Was schön war, Freitag, 18. August 2017 – Saisoneröffnung

Vormittags traf ich mich mit einer Bekannten, die ich, wenn ich mich richtig erinnere, nur zweimal persönlich in Hamburg gesehen hatte; seitdem folgen wir uns auf diversen sozialen Kanälen, und jetzt war die Dame halt in der Stadt und hatte mich gefragt, ob ich Lust auf ein kurzes Treffen hätte zwischen Kinderferienprogramm und beruflichen Verpflichtungen. Hatte ich. Wir saßen bei Tante Emma, genossen Milchkaffee und diskutierten augenrollend Politik, bis uns auffiel, dass wir ja mal über was Nettes sprechen könnten: „München?“ „München!“

Danach radelte ich zur Unibibliothek, wo ein Buch auf mich wartete. Ich hatte mich an Irmtrud Wojaks Biografie über Fritz Bauer etwas verhoben; das Buch ist zwar irrsinnig ausführlich, aber genau das macht es nicht so recht lesbar. Wenn ich eine Hausarbeit über Herrn Bauer schreiben müsste, wäre das Ding perfekt, weil ich querlesen und nach Stichworten suchen könnte, ein Lesevergnügen ist es allerdings nicht. Daher versuche ich es jetzt mit Ronen Steinkes kürzerem Werk, das mir ein freundlicher Follower auf Instagram empfohlen hatte.

Bei der Buchabholung kam ich mir etwas seltsam vor, denn ich bin ja im Prinzip mit dem Studium fertig. Irgendwie fühlte ich mich nicht mehr richtig zugehörig. Das ändert sich hoffentlich wieder, wenn mein Ausweis zum Promotionsstudium im Briefkasten liegt.

Zuhause wartete im E-Mail-Postfach die offizielle Bestätigung, dass ich meine Masterprüfung bestanden hätte und mir nun entweder mein Zeugnis im Prüfungsamt abholen oder es mir im Oktober feierlich überreichen lassen könnte. Ich nehme den Oktober. (Und stecke mir dann die vorgestern gekaufte Absolvente in die Hosentasche.)

Abends fuhr ich in die Allianz-Arena, wo der FC Bayern die neue Bundesligasaison gegen Leverkusen eröffnete.

Ich teile mir in dieser Saison eine Dauerkarte für den FC Augsburg und wollte daher eigentlich gar nicht mehr in die Allianz-Arena, auch aus finanziellen Gründen. Der ehemalige Mitbewohner, mit dem ich vorgestern einen kleinen Powerlunch eingelegt hatte, mochte aber seine Dauerkarte nicht nutzen und fragte, ob ich vielleicht … und als er fragte, merkte ich, dass ich doch große Lust hatte.

Gestern waren es tagsüber in München über 30 Grad, für den Abend waren aber eine Abkühlung auf unter 20 Grad sowie Gewitter und Regen angesagt. So zog ich feste Schuhe und Hosen an anstatt Rock und Sandalen, die für 30 Grad eindeutig passender waren, und schleppte meine Regenjacke mit, die ich bisher nur beim Walken im Frühjahr bei Nieselregen angetestet hatte. Ich stellte befriedigt fest, dass das traditionelle Stadion-Suhrkamp perfekt in die Innentasche passte. Beim FCA darf man noch Rucksäcke mit in die Arena nehmen (ich frage mich bei jedem Spiel, wie lange noch), beim FCB seit letzter Saison nicht mehr. Daher habe ich mir angewöhnt, alles in Hosen- und Jackentaschen unterzubringen oder eine kleine, alberne Handtasche über dem Trikot zu tragen, in der Sonnenbrille und Baseballcap Platz finden, die ich vor allem in Augsburg brauche, weil man da bei 15.30-Uhr-Spielen irgendwann halt Sonne abkriegt.

Gestern war es netterweise ein 20.30-Uhr-Spiel, das heißt, ich konnte auf die Tasche verzichten und stopfte mir Labello, Asthmaspray, Schüsselbund, Dauerkarte und Allianz-Arena-Bezahlkarte (die ich nie benutze) in die eine Hosentasche sowie das iPhone in die andere. In der hinteren Hosentasche landeten ein Notfallgeldschein sowie Perso, Studiausweis und Semesterticket, die man zusammen vorzeigen muss, damit das Semesterticket gilt. Nicht, dass ich jemals auf dem Weg ins Stadion kontrolliert worden wäre, aber man weiß ja nie.

Ich erwischte eine halbwegs leere Bahn am Sendlinger Tor und genoss Sitzplatz und Suhrkamp. Beim Weg die Esplanade hoch hielt ich vergeblich Ausschau nach den neuen Pollern, die dafür sorgen sollten, dass man nicht mit dem Auto auf eben diese Esplanade fahren kann, was ja gerade wieder fürchterliche Aktualität hat. Als ich am Stadion ankam, war ich latent angeschwitzt, aber richtig schwitzte ich erst in der anscheinend unvermeidlichen Schlange an den Einlasstoren. Dieses Mal stand ich hinter zwei Herren, die Sonnenblumenkerne kauten und die Schalen irgendwie seitlich-rückwärts wegspuckten. Der eine von beiden hatte sich für diese Tätigkeit seinen Kaugummi hinters Ohr geklebt.

Ich drängelte mich elegant in eine andere Schlange.

Eine knappe Viertelstunde vor Anstoß war ich am Platz. Eigentlich war ich latent genervt von der Hitze und dem ollen Einlass, aber sobald ich saß, meinen üblichen Dauerkartennachbarn zur Rechten begrüßt und einen neuen Nachbarn zur Linken festgestellt hatte, mich umschaute und durchatmete und ankam und die Stadionregie netterweise (zunächst) nicht das beknackte Forever Number One, sondern Diese Tage voller Sonne spielte, merkte ich doch, wie groß die Freude darüber war, wieder hier sitzen zu können.

Den Spielbericht schenke ich mir; erwähnenswert war aber dann doch das Gewitter sowie der starke Regen, der Ende der ersten Halbzeit einsetzten. Zunächst wurde es deutlich windiger, was mir kleinem verschwitzten Wuschel sehr gut gefiel. Dann wurde es schlagartig kühler und ich überlegte noch, ob ich mir die Jacke anziehen sollte, als die ersten Tropfen mich erwischten, die blitzschnell zu Dauerregen wurden. Normalerweise ist der Mittelrang halbwegs sicher, auch wenn mal Regen reinweht. Ich sitze in der ersten Reihe, weswegen ich damit rechnete, etwas abzubekommen, aber auf diese Massen an Wasser war ich nicht vorbereitet. Der Unterrang flüchtete nach wenigen Sekunden ins trockene Arena-Innere und füllte sich auch bis Spielende nicht mehr so recht, der Oberrang hatte es warm und gemütlich – und meine Mitsitzer und ich waren mittendrin. Ich stellte befriedigt fest, dass meine Regenjacke absolut dicht hielt. Meine Hosen waren allerdings relativ schnell nass, aber: Die lustigen Zaunfahnen bzw. Transparente, die an den Rängen befestigt waren, wurden nun zweckentfremdet. Sie wehten eh die ganze Zeit hoch, so dass wir sie irgendwann nach innen rollten und als perfekte Regendecke nutzten. Fünf Minuten vor der Pause wurde der Regen allerdings so stark, dass sich auf ihnen in Sekunden der Regen sammelte; ich konnte sie kaum noch halten und auch meine Kapuze war dauernd dabei, weggeweht zu werden, also trat ich den Gang ins Innere an wie meine Nachbarn auch.

Die zweite Halbzeit begann mit einer Viertelstunde Verspätung. Die Südkurve – jedenfalls der männliche Teil davon – war längst oberkörperfrei und sang bei prasselndem Regen „Oh, wie ist das schön“. Die Stadionregie brauchte ewig, um wenigstens „Why does it always rain on me“ anzuspielen, und erst kurz vor dem Wiederanpfiff kam endlich „Thunderstruck“. Das geht noch besser, Kinnings.

Ich gehöre seit letzter Saison zu den Leuten, die sofort mit Abpfiff aus dem Stadion gehen und nicht mehr beim Bierchen darauf warten, dass die U-Bahnen leerer werden. Ich habe nämlich gemerkt, dass man auch so prima einen Sitzplatz kriegt, wenn man zuguckt, wie auf dem einen Bahnsteig die Bahnen halten und sich dann auf dem gegenüberliegenden genau an der Stelle platziert, wo die Türen sich öffnen werden. Man wartet, wenn’s hochkommt, fünf Minuten, steht direkt an der Tür, wenn die nächste Bahn einfährt und kommt entspannt rein. Gestern klappte auch der Umstieg in den Bus (statt U-Bahn wegen Baustellenarbeiten) auf die Sekunde genau, und ich war ebenso entspannt zuhause. Allerdings gleichzeitig verschwitzt und nass. Egal. Schön war’s.

Ein kühles Dankeschön …

… an Holgi, der mich mit einem Flaschenzubereiter für Cold Brew überraschte. Auf das Produkt hatte der gute Mann mich selbst hingewiesen und meinte per Twitter, dass ich es doch mal auf meinen Wunschzettel schmeißen sollte. Hab ich gemacht – und eine Minute später war er gekauft. Der Schlingel!

