger) mit einer deskriptiven und doch evokativen Sprache verbindend:

„Ridgeway gathered renown with his facility for ensuring that property remained property. When a runaway took off down an alley, he knew where the man was headed. The direction and aim. His trick: Don’t speculate where the slave is headed next. Concentrate instead on the idea that he is running away from you. Not from a cruel master, or the vast agency of bondage, but you specifically. It worked again and again, his own iron fact, in alleys and pine barrens and swamps. He finally left his father behind, and the burden of that man’s philosophy. Ridgeway was not working the spirit. He was not the smith, rendering order. Not the hammer. Not the anvil. He was the heat.“ (S. 96)

Das nächste Zitat hat mir besonders gefallen, was vermutlich am Gegenstand liegt, der hier beschrieben wird. Gleichzeitig schwingen zwei Dinge mit: dass Cora als Nicht-Mehr-Sklavin inzwischen lesen gelernt hat und dass ihr inzwischen Dinge gehören. Vieles, was sich ändert, wird so fast nebenbei abgehandelt; das Buch macht kein großes moralisches Fass auf. Das muss es gar nicht, die Diskussion um Sklaverei verbietet schlicht mehr als eine Seite oder Meinung. Aber wieviel sich ändert, nicht nur im Großen, sondern im Kleinen, vermittelt das Buch auf vielen Seiten in intimen Szenen wie dieser hier:

„The almanac had a strange, soapy smell and made a cracking noise like fire as [Cora] turned the pages. She’d never been the first person to open a book.“ (S. 301)

Wir lesen auch die Biografien von anderen Geflohenen, von Helfern und Helferinnen und auch von einer Angehörigen von Cora. Darauf habe ich das ganze Buch gehofft – ich hatte bräsigerweise das Inhaltsverzeichnis überblättert, in dem ich schon hätte sehen können, dass auch Coras Mutter ein paar Seiten gewidmet werden. (Daher ist das kein Spoiler. Hoffe ich.) Ein Hauptmotiv in Railroad ist das Entwurzeltsein, das Gefühl, nirgends hinzugehören. Zu wissen, man stammt aus Afrika, aber nicht zu wissen, woher genau, keine Familie zu haben, als Eltern in Sklaverei nicht zu wissen, ob man seine Kinder wachsen sehen wird, weil die Chance groß ist, dass sie verkauft werden, all das schwingt immer mit, wenn Cora nach ihrem Platz sucht.

(Kleiner Einschub: Die eigene Familie zu finden, beschäftigte ehemalige Sklaven und Sklavinnen noch lange Zeit. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts fanden sich in Zeitungen Anzeigen, in denen nach Familienmitgliedern gesucht wurden. (Foner 1988, 84.) Gleichzeitig gab es Lithografien wie diese hier, mit denen man einen eigenen Stammbaum begründen konnte.)

Cora macht sich außerdem Gedanken über die Weißen und ihren Umgang mit dem Land und den Menschen, die andere Hautfarben haben. Es wird oft angedeutet, dass die Vereinigten Staaten ein Land sind, das auf Verbrechen gegründet wurde: der Mord an den amerikanischen Ureinwohnern, die unrechtmäßige Landnahme und natürlich die Sklaverei, ohne die vor allem die Südstaaten nicht so einen großen wirtschaftlichen Aufschwung erlebten. Der allerdings immer noch geringer war als der der Nordstaaten: 1850 besaßen die Südstaaten gerade 18 Prozent der Produktionskapazitäten, obwohl sie 42 Prozent der Gesamtbevölkerung stellten. 70 Prozent der Baumwolle wurden in den Norden exportiert, wo die Webereien aus dem Rohstoff Kleidung herstellten, die zu höheren Preisen exportiert werden konnte. Nur fünf Prozent der Ernte wurde in den Südstaaten verarbeitet. (McPherson 1988, 91.)

Auch die Tatsache, dass in vielen Landkreisen der Südstaaten mehr schwarze als weiße Menschen lebten, wird angesprochen; einerseits hoffnungsvoll aus der Sicht von Cora, andererseits ängstlich aus der Sicht der Plantagenbesitzer und slave catcher, denen durchaus bewusst ist, dass sie im Falle einer Revolte zahlenmäßig weit unterlegen wären.


(Quelle: James McPherson, Battle Cry of Freedom. The Civil War Era, New York 1988, S. 101. Man sieht sehr gut, dass gerade die Gebiete, in denen die arbeitsintensive Baumwolle angebaut wurde, eine große schwarze Bevölkerung haben.)

In The Internal Enemy von Alan Taylor las ich, dass gerade die zahlenmäßige Überlegenheit das bescheuerte Denkgebäude der Sklavenhalter noch wackeliger machte. Ihre Begründung für die Rechtmäßigkeit von Sklaverei war, dass Schwarze minderbemittelt seien und die guten Weißen sich quasi um sie bemühten, indem sie ihnen ein Dach über dem Kopf und Nahrung zur Verfügung stellten – im „Tausch“ gegen Arbeitskraft. Ohne die Weißen wären die Schwarzen quasi hilflos. (Ich kann dieses paraphrasierte Zitat leider gerade nicht belegen, weil ich das Buch nur aus der Bibliothek geliehen hatte.) Dass diese Auffassung kompletter Blödsinn war, war den meisten spätestens nach den ersten Revolten klar, als sehr deutlich wurde, wie groß die Sehnsucht nach Freiheit war. Als der Anteil der schwarzen Bevölkerung immer größer wurde, nahm auch die Angst vor weiteren gewaltsamen Auseinandersetzungen zu. Auch deswegen neigten viele Sklavenhalter zu großer Brutalität – grausame Strafen sollten zur Abschreckung vor Flucht oder Ungehorsam dienen. Gleichzeitig durften diese Strafen aber nicht so schwer sein, dass Sklaven und Slavinnen arbeitsunfähig wurden, denn sie waren schlicht wertvolles Gut, für das man durchaus hohe Preise gezahlt hatte. (Der slave catcher im Buch spricht nie von he oder she, wenn er über die Menschen redet, denen er nachstellt, sondern stets von it, dem Besitz, dem Ding.)

In Railroad Unterground gibt es also diverse Themen, die angerissen und aus der Sicht von Cora geschildert werden. Whitehead beschreibt die verschiedenen Staaten, in denen Cora sich aufhält, unterschiedlich, und auch hier vermischt er wieder Fakten mit Fiktion oder deutet Dinge an, die noch nicht passiert sind. Der Roman scheint vor dem Bürgerkrieg zu spielen, aber als Cora sich in Tennessee bewegt, wird verbrannte Erde beschrieben, verkohlte Häuser, schwarze, kahle Bäume, was ich als Vorausahnung auf den Bürgerkrieg interpretieren würde. In einer anderen Situation erinnerte mich Cora an Anne Frank, was ich für keinen ganz schiefen Vergleich halte, in einer anderen an ausgestellte Menschen in Tierparks, auch hier in Deutschland. Ich weiß bei beidem nicht, ob es diese Vorbilder auch in den USA gab, aber ich hatte das Gefühl, dass Whitehead hier bewusst die Geschichte auf weitere Verfolgte weltweit ausdehnt. Auch daher halte ich seinen Kniff, die Underground zu einem echten Zug zu machen, für einen genialen Trick, um der Leserin eine viel größere Welt zu eröffnen – und damit eine Welt an Problemfeldern, die eben nicht auf eine kurze Zeit in den Südstaaten begrenzt und damit erledigte Geschichte sind, sondern bis heute vorherrschen oder einen Einfluss auf heutige Politik haben.

(Noch ein Einschub: Mit der unsäglichen Aussage John Kellys, der Bürgerkrieg wäre deshalb ausgebrochen, weil man keinen vernünftigen Kompromiss hatte finden können, hat sich unter anderem Ta-Nehisi Coates auf Twitter beschäftigt. Der Thread hat leider zu viele Antworten, um vernünftig angezeigt zu werden, aber ich fand den verlinkten Tweet mit dem Link zu einer Quelle sehr wichtig; in ihr wird ganz klar auf Sklaverei als Wirtschaftsfaktor hingewiesen, was die Entwicklung der Argumentation von Weißen beschreibt: vom angeblich guten Förderer der schwarzen Rasse zu ihrem Ausbeuter. Ich halte Coates für einen derzeit sehr wichtigen Autoren, der eine sehr herausfordernde und unbequeme Sichtweise auf die amerikanische Geschichte der Schwarzen hat, und verweise einmal mehr auf sein neues Buch mit Essays aus den vergangenen Jahren, darunter auch das meiner Meinung nach bahnbrechende und sehr informative The Case for Reparations.)

Zurück zu Underground Railroad: Während des Lesens erinnerte ich mich an viele der Dinge, die ich eben erwähnte, während ich andere nachschlagen musste, weil ich selbst nicht sicher war, was jetzt Fakt und was Erfindung war. Ich mochte dieses Leseerlebnis sehr gerne. Vielleicht inspiriert es Menschen, die noch nicht so viel zu diesem Teil der amerikanischen Geschichte gelesen habe, auch dazu, wenigstens mal in der Wikipedia rumzuklicken. Und neben dem Lerneffekt ist das Buch sehr unwiderstehlich geschrieben. Ich habe es, wie erwähnt, an knapp zwei Tagen durchgelesen und lege es euch hiermit sehr ans Herz. Auch wenn euch der Bürgerkrieg nicht die Bohne interessiert.

2.11.2017

Was schön war, Mittwoch, 1. November 2017 – Im Olympiapark

In der eigenen Stadt unternimmt man ja nie die Dinge, die man Besucher*innen von auswärts empfiehlt. (Man = ich.) Ich wohne nun seit fünf Jahren in München – ich unterschrieb den Mietvertrag laut meines eigenen Blogeintrags, den ich eben gesucht habe, am 30. Oktober 2012 – und war erst einmal im Olympiapark und da wohnte ich noch nicht einmal hier. Das war am Tag des Finale dahoams (the game that should not be named), als vor dem eigentlichen Spiel in der Allianz-Arena noch ein bisschen Ringelpiez-Fußball mit alten Allstars im Olympiastadion stattfand. Schon damals war ich von der Anlage fasziniert, hatte aber ganz andere Dinge im Kopf. Jetzt, mit ein bisschen mehr Wissen über Stadionarchitektur und einem freien Tag vor mir, wollte ich noch einmal durch den Park spazieren.

Ich ließ mich vom Bus bis zur Station Olympiaberg chauffieren, denn ich wollte erstmal auf den Berg klettern, um von dort einen Überblick über die gesamte Anlage zu haben. Ich hatte allerdings meine gute Kamera nicht dabei, sondern nur das iPhone. Damit hätte aber auch niemand rechnen können, dass ich aus meinem Spaziergang einen Blogeintrag mache, neinnein. (Ich Hirn. Irgendwann lerne ich dieses Bloggen noch mal richtig.)

Der Olympiaberg wurde zwischen 1947 und 1958 aus Weltkriegsschutt zusammengehäuft. Ich bin nicht ganz bis zum Gipfelkreuz geklettert, sondern gefühlt in dreiviertel Höhe herumspaziert. Wenn das Stadion zum ersten Mal sichtbar wird, sieht es ein bisschen wie ein Ufo aus. Wenn ihr mal zum eben verlinkten Wikipedia-Eintrag klickt, bekommt ihr schöne Hochglanzbilder. Ich mochte es im Nachhinein ganz gerne, dass alles grau in grau war, das verstärkte die irreale Architektur noch mehr.

Der gesamte Olympiapark wurde als bewusstes Gegenstück zum Reichssportgelände von 1936 entworfen, als die bis dahin letzten Olympischen Spiele in Deutschland bzw. dem Deutschen Reich stattfanden. Ich zitiere mal meine eigene Hausarbeit über Sportstadien; ihr findet das Zitat mit allen Quellenangaben auf den Seiten 6/7:

„In Amsterdam 1928 wurden die zusätzlichen Sportanlagen städtebaulich um das Stadion herum gruppiert; es entstand die erste olympische Gesamtanlage. Die Spiele in Berlin 1936 gingen über diese reine Sportanlage deutlich hinaus: Auf dem sogenannten Reichssportfeld entstanden zusätzlich zum Stadion für 100.000 Zuschauer noch „einer einheitlichen Pflege des deutschen Sports dienende[…] Bauten mit Gedächtnis- und Versammlungsstätten der Nation, mit Theater[n] und Denkmälern in einem Festraum vereinigt“.

Geplant wurde das Stadion bereits 1925 von Werner March (1894–1976); die Nationalsozialisten veränderten den modernen Entwurf während der Bauphase zu einem imperialen Monumentalbau im Sinne der staatlichen Überwältigungsarchitektur. Neben dem Stadion lag das Maifeld mit Tribüne, auf dem 250.000 Menschen aufmarschieren konnten. Das Marathontor im Stadion gab den Blick frei auf einen Glockenturm am westlichen Ende des Maifelds, der über der Langemarckhalle stand, in dem deutscher Toten des Ersten Weltkriegs gedacht wurde. Damit war erstmals ein Sportstadion der Neuzeit nicht nur Teil einer staatlichen Repräsentation, sondern seiner Ideologie: Die Spiele sollte nicht nur die Aufrüstung für einen neuen Weltkrieg verschleiern, sondern auch die angebliche Überlegenheit der arischen Rasse demonstrieren. Die Monumentalarchitektur war die Bühne dieser Ideologie.

An den Spielen in München 1972 lässt sich gut ablesen, wie sehr sich das Selbstverständnis eines Staates ändern kann. Die „heiteren Spiele“, die „Spiele im Grünen“, waren architektonisch ein deutlicher Gegenentwurf zu Berlin: „Statt in geordneten Marschkolonnen und in geometrisierter Kanalisierung bewegten sich die Menschen im freien Fluss, im hügeligen Park, unter einer lichtdurchlässigen Zeltlandschaft, geleitet von heiteren Farben zur Orientierung.“ Bei den „heiteren Farben“ hatte man bewusst auf Rot verzichtet, um auch die letzten Assoziationen zu den Berliner Spielen zu tilgen.“

Und auf Seite 8:

„Das Münchner Olympiagelände inklusive des Stadions war von Anfang an Teil einer zukunftsfähigen Stadtplanung. Zur Vorbereitung der Spiele wurde die Münchner Innenstadt fußgängerfreundlicher gestaltet, die öffentlichen Verkehrsmittel wurden verbessert, 233 neue Straßenkilometer gebaut sowie diverse Einkaufs- und Übernachtungsmöglichkeiten geschaffen. Das Gelände ist bis heute ein beliebter und belebter Park, und aus dem Olympischen Dorf wurden begehrte Miet- und Eigentumswohnungen. Das Stadion selbst war zwar nicht als bauliche Ikone geplant, sein charakteristisches Zeltdach ist aber inzwischen aus der Stadtsilhouette nicht mehr wegzudenken.“ Das liegt auch daran, dass die Bürger und Bürgerinnen für den Erhalt der olympischen Anlagen kämpften. Nicht in jeder Stadt blieben die Stadien bestehen.“

Eine Fußnote dazu:

„Olympiagelände-Architekt Günter Behnisch schrieb 1987: „Im Bild des Olympiaparks hat sich die Überdachung stärker in den Vordergrund geschoben als dies zunächst geplant war. Ihrer sichtbaren, auffälligen Form wegen […] So übersieht man leicht, daß das Wesentliche unseres Entwurfes unter und neben dem Dach liegt; es ist die Sport- und Spiellandschaft, der Münchner Olympiapark.“

Diese Sport- und Spiellandschaft ist deutlich größer als ich dachte. Ich kannte den Park bisher nur aus der Gegenrichtung, als wir mit einem Uni-Seminar die BMW-Welt besuchten und über ihre ikonische Architektur sprachen. Von einer nahegelegenen Brücke aus ist das Stadiondach sichtbar, aber wie groß der Park mit seiner Seenlandschaft eigentlich ist, konnte ich erst gestern erfassen.

Ich ging am See entlang und überquerte ihn am Fuß des Bergs in Höhe des Olympiaturms. Dort beginnt die Zeltlandschaft; das Zeltdach vom Olympiastadion ist nicht das einzige Gebäude, das mit dieser irrwitzigen Konstruktion überspannt ist. Als erstes wurde die Schwimmhalle sichtbar, die so aussieht, als würde der gewaltige Mast das Dach nach oben ziehen. Hier sind auch schon weitere Stahlseile sichtbar, die auf dem gesamten Gelände immer wieder auftauchen und einen ständig daran erinnern, wie diese Dachlandschaft konstruiert ist. Ich mag diese sichtbare Architektur sehr gern.

Direkt neben der Schwimmhalle liegt die Olympiahalle, die heute unter anderem für Konzerte genutzt wird. Zwischen den beiden Gebäuden geht man durch die Dachlandschaft hindurch. Das sieht auf den Bildern übrigens alles gammeliger aus als es ist. Ich fand es zauberhaft, vor allem den Kontrast aus dem leichten und stets gespannt aussehenden Dach und den massiven Betonblöcken, aus denen die Stahlstützen sprießen.


Wenn man durch diesen Kristallwald gegangen ist, steht man an der Längsseite des Olympiastadions, von dem man nur die schrägen Flutlichtmasten sieht. Geht man nach rechts, kommt man an die alten Olympiakassen mit ihrer dreisprachigen Beschriftung. Okay, die sehen wirklich so gammelig aus und sie sind auch nicht mehr in Benutzung. An einer neueren Kasse kann man sich für 3,50 Euro eine Eintrittskarte fürs Stadion kaufen und dort herumwandern.

Hier sieht man an der Säule die angesprochenen Farben, in denen kein Rot vorkommt. Und natürlich die herrlichen Piktogramme von Otl Aicher. (Gestern war offensichtlich kein Biergarten- und Ausflugswetter. Also genau mein Ding.)

Der einzige Weg durch das Stadion führt einmal außen und oben an den Sitzreihen entlang. Auf halber Höhe hat man dann diesen Ausblick.

Für mich war das eine kleine Mutprobe, einmal bis nach ganz oben zu den alten Kommentatorenkabinen zu wandern. Ich fühle mich schon auf Leitern in Altbauwohnungen in zwei Meter Höhe nicht so recht wohl, und hier geht man auf einem einen Meter breiten Betonsteg nach oben bis in circa 40 Meter Höhe, der links zu den Sitzen offen ist und rechts nur mit einem Gitter und Geländer vor dem Abgrund schützt. Ich hielt mich mit der rechten Hand konstant fest und blickte immer ins Stadioninnere. Ab und zu wagte ich einen Blick nach rechts, um die massiven Pfeiler zu bewundern, an denen die Dachkonstruktion hängt, aber nie lange. Ich fand das sehr unangenehm, dort oben rumzuturnen. Außerdem fiel mir auf, dass es im gesamten Stadionrund keine Geländer und nur wenige Trennzäune gibt; die Sitze sind kaum unterteilt, man kann durch fast alle Blöcke einfach hindurchwandern. Das klappt soweit ich weiß in keinem modernen Stadion mehr, vermutlich aus Sicherheitsgründen (marodierende Fanhorden und so, kennt man ja, schlimme Fußballfans. Daher auch immer die Blocksperre für Gästefans nach Abpfiff). In der Allianz-Arena gibt es an den Treppen in den Blöcken auch keine Geländer, was mich jedesmal irre macht, weil ich mich halt gerne ab und zu irgendwo festhalte. Die Blöcke sind in neuen Stadien deutlich steiler; man kann dadurch eindeutig besser Fußball gucken, aber es geht eben auch sehr steil auf- und abwärts. Gerade abwärts freue ich mich über etwas, das mir fußlahmen Fan etwas Sicherheit bietet. In Augsburg sind an den einzelnen Sitzreihen Metallstäbe, an denen ich mich wenigstens temporär festhalten kann. In der Allianz-Arena greife ich durchaus mal nach der Schulter eines Vordermanns, wenn ich das Gefühl habe, nicht sicher zu stehen. Das führt meist zu freundlichen Kennenlernsituationen; ich habe bis jetzt jedenfalls noch keinen Ärger bekommen, wenn ich erkläre, dass ich wackelig stehe. Ist trotzdem doof, wildfremde Menschen angrabschen zu müssen, weil es sonst nichts anderes zum Festhalten gibt. (Kleiner Exkurs Ende.)


Wenn man das Stadion einmal halb umrundet hat, kommt man an der nicht überdachten Seite wieder heraus. Dort bewunderte ich die schon erwähnten schrägen Flutlichtmasten, die gefühlt an einem seidenen Faden hängen, um nicht umzukippen. Die Masten und das Dach sehen aus, als würden sie konstant unter Spannung stehen; die Neigung der Masten verstärkt dazu noch das Gefühl von Dynamik, das bereits das Dach erweckt, alles scheint sich zum Innenraum zu neigen und zu drängen. Sportstadien sind ja gerne massive Klötze, die brutal in der Gegend herumstehen. Das Olympiastadion vermittelt einen ganz anderen Eindruck, es wirkt leicht und offen, einladend und fast bewegt. Ich konnte mich überhaupt nicht sattsehen.

Von der nicht überdachten Seite sieht man noch einmal das Schwimmstadion.

Und nach den vorhin schon gezeigten Olympiakassen geht man durch eine weitere zerklüftete Dach- und Seilkonstruktion und verlässt das Olympiagelände in Richtung U-Bahn und BMW-Welt. Unten im Bild, unter der tiefsten Zeltwölbung, ist ein parallel zur Erde ausgerichteter Balken zu sehen.

Das ist die Skulptur „Klagebalken“ von Fritz Koenig. Auf ihm sind die Namen der elf israelischen Opfer in Hebräisch sowie der Name des deutschen Opfers des Olympia-Attentats 1972 in lateinischen Buchstaben eingemeißelt.

Als ich den Klagebalken betrachtete, fiel mir ein, dass erst in diesem Jahr ein neuer Erinnerungsort eingeweiht wurde. Hatte ich den übersehen? Ich wusste nicht, wo er war und wie er aussah. Aber ich ahnte, dass ich auf ihn zulief, als mir kurz vor der U-Bahn-Station eine Art abgetragene Grasnarbe auffiel. Es sieht aus, als hätte man die Rasenfläche um zwei Meter angehoben, um darunter einen kleinen Ort des Gedenkens einzurichten. Eine breite Stele trägt das Dach, der dadurch entstandene Raum ist zu drei Seiten geöffnet, die vierte Wand ist eine Videowand, auf der Filmausschnitte aus der Zeit des Attentats laufen. Ich sah unter anderem Ausschnitte aus der Rede von Avery Brundage mit seinen bekannten Worten: „The games must go on.“ Vor der Videowand standen einige Teelichter.


Auf der breiten Stele sind die Biografien der zwölf Getöteten in deutsch und englisch abgedruckt. Alle enden mit der Abbildung eines persönlichen Gegenstands; der letzte Brief, den einer der Athleten schrieb, die Kippa, die alle israelischen Sportler für die Einmarschzeremonie erhalten hatten oder das Stoffmaskottchen Waldi, das André Spitzer für seine Tochter gekauft hatte.

Ich wunderte mich zunächst über den Standort des Memorials, es kam mir so seltsam in die Landschaft gesetzt vor. Erst als ich die Stele umwanderte, wurde mir klar, warum es hier stand: Von der einen Seite blickt man auf das Olympiagelände, den Ort, weswegen die Menschen alle hier waren; von der anderen Seite sieht man genau auf das olympische Dorf, dem Tatort des Anschlags.

Ein bisschen stiller als gedacht ging ich zur U-Bahn. Rechts davon tauchte die BMW-Welt auf, deren Architektur ich eigentlich ziemlich beeindruckend fand, als ich sie mit dem Seminar genauer betrachtet hatte. Jetzt, mit den Eindrücken des Olympiageländes, kam sie mir plötzlich ziemlich banal vor.

12.10.2018

Beobachtungen zum Altwerden und der Großstadt

Meine Eltern, beide fast 80, haben mich die letzten Tage in München besucht. Das hat mich sehr gefreut, mich aber auch mehr Nerven gekostet als ich erwartet hatte: Ich war nicht darauf vorbereitet, wieviel ich erklären oder vorausdenken musste. Ich habe einiges über meine eigene Stadt gelernt und wie ich mich in ihr bewege – und dass man die eigene Wahrnehmung nicht einfach so für andere voraussetzen kann.

Meine Twittertimeline und die Lektüre von vielen Blogs haben mich bereits seit längerer Zeit dafür aufmerksam werden lassen, wie unfreundlich unsere Stadtarchitektur zu den sogenannten schwächeren Teilnehmern und Teilnehmerinnen ist. Schmale und zugeparkte Radwege sind ein Punkt, nicht genügend Fahrstühle an U-Bahnhöfen für Menschen mit Kinderwagen oder für Rollstuhlfahrer*innen sowie Trambahnen und Busse, die für die beiden letztgenannten teilweise nicht benutzbar sind, weil sie nicht ebenerdig zu betreten sind. In den letzten Tagen ist mir erstmals aufgefallen, wie kompliziert die Stadt sein kann, wenn man älter ist und vielleicht einfach nicht mehr so schnell oder aufmerksam. Oder auch, weil man es schlicht nicht gewohnt ist, sich in einer Großstadt zu bewegen.

Meine Eltern wohnen zwar in einer kleinen ländlichen Gemeinde, fahren aber seit Jahrzehnten problemlos Bahn und neuerdings S-Bahn, die sie nach Hannover bringt. Dort nutzen sie die Straßenbahn, um zum Beispiel zu Arztpraxen oder kulturellen Veranstaltungsorten zu kommen. Sie fahren auch beide noch Auto, sind es also gewohnt, sich im Verkehr zu bewegen bzw. auf vieles gleichzeitig achten zu müssen. Auch deswegen war ich an den ersten Tagen schlicht davon überfordert, sie gefühlt von überall her abholen oder sie irgendwo hinbringen zu müssen, anstatt sie sich selbst zu überlassen, weil ich dachte, das wäre für sie alles kein Problem. Mein Vater erklärte mir schließlich, dass er sich für Hannover immer aufschreibe, wo er langgehen müsste, welche Nummer die Bahnen hätten, wo genau er aussteigen muss etc. Zudem ist Hannover dann doch eine Ecke kleiner als München, und das hatte ich schlicht unterschätzt.

Ihr Hotel lag einen guten Kilometer von meiner Wohnung entfernt. Am ersten Abend holte ich sie zu Fuß ab, um mit ihnen zu mir zu gehen, wo wir gemeinsam zu Abend aßen. Ich nutzte nicht den kürzesten Weg, sondern den etwas hübscheren, der aber auch fast immer geradeaus ging. Aber eben nur fast. Nebenbei erklärte ich, was ich so an Wissenswertem weitergeben wollte: Hier ist die Ersatzhaltestelle vom Bus, mit dem wir zur Masterzeugnisübergabe fahren; hier ist ein Supermarkt, falls ihr noch Snacks fürs Hotelzimmer braucht; hier ist der Alte Nordfriedhof, wo ich gerne rumlaufe; hier biegen wir endlich zu mir ab, merkt euch mal das italienische Restaurant, an dem ihr nachher nach rechts gehen müsst; hier ist meine U-Bahn-Station, merkt euch mal das blaue U zur Orientierung. Klang für mich alles total nachvollziehbar, und so schickte ich sie arglos nach dem Abendessen wieder zu Fuß in ihr Hotel (sie wollten nicht U-Bahn fahren).

Sie brauchten recht lange, um sich wieder telefonisch bei mir zu melden, dass sie gut im Hotel angekommen waren. Warum, das erzählten sie mir erst am nächsten Tag.

Zwischen U-Bahn und Italiener gibt es noch ein griechisches Restaurant, das sie mit dem italienischen verwechselten und schon wenige Meter nach meiner Wohnung falsch abbogen. Dann kamen sie zur nächsten U-Bahn-Station und waren völlig verwirrt, denn die war ja viel weiter weg als sie dachten. (Da waren sie quasi 300 Meter vom Hotel entfernt und wussten es nicht.) Den Friedhof und den Supermarkt fanden sie gar nicht mehr wieder, und wenn sie nicht nette Menschen mit Orientierungssinn und Ortskenntnis getroffen hätten, wären sie immer noch nicht wieder im Hotel.

Ich begann darüber nachzudenken, wie ich Wege erkläre, dass ich vermutlich nicht präzise genug gewesen bin oder sie mit viel zu vielen Informationen zugeballert hatte – oder dass ich schlicht nicht daran gedacht hatte, dass man sich verlaufen kann. Denn ich habe schließlich immer ein Smartphone dabei, auf dem mir gleich mehrere Apps sagen, wo ich mich innerhalb einer Stadt befinde, die wunderbar in Google oder Apple Maps aufbereitet ist, so dass ich Straßennamen finde oder sogar Restaurants oder Läden, die mir als Wegmarkierung dienen können. Ich kann mir eine Route anzeigen lassen und sie blöd abmarschieren. Oder ich nutze eine der vielen Verkehrs-Apps, die mir Busse und Bahnen anzeigen. Oder notfalls die Taxi-App, durch die ich bis vor die Haustür chauffiert werde. Ich hatte schlicht vergessen, dass meine Eltern kein Smartphone haben. Immerhin das hat diese Reise erreicht: Die beiden wollen sich jetzt endlich eins anschaffen. Das hatte meinen Vater schon fasziniert, als er im Juli mit meiner Schwester und ihrem Mann hier war; dass ich letzterem immer sagte, wie treffen uns dann nachher da und da, woraufhin er einfach sein Handy zückte, die richtige Tram fand und den Fußweg. Das begeisterte meinen Vater schon, dass man sich alleine in einer fremden Stadt in wenigen Minuten zurechtfinden kann.

Mir fiel nach dem ersten Verlaufen der beiden (es war nicht das einzige) auch auf, dass U-Bahnhöfe für ungeübte Augen alle gleich aussehen, zumindest hier in München und vor allem im Dunkeln. Der Stationsname steht hier nicht groß am blauen U, sondern quasi erst auf Augenhöhe, wenn man bereits die ersten Treppenstufen heruntergegangen ist, und besonders gut beleuchtet ist er auch nicht. Darauf hatte ich noch nie geachtet, denn ich weiß ja schließlich, an welcher U-Bahn ich bin. Ich musste mich wirklich selbst umschauen, wo genau denn eigentlich der Stationsname steht; darauf hatte ich seit Jahren nicht mehr geachtet.

Als wir einen Tag später U-Bahn fuhren, um zum Hauptbahnhof zu kommen und von dort einen Zug nach Rosenheim zu nehmen, musste ich mich immer nach den beiden umschauen, um sicher zu sein, dass sie mich sehen. Ich achtete erstmals bewusst darauf, wie sehr man sich auf die Ausschilderung konzentrieren muss, um von der U-Bahn nach oben zum Bahnhof zu kommen und von dort ans richtige Gleis. Ich weiß selbst auch oft nicht, welchen Aufgang ich nach oben brauche, ich nehme halt irgendeinen und gucke von da weiter. Das ging hier nicht, hier musste ich wissen, wo wir hinwollen, um sie nicht noch mehr zu verwirren; die beiden waren von den Menschenmengen und ihrer Geschwindigkeit etwas eingeschüchtert und überanstrengt. Mir fiel auf, wie voll die Stadt ist und wie wenig Zeit sich die Reisenden geben, um von A nach B zu kommen. Bleibt man stehen, um die Schilder zu lesen, steht man sofort 20 Leuten im Weg, weil die Bahnsteige manchmal recht schmal sind. Darüber, dass Touristen immer im Weg stehen, rollt man ja gerne die Augen, aber dass auch ältere Menschen manchmal schlicht mehr Zeit brauchen, um sich zu orientieren, wurde mir sehr deutlich vor Augen geführt. Lernerfolg für mich: mehr Geduld mit meinen Mitmenschen haben, vielleicht auch mal proaktiv Hilfe anbieten, wenn jemand offensichtlich lange auf Schilder guckt, anstatt zu denken, der oder die wird den Weg schon finden, sonst kann er oder sie ja fragen. Vielleicht mal nicht darauf warten, dass jemand fragt.

Die eben schon angesprochene Eile macht sich auch beim Fahren in Öffis bemerkbar. Mir ist bewusst, dass die Fahrpläne eng getaktet sind, aber gerade bei den Bussen würde ich mich schon freuen, wenn sie erst losführen, wenn alle Passagiere sitzen – gerade ältere Menschen. Einmal fiel mir mein Vater entgegen, als der Fahrer zügig loslegte; seitdem stand ich immer hinter ihm, sobald er einstieg und sich einen Platz suchte, damit ich ihn notfalls stützen könnte. Ich bat die beiden auch immer, sich zu setzen, weil ich erstmals bewusst merkte, wie zackig manche Fahrer und Fahrerinnen ihr Gefährt bewegen. Ich fahre auch lieber Tram, weil die meiner Meinung nach am ruhigsten fährt, aber wie wenig ruckartige Bewegung schon reicht, um nicht mehr ganz standfeste Menschen ins Stolpern zu bringen, wurde mir erst in den letzten Tagen klar. Auch in der U-Bahn, die gerne mal schärfer bremst.

Dann fielen mir noch Kleinigkeiten auf, die nichts mit dem Verkehr zu tun hatten – zum Beispiel die vielen englischsprachigen Schilder. (Hier bitte selbständig einen Rant auf die ganzen gehässigen Jens-Spahn-Tweets einfügen, auf den ich schon damals keine Lust hatte. Das mag mich als Spießerin ausweisen, aber ich halte es für eine Grundanforderung, in einem Serviceberuf die Sprache zu sprechen, in der der Service angeboten wird. Ansonsten finde ich Spahn meist doof, aber an dem Punkt war ich ausnahmsweise mal seiner Meinung.) Dass in der Werbung viele Anglizismen rumlaufen, geht mir ja selbst als Werberin auf den Keks. Aber wie unfassbar kompliziert Starbucks ist, fiel mir erst auf, als meine Eltern da am Bahnhof, bevor ihr Zug fuhr, noch einen Kaffee trinken wollten. Ausgerechnet bei Starbucks? Ja, weil das außer Burger King der einzige Laden war, in dem man nicht stehen oder auf Barhocker klettern musste, was für ältere Menschen manchmal nicht so töfte ist. Also Starbucks.

Ich setzte meinen Papa samt Gepäck in eine Sitzecke und bot an, für alle Kaffee und Kuchen zu organisieren, aber meine Mama wollte das Backwerk selbst sehen. Ich versuchte, Raspberry White Chocolate Cheesecake und Carrot Cake zu erklären („Mohrrübenkuchen? Haha!“) und ließ das bei der Kaffeebestellung gleich sein. Papa wollte „einfach einen Kaffee“ und ich stellte erstaunt fest, dass Starbucks schlichten Filterkaffee anbietet. Der kam dann aber auch in der kleinsten Größe gleich gefühlt in 0,3 Liter. War es vermutlich nicht, sah aber so aus im Vergleich zu den kleinen Flat-White-Becherchen, die ich für Mama und mich orderte, weil es mich überforderte, die ganzen anderen Dinge zu übesetzen. Ich weiß, es ist total Zweitausender Jahre, sich über die irren Auswahlmöglichkeiten bei Starbucks lustig zu machen, aber gestern bemerkte ich erstmals, dass man davon wirklich überfordert sein kann. Auch von der Geschwindigkeit, mit der die Baristas was von dir wollen. Eigentlich schätze ich das als introvertierter Mensch, der wenig Wert auf zwischenmenschlichen Firlefanz legt, sehr: kein Smalltalk, keine Beratung, man guckt selbständig, was man will, sucht sich was aus, bestellt, wartet kurz und geht. Dass aber genau das für ältere Menschen eine große Herausforderung ist, die schon beim ersten Teil des Vorgangs – „man sucht sich einfach was aus“ – beginnt, war mir nicht so klar.

Das soll jetzt kein kulturpessimistischer Zurück-zur-Natur-Eintrag werden, ganz im Gegenteil. Ich mag die Großstadt ja, ich will nie wieder auf dem Land wohnen, auch wenn ich die stillere Geräuschkulisse dort inzwischen zu schätzen weiß. Ich mag die Öffis, ich mag die Geschwindigkeit und die ganzen Möglichkeiten, die mir die Stadt bietet; dafür ertrage ich halt die vielen Menschen und tanke allein in meiner kleinen, ruhigen Wohnung wieder Kraft für das Dadraußen. Aber ich beginne darüber nachzudenken, wie ich mich in einigen Jahren in der Stadt zurechtfinde. Was kann ich dann vielleicht körperlich nicht mehr machen, was kann ich geistig nicht mehr bewerkstelligen? Um wieviel Hilfe werde ich bitten müssen und wie unterstützt mich dann die Stadt und ihr System durch Schilder und Verkehrsmittel? Ich glaube, ich werde besser zurechtkommen als meine Eltern, einfach weil ich seit Jahrzehnten in der Stadt lebe. Aber die letzten Tage haben meinen Blick etwas geschärft für die Herausforderungen, auf die andere Menschen reagieren müssen, die die Stadt auch aus Altersgründen anders wahrnehmen als ich.

