Was gut getan hat und schön war: Wien im September 2022

Unser letzter Wien-Urlaub war im April, und sobald wir wieder in München waren, wurde der nächste gebucht, denn weswegen wir eigentlich nach Wien wollten, war ein Besuch bei Mraz & Sohn. Die waren im April aber ausgebucht gewesen, also reservierten wir im September. Im Mai oder Juni, ich weiß es schon gar nicht mehr, war auch ein Besuch der Documenta in Kassel geplant, aber dann verschlechterte sich Papas Zustand sehr, also sagten wir Kassel ab und ich fuhr ohne Halt in Wilhelmshöhe in den Norden.

Stattdessen buchten wir Kassel für September und mit kleinem Abstand dann Wien, aber auch hier gab es Änderungen, denn ich wurde für einen Texterjob angefragt – der blöderweise genau die vier Wochen umfasste, in denen wir die Documenta geplant hatten (also Hotel und ein, zwei nette Restaurants), und auch noch Wien, wo inzwischen Mraz & Sohn gebucht waren sowie die Meierei und das Mast, das zu jedem Wien-Besuch gehört. Ich wollte schon jammernd alles absagen, als F. meinte: Ob du jetzt in Wien am Schreibtisch sitzt oder in München, ist ja eigentlich egal, dann reißen wir die geplanten Ausstellungen halt zackig am Wochenende runter und haben die schönen Restaurantsabende. Wir buchten also die Kassel-Termine erneut um, schoben sie vor meine Buchung und ich freute mich auf Wien in der letzten Woche meiner Buchung.

Aber auch das klappte nicht. Das Mütterchen musste ins Krankenhaus, weswegen ich etwas früher als geplant wieder im Norden war, und F. brachte sich Covid aus Wacken mit, das nach zwei Jahren Pause wieder stattfand. Dieses Mal buchten wir nicht mehr um, die Documenta fand ohne uns statt. Das Hotel, das wir eigentlich komplett hätten bezahlen müssen, weil wir es nicht rechtzeitig stornieren konnten (mit Covid hatten wir unglaublicherweise nicht gerechnet), war aber kulant und berechnete uns gar nichts. Daher: Falls Sie mal nach Kassel fahren, steigen Sie doch im Renthof ab, das scheint ein guter Laden zu sein.

Und schließlich starb mein Vater. Die Lieblingsagentur war sehr verständig, ich konnte entspannt Züge buchen und von Papa Abschied nehmen, ohne dass irgendwer was von mir wollte. (Einschub: Das kenne ich noch anders aus der Werbung. Als ich mit meinem zweiten Bandscheibenvorfall im Bett lag, wurde ich gefragt, ob ich nicht auch im Liegen tippen könnte. Wenige Monate später habe ich mich selbständig gemacht, damit ich derartige Diskussionen nie wieder führen muss.)

Die Trauerfeier für Papa war am Freitag vorletzter Woche, wir fuhren am Samstag zurück nach München und am Montag saß ich im Zug nach Wien. Ich hatte überlegt, ob das pietätlos oder doof war, jetzt so halb Urlaub zu machen, aber ich merkte schon am Samstag auf der Zugfahrt in den Süden, dass die nun abgeschlossene Zeit mit Papa alle Schleusen geöffnet hatte, die mich bisher noch zusammenhielten. Egal, ob wer im Großraumwagen guckte, ich ließ die Tränen fließen, die bei jeder Gelegenheit kamen. Und daher wollte ich nach Wien, weil es mir da eigentlich immer gut geht. Ob ich jetzt zuhause heule oder in Österreich, ist dann auch egal.

Um das vorwegzunehmen: Es hat sehr gut getan, es war sehr schön, und ich habe viel geheult. Und: Die Agentur hatte rein gar nichts mehr für mich zu tun, weswegen ich fast erleichtert auf meine vereinbarten Tagessätze verzichtete, die auf Twitter erfragten Coworking-Spaces nicht ausprobieren musste und einfach Urlaub machte. Wenn auch verheult.

Das meiste habe ich in der vergangenen Woche schon auf Twitter dokumentiert, daher hier nur ein paar Schnipsel.