Ich finde die Flaschenform, die prima in die Kühlschranktür passt, ziemlich clever. Der Aufsatz aus Weichplastik ist zwar etwas gewöhnungsbedürftig, man kann ihn aber gut benutzen und reinigen, und weil er eben ein Aufsatz ist, kann man auch die Flasche, die dadurch eine große Öffnung hat, vernünftig putzen anstatt mit den ollen Flaschenbürsten arbeiten zu müssen, denen ich irgendwie misstraue. Ich muss jetzt nicht mehr versuchen, meine French Press irgendwie im Kühlschrank unterzubringen, sondern stelle einfach die Flasche in die Tür. Das klappt sehr gut – während ich den Blogeintrag von eben schrieb, genoss ich den ersten wohlschmeckenden Cold Brew aus eben dieser Flasche. Vielen Dank für das Geschenk, ich habe mich sehr gefreut. *schlürf*

Was schön war, die letzte Woche – Kunst und Kleinkram

Letzten Donnerstag fuhr ich nach Regensburg, um mir die Ausstellung Artige Kunst. Kunst und Politik im Nationalsozialismus anzuschauen. Auf der Zugfahrt dorthin schaffte ich die komplette FAZ, und auf der Rückfahrt las ich die Radium Girls weiter, während von draußen akustisch angenehm der Regen auf den Zug prasselte. Im noch trockenen Regensburg ließ ich mich per Bus in die Ostdeutsche Galerie chauffieren und sah aus dem Fenster eine vielversprechende Altstadt, die ich dringend besichtigen möchte. Eigentlich wollte ich die Ausstellung gleich am nächsten Tag verbloggen, aber man kommt ja zu nichts, denn:

Am Wochenende beschäftigten mich die Vorfälle in Charlottesville, was natürlich überhaupt nicht schön war – leider aber auch nicht großartig überraschend, wenn man sich mal für fünf Sekunden mit den Südstaaten beschäftigt hat. Ich hatte mir vor Monaten und dann immer wieder vorgenommen, nicht mehr über Trump zu twittern, weil es nichts bringt, weil ich hier in Deutschland eh nichts an seiner Politik ändern kann, aber Charlottesville hat mich zu sehr belastet, um nicht ein paar Artikel zu teilen, die ich lesenswert oder nachdenkenswert fand. Wobei ich immer noch nicht weiß, ob das die richtige Taktik ist, mit Stress umzugehen. Vielleicht wäre die Idee, bei jedem schlimmen Vorfall eine Woche Internetfasten einzuschieben, auch sinnvoll, um dann mit Abstand die guten Think Pieces zu erwischen. Andererseits kann man dann vermutlich auch gleich den Rechner einmotten, weil immer irgendwas schlimm ist.

Ich war wieder gleichzeitig dankbar für Twitter, weil man schnell mitbekam, wie sich Dinge entwickelten; ich folge vielen amerikanischen Medien bzw. einigen Journalist*innen, die nicht unbedingt sofort alles als BREAKING raushauen, daher fühlte ich mich gut informiert, aber nicht überfordert. Gleichzeitig bekam ich natürlich auch viele emotionale Tweets mit, Bilder, von denen recht schnell klar war, dass sie nicht aus Charlottesville stammten und die dann trotzdem ewig retweetet wurden, der übliche Twitter-Kreislauf halt. Das nervte dann wieder, und allmählich verliere ich die Geduld mit Social Media, weil es immer so weiter geht und wir alle anscheinend nie etwas dazulernen.

Am Montag saß ich im ZI und wollte eigentlich über die NS-Ausstellung schreiben, schleppte aber spontan alles, was ich zu Südstaaten-Denkmälern finden konnte, an den Platz und las (und bloggte anschließend darüber). Nebenbei blätterte ich in (älteren) Katalogen, die sich explizit mit Schwarzen Künstler*innen und ihren Werken beschäftigen, was ähnlich doof ist wie Ausstellungen, in denen nur Kunst von Frauen hängt, weil es sich immer anfühlt wie „Seht her, die können das auch, wer hätte es gedacht“. Es war nötig, dass man irgendwann solche Ausstellunge machte, einfach um andere Namen in den Kanon zu kriegen, aber es hatte – und hat – einen sehr gönnerhaften Beigeschmack.

Ich bin auch noch nicht fertig zu durchdenken, dass von Schwarzen Künstler*innen anscheinend eher erwartet wird, sich mit Sklaverei und der spezifisch schwarzen Geschichte der USA zu befassen. Genau wie Kunst von Künstlerinnen gerne als explizit feministisch hingestellt wird. Ich glaube, beides ist falsch, aber ich kann mich selbst auch irrsinnig schwer von solchen Erwartungen und Zuschreibungen lösen. Auch deswegen gucke ich inzwischen immer in Ausstellungen erst auf die Werke und versuche mir selbst ein Bild zu machen, bevor ich auf den Aushang schaue, auf dem steht, was ich da gerade sehe. Und trotzdem erwische ich mich noch dabei, Quatsch zu denken wie „Ach, ne Frau, klar, das Bild sieht ja auch so aus.“ Blödsinn. Doofer Blödsinn. Ich hoffe, alleine die Tatsache, dass mir bewusst es, dass es Blödsinn ist, bringt mich irgendwann dazu, neutraler auf Bilder schauen zu können. Andererseits weiß ich natürlich auch, dass man nie ganz neutral auf Kunst gucken kann, weil man Erwartungen, Erlebnisse, Erziehung und Konditionierungen mitbringt, die in den angeblich ganz individuellen Blick hineinspielen.

Ansonsten verbringe ich meine Tage derzeit damit, Akquise zu machen und schreibe so ziemlich jede Kollegin an, mit der ich mal zusammengearbeitet habe, um der Werbewelt wieder mitzuteilen, dass man mich wieder länger buchen kann. Das hat auch schon zu netten Mailantworten und Telefonaten geführt sowie zu zwei Anfragen, aus denen zwar leider nichts geworden ist, die aber beide von Agenturen kamen, für die ich noch nie gearbeitet hatte. Da hat anscheinend schon jemand mal meinen Namen fallengelassen, was mich sehr gefreut hat.

Ich hoffe, der erste anständige Auftrag lässt nicht mehr allzu lange auf sich warten, denn meine Selbstbelohnungen für das abgeschlossene Studium warten. Den ersten Teil habe ich gestern schon erledigt und mir endlich die Absolvente gekauft – ein Quietscheentchen mit dem LMU-Siegel auf dem Doktorhut. Auf die habe ich mich seit fünf Jahren gefreut und ich grinse jetzt immer, wenn ich sie im Bad sehe.

Der zweite Teil der Selbstbelohnung wird etwas teurer, aber auch auf ihn freue ich mich seit fünf Jahren: Ich möchte endlich ins Tantris gehen, mit Raritäten-Weinbegleitung und allem Schnickschnack, den der Laden zu bieten hat. Ich wäre deutlich entspannter, wenn ich dafür ein bisschen frisches Geld auf dem Konto hätte.

Bis dahin schreibe ich weiter Mails und lungere bei Behörden und Copyshops rum, um meine Bewerbungsunterlagen für das Promotionsstudium zusammenzukriegen. Gestern war ich zum Beispiel im Kreisverwaltungsreferat, um ein polizeiliches Führungszeugnis zu beantragen, das hätte die LMU gerne. Das KVR hat anscheinend ein paar Zuständigkeiten neu ausgewürfelt. Ich hatte mich schon auf drei Stunden Wartezeit wie damals bei der Ummeldung von Hamburg nach München eingestellt und war dementsprechend vorbereitet (Getränk, Snack, FAZ, Radium Girls, voll aufgeladenes iPhone). Am Eingang entdeckte ich netterweise den Hinweis, dass man für ein Führungszeugnis nicht in einem der üblichen Wartebereiche anstehen musste, die sich am Anfangsbuchstaben des Nachnamens orientieren und wo man dann quasi alles beantragen kann, aber eben auch ewig warten muss, weil da alle alles beantragen. Stattdessen wurde ich in einen gesonderten Wartebereich gelotst, bekam von der Dame an der Infotheke eine Nummer anstatt sie am Automaten zu ziehen – und konnte kaum glauben, dass nur fünf Leute vor mir dran waren. In einer knappen Viertelstunde war ich wieder draußen.