7.10.2017

Was nicht nur schön, sondern wundervoll war, Freitag, 6. Oktober 2017 – Tantris

Am Anfang des Studiums erstellte der ehemalige Mitbewohner für mich eine Liste, was ich gefälligst alles in München anzusehen oder mitzumachen hatte. Darauf stand natürlich auch das Tantris, das mir auch im hohen Norden ein Begriff war. Wer zu faul ist, den kurzen Wikipedia-Artikel durchzulesen: Das Tantris unter Eckart Witzigmann begründete 1971 die Gourmetküche in Deutschland, war (soweit ich weiß) das erste Sternerestaurant Deutschlands und hält seit über 20 Jahren ständig zwei Michelin-Sterne (es waren zwischenzeitig mal drei). Es hat mit über 50.000 Flaschen einen der größten Weinkeller in deutschen Restaurants, und von 1991 bis 2011 war Paula Bosch Chef-Sommelière, die erste Frau in Deutschland, die einen derartigen Posten innehatte. Die rot-orange-schwarze Einrichtung sieht heute noch fast genauso aus wie 1971, sie wurde 2002 behutsam erneuert und steht inzwischen unter Denkmalschutz.

(Wer mehr Hintergrundgeschichten lesen möchte, kann das im SZ-Magazin tun sowie hier die Chronologie nachlesen.)

Als ich das Studium begann, überlegte ich mir als Abschluss einen Besuch im Tantris. Das hatte ich immer im Hinterkopf, auch als aus dem Bachelor ein Master wurde. Es war nicht so, dass ich fünf Jahre lang auf diesen Tag hingefiebert hatte, aber als die Masternote online war, wollte ich endlich einen Tisch buchen. Statt des ehemaligen Mitbewohners saß gestern F. mit am Tisch und ich war anfangs völlig überfordert.


(Das Logo auf der Menükarte, die wir uns mitgeben ließen.)

Wenn man sich etwas fünf Jahre lang vornimmt und dann ist der Tag plötzlich da, fühlt sich das alles etwas irreal an. Natürlich kannte ich das Gebäude und die Inneneinrichtung von diversen Bildern und freute mich auf beides fast genauso wie auf das Essen. Natürlich wusste ich um den irrwitzig gut bestückten Weinkeller und freute mich ebenso. Und ich ahnte, dass der Service wie in allen guten Häusern überaus zuvorkommend war, aber als jemand, der gerne seine Jacke zuhause über einen Stuhl schmeißt und entspannt mit dem Teller auf dem Bauch auf dem Sofa isst, sorgt genau dieser Service erstmal für Stress. Ich bin es nicht gewohnt, dass mir jemand aus der Jacke hilft und mir den Stuhl zurechtschiebt, ich will dann bloß nicht auffallen und dumme Fehler machen – falls man dabei einen Fehler machen kann, sich seine Jacke ausziehen zu lassen. Ich war die ersten fünf Minuten jedenfalls völlig überwältigt, auch von den Farben im Innenraum. Es ist schon ein Unterschied zu wissen, dass jetzt die 70er-Jahre-Keule wartet oder dann wirklich fünf Stunden lang auf eine mit orangefarbenem Teppich bezogene Wand zu starren. Ich hatte mich – überfordert – blöderweise auf den Stuhl gesetzt, der zur Wand und zur Fensterfront ging und nicht in den, von dem aus ich in den Laden hätte gucken können. Ich wollte mich dann aber auch nicht umsetzen, obwohl F. es mir ungefähr 80mal anbot; ich wollte einfach nur dasitzen und überfordert-glücklich gucken und essen und trinken.

Und deswegen gibt es auch keine Fotos vom Essen. Mir war eigentlich schon seit Tagen klar, dass ich nicht im Tantris mit dem iPhone rumwedeln und den Teller dreimal drehen wollte, bis das Licht vernünftig ist. Ich wollte nicht den ganzen Abend einen Blogeintrag im Kopf haben und mir innerlich Notizen zu den Weinen machen müssen. Ich wollte einfach nur dasitzen und überfordert-glücklich gucken und essen und trinken. Und OMG habe ich das gemacht.

Als Gruß aus der Küche gab es, wenn ich mich richtig erinnere, ein kleines Stück Zander in einer knusprigen Panade auf kühlem Gemüse. Und schon damit war klar, dass dieser Abend kulinarisch unvergesslich werden würde. Es waren keine irrwitzig überraschenden Geschmäcker, es gab kein modernistisch angerichtetes Eventfood, auf keinem Teller fanden sich effektvolle Saucenkleckse oder molekulare Experimente. Das nehme ich sonst gerne alles mit, aber im Tantris herrscht eine klassische Küche vor – in einer Perfektion, die für mich neu war. In diesem Fall war es die Panade, die so knusprig war wie nichts, was ich jemals gegessen hatte, mit einem winzigen, stimmigen Kontrast aus Heiß und Kalt. So simpel, so großartig. Das war jedenfalls mein Fazit, als wir nach fünf Stunden und acht Gängen wieder gingen: Ich hatte noch nie so stimmig, so irreführend schlicht, denn das war es natürlich nicht, so klar, so perfekt gegessen.

Der erste Gang bestand aus pochierter Entenleberterrine mit Räucheraal, grünem Apfel, rosa Entenbrust und roter Bete. Ich war darauf vorbereitet, dass der Räucheraal alles erschlagen würde, die roten Bete mit ihrer Erdigkeit dagegen anmaulen würden, vielleicht gäbe es ein paar frische Spitzen vom Apfel, und alles zusammen war vermutlich irre kräftig. War es nicht; alles fügte sich harmonisch zusammen, die Entenleber zerschmolz auf der Zunge, der Räucheraal war deutlich zu schmecken, nahm sich aber sofort wieder zurück, um nicht aufdringlich zu werden, die Bete waren frisch statt erdig, und wenn es Spitzen gab, dann waren sie so fein dosiert, dass ich sie nicht als solche wahrnahm.

Zum zweiten Gang – ausgelöster Hummer mit Butternusskürbispüree und Sternaniscreme – wurde uns von einem der drei Sommeliers ein Wein serviert, über den F. und ich seitdem nicht aufhören können zu reden. Überhaupt sprachen wir eigentlich, seit wir aus der Tantris-Tür gingen, über nichts anderes mehr als das Tantris, das Essen, den Wein, den Service, das Ambiente. Aber dieser Wein! Der 2011er Hermitage blanc von Jean-Louis Chave war der teuerste Wein des Abends; für ein Glas 0,1 l zahlten wir 55 Euro, und damit höre ich auch auf, von Geld zu reden. Ja, das war mit Abstand das teuerste Essen, das ich jemals hatte, aber wie gesagt: Es war auch mit Abstand das beste, das ich jemals hatte.

Ich kann den Wein nicht mal beschreiben, weil er nach nichts schmeckte, das ich kannte. Normalerweise definiert sich ein Weißwein über Zucker oder Säure, so weit ich weiß, aber der hier hatte gefühlt nichts von beidem. Er war einfach da, souverän und ausdrucksstark, und er wurde immer klarer, je länger er im Glas war. Er war ein Cuvée aus Marsanne- und Rousanne-Trauben, die ich beide nicht kannte. Ich roch keine Frucht, ich schmeckte auch keine, jedenfalls keine, die ich hätte definieren können. Dieser Wein war so weit außerhalb meines bisherigen Geschmackshorizonts, dass ich nur stumm und ehrfürchtig ein ums andere Mal am Glas nippte und immer kleinere Schlucke nahm, damit er möglichst lange im Glas blieb. Irgendwann musste ich dann aber doch Abschied von ihm nehmen.

Der Sommelier, der uns danach einen weißen Rioja kredenzte, meinte dann auch fast entschuldigend, dass es jeder Wein schwer habe, auf diesen zu folgen. Der Rioja schlug sich aber sehr ordentlich. Und er passte natürlich hervorragend zur konfierten Seezunge mit Bohnen, Ricottaravioli und Oliven-Sardellensud. Auch hier wieder: Oliven! Sardellen! Unglaublich intensive Geschmäcker, aber sie waren nicht die Hauptdarsteller, im Gegenteil, sie stützten mit ihrer Würze den feinen Fisch und den hauchdünnen Raviolo, in dessen Innerem sich der schmelzigste Ricotta verbarg, den ich jemals gegessen hatte. (Ich müsste mit diesen Superlativen langsam aufhören, es kommen schließlich noch drei Gänge, aber sie sind angebracht. Sorry not sorry.) Unter Ricotta verstand ich bisher bröckeliges weißes Zeug, mit dem ich nie etwas anzufangen weiß außer es mit Spinat zu kombinieren. Und Oliven waren für mich halt das herbsäuerliche Zeug, das im griechischen Salat liegt. Mit Sardellen stelle ich nur Dressing für Caesar Salad her oder packe sie auf Pizza, und Bohnen sind meine liebste Gemüsebegleitung, weil sie so schön knackig sind. Dieser Gang warf mal eben alles über den Haufen, was ich bisher über diese Zutaten gelernt und verinnerlicht hatte. Ich lernte, dass Oliven auch einfach nur würzen können und dass Bohnen auch unknackig hervorragend sind. Ich hätte auch gerne gelernt, wie man Pastateig so unfassbar dünn ausrollen kann, so dass der Löffel quasi hindurchgleitet, er aber fest genug ist, um im Wasser nicht auseinanderzufallen.

Ich war bei jedem Gang damit beschäftigt, die ganzen winzigen Kleinigkeiten zu bewundern, von denen ich nur ahnen kann, wieviel Arbeit sie gemacht haben. Die Gemüsewürfelchen in der folgenden Ochsenschwanzessenz wurden vermutlich mit einem Skalpell geschnitten, und trotzdem schmeckte man Möhre und Zwiebel aus diesem zwei Millimeter kleinen Ding heraus.

Der Fleischgang bestand aus gratiniertem Lammrücken mit Spinat, Artischocken und Petersilienpolenta. Und hier, und es ist mir ein bisschen peinlich es zuzugeben, war ich kurz davor zu heulen. Es ist doch nur ein blöder Lammrücken mit einer blöden Kräuterkruste und blöder Polenta, aber es war dann eben doch so unglaublich viel mehr. Wo ich bisher noch auf Details der Zutaten oder der Zubereitung geachtet hatte, warf mich hier der Geschmack endgültig um, ich war schlicht überwältigt von diesen mir eigentlich bekannten Aromen in ihrer mir bisher nicht bekannten Vollendung. Ich weiß, es ist „nur“ Essen, aber genauso könnte ich vor Rogier van der Weydens Kreuzabnahme im Prado stehen und sagen, es ist nur ein Bild. Dieses Essen hatte ein Niveau, das mich schlicht überforderte – mich damit aber sehr beglücken konnte.

Den Käsegang (Ziegenfrischkäse auf Mispeln, OMG) und die beiden Desserts nahm ich fast nur noch als Konsistenz war, so fertig waren meine Geschmacksnerven. Ich erinnere mich daran, beim Mohr im Hemd – ein kleines Schokoküchlein mit Rumsahne und geschmolzener Schokolade und Kaffeeeis – nur noch über die unfassbare Fluffigkeit des Küchleins gebrabbelt zu haben: Wie kann man einen Kuchen so backen, dass er sich anfühlt, als würde man in süße Luft beißen? Und wie kann ein Süßwein bitte nach Kaffee schmecken? Das Passionsfruchtsorbet auf Mango räumte dann den Magen wieder etwas auf, aber für mehr als einen Espresso reichte meine Kraft nicht mehr, keinen Schnaps mehr, danke. Ich wollte abends auch gar nicht Zähneputzen, um möglichst lange die letzten Geschmacksmoleküle zu retten.

Ich habe so noch nie gegessen – und ich werde wieder ein paar Jahre verstreichen lassen, bis ich mir das noch einmal gönne. Das war ein unvergesslicher Abend, und als wir uns auf dem Weg zur U-Bahn noch einmal zum Restaurant umdrehten, hatte ich dann doch ein paar Tränchen in den Augen. Ich bin so dankbar, etwas so Wundervolles erlebt und genossen zu haben. Und ich bin einer meiner Leserinnen genauso dankbar, dass sie mir diesen Abend finanziert hat; ich konnte die ganze Zeit schmecken und riechen und staunen anstatt daran zu denken, dass ich gerade dreiviertel meiner Monatsmiete für eine Mahlzeit ausgebe.

Den nächsten Tisch dort buche ich, wenn die Dissertation abgegeben ist. Ich freue mich jetzt schon darauf.

25.9.2017

Was schön war, Sonntag, 24. September 2017 – Wahldienst

Okay, dass der Wecker um kurz nach 6 klingelte, war nicht ganz so schön, aber ohne Dusche oder Frühstück wollte ich dann doch nicht im Wahllokal auflaufen. Dort war ich pünktlich um 7.30 Uhr; mein Wahlort war in einer Grundschule, wo sich noch sechs andere Wahllokale befanden, was den ganzen Tag dazu führte, dass die Leute im falschen Raum landeten – trotz liebevoller Auszeichnung. Aber dafür sind wir ja da – Leuten den Weg zur Urne zu weisen, notfalls mit der Ansage „Da müssen’S zwei Räume weiter.“

What happens in the Wahllokal stays in the Wahllokal, daher verblogge ich hier keine besonderen Vorkommnisse oder Eigenarten der Wählenden, die ich aber durchaus interessiert beobachten konnte. Vielleicht nur ein Hinweis für die nächste Bundestagswahl: Wir brauchen euren Perso nicht, die Wahlbenachrichtigung reicht, wir finden euch dann schon im Wählerverzeichnis. Oder andersrum: Wenn ihr eure Wahlbenachrichtigung verschlampt habt, reicht auch der Perso zum Wählen, wir finden euch dann schon im Wählerverzeichnis. Wir nehmen auch Führerscheine oder Reisepässe, hauptsache, ihr steht auf unserer unbestechlichen Liste.

(Edit, weil zum Thema „Perso mitbringen oder nicht“ ein paar Mails kamen: „Das Gesetz verlangt nicht ausdrücklich, dass Sie sich im Wahlraum ausweisen. Denn wählen kann, wer in das Wählerverzeichnis eingetragen ist oder einen Wahlschein hat.“)

Und noch was: Wenn ihr euch Briefwahlunterlagen zuschicken lasst, dann benutzt die doch auch einfach und kommt nicht mit ihnen ins Wahllokal. Falls ihr das doch tut, dann bringt bitte alles mit, denn wir behalten euren Wahlschein ein (während ihr die Wahlbenachrichtigung für die Urnenwahl wieder zurückkriegt und selbst wegschmeißen dürft), und ihr dürft die lustigen bunten Umschläge vor unseren Augen zerreißen, damit ihr sie nicht doch irgendwo einwerft. Falls ihr eure Unterlagen irre spät kriegt und glaubt, die olle Post schafft das nicht mehr zum Wahltermin – alleine in München gab es fünf (glaube ich) Briefkästen, in die ihr auch am Wahltag noch eure Briefwahlunterlagen einwerfen konntet und die dann um 18 Uhr geleert wurden. Einer davon stand am Rathaus am Marienplatz, also superzentral und für alle bequem zu erreichen. Fragen Sie Ihre freundlichen Wahlhelfer*innen bei der nächsten Wahl danach und haltet nicht die Schlange mit den netten Urnenwähler*innen auf.

Wir hatten bei uns im Lokal wirklich nur freundliche Wahlhelferinnen. Das fand anscheinend auch ein Wähler, der uns morgens Croissants und Kaffee vorbeibrachte. Das Kreisverwaltungsreferat hatte in die Urne nicht nur die Wahlunterlagen gelegt, sondern auch einen Riesenberg an kleinen Gummibärtütchen, von denen wir einige verzehrten und den Rest an Kinder verteilten – und an die Wähler Nummer 100, 200 usw. Ich bin kurz nach Wähler 350 bzw. gegen 13 Uhr nach Hause gegangen und kam um kurz vor 18 Uhr wieder, um beim Auszählen zu helfen. Wir hatten bei uns im Lokal eine Wahlbeteiligung von über 80 Prozent, weswegen wir den ganzen Tag gut beschäftigt waren. Das Auszählen hat problemlos geklappt – und was noch viel wichtiger war: die Computerunterstützung auch. Für München wurde für diese Wahl eine eigene Software entwickelt, die wir gestern erstmals im Einsatz erprobten. Das System lief fehlerfrei und bis auf eine etwas dusselige Menüführung problemlos; das Hantieren mit Taschenrechnern und 700 Notizzetteln entfiel, die Schnellmeldung wurde von uns gegen kurz nach 20 Uhr elektronisch verschickt. Da wir praktischerweise richtig gezählt hatten – Anzahl der Stimmzettel stimmte mit der der erfassten Wählenden überein – und wir auch sonst recht flink waren, hatten wir die, wenn ich mich richtig erinnere, 666 Stimmzettel in gut zwei Stunden ausgezählt, alles in entspannter, unhektischer Atmosphäre. Mit den Damen würde ich gerne noch einmal zusammenarbeiten, da gab es kein nerviges Rumquatschen, keine wollte Chef spielen, wir arbeiteten konzentriert und professionell, obwohl wir natürlich alles Laien waren.

Bei uns im Stadtbezirk ist nach Zweitstimmen die CSU stärkste Kraft, dann folgen die Grünen, die FDP, die SPD und die Linken. Die AfD landete bei uns auf Platz 6, aber ich frage mich wirklich, warum in einem gut situierten, teils bürgerlichen, teils studentischen Viertel immer noch fünf Prozent der Wählenden meinen, sie müssten diesen menschenverachtenden, populistischen, demokratiefeindlichen Arschlöchern ihre Stimme geben. Darüber tröstet mich auch meine Ehrenurkunde nicht hinweg, die das Innenministerium gestern erstmals springen ließ. (Neben den Gummibärchen.)

20.9.2017

Was schön war, Dienstag, 19. September 2017 – Flutlichtspiel

Die englischen Wochen sorgten dafür, dass F., eine weitere Münchner Mitfahrerin und ich uns gestern abend (statt Samstagnachmittags) in den Zug nach Augsburg setzen, um uns ein bisschen Fuppes zu gönnen. Im Feierabendpendlerzug gondelten wir westwärts, erwischten am Bahnhof gleich eine angenehm leere Tram und waren um halb acht am Stadion.

Das Augsburger Stadion, die WWK-Arena, ist eigentlich ein grober Klotz, also genau mein Ding, denn den Brutalismus mag ich sehr gerne. Allerdings vor allem im Verbund mit anderen Architekturstilen – eine ganze Stadt à la Blade Runner würde mich vermutlich wahnsinnig machen, aber als punktueller Hingucker zwischen den ganzen feinen Altbauten und glatten Stahl- und Glaslangweilern mag ich grobe Klötze halt gern. Die Arena steht in Augsburg auf freier Wiese, und als ich sie das erste Mal sah, verliebte ich mich sofort in sie. Kein Schnickschnack, keine verkleidete Fassade, man sah nur Streben und die Schüssel, in der innen die Ränge sitzen, das war’s. Form follows function und albert nicht rum. (Wobei ich ja bekanntermaßen nichts gegen Arenen habe, bei denen die Form außergewöhnlich ist.)

Für diese Saison hat sich die Arena etwas aufgerüscht; der Sponsor zahlte eine Verkleidung aus einem metallenen Strebewerk, das mit Leuchtstäben durchsetzt war. Das konnte man in den vergangenen Wochen schon sehen, aber die Beleuchtung wurde gestern erstmals eingesetzt. Als Besucherin der Allianz-Arena, deren komplette Fassade aus Leuchtelementen besteht und damit einen sehr kraftvollen Punkt macht, war ich von den Augsburger Lichtlein ein bisschen enttäuscht.

Außerdem musste ich mir sagen lassen, dass die Dienstags- und Mittwochsspiele ab dieser Saison nicht mehr um 20 Uhr, sondern erst um halb neun anfingen. Wir hatten also eine lockere Stunde Zeit, um die traditionelle Stadionwurst zu genießen, aber ich richtete mich nölig darauf ein, noch später als gedacht wieder in München zu sein. Ähnlich dachten wohl auch viele Leipziger; der Gästeblock war äußerst spärlich gefüllt. Außerdem machte ich mir nun Sorgen um meinen Liebling in Augsburg (neben dem Kasperl und der Wurst), dem Kid’s Club, der vor dem Spiel zur Vereinshymne durchs Stadion zieht und dem man gefälligst zuwinkt, wenn er vorbeikommt. (Es rührt mich immer noch.) Müssen die ganzen lieben Kleinen nicht schon längst im Bett sein? So war es auch: Ein stark ausgedünnter Kinderklub drehte seine Runde, aber er war da, ich winkte und war gerührt.

Die Nordwand im Stadion packte dann lustige Ballons aus, die sie zusammen mit den Fahnen schwenkten. Ich sinnierte innerlich vor mich hin: „Die langgestreckten Elemente greifen ikonografisch die Lichtstreben der Fassade auf und schaffen so einen sichtbaren Zusammenhang zwischen Außen- und Innenteil der Arena.“ Die fünf Jahre Kunstgeschichtsstudium haben sich total gelohnt.

Dann war keine Zeit mehr zum Sinnieren, es wurde gebrüllt und schon nach wenigen Minuten gejubelt, als Augsburg mit 1:0 in Führung ging. Diese Führung wurde dann mit allem, was diese Mannschaft hat, über die 90 Minuten gerettet, und wir traten sehr zufrieden den Heimweg an.

Nach dem Spiel leuchtete die Arena einheitlich in grün, was alle Besucher*innen ein bisschen ungesund aussehen ließ; es gefiel mir aber besser als das Rotgrünweiß der Vereinsfarben, das zu punktuell war, um wirklich ein großes Bild zu zeichnen. (Hier halfen übrigens noch grüne Strahler nach, die auf die Arena gerichtet waren.)

Bis heute abend ist Augsburg Tabellendritter, was völlig irre ist. In so ziemlich allen Saisonprognosen setzten die Expert*innen den FCA auf den letzten Platz und sahen ihn als klaren Absteiger. Im Moment fühlt sich das sehr anders an, aber, yay, Fußballersprech: Die Saison ist noch lang.

Ich habe mich gefreut, RB Leipzig mal live zu sehen. Ja, über Leipzig kann man sehr viel meckern (Transferpolitik, Marketingklub etc.), aber so ganz kann ich das Gefühl nicht abschütteln, dass es schön ist, auch im Osten wieder einen Erstligaverein zu haben. Zudem hat RB in der letzten Saison richtig schönen Fußball gespielt, den ich mir durchaus öfter angeschaut habe. Von diesem schönen Fußball war gestern allerdings nichts zu sehen, weil Augsburg halt Augsburg war. Die Mannschaft ist offensiv nicht stark genug, um selbst das Spiel zu machen, also nutzt das Team individuelle Fähigkeiten und eine beeindruckende mannschaftliche Geschlossenheit, um stattdessen das Spiel des Gegners zu Kleinholz zu machen. So ziemlich jeder Spielzug wird gestört, und das hat gegen Leipzig, dessen Stärke das elegante, fließende und schnelle Passspiel ist, gestern sehr gut geklappt. Wieder kein schönes Spiel, aber das erwarte ich beim FCA auch gar nicht mehr. Stattdessen freue ich mich hier über gefühlt bedingungslosen Einsatz für das Team. Also das, was man manchmal beim FC Bayern vermisst, weil jeder Spieler eine eigene Agenda hat. Ich finde es sehr spannend, allmählich unterschiedliche Spielweisen identifizieren zu können, weil ich jetzt regelmäßiger im Stadion bin als vorher bei Bayern. Auch wenn ich dafür erst gegen 1 Uhr im Bettchen war.

(Dritter! Alter!)

14.9.2017

Was schön war, Mittwoch, 13. September 2017 – Post von der Uni

Der neue Lebensabschnitt kann jetzt offiziell losgehen.

6.9.2017

Masterarbeit „Auseinandersetzung und Aneignung. NS-Thematik im Frühwerk von Anselm Kiefer und Markus Lüpertz“

Da ist das gute Stück endlich. Ich habe gestern das Gutachten eingesehen, das mich sehr gefreut hat, wie natürlich auch die Note; ich erwähnte die 1,0 ja bereits. Jetzt mit Abstand fallen mir natürlich wieder tausend Sachen ein, die ich noch hätte erwähnen können, aber ach, die olle Wissenschaft ist ja nie fertig.

Ich mag die Arbeit trotzdem immer noch sehr – vielleicht liest sie ja sogar der/die eine oder andere unter euch. Deswegen steht sie hier nämlich. Das Abbildungsverzeichnis steht hier, dann müsst ihr nicht dauernd wild rumscrollen.

Ich wünsche viel Spaß – oder: viele Erkenntnisse – beim Lesen.

29.8.2017

Kunst gucken: Einzelmeister – Thomas Struth, „Audiences“ (2004)

Ich verwies neulich auf einen neuen Podcast der amerikanischen Komödiantin/Schauspielerin Abbi Jacobson, die sich mit Gästen für knapp 20 Minuten lang ins MoMA stellt und angeblich dumme Fragen an Kunst hat: Was soll das Rad auf dem Hocker von Duchamp? Wieso malte Warhol Dosensuppen? Fragen an Kunst sind nie dumm, weil man damit ganz simpel anfängt, über Kunst nachzudenken. So ähnlich gehen wir an unseren Fehlfarben-Podcast: Irre viel Ahnung haben wir auch nicht und wir fragen uns dauernd was, wenn wir in Ausstellungen stehen, und anstatt dann im stillen Kämmerlein zu diskutieren, nehmen wir uns beim Lautdenken halt auf.

Seitdem mein Studium etwas fortgeschrittener war, habe ich mir meist vor oder nach den Ausstellungsbesuchen noch irgendwas angelesen, damit die Hörer*innen nicht nur ahnungsloses Gestammel hören. Trotzdem stehe ich natürlich weiterhin vor vielen Werken genau so: ahnungslos. Die Ecke der Kunst, in der ich mich ein bisschen auskenne, ist winzig, immer noch. Daher versuche ich mal eine neue Serie im Blog: Einzelmeister. Ich stelle mich ins Museum und schreibe auf, wie ich gucke und was ich sehe, meist recht ahnungslos. Und erst danach radele ich ins ZI, lese was Schlaues dazu und schreibe das in einen zweiten Textblock. Mal sehen, was dabei so rauskommt.

Mein heutiger Einzelmeister ist Thomas Struths Audiences (2004), das mir von seiner Ausstellung Figure Ground am besten gefallen hat. Wir sprachen über die Ausstellung im letzten Podcast; sie läuft noch bis zum 7. Januar 2018 im Haus der Kunst in München.

Ihr könnt das Bild bzw. die Bilder, denn das Werk besteht aus vier Tafeln, ab 10.53 min im Ausstellungstrailer sehen, hier nicht vollständig im Raum und hier als einzelne klickbare Teile. Im Haus der Kunst hängen von rechts nach links die Bilder 5, 4, 11 und 7.

Was ich sehe:

Das Werk besteht aus vier großen Farbfotografien, geschätzt zwei mal drei Meter breit. Die vier Einzeltafeln hängen schräg im Raum, im Gegensatz zum Rest der Ausstellung, der brav an Wänden hängt. Ich weiß nicht, warum, aber schon diese Hängung hat mir gefallen. Man schaut zu den Bildern auf, sie hängen nicht auf bequemer Augenhöhe. Was sofort auffällt, ist die Parallele zu den abgebildeten Menschen, denn auch sie schauen nach oben.

Auf allen vier Tafeln sind frontal Menschen in Freizeitkleidung zu sehen, die ihren Blick nach oben richten. Aus dem Wandtext wird klar: Sie stehen in einer Rotunde vor Michelangelos David-Statue in Florenz, sicherlich einem der bekanntesten Werke der Kunstgeschichte. Der Fußboden ist rot und grau gemustert, hinter den Menschen sind graue Säulen zu sehen; rechts im Bild geht die Galerie weiter, man sieht goldgerahmte Bilder, ohne diese erkennen zu können. Der Fotograf stand anscheinend links von David und schaute sich die Menschen an, die sich David anschauen.

Auf der ersten Tafel, der rechten (Nr. 5) – das war die Seite, von der aus ich in den Raum kam –, fällt vor allem die dreiköpfige Gruppe links von der Bildmitte ins Auge. Eine junge Frau steht mit verschränkten Armen vor David und trägt Kopfhörer; sie hört dem Audioguide zu und schaut dabei sehr skeptisch nach oben. Sie bemüht sich nicht einmal, erleuchtet oder erstaunt oder irgendwas zu sein, was man halt vor David zu sein hat, sie steht hier und denkt vielleicht über seine riesigen Hände nach. Vielleicht will sie auch einfach nur aus ihren unbequemen Flipflops raus. Der junge Mann neben ihr trägt ebenfalls Kopfhörer und schaut pflichtschuldig nach oben, fast emotionslos, während ein weiterer junger Mann rechts sein Erstaunen nicht verbergen kann. Er steht leicht breitbeinig da, die Arme an seinen Seiten, eine Sonnenbrille im Haar. Er steht da vielleicht schon länger, muss die Arme nicht mehr verschränken oder die Hände in den Hosentaschen verbergen, er steht da in seiner ganzen Körperlichkeit genau wie David, er hat einen festen Stand und behauptet seinen Platz, während er einen anderen Mann anschaut, der eine ähnliche Körperspannung hat wie er.

Auf der zweiten Tafel von rechts (Nr. 4) sieht man mehrere kleine Grüppchen. Ganz links scheint eine Familie zu stehen, Vater, Tochter, Sohn; Vater und Tochter haben die Arme verschränkt, der Sohn steckt seine Hände in die Hosentaschen, alle schauen – im Gegensatz zu den anderen Gruppen im Bildvordergrund – nicht nach oben, sondern geradeaus oder zur Seite. Schaut die Tochter den Sockel an oder denkt sie darüber nach, wo sie noch alles hin muss, bevor sie wieder im Hotel lesen kann? Der Vater scheint die anderen Besucher anzuschauen: Gucken die auch richtig? Was gibt’s da hinten noch zu sehen? Haben wir jetzt lange genug hier den Pflichttermin bespielt?

Rechts von ihnen steht eine Gruppe aus drei Frauen, vielleicht Mutter und zwei Töchter? Die beiden jüngeren Frauen tragen ihre Rucksäcke vor der Brust anstatt auf dem Rücken, vielleicht weil die Aufsicht ihnen das so gesagt hat, vielleicht auch, weil in jedem Touristenratgeber steht, man solle seinen Rucksack im Auge haben. Zwei von ihnen haben ihre Kopfbedeckung, einen Hut, eine Baseballmütze, abgenommen wie in der Kirche. Die dritte scheint zu sprechen, die hält eine Eintrittskarte oder ein Heft in der Hand und scheint den anderen beiden erzählen zu wollen, was sie sieht; die anderen beiden hören ihr zu.

Wieder rechts von ihnen steht eine dritte Gruppe, wieder aus drei Personen. Sie sehen nicht so aus, als ob sie zusammengehören, sie stehen ein bisschen zu weit auseinander, um Freunde oder Familie zu sein. Vielleicht ist aber auch jeder gerade in seiner eigenen kleinen Welt, nur ich und David, und deswegen sind die Freunde gerade nicht so wichtig. Die Frau im Vordergrund hat ihre Brille ins kurze Haar geschoben und schaut fast fassungslos nach oben. Sie scheint sich noch sortieren zu müssen, wie fühlt sich das an, vor David zu stehen, wo schaue ich als erstes hin? Sie schaut nicht ganz so weit nach oben wie der junge Mann rechts neben ihr, sie scheint auf Davids Brustkorb zu verharren. Der junge Mann ist hingegen schon bei Davids Gesicht angekommen, und er lächelt strahlend. Von allen vier Tafeln ist dieser Mann derjenige, der mir am besten klarmachen konnte, was es heißt, vor David zu stehen: Er lächelt, er strahlt. Er steht entspannt mit den Händen in den Hosentaschen in gelbblauem Shirt und knielangen roten Hosen vor dem weißen David und strahlt. Vielleicht grinst er auch über Davids Nacktheit, aber ich wage zu behaupten, dass ein verlegenes, verschämtes Lächeln anders aussieht als dieses hier. Dieser Mann sieht so aus, als hätte er sich am meisten auf den David gefreut, als er die Florenzreise gebucht hat, und jetzt ist er endlich da und kann glücklich vor ihm stehen.

Die dritte Dame in der Gruppe ist noch nicht ganz angekommen – sie lächelt schüchtern, als ob es ihr unangenehm ist, David so nahe zu kommen. Und ganz rechts im Bild nähert sich ein kleiner Junge der Statue, er ist der einzige auf dieser Tafel, der sich ganz leicht bewegt, er geht einen Schritt auf David zu und schaut fragend zu ihm auf. Er weiß noch nicht, was er mit diesem übergroßen nackten Mann anfangen soll, aber er möchte näher an ihn heran.

Diese vier auf der zweiten Tafel waren für mich schon die Essenz des ganzen Werks. Alle Personen danach fand ich ebenso spannend und ich konnte mir Geschichten zu ihnen ausdenken, aber diese vier haben für mich persönlich die Annäherung an ein Kunstwerk perfekt symbolisiert: das Staunen, die Freude, die Intimität und der Wunsch, Kunst noch näher kommen zu wollen.

Auf der dritten Tafel (Nr. 11) sind deutlich mehr Menschen zu sehen, es gibt kaum noch klar erkennbare Gruppen. Ein älteres Pärchen beschäftigt sich mit seinen Audioguides anstatt nach oben zu schauen, eine junge Frau links scheint ihren Blick hin- und herzuwechseln zwischen dem David und dem Kunstführer, den sie in der Hand hält, eine vier- bis sechsköpfige Gruppe bespricht, was man gerade gesehen hat oder lässt sich etwas erklären, schaut aber auch nicht nach oben. Überhaupt schauen mehr Leute nicht nach oben als zum David als umgekehrt.

Eine Person allerdings hat mich persönlich wieder sehr gefreut: der Junge in der Bildmitte im roten Shirt, seine Hände in den Hosentaschen (das scheint eine übergreifende Geste fürs Kunstgucken zu sein), in khakifarbenen, halblangen Hosen und schwarzen Sneakers, seine rote Baseballmütze auf dem Kopf, am Handgelenk eine silberne Uhr. Er scheint die ganzen wuseligen Gruppen gerade vergessen zu haben, denn er blickt nur staunend nach oben. Seine Augen ruhen auf Davids Gesicht, sein Mund ist leicht geöffnet, er steht alleine vor der Statue und alle Menschen um ihn herum sind völlig egal. Er sieht David vermutlich zum ersten Mal und genau das spiegelt sich auf seinem Gesicht wider. Rechts im Bild steht ein Mann in ähnlicher Position, auch er mit halblangen Hosen und Shirt, seine rechte Hand hält seinen Rucksackgurt fest, die linke steckt – natürlich – in der Hosentasche, und auch er schaut mit leicht geöffnetem Mund nach oben. Er sieht allerdings aus wie jemand, der pflichtschuldig schaut, er weiß, was der David ist, er hat sich das alles brav angelesen und guckt jetzt wie jemand, der weiß, wie man gucken muss, wenn man vor David steht. Der Junge neben ihm weiß das nicht, er kann gerade nicht einordnen, was er sieht, er weiß nur, dass er hier stehen und schauen möchte.

Die letzte Tafel (Nr. 7) scheint später am Tag aufgenommen zu sein, die meisten Besucher sind müde, haben schon halb Florenz in den Knochen und möchten nur irgendwo sitzen und was trinken. Ein Mann schaut den Fotografen an, sein Gesicht ist leicht gerötet, er trägt einen Schlapphut und wurde eventuell von seiner Freundin vor den David geschleift. Sie steht links neben ihm in heller Hose und einer Bluse mit Sonnenblumen, um ihre Hüfte hat sie eine blaue Jacke geknotet, ihre Schuhe sind nicht die üblichen Turnschuhe oder Trekking-Sandalen, die sonst alle Besucher und Besucherinnen tragen, sondern flache Pantoletten; mit ihrer linken Hand lehnt sie eine Wasserflasche an ihre Hüfte. Sie scheint sich wenigstens ein bisschen für David schick gemacht zu haben, sie wollte hier nicht in Sneakers stehen, und so schaut sie andächtig nach oben, ob er das zu würdigen weiß. Hinter den beiden richtet jemand eine flache Kamera auf David. Spätestens hier merkt man, wie alt das Werk schon ist, heute würde vermutlich so gut wie jeder ein Smartphone zücken. Das sieht man auf Instagram sehr gut, wenn man nach #davidmichelangelo sucht.

Was ich las:

Thomas Struth sagte einmal zu seinen Porträts, dass er sie als gelungen empfindet, „wenn das Bild der duellhaften Sitzung, der Gegenüberstellung von Modellen auf der einen und dem Autor und seiner Kamera auf der anderen Seite eine irgendwie unausweichliche Betroffenheit auslöst, eine epische Qualität, die sich in einem Bild kondensiert.“ Er sprach dabei über seine Familienporträts (1, 2), bei denen er den Ort und den Bildausschnitt bestimmt, seinen Objekten aber die Freiheit überlässt, sich zu positionieren, wo und wie sie möchten. (Auch aus dieser Reihe hängen einige derzeit im Haus der Kunst.) Ich glaube, diese Aussage passt auch auf Audiences, auch wenn seine Objekte sich hier vermutlich nicht in eine Pose gestellt haben – höchstens die des Kunstguckens, Hände in die Hosentaschen oder Arme verschränkt, Blick nach oben. Struth weiter zu seinen Familienporträts: „Vor allem ist es die uneingeschränkte, nicht abgelenkte Präsenz der Personen, wie sie sich im Hier und Jetzt zusammen darstellen, die ein Gradmesser [für ein gelungenes Bild] ist.“ (Beide Zitate Schubert 2016, S. 228.)