Die Basquiat-Ausstellung in der Albertina ist leider nicht so gut wie die 2018 in der Schirn, aber jede Basquiat-Ausstellung lohnt sich auf ihre Weise. Mir fiel das Werk „Warrior“ erstmals richtig auf. Es zeigt eine Schwarze Figur, die ein Schwert hält, was ich so noch nicht von Basquiat kannte; ich kannte Figuren mit Knochen oder Keulen, aber keine mit einem so in der klassisch-westlichen Kunstgeschichte, Mythen- und Sagenwelt verankerten Objekt. Vor dem Werk stand ich recht lange, allerdings auch, um ständig mit den Augen zu rollen, wenn ich wieder das Schild streifte: „Property of a Distinguished Private Asian Collector“, so steht’s im englischsprachigen Katalog, den ich mir gönnte, ich weiß nicht mehr, ob es auch in genau dieser Formulierung auf dem Schild stand, aber ich dachte die ganze Zeit nur, kleiner Pimmel, aber nen Basquiat im Safe, ganz super, Kunstmarkt, danke.

F. kaufte mir einen Reader, den ich im Laufe der Woche nach und nach verschlang und nach dessen Lektüre ich ganz dringend den deutschsprachigen Wikipedia-Eintrag zum Künstler verbessern will. Aber dafür muss ich nochmal kurz ins ZI, ihr kennt das. Im Reader finden sich zeitgenössische Besprechungen sowie Essays, die erst nach Basquiats Tod erschienen sind, und es ist sehr spannend zu lesen, wie sich die Wahrnehmung verschiebt. Was ich auch nicht wusste und was den kleinpimmeligen Sammler erklärt, der total stolz auf sein Geld ist: Es gibt kaum Basquiats in öffentlich zugänglichen Sammlungen. Der größte Teil seiner Kunst hängt an privaten Wänden, weswegen sich auch die Forschung noch so schwer mit dem Mann tut, weil man sich schlicht keinen guten Überblick über sein Gesamtwerk verschaffen kann. Basquiats Wahrnehmung leidet außerdem bis heute darunter, dass (größtenteils weiße) Kunsthistorikerinnen, Kritiker und Kuratoren anfangs Probleme mit dieser Kunst hatten, weil der Markt Basquiat und seinen Celebrity-Status so toll fand. Es wurde die Kritik laut, dass man Basquiat nur kaufte, weil alle ihn kauften, nicht weil er gute Kunst produzierte. Sammler, die zu Basquiats Lebzeiten Werke großen New Yorker Museen anboten, wurden abgewiesen. Erst nach seinem Tod wurde der Branche klar, was sie verloren hatte und was jetzt zwischen Privatleuten für viel Geld rumgeschoben wird anstatt dass die Öffentlichkeit sich das einfach so in der Pinakothek angucken kann. (Ich empfehle den Reader sehr.)

Ein paar Tage später war ich erneut im Shop, weil ich noch Postkarten kaufen wollte, und erstand zusätzlich einen Katalog, über den ich seit dem ersten Besuch nachgedacht hatte. Aber Haring und Basquiat zusammen, das wollte ich dann doch haben und nicht dafür in die Bib müssen. Außerdem nahm ich den Dürer-Katalog vom letzten Besuch mit, der auf schlanke 15 Euro runtergesetzt war. Da sind die 50 für Basquiat/Haring ja quasi ein Schnäppchen. *hust*

Was ich an Basquiat (unter anderem) so mag, sind seine Wortwolken, durch die er in meinem Kopf Assoziationen und Bilder entstehen lässt. Mir ist ernsthaft erst jetzt aufgefallen, dass meine liebsten Werke von Anselm Kiefer genauso funktionieren.


Jean-Michel Basquiat: „Tuxedo“, 1983, Siebdruck auf Leinwand, 259,7 x 152,4 cm, Nicola Erni Collection. Mir ist schon klar, dass ihr kein einziges Wort entziffern könnt, aber jetzt könnt ihr danach googeln.

In der Meierei von der kühlen Raumatmosphäre etwas enttäuscht gewesen und dann noch vom Blauschimmelkäse überfordert worden. Aber ansonsten ein schöner Abend, wenn auch etwas hektischer als in dieser Preisklasse gewohnt; einer der Kellner hatte laut Eigenaussage seinen ersten Tag und das merkte man auch. Egal, wir haben alle mal angefangen.

Erst vor dem Rebhuhn gesessen und Backhendl und Bier genossen, dann reingegangen, weitere Biere getrunken, ein ungeplant schöner Abend.