Konföderierte Reiterstandbilder im Süden der USA – eine kleine kunsthistorische Annäherung

Gestern twitterte ich einen Artikel aus dem Atlantic, der sich mit den diversen Statuen und Denkmälern von Südstaatengenerälen, vor allem Robert E. Lee, beschäftigt und dafür argumentiert, sie endlich alle abzureißen oder einzumotten. Mich hat die Menge an Denkmälern erstaunt, die anscheinend noch stehen und an die konföderierten Südstaaten des amerikanischen Bürgerkriegs erinnern:

„As of August 2016, there were still more than 1,500 public commemorations of the Confederacy, even excluding the battlefields and cemeteries: 718 monuments and statutes still stood, and 109 public schools, 80 counties and cities, and 10 U.S. military bases bore the names of Lee, Jefferson Davis, and other Confederate icons, according to a tally by the Southern Poverty Law Center. More than 200 of these were in Virginia alone.“

Ich ahne, dass ich nicht mehr erklären muss, in welchem Bundesstaat Charlottesville liegt, das gerade in den Nachrichten Schlagzeilen macht. Ich mach’s trotzdem: Es liegt in Virginia. Virginia ist einer der dreizehn Gründungsstaaten der USA und gehörte im Bürgerkrieg zu den Südstaaten; die Hauptstadt der Konföderation war Richmond (Va). In Richmond wurde recht schnell nach dem Ende des Bürgerkriegs (1861–1865) über ein Denkmal zu Ehren von Robert E. Lee nachgedacht; bereits 1870 begann man mit den Planungen. 1890 wurde das Denkmal in Richmond schließlich eingeweiht; es bildet heute einen Teil der sogenannten Monument Avenue.

Das Denkmal zeigt den General zu Pferd und steht damit in der Tradition eines anderen Reiterstandbilds in Richmond. Es orientiert sich bewusst am Monument von Thomas Crawford, das George Washington zeigt, der ebenfalls zu Pferd skulptiert wurde. (Wenn ich der Wikipedia glauben darf, wurden Teile des Denkmals in München gegossen.) Washington kam aus Virginia; das Standbild betont dann auch eher seine Rolle als Einwohner Virginias anstatt der eines Einwohners der Vereinigten Staaten. Zur Zeit des Baubeginns des Standbilds (1850, fertiggestellt 1869) bestanden bereits große Spannungen zwischen den zukünftigen Nord- und Südstaaten. Um Washington herum wurden nach und nach weitere sechs Einwohner Virginias gruppiert, so dass das Denkmal primär nicht den Staatsgründer Washington zeigt, sondern einen bzw. sieben Kämpfer aus Virginia.

Wie sehr die Betonung auf Virginia und dessen Politik und nicht den USA galt, zeigt auch die Diskussion um die Materialauswahl. Einer der Abgeordneten Virginias fragte, ob Bronze statt Marmor wirklich das beste Material für die Statue sei: „[It] would look like so many negroes.“ Der Künstler Crawford versicherte, dass die Statue durch Nutzung von goldenen Details, zum Beispiel an der Uniform, eine „rich and beautiful color“ bekommen würde; ein Journalist schrieb 1850 im Richmond Enquirer, „pure bronze can never become black.“ Dadurch, dass es eine metallische Verbindung sei, „is it easy for the artist to produce a variety of colors, darker or brighter.“ (McInnis 131) Bronze als Material strahlt zudem mehr Härte und Stärke aus als Marmor, dessen Erscheinung weicher oder sogar weiblicher wahrgenommen wird.

Bei der Einweihung der Statue erklärte Senator James M. Mason: „We have brought the memory of Washington back to Virginia.“ (McInnis 133) Im Vorfeld des Bürgerkriegs betonten Politiker der zukünftigen Südstaaten stets, dass es ihnen nicht darum ging, die Union zu spalten, sondern stattdessen das Vermächtnis der ersten Revolution zu erhalten – ähnlich wie heutige White-Pride-Ideologen sich auf eben diese Revolution beziehen, wenn sie davon sprechen, sich Dinge oder Fakten oder Status zurückzuholen, von denen sie glauben, sie seien verloren.

Das Staatssiegel des konföderierten Virginias zeigte die Statue Washingtons in Richmond. Dass er zu Pferde abgebildet ist, ist kein Zufall. Diese Abbildung erweckt nicht nur Assoziationen an seinen militärischen Kampf gegen die Briten, sondern zeigt schlicht einen Mann, der über anderen steht. Zugleich erinnert die Pose an berittene Aufseher auf Plantagen der Südstaaten, auf denen Millionen von Sklav*innen Zwangsarbeit leisteten. In einem Entwurf zu einen Giebel des neuen State Houses in South Carolina waren neben antikisierten Darstellungen von Frauen auch ein Aufseher zu Pferd sowie gebückt kauernde Sklaven zu sehen. Der Entwurf wurde nie umgesetzt. (Kleiner Exkurs zu den Plantagen: Der Historiker Peter H. Wood schlug vor, nicht mehr das idyllisch konnotierte plantation als Begriff zu nutzen, sondern slave labor camps. (Vlach 24))

Genau diese Art der herrischen Abbildung wurde auch für das Denkmal von Robert E. Lee in Richmond gewählt. Auch er war Kriegsteilnehmer, aber seine Darstellung zu Pferd steht mehr in der Tradition von weißer Vorherrschaft als in der eines Mannes im Militär. Lee war ein Kriegsverlierer, genau wie Jefferson Davis, der Präsident der Konföderierten, von dem kolportiert wird, dass er versuchte, in Frauenkleidern zu fliehen, um sich einer Verhaftung durch die Nordstaaten zu entziehen. Davis konnte also in der Logik der Unterlegenen nicht als Vorbild dienen, weder als siegreicher Präsident noch als jemand, der die klassische Männlichkeit verkörperte. Lee hingegen wurde sehr schnell die irreale Abbildung von alter Südstaatenüberlegenheit, weißer Vorherrschaft und siegreichem Freiheitskampf. Frederick Douglass schrieb bereits 1870: „We can scarcely take up a newspaper … that is not filled with nauseating flatteries of the late Robert E. Lee.“ (Terrono 153) Zur Jahrhundertwende galt Lee anstatt Ulysses S. Grant zusammen mit Abraham Lincoln als eine der wichtigsten Figuren des Bürgerkriegs.

„The fundamental effect of installing Lee als the South’s premier representative was that it depoliticized the Confederacy after the fact. With Lee as the major historical actor, the story of the Lost Cause became a glorious military record rather than a political struggle to secure a slaveholding nation. The white South’s urgent need to dissociate the Confederacy from slavery after the war dictated this strategy of depolitization. […] [Lee] was less vitally attached to the institution than the typical Southern planter and he could more credibly claim afterward that he had not fought to defend it. In the late 1860s he was a living example of the white South’s collective reversal on slavery. His historical role as a leader of soldiers – not a maker of policy – complemented and enhanced that personal example. In some ways he fit the classical mold of the reluctant leader, as George Washington had, and like Washington […] he was thought to be above politics. For all these reasons he was the obvious man to personify a newly revised, newly remembered Confederacy – a Confederacy that pretended to have fought a heroic struggle not for slavery but for liberty, defined as the right of states to self-determination.“ (Savage 131)

Diese Stimmung des reinen Freiheitskampfes hielt nicht lange. Die Reconstruction wurde schnell zurückgedrängt, die Idee von white supremacy erstarkte wieder. Das Lee-Monument in Richmond wurde von der Zeit seiner Enthüllung 1890 bis 1932 der Schauplatz einer jährlichen „Confederate reunion“ und machte vor allem der schwarzen Bevölkerung stets die Rassendynamik und ihre Rolle klar. „In a column at the time of the unveiling, the editor of the Planet answered the question ‚What it means‘ that Richmond had been decorated with emblems of the ‚Lost Cause‘. Contrary to what some Northern papers reported, the Planet said, ‚No flags of the Union ornamented the procession. Only the stars and bars could be seen, the ‚rebel yell‘, under the flag of the secession which waved proudly.‘“ (McInnis 139) 1902 hatte Virginia eine neue Verfassung, die die Zeit der Reconstruction fast vergessen machte und Jim-Crow-Laws etablierte. Spätestens jetzt war die Idee der angeblich freiheitlichen Südstaaten der einer Rassenideologie gewichen bzw. zu ihr zurückgekehrt.

Die Reiterstandbilder blieben als deutliches Symbol für white supremacy weithin sichtbar. Noch 2012 veranstalteten die Sons of Confederate Veterans eine sogenannte Heritage Rally – zu Füßen des Standbilds von Lee in Richmond.

Das Denkmal von Lee in Charlottesville wurde laut Atlantic 1924 eingeweiht. In den 1920er und 1930er Jahren gab es mehrere Kampagnen, in denen im Süden vor allem Lee und Thomas J. „Stonewall“ Jackson neu und historisch mythologisierend positioniert werden sollten. Die Kampagnen waren ein bundesweiter Versuch, die noch junge Vergangenheit zu nutzen, um in der Zeit der Great Depression positive Lehren zu ziehen. Geplant war, erstmals alle Teilnehmer*innen des Bürgerkriegs zu würdigen; in den Südstaaten führten diese Kampagnen aber zum Gegenteil – sie riefen Gefühle von Verbundenheit für den Lost Cause sowie regional begrenzten Patriotismus hervor. Die neuen Statuen, die errichtet wurden, zeugten nun nicht von Lees und Jacksons Kampf für einen rassistischen Sklavenhalterstaat; stattdessen bewunderte man die Standhaftigkeit ihrer Überzeugungen, für die sie eingetreten waren und die nun als eine Tugend hochgehalten wurden. Auch ihre christliche Religion wurde in Inschriften hervorgehoben, während ihr Mitwirken an der weißen Vorherrschaft schlicht ignoriert wurde. In dieser Zeit entstanden auch verstärkt Abbildungen von angeblich dankbaren, treuen Sklav*innen, während ein 1923 geplantes Monument in Washington für die „Faithful Colored Mammy of the Southland“ gerade noch durch engagierte Widerrede von Schwarzen Amerikaner*innen abgewendet werden konnte.