Vielleicht ist es genau das Gegenteil, diese abgelenkte Präsenz der Personen, die ich an Audiences so mochte. Die Anziehungskraft von David ist in jedem Detail spürbar, selbst wenn die Menschen nicht zu ihm aufblicken. Ohne ihn wären sie hier nicht versammelt, er ist das Zentrum, obwohl er überhaupt nicht sichtbar ist. Jedenfalls dachte ich das, bis mich ein Aufsatz darauf aufmerksam machte, dass sich die Statue in einer Sonnenbrille eines Betrachters spiegelt: Der müde Mann aus dem vierten Panel, der den Fotografen anschaut, hat seine Sonnenbrille in seinen Shirtkragen gehängt – und dort ist der David zu sehen. (HaCohen/Ezrahi 2010, S. 175.)

Im Podcast verglich ich das Bild mit Da Vincis Abendmahl. Das mag erstmal etwas schräg klingen, aber alleine die Bildmaße lösten diesen Vergleich in mir aus, ohne dass ich darüber nachdachte. Dann aber überlegte ich: Vielleicht sind es eher die verschiedenen Gesichtsausdrücke, die mich an das Abendmahl haben denken lassen? Bei Da Vinci zeigen sich in den Gesichtern der Jünger verschiedene Regungen auf Jesus’ Ankündigung, jemand werde ihn verraten. Vielleicht musste ich daran denken, als ich die vielen Reaktionen auf David sah: Zweifel, Erstaunen, Glück, Ratlosigkeit, Erschöpfung. Auch Hans Belting schrieb über die Tätigkeit des Betrachtens und die unterschiedlichen Reaktionen:

„Museumsbesucher […] aus allen Rassen und Kulturen bilden das gemeinsame Publikum, das, so scheint es, einer gemeinsamen Tätigkeit nachgeht. Aber es benimmt sich dabei so, daß nicht ganz eindeutig ist, worin diese gemeinsame Tätigkeit besteht. Alle betrachten sie Bilder, aber auf so unterschiedliche Weise und in so verschiedener Intensität, daß man daran zu zweifeln beginnt, daß alle noch das gleiche tun.“ (Belting 2005, S. 110.)

Belting schrieb hier über die Museum Photographs (1, 2), in denen Struth Museumsbesucher fotografierte, aber im Gegensatz zum David von hinten, so dass man das betrachtete Kunstwerk ebenfalls im Foto sieht. Auch davon hängen einige Exemplare im Haus der Kunst; mein Liebling war die Ansicht von Caillebottes Straßenszene in Paris. Und der ungewohnte Anblick von Dürers Selbstporträt, das quasi nebenan im Original in der Alten Pinakothek hängt; das war schon fast surreal, es hier im Haus der Kunst zu sehen. Vielleicht auch, weil ich dieses Bild an einem festen Ort abgespeichert habe: Das gehört für mich nicht in Ausstellungskataloge oder Abbildungen oder eben ins Haus der Kunst, das gehört für mich in die Alte Pinakothek, da habe ich es gesehen, da hat es seinen Platz. Belting beschreibt diese Verortung und damit meinen Blick auf die Museumsbesucher so:

„Wir gehen gewöhnlich nicht in eine Ausstellung, um Leute zu betrachten, schon gar nicht solche Leute, die ihrerseits Bilder betrachten, womit wir uns in einer Tautologie, ihres Blicks in unserem Blick, verfangen. Wir freuen uns aber daran, daß wir die Orte kennen, weil wir sie an den Bildern wiedererkennen, die dort hängen. So binden zunächst Orte und Bilder unseren Blick. […] Deshalb können wir auch in unserer Vorstellung den Ort, an dem wir selber sind, mit dem abgebildeten Ort vertauschen, auf den wir nur blicken. Dann entdecken wir in diesem Labyrinth des Blicks noch einen dritten Ort, nicht den Ort, an dem die Gemälde hängen, sondern den Ort, den sie darstellen.“ (Belting 2005, S. 110.)

Wie bei Caillebotte das Paris des 19. Jahrhunderts, das plötzlich zu Chicago wird, wo das Bild hängt und zu München, wo ich mir gerade ein Foto davon anschaue. Das funktioniert auch bei Audiences, wo mich die Reaktionen der Betrachter an mich selbst erinnern und ich so kurz in Florenz stehe.

In Audiences kommt ein Wesenszug von Struths Fotografien sehr deutlich zum Ausdruck: sein Staunen, das sich hier in den ebenfalls staunenden Gesichtern der David-Betrachter abzeichnet. In allen Bildern, die im Haus der Kunst zu sehen sind, ist die vorsichtige, nie aufdringliche, fast schon stoische Neugier Struths sichtbar; vielleicht auch ein Grund, warum mir die Fotografien so gut gefallen haben – neben ihren altmeisterlich großen Formaten. Ann Goldstein schreibt dazu:

„Struths Werk besitzt eine selbstkritische Qualität des Staunens und der Entdeckung bei der Repräsentation seiner Sujets. Für ihn ist Fotografie ‚ein eigentlich naturwissenschaftliches Werkzeug zur psychologischen Erforschung‘; er spricht von seinem Interesse an ‚psychologischer Bestimmung‘ und nennt als Auswahlkriterium für Straßenbilder die ‚Atmosphäre‘ dieser Örtlichkeiten sowie den Prozess, durch den er herausfindet, welche Strukturen es sind, die dafür sorgen, dass diese Orte so aussehen, wie sie aussehen. Seine Frage an sich selbst lautet: ‚Wieso reagiere ich darauf?‘“ (Goldstein 2009, S. 147.)

Vielleicht ist das die beste Methode, sich mit Kunst zu konfrontieren: erstmal entspannt gucken und sich dann fragen: Reagiere ich darauf? Und wenn ja, auf was und wieso? Ich habe länger über Audiences nachgedacht und ahne inzwischen, dass die Abendmahl-Assoziation nicht von ungefähr kommt. Kunst hat für mich manchmal einen erhabenen, fast religiös-andächtigen Charakter; manche Werke bringen mich nicht nur zum Staunen, sondern sogar zum Weinen (wie van der Weydens Kreuzabnahme), und weil ich das weiß, will ich mich manchen recht vorsichtig nähern, immer schön den Profiblick aufsetzen, bloß nicht von Anfang an emotional reagieren. Audiences kann man sich aber nicht vorsichtig nähern, seine nahbare Menschlichkeit reißt von vornherein alle Schranken nieder, auch weil man selber in genau der Position steht wie die Menschen, die man sich gerade anschaut. Audiences ist ein perfekter Spiegel, und auch wenn man nur im ollen Nazibau des Hauses der Kunst steht und keinen Michelangelo aus Marmor anschaut, sondern moderne, kühle Fotografie, ist das Erlebnis das gleiche: Staunen über Kunst.

„Zwischen diesen Polen der Betrachtung, dem fotografierten Gemälde und der Fotografie selbst, sind die fotografierten Besucher wie in einem Zeitspalt gefangen, in dem sie erfreulicherweise nichts anrichten können. Denn die Blicke, die seit Jahrhunderten täglich auf die Bilder geworfen werden, bleiben folgenlos. Es macht vielleicht das größte Faszinosum der Kunst aus, dass sie sich im Gebrauch der Anschauung nicht verzehrt, vielmehr die Blicke, die auf sie geworfen werden, ihrerseits spurlos zu verzehren scheint. Es fällt einem dazu der Anfang von Paul Celans Gedicht Die Krüge ein: ‚An den langen Tischen der Zeit / zechen die Krüge Gottes. / Sie trinken die Augen der Sehenden leer und die Augen der Blinden“ heißt es in seinen ersten beiden Zeilen, und was könnte – bis auf die letzten Worte – die Metaphysik des Museums treffender charakterisieren?

Struths Fotografien provozieren die Frage, wie viele Betrachter die Museumsgemälde täglich zu sehen bekommen, wenn sie es denn könnten. Würde man sich im Zeitraffer die Besucherströme ansehen, welche die Mona Lisa täglich vor Augen hat, käme die Frage von selbst auf, wer hier wen anschaut […] Natürlich ist Celans Gedicht Die Krüge nicht der Kunstwahrnehmung gewidmet. Es handelt von der Langlebigkeit der irdischen Kulisse, in der die kurzfristige Neugier aller Durchreisenden vor der Ausdauer des Betrachteten verblasst. Museumsbilder zählen zu den markantesten Elementen dieser Kulisse, welche die Lebensspanne des Einzelnen überschreitet; sie sitzen die vorüberziehenden Generationen gleichsam aus. Deshalb passen auch die letzten Zeilen des Gedichtes auf sie: „Sie sind die gewaltigsten Zecher: / sie führen das Leere zum Mund wie das Volle / und schäumen nicht über wie du oder ich.“ Celans Gedicht zeigt gleichsam nebenbei, was ars longa, vita brevis auch wahrnehmungsgeschichtlich heißen kann.“ (Grasskamp 2009, S. 189.)

. . .

Literatur:

Belting, Hans: „Der photographische Zyklus der ‚Museumsbilder‘ von Thomas Struth“, in: Struth, Thomas (Hrsg.): Museum Photographs, München 2005, S. 108–127.

Goldstein, Ann: „Portraits der Selbstreflexion“, in: Reust, Hans Rudolf/Lingwood, James (Hrsg.): Texte zum Werk von Thomas Struth, München 2009, S. 144–157.

Grasskamp, Walter: „An den langen Tischen der Zeit. Thomas Struths Betrachtung des Betrachters“, in: Reust, Hans Rudolf/Lingwood, James (Hrsg.): Texte zum Werk von Thomas Struth, München 2009, S. 187–191.

HaCohen, Ruth/Ezrahi, Yaron: „In Räumen denken: Thomas Struths Poetik der Enthüllung“, in: Zürcher Kunstgesellschaft/Kunsthaus Zürich und Kunstsammlung (Hrsg.): Thomas Struth. Fotografien 1978–2010, München 2010, S. 174–182.

Schubert, Claudia (Hrsg.): Mit anderen Augen. Das Porträt in der zeitgenössischen Fotografie, Köln 2016.

22.8.2017

Kunst gucken: „Artige Kunst. Kunst und Politik im Nationalsozialismus“, Kunstforum Ostdeutsche Galerie Regensburg

Die Ausstellung wurde ab November 2016 in Bochum gezeigt und wanderte dann nach Rostock. Eigentlich sollte sie auch in Wrocław, dem ehemaligen Breslau, gezeigt werden, aber der Vertrag der dortigen, liberalen Museumsdirektorin wurde nicht verlängert, und ihr Nachfolger sagte die Ausstellung ab. (Kat. Ausst. Bonn 2016, 9)

Unser Rosenheim-Seminar besuchte die Ausstellung in Bochum (ich war leider nicht dabei) und war wenig begeistert. Kommilitoninnen bestätigten die Rezension in der Zeit, wonach man erstmal großformatige KZ-Bilder betrachten musste, bevor man die eigentlichen Bildwerke zu sehen bekam. Als ob man Besucher*innen noch mal dringend erklären müsste, was zwischen 1933 und 1945 geschah, bevor sie biederen Abbildungen von Bauernfamilien und pseudo-dynamischem Jungvolk ausgesetzt sind.

Auf der oben verlinken Website aus Rostock kann man ein paar Blicke in die Ausstellung werfen, was ich spannend fand, denn auch ich habe sie nun endlich gesehen: im Kunstforum der Ostdeutschen Galerie in Regensburg, wo sie noch bis zum 29. Oktober gezeigt wird. Die Hängung ist an allen drei Orten unterschiedlich, was natürlich schon den räumlichen Begebenheiten geschuldet ist, aber anscheinend hat man die Werke auch jedesmal neu gruppiert; zumindest sehe ich kleine, aber nicht unwichtige Unterschiede zwischen Rostock und Regensburg.

In Regensburg muss man nicht erst Bilder aus Bergen-Belsen sehen; die hängen zwar auch gleich im ersten Raum, sind aber relativ kleinformatig. Die erste Bildpaarung, die man sieht, ähnelt dem Titelblatt des Katalogs: Links hängt Sepp Happs Über allem aber steht unsere Infanterie (1943), rechts Alexej von Jawlenskys Mädchenbildnis (1909). Und damit beginnt auch schon mein Problem mit dem generellen Ausstellungskonzept. Die Gegenüberstellung von ideologischer NS-Kunst und … hier musste ich etwas überlegen, bevor ich mich für die folgende Formulierung entschieden habe … irgendeinem Bild, das keine ideologische NS-Kunst ist, finde ich arg billig. Vor allem, weil Jawlenskys Werk nicht mal annähernd zwischen 1933 und 1945 entstanden ist. Wenn man schon dringend die ideologische NS-Kunst in einen Kontext setzen will, dann wenigstens in einen, der eine gewisse Zeitgleichheit aufweist. So steht man entspannt vor dieser Bildpaarung und kann schaudernd den ollen Nazikram doof finden und den Jawlensky richtig und schön und alles. (Ist er ja auch.) Aber damit macht es sich die Ausstellung halt viel zu einfach und ist keinen Schritt weiter als diverse andere Ausstellungen von NS-Kunst vor ihr. Einen kurzen und guten Überblick über diese bekommt man im Katalog, den ich eben verlinkt habe; bei der Bundeszentrale für politische Bildung kostet er gerade 7 Euro. Die sind gut angelegt. Darin ist auch Elk Ebers Die letzte Handgranate (1937) vom Titel abgebildet, das ich gerne gesehen hätte, das in Regensburg aber leider nicht hing.

Ich schrieb das bestimmt schon gefühlte hundert Mal in diesem Blog, dass es „die NS-Kunst“ nicht gibt, weil es keinerlei Vorschriften der Machthaber gab, wie NS-Kunst auszusehen habe, höchstens welche, wie sie nicht auszusehen habe. Wenn man heute „NS-Kunst“ sagt, haben die meisten vermutlich genau die Bilder vor Augen, die es in Bochum, Rostock und Regensburg zu sehen gibt: die Herrenmenschen in blond und blauäugig mit überzeichneten Vorstellungen von männlichen und weiblichen Idealmaßen, bei denen die Jungs immer aussehen wie Bodybuilder, die nicht wussten, wann sie mit den Drogen aufhören sollten, und bei den Mädels herrschen gebärfreudige Becken, adrette Frisuren und eine eher kleine Oberweite vor, da spannt dann auch die BDM-Bluse nicht so. Dass diese Bilder nur einen winzigen Teil der Werke bildeten, die in der Großen Deutschen Kunstausstellung (1937–1944) zu sehen war, wird gerne vergessen.

„Artige Kunst“ zeigt immerhin noch ein bisschen mehr, und damit höre ich auch auf zu meckern, denn für mich war der Erkenntnisgewinn trotz aller Vorhersehbarkeit und ollem Konzept groß. Man beginnt in Regensburg, wie gesagt, mit Happ/Jawlensky und einigen Fotodokumenten nach der Kapitulation, darunter auch Fotos von Richard Peter sen. wie das schreckliche Das Lächeln des Wahnsinns (1945/46). Blickt man in den zweiten Raum, ist der dritte bereits sichtbar, wo eine Männerstatue einen anblickt. Mein Kopf meinte „Breker“, war er auch, aber erstmal kam ein Raum namens „Der genormte Mensch“. Dort hingen teils klassische, teils bürgerliche Motive in der NS-Interpretation.

Über Ivo Saliger kann ich einfach nur mit den Augen rollen, aber seitdem ich seine Bilder erstmals im Original und nicht nur als winzige Katalogabbildung gesehen habe, weiß ich besser, warum. An seiner Madonna mit Jesuskind (1938/41) blieb ich nicht lange hängen, das war schlicht langweilig. Aber Das Urteil des Paris (1939) sowie Die Rast der Diana (1939/40) sah ich mir länger an. Wenn Adolf Ziegler als „Meister des deutschen Schamhaars“ verspottet wird, möchte ich Saliger als „Meister des deutschen Warzenhofs“ ergänzen. Da hat der Herr sich schon sehr große Mühe gegeben. Ich fand es spannend, diese beiden recht bekannten Bilder im Original sehen zu können und las mir brav die Wandtexte durch. Die sprachen bei Saliger von einer „deckend schlichten Malweise“ und auf einmal fiel mir auf, warum mich Saligers Werke immer so nerven. Sie sehen genauso totgepostet aus wie heutige Anzeigen, an denen Menschen gebastelt haben, die den Photoshop nicht recht beherrschen. Saligers Werke tun so, als wären sie alte Meister, aber die Haut der Damen ist poren- und faltenfrei, die Posen sind banal, und nicht mal Vorder- oder Hintergrund sind irgendwie aufregend. Die Bilder sehen auf 160 x 200 Zentimeter genauso langweilig aus wie als Katalogbild. Das klingt zwar komisch als große Erkenntnis, aber ich hatte mich ein bisschen davor gefürchtet, alle Bilder im Original auf einmal toll zu finden.

Nochmal kurz zur Madonna: Ich lernte aus den Wandtexten, dass es bis 1941 ganze acht Heiligendarstellungen auf der GDK gab, danach keine mehr. Christliche Motive gehörten nicht zu den gewünschten Motiven der NS-Zeit. Das deckt sich mit meinen Erkenntnissen, die ich bei der Arbeit zu Leo von Welden (1, 2) gewonnen habe.

Im zweiten Raum hing auch noch Hans Schmitz-Wiedenbrücks Familienbild (vor 1939, unter dem Link zu sehen oder hier mit Provenienz). Das hätte, bis auf wenige Details, von Motiv und Malweise her auch aus dem 19. Jahrhundert stammen können. Aus der Bochumer Ausstellung berichteten meine Kommilitoninnen, dass an den „NS-Bildern“ kleine Aufkleber mit der Aufschrift „Artige Kunst“ (natürlich in Fraktur) befestigt waren, und dass die Aufbauenden manchmal nachfragen mussten, an welche Bilder der Aufkleber denn soll – das war anscheinend nicht immer sofort ersichtlich. Mir ging es einen Raum weiter so, dass ich beim schnellen Rundumblick bei einigen Werken dachte, jo, NS-Zeit, aber falsch lag. Soviel zum Thema „So sieht NS-Kunst aus, total eindeutig, das Zeug“. Beim Familienbild kann man die weiße Bluse und den braunen Rock des Mädchens links als BDM-Uniform lesen, und die Jacke des kleinen Jungen links sieht auch ein bisschen nach Uniform aus – es könnte aber auch eine Jägerjoppe sein. In der Abbildung erkennt man nicht, dass der Farbauftrag recht fein und lebhaft ist; ich starrte lange auf die rote Decke auf der Bank rechts im Bild und mochte generell die Stofflichkeit gerne. Und so begann schon im zweiten Raum bei mir der innere Kampf zwischen „Da gucke ich jetzt total unbeteiligt als Profi drauf“ und „Verdammt, das Bild hat einen gewissen Reiz, den ich gerade wegargumentieren will, damit ich mir nicht nachsagen lassen muss, Nazischeiß gut zu finden“. Ich fand das Bild nicht gut im Sinne von „Muss ich dringend über der Couch hängen haben“, aber ich konnte es auch nicht so doof finden wie die Saligers. Ein Propagandaplakat für „Gesunde Eltern – gesunde Kinder“ der NS-Volkswohlfahrt sorgte dann wieder für Kontext, wovon ich wieder genervt war. Ja, ich weiß, warum das Ding da hing (NS ist böse, nur falls das jemand bereits im zweiten Raum wieder vergessen haben sollte), aber das war echt Didaktik für Dummies.

Im dritten Raum stand dann wie gesagt eine Breker-Statue, die sogar noch halbwegs manierlich aussah und nicht wie die Drogenmuckijungs. Als Kontrast stand hier zum Beispiel die zarte Hungernde (1925, untere Bildreihe rechts) von Karel Niestrath, die man ein paar Räume weiter auf einem Foto zur Feme-Ausstellung „Entartete Kunst“ wiedersah. Das mochte ich gern, dass man Objekte in einem Zeitkontext wiederfinden konnte. Ich weiß nur gerade selber nicht, warum mich der Hinweis auf die Aktion „Entartete Kunst“ weniger nervte als die Volkswohlfahrt und die KZ-Bilder. Auch das war eine Erkenntnis der Ausstellung, die ich schon im Saal 13 der Pinakothek der Moderne hatte: Ich habe dieses ganze Forschungsfeld immer noch nicht fertig durchdacht. Immer wenn ich denke, jetzt weiß ich, wie ich selbst mit diesen Werken umgehen soll, will, muss, ändert sich wieder irgendwas. Vielleicht bin ich in drei Jahren nach der Diss irgendwo angekommen.

Ich erspare euch jetzt eine Aufzählung alle Werke, sondern lege euch die Ausstellung einfach ans Herz. Was für mich persönlich noch wichtig war: der Gesamteindruck von mehreren Werken aus der NS-Zeit in einem Raum. Das Problem an NS-Kunst, wenn man sich mit ihr wissenschaftlich befassen will: Sie wird nirgends gezeigt. Würde ich über die klassische Moderne promovieren wollen, könnte ich in so ziemlich jedes Museum des 20. Jahrhunderts gehen und einen kleinen Einblick bis großen Überblick bekommen. Bilder aus der NS-Zeit hängen in wenigen Exponaten in historischen Museen in Berlin und Nürnberg und jetzt eben auch in München, aber das war’s. Alle Bilder, die ich bisher als „klassische NS-Kunst“ kannte, kenne ich nur aus Abbildungen. Deswegen war der Besuch in Regensburg so lohnend für mich, weil ich endlich viele Originale sehen konnte – aber eben auch zwiespältig. Meine erste Reaktion per DM an F. lautete sinngemäß, toll, unbedingt angucken – was nicht heißt, dass da nur gute Kunst hängt, die man dringend sehen muss, sondern es heißt, es war für mich persönlich wichtig und aufschlussreich, sie gesehen zu haben. Aber ich merke bei jedem Satz, dass es ziemlich dünnes Eis ist, auf dem ich mich bewege.

Das fiel mir besonders in der Mittelhalle des Museums auf, wo zwar auch ein paar Werke hingen, die als Korrektiv wirkten, aber die Hälfte des Raumes bis zum Raumteiler war mit NS-Kunst bestückt, und es fühlte sich ganz kurz so an, als würde ich in einer GDK stehen. Das kannte ich noch nicht, dieses Gefühl: So könnte sich das damals angefühlt haben. Und zum ersten Mal wurde mir auch klar, warum der NS-Kunst bis heute eine gewisse Verführungskraft zugesprochen wird. Ich habe da dennoch gleich ein dickes „Aber“.

Im Raum hängen direkt nebeneinander an drei Wänden zwei Kriegsmotive (Claus Bergens Im Kampfgebiet des Atlantik (vor 1941); Michael Mathias Kiefers Die Wacht (Seeadler, 1940)), zwei Motive, die sportlich-gestählte Menschen zeigen (zum Beispiel Albert Janeschs Wassersport (vor 1936)), sowie ein paar Landschafts- und Bauernmotive. Eines davon war für mich wieder spannend: Paul Junghanns Pflügen (1940). Es zeigt einen Bauern, der hinter einem Pflug geht, der von drei Pferden gezogen wird. Der Horizont ist niedrig, das Bild gelblich-bräunlich, es sieht aus wie späte Abendsonne, eigentlich völlig unaufregend. Das Format entspricht allerdings überhaupt nicht den üblichen bäuerlichen Abbildungen, die man aus dem 19. Jahrhundert kennt – es ist mit 150 x 245 cm recht großformatig. Hier sieht man es im Kontext der GDK 1940, wo es neben weiteren bäuerlichen Bildnissen hängt und immer noch recht unaufregend wirkt. Aber in einem Raum, wo nebenan ein U-Boot durch ein bewegtes Meer pflügt und kleinpimmelige Herrenmenschen ihre Körper für den Kampf stählen, bekommt es einen sehr unheimlichen Beigeschmack. Und schon haben wir die gewollte Gruselstimmung: Guckt mal, wie schlimm NS-Kunst ist.

Aber, und hier kommt das Aber: Mit dieser Hängung schafft die Ausstellung eben auch einen Kontext, den die Bilder zur damaligen Zeit nicht hatten. Wie schon beschrieben, hing Pflügen neben anderen bäuerlichen Szenen und eben nicht zwischen U-Booten und Turnern. Wenn man sich mal durch die Säle der GDK klickt, was man auf GDK-Research ganz wunderbar machen kann, sieht man, dass recht themenzentriert gehängt wurde: hier die weiblichen Akte und die Blümchen, da die Kruppstahl-, Windhund- und Lederjungs, hier die Bauernstuben, dort die Tierporträts und irgendwann dann Kriegsbilder (gerne mit Landschaften kontrastiert wie Leo von Weldens Vormarsch in Norwegen (1941)). Die heutigen Ausstellungen zeigen durch ihre Werkauswahl und -kombination schlicht ein falsches Bild, um einen längst überholten Forschungsstand zu illustrieren. Und das nehme ich der Schau wirklich übel.

Wieder zum Positiven: Auch wenn ich die Hängung problematisch und die Idee doof finde, NS-Kunst mit Nicht-NS-Kunst zu kontrastieren, war es natürlich schön, zusätzlich zum Nazikram einige Werke der klassischen Moderne zu sehen, die ich noch nicht im Original kannte. Sehr gefreut habe ich mich über Komposition (1939/40) von Otto Freundlich aus dem Besitz der Ostdeutschen Galerie. Freundlichs Skulptur Der neue Mensch wurde in einer bösartig verzerrten Fotografie für das Titelbild des Katalogs zur Ausstellung „Entartete Kunst“ missbraucht. Gern gesehen habe ich auch Carl Grossbergs Brücke über die Schwarzbachstraße in Wuppertal (1927, im Link zu sehen); Grossbergs neusachliche Darstellung von Großstädten mag ich sehr gerne. Ich mag allerdings ebenso gerne Carl Theodor Protzens Straßen des Führers (vor 1940), und da sind wir dann wieder bei den Ambivalenzen, mit denen ich die ganze Zeit zu kämpfen habe. Selber schuld, ich weiß. Hätte ich mich mal auf feministische Kunst der 1970er Jahre spezialisiert, aber nein, es musste ja Nazischeiß sein.

Auch gefallen hat mir in Regensburg der Lokalbezug. In der Ausstellung waren einige Werke zu sehen, die nicht im gemeinschaftlichen Katalog abgebildet sind. So gefielen mir drei großformatige Grafiken (Ende 1940er Jahre) von Max Radler, die sich im Besitz der Ostdeutschen Galerie befinden, auf denen er sich mit der angeblichen Entnazifizierung nach 1945 befasst. Auch spannend: ein 13-minütiger Farbfilm über die GDK 1943, in der ein für mich aufschlussreicher Satz fiel: Die künstlerischen Werke der GDK seien „Dokumente unseres Wesens, um das wir kämpfen“. So hatten eben auch die Blumenstillleben und die weiblichen Akte eine Funktion und waren mehr als Deko. Das wusste ich zwar schon vorher, aber jetzt hab ich ein schönes Zitat.

Wenn ich Zeit und Lust habe, gehe ich Ausstellungen gerne noch einmal in umgekehrter Reihenfolge ab, also nicht in der Richtung, in die mich die Kurator*innen schicken. Beim ersten Durchgang fiel mir wie erwähnt der Zehnkämpfer von Breker in einer Blickachse ins Auge. Wenn man aus der anderen Richtung kommt, kann man ebenfalls schon aus der Entfernung in Raum 3 schauen. Dann sieht man allerdings Ossip Zadkines Torse de la Ville détruite (1951). Auch hier quengelte ich zwar innerlich, dass eine Skulptur von 1951 echt nicht in diese Ausstellung gehört, aber der Kontrast zur anderen Blickachse hat mich wieder versöhnt.

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Literatur zum Blogeintrag:

Kat. Ausst. Kunst und Politik im Nationalsozialismus. Ruhr-Universität Bochum, Situation Kunst (für Max Imdahl)/Kunsthalle Rostock/Kunstforum Ostdeutsche Galerie Regensburg, Lizenzausgabe für die Bundeszentrale für Politische Bildung, Bonn 2016.

Kunstforum Ostdeutsche Galerie Regensburg (Hrsg.): Erinnerung & Vision. 100 Meisterwerke der Sammlung, Regensburg 2005.

Museum Ostdeutsche Galerie Regensburg (Hrsg.): Von Chodowiecki bis zur Gegenwart. Eine Auswahl aus der Graphiksammlung, Regensburg 1993.

14.8.2017

Konföderierte Reiterstandbilder im Süden der USA – eine kleine kunsthistorische Annäherung

Gestern twitterte ich einen Artikel aus dem Atlantic, der sich mit den diversen Statuen und Denkmälern von Südstaatengenerälen, vor allem Robert E. Lee, beschäftigt und dafür argumentiert, sie endlich alle abzureißen oder einzumotten. Mich hat die Menge an Denkmälern erstaunt, die anscheinend noch stehen und an die konföderierten Südstaaten des amerikanischen Bürgerkriegs erinnern:

„As of August 2016, there were still more than 1,500 public commemorations of the Confederacy, even excluding the battlefields and cemeteries: 718 monuments and statutes still stood, and 109 public schools, 80 counties and cities, and 10 U.S. military bases bore the names of Lee, Jefferson Davis, and other Confederate icons, according to a tally by the Southern Poverty Law Center. More than 200 of these were in Virginia alone.“

Ich ahne, dass ich nicht mehr erklären muss, in welchem Bundesstaat Charlottesville liegt, das gerade in den Nachrichten Schlagzeilen macht. Ich mach’s trotzdem: Es liegt in Virginia. Virginia ist einer der dreizehn Gründungsstaaten der USA und gehörte im Bürgerkrieg zu den Südstaaten; die Hauptstadt der Konföderation war Richmond (Va). In Richmond wurde recht schnell nach dem Ende des Bürgerkriegs (1861–1865) über ein Denkmal zu Ehren von Robert E. Lee nachgedacht; bereits 1870 begann man mit den Planungen. 1890 wurde das Denkmal in Richmond schließlich eingeweiht; es bildet heute einen Teil der sogenannten Monument Avenue.

Das Denkmal zeigt den General zu Pferd und steht damit in der Tradition eines anderen Reiterstandbilds in Richmond. Es orientiert sich bewusst am Monument von Thomas Crawford, das George Washington zeigt, der ebenfalls zu Pferd skulptiert wurde. (Wenn ich der Wikipedia glauben darf, wurden Teile des Denkmals in München gegossen.) Washington kam aus Virginia; das Standbild betont dann auch eher seine Rolle als Einwohner Virginias anstatt der eines Einwohners der Vereinigten Staaten. Zur Zeit des Baubeginns des Standbilds (1850, fertiggestellt 1869) bestanden bereits große Spannungen zwischen den zukünftigen Nord- und Südstaaten. Um Washington herum wurden nach und nach weitere sechs Einwohner Virginias gruppiert, so dass das Denkmal primär nicht den Staatsgründer Washington zeigt, sondern einen bzw. sieben Kämpfer aus Virginia.

Wie sehr die Betonung auf Virginia und dessen Politik und nicht den USA galt, zeigt auch die Diskussion um die Materialauswahl. Einer der Abgeordneten Virginias fragte, ob Bronze statt Marmor wirklich das beste Material für die Statue sei: „[It] would look like so many negroes.“ Der Künstler Crawford versicherte, dass die Statue durch Nutzung von goldenen Details, zum Beispiel an der Uniform, eine „rich and beautiful color“ bekommen würde; ein Journalist schrieb 1850 im Richmond Enquirer, „pure bronze can never become black.“ Dadurch, dass es eine metallische Verbindung sei, „is it easy for the artist to produce a variety of colors, darker or brighter.“ (McInnis 131) Bronze als Material strahlt zudem mehr Härte und Stärke aus als Marmor, dessen Erscheinung weicher oder sogar weiblicher wahrgenommen wird.

Bei der Einweihung der Statue erklärte Senator James M. Mason: „We have brought the memory of Washington back to Virginia.“ (McInnis 133) Im Vorfeld des Bürgerkriegs betonten Politiker der zukünftigen Südstaaten stets, dass es ihnen nicht darum ging, die Union zu spalten, sondern stattdessen das Vermächtnis der ersten Revolution zu erhalten – ähnlich wie heutige White-Pride-Ideologen sich auf eben diese Revolution beziehen, wenn sie davon sprechen, sich Dinge oder Fakten oder Status zurückzuholen, von denen sie glauben, sie seien verloren.

Das Staatssiegel des konföderierten Virginias zeigte die Statue Washingtons in Richmond. Dass er zu Pferde abgebildet ist, ist kein Zufall. Diese Abbildung erweckt nicht nur Assoziationen an seinen militärischen Kampf gegen die Briten, sondern zeigt schlicht einen Mann, der über anderen steht. Zugleich erinnert die Pose an berittene Aufseher auf Plantagen der Südstaaten, auf denen Millionen von Sklav*innen Zwangsarbeit leisteten. In einem Entwurf zu einen Giebel des neuen State Houses in South Carolina waren neben antikisierten Darstellungen von Frauen auch ein Aufseher zu Pferd sowie gebückt kauernde Sklaven zu sehen. Der Entwurf wurde nie umgesetzt. (Kleiner Exkurs zu den Plantagen: Der Historiker Peter H. Wood schlug vor, nicht mehr das idyllisch konnotierte plantation als Begriff zu nutzen, sondern slave labor camps. (Vlach 24))

Genau diese Art der herrischen Abbildung wurde auch für das Denkmal von Robert E. Lee in Richmond gewählt. Auch er war Kriegsteilnehmer, aber seine Darstellung zu Pferd steht mehr in der Tradition von weißer Vorherrschaft als in der eines Mannes im Militär. Lee war ein Kriegsverlierer, genau wie Jefferson Davis, der Präsident der Konföderierten, von dem kolportiert wird, dass er versuchte, in Frauenkleidern zu fliehen, um sich einer Verhaftung durch die Nordstaaten zu entziehen. Davis konnte also in der Logik der Unterlegenen nicht als Vorbild dienen, weder als siegreicher Präsident noch als jemand, der die klassische Männlichkeit verkörperte. Lee hingegen wurde sehr schnell die irreale Abbildung von alter Südstaatenüberlegenheit, weißer Vorherrschaft und siegreichem Freiheitskampf. Frederick Douglass schrieb bereits 1870: „We can scarcely take up a newspaper … that is not filled with nauseating flatteries of the late Robert E. Lee.“ (Terrono 153) Zur Jahrhundertwende galt Lee anstatt Ulysses S. Grant zusammen mit Abraham Lincoln als eine der wichtigsten Figuren des Bürgerkriegs.

„The fundamental effect of installing Lee als the South’s premier representative was that it depoliticized the Confederacy after the fact. With Lee as the major historical actor, the story of the Lost Cause became a glorious military record rather than a political struggle to secure a slaveholding nation. The white South’s urgent need to dissociate the Confederacy from slavery after the war dictated this strategy of depolitization. […] [Lee] was less vitally attached to the institution than the typical Southern planter and he could more credibly claim afterward that he had not fought to defend it. In the late 1860s he was a living example of the white South’s collective reversal on slavery. His historical role as a leader of soldiers – not a maker of policy – complemented and enhanced that personal example. In some ways he fit the classical mold of the reluctant leader, as George Washington had, and like Washington […] he was thought to be above politics. For all these reasons he was the obvious man to personify a newly revised, newly remembered Confederacy – a Confederacy that pretended to have fought a heroic struggle not for slavery but for liberty, defined as the right of states to self-determination.“ (Savage 131)

Diese Stimmung des reinen Freiheitskampfes hielt nicht lange. Die Reconstruction wurde schnell zurückgedrängt, die Idee von white supremacy erstarkte wieder. Das Lee-Monument in Richmond wurde von der Zeit seiner Enthüllung 1890 bis 1932 der Schauplatz einer jährlichen „Confederate reunion“ und machte vor allem der schwarzen Bevölkerung stets die Rassendynamik und ihre Rolle klar. „In a column at the time of the unveiling, the editor of the Planet answered the question ‚What it means‘ that Richmond had been decorated with emblems of the ‚Lost Cause‘. Contrary to what some Northern papers reported, the Planet said, ‚No flags of the Union ornamented the procession. Only the stars and bars could be seen, the ‚rebel yell‘, under the flag of the secession which waved proudly.‘“ (McInnis 139) 1902 hatte Virginia eine neue Verfassung, die die Zeit der Reconstruction fast vergessen machte und Jim-Crow-Laws etablierte. Spätestens jetzt war die Idee der angeblich freiheitlichen Südstaaten der einer Rassenideologie gewichen bzw. zu ihr zurückgekehrt.

Die Reiterstandbilder blieben als deutliches Symbol für white supremacy weithin sichtbar. Noch 2012 veranstalteten die Sons of Confederate Veterans eine sogenannte Heritage Rally – zu Füßen des Standbilds von Lee in Richmond.