Alles Wurscht: Bosna mit allem (Petersilie, Currypulver, Senf, Zwiebeln) sowie Pommes mit Chipotle-Majo. Und Tirola Kola, deren toller Name mir erst auf dem Foto aufgefallen ist. Hatte anscheinend großen Durst und habe außerdem nicht darauf geachtet, auf was das iPhone fokussiert, aber so konnte ich auf Insta den Witz mit „unscharfer Bosna“ machen, ein Kracher.

Wiener Würstlstand: Salsiccia mit Rucola, geschmolzenem Raclettekäse und Oliventapenade sowie frisch gemachten Chips. Danke an Katha (wer sonst) für die Tipps.

Im Brösl wird für den ganzen Tisch bestellt und die Gerichte kommen dann, wenn sie fertig sind. War alles top, allerdings sind die Plätze in der Nähe der offenen Küchentür nicht ganz so empfehlenswert, wenn einem eh immer zu warm ist. (Mir.)

Im Mast am letzten Abend nach dem mehrgängigen Menü und der Weinbegleitung noch eine einzelne Flasche bestellt und eine weitere mitgenommen, weil wir so gar nicht gehen wollten.

Wovon ich hier keine Fotos poste: vom Mraz & Sohn. Der Abend war einer der besten in Sterneläden, die ich bisher hatte. Bei jedem ersten Bissen von jedem einzelnen Gang hatte ich ein debil-glückliches Grinsen im Gesicht. Ein total unprätentiöser Laden mit scheinbar simplen Dingen auf dem Teller, aber alles ganz großartig. Und man bekam beim Rausgehen neben Speise- und Weinkarte noch ein bisschen was zu essen mit. Davon gibt’s ein Foto.

Im Stephansdom eine Kerze für Papa angezündet. Unser Running Gag in Wien war ja, dass wir in allernächster Nähe zum Dom im Lieblingshotel wohnen, aber noch nie in der Kirche waren. Jetzt haben wir den Gag wenigstens für etwas in meinen Augen Sinnvolles beendet.

Im Wien-Museum, das sich eigentlich ohne Bindestrich schreibt, aber COME ON, eine Ausstellung mit alten Straßenfotografien angeschaut. Zusätzlich lief eine winzige Schau zu Parkbänken, in der auch auf die feindliche Stadtmöbelarchitektur hingewiesen wurde. Die Spikes auf allen Flächen, auf denen obdachlose Menschen schlafen könnten, kannte ich, aber dass man Sitzmöbel bewusst so konstruiert, dass nicht nur Schlafen, sondern bereits Sitzen nach einiger Zeit unbequem wird, fand ich dann doch bemerkenswert arschig.

Seit der Ausstellung sehe ich aber Parkbänke anders an. Auf deren Formgebung hatte ich bisher noch gar nicht geachtet. Museen sind super.

Beim Lieblingstrüffelhöker mehrfach eingekauft (das muss so). Meist noch nebenan einen Kaffee getrunken. Bei einem unserer Besuche konnte ich mich kaum auf das Gespräch mit F. konzentrieren, weil am Nachbartisch eine junge Frau 20 Minuten lang Selfies, bewegt und unbewegt, produzierte. Ich hätte ihr gerne gesagt, Hase, du bist wunderschön, zwei Bilder reichen, das wird nicht besser, denn das muss nicht besser werden. Habe mich aber nicht getraut.

Buch- und Schokoladensammlung im heimischen Arbeitszimmer. Keine Ahnung, warum mir F. mit dem Koffer helfen musste. Auf der Hinfahrt habe ich den noch alleine in den Zug bekommen. Schwer zu erkennen, aber eine Tafel Schokolade ist aus philippinischem Kakao gefertigt (leider nicht online).

Dieses Mal haben wir uns das mumok geschenkt und sind stattdessen ins Architekturmuseum nebenan gegangen. War arg textlastig, hatte aber bequeme Sitzmöglichkeiten. Außerdem, und das gebe ich ungern zu, war ich etwas überfordert. Das Museum scheint sich eher an Leute zu wenden, die einen gewissen Grundstock an Architekturtheorie im Gepäck haben. Ich hätte mir eine Reinkommerstation gewünscht mit totalen Naivdingen wie „Warum baut man was und wohin am besten?“

Der lange Blogeintrag zum Ausstellungsfoto.

Für die wirklich tolle Realismus-Ausstellung im Belvedere, von der es leider keinen Katalog gibt, verweise ich auf meinen kurzen Twitter-Thread. Mit Bildern!