1948 wurde ein Denkmal der beiden Generäle in Baltimore eingeweiht; im Sinne der Zeitströmung direkt nach dem Zweiten Weltkrieg wurden sie als „glorious heritage of all freedom-loving people“ bezeichnet. Die Reaktion des Schwarzen Amerikas klang anders: Ein Autor des Afro-American, der in Baltimore erschien, verglich Lee und Jackson mit Hitler, der genau wie die beiden Generäle eine Politik von Rassenauslöschung und Versklavung betrieben habe.

Diese unterschiedlichen Wahrnehmungen sind auch heute noch vorhanden. Die zweite der beiden Lesarten ist meiner Meinung nach einen Hauch überzeichnet, weist aber in die richtige Richtung. Die andere ist historisch schlicht nicht haltbar. Der Atlantic schreibt sehr treffend:

„The statues in public squares, the names on street signs, the generals honored with military bases – these are the ways in which we, as a society, tell each other what we value, and build the common heritage around which we construct a nation.

The white nationalists who gathered in Charlottesville saw this perhaps more clearly than the rest of us. They understood the stakes of what they were defending. They knew that Lee was honored not for making peace per se, but for defending a society built upon white supremacy – first by taking up arms, and then when the war was lost, by laying them down in such a way as to preserve what he could.“

Arthur C. Danto schrieb 1985 über den Unterschied zwischen monuments und memorials, der im deutschen Denkmal nicht ganz so trennscharf ist:

„We erect monuments so that we shall always remember, and build memorials so that we shall never forget. […] Monuments commemorate the memorable and embody the myths of beginnings. Memorials ritualize remembrance and mark the reality of ends.“ (Danto 152)

Ich bin mir bei den vielen Denkmälern für konföderierte Generäle und Soldaten immer noch nicht sicher, an was sich erinnert werden soll. Ich kann die Memorials an Kriegsschauplätzen verstehen, genau wie ich deutsche Soldatenfriedhöfe in der Sowjetunion verstehen kann. Auch wenn der Anlass für den Kampf grundfalsch war, ist es meiner Meinung nach verständlich, dass Nachkommen einen Platz für ihre Trauer haben möchten. Dass man Generälen Standbilder errichtete, die von Anfang an entweder eine rassistische Ideologie verherrlichten oder schlicht Geschichtsfälschung bebildern, ist im Nachhinein leider auch nachvollziehbar – nicht nachvollziehbar ist es aber, sie heute nicht in einen musealen, didaktischen Kontext zu betten.

Literatur für diesen Eintrag:

Abousnnouga, Gill/Machin, David: The Language of War Monuments, London/New York 2013.

Danto, Arthur C.: „The Vietnam Veterans Memorial“, in: The Nation, 31.8.1985, S. 152–155.

Foner, Eric: Reconstruction: America’s Unfinished Revolution, 1863–1877, New York 1988.

McInnis, Maurie D.: „‚To Strike Terror‘: Equestrian Monuments and Southern Power“, in: Savage, Kirk (Hrsg.): The Civil War in Art and Memory, Washington 2016, S. 125–146. (Der ganze Band ist sehr lesenswert.)

Mcpherson, James M.: Battle Cry of Freedom. The Civil War Era, Oxford 1988. (Meine ewige Empfehlung in diesem Blog für eine gute Einführung in den Bürgerkrieg. Gibt’s auch auf Deutsch.)

Savage, Kirk: Standing Soldiers, Kneeling Slaves. Race, War, and Monument in Nineteenth-Century America, Princeton 1997.

Terrono, Evie: „‚Great Generals and Christian Soldiers‘: Commemorations of Robert E. Lee and Stonewall Jackson in the Civil Rights Era“, in: Savage, Kirk (Hrsg.): The Civil War in Art and Memory, Washington 2016, S. 147–170.

Vlach, John Michael: „Perpetuating the Past. Plantation Landscape Paintings Then and Now“, in: Kat. Ausst. Landscape of Slavery. The Plantation in American Art. University of Virginia Art Museum, Charlottesville (Va)/Gibbes Museum of Art, Charleston (S.C.)/Morris Museum of Art, Augusta (Ga), Columbia 2008, S. 16–29.

Was schön war, Mittwoch, 9. August 2017 – Im Prüfungsamt

Die Schlange war deutlich kürzer als erwartet, als ich kurz nach 9 auftauchte.

Anklopfen, eintreten, immer noch kein Studi in Sicht. Das ist neu. Aber schön, dann kann ich der Sachbearbeiterin ja lauter Fragen stellen. Das tat ich: „Ich hab mich nicht zurückgemeldet bzw. ich hab keine Studiengebühren mehr überwiesen, komm ich noch ins Wintersemester?“ – „Muss ich in die Studierendenkanzlei oder zu Ihnen?“ – „Bis wann denn eigentlich?“ und die wichtige Frage „Bis wann krieg ich denn das Masterzeugnis, damit ich mich für den Promotionsstudiengang bewerben kann?“

Dame: „Ich kann Ihnen ein vorläufiges Zeugnis ausdrucken, das reichen Sie dann ein, falls das eigentliche Zeugnis noch nicht da ist.“

Icke: „Das heißt, ich könnte jetzt von Ihnen meine Endnote erfahren?“

Dame: „Sind denn schon alle Noten im Transcript of Records eingetragen?“

Icke: „Jepp.“

Dame: „Haben Sie Ihren Studentenausweis dabei?“

Icke: „Jepp.“ *zück*

Dame: *tippt* „Was glauben Sie denn, was Sie haben?“

Icke: *lach* „Ich würde mich über irgendwas zwischen 1,1 und 1,2 freuen.“

Dame: „Nee, Sie sind besser.“ *druckt was aus* „Ich muss das noch siegeln.“ *geht nach nebenan und drückt mir den Bogen in die Hand. „Schönen Tag noch.“

Icke: *guck*

Icke: „Werd ich haben, dankeschön.“

Dann dämlicherweise noch einen Blick in den offenen Lieblingshörsaal (Team B 201! Stirb, A 240, stirb!) geworfen und mir wieder bewusst gewesen, dass ich da vermutlich nie wieder sitzen werde. Traurig geworden. Dann wieder über die Endnote und mein MA-Studium gefreut. Dann wieder traurig geworden. Und so ging das den ganzen Tag weiter.

Abends kam F. zum Feiern und Trösten vorbei und wir rechneten den Schnitt noch einmal nach. Mir war immer noch nicht klar, ob zum Beispiel mein Nebenfach weniger zählte als das Hauptfach oder die Masterarbeit mehr wiegt als ein Seminar. Der Herr Naturwissenschaftler zückte den Taschenrechner und erklärte mir seinen Rechenweg. Danach plustere ich mich für zwei Sekunden auf und quengelte was von „Wenn das blöde Kindheitsreferat nicht ne blöde 2,0 geworden wäre, dann …“, woraufhin F. mich liebevoll-augenrollend stoppte und fragte: „Du diskutierst hier nicht gerade über die zweite Stelle nach dem Komma in einer Gesamtnote von 1 Komma fucking null sieben?“

Und erst da fiel mir selbst auf, was all meinen Mitmenschen, die seit zehn Semestern ebenfalls liebevoll-augenrollend von außen auf mich draufgucken, von Anfang an klar gewesen war: Ich habe immer mein Bestes gegeben. Ich habe keine einzige Hausarbeit und kein einziges Referat irgendwann abgeschenkt und gedacht, ach, ne Einssieben reicht ja auch. Ich wollte immer eine Einsnull und war dementsprechend knörig, wenn es nur, nur! eine Einsdrei wurde. Aber den Satz „Ich habe immer mein Bestes gegeben“ verstand ich erst gestern. Mehr ging nicht, und deswegen passt die Note natürlich auch.

Das war ganz schön, endlich mal selbst zu kapieren, dass man anscheinend fünf Jahre lang einen sehr guten Job gemacht hat.

Was schön war, Dienstag, 8. August 2017 – Kein Aua, dann Yay und *schmatz*

Morgens war ich beim Zahnarzt. Das macht ja eigentlich nie Spaß und ist dazu auch noch teuer (eine super Kombination), aber trotzdem kam ich mit einem sehr positiven Gefühl aus der Praxis. Ich fühlte mich sehr umsorgt und als Patientin wahrgenommen, man achtete auf mich und legte keine fünf Kilo Instrumente auf meinem Brustkorb ab (wann hat diese Unsitte eigentlich angefangen?), und außerdem hatte ich zum ersten Mal eine Art Sabberlätzchen aus Stoff oder Zellulose unter dem Kofferdamm, was dafür sorgte, dass ich mich nicht über zwei Stunden lang vollsabberte und dummschwitzte. Und weh getan hat es auch nicht. Schmerzfreieste Spritze ever! Und die Zahnreinigung vor ein paar Wochen war auch prima. Vielleicht habe ich hier einen Glücksgriff gemacht. (Ich bin einfach in die Praxis reinmarschiert, an der ich beim Einkaufen immer vorbeikomme.)