Das Denkmal von Lee in Charlottesville wurde laut Atlantic 1924 eingeweiht. In den 1920er und 1930er Jahren gab es mehrere Kampagnen, in denen im Süden vor allem Lee und Thomas J. „Stonewall“ Jackson neu und historisch mythologisierend positioniert werden sollten. Die Kampagnen waren ein bundesweiter Versuch, die noch junge Vergangenheit zu nutzen, um in der Zeit der Great Depression positive Lehren zu ziehen. Geplant war, erstmals alle Teilnehmer*innen des Bürgerkriegs zu würdigen; in den Südstaaten führten diese Kampagnen aber zum Gegenteil – sie riefen Gefühle von Verbundenheit für den Lost Cause sowie regional begrenzten Patriotismus hervor. Die neuen Statuen, die errichtet wurden, zeugten nun nicht von Lees und Jacksons Kampf für einen rassistischen Sklavenhalterstaat; stattdessen bewunderte man die Standhaftigkeit ihrer Überzeugungen, für die sie eingetreten waren und die nun als eine Tugend hochgehalten wurden. Auch ihre christliche Religion wurde in Inschriften hervorgehoben, während ihr Mitwirken an der weißen Vorherrschaft schlicht ignoriert wurde. In dieser Zeit entstanden auch verstärkt Abbildungen von angeblich dankbaren, treuen Sklav*innen, während ein 1923 geplantes Monument in Washington für die „Faithful Colored Mammy of the Southland“ gerade noch durch engagierte Widerrede von Schwarzen Amerikaner*innen abgewendet werden konnte.

1948 wurde ein Denkmal der beiden Generäle in Baltimore eingeweiht; im Sinne der Zeitströmung direkt nach dem Zweiten Weltkrieg wurden sie als „glorious heritage of all freedom-loving people“ bezeichnet. Die Reaktion des Schwarzen Amerikas klang anders: Ein Autor des Afro-American, der in Baltimore erschien, verglich Lee und Jackson mit Hitler, der genau wie die beiden Generäle eine Politik von Rassenauslöschung und Versklavung betrieben habe.

Diese unterschiedlichen Wahrnehmungen sind auch heute noch vorhanden. Die zweite der beiden Lesarten ist meiner Meinung nach einen Hauch überzeichnet, weist aber in die richtige Richtung. Die andere ist historisch schlicht nicht haltbar. Der Atlantic schreibt sehr treffend:

„The statues in public squares, the names on street signs, the generals honored with military bases – these are the ways in which we, as a society, tell each other what we value, and build the common heritage around which we construct a nation.

The white nationalists who gathered in Charlottesville saw this perhaps more clearly than the rest of us. They understood the stakes of what they were defending. They knew that Lee was honored not for making peace per se, but for defending a society built upon white supremacy – first by taking up arms, and then when the war was lost, by laying them down in such a way as to preserve what he could.“

Arthur C. Danto schrieb 1985 über den Unterschied zwischen monuments und memorials, der im deutschen Denkmal nicht ganz so trennscharf ist:

„We erect monuments so that we shall always remember, and build memorials so that we shall never forget. […] Monuments commemorate the memorable and embody the myths of beginnings. Memorials ritualize remembrance and mark the reality of ends.“ (Danto 152)

Ich bin mir bei den vielen Denkmälern für konföderierte Generäle und Soldaten immer noch nicht sicher, an was sich erinnert werden soll. Ich kann die Memorials an Kriegsschauplätzen verstehen, genau wie ich deutsche Soldatenfriedhöfe in der Sowjetunion verstehen kann. Auch wenn der Anlass für den Kampf grundfalsch war, ist es meiner Meinung nach verständlich, dass Nachkommen einen Platz für ihre Trauer haben möchten. Dass man Generälen Standbilder errichtete, die von Anfang an entweder eine rassistische Ideologie verherrlichten oder schlicht Geschichtsfälschung bebildern, ist im Nachhinein leider auch nachvollziehbar – nicht nachvollziehbar ist es aber, sie heute nicht in einen musealen, didaktischen Kontext zu betten.

Literatur für diesen Eintrag:

Abousnnouga, Gill/Machin, David: The Language of War Monuments, London/New York 2013.

Danto, Arthur C.: „The Vietnam Veterans Memorial“, in: The Nation, 31.8.1985, S. 152–155.

Foner, Eric: Reconstruction: America’s Unfinished Revolution, 1863–1877, New York 1988.

McInnis, Maurie D.: „‚To Strike Terror‘: Equestrian Monuments and Southern Power“, in: Savage, Kirk (Hrsg.): The Civil War in Art and Memory, Washington 2016, S. 125–146. (Der ganze Band ist sehr lesenswert.)

Mcpherson, James M.: Battle Cry of Freedom. The Civil War Era, Oxford 1988. (Meine ewige Empfehlung in diesem Blog für eine gute Einführung in den Bürgerkrieg. Gibt’s auch auf Deutsch.)

Savage, Kirk: Standing Soldiers, Kneeling Slaves. Race, War, and Monument in Nineteenth-Century America, Princeton 1997.

Terrono, Evie: „‚Great Generals and Christian Soldiers‘: Commemorations of Robert E. Lee and Stonewall Jackson in the Civil Rights Era“, in: Savage, Kirk (Hrsg.): The Civil War in Art and Memory, Washington 2016, S. 147–170.

Vlach, John Michael: „Perpetuating the Past. Plantation Landscape Paintings Then and Now“, in: Kat. Ausst. Landscape of Slavery. The Plantation in American Art. University of Virginia Art Museum, Charlottesville (Va)/Gibbes Museum of Art, Charleston (S.C.)/Morris Museum of Art, Augusta (Ga), Columbia 2008, S. 16–29.

10.8.2017

Was schön war, Mittwoch, 9. August 2017 – Im Prüfungsamt

Die Schlange war deutlich kürzer als erwartet, als ich kurz nach 9 auftauchte.

Anklopfen, eintreten, immer noch kein Studi in Sicht. Das ist neu. Aber schön, dann kann ich der Sachbearbeiterin ja lauter Fragen stellen. Das tat ich: „Ich hab mich nicht zurückgemeldet bzw. ich hab keine Studiengebühren mehr überwiesen, komm ich noch ins Wintersemester?“ – „Muss ich in die Studierendenkanzlei oder zu Ihnen?“ – „Bis wann denn eigentlich?“ und die wichtige Frage „Bis wann krieg ich denn das Masterzeugnis, damit ich mich für den Promotionsstudiengang bewerben kann?“

Dame: „Ich kann Ihnen ein vorläufiges Zeugnis ausdrucken, das reichen Sie dann ein, falls das eigentliche Zeugnis noch nicht da ist.“

Icke: „Das heißt, ich könnte jetzt von Ihnen meine Endnote erfahren?“

Dame: „Sind denn schon alle Noten im Transcript of Records eingetragen?“

Icke: „Jepp.“

Dame: „Haben Sie Ihren Studentenausweis dabei?“

Icke: „Jepp.“ *zück*

Dame: *tippt* „Was glauben Sie denn, was Sie haben?“

Icke: *lach* „Ich würde mich über irgendwas zwischen 1,1 und 1,2 freuen.“

Dame: „Nee, Sie sind besser.“ *druckt was aus* „Ich muss das noch siegeln.“ *geht nach nebenan und drückt mir den Bogen in die Hand. „Schönen Tag noch.“

Icke: *guck*

Icke: „Werd ich haben, dankeschön.“

Dann dämlicherweise noch einen Blick in den offenen Lieblingshörsaal (Team B 201! Stirb, A 240, stirb!) geworfen und mir wieder bewusst gewesen, dass ich da vermutlich nie wieder sitzen werde. Traurig geworden. Dann wieder über die Endnote und mein MA-Studium gefreut. Dann wieder traurig geworden. Und so ging das den ganzen Tag weiter.

Abends kam F. zum Feiern und Trösten vorbei und wir rechneten den Schnitt noch einmal nach. Mir war immer noch nicht klar, ob zum Beispiel mein Nebenfach weniger zählte als das Hauptfach oder die Masterarbeit mehr wiegt als ein Seminar. Der Herr Naturwissenschaftler zückte den Taschenrechner und erklärte mir seinen Rechenweg. Danach plustere ich mich für zwei Sekunden auf und quengelte was von „Wenn das blöde Kindheitsreferat nicht ne blöde 2,0 geworden wäre, dann …“, woraufhin F. mich liebevoll-augenrollend stoppte und fragte: „Du diskutierst hier nicht gerade über die zweite Stelle nach dem Komma in einer Gesamtnote von 1 Komma fucking null sieben?“

Und erst da fiel mir selbst auf, was all meinen Mitmenschen, die seit zehn Semestern ebenfalls liebevoll-augenrollend von außen auf mich draufgucken, von Anfang an klar gewesen war: Ich habe immer mein Bestes gegeben. Ich habe keine einzige Hausarbeit und kein einziges Referat irgendwann abgeschenkt und gedacht, ach, ne Einssieben reicht ja auch. Ich wollte immer eine Einsnull und war dementsprechend knörig, wenn es nur, nur! eine Einsdrei wurde. Aber den Satz „Ich habe immer mein Bestes gegeben“ verstand ich erst gestern. Mehr ging nicht, und deswegen passt die Note natürlich auch.

Das war ganz schön, endlich mal selbst zu kapieren, dass man anscheinend fünf Jahre lang einen sehr guten Job gemacht hat.

5.8.2017

„Und, Anke, wie war so dein zehntes Semester?“

Es war das letzte, und das war mir immer bewusst.

(Erstes, zweites, drittes, viertes, fünftes, sechstes, siebtes, achtes, neuntes Semester.)

Ich habe gelernt, dass ich Bibliotheken sehr sinnlose Gefühle entgegenbringe. An der Historicumsbibliothek vorbeizuradeln, in die man nur als Studi darf und das bin ich ja bald nicht mehr, fühlte sich immer an, als würde man an der Wohnung eines Ex-Freundes vorbeifahren: sehnsuchtsvoll und gleichzeitig scheiße. Und wenn ich drin saß, habe ich einen seltsamen Besitzerstolz entwickelt und es genossen, dass die ollen BWLer und Mediziner*innen an der Pforte abgewiesen wurden, denn ab einer bestimmten Belegung dürfen nur noch gewisse Fakultäten rein. Geht woanders lernen, ihr Un-Geistis! THIS! IS! SPARTA!

(Memo to me: vielleicht doch irgendwann mal erwachsen werden. So geistig.)

Ich habe gelernt, dass ein Seminar mit wenigen Teilnehmerinnen äußerst produktiv ist. In meinem Oberseminar saßen nur die Prüflinge meiner Dozentin, drei BAs und vier MAs, wenn ich mich richtig erinnere, und wir stellten dem Plenum unsere Arbeit bzw. den Plan dafür vor. Danach gab nicht nur die Dozentin Feedback, sondern auch der Kurs, und weil wir nur so wenige waren, hat auch jede mal was gesagt. Ansonsten sitzt man gerne mit 25 Leuten in einem Raum und es reden immer die fünf gleichen. Ich fand es schön, zum Ende nochmal eine andere Art der Diskussion mitzukriegen. Die Kritik an meinem Plan war sehr sinnvoll, und die sechs Themen meiner Mitprüflinge habe ich mir auch gerne angehört.

Ich habe gelernt, wie wichtig und gut es ist, einen intellektuellen Sparringspartner zu haben. Auch wenn er dein Forschungsgebiet immer als „Nazischeiß“ bezeichnet.

Ich habe (wieder) gelernt, dass ich mit langen Texten sehr gut klarkomme. In der Werbung schrieb ich schon lieber Kataloge als Anzeigen, und als ich nach der Abgabe der Masterarbeit twitterte oder bloggte: „So einen langen Text habe ich noch nie geschrieben“, fiel mir ein, dass ich schon ein Buch verfasst hatte. Ähem. Mein Leben hat inzwischen wirklich sehr andere Prioritäten.

Ich habe bei der Arbeit erfreut festgestellt, dass es inzwischen relativ intuitiv geht, alles, was ich besprechen will, in sinnvolle Einheiten zu teilen. Ich beginne immer mit einer völlig ungeordneten Stoffsammlung, in die ich alles reintippe, was mir einfällt oder was ich zitieren will, alles, worüber ich beim Lesen stolpere, alles, was auch nur irgendwie mit meiner Frage zu tun hat (oder Fragen, die ihr ähnlich sind). Manchmal – oder eigentlich meistens – verändert sich die Frage auch, je mehr ich über ein Gebiet weiß.

Irgendwann merke ich, dass sich thematische Blöcke bilden lassen, also bilde ich sie, indem ich wild Textmassen verschiebe oder gleich in verschiedene Dokumente lege. Ich kann mich an diesen Blöcken entlanghangeln und zack, fertig, Supernote. (Ich verkürze meinen Arbeitsprozess sehr.) Dass diese Arbeitsweise, die ich seit dem ersten Semester praktiziere, auch für eine Masterarbeit taugt, hat mich gefreut.

Ich glaube, diese und die beiden Arbeiten aus dem neunten Semester waren die ersten, bei denen ich von Anfang an wusste, dass sie gut und rund werden. Sonst kam bei mir immer irgendwann die blöde Panik, nur Stuss zu schreiben. Gut, bei manchen Unterpunkten in der MA-Arbeit kam dieses Gefühl auch und aus den Textteilen, die ich gelöscht habe, kann man wahrscheinlich eine BA-Arbeit zusammenklöppeln, aber selbst wenn ich mal wieder haderte, wusste ich: Ich lass das jetzt liegen, guck da morgen nochmal drauf und dann fällt mir ein, was ich machen muss. Und so war es auch.

In diesem Zusammenhang: Ich kann auf die Frage „Bist du mit deiner Arbeit zufrieden?“ endlich ohne wenn und aber mit „Ja“ antworten. Mit der Kiefer-Hausarbeit war ich auch schon sehr glücklich, mit Leo im Prinzip auch, aber nach der Masterarbeit hatte ich zum ersten Mal das Gefühl: Ja, das ist sehr gut geworden.

(Lektorgirl am Telefon: „DASS ICH DAS NOCH ERLEBEN DARF!“)

Ich habe auch in diesem Semester wieder gelernt, dass ich nichts lieber tue als zu lernen. Jedes Buch, jeder Aufsatz, jedes Kunstwerk erweitert meinen Horizont, und ich habe nichts in meinem Leben, das mich ähnlich glücklich macht. Ja, F., ja, Wein, ja, München, aber wenn das alles weg wäre, wären da immer noch die Bücher, das ganze Wissen von Generationen von Forscher*innen, auf dem ich aufbauen kann. Es ist immer noch unglaublich befriedigend für mich, Zusammenhänge zu sehen, wo ich vor drei, vier Semestern noch keine gesehen hätte, und es ist ebenso befriedigend, genau das zu wissen. Zu wissen, dass ich mehr weiß, aber auch zu wissen, dass es da draußen noch so viel mehr gibt, was ich mir anlesen kann, was ich entdecken kann, was ich in Archiven aufspüren kann, Daten, Zeitläufte, Biografien.

Das Semester begann ziemlich übergangslos, denn die Bearbeitungszeit für die Masterarbeit startete schon im Februar – da war das Wintersemester noch nicht mal rum. In dem musste ich noch zwei Hausarbeiten schreiben, und dann bastelte ich noch aus meinen zwei Leo-von-Welden-Arbeiten, die insgesamt ungefähr 120.000 Zeichen hatten, einen Katalogbeitrag, der circa 25.000 haben sollte. (Er hat jetzt mit Fußnoten knapp 40.000, auf Wunsch des Dozenten.) Als das alles fertig war, gönnte ich mir ein paar Tage Pause und begann dann, mich auf Kiefer, Lüpertz und die Geschichte der jungen Bundesrepublik zu stürzen. So ziemlich alles, was ich las, konnte ich im Kopf an irgendwas anlegen, was ich in den Semestern zuvor, vor allem im Masterstudium, gelernt hatte, was mir großen Spaß gemacht hat.

Wenn ich im Zentralinstitut für Kunstgeschichte saß und dessen Bibliothek leerlas, dachte ich über nichts anderes nach. Sobald ich danach allerdings wieder nach Hause radelte oder zu anderen Bibliotheken, war mein hauptsächlicher Gedanke: Und was mache ich, wenn die Masterarbeit durch ist?

Es hat bis nach der Abgabe gedauert, bis mir das wirklich klargeworden ist. Ich habe schon während der Arbeit hektisch ein paar Bewerbungen losgeschickt, auf die ich vermutlich keine Reaktion bekommen werde, und inzwischen weiß ich auch, dass das okay ist. Mein Doktorvater weiß noch nichts davon, dass er mein Doktorvater sein soll, denn ich bin noch nicht ganz fertig mit einem halbwegs schlüssigen Exposé für eine Dissertation. Ich möchte mich weiterhin in der Zeit bewegen, in der ich mich seit ein paar Semestern wissenschaftlich zuhause fühle: in der NS-Zeit sowie der jungen Bundesrepublik. Ich will auf jeden Fall noch die junge DDR dazunehmen, von der ich sehr wenig weiß, und eventuell noch die Weimarer Republik, aber das wird sich vermutlich erst im Laufe der Dissertation herausstellen. Ach ja, ich werde dann wohl eine Dissertation schreiben. Davon erzähle ich zwar gefühlt dauernd, aber so richtig, endgültig, jetzt echt habe ich mich erst in den letzten Wochen dafür entschieden. Davor war es eine theoretische Möglichkeit; jetzt, wo ich immerhin schon die Note der Masterarbeit habe und damit weiß, das Studium ist durch, ich habe alles bestanden, ist es mehr. Es ist jetzt ein Plan.

. . .

Die folgenden Absätze schrieb ich am Ende des ersten Semesters. Ich freue mich sehr, dass ich nach zehn Semestern noch genau das gleiche empfinde:

Ich habe gelernt, wie gerne ich lerne.

Die häufigste Frage, die ich von meinen Kollegen und Freundinnen in den letzten Monaten gehört habe, war: „Ist es so, wie du es dir vorgestellt hast?“

Und meine Antwort war nach einer Woche die gleiche wie jetzt nach vier Monaten: „Es ist genauso, wie ich es mir vorgestellt habe. Nur noch viel toller.“

1.8.2017

Was schön war, Sonntag, 30. Juli 2017 – Documenta, Tag 3

Am zweiten Tag hatte ich leider nicht so viel geschafft wie F., der sich neben unseren gemeinsam besuchten Stätten noch die Documenta-Halle sowie das Fridericianum anschaute. Aber am Sonntag konnten wir gemeinsam alles gucken, was ich sehr genossen habe.

Wir begannen im Museum für Sepulkralkultur, das ich immer noch nicht fehlerfrei aussprechen kann. Das Gebäude an sich gefiel mir in seiner Durchlässigkeit sehr gut, und wir schauten uns nicht nur die Documenta-Objekte an, sondern auch, was sonst noch im Museum ausgestellt war. Im Erdgeschoss mochte ich besonders die stehenden und hängenden Holzobjekte von Agim Çavdarbasha, vor allem mit dem weiten Blick über die Stadt, den die großen Fensterflächen ermöglichen. Nix mit geschlossenem White Cube und stiller Betrachtung in der Einöde; hier entstand eine schöne Spannung zwischen Objekt und Umgebung, und ich konnte wieder meinem Materialfetischismus frönen. Alles, was anders ist als Farbe auf Leinwand, hat bei mir schon gewonnen. Wobei ich natürlich auch nichts gegen Farbe auf Leinwand habe.

Ich mochte auch die Fotozusammenstellung von Prinz Gholam, der alte archäologische Aufnahmen von antiken Ruinen mit nur wenig oder gar nicht bekleideten Jungen kombinierte. Das war irritierend und ästhetisch zugleich und hat mich darüber nachdenken lassen, wie sich unser Sinn für Angemessenes und Nacktheit verändert.

In einem Schaukasten entdeckte ich entsetzt Medaillen, die für das Lynchen von Schwarzen vergeben wurden, und von deren Existenz ich bisher nichts gewusst hatte. Ich kann dieses Werk trotz Katalogs nicht zuordnen, daher weiß ich nicht, ob es zum normalen Bestand des Hauses gehört. Direkt nebenan lagen im Schaukasten noch Materialien zu einer Audio- und Videoinstallation von Terre Thaemlitz. Von ihr schauten wir uns den Anfang an und sprachen über zerrissene Selbstbilder und Selbstfindung. Die ganzen 58 Minuten wollten wir aus Zeitgründen nicht anschauen, aber wenn wir noch einen Tag mehr gehabt hätten, hätten wir das gemacht.

Lois Weinberger: Die Erde halten/Holding the earth (2010).

Im Untergeschoss schauten wir uns dann den normalen Bestand des Museums an und lernten viel über Beräbniskultur. Manche Details wollte ich allerdings gar nicht wissen. Vor dem Filmkabinett von Terre Thaemlitz hing ein Hinweis, dass der Film erst ab 18 ist und dass Kinder vielleicht davon verstört werden. Diesen Hinweis hätte ich mir für zartbesaitete Knappfünfzigjährige im Untergeschoss gewünscht. Ich habe die historische Aufarbeitung von Friedhofskultur allerdings sehr gerne nachgelesen und angeschaut, denn seit letzter Woche bin ich ja quasi fit, was das 19. Jahrhundert angeht. Das war sehr schön, das jetzt einbetten zu können in den Barock und das 20. Jahrhundert.

Am Ausgang des Museums steht übrigens unten an der Tür „Leben Sie wohl“, was ich für einen perfekten Rausschmeißer halte.

Eigentlich wollten wir danach in die Torwache, aber die Grimmwelt lag direkt nebenan. Gut, dass wir reingegangen sind – das war zumindest mein liebster Ausstellungsraum.

Ich hatte zwar keine Geduld für Roee Rosens The Blind Merchant, das F. sehr gut gefallen hat, aber ich las dafür die Schaukästen komplett durch, in denen Kinderbuchillustrationen von Tom Seidmann-Freud ausgestellt waren, der Nichte von Siegmund Freud. Ich fand die Entwicklung vom Jugendstil zu den neusachlichen Zeichnungen spannend, und natürlich war es auch hier wieder der Zeitkontext, der für mich interessant war. Ich blätterte auch in den ausgestellten Katalog zu Rosen hinein und fand sein Werk Live and Die as Eva Braun, das ich mir erstmal im Zentralinstitut für Kunstgeschichte erschließen werde.

Mein liebstes Werk auf der ganzen Documenta fand sich auch hier: das 30-minütige Video Lost and Found von Susan Hiller. Es besteht nur aus Ton; verschiedene Sprecher*innen unterhalten sich, lesen Statements, singen oder sagen das Alphabet auf – in ausgestorbenen, bedrohten oder wiederbelebten Sprachen. Ich wusste nicht, dass Maori schon ausgestorben war oder Hawaiianisch. Ich hätte auch nicht gedacht, welche hypnotische Wirkung es hat, Sprachen zuzuhören, die man nicht versteht und die meist recht unaufregende Dinge beschreiben. Immer noch im Ohr habe ich ein Lied auf Salish, das nur die Buchstaben des Alphabets singt; die Untertitel versuchten, die vielen Kehlkopf- und Zungenlaute mit einer Kombination aus anderen Buchstaben und Zeichen darzustellen, was mir sogar sinnhaft vorkam und gleichzeitig fremdartig-schön. Er steht dankenswerterweise auf YouTube, und jetzt bekomme ich es überhaupt nicht mehr aus dem Kopf.

In der Grimmwelt kann man übrigens im Falada prima Kaffee trinken. Ich empfehle den Iced Latte. Und Name und Logo sind auch toll.

Danach war aber die Torwache dran. Schon von außen ist sie als Objekt zu erkennen, denn sie ist mit unzähligen Jutesäcken verdeckt. Die Idee dahinter ist mir erst durch den Katalog klargeworden (Globalisierung, Imperialismus, Ausbeutung), aber mir reichte schon die irritierende Optik.

Im Inneren verguckte ich mich dann in einen albanischen Maler, den wir später am Tag noch in der Neuen Neuen Galerie (ja, die heißt so) wiedersahen: Edi Hila. Ich mag an seinen Bildern die Stille, die über ihnen zu liegen scheint; den Kontrast aus mittelformatigem, fast altmodischem Tafelbild und den modernen Formen bzw. der irrealen Architektur, die auf ihnen zu sehen ist. Mir gefiel auch die helle, blaugraue Farbigkeit, die mich an verblassende Polaroids erinnerte und an einen Buchtitel von Douglas Coupland, Polaroids from the Dead.

Edi Hila: Boulevard (2015), ein Bild von sechs, Öl auf Leinwand, unterschiedliche Maße.

Nebenan wurde die ruhige Stimmung dann radikal ruiniert: Hier waren Entwürfe zu einem Auschwitz-Denkmal von 1957 zu sehen. An dieser Ausschreibung hatte sich damals auch Joseph Beuys erfolglos beteiligt, wie ich aus den Recherchen zu meiner Masterarbeit gelernt hatte. Im Moment fallen mal wieder viele kleine Puzzleteilchen in meinem Kopf an seinen Platz. Vielleicht hat mir auch deswegen der letzte Documenta-Tag so gut gefallen.

Ich erwartete minütlich, keinen Platz mehr im Kopf zu haben und wollte im Hessischen Landesmuseum eigentlich Schluss machen, nur noch die wenigen Documenta-Exponate gucken und dann des Rest des Hauses mit altem Porzellan und Zeug. Aber dann beflügelte mich das doch alles, was ich dort so sah und so sprintete ich F. hinterher, der sich schon in Richtung Neue Neue Galerie aufgemacht hatte.

Zunächst freute ich mich mal wieder über Material: Nevin Aladağ nutzte florale und feine Muster, um daraus sechsseitige Keramikkacheln zu brennen, die aber nicht auf dem Boden lagen, sondern wie eine Gitterwand im Raum standen. Sie erinnerten mich an ein Raumelement, das ich in der osmanischen Architektur kennengelernt hatte: die vergitterten Fenster, die Licht und Luft ins Innere des Hauses lassen, die Bewohner*innen aber vor den Blicken von außen schützen. Sie bestehen eigentlich aus Holz, und ich mochte diese leichte Veränderung von Material, Aussehen und Funktion. Ich mag generell Dinge, die mir bekannt vorkommen, es aber gar nicht sind.

Von Naeem Mohaiemen lief im Obergeschoss der 90-minütige Film Two Meetings and a Funeral, der sich mit dem Non-Aligned Movement (NAM) und der Organisation of Islamic Cooperation (OIC) vor allem in den 1970er Jahren beschäftigt. Ich glaube, wir saßen 20 Minuten im Film, hatten aber auch hier schlicht keine Zeit, obwohl er viele spannende Interviews oder Original-TV-Ausschnitte zeigte. Ich fragte mich danach, wann Europa und/oder die USA Afrika als funktionierenden Kontinent aufgegeben haben und wie man das ändern könnte.

Máret Ánne Sara: Pile o’ Sápmi (2017), Vorhang aus Rentierschädeln und Metalldraht, Teil einer Installation aus unterschiedlichen Materialien.

Als Abschluss streiften wir durch die große Neue Neue Galerie. Auch hier wieder Materialspaß, Rentierschädel, Seife aus Kohle, Metallbarren. Mir gefiel die aus vielen Materialien bestehende Installation von Daniel García Andújar, The Disasters of War/Trojan Horse, die unter anderem Picassos Guernica in ein Puzzle zerlegte. In Ausschnitten sah ich mir den Film von Arin Rungjang an, der erzählt, dass sein Vater von deutschen Neonazis erschlagen wurde und dass der Berliner Führerbunker heute ein Parkplatz ist. Im Obergeschoss stand ich lange vor den grafisch-schlichten und eindrucksvollen Schwarzweißfotos von Ulrich Wüst, der unter anderem die DDR in ihren letzten Jahren und nach der Wende festgehalten hatte. An der Wand gegenüber hingen weitere Gemälde von Edi Hila, und auch sie hätte ich sofort alle mitnehmen wollen.

Daniel García Andújar, The Disasters of War/Trojan Horse (2017), Detail einer Installation aus verschiedenen Materialien.

Dieses Dinge-Mitnehmenwollen ließ mich mich selbst fragen, was ich stattdessen von der Documenta mitnehme. Zeitgenössische Kunst muss ich mir immer anders erarbeiten als ältere, die schon im Kanon verortet ist und wo mir Kataloge und Dozentinnen sagen, ja, das ist Kunst, das darfst du dir merken. Wenn etwas neu ist, muss ich erstmal gucken, ob ich das gelten lasse. Manchmal befürchte ich, genauso ignorant zu sein wie damals die Menschen Ende des 19. Jahrhunderts, die die Impressionisten als Schmierfinken bezeichnet haben. Bei vielen Dingen, die ich in den vergangenen Tagen sah, runzelte ich höchstens die Stirn oder ging gleich daran vorbei, und vielleicht habe ich die große Neuentdeckung von 2017 ignoriert, übersehen oder augenrollend links liegen gelassen, keine Ahnung. Gleichzeitig denke ich darüber nach, für wen diese Art Massenausstellung überhaupt gemacht ist. Gerade bei der irrwitzigen Entwicklung des Kunstmarkts, die dazu führt, dass nur wenige Menschen sich Kunst leisten können, frage ich mich, ob solche Ausstellungen nur noch Sammler und Kuratorinnen irgendwie weiterbringen und der Rest, so wie ich, zwar großäugig (oder gelangweilt) durch die Massen an Werken rennt, aber außer dem Klicken im Kopf nichts davon hat. Ist diese Ausstellung damit exkludierend, obwohl sie durch ihre Zugängigkeit und Preisgestaltung genau das nicht sein will? (Zu diesem Thema lese ich übrigens gerade Wolfang Ullrichs Siegerkunst.)

Ich glaube, ich nehme, wie üblich, eine Wertschätzung von Kunst mit, ganz egal ob sie mir nun gefällt oder nicht, ob sie mich verstört oder langweilt. Ich weiß zu schätzen, dass sie da ist. Ich glaube manchmal, das reicht auch schon.

26.7.2017

Was schön war, Montag/Dienstag, 24./25.7.2017 – Lehrreiches Prokrastinieren, Schuhe kaufen, Eichhörnchen

Nach der Abgabe der Masterarbeit wurschtelte ich tagelang vor mich hin und dachte, ich hatte das blöde Loch, das mich immer am Semesterende erwischt, umgangen, aber das holte mich letzte Woche ein, wo ich sehr traurig und mutlos war, was die Zukunft angeht, diese blöde Kuh. Ich weiß inzwischen, dass mich Bibliotheken immer glücklich machen können, aber selbst dazu konnte ich mich nicht aufraffen. Nachdem mich Donnerstag letzter Woche nicht einmal F. mit kulinarischen Köstlichkeiten und Bier und Balkonblick und Puschelkram aufheitern konnte, zerrte ich mich Freitag morgen gewaltsam selbst ins ZI, im Hinterkopf den Gedanken, „notfalls guckste halt vier Stunden deinen Laptop an.“ Aber natürlich wurde alles gut.

Ich walke ja neuerdings – also seit Februar – mehrmals wöchentlich über den Alten Nordfriedhof. Inzwischen kann ich die Strecke vermutlich blind gehen, muss nicht mehr auf Baumwurzeln oder Wegverengungen achten, weswegen ich nun Zeit habe, mir die ganzen Grabsteine etwas genauer anzuschauen, an denen ich dauernd vorbeischnaufe. Stehenbleiben will ich zwar nicht, aber je öfter ich an bestimmten Steinen, Stelen und Figuren vorbeikomme, desto neugieriger machen sie mich. In eine Grabstele mit Bronzefigur und -platte habe ich mich besonders verguckt, einfach weil ich sie schön finde.

Eigentlich müsste ich mal so langsam mein Exposé für die Dissertation anfangen, damit mir jemand ein Stipendium gibt, aber mit Recherchen über Grabsteine und Begräbniskultur im 19. Jahrhundert kann man prima prokrastinieren. So saß ich Freitag im ZI und las die enttäuschend wenigen Bücher über den Alten Nordfriedhof durch, die bei uns stehen – ganze zwei, von denen eins auch ein Buch über alle Friedhöfe Münchens ist und der Nordfriedhof hat gerade zwei Seiten; das andere ist ein sehr unwissenschaftlicher Spaziergang und über 30 Jahre alt. Das war’s. Ich fand noch eine Magisterarbeit von 1989, aber die musste ich bestellen, die stand nicht im Regal.

Was ich aus dem ersten Buch immerhin erstaunt lernte: Der im Zweiten Weltkrieg stark zerstörte Friedhof wurde nach 1945 von Hans Döllgast restauriert. Döllgast kenne ich als den genialen Architekten, der die Alte Pinakothek so gut wieder hingekriegt hat, dass sie heute – trotz bzw. gerade wegen ihrer offensichtlichen Wunde – als Musterbeispiel für den sogenannten „interpretierenden Wiederaufbau“ gilt. Ich renne dauernd durch Döllgast-Architektur und weiß nichts davon! Aber jetzt, wo ich es weiß, habe ich drauf geachtet.

Am Montag war ich netterweise schon vor dem Wecker wach und marschierte los, besah mir im langsamen Vorbeigehen erstmals aufmerksam die Außenmauer, die Döllgast teilweise in der Höhe verringert hatte, achtete auf Übergänge zum Originalmaterial, merkte aber auch, dass seine Arbeiten aus den 1950er Jahren nicht die letzten gewesen sein konnten. Ich bin mir ziemlich sicher, dass spätestens in den 2000er Jahren – jedenfalls nach dem Abschluss der Magisterarbeit von 1989 und dem Buch über Döllgast von 1998, das ich hatte – noch was an Mauer und Bauwerken am Südeingang gemacht wurde, aber darüber fand ich keine Literatur, und so dringend will ich mich nicht vor der Arbeit drücken, dass ich mal im Bestattungsamt nach Umbauakten und -plänen frage.

Nach Dusche und Kaffee radelte ich ins ZI, wo ich ein sehr dickes und empfehlenswertes Buch über den Alten Südfriedhof las, weil mich einige Materialien interessierten. Außerdem war die Magisterarbeit da, die sich kunsthistorisch und nicht touristisch-stadtgeschichtlich mit dem Friedhof auseinandersetzte. (Gern gelesen, auch wenn mich das Präsens wahnsinnig gemacht hat.) Durch die erfuhr ich, warum es vermutlich so wenig Literatur gibt: „Darüberhinaus lässt sich bereits auf den ersten Blick erkennen, daß es sich bei dem vorliegenden Friedhof um keinen Bestattungsplatz des Geldadels handelt und dass München im 19. Jahrhundert immer noch eher provinziell geprägt ist. Die gewaltigen und kostspieligen Grabaufbauten, die man zur gleichen Zeit in Wien, Paris und Genua errichtet, fehlen hier gänzlich. Ebenso gibt es auf dem alten nördlichen Friedhof keine richtungsweisende Neuerung oder einzigartige Grabmalsgestaltung.“ (S. 34)

Ich fand in der Arbeit aber immerhin ein bisschen was zu meinem Grabstein. Weswegen ich so an ihm hängengeblieben bin, liegt nicht nur an der stimmungsvollen Figur, sondern auch an der Darstellung auf der Bronzeplatte über der Grabstele. Auf ihr sind zwei der drei Pyramiden von Gizeh abgebildet sowie die Sphinx. Das hat mich erstaunt, weil das Bild keinen München-Bezug hat und kein christliches (oder anderes religiöses) Symbol ist, und für ein sinnloses Schmuckelement ist es zu klar erkennbar. Die Autorin der Magisterarbeit, Annette Wagner, ordnet dieses Ensemble in die pyramidalen Gräber des Nordfriedhofs ein; es gibt noch wenige weitere, bei denen eine Pyramide die Grabstele bildet (liegen nicht auf meinem Weg, habe ich noch nicht gefunden), und hier ist die Pyramide eben abgebildet. Die Pyramide wurde nach der Antike erst wieder von Raffael als Ornament für eine Grabstelle eingesetzt und zwar für das Grab von Sigismondo Chigi, das sich in S. Maria del Popolo in Rom befindet. In der Neuzeit ist zum Beispiel das Grab der Herzogin Maria Christina in der Augustinerkirche in Wien in Pyramidalform gestaltet (ich habe es schon bewundern dürfen). Die Pyramide steht angeblich für die Unsterblichkeit der Seele. Das kann ich zwar nachvollziehen, auch wenn im 16. Jahrhundert bei Raffael und auch noch im 19. Jahrhundert die Kenntnisse über Pyramidalbestattungen eher vage bzw. nicht vorhanden waren, aber ich glaube trotzdem nicht, dass das Bild an der Grabstätte Lodter/Schneider Unsterblichkeit sagen soll. Meiner total unbegründeten Meinung nach hat das Bild etwas mit den verstorbenen Personen zu tun, denn es zeigt keine beliebige Pyramidalform, sondern ganz klar Gizeh.

Ägypten war seit Napoleons Feldzug in Europa bekannt und als Thema für wilde Raumdekorationen und Feste beliebt. Durch Thomas Cook gab es Mitte des 19. Jahrhunderts erstmals Pauschalreisen in dieses Land, und wohlhabende Bürger und Bürgerinnen – zu denen die hier Bestatteten vermutlich gehörten – konnten sich diese Reise durchaus leisten. Herr Lodter war ein Chemiker, und ich habe auch einen Aufsatz von ihm finden können, aber für einen Besuch im Stadt- oder Landesarchiv war ich zu faul; irgendwo hat auch Prokrastination ihre Grenze. Trotzdem würde ich gerne wissen, ob die hier bestatteten, verschwisterten Ehefrauen und/oder ihre Ehemänner mal in Ägypten waren und die Bronzeplatte eben das würdigt. Aber das werden mir wohl auch die Archive nicht sagen können.