Dieser Urlaub war etwas ruhiger als unsere normalen Urlaube, weil wir beide ziemlich durch von allem waren. Daher rannten wir nicht wie sonst durch mindestens zwei Museen pro Tag, sondern nahmen uns nur eins vor, und konzentrierten uns vor allem auf Ausruhen, richtig gutes Essen, Schokolade kaufen und ein bisschen Spazierengehen (aka F. spaziert, ich schlafe). F. suchte trotzdem einfach mal so am Dienstag nach weiteren Dingen, mit denen man sich in Wien beschäftigen könnte und stieß auf eine kleine lokale Musikantentruppe, für deren Saison-Eröffnungskonzert am Samstag sogar noch wenige Karten vorhanden waren.

Es gab Schumann und Brucker, und ich zog eine Neuerwerbung von Frau Rinaldi an, mit der ich auch schon bei Mrazens gesessen hatte, denn auf diesen Termin war ich jetzt klamottentechnisch nicht vorbereitet gewesen, aber egal. Ich fühlte mich ganz hervorragend und werde weiterhin Geld in diesen Laden tragen.

F. und ich saßen zum ersten Mal im Musikverein. Der Saal ist von der Anlage her eine ähnliche Schuhschachtel wie der Münchner Herkulessaal, von dem ich nicht unbedingt Fan bin. Unten verwäscht der Klang manchmal, und oben hört man zwar gut, guckt aber entweder die ganze Zeit seitwärts oder ist sehr weit weg von der Bühne. Die Wiener Schuhschachtel ist deutlich schmaler, was vielleicht auch dafür gesorgt hat, dass es im Balkon bzw. in der Loge, in der wir saßen, gerade beim Bruckner ordentlich laut war. Einige der Zuschauer*innen auf der Bühne, die hinter dem Orchester sitzen, hielten sich sogar die Ohren zu, und ich muss sagen, bei einigen Stellen im ersten Satz konnte ich es ihnen nicht verübeln. Hören konnten wir also hervorragend, aber die Sicht war nicht ganz so optimal. Wir saßen in der dritten Reihe des Balkons an der Seite und konnten ungefähr ein Drittel der Bühne sehen. Leider nicht das Drittel, in dem der Flügel von Martha Argerich stand, und auch das Dirigentenpult von Zubin Mehta habe ich erst beim Schlussapplaus, wo ich mich stehend nach vorne beugte, sehen können. Das war etwas ungewohnt, in einem Konzert quasi Hörplätze zu haben, aber auch das war wirklich schön und hat sehr gut getan. (Geheult. Natürlich.)

Am Sonntag, unserem letzten Tag, hatten wir außer der Reservierung im Mast keinen Progammpunkt mehr. Wir guckten halbherzig unsere „Wenn uns gar nichts mehr einfällt“-Museumsliste noch mal durch, fanden aber alles eher so meh und schlenderten schließlich ohne große Erwartungen in Kunsthistorische Museum, was wir natürlich schon kannten, aber da kann man ja immer wieder hingehen. Wir wollten uns die kleine Ausstellung zu Cranach anschauen, fanden sie aber nicht sofort, sondern gingen das gesamte Obergeschoss ab, in dem schon die nächste Sonderausstellung vorbereitet wurde. So landeten wir im großen Bruegel-Saal – und erlebten die Werke, für die wir beim letzten Mal angestanden und gedrängelt hatten, ganz in Ruhe und ohne große Menschentrauben vor, neben und hinter uns. Dieses Mal stand ich nicht so lange vor der „Kreuztragung“ von PB dem Älteren, sondern vor dem „Bethlehemitischen Kindermord“ von PB dem Jüngeren, denn bei jedem erneuten Besuch erwischt einen halt ein anderes Bild. Ich sagte wie üblich den Lottos Hallo und freute mich über Seehunde auf Fischmarkt-Stillleben von Frans Snyders. Das war überraschend schön und ein sehr passender Abschluss.

Als Rausschmeißer noch einen kleinen Schlenker zur Realismus-Ausstellung, denn mir ist jedes Mittel recht, Werke von Wilhelm „The Boss“ Leibl abzubilden.

Wilhelm Leibl: „Kopf eines Bauernmädchens“, um 1880, Öl auf Holz, 30 x 27,5 cm, Oberes Belvedere.

Hab schon wieder Heimweh nach Wien.