Nachmittags schickte ich eine Mail an meinen Dozenten aus dem Rosenheim-Seminar mit der Bitte um einen Gesprächstermin: „Vielleicht schon mein Gesprächsthema vorweg: Es geht um eine mögliche Promotion bei Ihnen.“ Eine Stunde später kam die Antwort, dass ein Gespräch gerade schlecht sei wegen Urlaub, Dienstreisen und Zeug, und mitten in den ganzen Erklärungen, wann ich ihn wieder erreichen könnte, stand der Satz: „Diss passt.“

Abends ein ergoogeltes Rezept nachgekocht, weil ich noch Champignons und eine Avocado hatte, die dringend wegmussten. Das war schmackhaft, könnte aber deutlich mehr Chili vertragen.

Was schön war, Montag, 7. August 2017 – Onward

Morgens mit einer Bloggerin/Texterin/Yogineuse (dafür gibt es bestimmt ein besseres Wort, aber ich mag Yogineuse) zum Kaffee getroffen, um mir ein paar Tipps für die Münchner Agenturlandschaft geben zu lassen. Ich habe als festangestellte Texterin nur in Hamburg, als freie nur in Hamburg, Berlin und Stuttgart gearbeitet und daher in München kaum Werberkontakte. Das Treffen war schön mittendrin zwischen Plaudern und Professionalität, das hätte ich gerne öfter.

In diesem Zusammenhang: Die Grönersche wäre dann wieder für längere Buchungen zu haben, nicht mehr nur für hier mal nen Tag, da mal nen Tag wie in den letzten fünf Jahren. Jetzt wo ich kein enggetaktetes Semester mehr habe und mir die Zeit besser einteilen kann, fliege ich auch gerne wieder für ein paar Wochen woanders hin. Meine Spezialität ist weiterhin die Verkaufsliteratur, aber Klassik und dieses Interweb kann ich natürlich auch. Say hi!

Normale Temperaturen, also irgendwo um 20 Grad und nicht um 30. Ich kann mich darüber ja ewig freuen. Stupid summer.

Lange mit Mama telefoniert. Ich wollte ihr stolz von der Note für die Masterarbeit erzählen, die ich ihr ausgedruckt hatte zukommen lassen, und erfuhr, dass sie diese gerade an den Nachbarn ausgeliehen hat, den das Thema auch interessiert. So kriegt man also wissenschaftliche Texte an die Leute.

F. ist braungebrannt aus Wacken zurück. Kuschelentzug beendet.

Was schön war, die vielen letzten Tage

Als ich zur Synagogenbesichtigung fuhr, erwischte ich den besten Busfahrer Münchens. Wenn ich die Wahl habe zwischen Bus und allen anderen öffentlichen Verkehrsmitteln, nehme ich alle anderen öffentlichen Verkehrsmittel. U-Bahn und Tram sind für meinen Rücken und meine persönliche Bequemlichkeit besser, weil sie nicht so ruckelig-zuckelig fahren und sich nicht beim Aufenthalt an der Haltestelle zu einer Seite neigen. Außerdem ist die Chance auf einen Sitzplatz größer, weil sie einfach mehr Platz bieten. Aber der Bus fährt halt viele kleine Ecken an, die nicht von den schönen Schienenfahrzeugen bedient werden, also fuhr ich Bus.

Dieser Fahrer, den ich seit Wochen nicht vergessen kann, lenkte den Bus butterweichst um jede Kurve, bremste kaum spürbar und fuhr auch so wieder an, kein ruckelig-zuckelig. Außerdem bilde ich mir ein, dass die Haltestellenansagen die perfekte Lautstärke und die Klimaanlage die optimale Temperatur hatten, aber das kann auch nachträgliche Einbildung sein. Wer auch immer am 9. Juli so gegen 11.15 Uhr den 154er in Richtung Bruno-Walter-Ring gefahren ist – danke, Mann.

Ich freue mich immer noch über den Kaiserschmarrn. Wer mein Blog schon länger liest, bekommt eventuell den Eindruck, dass ich gut kochen könnte. Kann ich nicht. Ich kann manchmal gut kochen, und Pfannkuchen sind mein Endgegner. Deswegen gibt’s im Blog auch Rezepte für Bananen-Pfannkuchen, Buttermilch-Pfannkuchen und jetzt eben Kaiserschmarrn. Dieses total einfache Gericht kriege ich nur mit exakten Zutaten hin, während ich bei den angeblich so zickigen Macarons lustig aus dem Handgelenk Eischnee in Mandelmehl einrühre.

Rumlaufen.

Ich habe schon beim Familienbesuch gemerkt, dass es mir deutlich leichter fällt, längere Strecken zu Fuß zu gehen, seit ich regelmäßig walke. Und auch beim Documenta-Wochenende in Kassel habe ich freudig festgestellt, dass mir Wege keine Mühe mehr machen. Was allerdings immer noch doof ist, sind Treppen und Steigungen.

Im langen Eintrag zu meinem rechten Fuß erwähnte ich meine Fußheberschwäche. Das bedeutet, ich kann nicht mehr auf Zehenspitzen stehen. Wenn ihr mal drauf achtet: Beim Treppensteigen bewegt man sich eigentlich nur auf den Zehenspitzen. Da die bei mir nicht mehr funktionieren, mache ich irgendwas anderes, und ich kann nicht mal beschreiben, was ich genau mache.

Das ist auch nervig an diesen Einschränkungen oder körperlichen Andersartigkeiten: Neulich habe ich bei Freunden meinen rechten Schuh nicht mehr anbekommen, weil ich meinen Schuhlöffel vergessen hatte, und ich konnte schlicht nicht erklären, warum das nicht geht, obwohl ich den Schuh fast komplett aufgeknotet hatte. Ich sehe, was mein linker Fuß tut, um in den Schuh zu schlüpfen, aber ich kann es rechts trotzdem nicht reproduzieren.

Genauso geht es mir beim Treppensteigen. Ich ahne, dass ich rechts irgendwie aus dem Oberschenkel und dem unteren Rücken arbeite, und ich bin immer dankbar für ein Treppengeländer, an dem ich mich ein bisschen hochziehen kann. Aber generell gehöre ich zu den Menschen, die auch für ein Stockwerk den Fahrstuhl oder die Rolltreppe nehmen, weil es mich schlicht ungebührlich anstrengt, eine Treppe hochzukommen. Das hat natürlich auch was mit dem Gewicht zu tun, schon klar, aber ich war vor der OP genauso dick und da war Treppensteigen lästig, aber machbar. Jetzt ist es mehr als lästig. Wenn ich nach zwei Stockwerken im Hauptgebäude der LMU erstmal zwei Minuten Luft holen muss, ist das nicht in Ordnung. (Okay, das Gebäude ist aus dem 19. Jahrhundert, ein Stockwerk überwindet gefühlt acht Meter Höhenunterschied.) Anfangs habe ich noch gedacht, sei nicht so eine Memme, kletter und schwitz halt und hol dann Luft. In den letzten Semestern bin ich stattdessen irre Umwege gegangen, um einen Fahrstuhl zu finden. Falls ihr also mal dicke Menschen seht, die für kleine Strecken den Lift nehmen – es könnte andere Gründe als Faulheit haben. (Auch hier ahne ich, dass bei schlanken Menschen niemand drüber nachdenkt, wenn sie genau das gleiche tun.)

Warum ich jetzt davon anfange? Weil Kassel quasi nur aus Hügeln besteht. Das ging da nie mal hundert Meter einfach nur in einer Höhenlage geradeaus. Man kletterte dauernd Hügel hoch oder ging sie runter. Für gesunde Füße ist das wahrscheinlich eine hübsche Abwechslung, und so hässlich nachkriegsverbaut wie mir Kassel vorkam, sind die Hügelchen auch echt malerisch und damit eine Aufwertung des Stadtbildes, aber meine Güte, habe ich geflucht und geschwitzt. Trotzdem: Zwischen dem Fluchen und während des Schwitzens habe ich mich mehrfach darüber gefreut, dass mir die wenigen Meter, die ich nicht klettern musste, nichts mehr ausmachen. Wer hätte es gedacht: Man kann sich Kondition anspazieren.

Dieser Blogeintrag, der gleich mehrere Stellen hat, die ich auf dem Bildschirm mit Textmarker anstreichen wollte. „[R]elativ genau wissen, wo man sich befindet, die eigenen Koordinaten kennen, die Maße, den Standort. Näher als früher.“ „Es ist noch so weit bis geradeaus.“ „Die Stadt im Zustand der Überforderung, in dem sie sich eingerichtet hat, dass sie gar nicht mehr weiß, wie es ist, nicht immer einen halben Schritt zu weit zu gehen.“ „Selbst nach dem Weltuntergang würde er kleine Aufkleber auf die Trümmer kleben, die erzählen, was das mal war und wohin es gehört.“

Und die Wahlhelfer*innen-Schulung für die Bundestagswahl, von der ich lieber nichts ausplaudere, weil ich nicht weiß, was davon alles bitte nicht verbloggt werden sollte. Ich fühle mich jetzt aber gut gewappnet fürs Ehrenamt.