Auf der Platte ist übrigens in der oberen linken Ecke der Name des Künstlers eingeritzt: „H. Waderé München 1890“. Das sagt zumindest die knapp 30 Jahre alte Magisterarbeit, ich kann die Schrift beim besten Willen nicht mehr erkennen. „Der Künstler schuf zahlreiche Bauplastiken an Münchner Repräsentationsbauten wie z.B. die Skulpturen an der Paulskirche (1892–1900), die Figuren „Lex“ und „Jus“ am Justizpalast (1899–1906), die Skulpturen am Rathaus (1899–1908) und am Prinzregententheater (1900/01), um nur eine kleine Auswahl zu nennen. Die Antike war Waderés bevorzugtes Vorbild und auf seinen zahlreichen Reisen waren Antikensammlungen sein bevorzugtes Ziel.“ (S. 115) Auch der Gießer von Platte (und vermutlich der Dame) ist bekannt; sein Name findet sich zu Füßen der Plastik: „Guss v. C. Leyrer“. In der Arbeit wird noch ein „München“ dahinter notiert, aber auch das kann ich nicht mehr lesen.

Abends traf ich mich mit F. in der Hypo-Kunsthalle, um Fotos von Peter Lindbergh anzuschauen. Im ersten Raum war ich noch sehr geflasht, denn dort warteten die Supermodels und die Bilder, wegen derer ich ewig in Linda Evangelista verknallt war. Danach kam aber ein Raum nach dem anderen, in dem weitere sehr schöne Menschen auf sehr schönen Bildern zu sehen waren. Klingt gut, war in der Masse aber recht schnell langweilig. Ich ahne, dass es Können braucht, um aus schönen Menschen noch schönere zu machen, aber ich ermüdete zügig von all dieser inszenierten Ästhetik. Der einzige Raum, in dem ich länger blieb, war der, in dem fast ausschließlich Bilder von Tänzer*innen zu sehen waren. Das waren – neben vielen Schauspieler*innen, die natürlich auch alle irre schön waren – die einzigen Körper, die danach aussahen, mehr zu können als dass Klamotten an ihnen gut aussehen.

Es war interessant, ein völlig anderes Publikum in der Kunsthalle zu sehen als das, was sonst durchläuft. Wo man sich üblicherweise mit vielen Menschen über 60 vor den Exponaten tummelt, musste man sich hier hauptsächlich durch viele junge, meist sehr dünne Mädchen kämpfen. (Kein Body-Shaming, nur eine Beobachtung.)

Gestern ließ ich mich per Bus und U-Bahn in die Innenstadt chauffieren, denn ich brauchte neue Walkingschuhe. Als ich mit dem planmäßigen Rumlaufen anfing, zog ich einfach die Sneakers an, mit denen ich eh die ganze Zeit rumlaufe. In wenigen Monaten habe ich es geschafft, die stoffartige Innenverkleidung der Schuhe komplett durchzulaufen, so dass meine rechte Hacke schon reines Plastik spürte (und mit einer blutigen Blase quittierte). Also kaufte ich Schuhe, mal nicht in diesem Interweb, sondern mit Beratung in einem Geschäft, zu dem man hinfahren muss. War aber okay, denn direkt danach kaufte ich nebenan meine Lieblingstrüffel und packte sie grinsend in die Tüte mit den Schuhen.

Den Nachmittag verbrachte ich dann wieder auf dem Alten Nordfriedhof, aber nicht, um rumzulaufen, sondern um Fotos von vielen, vielen Grabsteinen zu machen, über die ich mal bloggen will, und natürlich auch um ein paar Bilder für diesen Eintrag zu haben. Nebenbei ist mir sogar jemand von der Eichhörnchengang vor die Linse gehuscht, aber er war doch zu schnell für ein anständiges bzw. scharfes Bild.

19.7.2017

La familia in Minga, Tag 2 – Wie man Leute zum Kunstgucken kriegt, die eigentlich gar nicht Kunstgucken wollen

(Tag 1)

Unser Spaziergang durch die erweiterte Maxvorstadt hatte uns am Samstag auch durchs Kunstareal und an den drei Pinakotheken vorbeigeführt. Eigentlich standen Kunstmuseen nicht auf dem Plan meiner Familie, aber anscheinend haben F. und ich die Bande doch neugierig genug machen können. Oder es lag am Eintrittspreis von nur einem Euro, der Sonntags für die Pinakotheken fällig ist. Meine Schwester und ihr Mann wollten in die Pinakothek der Moderne, Papa lieber in die Alte, weil er meinte, mit moderner Kunst nichts anfangen zu können. Wir trafen uns an der Tramhaltestelle, ich kam mit dem Rad und fragte: „Wie lange wollt ihr denn im Museum bleiben?“ „20 Minuten.“ Und das war vermutlich kein Scherz. Ich meinte: „Lasst uns mal ne Stunde ausmachen; wenn ihr euch langweilt, ruft an.“ Einverstanden.

Papa und ich gingen also in die Alte Pinakothek. In der war ich, ehrlich gesagt, schon etwas länger nicht mehr; einmal weil es nicht mehr die Kunst ist, mit der ich mit hauptsächlich beschäftige, und zum anderen, weil sie seit gefühlten Ewigkeiten saniert wird. Das heißt, vieles hängt nicht da, wo es hängen soll. Ich wusste also selbst nicht genau, was uns erwartet, aber ich zahlte unsere zwei Euro Eintritt und schloss unsere Sachen im Schließfach ein. (Eigentlich komme ich ja umsonst in die Pinakotheken und einige andere Museen, aber bei einem Euro Eintritt ist es mir zu peinlich, den Studiausweis zu zücken.) Wir gingen das herrliche Treppenhaus von Hans Döllgast nach oben, von dem zurzeit nur eine Treppenhälfte begeh- und sichtbar ist; das Ding ist aber trotzdem noch sehenswert.

Mein üblicher Rundgang beginnt eigentlich immer in Flandern mit Rogier van der Weyden, aber genau die Seite wird gerade renoviert. So standen wir stattdessen unvermittelt zwischen lauter anderen Niederländern – und dem Selbstporträt von Albrecht Dürer, das ich fast übersehen hätte, weil es hier sonst nicht hängt. Hier konnte ich Papa ein bisschen was über das Selbstverständnis von Künstlern in der Renaissance erzählen, die sich nicht mehr nur als Handwerker sahen, die Aufträge ausführten, sondern als Schöpfer. Die Ähnlichkeit zu Jesus ist bei Dürer absolut gewollt. Bei Rubens’ Großem Jüngsten Gericht konnte ich erzählen, dass die Pinakothek um dieses großformatige Bild herumgebaut wurde – ohne dieses Gemälde würde es das Gebäude nicht geben. Bei anderen Rubens-Bildern wies ich auf die Farbigkeit hin, die mir an Rubens so gut gefällt; ansonsten kann ich mit ihm nicht so viel anfangen. (Nein, nur weil er dicke Frauen malte, muss er mir nicht gefallen.) An einem vierteiligem Bild, von dem ich keine Ahnung habe, wie es hieß oder von wem es ist, erklärte ich den Bildaufbau in mehrteiligen Werken und bot eine Lesart an, die mir vor dem Bild einfiel. An Madame de Pompadour erläuterte ich die Menschendarstellung vor und nach der französischen Revolution, an Canaletto die Grand Tour, die eine Nachfrage für Stadt- und Landschaftsabbildungen schuf, die zur Erinnerung an die Reise dienten; an mehreren Landschaftsbildern zeigte ich die Vorliebe für gestaltete Natur mit antiken Ruinen, die darauf hinwiesen, dass der Mensch von „heute“ schon eine lange Geschichte hinter sich hat und sich ihrer erinnern soll. Bei Stillleben guckt mein Papa demnächst vermutlich immer nach Zitronen, weil ich so davon geschwärmt habe, dass ich die Darstellung mit der in Ringeln abgeschälten Schale so gern mag. An einem weiteren Stillleben, in dem blauweiße Porzellanschüsseln abgebildet waren, konnte ich mein Wissen zur Porzellanherstellung anbringen, das ich mir im Dresdner Zwinger angelesen hatte.

Ich selbst sah den Velázquez seit meiner Lektüre über ihn mit neuen, neugierigen Augen und erfreute mich wie immer an Raffael, auch wenn von ihm mein am wenigsten geliebtes Bild von den drei vorhandenen hängt. Und ich konnte über den ollen Leonardo lästern, der direkt nebenan hängt und den ich total doof finde.

Das war vermutlich eine eher konfuse Führung, weil ich mich weder an einer Chronologie noch an Orten oder Künstlern entlanghangelte, sondern einfach in den Sälen rumguckte und spontan entschied, was ich erzählen wollte. Eigentlich wollte ich Papa einfach nur auf Dinge aufmerksam machen, auf die man vielleicht sonst nicht achtet (das Hündchen bei Madame de Pompadour oder eben die Ruinen in den Landschaften) und ihm ein paar Hintergrundinfos geben, die nicht allzu wissenschaftlich sind, sondern eher die Bilder bzw. ihre Motive fassbar machen.

Nach einer Stunde verließen wir, wie verabredet, die Alte Pinakothek und setzten uns auf eine Bank im Schatten, von wo ich den Eingang zur Pinakothek der Moderne sehen konnte, wenn man sich etwas umdrehte, denn ich erwartete, dass Schwesterchen und Ehemann auch gleich kommen würden. Die kamen aber nicht, und so guckten wir uns bequem im Sitzen die modernen Skulpturen an, die auf der Wiese zwischen Alter und Neuer Pinakothek stehen. Papa meinte, er könne damit nichts anfangen, er wüsste nicht, was er sich darunter vorzustellen habe. Ich meinte, bei vielen Skulpturen müsse man sich gar nichts vorstellen; vielleicht hat sich der Künstler oder die Künstlerin nur gedacht, hey, ich habe hier ein schickes Material, Eisen, Bronze, was auch immer, ich gebe diesem schicken Material jetzt eine Form, die so in der Natur nicht vorkommt, fertig, Kunst. Ich meinte, man müsse Kunst nicht verstehen, man könne sich auch einfach mal so vor ein Werk stellen und gucken, was es mit einem macht. Und dann erzählte ich von Carl Andres 10 Steel Row in der Pinakothek der Moderne, das ich so mag, weil man sich nicht nur vor das Werk stellen könne, sondern sogar drüberlaufen. Das fand Papa unglaublich: Kunst, die man nicht nur anfassen, sondern auf die man drauftreten darf? Das wollte er sehen.

Und so rief ich Schwesterchen auf dem Handy an, ob sie nach jetzt anderthalb Stunden schon fertig wären – sie flüsterte: „Nee, wir gucken noch“ – und ging mit Papa für zwei weitere Euro in die Pinakothek der Moderne, wo wir auf Kunst rumliefen. Danach führte ich ihn natürlich in den Saal mit den frisch angekauften Werken von Anselm Kiefer und flüsterte ihm meine halbe Masterarbeit zu. Irgendwann standen dann auch Schwester und Gatte neben uns und ich flüsterte alles noch mal. Während die beiden schon in Richtung Café schlenderten, zeigte ich Papa noch den Saal 13 mit der Kunst, die zwischen 1933 und 1945 entstand und fasste den Inhalt meiner letzten drei Semester in fünf Minuten zusammen.

Beim Kaffee meinte Schwesterchens Mann, dass er es seltsam fände, dass die Pinakothek ausgerechnet am Sonntag, wo ja eh alle Zeit haben, den Eintritt so günstig macht – das wäre doch schlauer, den an diesem Tag normal zu lassen. F. hatte darauf einen Tag später eine schlaue Erwiderung: Der Widerstand, in ein Kunstmuseum zu gehen, ist geringer, wenn es finanziell nicht so weh tut. Und wenn eh alle Zeit haben, ist er noch geringer. Daran musste ich am Montag denken, als die Rotte das Deutsche Museum für vier Stunden erkundete, obwohl meine Schwester schon nach einer Stunde keine Lust mehr hatte. Aber dafür hatte man jetzt elf Euro bezahlt, die lief man dann eben ab. Die Pinakotheken konnten anscheinend eher überzeugen. Mich hat es jedenfalls sehr gefreut, dass alle länger Kunst geguckt haben als sie eigentlich wollten und das nicht, weil ich nicht aufgehört habe zu reden, sondern weil da halt so viel Zeug hängt und steht und liegt, das spannend ist.

Der Tagesabschluss überzeugte die Familie dann endgültig von München. Während sie nach dem Museum eine Stadtrundfahrt machten, stand ich in der Küche und bereitete Nudelsalat mit Pesto und Tomaten zu, schnitt Radieschen und Gurken in mundgerechte Stücke und rührte einen Bottich Obadza an. Ich wickelte Metallbesteck in Servietten und verpackte alles zusammen mit einem Berg Brezn und Papptellern in Tragetaschen (Porzellan war mir für fünf Leute zu schwer), die F. und ich gemeinsam in den Taxisgarten schleppten. Das Konzept „In den Biergarten darf man Essen mitbringen“ stieß auf ungeteilte Begeisterung. (Mein Essen netterweise auch.) Wir spielten Geber-Doppelkopf, bis wir selbst bei Handy-Taschenlampen nichts mehr sehen konnten und gingen satt, angeheitert und sehr zufrieden nach Hause.

30.6.2017

Tagebuch, Dienstag bis Donnerstag, 27. bis 29. Juni 2017 – MA_text_final.doc

Den Dienstag verbrachte ich damit, die Masterarbeit ein allerallerletztes Mal durchzugehen. Ich lese quasi dauernd Korrektur, während ich schreibe; bevor ich morgens einen neuen Abschnitt beginne, lese ich grundsätzlich noch mal das durch, was ich am Tag vorher verfasst habe, und dabei redigiere ich natürlich schon rum. Wenn man das drei Monate lang macht, sollte man eigentlich davon ausgehen, dass man irgendwann alle Rechtschreibfehler findet, aber haha, ist klar. Der letzte Korrekturgang dauerte gut fünf Stunden, dann war ich mir so sicher wie es halt geht, dass alle Fußnoten richtig sind, alles im Literaturverzeichnis steht, was reingehört, alle Abbildungen die korrekte Nummer haben und vor allem auf dem Titelblatt kein verdammter Tippfehler ist.

Mittwoch radelte ich in den Copyshop, in dem ich auch schon die Bachelorarbeit hatte erstellen lassen, und ließ mir drei Exemplare drucken und binden. Zwei davon bekommt die Uni, eins behalte ich, hautpsächlich, damit meine Mama es lesen kann. Die Dame, die mir beim Ausdrucken half, las sich interessiert das Inhaltsverzeichnis durch, klickte sich durch die Abbildungen und nickte bei den drei Bildern von Gerhard Richter. Ich grinste und sie erklärte, dass sie auch Kunstgeschichte studiert habe und daher immer gerne gucke, was wir so an Bachelor- und Masterthemen anschleppen. „Dein Thema ist ja leider gerade aktuell.“ Ich nickte, dachte mir aber, vor allem nach den ganzen Recherchen für diese Arbeit: War es das seit 1945 mal nicht? Nebenbei: Die „Schlussstrich-Debatte“ begann schon Anfang der 1950er Jahre.

Gestern fuhr ich dann ins Prüfungsamt, im Rucksack die beiden Arbeiten; in eine hatte ich noch eine CD mit dem PDF der Arbeit geklebt. Die zuständige Sachbearbeiterin wunderte sich, dass ich schon da war – der offizielle Abgabetermin ist der 10. Juli, aber was fertig ist, ist fertig und wird abgegeben. Dann schaute sie, ob ich auch die Erklärung brav unterschrieben hätte („Hiermit erkläre ich … alles alleine gemacht, alle Zitate kenntlich blablabla“) und irgendein Datenträger dabei war (jau). Sie erzählte, dass die offizielle Verleihung der Master-Urkunden am 10. Oktober wäre, die Gutachten aber schon im September vorlägen. Weiß ich jetzt gerade selber nicht, ob meine Dozentin sich von sich aus meldet oder ob ich nachfragen muss. Ist jetzt auch wurscht. Ich war ziemlich leer und traurig, als ich das letzte Dokument meines Studiums abgegeben hatte und wollte nur nach Hause unter eine Decke und Schokolade essen.

In den letzten Wochen hatte ich schon einen Ordner „Bewerbung 2017“ auf dem Macbook angelegt, und ich ahne nach den ersten Reaktionen auf Dokumente daraus, dass ich mir eine sehr stabile emotionale Ritterrüstung zulegen muss.

Na dann.

10.6.2017

Was schön war, Freitag, 9. Juni 2017 – Fast fertig (in Anführungszeichen)

Entspannt erwacht, pünktlich im ZI gewesen, den Lieblingsplatz hinten in der Ecke im klimatisierten Lesesaal gekriegt. Den zweiten von drei Lüpertz-Teilen, den ich vorgestern verfasst hatte, durchgelesen und bis auf wenige Korrekturen abgenickt. Mich dann an den dritten und letzten gesetzt, konzentriert gearbeitet, und um kurz nach 15 Uhr war ich dann fast mit der Arbeit fertig. Ich bin jetzt bei 97.000 Zeichen, mir fehlt noch der vermutlich recht kurze Abschnitt mit einem direkten Kiefer-Lüpertz-Vergleich, und dann kommt schon die Zusammenfassung, womit die Arbeit dann fertig ist. Ich soll zwischen 100.000 und 120.000 Zeichen abgeben.

Damit habe ich in einer Wochen 35.000 Zeichen Lüpertz geschafft, was ich mir zwar vorgenommen, aber nicht wirklich geglaubt hatte. Und wo ich gerade die Lüpertz-Zeichen gezählt habe: Kiefer hat momentan 33.000 Zeichen, was mich jetzt selbst überrascht. Gefühlt habe ich zu ihm mehr geschrieben. Ts. Zeichenzählfunktion, du kleines Überraschungsei.

Mit Fußnoten bin ich übrigens bei 153.000. Vielleicht versteht ihr jetzt, warum ich in den vergangenen drei Semestern so an der ollen Zeichenbegrenzung gelitten habe, denn da wurden die Fußnoten mitgezählt. In Geschichte konnte ich immer schön das ganze Nebenbei-Wissen in die Fußnoten packen und blieb entspannt im vorgegebenen Rahmen, in Kunstgeschichte zählte alles, und ich hatte immer das Gefühl, ich schreibe nur Stümpfe statt anständiger Argumentationen.

Jetzt, wo die Masterarbeit fast durch ist, würde ich irrsinnig gerne wieder Stümpfchen schreiben. Vielleicht immatrikuliere ich mich in Philosophie oder Politikwissenschaften. Vor ein paar Tagen ist mir nämlich siedendheiß eingefallen, dass ich mit dem Ende des Studium nicht nur mein herrlich günstiges Semesterticket verliere, sondern – was viel schlimmer ist – nicht mehr in die ganzen Unibibliotheken darf. OMG DIE HISTORICUMSBIBLIOTHEK! SIE IST FÜR MICH VERSCHLOSSEN! In die blöde KuGi-Bib will ich gar nicht mehr, denn ins ZI komme ich ja weiterhin, aber DIE HISTORICUMSBIBLIOTHEK!

Okay, ich schreib mich für irgendwas ein. Dieser Abschied geht mir zu schnell. Ich bin noch nicht vorbereitet!

Herzlich über eine Formulierung in der FAZ gelacht because it’s true:

„Doch je banaler das Werk, desto mehr drehen die Documenta-Katalogschreiber rhetorisch auf: Agnes Denes’ bepflanzte Pyramide ist ‚eine soziale Struktur – sozial, weil das gepflanzte Material Vorstellungen von Evolution und Regeneration vermittelt; die Arbeit fördert außerdem eine Mikrogesellschaft aus Menschen, die sich um die laufende Pflege kümmern.‘ So klingt es, wenn in der Kunstwelt zwei Leute Blumen gießen.“

(Niklas Maak: „Vor der Tür“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 9.6.2017, S. 11.)

Und dann war da noch das:


Meine erste kunsthistorische Veröffentlichung liegt endlich auf meinem Schreibtisch. Wenn ich meinen Namen zum ersten Mal in der Suchmaschine des Zentralinstituts für Kunstgeschichte finde, mach ich eine Flasche Schampus auf.

Der Katalog zu dieser Ausstellung erscheint leider nur auf Englisch und Französisch. Ich werde in nächster Zeit mal meine liebsten Katalogtexte auf Deutsch ins Blog stellen. Schöner Studiumsabschluss.

*wimmer*

20.5.2017

Mein rechter Fuß

Ich gehe seit Ende Februar regelmäßig walken. Und ab und zu wird aus dem Gehen ein winziges bisschen Laufen. Und das ist ziemlich toll, aber damit ihr versteht, warum das so toll ist, muss ich etwas ausholen. Bis 2001, um genau zu sein.

2001 hatte ich fiese Rückenschmerzen. Also fieser als die, die ich sowieso hatte seit ich 15 oder so war. Ich hatte eigentlich immer irgendwie Rückenschmerzen, auch als ich noch schlank war, aber 2001 wurden sie so schlimm, dass ich nicht mehr sitzen oder schmerzfrei gehen konnte. Das war ein schöner Bandscheibenvorfall, und die damalige Empfehlung lautete: viel Ruhe und Krankengymnastik. Dass sich das total widersprach, ist mir erst viel später aufgefallen. Ich habe also wochenlang im Bett rumgelegen, bis von meinen Bauch- und Rückenmuskeln überhaupt nichts mehr da war, ging aber immer brav zur Krankengymnastik. Dabei musste ich eine Übung machen, bei der man im Vierfüßlerstand den linken Arm und das rechte Bein von sich wegstreckt (oder umgekehrt). Eigentlich kein Ding, aber wenn man nicht mehr viele Muskeln hat, die das halten, gibt es ein komisches Geräusch in der Wirbelsäule, an das ich mich noch erinnere, und ein komisches Gefühl, dass irgendwie was anders ist als vorher, aber ich bin hier ja bei medizinischem Fachpersonal (das meistens keine Ahnung hat, wie man mit dicken Menschen umgeht, aber das wusste ich damals auch noch nicht), das wird schon passen. Ich turnte weiter, fuhr mit dem Bus nach Hause, merkte beim Gehen schon, dass ich irgendwie ein bisschen wackelig war, schob das auf meine Erschöpfung und legte mich wieder ins Bett. Und als ich eine Stunde später mal aufs Klo wollte, war mein linkes Bein nicht mehr da.

Die Kurzfassung: zweiter Bandscheibenvorfall, dieses Mal so schlimm, dass es aufs Rückenmark drückte, ich rief den Notarzt, kam ins Krankenhaus, da war ab Bauchnabel abwärts schon alles weg, Gefühl, Beweglichkeit, alles halt, und ich wurde einen halben Tag später operiert.

Normalerweise bleibt man nach operierten Bandscheibenvorfällen drei, vier Tage im Krankenhaus. Bei mir waren es vier Wochen. Ich konnte nicht mehr pinkeln, ich konnte zunächst auch nicht gehen, dann irgendwann mit Rollator, aber auch nur fünf Schritte, irgendwann klappte ich im Bad zusammen, weil mein Kreislauf nicht mehr wollte, aber das ist jetzt alles egal. Es war klar, dass nach dem Krankenhaus noch eine Reha sein musste, und da wurde ich dann liegend hintransportiert – nach Damp an der Ostsee. Wenn schon Reha, dann wenigstens am Meer. Der dortige Orthopäde nahm mir sofort den Rollator ab und drückte mir Krücken in die Hand, und als ich mich traute, nicht mehr mit den Oberarmen an der Wand langzugehen, damit ich nicht umfiel, ging das ganz gut. Sehr langsam, nicht sehr weit, noch sehr wackelig, aber ich konnte wieder gehen.

Ich merkte in der Reha aber, dass einiges anders war. Im Krankenhaus hatte ich nur irgendwelche Schlappen an den Füßen gehabt oder sogar nur Socken, jetzt musste ich aber Schuhe anziehen, um im Gebäude rumzugehen oder auch mal ans Meer zu kommen. (Ich merkte leider relativ schnell, dass man mit Krücken schwer bzw. gar nicht auf Sand gehen kann.) Ich zog also wie gewohnt den linken Turnschuh zuerst an und wollte dann in den rechten schlüpfen – aber es ging nicht. Mein Fuß wusste nicht mehr, wie man sich einen Schuh anzieht. Ich guckte mir genau an, was der linke machte und versuchte das rechts zu reproduzieren, aber es ging immer noch nicht. Es geht auch bis heute nicht; wenn ich irgendwo hinfahre oder fliege, habe ich immer einen Schuhlöffel im Gepäck, weil ich sonst nicht in meine Schuhe komme. Oder zumindest nicht in einen.

In der Reha lernte ich viele Dinge wieder, zum Beispiel aufs Klo zu gehen. Das erste Mal nach Wochen ohne Katheter zu pinkeln, war unfassbar großartig, und wenn der Weg zum Edeka gegenüber der Klinik nicht so weit gewesen wäre (200 Meter) und ich gewusst hätte, wie ich meine Schuhe anziehe, hätte ich eine Flasche Billosekt besorgt – und sie gleich wieder ausgepinkelt, ohne Katheter, fuck yeah!

Nochmal die Kurzfassung: Ich habe bis heute nicht alle Körperfunktionen wieder, und ich weiß inzwischen auch, dass das so bleibt. Vor allem mein rechter Fuß kann nicht mehr so viel wie früher, aber das merkte ich erst nach und nach. Die Schuhe waren nur der Anfang. Ich merkte irgendwann, als ich auf dem Fußboden meiner Agentur landete, dass mein rechter Fuß es anscheinend nicht mehr mitkriegt, wenn er an Telefonkabeln oder ähnlichem hängenbleibt. Deswegen gehe ich bis heute eher mit gesenktem Blick, vor allem auf unbekanntem Terrain, einfach weil ich nicht hinfallen will. Ich merkte irgendwann, als ich mitten im Zimmer nach hinten zu fallen begann, dass ich darauf achten muss, mich bewusst nach vorne zu lehnen, weil mein Fuß sonst einfach vergisst, was sein Job ist. Ich merkte irgendwann, dass ich nicht mehr wie gewohnt auf Leitern steigen kann, weil meine rechten Zehen mich nicht mehr halten können; ich muss den Fuß quer auf die Stufen setzen, denn mein Ballen kann noch was. Und ich merkte irgendwann, dass ich nicht mehr laufen kann. Ich wollte morgens dem Bus hinterherrennen, aber weil die Fußheberschwäche eben dafür sorgt, dass meine Zehen mich nicht mehr vorwärtskatapultieren, fühlte es sich an wie hüpfendes Humpeln. Deswegen ließ ich das nach wenigen Metern und merkte mir: Ich kann nicht mehr laufen. Und das tat ich dann 16 Jahre auch einfach nicht mehr. Irgendwann ist man ja auch zu alt und zu würdevoll, um noch öffentlichen Verkehrsmitteln hinterherzurennen.

Februar 2017. Frau Gröner geht gehen. Den Plan hatte ich schon länger, denn es begann mich selbst zu nerven, dass meine Alltagsfitness immer mieser wurde. Seit ich nur noch Rad fahre bzw. zu Fuß nur noch den Weg von der Haustür zur U-Bahn zurücklege, hatte ich keine Rumlaufkondition mehr. Das merkte ich vor allem, als ich mit F. in Amsterdam und Madrid war; gefühlt wollte ich mich alle 500 Meter nur mal kurz setzen und jammerte innerlich dauernd „Issesnochweitissesnochweit?“ Also nahm ich mir vor, wieder im Alltag mehr zu gehen, was mich aber auch nervte, denn eigentlich fahre ich ja viel lieber Fahrrad. Also nahm ich mir stattdessen vor, wieder öfter aufs Laufband zu gehen, denn ich habe ja ein Laufband. … Äh, nein. … Ich hatte ein Laufband, und das steht auch immer noch in Hamburg, aber jetzt habe ich’s halt nicht mehr, und selbst wenn ich’s hätte, hätte ich keinen Platz dafür. Alleine diese Feststellung warf mich wieder wochenlang in Traurigkeit und ich fuhr weiter Fahrrad.

Dann googelte ich nach Fitnesstudios, auf die ich zwar überhaupt keine Lust hatte, aber ich wollte verdammt noch mal gehen. Ich wollte, wenn überhaupt, alleine auf ein Laufband, aber nicht mitten in einem Pulk von Läufer*innen sein, die alle toller als ich aussehen und viel schneller und fitter sind. Und ich wollte mich nicht vor anderen Leuten umziehen. Das letzte Mal habe ich das vor Jahren beim Kieser-Training gemacht, und auch dort, wo ja alle angeblich nur wegen der Gesundheit sind und nicht wegen der schlanken Taille, gucken die Leute, wenn sich ein Mensch mit deutlich nicht schlanker Taille nackt macht. Fand ich scheiße, will ich nicht mehr.

Ich fand ein Studio in meiner Nähe, wo ich theoretisch morgens hätte hinradeln können, eine Stunde aufs Laufband, wieder nach Hause radeln und dort duschen etc. Aber alleine der Gedanke daran nervte mich schon, ich fuhr weiter Fahrrad und wurde immer nöliger. Bis ich mir eines Morgens dachte, scheiß drauf, du hast den Alten Nordfriedhof fast vor der Haustür, da joggen immer Leute rum – steh einfach so früh auf, dass noch niemand da ist, der dich in Schlumpfklamotten und mit rotem Kopf sieht und geh los. Geh einfach los. Und genau das habe ich im Februar gemacht.

Eine Runde um den Friedhof sind ungefähr 750 Meter; das sagen jedenfalls Google Maps, die Wikipedia und die Umsonstversion von Runtastic, die ich mir irgendwann mal runtergeladen hatte und nun zum ersten Mal benutzte. Ich nahm mir zwei Runden vor, merkte am Ende dieser zwei Runden, dass eine dritte noch locker drin war, ging sie und hörte danach auf. Zwei Tage später ging ich wieder drei Runden, und als die Woche rum war, ging ich eine Woche lang vier Runden, dann eine Woche lang fünf und so weiter. Irgendwann war ich bei fast acht Kilometern, was ich ziemlich großartig fand für jemanden, die sonst nie weiter als 500 Meter gegangen war und das auch nur unter großem inneren Protest, weil Radeln halt super ist und man im Bus lesen kann. Ich ging bei Nike einkaufen, so dass ich nicht mehr in den weiten Baumwollhosen rumlief, sondern total professionell in Tights, ich ignorierte Regen und Schnee und ging und ging und ging. (Nebenbei: Hey, Gesellschaft, wenn du willst, dass wir dicken Menschen Sport treiben, weil du dir so große Sorgen um unsere Gesundheit machst – um Ästhetik geht’s dir ja nicht, gell, knick-knack? –, dann sorg gefälligst dafür, dass wir Klamotten haben, in denen man Sport machen kann. Die blöden weiten Baumwollplünnen kannst du dir an die Backe zimmern; gib mir Funktionskleidung in größer als 46/48 – weiter geht’s bei den ganzen Sportartikelherstellern nämlich nicht. Außer eben jetzt bei Nike, weswegen ich das weiterhin großflächig verlinken werde.)

Meistens ging ich alleine, aber natürlich nicht immer. Je wärmer es wurde bzw. je früher es hell wurde, desto mehr Leute waren plötzlich da. Inzwischen machte es mir nichts mehr aus, mit rotem Kopf und hautengen Hosen durch die Gegend zu gehen, denn hier sahen alle so aus und jeder wollte einfach nur ein paar Runden laufen. Laufen, nicht gehen. Walkende Menschen sah ich sehr wenige, aber stattdessen irrsinnig viele Läufer in jeder Konditionsphase. Ich sah eine ältere Dame, die im Rocky-Jogginganzug eine Runde lief und dabei ungefähr so schnell war wie ich. Ich sah einen jungen Mann, der dauernd auf die Uhr guckte, und der so schnell an mir vorbeizog, dass ich kaum glauben konnte, dass man in diesem Tempo mehr als 100 Meter laufen kann. Ich sah eine junge Frau, die nur auf den Zehenspitzen lief, eine ältere, die federleicht in Regenjacke und weiten Hosen an mir vorbeizog, zwei Damen, die sich beim Laufen unterhielten, und fast jeden Morgen meinen Liebling: einen jungen Mann in knielangen Tights und blauem Oberteil, der so wunderschön gerade und aufrecht und entspannt läuft (und so tolle Waden hat), dass ich ihm ewig hinterhergucke.

Ich sah Menschen jeder Altersklasse, aber kaum jemanden, dessen Körperfülle meiner ähnelte. Aber selbst das war egal, denn dadurch, dass man eh bloß überholt wird oder jemanden für wenige Sekunden gegenüber hat, hat man kaum die Möglichkeit, sich zu vergleichen – ganz anders als im Fitnessstudio, wo ich vermutlich eine Stunde lang schlanken, durchtrainierten, überglücklichen und gut verdienenden Traummenschen mit Doktortitel zugeguckt hätte, während vor mir eine Kalorienverbrauchsanzeige blinkt (I DON’T CARE!). Hier nicht. Hier sah ich gut gelaunt und entspannt Eichhörnchen, Grabsteine und den Sonnenaufgang. Und halt Läufer.

Ich wusste, ich kann nicht laufen, aber je mehr Menschen ich sah, die eben das taten, desto mehr wollte ich das auch. Und obwohl ich theoretisch einfach nur meine Füße etwas weiter vom Boden hätte heben müssen, habe ich mich nicht getraut. Wenn man etwas 16 Jahre lang nicht gemacht hat und davon überzeugt ist, dass man es nicht kann, fällt es irrsinnig schwer, es einfach doch noch mal auszuprobieren. Ich sprach mit F. darüber, der meinte: „Warte auf einen richtig guten Tag, an dem dir nichts die Laune verderben und dich nichts traurig machen kann. Du weißt ja, du kannst nicht laufen, also kannst du eigentlich auch nicht enttäuscht sein, wenn’s eben nicht klappt, aber falls doch, dann hast du einen guten Tag, an dem du dich wohlfühlst und es dir gut geht – das wird dann nicht so schlimm.“ Die Worte hatte ich tagelang im Ohr, bis ich einen Sonntagmorgen ganz alleine auf der Runde war. Niemand sah mir zu, mir ging’s gut, ich bilde mir ein, Spotify spuckte besonders motivierende Lieder aus – und irgendwann dachte ich, ich lauf jetzt ein bisschen.

Und dann lief ich ein bisschen.

Es sah vermutlich immer noch wie hüpfendes Humpeln aus, aber FUCK IT ICH LIEF. Ungefähr zehn Meter, weil ich so überrascht davon war, dass ich laufen konnte, dass ich gleich wieder stehenblieb. Außerdem habe ich innerhalb von einer Sekunde den Sinn von Sport-BHs verstanden, aber das ist eine andere Geschichte.

Ich war so bräsig-glücklich, dass ich den Rest der Runde wieder ging, aber beim nächsten Mal nahm ich mir vor, wenn niemand guckt, laufe ich von dieser einen Bank da bis zur nächsten. Beim nächsten Mal lief ich von der ersten Bank bis zur dritten und dann bis zur vierten und irgendwann bis zum Baum da vorne und dann noch um die Kurve. Ich kann immer noch nicht wirklich lange laufen; ich habe bis heute keine ganze Runde geschafft, auch weil ich nicht weiß, ob ich meinem Rücken und meinem Knie damit einen Gefallen tue, wenn ich laufe. Dadurch, dass meine Zehen mich nicht abfedern, kriegen Knie und Rücken alles mit, und besonders leicht bin ich ja nun auch nicht. Außerdem muss ich beim Laufen noch mehr darauf achten, was mein Fuß tut und wo er hinstapft, weswegen ich die ganze Zeit einen inneren Monolog führe: „Okay, krall deine rechten Zehen nicht so ein, als ob du den Schuh festhalten willst, der hält schon. Roll dich links mal bewusster ab. Versuch, das rechte Knie vorne zu halten, auch wenn du’s eigentlich nicht halten kannst. Wie geht’s der Lendenwirbelsäule, alles gut, tut nix weh? Nicht die Zehen einkrallen!“ Und so weiter und so fort. Das ist alles deutlich unentspannter als einfach zu gehen, aber momentan bin ich immer noch so fasziniert davon, zu laufen, dass ich das für ein paar hundert Meter mitmache. Daher ist mein Ehrgeiz auch nicht, einen 5k zu laufen. Mein Ehrgeiz ist es, schmerzfrei meine Runden zu drehen, ganz egal, ob laufend oder gehend, und meine Alltagsfitness zu verbessern. Wenn ich Lust habe zu laufen, dann laufe ich, wenn ich nur gehen will, dann gehe ich, und inzwischen ist es auch egal, ob mich jemand sieht, wie ich hüpfend humpele.

Das ist jetzt vielleicht nicht die Pointe, auf die ihr gewartet habt – „Hey, ich trainiere jetzt für den Marathon“ –, aber ich denke jedesmal, wenn ich loslaufe: OMG ich laufe. Momentan laufe ich meist eine halbe Runde, dann gehe ich eine halbe, dann laufe ich wieder oder auch nicht. Das fühlt sich gut an, und mein ganzer Körper scheint damit einverstanden zu sein. Ich merke seit Wochen, dass mir Gehen im Alltag viel leichter fällt als noch vor wenigen Monaten, und ich freue mich schon sehr darauf, durch Paris und Wien und St. Petersburg zu gehen. Das einzig Dumme: Meine Ausrede, aus der Puste zu sein, ob F. vielleicht mal ein Eis, was zu trinken, Sonnencreme besorgen könnte, während ich hier rumsitze … die zieht jetzt nicht mehr. Verdammt.