Die Schulung war auch deshalb schön, weil eine große Befürchtung von mir sehr schnell zerstreut wurde. Am Tag der Schulung waren es in München mal wieder 30 Grad, wie fast die ganze letzte Woche. Der Raum lag im obersten Stockwerk, hatte drei Glaswände und natürlich riss sofort jemand ein Fenster auf, damit auch ja (heiße) Luft reinkommt. Ich sah mich schon dreieinhalb Stunden lang leiden, aber: Die Haustechnik fuhr automatisch immer dort Rolläden runter, wo die Sonne draufschien und stellte andere an, die noch Licht, aber kaum Hitze reinließen. Und: Ich saß auf einem Platz, der die ganze Zeit einen winzigen Luftzug hatte; nie so ventilatorstark, dass er nervte, aber stets spürbar genug, um mich frisch und entspannt zu halten.

Was die Schulung mir auch mal wieder beibrachte und das war nicht schön: Die Leute, die am wenigsten Ahnung haben, reißen am lautesten die Klappe auf und sind meistens Kerle. In meinem Wahllokal sind wir laut Benachrichtigung sechs Frauen und ein Mann; ich hoffe also auf das Beste.

„Und, Anke, wie war so dein zehntes Semester?“

Es war das letzte, und das war mir immer bewusst.

(Erstes, zweites, drittes, viertes, fünftes, sechstes, siebtes, achtes, neuntes Semester.)

Ich habe gelernt, dass ich Bibliotheken sehr sinnlose Gefühle entgegenbringe. An der Historicumsbibliothek vorbeizuradeln, in die man nur als Studi darf und das bin ich ja bald nicht mehr, fühlte sich immer an, als würde man an der Wohnung eines Ex-Freundes vorbeifahren: sehnsuchtsvoll und gleichzeitig scheiße. Und wenn ich drin saß, habe ich einen seltsamen Besitzerstolz entwickelt und es genossen, dass die ollen BWLer und Mediziner*innen an der Pforte abgewiesen wurden, denn ab einer bestimmten Belegung dürfen nur noch gewisse Fakultäten rein. Geht woanders lernen, ihr Un-Geistis! THIS! IS! SPARTA!

(Memo to me: vielleicht doch irgendwann mal erwachsen werden. So geistig.)

Ich habe gelernt, dass ein Seminar mit wenigen Teilnehmerinnen äußerst produktiv ist. In meinem Oberseminar saßen nur die Prüflinge meiner Dozentin, drei BAs und vier MAs, wenn ich mich richtig erinnere, und wir stellten dem Plenum unsere Arbeit bzw. den Plan dafür vor. Danach gab nicht nur die Dozentin Feedback, sondern auch der Kurs, und weil wir nur so wenige waren, hat auch jede mal was gesagt. Ansonsten sitzt man gerne mit 25 Leuten in einem Raum und es reden immer die fünf gleichen. Ich fand es schön, zum Ende nochmal eine andere Art der Diskussion mitzukriegen. Die Kritik an meinem Plan war sehr sinnvoll, und die sechs Themen meiner Mitprüflinge habe ich mir auch gerne angehört.

Ich habe gelernt, wie wichtig und gut es ist, einen intellektuellen Sparringspartner zu haben. Auch wenn er dein Forschungsgebiet immer als „Nazischeiß“ bezeichnet.

Ich habe (wieder) gelernt, dass ich mit langen Texten sehr gut klarkomme. In der Werbung schrieb ich schon lieber Kataloge als Anzeigen, und als ich nach der Abgabe der Masterarbeit twitterte oder bloggte: „So einen langen Text habe ich noch nie geschrieben“, fiel mir ein, dass ich schon ein Buch verfasst hatte. Ähem. Mein Leben hat inzwischen wirklich sehr andere Prioritäten.

Ich habe bei der Arbeit erfreut festgestellt, dass es inzwischen relativ intuitiv geht, alles, was ich besprechen will, in sinnvolle Einheiten zu teilen. Ich beginne immer mit einer völlig ungeordneten Stoffsammlung, in die ich alles reintippe, was mir einfällt oder was ich zitieren will, alles, worüber ich beim Lesen stolpere, alles, was auch nur irgendwie mit meiner Frage zu tun hat (oder Fragen, die ihr ähnlich sind). Manchmal – oder eigentlich meistens – verändert sich die Frage auch, je mehr ich über ein Gebiet weiß.

Irgendwann merke ich, dass sich thematische Blöcke bilden lassen, also bilde ich sie, indem ich wild Textmassen verschiebe oder gleich in verschiedene Dokumente lege. Ich kann mich an diesen Blöcken entlanghangeln und zack, fertig, Supernote. (Ich verkürze meinen Arbeitsprozess sehr.) Dass diese Arbeitsweise, die ich seit dem ersten Semester praktiziere, auch für eine Masterarbeit taugt, hat mich gefreut.

Ich glaube, diese und die beiden Arbeiten aus dem neunten Semester waren die ersten, bei denen ich von Anfang an wusste, dass sie gut und rund werden. Sonst kam bei mir immer irgendwann die blöde Panik, nur Stuss zu schreiben. Gut, bei manchen Unterpunkten in der MA-Arbeit kam dieses Gefühl auch und aus den Textteilen, die ich gelöscht habe, kann man wahrscheinlich eine BA-Arbeit zusammenklöppeln, aber selbst wenn ich mal wieder haderte, wusste ich: Ich lass das jetzt liegen, guck da morgen nochmal drauf und dann fällt mir ein, was ich machen muss. Und so war es auch.

In diesem Zusammenhang: Ich kann auf die Frage „Bist du mit deiner Arbeit zufrieden?“ endlich ohne wenn und aber mit „Ja“ antworten. Mit der Kiefer-Hausarbeit war ich auch schon sehr glücklich, mit Leo im Prinzip auch, aber nach der Masterarbeit hatte ich zum ersten Mal das Gefühl: Ja, das ist sehr gut geworden.

(Lektorgirl am Telefon: „DASS ICH DAS NOCH ERLEBEN DARF!“)

Ich habe auch in diesem Semester wieder gelernt, dass ich nichts lieber tue als zu lernen. Jedes Buch, jeder Aufsatz, jedes Kunstwerk erweitert meinen Horizont, und ich habe nichts in meinem Leben, das mich ähnlich glücklich macht. Ja, F., ja, Wein, ja, München, aber wenn das alles weg wäre, wären da immer noch die Bücher, das ganze Wissen von Generationen von Forscher*innen, auf dem ich aufbauen kann. Es ist immer noch unglaublich befriedigend für mich, Zusammenhänge zu sehen, wo ich vor drei, vier Semestern noch keine gesehen hätte, und es ist ebenso befriedigend, genau das zu wissen. Zu wissen, dass ich mehr weiß, aber auch zu wissen, dass es da draußen noch so viel mehr gibt, was ich mir anlesen kann, was ich entdecken kann, was ich in Archiven aufspüren kann, Daten, Zeitläufte, Biografien.

Das Semester begann ziemlich übergangslos, denn die Bearbeitungszeit für die Masterarbeit startete schon im Februar – da war das Wintersemester noch nicht mal rum. In dem musste ich noch zwei Hausarbeiten schreiben, und dann bastelte ich noch aus meinen zwei Leo-von-Welden-Arbeiten, die insgesamt ungefähr 120.000 Zeichen hatten, einen Katalogbeitrag, der circa 25.000 haben sollte. (Er hat jetzt mit Fußnoten knapp 40.000, auf Wunsch des Dozenten.) Als das alles fertig war, gönnte ich mir ein paar Tage Pause und begann dann, mich auf Kiefer, Lüpertz und die Geschichte der jungen Bundesrepublik zu stürzen. So ziemlich alles, was ich las, konnte ich im Kopf an irgendwas anlegen, was ich in den Semestern zuvor, vor allem im Masterstudium, gelernt hatte, was mir großen Spaß gemacht hat.

Wenn ich im Zentralinstitut für Kunstgeschichte saß und dessen Bibliothek leerlas, dachte ich über nichts anderes nach. Sobald ich danach allerdings wieder nach Hause radelte oder zu anderen Bibliotheken, war mein hauptsächlicher Gedanke: Und was mache ich, wenn die Masterarbeit durch ist?

Es hat bis nach der Abgabe gedauert, bis mir das wirklich klargeworden ist. Ich habe schon während der Arbeit hektisch ein paar Bewerbungen losgeschickt, auf die ich vermutlich keine Reaktion bekommen werde, und inzwischen weiß ich auch, dass das okay ist. Mein Doktorvater weiß noch nichts davon, dass er mein Doktorvater sein soll, denn ich bin noch nicht ganz fertig mit einem halbwegs schlüssigen Exposé für eine Dissertation. Ich möchte mich weiterhin in der Zeit bewegen, in der ich mich seit ein paar Semestern wissenschaftlich zuhause fühle: in der NS-Zeit sowie der jungen Bundesrepublik. Ich will auf jeden Fall noch die junge DDR dazunehmen, von der ich sehr wenig weiß, und eventuell noch die Weimarer Republik, aber das wird sich vermutlich erst im Laufe der Dissertation herausstellen. Ach ja, ich werde dann wohl eine Dissertation schreiben. Davon erzähle ich zwar gefühlt dauernd, aber so richtig, endgültig, jetzt echt habe ich mich erst in den letzten Wochen dafür entschieden. Davor war es eine theoretische Möglichkeit; jetzt, wo ich immerhin schon die Note der Masterarbeit habe und damit weiß, das Studium ist durch, ich habe alles bestanden, ist es mehr. Es ist jetzt ein Plan.