6.5.2017

Hausarbeit „Die Berichterstattung über Amnesty International in der ‚Frankfurter Allgemeinen Zeitung‘ 1961–1979“

Oder wie meine Geschichtsdozentin meinte: „Das wäre ein schöner Untertitel gewesen – ich hätte mir eine These als Titel gewünscht.“ Da hat die Dame recht.

Das war dann auch das bisschen Beef, das sie mit der Arbeit hatte: Generell wären ein paar Thesen nett gewesen. Sie bescheinigte mir eine Riesenfleißarbeit, die für eine Hausarbeit schon fast zu viel war, aber wenn ich schon so tolle Dinge rausfinde wie: Die Leserbriefe waren konservativer als der redaktionelle Inhalt, dann wäre es nett gewesen, dazu eine These aufzustellen und das nicht einfach so hinzuschreiben. Daher ist die Arbeit eine 1,3 geworden und keine 1,0. Sprachlich und formal herausragend. (Duh.)

Das war meine letzte Amtshandlung in Geschichte. Gestern hatte ich mein letztes Referat im Studium; ich präsentierte unserem Kolloquium meine Masterarbeit. Nach dem Vortrag klopfte mir meine Prüferin auf die Schulter, was mich seltsam gerührt hat, und meinte, ich solle aufpassen, keine Dissertation zu schreiben. Das habe ich auch seit einigen Tagen im Hinterkopf, keine Bange. In einem Kurs, in dem wir unsere Ausstellung in Rosenheim im September vorbereiten, sitze ich nur noch freiwillig und übernehme keine Aufgaben mehr; das heißt, da werde ich eher sporadisch hingehen, so wie ich mich kenne. Ansonsten habe ich jetzt nur noch die Masterarbeit runterzuschreiben und sie bis zum 10. Juli abzugeben.

Der lange Abschied vom viel zu kurzen Studium beginnt: jetzt.

3.5.2017

Hausarbeit „Rainer Zimmermanns Expressiver Realismus. Das Fallbeispiel Leo von Welden“

In meiner ersten Hausarbeit zu Leo befasste ich mich mit seiner Zeit im Nationalsozialismus, da diese weitgehend unerforscht war. Für meine zweite wollte ich mich eigentlich mit seinem Wirken in der Nachkriegszeit auseinandersetzen, mein Dozent meinte aber, es wäre ganz schlau, noch einen weiteren Aspekt mit in die Arbeit zu nehmen – nicht dass das Prüfungsamt noch was zu meckern hätte, denn eigentlich sollen wir nicht zweimal über den gleichen Gegenstand schreiben. Was ich im Master, wo man sich ja spezialisieren soll, für eine eher quatschige Idee halte, aber nun gut.

So nahm ich fachgerecht Rainer Zimmermanns Idee des sogenannten Expressiven Realismus auseinander, den sein Erfinder für eine Stilrichtung hält, den ich aber gerne völligen Kappes nenne. Danach überprüfte ich, ob Leo von Welden, wenn es diese Stilrichtung denn gäbe, ein expressiver Realist wäre, was er natürlich nicht ist, weil Kappes. Damit könnt ihr euch die Lektüre meiner Forschungsarbeit eigentlich schenken, aber natürlich kann ich das alles ganz herrlich begründen und habe auch wieder viele tolle Fußnoten aus vielen tollen Archiven dabei. Insofern: Enjoy.

(1,0.)

8.4.2017

Die neue digitale Sammlung der Pinakotheken – ein guter Anfang

Seit dem 6. April kann man sich online durch die Sammlung der Pinakotheken, des Museums Brandhorst und der Sammlung Schack wühlen. Jedenfalls theoretisch. Wenn es um den Bereich moderne und zeitgenössische Kunst geht, sieht man nämlich statt schöner bunter Bilder das hier:

Bildschirmfoto 2017-04-07 um 10.44.21

Der erste Name, den ich eingab, war Anselm Kiefer, weil ich mich mit dem gerade beschäftige. Keines seiner fünf Werke, die im Besitz der Bayerischen Staatsgemäldesammlung sind, kann angezeigt werden. Bei zwei Bildern liegen schlicht noch keine digitalen Fotos vor, was ich nachvollziehen kann, bei drei weiteren scheint es Bildmaterial zu geben, das aber nicht gezeigt werden darf. Das liegt nicht an den Pinakotheken, sondern am dusseligen deutschen Urheberrecht, das mich mal wieder laut knurren ließ.

Der Pinakothek der Moderne gehört zum Beispiel Nero malt von 1974, das nicht auf der Website erscheint. (Hier kann man das Bild natürlich trotzdem sehen; ganz runterscrollen.) Das Museum als Eigentümer dieses Bildes darf es verbrennen, wenn es möchte, es kann aber kein Foto seines Bildes auf seiner Website zeigen – weil es schlicht zu viel kosten würde. Wolfgang Ullrich schrieb im letzten Jahr sehr schön über den Irrsinn der Verwertungsrechte:

„Die aktuelle Gebührenpolitik der meisten Verwertungs-gesellschaften könnte zu dem Schluss verführen, es sei tatsächlich eine Arkanisierung der Kunst angestrebt. So kommt die Nutzung eines Werkes, das auf einer Website reproduziert wird, in den meisten Fällen erheblich teurer als die Abbildung in einer Printpublikation. Die Differenz entsteht vor allem, weil bei Druckerzeugnissen nur einmalig eine Gebühr zu zahlen ist, während bei Veröffentlichungen im Internet im Allgemeinen nach Monaten gerechnet wird oder aber nach einem Jahr eine erneute Lizensierung erfolgen muss. So addieren sich die Beträge rasch zu hohen – zum Teil absurd hohen, unbezahlbaren – Summen. Diese Praxis entbehrt jeglicher logischen Grundlage, sind doch Bücher viel stärker als Websites auf Dauer angelegt, werden also auch nach Jahren und Jahrzehnten noch rezipiert. Man könnte das Vorgehen der Verwertungsgesellschaften als prohibitiv bezeichnen; sie sehen das Internet offenbar als schmutzigen, unseriösen Ort an, vor dem sie die von ihnen vertretenen Urheber und Werke schützen wollen. Auf die Wildnis der Sozialen Medien reagieren sie mit dem Versuch, streng exklusive Reservate einzurichten.“

Die Verwertungsgesellschaft, die für bildende Kunst zuständig ist, ist die VG Bild-Kunst. Anselm Kiefer wird nicht von ihr vertreten, wenn ich der hauseigenen Suche glauben darf. Trotzdem gilt für ihn wie für alle anderen auch: Werke von Künstler*innen, die nicht bereits seit 70 Jahren tot sind, dürfen nur gegen Gebühr abgebildet werden. Das kennen wir ähnlich von literarischen Werken. Auch dort kann ich die Schutzfrist nicht verstehen, weil ich sie erstens für viel zu lang halte und zweitens nicht nachvollziehen kann, wieso Nachkommen noch was von den Werken ihrer Väter, Großmütter oder Tanten haben sollen. Ich kann aber immerhin nachvollziehen, dass literarische Werke, die man sich als Buch kauft und mit nach Hause nimmt, Geld kosten. Ich kann aber nicht verstehen, wieso Künstler*innen Geld dafür bekommen, dass ein Werk, das sie verkauft haben, irgendwo abgebildet wird. Wenn es Werbung ist, klar – aber wenn es ein Museum oder eine wissenschaftliche Auseinandersetzung ist, nein. Wirklich nicht.

Antje Lange, die für die Online-Kommunikation der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen verantwortlich ist, erklärte mir auf Anfrage, wie diese Rechte die Vermittlungsarbeit von Museen erschweren. Ein Beispiel: Auf den Seiten der Pinakotheken kann man durch die Alte, die Neue und die der Moderne online von Saal zu Saal bummeln – eine Funktion, die ich sehr gerne mag, weil man durch sie auch Bilder wiederfindet, von denen man sich weder Titel noch Künstler*in gemerkt hat. Ja, auch ich renne gerne mal hirntot durch Museen und freue mich einfach an den Werken. Eine Dozentin meinte mal, man lerne auch im Vorbeigehen. Der Satz ist seitdem mein Mantra. Zurück zum Rundgang:

Bei der Alten und Neuen Pinakothek, die Werke vom Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert zeigen, sind online Abbildungen zu sehen – bei der Pinakothek der Moderne, die, wie der Name schon sagt, eher Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts zeigt, nur in Ausnahmefällen. Lange: „Wir haben einen Museumsvertrag mit der VG Bild-Kunst, der uns eine gewisse Anzahl von Werken kostenlos zeigen lässt – aber der Rundgang durch die Pinakothek der Moderne ist deswegen nie vollständig online, weil die Anzahl der Werke diese Grenze deutlich übersteigt. Das finde ich bedauerlich, denn meiner Meinung nach sollte ein staatliches Museum auch für Menschen zugänglich sein, die nicht vor Ort sind.“

Die Rechte gelten übrigens auch für die sozialen Medien der Museen, wobei es dort Ausnahmeregelungen für laufende Ausstellungen gibt. Wenn die Pinakotheken auf Instagram eine Saalansicht mit zeitgenössischer Kunst posten, kostet das Geld. Die VG Bild-Kunst berechnet nach Klickzahlen und Dauer der Veröffentlichung – das heißt, wenn eine derartige Ansicht zu sehen ist, die keine aktuelle Ausstellung zeigt und damit gebührenfrei ist, müsste sie theoretisch zeitlich begrenzt sein, damit es nicht teuer wird. Man müsste also dauernd Dinge depublizieren – oder man lässt es gleich. Jetzt weiß ich wenigstens, wieso der Instagram-Account der Pinakotheken gerne die Alte vorstellt. Mir juckt es gerade sehr in den Fingern, durch alle Säle der Pinakothek der Moderne zu gehen und zu instagrammen, was das Zeug hält. Ich bin eine Privatperson ohne kommerzielle Interessen an den Werken – aber ich weiß gerade selbst nicht, ob ich sie herzeigen dürfte oder ob die Schlägertruppen der VG Bild-Kunst dann durch meine Streams marodieren. Was ich aus unserem Gespräch schon mal mitgenommen habe: Ich lästere nie wieder über eher unbeeindruckende Instagram-Accounts von zeitgenössischen deutschen Museen, weil sie schlicht nicht die Chance haben, so großartig zu sein wie das MoMA, dessen Stream vermutlich in jeder Präsentation als Benchmark hochgehalten wird.

Denn: Dieser Urheberrechtsnervkram ist ein deutsches Problem. Wenn ich zum Beispiel auf die Seite der Online-Kollektion des MET gehe, finde ich dort 62 Werke von Kiefer, alle in schönster farbiger Abbildung. Was das MET auch vorbildlich macht: die wissenschaftliche Informationstiefe für die einzelnen Werke. Nehmen wir als Beispiel mal Herzeleide (1979), das ich in meiner Hausarbeit vor einem Jahr erwähnen konnte – und noch weitere Werke Kiefers, von deren Existenz ich ohne die Online-Datenbank nichts gewusst hätte, weil sie in keinem Katalog erwähnt wurden, der mir physisch zur Verfügung stand. Zu den Werken findet man auf der Site nicht nur die kunsthistorischen Basisdaten (Herstellungsdatum, Maße, Technik), sondern eine vollständige Provenienz, einen Hinweis auf Literatur sowie eine Ausstellungshistorie. Die Pinakotheken beschränken sich momentan auf die Basisdaten, bieten aber – bei älteren Werken – die Möglichkeit zum Download der Bilder unter CC-BY-SA-4.0-Lizenz. Außerdem kann man sich das Datenblatt ausdrucken lassen. Die Daten sollen, laut Lange, in Zukunft noch ausführlicher werden, der derzeitige Stand ist nicht der finale. Als Messlatte gilt nicht überraschend das Rijksmuseum, das seine Werke hochauflösend zum Download anbietet und den Nutzer*innen alle Freiheiten lässt, mit den Schätzen zu machen, was sie wollen. Mein Lieblingszitat des dortigen Direktors: „If they want to have a Vermeer on their toilet paper, I’d rather have a very high-quality image of Vermeer on toilet paper than a very bad reproduction.“

Auch wenn ich die fehlenden Bilder in der Datenbank der Pinakotheken beklage, freue ich mich, dass ich überhaupt die Möglichkeit habe, einen musealen Bestand zu durchsuchen, denn das ist leider noch keine Selbstverständlichkeit. Neben München bieten Berlin und Dresden diesen Service, aber das war’s dann auch schon. Bei der digitalen Sammlung des Städel in Frankfurt bin ich mir nicht sicher, ob die komplette Sammlung erfasst wurde, die Hamburger Kunsthalle zeigt „300 Meisterwerke aus den Bereichen Malerei, Skulptur, Fotografie und Graphik sowie mehr als 15.000 Zeichnungen und Druckgraphiken aus dem Kupferstichkabinett“. Dass es nur so wenige vollständige Sammlungen online gibt, finde ich nicht nur für mich und meine berufsbedingte kunsthistorische Neugier schade, sondern auch für Laien. Eine Frage, die ich Lange stellte, war die nach der Zielgruppe der neuen Site – da kam in mir kurz die Werberin durch: „Die Online-Sammlung ist sowohl für die Wissenschaft als auch für das Museumspublikum konzipiert. Das Publikum profitiert vermutlich eher von den Inspirationen, die zu jedem Werk angezeigt werden [eine Art Empfehlungsbilderbogen]; für die Wissenschaft sind die Daten interessanter. Mir war es wichtig, die Datenbank nicht zu wissenschaftlich aussehen zu lassen; es sollte aber auch nicht so spielerisch sein wie die digitale Sammlung des Städel.“

Ich finde den Spagat gut gelungen – wenn jetzt noch die Datentiefe des MET erreicht wäre, wäre ich schon fast wunschlos glücklich, denn natürlich sind die fehlenden Bilder das Hauptproblem. Sie sind für mich auch als wissenschaftliche Quelle wichtig und nicht nur als Downloadmöglichkeit für einen schöneren Bildschirmhintergrund. Im Studium bezog ich meine Bilder aus dem Prometheus-Bildarchiv, einem Zusammenschluss von derzeit 90 kulturellen Institutionen, die ihre Bilder für wissenschaftliche Zwecke zur Verfügung stellen. Die LMU hat eine Lizenz, weswegen ich nach Herzenslust suchen, downloaden und Dinge in PowerPoint-Präsentationen einbauen durfte. Das Problem bei Prometheus ist: Viele bekannte Werke liegen in mehrfacher, teilweise dutzendfacher Ausfertigung vor – und kein Bild sieht so aus wie das nächste. Ich bleibe mal bei Kiefer als Beispiel, dessen Parsifal ich nur zweimal fand, aber selbst da sieht man schon das Problem:

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Ich kann mir schlicht nicht sicher sein, wie das Bild im Original aussieht, wenn ich nicht schon einmal selbst davor gestanden habe. Bei Manets Olympia, die ich 23 Mal fand, wird es noch klarer:

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Wie soll man bitte wissenschaftlich mit Bildern arbeiten, wenn man nicht mal weiß, ob man gerade die originale Farbgebung betrachtet? Gerade dafür sollte ich mich auf Museen verlassen können. Kann ich aber leider nicht: Das Kunsthaus Zürich, in dem der Parsifal hängt, zeigt quasi gar nichts auf seiner Seite, beim Musée d’Orsay kann ich immerhin die Olympia in recht kleiner Auflösung mit den Bildern in Prometheus vergleichen, um eine möglichst ähnliche Abbildung für meinen Vortrag zu benutzen. Ideal finde ich beides nicht. Hier sehe ich die Verantwortung bei den Museen, bei der Verwertungsgesellschaft, die Rechte freizugeben – und, darauf wies auch Ullrich hin, bei den Künstler*innen selbst:

„Aber selbst Wissenschaftler, die über Künstler publizieren, welche ihre Rechte von einer Verwertungsgesellschaft vertreten lassen, werden gelegentlich damit konfrontiert, dass man ihnen eine Reproduktionserlaubnis verwehrt. So machen es einige Künstler – zum Beispiel Andreas Gursky – zur Bedingung, dass ihre Werke in Farbe reproduziert werden. Das aber behindert – wegen der dann nicht finanzierbaren erhöhten Druckkosten – insbesondere Autoren von Doktorarbeiten, wissenschaftlichen Sammelbänden oder unabhängigen Büchern; Texte, die sich, vielleicht auch analytisch-kritisch mit der Ikonografie oder den Sujets des Künstlers befassen und die deshalb auf Abbildungen als Grundlage und Verifizierung einer Argumentation angewiesen sind, können im Extremfall gar nicht publiziert werden.“

6.4.2017

Was auf den zweiten Blick schön, aber trotzdem total doof war, Mittwoch, 5. April 2017 – #FCAFCI

Gestern stellte ich fest, dass die dünnen Suhrkamps perfekt in die Innentasche meiner Spätherbst-Frühfrühlingsstadionjacke passen.

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So hatte ich im Zug etwas zu lesen, als ich mit F. in Richtung Augsburg zuckelte, wo wir uns das Spiel gegen Ingolstadt anschauen wollten. Wir erwischten eine schöne leere Tram vom Bahnhof zum Stadion, genossen dort die traditionelle Stadionwurst (aka „FCA-Knacker“, eine rote Bratwurst, gestern richtig schön heiß, in einer Laugenstange), ich erfreute mich wie immer am fähnchenschwingenden Kid’s Club, der zur Vereinshymne eine Runde um den Platz drehte, wobei das Publikum immer brav zurückwinkt, dann nahmen wir Platz, und ab da wurde der Abend eher scheiße.

Zur Halbzeit stand es bereits 0:2, das Endergebnis war dann 2:3, und bis auf 15 Minuten vor Schluss spielten die Augsburger nicht nur unterirdischen Müll zusammen, sondern ließen auch den Willen vermissen, der nötig gewesen wäre, um das Spiel zu gewinnen. Augsburg stand gestern mit 7 Punkten Vorsprung auf dem Relegationsplatz, Ingolstand direkt dahinter auf dem ersten Abstiegsplatz. Die drei Punkte hätten dem FCA einen Vorsprung von zehn Punkten sichern können, stattdessen sind es jetzt nur noch vier; man ist jetzt punktgleich mit Mainz und einen Zähler hinter dem HSV und Wolfsburg, die der FCA mit einem Sieg alle hätte überholen können. Hätte, hätte, Fahrradkette. Augsburg bleibt auf dem Relegationsplatz, hat aber noch schwere Spiele vor sich. Die drei Punkte waren eigentlich fest eingeplant, der Abend war deswegen eher anstrengend und ich dementsprechend mies gelaunt.

Aber: Ich habe eine neue Facette des Fußballguckens kennengelernt. Dem FC Bayern folge ich aufmerksam erst so seit sieben, acht Jahren, und in dieser Zeit spielte er einen teilweise überirdisch schönen – und erfolgreichen – Fußball. Der FCB war niemals auch nur in der Nähe von irgendwelchen Abstiegsplätzen – ganz im Gegensatz zu Augsburg. Dessen Saison war vom Umbruch gekennzeichnet: Nach der Europapokalteilnahme im letzten Jahr, wovon noch diverse Schals an Fans im Stadion künden, ist diese Saison eine ganz andere. Der neue Trainer wurde noch vor der Winterpause entlassen, sein Nachfolger macht … irgendwas, ich weiß nicht was, es sind neue, junge Spieler in der Mannschaft, die sich zwar emsig bemühen, aber denen schlicht Erfahrung fehlt, und durch viele Verletzte ist der Kader sehr schmal, der auch nicht aufgestockt werden kann, weil schlicht das Budget fehlt. Da kommt einiges zusammen, und deswegen spielt der FCA gerade gegen den Abstieg. Oder rumpelt sich so durch, wie man’s nimmt.

Die ganze Saison über hatte ich Spaß an dieser Art Fußball und dieser Art des Fußballguckens, weil es sehr anders ist als Spiele beim FCB zu sehen. Ein Stadion für 30.000 ist schlicht eine andere Hausnummer als eins für 75.000, und auch die ganze Stimmung ist eine andere. Beim FCB besteht gefühlt die Hälfte der Zuschauer*innen aus Touris, die aufgeregt alles und jeden knipsen, stolz ihre nagelneuen Trikots ausführen und gerne suchend im Weg rumstehen; die Stadionbeschallung ist nervig-professionell, alles ist riesig und groß und supi und champions of the world. In Augsburg wedelt der Kid’s Club, das Kaschperle aus der Augsburger Puppenkiste sagt den Spielstand voraus (immer falsch), die Tormusik ist Eine Insel mit zwei Bergen, und die Zuschauer*innen sehen so aus, als kämen sie seit 30 Jahren und hätten schon die Spiele in der dritten Liga mitangesehen. In seiner liebevollen Schraddeligkeit fühlt es sich in der WWK-Arena mit ihren Menschen fast wie bei meinem schmerzlich vermissten Altona 93 in der Hamburger Oberliga an: alles eine Nummer kleiner und sehr auf dem Boden geblieben. Deswegen störte mich auch der miese Fußball nicht, der hier gespielt wird – bis gestern. Denn gestern merkte ich zum ersten Mal, dass dieser miese Fußball dafür sorgen könnte, dass der FCA in der nächsten Saison zweitklassig spielen könnte. Das war ein komplett neues Gefühl für mich: Abstiegskampf. Und so schön ich es finde, eine neue Facette des Fanseins kennenzulernen, so sehr litt ich gestern 90 Minuten vor mich hin.

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Und dann hatte auch noch die Schwarze Kiste am Bahnhof schon geschlossen, so dass wir kein Trostbier für die Rückfahrt hatten. Musste eben zuhause eins aus dem Kühlschrank den Schmerz lindern.

25.3.2017

Was schön war, Dienstag bis Freitag, 21. bis 24. März 2017 – Kunstkapsel

Am Dienstag saß ich lange im Zentralinstitut für Kunstgeschichte und las und las und las und dann las ich noch ein bisschen. Die Masterarbeit steht im Kopf quasi, und alles, was ich gerade lese, passt wie lauter kleine Steinchen ins große Mosaik. Das finde ich selbst sehr spannend mitanzusehen – auf was ich schon aufbauen kann und wie ich das, was ich noch neu lerne, bereits einordnen kann. Gleichzeitig erfreue ich mich, wie immer, an Rezeptionsgeschichte, weil die für mich meist spannender ist als das Werk selbst. Also: Wie wurde ein Bild wahrgenommen, als es frisch an der Wand hing und wie 40 Jahre später? Diese Entwicklung anhand von Aufsätzen oder Ausstellungskatalogen nachzuvollziehen, ist für mich auch immer Zeitgeschichte und nicht nur Kunstgeschichte, denn damit sich der Blick auf ein Bild ändert, muss sich eben auch der oder die Blickende ändern.

Am Mittwoch fuhr ich zur Tochter von Leo von Welden, die mir großzügigerweise Aktenordner voll Korrespondenz, sowohl geschäftlich als auch privat, ihres Vaters geliehen hatte. Daran konnte ich nicht nur seine Ausstellungstätigkeiten nachvollziehen, sondern erfuhr auch von geplanten Ausstellungen oder wie Leo seine eigene Kunst sah bzw. wo er mit ihr hinwollte. So ganz nebenbei las sich das auch alles wie eine kleine Zeitkapsel der 50er und 60er Jahre, weil der Mann nach 45 durch ganz Europa reiste. Die vielen Postkarten haben mir sehr viel Freude bereitet, nicht nur wegen Leos Zeilen, sondern auch wegen ihrer Bildmotive.

Ich hatte der Tochter meine Arbeit schon vorher per Post geschickt – die Dame hat kein Internet – und durfte mir nun bei Tee und Kuchen anhören, dass ich Dinge herausgefunden hätte, die sie selber noch nicht gewusst hatte. Darauf war ich sehr stolz. Und bin jetzt noch trauriger, Leo erstmal liegenlassen zu müssen.

Als kleines Dankeschön durfte ich mir ein paar Werke ihres Vaters mitnehmen. Ich suchte mir eine Alugrafie mit einem religiösen Motiv aus, denn die waren vor 1933 und nach 1945 sehr stark in seinem Werk vertreten, und ich mag das, hier in Bayern jetzt eine Madonna um mich zu haben. (Im evangelischen Norden haben wir’s ja nicht so mit der Mutter Gottes.) Das zweite Bild war ein ebenso kleinformatiges, also ca. DIN-A4, Ölgemälde auf Sperrholz, das ich noch rahmen lassen werde. Es zeigt Jünger oder Apostel, jedenfalls vier längliche Gestalten in fließenden Gewändern; dabei sind die Figuren und die Farben auch recht typisch für von Weldens Spätwerk. Das letzte Bild wollte mir die Tochter zunächst nicht geben, weil es ihr so gar nicht gefiel, aber mir war das schon bei einem meiner ersten Besuche aufgefallen. Von Welden malte recht selten Stillleben, die ich ja bekanntlich sehr mag. Ich kenne einige Versuche von ihm mit runden Früchten, aber dafür hat mich leider Cézanne völlig verdorben; wenn man dessen Äpfel kennt, kann danach nichts mehr kommen (außer den Kubisten). „Mein“ Stillleben zeigt zwei Fische auf einem ovalen Teller vor einem einfarbigen Hintergrund. Sehr unspektakulär, aber recht untypisch für sein Werk, und deswegen wollte ich es haben. Ich unterstelle dem Mann ja immer, dass er ein ordentlicher Stilllebenmaler hätte werden können, wenn er sich nicht immer wieder auf seine ollen Pferde und Säufer und Paare zurückgezogen hätte, die ihm quasi minütlich aus der Feder flossen. (Der Nachlass besteht aus über 13.000 Werken, von denen gefühlt 7.000 Zeichnungen von Pferden sind.)

Am Donnerstag rannte ich ein weiteres Mal durch die Postwar-Ausstellung im Haus der Kunst, bevor ich wieder in Aufsätzen versank, die ich dieses Mal in der Stabi fand. Ich komme sehr spät mit der Empfehlung per Blog, denn die Aussstellung läuft nur noch bis morgen, aber wenn ihr es schafft, dann sprintet doch mal durch. Mehr geht eh nicht, die ist viel zu groß für einen einmaligen Besuch.

Seit ich das erste Mal drin war, habe ich mehrfach den riesigen Katalog durchgeblättert und bin daher bei der nächsten Runde gezielt zu den Werken gegangen, die ich nochmal im Original vor mir haben wollte. Da waren zum einen zwei Werke von Gerhard Richter, der mir zwar eigentlich egal ist, mir aber im Zusammenhang mit Lüpertz und Kiefer natürlich dauernd über den Weg läuft. Die zwei Bilder (hier eins mit einem doofen Titel) in Postwar brauche ich nicht für die Masterarbeit, aber ich konnte so wenigstens mal wieder sein früheres Markenzeichen genauer anschauen – die abgemalten Fotos, deren Ölfarbe so aufgetragen wurde, dass das Motiv verwischt aussieht.

Das Spannendste an Postwar für mich war die neue Zeiteinteilung. Ich bin damit aufgewachsen, dass es im Mai 1945 in Deutschland eine Art Stunde Null gab (Ende der NS-Zeit). Dass das Quatsch ist, weiß ich inzwischen, denn vieles aus der NS-Zeit wurde in die Bundesrepublik und die DDR und auch das wiedervereinigte Deutschland geschleppt. Aber gab es andere Zäsuren? Gab es, und es ist mir fast peinlich, dass ich nicht selbst darauf gekommen bin. Postwar benennt den Abwurf der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki im August 1945 als weltweiten Einschnitt. Das nukleare Zeitalter unterscheidet sich gravierend vom nicht-nuklearen und es bezieht die gesamte Welt mit ein. Daher ist in der Ausstellung auch nicht nur der übliche westeuropäisch-nordamerikanische Kanon der Kunstgeschichte zu sehen, sondern Werke von allen Kontinenten.

Ich fand es einerseits spannend zu sehen, dass gewisse Stilistiken sich weltweit durchsetzten, dass es aber gleichzeitig – natürlich – verschiedene Themen gab, die verarbeitet wurden und das in unterschiedlichen Weisen. Der Raum, der sich auf die Atomzeit bezieht, ist der letzte, und in den ging ich dieses Mal gleich zu Anfang, denn dort hingen zwei Werke, die einem schlicht den Atem rauben. Es sind zwei der insgesamt 15 sogenannten Hiroshima-Tafeln, und das Bild unter dem Link zeigt die rechte Hälfte einer der beiden Tafeln. Die Tafeln überwältigen nicht nur durch ihr Motiv, sondern auch durch ihre wandeinnehmende Größe. Ich musste daran denken, dass in Deutschland die Zerstörung des Landes nicht so schnell – wenn überhaupt – bildlich aufgearbeitet wurde. Mir fällt spontan nur so vage ein Richter ein, der, wenn ich mich richtig erinnere, deutsche Ruinen malte, aber erst in den 60ern. Wobei der Wiederaufbau, soweit ich weiß, ein Thema der DDR-Kunst war. (Ich muss das nochmal nachlesen.)

Mir persönlich waren außerdem die eher propagandistischen Werke aus der Sowjetunion und China wichtig (dieses Bild von Li Xiushi ist so still und so großartig), und ich habe mich gefreut, meinen ersten Willi Sitte im Original zu sehen. Generell habe ich gerne die Abteilung „Neue Menschenbilder“ betrachtet, wo mir mal wieder Maria Lassnig auffiel und ich Ibrahim El-Salahi und Ismail Fattah kennenlernte.

Ein weiteres Thema waren „Formsuchende Nationen“, die sich nach 1945 bildeten. An einer Wand hingen Bilder aus dem neu gegründeten Israel neben Bildern aus Palästina, die notgedrungen sehr unterschiedliche Aussagen hatten. Ich stand sehr lange vor diesem Werk von Mitchell Siporin – und fast ebenso lange vor einem thematisch völlig anderen, nämlich einer Baumrinde, die mit Pigmenten bemalt war und von Mawalan Marika stammte.

Ich lernte außerdem viele arabische Künstler und Künstlerinnen kennen; besonders im Gedächtnis geblieben ist mir dieses Werk von Jewad Selim. Das wollte ich unbedingt noch einmal anschauen, genau wie diese Skulptur, die sich aus der Wand zu schrauben scheint, von Lee Bontecou, oder eine, die an der Wand lehnt, aus verklebten Schnüren und Kautschuk besteht und mit jeder Klebestelle Wollen, aber nicht Können sagt, von Tetsumi Kudo.

Den Freitag verbrachte ich wieder im ZI. Das Internet bzw. blöde Artikel bzw. noch beziehungsweiser Dinge, die diese Artikel in mir auslösten, hatten mich Donnerstag abend in eine veritable Sinnkrise geworfen, aus der ich Freitag morgen noch nicht herausklettern konnte. Zunächst war der Plan, traurig unter der Bettdecke zu bleiben, aber ich erinnerte mich daran, dass ich mich schon mal aus dieser Stasis befreien konnte, indem ich strunzdumm in eine Bibliothek fuhr und dort die Bücher ihren Zauber wirken ließ. Das funkionierte gestern auch. Statt mich mit Selbstvorwürfen zu geißeln oder Dinge anzuzweifeln, die ich mir hart erkämpft hatte, konzentrierte ich mich auf meine Arbeit, den Spaß, den ich an ihr habe und die vielen Dinge, die ich erlesen und erlernen kann. Das Selbstbewusstsein kam zurück, die Zweifel waren (vorerst) verscheucht, und ich fand weitere Mosaiksteinchen.

20.3.2017

Was schön war, Donnerstag, 16. März 2017 – Geburtstagsessen im Broeding

Der Eintrag ist etwas verspätet, ich musste so lange verdauen.

Das Broeding ist mein Lieblingsrestaurant in München, aber ich gönne es mir nicht so oft wie ich gerne würde, schlicht weil ich es mir gerade nicht leisten kann. Daher war ich im letzten Jahr nur einmal da, nämlich zum Geburtstag. Deswegen war klar, was ich auch an diesem Geburtstag machen wollte. Ich hatte keine Lust zum Fotografieren, aber netterweise knipste F. in der Gegend rum und notierte sich auch die Weine, während das Geburtstagskind glücklich-bräsig genoss. Und wie es genoss!

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Nach dem obligatorischen Rosé-Sekt – Ankes eiserne Regel: Wenn irgendwo Rosé mit Kohlensäure auf einer Karte steht, wird der bestellt – kam der Gruß aus der Küche: eine kalte Gurkensuppe mit einem Stückchen Mozzarella drin. Nette, kühle Kleinigkeit mit einem salzigen Käsebiss.

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Der erste Gang war ein Stückchen fest-fettes Mangalica-Schwein mit Sauerkraut und Mastersauce. Schmeckte fein-asiatisch und gleichzeitig wie um die Ecke, weil Sauerkraut.

Dazu gab’s ein Cuvée aus Riesling und Silvaner mit einer hübschen Geschichte dazu: Twentysix (Achtung, erst schlimmes Werbegewäsch, dann die Geschichte). Der gefiel mir in seiner klaren Schlichtheit so gut, dass F. einen Tag später eine Kiste davon orderte. Und weil’s den Twentysix auch in rosa und rot gibt, gleich noch jeweils drei Flaschen von der anderen Farbe dazu. Wir planen eine sorgfältige Versuchsreihe auf dem Balkon, sobald die Temperaturen das zulassen, der weiße war nämlich ein Eins-A-Balkonwein.

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Atlantiklachs mit knuspriger Haut und Spinat und Blumenkohl. Lachs finde ich meist irgendwie langweilig, aber mit Blumenkohl geht mir bei alles. Das Tolle an dem Gang war allerdings der Wein dazu: ein Hirtzberger Chardonnay Smaragd, Schlossgarten 2015. Genau wie Lachs finde ich Chardonnay meist irgendwie langweilig, auch weil er einem irgendwann den Mund zukleistert, aber der hier war erstmal recht wenig süß, fast schon mild-hochnäsig-gelangweilt, dass da jemand was von ihm wollte. Je länger er aber im Glas war, desto kräftiger wurde er, und zum Schluss war er feiner Honig mit einer dicken gelben Frucht, die mir aber partout nicht einfallen wollte. Und kein Kleister!

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Gebratener Arunda (das ist der Käse) mit Radicchio und einer schlotzigen Rotweinsauce. Dazu erzählte der Service die Geschichte, dass dem Restaurant zwei Kühe gehörten, die irgendwo entspannt rumgrasen und für diesen Käse zuständig seien. Danke, Kühe, a job well done. Da schmeckte sogar die Rinde, und in Verbindung mit dem bitteren Salat fühlte er sich auch nicht so schwer an. Dachten wir, wir Narren.

Dazu gab’s einen Rotburger 2015 vom Weingut Schuster. Der roch erstmal wie Kirschcrumble mit Vanillesauce und blieb auch im Mund dabei. Im Glas verlor sich die Vanille etwas und er war, nach der zuckerbäckerigen Nase, überraschend trocken. Auch ein schönes Ding. Überhaupt waren die Weine durch die Bank weg toll. Das sind sie im Broeding zwar immer, deswegen gehe ich ja so gerne in den Laden, aber an diesem Abend fühlte ich mich wirklich sehr verwöhnt.

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Geschmorter Rinderhals mit Pastinaken-Süßkartoffel-Püree und grünen Bohnen. Auf dem Püree lag noch etwas frittierter Grünkohl, und nachdem ich den gegessen hatte, war ich doppelt froh, der Foodblog-Versuchung der letzten Jahre „kale chips“ nie nachgegangen zu sein. Grünkohl gehört gekocht in einen dicken Eintopf mit viel Fleischigem, Zwiebeln und Kartoffeln, basta, keine Ausnahme. Meine Norddeutschigkeit war fast ein bisschen entrüstet über dieses Sakrileg.

Dazu gab’s einen St. Laurent von Grassl (Reserve 2011). Ich habe noch nie einen so rauchigen Rotwein getrunken; ich dachte im ersten Moment, ich säße in F.s Whiskysammlung. Der erste Schluck war recht flach, alle danach dann voller beerigem Rauch.

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Nach Mozzarella und dem hauseigenen kam nun zum dritten Mal Käse auf den Tisch. Für das Broeding sucht Thomas Breckle den Käse aus. Genauer als „Alpkäse“ wurde das Stück nicht bezeichnet, war aber egal, weil äußerst schmackhaft. Vor allen in der Kombination mit dem leicht kümmeligen Brot und der bitteren Pomeranzenmarmelade.

Und jetzt kam der Wein auf den Tisch, bei dem ich einfach nur die Klappe hielt und Schlückchen für Schlückchen verkostete. Es war ein Orange Wine, mit denen ich eigentlich ein bisschen auf Kriegsfuß stehe. Ich habe schon einige probiert, aber meist schmeckten sie für mich nach muffigem Apfelmost und hatten so gar nichts von den Eigenschaften, die ich so am Wein mag. Und, zugegebenermaßen, kenne: Mir fehlt schlicht das Vokabular, um Orange Wine vernünftig zu beschreiben, weil ich ihn weder mit dem Kopf noch mit der Zunge irgendwie an das angleichen kann, was ich mir für Wein angeschmeckt habe. Dass ich auch da noch oft genug passen muss, durfte ich gerade ein paar Gänge vorher erleben, als ich wirklich nicht wusste, nach was der Chardonnay schmeckt. Drei Tage später bin ich bei Nashibirne in Zuckersirup, aber das ist auch nur wild geraten.

Der Wein zum Käse stammte vom Weingut Loimer und war ein Achtung! Traminer Alte Reben 2013. In der Nase hatte ich ein süßes Quittenshampoo, im Mund dann trockenen, feinen Apfelschaum, aber beides nicht weinig, nicht weiß, nicht rot, aber auch kein Saft oder Cidre – ich würde meine Art, ihn zu trinken, mit Cognac vergleichen. Nicht im Geschmack, aber in der Art, ihn in kleinen Schlucken zu verkosten und nachzuspüren, was er so im Mund macht. Ich glaube nicht, dass ich davon eine Flasche trinken wollen würde, aber das war der erste Orange Wine, der mir die Faszination dieser Vergärungsart deutlich machen konnte. Mit Schmackes.

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Den Satz „Sie sehen noch so hungrig aus“ brachte die Bedienung zwar an jedem Tisch, aber dafür sehr charmant. Das Basilikumsorbet war dringend nötig – das erste Mal im Broeding hatte ich vor dem Dessert das Gefühl, ich würde gerne mal eine Runde um den Block gehen und einen Schnaps trinken, bevor ich mich aufs Süße stürze.

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Aber für derartige Momente aktiviert man den Dessertmagen und genießt Schokoladenmousse mit Ananas. Dazu gab’s eine Beerenauslese von Heinrich 2010. Von Heinrich stammt mein erster Blaufränkisch, den ich kistenweise einlagern musste, daher bin ich diesem Weingut immer sehr gewogen. Danach kam der Blaufränkisch von Kollwentz und seit Kurzem bin ich dem von Moric (Reserve) verfallen. Mein Geschmack wird leider immer teurer.

Schnaps und Espresso genossen wir mit geöffneten Gürteln zuhause. Die drei Käse waren stärker als wir. Aber wenn ich solche Weine dazu bekomme, würde ich auch sechs essen.

9.3.2017

Kleines Quiz: Künstlerinnen

Neulich hatte ich diesen Tweet in meiner Timeline:

Ich las ihn, überlegte kurz, hatte fünf Namen zusammen, retweetete fröhlich und vergaß den Tweet dann wieder. Nicht so Elefantengehirn F., der gestern wieder daran denken musste und mir irgendwann eine DM schrieb, dass er sich gerade mal hingesetzt hätte und auf über 30 Namen gekommen wäre. Mein sinnloser Ehrgeiz war geweckt, ich gab mir 20 Minuten – und kam auf ähnlich wenige, von denen auch ein paar nur so halb gewusst waren … also eigentlich gar nicht. Ich hatte ein Werk im Kopf, mir fiel der Name der Künstlerin dazu aber nicht ein. Das liegt einerseits daran, dass ich ein fürchterliches Namensgedächtnis habe – ich schreibe mir Dozent*innennamen immer auf meinen Stundenplan und ich bin froh, dass ich es geschafft habe, die Namen meiner Werbekolleg*innen so halbwegs drauf zu haben (bis auf Praktis, sorry, Praktis). Das liegt andererseits daran, dass man in Museen schlicht nicht so oft mit weiblichen Namen konfrontiert wird. Nur drei bis fünf Prozent aller Werke in US- oder europäischen Museen stammen von Frauen.

Und damit wir jetzt alle ein paar mehr Namen lernen, nehmt ihr euch mal einen Stift, gebt euch 15 Minuten und schreibt alle Künstlerinnen auf, die euch einfallen. Und los.
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Ich warte.
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Okay, fertig? Hier ist unsere Liste von Namen, schön mit Links dazu, damit ihr nachgucken könnt, was die Damen so produziert haben. Zunächst kommen alle Namen, die wir beide hatten, dann die Namen, die nur eine*r von uns hatte. Das „AAAAAAAAHHH!“ hinter einem Namen bedeutet übersetzt: „ICH KANN NICHT FASSEN, DASS ICH DIESEN NAMEN VERGESSEN HABE!“

Das Deprimierendste an diesem Spielchen war nicht, dass uns nur so wenig eingefallen ist, sondern dass wir beide wussten, wenn wir jetzt den Timer auf fünf Minuten stellen und männliche Künstler aufschreiben, kommen wir garantiert auf mindestens die doppelte Anzahl, vermutlich noch mehr.

11.2.2017

Was schön war, Freitag, 10. Februar 2017 – Erfüllung

Gemeinsam aufgewacht. Nackte Haut unter den Händen gehabt. (Best thing ever.)

Hagebuttenkrapfen zum Frühstück.

Im Zentralinstitut für Kunstgeschichte alle Bücher gefunden, die ich brauchte, konzentriert ein paar Stündchen gelesen. Mit der Einleitung für die Hausarbeit begonnen und mit dieser halb fertig geworden.

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In der U-Bahn-Station Königsplatz gesehen, dass dort ein Cézanne als Wanddekoration gedruckt ist. (Daneben ist noch ein Manet zu erkennen.) Normalerweise stehe ich am anderen Ende des Bahnsteigs und glotze auf den Böcklin.

Ein Nickerchen auf dem Sofa unter der Kuscheldecke.

Abends in äußerst charmanter und kluger Begleitung zwei Flaschen Rotwein geleert und über Politik, Engagement, Kunst, Kunstrezeption, Lebensläufe und Hoffnung gesprochen. Und vermutlich über noch mehr. (Zwei Flaschen Rotwein.)

Ein perfekter Tag.

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10.2.2017

„Und, Anke, wie war so dein neuntes Semester?“

*wimmer*

(Erstes, zweites, drittes, viertes, fünftes, sechstes, siebtes, achtes Semester.)

Gestern schrieb ich die allerletzte Klausur meines Studierendendaseins. Jetzt kommen noch die Hausarbeit zu Leo und die Masterarbeit – auf beide freue ich mich, denn das ist für mich keine Arbeit im Sinne von „muss ich machen“, sondern Arbeit im Sinne von „yay, viel Zeug lesen und dabei was lernen“. Aber was ich ab sofort nicht mehr haben werde, sind ein Dozent oder eine Dozentin, die vor mir stehen und mir etwas beibringen wollen. Ab jetzt ist alles Eigenverantwortung.

Dem Lernen für Klausuren werde ich nicht hinterhertrauern, das war in jedem Semester nervig, vor allem, weil ich inzwischen weiß, dass ich nach der Klausur alles wieder großflächig vergessen hatte, was ich mir wochenlang in den Kopf gekloppt hatte. Um kunsthistorisches Wissen bzw. Zusammenhänge abzufragen, eignen sich Essays natürlich viel besser als doofe Multiple-Choice-Fragen, aber ich kann auch die Lehrkräfte verstehen, die keine 200 Essays von Erstis lesen wollen. Trotzdem: Die Vorlesungen, die eben mit Klausuren abgeprüft wurden, sind jetzt für mich durch. Genau wie die Seminare, für die ich Hausarbeiten schreiben musste, oder die Übungen, in denen ich Referate hielt. Jetzt wartet im allerletzten Semester noch ein sogenanntes Oberseminar auf mich, in dem alle Teilnehmenden ihr gerade zu bearbeitendes Thema vorstellen, also Bachelor- und Masterarbeiten sowie Dissertationen. Dafür muss ich noch ein Referat vorbereiten, das ich mir vermutlich aus dem Ärmel schütteln kann, weil ich in dem Thema seit drei Semestern drin bin, und das war’s. Den Rest des Semesters werde ich anderen Leuten zuhören, die mir ihre Projekte erzählen. Der Teil meines Studiums, der sich wie ein Studium anfühlt, ist jetzt vorbei.

Deswegen war ich gestern sehr traurig. Dafür hatte ich vorher keine Zeit, weil ich ja noch lernen musste, aber gestern hatte es mich erwischt. Ich wollte nach der Klausur eigentlich brav in die Bibliothek gehen, merkte aber schon, als ich die Hörsaaltür hinter mir schloss, dass ich total wimmerig drauf war und kroch daher lieber nach Hause und verdaddelte den ganzen Tag vor Netflix. Mit Chips und Eis und allem, was zum anständigen Trauern dazugehört. (Der von @Ellebil gestrickte Pussyhat, der gestern in meinem Briefkasten landete, konnte mich aber zeitweilig sehr aufheitern.)

Mir wird es fehlen, dass da vorne jemand die Themen setzt. Ich wäre jedenfalls nicht von alleine darauf gekommen, mich zum Beispiel mit dem Thema Heimat zu befassen, was ich im fünften Semester tat. Ich bin dann allerdings darauf gekommen, mich dem Thema über Instagram zu nähern, um ein bisschen am Hauptfach dranzubleiben. Ich habe dadurch gelernt, dass auch so ein flüchtiges Medium wie Instagram eine historische Quelle sein kann. Ich habe überhaupt generell gelernt, dass man viele Themen durch eine kunsthistorische Brille betrachten kann, was meinen Alltag neuerdings spannender werden lässt (Pokéstops, Futterfotos, Werbung, Filmarchitektur und so weiter und so fort).

Ich wäre auch von alleine nicht auf Menschenrechte als Seminarthema gekommen; aus dem Seminar nahm ich vor allem die ganz junge Geschichte der Nachkriegszeit mit, und ich durfte mich kurz als echte Seniorstudentin fühlen, weil ich Teile der im Seminar angesprochenen Geschichte miterlebt hatte (die 1980er). Ich wäre auch nicht auf bestimmte Skulpturen gekommen, die mir diese Medienart überhaupt erst eröffnet haben, bestimmte Bauwerke oder Stilrichtungen; ich wäre vermutlich nicht mal auf Kiefer gekommen, weil der für mich so durchgeforscht klang, bis ich gemerkt habe, dass es sogar bei solchen Mainstreamkünstlern noch Ecken gibt, in die noch keiner reingeguckt hat – oder nicht in der Detailtiefe, die ich anbringen konnte. Ich wäre auf so ziemlich gar nichts gekommen, wenn da nicht jemand vorne gestanden hätte, der oder die uns Themen anriss und uns dann von der Leine ließ. Das werde ich sehr vermissen. Aber, wie gesagt, ich habe gelernt, mir meine Themen jetzt selbst zu setzen. Das ist für mich ein sehr großer Lernerfolg.

Ich habe gelernt, dass es zwei Themen gibt, die ich gleich gerne bearbeite, und ich habe mich für die Masterarbeit für die Kunst der NS-Zeit und die Kunst der jungen Bundesrepublik entschieden (eventuell mit einem kurzen Exkurs in die junge DDR). Diese Zeit ist für mich nicht nur kunsthistorisch, sondern auch historisch die spannendste, mit der ich mich im Studium befassen durfte, und für die NS-Zeit hatte ich mich vorher auch schon sehr interessiert. Mein zweites Lieblingsthema wird weiterhin die Architektur bleiben, aber die kann ich jetzt entspannt genießen und mich ganz simpel und unwissenschaftlich an ihr erfreuen.

Ich habe (mal wieder) gelernt, dass die Entscheidung für das Studium die richtige war, auch wenn sich jetzt wieder, wie nach dem Bachelor, die Zeit nähert, in der ich hysterisch in eine Papiertüte atme und mich frage, was aus mir werden soll. Ich genieße die Zeit, die ich mit Büchern und Lernen verbringen darf, immer noch so sehr, und je mehr ich weiß, desto größer ist der Genuss, weil ich nicht dauernd bei Null anfange, sondern auf mein gesammeltes Wissen zurückgreifen kann.

Ich habe schon immer gerne gelesen, aber in den letzten Jahren habe ich vermehrt Bücher verschlungen, die mich weniger unterhalten haben wie Romane, sondern stattdessen mein Weltbild auf so vielen Ebenen erweitert haben. Ich durfte so viele neue Ideen, Ansätze, Theorien kennenlernen, die mich nicht nur zu einer Kunsthistorikerin gemacht haben, sondern zu einem reflektierteren Menschen. Das schrieb ich bereits im Rückblick aufs achte Semester, aber das wurde mir in diesem Semester wieder bewusst, als ich begann, mich wieder mehr für Politik und Soziologie zu interessieren.

Auch meine Sprache hat sich über die letzten viereinhalb Jahre verändert; ich glaube, dass ich fokussierter schreibe und auch im Blog eine etwas gewähltere Wortwahl habe. Diese Veränderung hatte ich schon mal: Als ich mit Ende 20 aufhörte, in einer Kneipe zu arbeiten, die bis morgens um 5 Uhr geöffnet hatte und in der man sich notgedrungen einen etwas raueren Umgangston angewöhnt hatte, musste ich mein Hafenvokabular für die Werbung etwas zügeln. Das scheint nun wieder passiert zu sein, obwohl mir in Referaten immer noch ab und zu der flapsige Werbetonfall durchrutscht. Den möchte ich auch nicht ganz verlieren, das Sprechen auf Pointe habe ich nach 10.000 Stunden Sitcomgucken ganz gut drauf.

Ich habe gelernt, mein neues Leben in München nicht mehr als Ausnahmezustand zu sehen. Die Trennung von Hamburg und Kai hat länger gedauert als ich dachte; wo die letzten zwei Jahre im Studium wie im Flug vergingen, waren sie im Bezug auf mein Privatleben gefühlt ein ewiger Kaugummi. Seit einiger Zeit ist aber aus der schmerzhaften Trauer ein leises Bedauern geworden und aus dem verwirrten Knäuel, in dem ich mich lange befand, ein roter Faden, an dem ich mich entlanghangele. Ich sehe das Ende noch nicht, aber ich habe wieder das Gefühl, auf ein Ziel zuzulaufen: erstmal in Ruhe die Masterarbeit schreiben – und dann eine Dissertation. Das wäre ja eine totale Verschwendung, mein ganzes schönes Wissen einfach rumliegen zu lassen.

9.2.2017

Monument

Ein paar Gedanken zu Monument, dem Kunstwerk von Manaf Halbouni, das noch bis Anfang April vor der Dresdner Frauenkirche steht. Aber erstmal lasse ich andere zu Wort kommen, die schon Schlaues gesagt haben, zum Beispiel Susanne Altmann im art-magazin:

„Manaf Halbouni, dem als Wehrdienstverweigerer die Rückkehr nach Syrien auf lange Sicht verwehrt ist, sieht in der Geschichte Dresdens ganz offensichtliche Parallelen zur Gegenwart, zu seiner Heimatregion. Hier wie dort wurden und werden Städte pulverisiert, die Zivilbevölkerung tyrannisiert. “Als ich das Bild aus Aleppo damals sah, überkam mich große Trauer darüber, dass man so krass viel Energie in das eigene Überleben investieren muss.”, erklärt Halbouni. Zunächst verwendete er die Bussperre in Fotocollagen, indem er das Motiv wahlweise vor den Buckingham Palast, das Metropolitan Museum oder vor die Dresdner Semperoper platzierte. Ein Spiel mit den Möglichkeiten. Er recherchierte zu temporären Schutzwällen während vergangener Kriege und beschloss: “Diese Figur darf nicht nur auf dem Papier bleiben.” Die aggressive physische Präsenz der Busse allein wäre schon eine starke Geste, doch erst dieser konkrete Standort bringt “Monument” auf den Punkt. Nirgendwo sonst in Dresden sei es ihm so bewusst geworden, dass Aufbau und Neubeginn nach einem Desaster möglich sind. Genau darin besteht die Botschaft, die “Monument” nach Syrien und an andere Kriegsgebiete senden will.“

Annekathrin Kohout zitiert Altmann und schreibt in ihrem Blog folgenden Kommentar:

„Trotzdem: Es ist wichtig, jetzt nicht um die „richtige“ Interpretation des Werkes zu streiten. Weil beide – ein Monument für den Frieden oder ein Mahnmal für den Krieg – richtig und natürlich auch beide wichtig sind. Mahnmale sollen per Definition Betroffenheit erzeugen. Aber es zeigt sich in der Diskussion um die richtige Interpretation auch ganz deutlich, wo die Grenzen von politischer Kunst im öffentlichen Raum liegen, wenn diese nicht mehr im Auftrag des Staates oder ausgehend von einem Volksentscheid entsteht. Und wenn an eine solche Kunst auch nicht mehr der Anspruch gestellt wird, repräsentativ, sondern Ausdruck eines individuellen künstlerischen Subjektes zu sein. Dann entsteht ein großes Missverständnis der jeweiligen Erwartungen: Bei einem Kenner der zeitgenössischen Kunst sind diese relativ und können variieren, bei einem Laien hingegen, der Michelangelo vor Augen hat, wenn er an „Kunst“ denkt, könnten sie jedoch größer kaum sein – und er wird sich vor den Kopf gestoßen fühlen.

Die Arbeit von Manaf Halbouni hat mich schließlich daran erinnert, wo die Spaltung besonders tief sitzt. Nämlich dort, wo es keine gemeinsamen Repräsentanten gibt. Und das ist eine Situationsbeschreibung, die auf viele Bereiche in Politik, Medien und Kunst, zutrifft.“

Samael Falkner befasst sich bei den Prinzessinnenreportern ebenfalls mit den wütenden Reaktionen einiger Menschen:

„Kunst ist ja oft auch Geschmackssache. Manche Menschen mögen Landschaftsgemälde, andere sind große Fans des abstrakten Expressionismus. Berufsverbote für Künstler gibt es in Deutschland heute nicht mehr. Und so können Touristen in Dresden sowohl die Gemäldegalerie Alte Meister besuchen, als auch zeitgenössische Kunst in wechselnden Ausstellungen der Staatlichen Kunstsammlung und privater Archive besuchen. Bis 26. März etwa die Nachlass-Sammlung der Werke Josef Hegenbarths in der Calberlastraße oder die Fotos von Benjamin Katz, mit denen er Gerhard Richter begleitete bis 21. Mai im Albertinum. Auch die Galerie Neue Meister stellt viele zeitgenössische Künstler aus. Zahlreiche kleine Galerien runden das Bild Dresdens als Standpunkt für moderne Kunst ab.

Dass die Dresdner nicht wissen, was sie an ihrer kulturellen Vielfalt haben, ist natürlich gelinde gesagt ein wenig schade. Kultur, und damit einhergehend auch Kunst, sind schließlich der einzige Grund, warum Touristen aus aller Welt die Stadt besuchen. Dass jedoch einige Protestierende bei der gestrigen Eröffnung der Installation “Monument” des Künstlers Manaf Halbouni, der seit vielen Jahren in Dresden lebt und arbeitet und an der Hochschule für Bildende Künste in Dresden als Meisterschüler bei Eberhard Bosslet im letzten Jahr sein Zweitstudium abschloss, schrien man sollte diese “entartete Kunst”, diesen “Müll” aus ihrer Stadt entfernen – das ist ein anderer Fall. Das ist keine persönliche Betrachtung von Kunst, das ist bewusste Verwendung der nationalsozialistischen Sprache, die zu Vertreibung und Mord der damals unerwünschten Künstler führte.“

Ich hätte noch eine weitere Lesart. Als ich Monument zum ersten Mal sah, dachte ich, ach, coole Werbeaktion. Ich habe es, vermutlich durch meine Biografie, zunächst nicht als Kunst wahrgenommen, sondern als Werbung, weil es so perfekt auf den Punkt ist. Es ist ein ganz schlichtes Bild, das sofort funktioniert, und in Verbindung mit der Frauenkirche sogar noch einen zweiten, emotionalen Punkt macht. Also das, was Werber*innen gerne hätten: eine Botschaft, die ohne große Erklärung ankommt. Auch als ich wusste, dass ich gerade die Abbildung eines Kunstwerks anschaue, dachte ich weiter: Das wird jetzt tausendfach fotografiert und instagrammt und Leute schreiben darüber. Ein weiterer Punkt, den die Werbung liebt: kostenlose Verbreitung, ohne dass man selbst als Agentur oder Kunde etwas dafür tun muss. Das Ding geht viral und es gibt nicht die befürchteten Streuverluste, die lokal begrenzte Aktionen gerne haben.

Seit ich die oben verlinkten Artikel gelesen habe, denke ich darüber nach, ob die Reaktion der Menschen vor Ort eine andere gewesen wäre, wenn an den Bussen irgendwo das Logo einer beliebigen Menschenrechtsorganisation geklebt hätte. Wenn also klar gewesen wäre, das ist Werbung, das kann man ignorieren. Ich behaupte, es wäre dann auch von vielen Dresdner*innen ignoriert worden. Es hätte sich vermutlich jemand darüber aufgeregt, dass man jetzt die Frauenkirche nicht mehr so hübsch fotografieren kann, aber ansonsten hätte man drumherum geguckt. Denn wenn etwas Werbung ist, dann will es zwar etwas von mir, aber ich bin ja eine gewiefte Konsumentin: Ich lasse nichts mehr von mir wollen. Die Busse kann ich prima wegdenken; die machen mir zwar jetzt kurz ein schlechtes Gewissen, weil ich weiß, wieviele Menschen täglich im Mittelmeer ertrinken und das Foto von Alan Kurdi, ja, das war auch schlimm, aber das kann ich im täglichen Leben genauso ignorieren wie die Werbebilder von Brot für die Welt (über deren rassistische Implikationen Noah Sow übrigens sehr schlau geschrieben hat).

Viele Menschen haben gerade durch Werbung gelernt, Bilder rational zu verdrängen. Wahrscheinlich muss man das auch; ich mache das Fass mit den sehr dünnen, weißen, gephotoshoppten Frauenkörpern, mit denen wir täglich konfrontiert werden, nur kurz auf. Aber auch die Bilder aus der Tagesschau belasten, und ich persönlich muss mich gerade sehr anstrengen, Bilder aus den USA aus dem Kopf zu schieben, weil ich sonst den ganzen Tag lang fassungslos und wütend bin. Und ja, auch ich versuche, nicht dauernd an Kurdi zu denken. Als ich Monument sah, wollte ich auch dieses Bild sofort wegbekommen, weil es eben so gut funktioniert und einen sofort erwischt und mich damit konfrontiert, dass mein Engagement für Flüchtlinge aus eine Tüte Hygieneartikel bestand, die ich am Bahnhof in München abgegeben habe und dass ich ab und zu per Twitter und Blog für Tolerenz werbe.

Monument ist aber nun mal keine Werbung. Es ist Kunst und hat damit einen ganz anderen Anspruch, was von den protestierenden Menschen interessanterweise sofort verstanden wurde. Werbung kann man ignorieren, aber Kunst muss man erstmal wahrnehmen. Kunst konfrontiert, und was man dabei über sich selbst erfährt, ist manchmal nicht immer gut auszuhalten. Ich ahne, dass deshalb die Gegenstimmen so laut und wütend sind. Ich ahne auch, dass die ganzen gebrüllten Argumente (Opferstadt, Täterstadt, was geht uns Syrien an, es kommen eh zu viele Flüchtlinge und echt jetzt mal, ich kann die blöde Playmobilkirche nicht mehr knipsen) genau davon ablenken. Es ist einfacher, nach außen hin zu pöbeln als sich selbst den Schuh anzuziehen und zu sagen: Ich komme aus einem ehemaligen Täterstaat und diese Kunstaktion weist mich anscheinend mehr darauf hin als die wiederaufgebaute Frauenkirche. Dass genau dieser Täterstaat durch seinen heutigen Wohlstand die Möglichkeit hat, anderes Leid zu lindern und Dinge in der Vergangenheit wenigstens ansatzweise wiedergutzumachen, scheint – warum auch immer – ein großes Problem zu sein. Und da hört bei mir dann auch jedes Verständnis auf. Die Pöbelnden wollen doch immer so gerne auf ihr Land stolz sein – das wäre jetzt gerade eine prima Gelegenheit. Ein Land, das Hilfe anbietet anstatt sie abzulehnen, wäre für mich eine erstrebenswerte Heimat. Aber anscheinend nicht für alle.

4.2.2017

Tagebuch, Freitag, 3. Februar 2017 – Endspurt

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31.1.2017

Tagebuch, Montag, 30. Januar 2017 – Abschied

Gestern fand die letzte Sitzung im Rosenheim-Seminar statt und damit auch die letzte Sitzung meiner laut Prüfungsordnung vorgeschriebenen Seminare in Kunstgeschichte (heute habe ich nochmal Geschichte). Unser Semester geht noch bis nächste Woche, aber der Termin fällt leider aus, weswegen auf mich in der nächsten Woche nur noch Klausuren bzw. ein Prüfungsgespräch warten. Ich dachte bis gestern abend, dass dieses Gespräch heute stattfinden würde, denn so steht es in unserem elektronischen Vorlesungsverzeichnis, aber auf dem Handout des Dozenten vom Oktober (der Kurs besteht nur aus zwei Sitzungen und selbständiger Lektüre) steht der 7. Februar als Prüfungstermin. Ich schickte vorsichtshalber eine Mail, man weiß ja nie, und bekam gerade eben eine Antwort (an den ganzen Kurs): Termin ist nochmal verschoben, es ist nun der 6., also Montag. Wie praktisch, dass da das Rosenheim-Seminar schon nicht mehr stattfindet. Auf die Prüfung bin ich, weil ich ja bräsigerweise auf heute gelernt habe, immerhin schon tiptop vorbereitet. (Und habe bis Montag hoffentlich nicht wieder alles vergessen.)

Unser Dozent gab uns noch was Nettes mit auf den Weg: „Wenn Sie aus diesem Seminar gehen und das Gefühl haben, alles anzweifeln zu müssen, dann ist das richtig.“

Ich hülle mich jetzt in meinen Trauerkokon, weil das mein letztes Kunstgeschichtsseminar war. Wie können viereinhalb Jahre nur so schnell rumgehen?

30.1.2017

Was ich als Studi hilfreich fand

Karoline Döring fragte vorgestern auf Twitter, ob es Studierenden bei den Hausarbeiten helfen würde, eine Literaturliste zu bekommen oder gar eine vorgebene Forschungsfrage:

„Ich merke grad wie komplex das Schreiben von HA für Studis sein muss. #empathie und überlege schon, wie ich besser unterstützen kann. / Allein der Schreibprozess ist extrem komplex. Wenn noch wiss. Recherche & Beurteilung wiss. Publikationen bzgl. ihrer Relevanz hinzukommt …“

Ich twitterte zurück, einige andere auch, aber ich dachte, das könnte ich auch mal verbloggen, was mir im Studium beim Vorbereiten von Referaten und Hausarbeiten geholfen hat. Sehr subjektiv natürlich.

Referats- und Hausarbeitsthemen

Ich persönlich fand Seminare hervorragend, wo in der ersten Sitzung jede*r eine Liste bekam, auf der Themen standen, die von der Dozentin kurz vorgestellt wurden und für die man sich dann melden konnte. Man wusste ungefähr, was in dem Thema steckte und vor allem, wann der Referatstermin im Semester war. Ich persönlich mochte die Mitte des Semesters gerne, dann hatte ich genug Zeit für die Vorbereitung, aber auch danach noch genug Zeit für die Hausarbeit. Am Semesterende musste ich schließlich auch für Klausuren lernen und hätte dann ungern noch ein Referat vorbereitet, daher habe ich diesen Zeitpunkt stets vermieden, außer jetzt bei Leo von Welden, denn über den Mann kann ich inzwischen fast im Schlaf etwas erzählen. Ich kenne aber auch genug Studis, die gerne alles ewig aufschieben.

Eine vorgebene Forschungsfrage hätte ich doof gefunden, aber gerade in den ersten Semestern war ein Schubs in die richtige Richtung sehr hilfreich. Vielleicht hatte ich mit meinen Proseminaren Glück, denn ich musste mich dort nur mit jeweils einem Werk auseinandersetzen und nicht mit einem ganzen Lebenswerk; das heißt, mein Fokus war schon sehr übersichtlich. Wenn ich aber statt „Diptychon des Martin van Nieuwenhove von Hans Memling“ im ersten Semester „Hans Memling“ als Thema gehabt hätte, wäre es sinnvoll gewesen, mir wenigstens anzudeuten, was die wichtigsten Werke Memlings sind, die ich dem Kurs vorstellen sollte, denn ich kenne sie noch nicht, weil ich ein ahnungsloses Erstsemester bin. Was mich elegant zum zweiten Punkt bringt:

Literaturlisten

Auch hier: In den ersten zwei Semestern ist man schlicht damit beschäftigt, sich einen Überblick über ALLES zu verschaffen. Man hat von nichts richtig eine Ahnung, man weiß noch nicht, auf was man sich irgendwann mal spezialisieren will, man guckt dauernd in neue Themen rein, kurz: Man weiß schlicht nicht, wer jetzt das Wichtigste zum Thema gesagt hat. Daher fand ich in den ersten Semestern Literaturlisten absolut sinnvoll, um überhaupt einen Anfangspunkt zu guter Literatur zu haben. Das müssen keine zehn Werke zu einem Thema sein, drei Hinweise tun’s auch.

Welche genau das sind, müsste man vielleicht auf den jeweiligen Studi abstimmen. Wer im Seminar schon einen bräsigen Eindruck macht, sollte vielleicht nicht gleich das 700-seitige Standardwerk auf französisch kriegen, während die sich immer meldende Dame in der ersten Reihe garantiert mehr vertragen kann als den dreiseitigen Aufsatz „Renaissanceporträts für Dummys“. Vielleicht einfach beide Werke auf die Liste setzen.

Einige meiner Dozierenden wollten zwei Wochen vor dem Referat eine Literaturliste und dann eine Woche später das Handout haben, das sehr klar darüber Auskunft gibt, wo das Referat hingeht. Generell fand ich es großartig, wenn man das Referat vorher mit der Dozentin besprechen musste (oder ihr eben ein pdf schicken musste), denn dadurch wird auch für den Kurs gewährleistet, dass da vorne kein Totalausfall sitzt. Der Dozent kann frühzeitig eingreifen und verwirrte Geister sanft in die richtige Bahn lenken. So hatte ich bei meinem Amnestyreferat eine viel zu spezielle Forschungsfrage gewählt, während ich im Referat doch erstmal einen Überblick für den Kurs geben sollte; das teilte mir die Dozentin durch die Blume mit und zack, hielt ich ein schönes Referat, und der Kurs hatte auch was davon.

Ich hatte nie ein Problem damit, der Dozentin vorab eine Literaturliste zu zeigen, aber so richtig glücklich war ich nie mit ihr, weil ich noch längst nicht damit fertig war, Stoff zu suchen. Zwei Wochen vor dem Referatstermin hatte ich mir ja gerade erst einen Überblick verschafft und buddelte mich nun tiefer ins Thema rein, was natürlich noch mehr Literatur nach sich zog. Daher standen auf meinen Listen vermutlich immer nur die Klassiker zum Thema. Andererseits hat mich ein Dozent auch einmal auf genau die Klassiker aufmerksam gemacht, die eben nicht drauf standen, und die waren für das Referat wirklich wichtig.

Beim Handout habe ich mich stets über Obergrenzenangaben gefreut, die aber, wenn ich mich richtig erinnere, gerade zweimal in neun Semestern kamen, nämlich: nicht mehr als zwei Seiten, basta. Kein Mensch braucht ein achtseitiges Handout, auf dem das gesamte Referat in Stichworten steht. Und ich glaube, es ist auch ein Lernziel, Dinge zusammenfassen zu können.

Überhaupt:

Ansagen

In den ersten Semestern war ich schlicht blöd. Ich traue mich wirklich nicht mehr, meine Hausarbeiten aus dieser Zeit nochmal anzugucken und vielleicht sollte ich sie auch tunlichst aus dem Internet zerren, denn sie können nur mies sein. Und mit mies meine ich: Ich habe Dinge missachtet, von denen ich nicht wusste, dass ich sie beachten soll, weil sie mir schlicht niemand gesagt hat.

Das geht los bei Fachbegriffen: Wie stellt man einen Forschungsstand zusammen und was ist das überhaupt? Als ich diese Ansage im ersten Geschichtssemester bekam, fragte ich nach der Stunde eine Kommilitonin, was das sei, weil das anscheinend alle wussten, nur ich nicht. Dozentinnen verwenden logischerweise Begriffe, über die sie gar nicht mehr nachdenken. Kleiner Tipp: Wir Studis sind anfangs grundsätzlich doof. Wir wissen nichts. Bitte erklärt uns alles. Ernsthaft.

Oder noch besser: Schreibt es uns auf. Ich greife heute noch auf Listen aus eben diesem Semester zurück, auf der schlaue Internetportale stehen, durch die ich auf Quellen und Aufsätze komme bzw. die Fundorte von diversen Zeitschriften im Historicum – die habe ich mir auch nach neun Semestern (und sieben in Geschichte) nicht gemerkt. Ich gucke bei jeder Hausarbeit auf ein Handout aus dem dritten Semester, in dem der Dozent akribisch notiert hatte, wie lang welcher Teil einer Hausarbeit sein sollte und was genau in den jeweiligen Teil reingehört (seitdem weiß ich, dass meine Einleitungen früher viel zu lang waren – die sollten nicht mehr als zehn Prozent der Gesamtarbeit ausmachen). Eine andere Dozentin machte sich die Mühe, uns das richtige Tempus zu nennen, in dem geschichtswissenschaftliche Hausarbeiten geschrieben werden (Präteritum). Das kriegt man natürlich alles irgendwie mit, je mehr Aufsätze man selber liest, aber so eine strunzdumme, idiotensichere Liste ist ein Gottesgeschenk. Wie gesagt, ich nutze sie immer noch. Ich ahne, dass ich für die Diss noch mal nachschauen werde, wie genau ich jetzt welche Quellenart im Literaturverzeichnis angebe und in welcher Reihenfolge. (Ansonsten gucke ich gerne in dieses Buch, das ich jeder*m Geschichtsstudierenden empfehlen kann.)

Wichtigste Ansage für mich war: Wie erarbeite ich eine Forschungsfrage? Das war die große Glühbirne im dritten Semester, meinem ersten Geschichtssemester, in dem mir klar geworden ist, dass es nicht mein Job ist, anderer Leute Hirnschmalz hübsch zusammenzufassen, sondern stattdessen aus anderer Leute Hirnschmalz eine neue Frage zu formulieren oder Zweifel anzumelden oder eine Replik zu entwickeln. Oder eben an ein Werk eine Frage zu stellen, die noch niemand gestellt hatte (der Königsweg), für den man aber erstmal den Forschungsstand kennen musste, wenn man weiß, was das ist. In Kunstgeschichte hatte mir das niemand so explizit erklärt, obwohl meine Proseminare alle gut waren. Aber richtiges wissenschaftliches Arbeiten wurde mir eindeutig besser im Historicum beigebracht.

Feedback

Ich persönlich finde es sehr wichtig, Feedback zu bekommen, denn wie soll ich sonst was lernen? Aber das fällt sehr unter Eigenverantwortung des Studierenden. Feedbackgespräche brauchen nur fünf Minuten lang zu sein, außer es war alles grütze, aber den Fall hatte ich netterweise nur einmal. Da habe ich das Feedback auch gleich vor den versammelten Zuhörerinnen gekriegt, als der Dozent mich mitten im Referat liebevoll bat, doch bitte nicht weiterzusprechen, das sei so gar nicht das, was er sich vorgestellt hätte. Da hat auch das Vorgespräch nicht geholfen, aus dem ich verwirrt gekommen war, dann aber doch dachte, ich hätte alles verstanden, was ich aber offensichtlich nicht hatte. Das habe ich so richtig verkackt, und bei eigener Blödheit helfen natürlich auch die besten Dozenten und fünf Vorgespräche nichts.

Ich weiß, dass Feedback direkt vor dem Zuhörern für manche Referentinnen doof ist, aber meiner Meinung nach hilft das allen, gerade in den Anfangssemestern, wenn die Dozentin kurz sagt, was am Referat gut und was vielleicht verbesserungswürdig war. Ich persönlich hätte mich gefreut, wenn mehr als nur eine Dozentin meine grafisch begeisterungsfähigen Kommilitoninnen darauf hingewiesen hätte, dass es in Kunstgeschichte echt super ist, die Bilder flächenfüllend auf die Powerpoint-Folie zu ziehen und dass wir keine Schnörkelschrift mit Animationen brauchen.

Schreiben

Zum Thema „Aber wie genau schreibe ich denn jetzt Satz 1 bis Satz 1000?“ kann ich leider nichts sagen, denn das konnte ich netterweise schon vorher. Vor 20 Jahren habe ich von Wolf Schneider Bücher über gutes Deutsch gelesen, keine Ahnung, ob die noch was taugen; ich ahne, dass da schon neue Ratgeberinnen nachgewachsen sind. Ich halte mich weiterhin an Regeln aus meiner Zeit im Journalismus sowie der Werbung, die ich auf wissenschaftliches Schreiben modifiziert habe: Schreib so, dass du es selber lesen willst. Lies dir die Hausarbeit notfalls laut vor, dann stolperst du von ganz allein über Sätze, die keiner kapiert. Benutze Wörter, die jede versteht und keine, von denen du glaubst, der Dozent will sie hören. Schreib deutsch, kein fachchinesisch. Mach Punkte. Viele Punkte. Kein Mensch braucht Sätze über sieben Zeilen. (Schreib aber nicht so wie ich in den letzten drei Sätzen, denn das ist werbisch und nicht wissenschaftlich.) Aber ich glaube, der erste Punkt ist der wichtigste: Schreib so, dass du es selber lesen willst. Ich erwische mich immer noch dabei, auf Pointe zu texten und ich behaupte, das darf man auch in akademischen Arbeiten. An meinen Einstiegs- und Rausschmeißersätzen arbeite ich deswegen recht lange. Okay, am Rest auch, was mich zu den letzten Tipps bringt. Erstens: Lass es gegenlesen! Und zweitens: Gib niemals die erste Fassung ab, sondern frühestens die fünfte. Bei mir ist es meist die zwanzigste, aber mir muss man meine Werke ja immer aus der Hand reißen, weil ich so an ihnen hänge und weiß, dass man immer alles besser machen könnte.