Die folgenden Absätze schrieb ich am Ende des ersten Semesters. Ich freue mich sehr, dass ich nach zehn Semestern noch genau das gleiche empfinde:

Ich habe gelernt, wie gerne ich lerne.

Die häufigste Frage, die ich von meinen Kollegen und Freundinnen in den letzten Monaten gehört habe, war: „Ist es so, wie du es dir vorgestellt hast?“

Und meine Antwort war nach einer Woche die gleiche wie jetzt nach vier Monaten: „Es ist genauso, wie ich es mir vorgestellt habe. Nur noch viel toller.“

Ein strahlendes Dankeschön …

… an Eva, die mich mit Kate Moores The Radium Girls: The Dark Story of America’s Shining Women überraschte. Das Element Radium habe ich (geistig) im Hinterkopf, seit ich Die Ordnung der Stoffe: Ein Streifzug durch die Welt der chemischen Elemente gelesen hatte, über das ich hier und hier kurz schrieb. Ich hatte die armen verstrahlten Damen, die Zifferblätter mit Radium bemalten, damit diese im Dunkeln leuchten, schon wieder vergessen, bis mir die NY Times ein Interview mit der Autorin in die Timeline spülte, die von den vielen Originaldokumenten berichtete, die anscheinend erstmals so großflächig ausgewertet wurden. Und da ich ja seit einigen Semestern ein großer Fan von Originaldokumenten bin, klang das wie ein Buch, das ich gerne lesen würde. Vielen Dank für das Geschenk und die Widmung, ich habe mich sehr gefreut.

Kaiserschmarrn

Kaiserschmarrn-Rezepte habe ich schon diverse ausprobiert, aber es war nie eins darunter, das so fantastisch schmeckt wie die Versionen, die man hier in Bayern in Gasthöfen und Restaurants kriegt. Gut, ich ahne, dass in denen zwei Pfund Butter und Zucker sind sowie Rosinen, die nicht nur in Rum, sondern noch in diversen anderen herrlichen Schnäpsen getränkt sind, um die Esserin völlig willenlos zu machen. Ich erinnerte mich gestern aber: Hey, du hast doch das bayerischste Kochbuch aller bayerischen Kochbücher – vielleicht guckst du da einfach mal rein anstatt weiter wild rumzugoogeln? Hab ich gemacht. Und dann fürstlich getafelt: Der Schmarrn hat genau die richtige Konsistenz zwischen fest und fluffig, und ich war überrascht, wie süß er trotz recht wenig Zucker war. Ich habe jetzt ein Kaiserschmarrn-Rezept!

Für zwei Personen. Auf dem Bild ist davon ungefähr ein Viertel abgebildet; ich wollte nicht ganz so verfressen aussehen.

40 g Rosinen in
1 EL braunen Rum einweichen. Ich habe die Mischung eine halbe Stunde stehen gelassen.

1 dicken EL Butter zerlassen. (25 Gramm, wenn ihr abwiegen wollt.)

2 Eier trennen und das Eiweiß zu sehr steifem Eischnee schlagen.

120 g Mehl mit
220 ml Milch,
den 2 Eigelb und der Butter vermischen, dann die Rumrosinen und zum Schluss vorsichtig den Eischnee unterheben.

Alles in eine gefettete Pfanne geben und bei mittlerer Hitze ausbacken. Ich habe ein Talent dafür, die Unterseite von Pfannkuchen und ähnlichem schwarz werden zu lassen, während die Oberseite noch roh ist, daher habe ich auf die Pfanne einen Deckel gesetzt und nach ca. fünf Minuten mal reingeguckt. Das hat hervorragend gepasst, ich konnte den Schmarrn fast komplett wenden; wenn er zerbricht, ist es egal, denn er wird ja eh zerpflückt. Nach dem Wenden habe ich ein wenig Zucker auf die Oberfläche gestreut, den Deckel wieder aufgesetzt und den Schmarrn weitere fünf Minuten gebacken. Am besten einfach ab und zu reinschauen, damit er nicht zu dunkel wird.

Zum Schluss in mundgerechte Stücke zerreißen und mit Puderzucker bestreut servieren. Bei mir gehört zwingend Apfelmus dazu, schön aus dem Supermarktglas; das mag ich ernsthaft lieber als mein selbstgekochtes.

Was schön war, Sonntag, 30. Juli 2017 – Documenta, Tag 3

Am zweiten Tag hatte ich leider nicht so viel geschafft wie F., der sich neben unseren gemeinsam besuchten Stätten noch die Documenta-Halle sowie das Fridericianum anschaute. Aber am Sonntag konnten wir gemeinsam alles gucken, was ich sehr genossen habe.

Wir begannen im Museum für Sepulkralkultur, das ich immer noch nicht fehlerfrei aussprechen kann. Das Gebäude an sich gefiel mir in seiner Durchlässigkeit sehr gut, und wir schauten uns nicht nur die Documenta-Objekte an, sondern auch, was sonst noch im Museum ausgestellt war. Im Erdgeschoss mochte ich besonders die stehenden und hängenden Holzobjekte von Agim Çavdarbasha, vor allem mit dem weiten Blick über die Stadt, den die großen Fensterflächen ermöglichen. Nix mit geschlossenem White Cube und stiller Betrachtung in der Einöde; hier entstand eine schöne Spannung zwischen Objekt und Umgebung, und ich konnte wieder meinem Materialfetischismus frönen. Alles, was anders ist als Farbe auf Leinwand, hat bei mir schon gewonnen. Wobei ich natürlich auch nichts gegen Farbe auf Leinwand habe.

Ich mochte auch die Fotozusammenstellung von Prinz Gholam, der alte archäologische Aufnahmen von antiken Ruinen mit nur wenig oder gar nicht bekleideten Jungen kombinierte. Das war irritierend und ästhetisch zugleich und hat mich darüber nachdenken lassen, wie sich unser Sinn für Angemessenes und Nacktheit verändert.

In einem Schaukasten entdeckte ich entsetzt Medaillen, die für das Lynchen von Schwarzen vergeben wurden, und von deren Existenz ich bisher nichts gewusst hatte. Ich kann dieses Werk trotz Katalogs nicht zuordnen, daher weiß ich nicht, ob es zum normalen Bestand des Hauses gehört. Direkt nebenan lagen im Schaukasten noch Materialien zu einer Audio- und Videoinstallation von Terre Thaemlitz. Von ihr schauten wir uns den Anfang an und sprachen über zerrissene Selbstbilder und Selbstfindung. Die ganzen 58 Minuten wollten wir aus Zeitgründen nicht anschauen, aber wenn wir noch einen Tag mehr gehabt hätten, hätten wir das gemacht.

Lois Weinberger: Die Erde halten/Holding the earth (2010).

Im Untergeschoss schauten wir uns dann den normalen Bestand des Museums an und lernten viel über Beräbniskultur. Manche Details wollte ich allerdings gar nicht wissen. Vor dem Filmkabinett von Terre Thaemlitz hing ein Hinweis, dass der Film erst ab 18 ist und dass Kinder vielleicht davon verstört werden. Diesen Hinweis hätte ich mir für zartbesaitete Knappfünfzigjährige im Untergeschoss gewünscht. Ich habe die historische Aufarbeitung von Friedhofskultur allerdings sehr gerne nachgelesen und angeschaut, denn seit letzter Woche bin ich ja quasi fit, was das 19. Jahrhundert angeht. Das war sehr schön, das jetzt einbetten zu können in den Barock und das 20. Jahrhundert.

Am Ausgang des Museums steht übrigens unten an der Tür „Leben Sie wohl“, was ich für einen perfekten Rausschmeißer halte.

Eigentlich wollten wir danach in die Torwache, aber die Grimmwelt lag direkt nebenan. Gut, dass wir reingegangen sind – das war zumindest mein liebster Ausstellungsraum.

Ich hatte zwar keine Geduld für Roee Rosens The Blind Merchant, das F. sehr gut gefallen hat, aber ich las dafür die Schaukästen komplett durch, in denen Kinderbuchillustrationen von Tom Seidmann-Freud ausgestellt waren, der Nichte von Siegmund Freud. Ich fand die Entwicklung vom Jugendstil zu den neusachlichen Zeichnungen spannend, und natürlich war es auch hier wieder der Zeitkontext, der für mich interessant war. Ich blätterte auch in den ausgestellten Katalog zu Rosen hinein und fand sein Werk Live and Die as Eva Braun, das ich mir erstmal im Zentralinstitut für Kunstgeschichte erschließen werde.