27.1.2017

Der Saal 13 in der Pinakothek der Moderne

Gestern abend hörte ich in der Pinakothek der Moderne einer größtenteils spannenden Diskussion über NS-Kunst zu. (Soll demnächst auch online sein, ich verlinke das dann.) Anfangs kam für mich nicht viel Neues, aber in der zweiten Hälfte wurden dann doch einige Punkte angesprochen, über die ich so noch nicht nachgedacht hatte.

Oliver Kase, der Leiter der Sammlung Klassische Moderne in der Pinakothek, leitete die Veranstaltung ein und erzählte von den gut 900 Bildern, die die Bayerische Staatsgemäldesammlung nach 1945 aus NS-Besitz überstellt bekommen hatte; er nannte das einen „unerbetenen Sammlungszugang“ (ich zitiere aus dem Kopf, ich wollte nicht mitschreiben. Sollte ich mir vielleicht mal wieder angewöhnen). Anscheinend haben die Bilder erstmal ein paar Jahrzehnte im Depot gehangen; seit einiger Zeit werden sie endlich erforscht und hoffentlich bald publiziert. Die eindeutig ideologischen Werke – also die Hitlerporträts etc. – waren schon vorher von den Alliierten am Central Collecting Point ausgemustert und nach Washington verschifft worden, davon hat die Pinakothek also nichts im Keller (die Werke hat jetzt das Deutsche Historische Museum).

2015 gab es bereits die Ausstellung GegenKunst, in der eines der bekanntesten NS-Gemälde – Adolf Zieglers Vier Elemente, die hier in München im Führerbau (der heutigen Musikhochschule) im Salon über dem Kamin hingen – einem Triptychon von Francis Bacon gegenübergestellt wurde; eine Skulptur von Josef Thorak wurde einer von Otto Freundlich zugeordnet. Das war für mich sehr spannend, weil ich erstmals ein so bekanntes Werk wie die Elemente im Original sehen konnte.

Seit ein paar Monaten stellt die Pinakothek der Moderne im Saal 13 als erstes Kunstmuseum in Deutschland NS-Kunst regulär in der Dauerpräsentation aus; bisher war NS-Kunst nur in historischen Museen zu sehen (DHM oder GNM). Seitdem ich mich mit dem Thema beschäftige, war ich der Meinung, die Bilder müssten an die Wand, man müsste sie aus den Depots holen, um sich mit ihnen beschäftigen zu können, man dürfe sie nicht weiter mystifizieren und dämonisch überhöhen, gerade wenn man weiß, wie gering der Anteil von genuin ideologischen Werken z.B. bei der Großen Deutschen Kunstausstellung war – der weitaus größte Teil waren Landschaften, Genremalerei, Stillleben und Porträts. Und dann stand ich zum ersten Mal in diesem Raum und sah den Ziegler wieder, den ich ja schon kannte – und auf einmal fühlte er sich völlig anders an. Wie genau, ist mir erst gestern bei der Diskussion klar geworden.

GegenKunst war natürlich didaktisch auf die Zwölf, hier die gute Kunst, da die böse, da konnte man sich entspannt zurücklehnen und wusste, was angeblich richtig und was falsch ist. Aber jetzt in Saal 13 gibt es fast nur noch „böse“ Kunst – aber sie sieht nicht so aus. Da hängen keine Herrenmenschen, da hängen unter anderem verträumte Landschaften, ein Bild, auf dem der Autobahnbau zu sehen ist, und eben der olle Ziegler – quasi als einziges Werk, bei dem man auch als jemand, der sich noch nie mit dem Thema beschäftigt hat, eventuell sagen könnte, das sieht irgendwie anders aus, das fällt raus.

Aber um diese Andersartigkeit ging es mir gar nicht bei meinem ersten Besuch. Es hat sich auf einmal total falsch angefühlt, diese Bilder hier zu sehen. Man kommt aus den Baselitzen und man weiß, dass um die Ecke Kirchner hängt und mein geliebter Lehmbruck kauert – und man guckt sich blöde Nazischeiße an. Und dann reißt man sich zusammen und erinnert sich, dass man als Kunsthistorikerin hier ist, aber so ganz habe ich den Argwohn und die Wut auf diesen Kram nicht abstellen können. Zu wissen, das hängt jetzt hier auf Augenhöhe mit dutzenden von Werken, die die Nationalsozialisten als „entartet“ bezeichnet haben, fühlte sich total falsch an – aber eben auch total richtig.

Der Spectator hat das gerade sehr hübsch formuliert:

„Only a few of the artworks in the Haus der Deutschen Kunst were overtly fascistic. It was seeing them all together that made them so. The majority were merely old-fashioned: muscular nudes, aping the warriors and athletes of antiquity; standard genre paintings, with an emphasis on rural toil. The propaganda value was often confined to the titles: a landscape became ‘A German Landscape’; a family became ‘A German Family’. Most of these tidy daubs would have graced a bourgeois drawing room — there was nothing revolutionary about them. That’s what made them so seductive. The most telling thing about this show was the art that wasn’t there.“

Die Pinakothek hängt diese Bilder jetzt erstmals zwischen the art that wasn’t there und gibt ihr damit die Chance, sich zu beweisen. Das klappt bei Ziegler überhaupt nicht, der sieht in meinen Augen nur noch alberner aus, aber ich muss gestehen, die Winterlandschaft von Müller-Schnuttenbach würde ich mir auch ins Wohnzimmer hängen. Der Spectator meint sogar, dass dieser Raum mit den elf Bildern der interessanteste im ganzen Museum sei, aber da tut er meiner Meinung nach dem Rest des Hauses unrecht.

Bei der Diskussion gestern fragte Olaf Peters, ob es denn unbedingt diese Bilder sein mussten – hätte man statt Carl Theodor Protzens Donaubrücke bei Leipheim nicht Carl Grossberg nehmen können, der begabter gewesen sei und auch gerne Industrie gemalt hatte (und den ich sehr gerne mag)? Generell wurde die Frage nach der Qualität der Werke gestellt, aber leider nicht beantwortet. Ich fragte mich, ob das Absicht war, also ob der Raum bewusst so kuratiert wurde, dass man alles eher so meh findet und sich damit auf der politisch richtigen Seite fühlen darf? Das scheint mir aber selbst zu billig, dann kann man es auch gleich lassen, die Bilder aufzuhängen.

Im Saal selbst liegt ein Begleitheft aus, das man sich schön mit nach Hause nehmen (und darüber bloggen) kann. Dort wird in der Einleitung aufgeführt:

„Die qualitativ und stilistisch breit gefächerte Werkauswahl zielt nicht auf die Präsentation etablierter Meisterwerke, sondern gibt exemplarische Einblicke in die Handlungsmöglichkeiten der Künstler und die Herausforderungen oder Verstrickungen ihrer Karrieren während des nationalsozialistischen Regimes. Die Präsentation möchte die kategorische Unterscheidung von ‚NS-Kunst‘ und ‚entarteter Kunst‘ und damit auch die Verknüpfung bestimmter Malstile mit politischen Haltungen hinterfragen und Ambivalenzen oder Paradoxien in den Mittelpunkt rücken.“

Wie ambivalent die Auswahl war, zeigt sich gleich zwei Räume weiter, wo ein Bild von Wilhelm Lachnit aus dem Jahr 1936 hängt: Mädchen mit Schmuck (ich finde online leider keine Abbildung). Lachnit galt als „entartet“, stellte aber trotzdem im kleinen Rahmen, vor allem in Dresden, aus; das Mädchen mit Schmuck reichte er beim „Nationalen Porträtwettbewerb“ 1936 ein. Das hätte also auch locker in Saal 13 hängen können. Weil es da aber nicht hängt, kann man es ohne jeden Hintergedanken schön finden, während man bei Müller-Schnuttenbach darüber nachdenkt.

Eine weitere Diskussionsteilnehmerin, Stephanie Marchal, erwähnte die Bochumer Ausstellung von NS-Kunst, in der die Bilder eingebettet werden in Fotografien aus Konzentrationslagern – damit auch ja niemand vergisst, in welchem Umfeld sie entstanden sind. Unser Rosenheimseminar kam sehr kopfschüttelnd von der Exkursion zurück, und auch Marchal nannte das „Didaktik mit dem Holzhammer“. Daniela Stöppel fragte aber trotzdem nochmal, warum der Saal 13 nicht anders aufbereitet wurde, also warum man hier die Bilder unbegleitet für sich sprechen lasse und ob das nicht eben doch eine Gefahr sei. Sie erwähnte einen eigenen Aufsatz, in dem sie für eine Normalisierung im Umgang mit der NS-Kunst plädiert hatte, „und für den ich viel Beifall von der falschen Seite bekommen habe.“ Kase meinte, in den wenigen Monaten, in denen der Saal jetzt so gestaltet sei, wäre er noch nicht zu einer Pilgerstätte für Alt-Nazis geworden. Ich selbst fragte heute morgen beim Rundgang mal einen der Aufpasser, ob die Besucher das denn überhaupt mitbekämen, was hier hängt, worauf der Herr meinte, ja, auf jeden Fall. Als ich das erste Mal im Saal stand, schien mir das nicht so, da schlenderten die Leute genauso aufmerksam oder gelangweilt wie durch alle anderen Säle auch. Ziegler und Schnuttenbach schienen weder zu stören noch zum Widerspruch herauszufordern, und ich weiß gerade selber nicht, welche Reaktion ich eigentlich gerne hätte. (Ich weiß auch nicht, welche Herr Kase gerne hätte.)

Stöppel und Peters fragten sich, ob die Normalisierung, die wir als Kunsthistoriker*innen fordern, vielleicht gerade heute ein Schritt zu weit wäre, also ob man vielleicht doch wieder auf das „Unnormale“ hinweisen müsste, wenn auch nicht mit Holzhammer und Bergen-Belsen-Bildern. Aber da es heute ja Menschen gibt, „die den Begriff des ‚Völkischen‘ wieder neu besetzen wollen“, sei vielleicht doch etwas mehr Vorsicht angebracht.

Ich habe aus der Diskussion und dem nun mehrfachen Besuch des Saals mitgenommen, dass ich das Thema schlicht weiter durchdenken muss. In jeder Seminarstunde stolpere ich über weitere Widersprüche und Ambivalenzen, es scheint bei diesem Thema schlicht kein Schwarz und Weiß zu geben, kein Richtig und kein Falsch, weil es eben nicht „die NS-Kunst“ gibt, sondern einen Berg an Werken, Stilen und Biografien, die nur eins gemeinsam haben, nämlich ihre Entstehungszeit. Kase fragte zum Abschluss in die Runde, ob die Diskutant*innen das Gefühl hätten, die Diskussion wäre in den letzten Jahren weitergegangen oder ob man sich nur auf der Stelle bewegt hätte, woraufhin sich schon alle einig waren, dass sich viel getan hätte, aber dass eben anscheinend auch noch viel getan werden müsste und dass der Umgang mit diesem Thema immer noch schwierig sei.

Es gab noch zwei Publikumsfragen, die mir egal waren, aber dann meldete sich eine Dame und hatte keine Frage, sondern nur eine Anmerkung, die sie mit leiser und fester Stimme vortrug: „Mir ist das unangenehm, dass diese Bilder dort hängen.“

Und daraufhin hatte dann auch niemand mehr ein Argument auf Lager. Kase und Peters meinten beide, dass das ein völlig gerechtfertigtes Gefühl sei und man könne auch nicht wegdiskutieren, dass man hier jetzt ein Bild zeigt, von dem man weiß, dass Hitler es gerne betrachtet hatte. Ich kann die Dame völlig verstehen; bei meinem ersten Besuch – ich ließ es oben anklingen – ging es mir ähnlich. Der Raum ist genauso gestaltet wie die benachbarten, weder Boden- noch Wandfarbe oder Lichtgestaltung weisen darauf hin, dass diese Kunst vielleicht problematisch ist, dass sie vielleicht nicht in den Kanon gehört, dass wir schlicht noch nicht damit fertig sind, uns ein Urteil über sie zu bilden.

Ich persönlich glaube aber, dass die Begleitbroschüre und der Wandtext schon helfen, sie einzuordnen; ich glaube nicht, dass wir noch mehr Hinweise darauf brauchen, in welchem Kontext die Werke entstanden sind – für so schlau halte ich die Besucher*innen der Pinakothek jetzt mal, dass sie wissen, was zwischen 1933 und 1945 in Deutschland passiert ist. Ich weiß es sehr zu schätzen, dass ein Museum endlich den Versuch wagt, diese Werke zu zeigen und sich nicht nur hinter verschlossenen Universitäts- und Museumstüren mit ihnen beschäftigt, sondern sie dem Publikum zeigt. Das kann jetzt selbst entscheiden, was es davon hält.

24.1.2017

Was schön war, Montag, 23. Januar 2017 – Thinker’s High

Vormittags an der Amnesty-Arbeit rumgepuschelt, dann mein Gehirn im Rosenheim-Seminar durchkneten lassen, danach in der Stabi die vorerst letzte Korrekturschleife für Amnesty gedreht, nach Hause gefahren und dabei die ganze Zeit ein dickes Grinsen im Gesicht gehabt.

Mir ist gestern wieder ein Satz eingefallen, den mir F. schon im Bachelor mit auf den Weg gegeben hatte, als ich bei irgendeiner Arbeit in der Literatur versank und hilflos in den ganzen Fakten zappelte, die nicht so waren, wie ich mir das vorgestellt hatte. Einer seiner Professoren hatte mal gesagt: „If you know what you’re doing more than half of the time, it’s not research.“ Der Satz hatte damals geholfen, mir darüber klarzuwerden, dass es mein Job als Wissenschaftlerin ist, alles anzuzweifeln. Vor drei, vier Semester schüchterte mich das noch ein, aber inzwischen – ich erwähnte es neulich schon mal – ist es genau das, was mir beim Studieren so viel bedeutet. Dauernd klickt irgendwas im Kopf, dauernd fällt mir irgendetwas ein zu irgendetwas anderem, was ich schon mal gehört oder gelesen habe und schon steht eine neue Frage im Raum, eine neue Definition, ein neues Feld, das sich vor mir öffnet und das ich durchackern kann. Mir fiel gestern dazu der Begriff Thinker’s High ein in Anlehnung an das Runner’s High, das sich einstellt, wenn deine Endorphine dafür sorgen, dass du einfach besinnungslos weiterläufst, weil’s so toll ist. So geht es mir inzwischen bei jeder Bibliothekssitzung – ich merke zwar, dass ich immer noch viel zu wenig weiß, aber es macht mir keine Angst mehr, ganz im Gegenteil. Ich sehe eine Langstrecke vor mir und anstatt dass ich an ihr verzweifele, schnappe ich mir Stift und Notizbuch und Laptop und Post-its und mache mich auf den Weg.

Mir ist gestern auch aufgefallen, wo der Unterschied zur Werbung liegt. Dort habe ich schließlich auch geistige Arbeit geleistet, und ich habe mich schon oft gefragt, warum ich bei der nicht so oft Erfolgserlebnisse hatte wie jetzt im Studium (dafür hatte ich Geld, das war auch super). Aber in der Werbung waren die Dinge, die ich gelesen habe, schlicht andere. Ich bekam Briefings und technische Spezifikationen, und mein Job war es nun, Marketinggewäsch und Technogeblubber in Kundenvorteile umzutexten. Das war’s. Keine großen Entdeckungen, kein Anzweifeln (bloß nicht!), sondern quasi Übersetzen. Dinge, die andere sich ausgedacht hatten, hübsch formulieren. Das ist auch eine Fähigkeit, ich will mein Licht hier gar nicht unter den Scheffel stellen; dass ich einen guten Job gemacht habe, merke ich bei allen beschissenen Copys, die ich lese und bei denen ich immer noch denke, Kinder, hat da der Kunde mal wieder selbst zur Feder gegriffen oder wolltet ihr das echt so schlecht schreiben? Und natürlich habe ich mich auch in der Agentur gefreut, als ich merkte, ich kenne die Firmengeschichte jetzt so gut, dass ich daraus Ideen entwickeln kann, ich kann Modelle vergleichen, ich weiß, welches technische Feature was kann und vor allem, was eben die Käuferinnen davon haben.

Aber die Neugier, die ich hier jeden verdammten Tag habe, die war in der Agentur einfach irgendwann weg. Jedes Auto ist wie das letzte, da kann das Design noch so schick und der Motor noch so sparsam sein, es ist immer die gleiche Soße. Hier schmeißt mich jedes Bild in eine neue Denkschleife, jede Künstlerin wirft alles um, was ich vorher zu wissen geglaubt habe, ich bin quasi jeden Tag dabei, mir ein Update zu geben, weil mein Wissen von gestern sofort veraltet mit jedem Buch, das ich aufschlage. Ich befinde mich seit Monaten in diesem Thinker’s High und ich weiß, dass das nie weggehen wird, weil ich nie alle Bücher und Aufsätze gelesen haben werde und nie alle Bilder, Skulpturen und Gebäude gesehen haben werde, die es gibt. Das Feld vor mir wird immer unendlich bleiben und das fühlt sich einfach großartig an.

18.1.2017

Was schön war, Dienstag, 17. Januar 2017 – Zum Seniorstudi mutiert

Vormittags die Vorlesung zu osmanischer Architektur geschwänzt und lieber an Amnesty weitergeschrieben. Das war eine gute Idee, denn am frühen Nachmittag standen endlich Einleitung, Forschungsstand und die Hinführung zur Quellenauswertung. Die Hinführung konnte ich erst vernünftig formulieren, nachdem ich mich durch knapp 20 Jahre FAZ gewühlt hatte und wusste, über was die Zeitung berichtet hatte und was nicht, denn genau das wollte ich ja in die Hinführung schreiben. Das ist natürlich, wie immer bei mir, noch längst nicht in Stein gemeißelt (unter 20 Korrekturgängen mach ich ja nix), aber das ist jetzt ein sehr schönes Grundgerüst.

Eigentlich wollte ich noch für die Klausuren lernen, aber ich kann mich noch nicht dazu aufraffen. Die von Calvin und Hobbes so schön bezeichnete „last minute panic“ hat noch nicht eingesetzt. In den vergangenen Semestern konnte ich mich stets zum Lernen motivieren, weil ich mir immer einreden konnte, vielleicht brauchste das noch mal, wer weiß, was dein endgültiger Schwerpunkt in deinem Fach wird. Das weiß ich jetzt und ich weiß jetzt auch, dass ich mich vermutlich nie wieder außer im Urlaub mit osmanischer Architektur beschäftigen werde. Daher fällt es mir gerade deutlich schwerer als in den bisherigen acht Semestern, endlich meine Lernkärtchen zu basteln und sie dann eben auch zu lernen.

Abends fand wieder mein geliebtes Menschenrechtsseminar statt. Zunächst hörten wir ein Referat über Menschenrechte in der UdSSR, danach eins über den KSZE-Prozess. Die erste KSZE-Konferenz in Helsinki von 1973 bis 1975 war eigentlich, vor allem von den Warschauer-Pakt-Staaten, dazu gedacht, die Ostblockgrenzen festzuziehen. Im Nachhinein wurden die einzelnen Konferenzen (Belgrad 1977–1979, Madrid 1980–1983 sowie Wien 1986–1989) Teil eines Prozesses, in dem der Fokus immer mehr auf den Menschenrechten lag. Ich copypaste die Wikipedia, die das ganze unter „Folgen der Konferenz“ hübsch zusammenfasst:

„Die Konferenz war von einem Tauschgeschäft geprägt: Für den Ostblock brachte sie die Anerkennung der Grenzen der Nachkriegsordnung und einen stärkeren wirtschaftlichen Austausch mit dem Westen. Im Gegenzug machte der Osten Zugeständnisse bei den Menschenrechten.

Unmittelbar nach der Konferenz galt in den Augen vieler Beobachter der Ostblock als eigentlicher Gewinner der Konferenz, da erstmals die Grenzen der osteuropäischen Staaten (insbesondere Polens und der DDR) in einem internationalen Vertrag anerkannt wurden, das Prinzip der „Nichteinmischung“ in die inneren Angelegenheiten festgeschrieben und auch die Grundlagen für (vom RGW-Raum gewünschte) Wirtschaftsbeziehungen geschaffen wurden.

Erst später zeigte sich, dass das Kapitel VII der Schlussakte („Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten, einschließlich der Gedanken-, Gewissens-, Religions- oder Überzeugungsfreiheit“), das von den RGW-Staaten wohl zunächst nicht ernst genommen worden war, ein größeres Gewicht besaß. Es gab den Anstoß für die Gründung zahlreicher „Helsinki-Gruppen“ in der Sowjetunion, darunter die Moskauer Helsinki-Gruppe, die Ukrainische Helsinki-Gruppe, die litauische Helsinki-Gruppe, die lettische Helsinki-Gruppe, die estnische Helsinki-Gruppe und die georgische Helsinki-Gruppe. Kapitel VII wurde zur Grundlage für die Arbeit vieler osteuropäischer Dissidenten und Menschenrechtsorganisationen. Dazu zählen zum Beispiel die Bürgerrechtsbewegung in der DDR, die Charta 77 in der ČSSR, Solidarność in Polen oder Human Rights Watch, die sich auf die Akte von Helsinki beriefen. Sie trugen zum Zusammenbruch des Ostblocks bei, so dass die KSZE maßgeblich zum Ende des Ost-West-Konflikts beitrug.“

Natürlich ist mir die KSZE auch in Bezug auf Amnesty schon untergekommen. Das „maßgeblich“ würde ich eventuell etwas abschwächen wollen, aber dafür habe ich mich nicht intensiv genug mit dem Thema beschäftigt.

Die Unterzeichnerstaaten hatten sich verpflichtet, die Schlussakte ihren Bürgern und Bürgerinnen bekannt zu machen, und so standen plötzlich Menschenrechte auf der Titelseite des Neuen Deutschlands. Wir diskutierten die einzelnen Konferenzen, gerade im Bezug auf die DDR, in der sich für die Staatsführung unerwartet viele Menschen auf die Schlussakte in ihren Ausreiseanträgen beriefen. 1977 gab es keinen offiziellen Weg, kein Formular, keine Hinweise darauf, wie ein Ausreiseantrag zu stellen sei, und nach den Konferenzen machte die Staatsführung den Bürgern und Bürgerinnen das ganze noch schwerer.

Wir sprachen dann über die 1980er Jahre und was die Konferenzen da noch verändert hätten. Eine Kommilitonin meinte, dass in den 1980er Jahren die Blockbildung ja schon abgeschlossen gewesen sei, die Grenzen seien fest gewesen, gerenell herrschte Frieden. Und da fühlte ich mich erstmals in meinem Studium als Seniorenstudentin, denn in mir regte sich der schlimme Satz: „Das habe ich aber anders in Erinnerung.“ Ich sagte nichts, konnte dann aber sofort den Meldefinger recken, als die Dozentin fragte, wer denn unserer Meinung nach eine der wichtigsten Bürgerbewegungen in den 1970er und 1980er Jahren gewesen sei. Meine Antwort war natürlich die Friedensbewegung. Und ich erläuterte, dass in den 1980er Jahren zwar Frieden geherrscht hatte und die Blockbildung abgeschlossen gewesen war, dass es sich aber trotzdem alles andere als sicher angefühlt hätte. Die Referent*innen hatten den NATO-Doppelbeschluss erwähnt und auf den bezog ich mich jetzt auch, als ich die geplante Stationierung der Pershing-II- sowie der SS-20-Raketen beschrieb und wie beunruhigend dieser Plan gerade für die Bundesrepublik (und vermutlich die DDR) war.

Zuhause musste ich natürlich erstmal Fisher-Z und ihr damaliges Album hören, auf dem auch Cruise Missiles drauf war.

10.1.2017

Was schön war, Montag, 9. Januar 2017 – Feedback und Ausblick

Gestern hielt ich mein zweites Referat über Leo von Welden, netterweise nicht in einem Seminarraum in München, sondern im Depot der Galerie Rosenheim, wo sich über 80 Werke des Herrn befinden. Ich hatte diese Werke im Dezember endlich gesichtet, denn mein Schwerpunkt in diesem Semester liegt eher in der Nachkriegszeit, und aus dieser Zeit stammen die meisten Exponate. Die össelige Studienordnung im BA/MA besagt, dass du dich nicht mit dem gleichen Thema zweimal auseinandersetzen darfst, außer du findest einen neuen Zugang. So beschränkte ich mich im letzten Semester auf die Zeit zwischen 1933 und 45 und erkundete das Betriebssytem NS-Kunst in Bezug auf von Welden. In diesem Semester nähere ich mich dem Mann nicht mehr ganz so historisch, sondern stilistisch: Jetzt habe ich endlich Platz, mich am sogenannten expressiven Realismus abzuarbeiten, dem von Welden von einigen Kunsthistoriker*innen zugerechnet wird und den ich für völligen Quatsch halte.

So begann ich das Referat mit einem winzigen Forschungsüberblick und erläuterte dann das Konzept des expressiven Realismus, das von Rainer Zimmermann begründet wurde (und von zum Beispiel Uwe Schneede gnadenlos verrissen wurde). Anschließend hangelte ich mich an von Weldens Biografie entlang und zeigte eine Radierung aus den 1920ern, ein Ölbild aus den 30ern, das mir nur als Foto vorlag, das aber leider meine im letzten Semester aufgestellte Theorie ruinierte, dass von Welden nur für die GDK ideologische Kunst produziert hätte, denn es zeigt einen Mann in Wehrmachtsuniform. Wobei gestern der unser Seminar begleitende Doktorand meinte, er könnte dieses Bild ja auch für die GDK angefertigt haben, wo es nicht angenommen wurde, weswegen es in den Katalogen nicht auftaucht. Da ich 1944 drei Einreichungen von Weldens in den Büchern des Hauses der (deutschen) Kunst gefunden hatte, die aber abgelehnt und deswegen nicht näher bezeichnet wurden, ist das eine Möglichkeit. Ich würde das Soldatenbild eher auf Anfang der 40er datieren, aber auch das spricht natürlich nicht dagegen, dass er es 1944 noch eingereicht hat. Muss ich weiter drüber nachdenken.

Abschließend sprach ich über die ersten Werke von Weldens, die in Rosenheim 1944 zu exorbitanten Preisen angekauft wurden, zeigte dann die erste Nachkriegserwerbung der Galerie aus dem Jahr 1948, die auch aus zwei Werken von Weldens bestand und verwies auf sein weiteres Spätwerk aus den 50ern und 60ern, in dem der Mann endlich Farbe und Expressivität entdeckte anstatt weiterhin braunbeige und altmeisterlich zu malen.

Der Dozent meinte danach, er habe sich beim Konzept des expressiven Realismus schon immer unwohl gefühlt, hätte aber nie gewusst warum – jetzt wüsste er das. Das habe ich mal als kleinen Ritterschlag mit bescheiden gesenkten Lidern (und einer innerlichen Beckerfaust) hingenommen.

Auf der Rückfahrt nach München saß mein Dozent neben mir im Zug und ich dachte, ach, sparste dir den Gang in die Sprechstunde und fragst ihn gleich nach Feedback bzw. ob das okay sei, den Aufbau der Hausarbeit ans Referat anzulehnen, was natürlich bejaht wurde. Und weil wir gerade so schön am Plaudern waren, fragte ich gleich hinterher, ob ich seiner Meinung nach über von Welden promovieren sollte – also ob es sich lohnt, noch drei weitere Jahre mit dem Mann zuzubringen. Ich erwähnte auch, dass ich von Weldens Leben spannender fände als seine Werke, was der Dozent ähnlich sah und erwartungsgemäß meinte, wenn man so lange Zeit an einem Thema klebt, dass müsste einem das schon sehr großen Spaß machen. Oder, auch das käme vor, man hasse eine*n Künstler*in so dermaßen, dass man sich so lange an ihm oder ihr abarbeiten möchte, aber das würde er mir nicht empfehlen. Wäre von Welden eventuell ein Masterthema? Woraufhin ich ihm meine MA-Arbeit erläuterte und scherzhaft meinte, dass ich es schade finde, dass man diese beiden Themen nicht unter einen Hut kriegt, weil mir an beiden so viel liegt (NS-Kunst, Kunst der jungen Bundesrepublik, Verdrängung, Auseinandersetzung etc.). Und dann sagte der schlaueste Mann der Welt: „Die beiden Themen kann man ganz wunderbar miteinander verbinden, zum Beispiel …“ und die weiteren Sätze behalte ich jetzt für mich, aber als er fertig war, fiel mir als einzige Reaktion nur „Whoa“ ein. Und genau das sagte ich dann auch zu dem Mann, der mir irgendwann mal einen Doktorhut aufsetzen soll: „Whoa.“ Woraufhin er lachen musste und meinte: „So sollte eine Reaktion auf ein Dissthema immer klingen.“

Gut. Ich habe dann jetzt ein Thema, das meine Interessen verbindet, ihnen noch eine weitere, äußerst spannende Ebene verleiht und zu dem ich noch ein paar Dinge rausfinden soll, um es sinnvoll zu ergänzen. Aber es klingt, auch nach einer Nacht Drüberschlafen, nach einem großen Wurf, historisch, kunsthistorisch, psychologisch und soziologisch. Daran werde ich schön zu knabbern haben und ich wollte gleich gestern damit anfangen.

4.1.2017

Was schön war, Dienstag, 3. Januar 2017 – YouTube-Yoga

Morgens stand neben mir an der Haltestange in der U-Bahn eine Frau, recht schmal, knielanger, enger, grauer Mantel. Sie las in der Monatsvorschau der Pinakotheken, mit der linken Hand hielt sie sich fest. Sie trug einen goldenen Ring mit einem kleinen Stein am Zeigefinger. Ihr Haaransatz war nicht sichtbar, sie hatte ein breites Tuch, das die Haare hochband. Der Mantel war modern, ihre Brille auch, sie war eindeutig im Hier und Jetzt konnotiert, aber der Ring und das Tuch erinnerten mich sofort an alte niederländische Bilder, die in München in der, genau, Alten Pinakothek hängen.

Im Zentralinstitut für Kunstgeschichte wieder mal über Leo und die Nachkriegskunst gelesen. Wegen der Begegnung in der U-Bahn hatte ich mir aber auch noch spontan einen Band mit niederländischen Altären an den Platz getragen. Mir fiel wieder einmal auf, wie einzigartig diese Werke sind. Kunst begeistert mich, fasziniert mich, regt mich auf, macht mich traurig, was auch immer. Aber die Werke von Memling, van der Weyden, van Eyck, Christus oder van der Goes sorgen in mir immer für eine tiefe, schwere Ruhe. Selbst wenn ich nicht vor den Originalen stehe, sondern nur einen Bildband vor mir liegen habe.

Über den Königsplatz nach Hause gegangen.

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Morgens hatte ich einen Tweet von Jasna in meiner Timeline, auf den ich, warum auch immer, klickte. Ich landete bei einem Yoga-Video, guckte die ersten Minuten an – und wollte sofort mitmachen.

In meiner Timeline auf Instagram oder Twitter sowie in einigen Blogs, die ich lese, ist Yoga seit Jahren präsent. Ich gucke mir das immer gutmütig an und frage mich, warum man beim Yoga anscheinend stets schlimm gemusterte Leggings tragen muss, aber ansonsten freue ich mich mit den Damen (es sind nur Damen), dass es ihnen anscheinend sehr gut tut, dieses Yoga. Mich selbst verbrezeln wollte ich nicht, einfach weil ich es mir nicht zutraue.

Ich hatte 2001 einen Bandscheibenvorfall, der operiert werden musste. Danach hatte ich sechs herrliche schmerzfreie Jahre, die mir sehr bewusst waren, weil ich Rückenschmerzen hatte, seit ich ein Teenager war. (Seit ich Weihnachten bei meinen Eltern mal wieder mein 15 Kilo schweres Akkordeon umgeschnallt habe, ahne ich, woher die kamen. Drecksding. Querflöte hätte ich lernen sollen, verdammt.) Nach diesen herrlichen sechs Jahren hatte ich einen zweiten Vorfall, den ich nicht mehr operieren lassen wollte, weil ich von der ersten OP einige doofe Nebenwirkungen mitbekommen habe: Einige Nerven sind beim Eingriff beschädigt worden, ich kann rechts nicht mehr auf Zehenspitzen stehen bzw. mich mit den Zehen abdrücken, was Treppensteigen sehr nervig werden ließ. Das gesamte rechte Bein, die rechte Pobacke und einige weitere, etwas intimere Körperteile wurden in Mitleidenschaft gezogen, was alles keinen Spaß macht und mit deren verringerter Gefühlsfähigkeit bzw. Funktion ich sehr lange gehadert habe. Deswegen hielt ich vor einigen Jahren ungefähr sechs Monate Scheißschmerzen aus, stand ständig unter Drogen und lernte auf die harte Tour, was meinem Rücken gut tut – nämlich oft genug Ruhe und leichte, vorsichtige Bewegungen. Nach jeder Krankengymnastik und jedem Kiesertraining, das ich natürlich auch ausprobiert habe, traute ich mich kaum, mir die Schuhe zuzubinden, weil ich dachte, mein Rücken bricht durch. Seit ich aber nett zu ihm bin und sehr vorsichtig mit ihm umgehe, geht es mir gut. Dazu gehört auch, einige Dinge einfach nicht mehr machen, zum Beispiel Getränkekisten zu schleppen. Leider gehören auch Golfabschläge dazu – eine ruckartige Drehung der Lendenwirbelsäule scheint mir nicht mehr angebracht zu sein. Ab und zu habe ich eine Wärmflasche im Kreuz, sobald ich das Gefühl habe zu verspannen, mache langsame Spaziergänge und trage fast täglich Einkaufstüten, anstatt mir Gewaltmärsche und Hanteltraining anzutun. So bin ich seit Jahren schmerzfrei – aber gleichzeitig vermutlich inzwischen übervorsichtig.

Vielleicht reizte mich deshalb diese kleine Yoga-Einheit: Sie kam mir erstens auch für einen dicken und außer durch Uniradeln und Einkaufstaschenschleppen untrainierten Menschen machbar vor. Und sie klang zweitens: achtsam. Das war mir neu, dieser sanfte Umgang mit dem eigenen Körper. Ich kannte eher die fordernde Krankengymnastenstimme mit dem beschissenen „In den Schmerz reinarbeiten!“ und das noch beschissenere „Sie wollen anscheinend gar nicht gesund werden“, als ich mich bei einer Übung weigerte, sie auszuführen, weil ich mich mit ihr nicht wohlfühlte.

Und so hatte ich den ganzen Tag bei der Arbeit das Video im Hinterkopf. Abends googelte ich schließlich nach fat yoga, ob ich irgendwas beachten sollte und stieß zum Beispiel auf den sehr guten Tipp, mich im Schneidersitz auf ein Kissen zu setzen anstatt auf den Boden. Dann zog ich mir ungemusterte Leggings an und ein weites Shirt, schnappte mir ein Kissen, setzte mich auf den Wohnzimmerfußboden (bzw. das Kissen) und klickte das Yoga-Video an.

Bis auf eine Übung, in der man in Rücklage beide Beine gleichzeitig anheben sollte – das vermeide ich gnadenlos –, habe ich alles mitgemacht. Ich habe einen fat downward facing dog gebastelt und fand es nicht nur überraschend, sondern schlicht schön. Ich hätte mir ein etwas geringeres Tempo gewünscht, aber das mag daran liegen, dass ich wirklich keine Ahnung hatte, was ich machen sollte, weswegen ich noch am Körperteile sortieren war, während die Vorturnerin schon in die nächste Position krabbelte. Ich merkte, dass ich am Anfang noch sehr verspannt war, weil ich einfach damit gerechnet hatte, dass ich irgendwas nicht kann oder mir das nicht zutraue oder der Rücken anfängt rumzuzicken. Aber nach wenigen Minuten konnte ich mich auf meinen Atem konzentrieren und dann darauf, dass ein weites Shirt eine doofe Idee war, weil mir der Kragen dauernd im Gesicht hing, während ich auf allen Vieren im Wohnzimmer atmete. Aber auch das war irgendwann egal, weil ich dauernd dachte, ach guck, das kannst du ja auch, ohne dass was weh tut oder du ängstlich bist. Hätteste jetzt nicht gedacht. Die 23 Minuten vergingen viel zu schnell und ich habe mich sehr wohl und aufgehoben gefühlt, ganz anders als auf meinen bisherigen Matten, auf denen ich eher aufgefordert wurde, Dinge auszuhalten und durchzuziehen, während mir hier gesagt wurde, pass auf dich auf, fühl dich wohl, wenn irgendwas nicht geht, dann mach’s auch nicht. Achtsam eben.

Das war eine sehr unerwartete und schöne Erfahrung und gleichzeitig mal wieder eine Gelegenheit, den eigenen Körper zu spüren und positiv wahrzunehmen. Solche Gelegenheiten muss man sich ja gerade als dicker Mensch dauernd schaffen, um nicht irre zu werden in einer Gesellschaft, die unsere Körper ausradieren möchte, weswegen das gestern eine sehr willkommene Übung in Selbstliebe war.

(Breathe out.)