Mein liebstes Werk auf der ganzen Documenta fand sich auch hier: das 30-minütige Video Lost and Found von Susan Hiller. Es besteht nur aus Ton; verschiedene Sprecher*innen unterhalten sich, lesen Statements, singen oder sagen das Alphabet auf – in ausgestorbenen, bedrohten oder wiederbelebten Sprachen. Ich wusste nicht, dass Maori schon ausgestorben war oder Hawaiianisch. Ich hätte auch nicht gedacht, welche hypnotische Wirkung es hat, Sprachen zuzuhören, die man nicht versteht und die meist recht unaufregende Dinge beschreiben. Immer noch im Ohr habe ich ein Lied auf Salish, das nur die Buchstaben des Alphabets singt; die Untertitel versuchten, die vielen Kehlkopf- und Zungenlaute mit einer Kombination aus anderen Buchstaben und Zeichen darzustellen, was mir sogar sinnhaft vorkam und gleichzeitig fremdartig-schön. Er steht dankenswerterweise auf YouTube, und jetzt bekomme ich es überhaupt nicht mehr aus dem Kopf.

In der Grimmwelt kann man übrigens im Falada prima Kaffee trinken. Ich empfehle den Iced Latte. Und Name und Logo sind auch toll.

Danach war aber die Torwache dran. Schon von außen ist sie als Objekt zu erkennen, denn sie ist mit unzähligen Jutesäcken verdeckt. Die Idee dahinter ist mir erst durch den Katalog klargeworden (Globalisierung, Imperialismus, Ausbeutung), aber mir reichte schon die irritierende Optik.

Im Inneren verguckte ich mich dann in einen albanischen Maler, den wir später am Tag noch in der Neuen Neuen Galerie (ja, die heißt so) wiedersahen: Edi Hila. Ich mag an seinen Bildern die Stille, die über ihnen zu liegen scheint; den Kontrast aus mittelformatigem, fast altmodischem Tafelbild und den modernen Formen bzw. der irrealen Architektur, die auf ihnen zu sehen ist. Mir gefiel auch die helle, blaugraue Farbigkeit, die mich an verblassende Polaroids erinnerte und an einen Buchtitel von Douglas Coupland, Polaroids from the Dead.

Edi Hila: Boulevard (2015), ein Bild von sechs, Öl auf Leinwand, unterschiedliche Maße.

Nebenan wurde die ruhige Stimmung dann radikal ruiniert: Hier waren Entwürfe zu einem Auschwitz-Denkmal von 1957 zu sehen. An dieser Ausschreibung hatte sich damals auch Joseph Beuys erfolglos beteiligt, wie ich aus den Recherchen zu meiner Masterarbeit gelernt hatte. Im Moment fallen mal wieder viele kleine Puzzleteilchen in meinem Kopf an seinen Platz. Vielleicht hat mir auch deswegen der letzte Documenta-Tag so gut gefallen.

Ich erwartete minütlich, keinen Platz mehr im Kopf zu haben und wollte im Hessischen Landesmuseum eigentlich Schluss machen, nur noch die wenigen Documenta-Exponate gucken und dann des Rest des Hauses mit altem Porzellan und Zeug. Aber dann beflügelte mich das doch alles, was ich dort so sah und so sprintete ich F. hinterher, der sich schon in Richtung Neue Neue Galerie aufgemacht hatte.

Zunächst freute ich mich mal wieder über Material: Nevin Aladağ nutzte florale und feine Muster, um daraus sechsseitige Keramikkacheln zu brennen, die aber nicht auf dem Boden lagen, sondern wie eine Gitterwand im Raum standen. Sie erinnerten mich an ein Raumelement, das ich in der osmanischen Architektur kennengelernt hatte: die vergitterten Fenster, die Licht und Luft ins Innere des Hauses lassen, die Bewohner*innen aber vor den Blicken von außen schützen. Sie bestehen eigentlich aus Holz, und ich mochte diese leichte Veränderung von Material, Aussehen und Funktion. Ich mag generell Dinge, die mir bekannt vorkommen, es aber gar nicht sind.

Von Naeem Mohaiemen lief im Obergeschoss der 90-minütige Film Two Meetings and a Funeral, der sich mit dem Non-Aligned Movement (NAM) und der Organisation of Islamic Cooperation (OIC) vor allem in den 1970er Jahren beschäftigt. Ich glaube, wir saßen 20 Minuten im Film, hatten aber auch hier schlicht keine Zeit, obwohl er viele spannende Interviews oder Original-TV-Ausschnitte zeigte. Ich fragte mich danach, wann Europa und/oder die USA Afrika als funktionierenden Kontinent aufgegeben haben und wie man das ändern könnte.

Máret Ánne Sara: Pile o’ Sápmi (2017), Vorhang aus Rentierschädeln und Metalldraht, Teil einer Installation aus unterschiedlichen Materialien.

Als Abschluss streiften wir durch die große Neue Neue Galerie. Auch hier wieder Materialspaß, Rentierschädel, Seife aus Kohle, Metallbarren. Mir gefiel die aus vielen Materialien bestehende Installation von Daniel García Andújar, The Disasters of War/Trojan Horse, die unter anderem Picassos Guernica in ein Puzzle zerlegte. In Ausschnitten sah ich mir den Film von Arin Rungjang an, der erzählt, dass sein Vater von deutschen Neonazis erschlagen wurde und dass der Berliner Führerbunker heute ein Parkplatz ist. Im Obergeschoss stand ich lange vor den grafisch-schlichten und eindrucksvollen Schwarzweißfotos von Ulrich Wüst, der unter anderem die DDR in ihren letzten Jahren und nach der Wende festgehalten hatte. An der Wand gegenüber hingen weitere Gemälde von Edi Hila, und auch sie hätte ich sofort alle mitnehmen wollen.

Daniel García Andújar, The Disasters of War/Trojan Horse (2017), Detail einer Installation aus verschiedenen Materialien.

Dieses Dinge-Mitnehmenwollen ließ mich mich selbst fragen, was ich stattdessen von der Documenta mitnehme. Zeitgenössische Kunst muss ich mir immer anders erarbeiten als ältere, die schon im Kanon verortet ist und wo mir Kataloge und Dozentinnen sagen, ja, das ist Kunst, das darfst du dir merken. Wenn etwas neu ist, muss ich erstmal gucken, ob ich das gelten lasse. Manchmal befürchte ich, genauso ignorant zu sein wie damals die Menschen Ende des 19. Jahrhunderts, die die Impressionisten als Schmierfinken bezeichnet haben. Bei vielen Dingen, die ich in den vergangenen Tagen sah, runzelte ich höchstens die Stirn oder ging gleich daran vorbei, und vielleicht habe ich die große Neuentdeckung von 2017 ignoriert, übersehen oder augenrollend links liegen gelassen, keine Ahnung. Gleichzeitig denke ich darüber nach, für wen diese Art Massenausstellung überhaupt gemacht ist. Gerade bei der irrwitzigen Entwicklung des Kunstmarkts, die dazu führt, dass nur wenige Menschen sich Kunst leisten können, frage ich mich, ob solche Ausstellungen nur noch Sammler und Kuratorinnen irgendwie weiterbringen und der Rest, so wie ich, zwar großäugig (oder gelangweilt) durch die Massen an Werken rennt, aber außer dem Klicken im Kopf nichts davon hat. Ist diese Ausstellung damit exkludierend, obwohl sie durch ihre Zugängigkeit und Preisgestaltung genau das nicht sein will? (Zu diesem Thema lese ich übrigens gerade Wolfang Ullrichs Siegerkunst.)

Ich glaube, ich nehme, wie üblich, eine Wertschätzung von Kunst mit, ganz egal ob sie mir nun gefällt oder nicht, ob sie mich verstört oder langweilt. Ich weiß zu schätzen, dass sie da ist. Ich glaube manchmal, das reicht auch schon.

Was schön war, Samstag, 29. Juli 2017 – Documenta, Tag 2

Einen richtigen Plan hatten F. und ich nicht, als wir die Documenta-Tickets gebucht hatten. Einzig die Neue Galerie war Pflichtprogramm, weil wir das Rudel von Beuys sehen wollten. Wir brachen also nach ordentlichem Hotelfrühstück auf und standen mit Öffnung um 10 Uhr in einer recht kurzen Warteschlange. Ich brachte meinen Rucksack in einen der Garderobencontainer und stellte, wie am Freitag auch schon, befriedigt fest: Die Documenta funktioniert, weil Kassel weiß, was es tut; die machen das offensichtlich nicht zum ersten Mal. Besucher*innen bringen Rucksäcke und Riesentaschen mit, die normalen Garderoben wären vermutlich zu klein, also stellt man überall Garderobencontainer auf. Praktisch und kostenlos. Ebenfalls praktisch und kostenlos: der große Faltplan, den man überall bekommt, auf dem alle Spielstätten und die dazu passenden Öffis aufgeführt sind.

Weil wir aber noch keinen Plan hatten, wussten wir nicht, was uns an den einzelnen Stationen erwartet. Ich freute mich über das Rudel, das man leider nicht ganz aus der Nähe betrachten konnte, weil irgendein Honk vor Kurzem einen Aufkleber auf den VW-Bus gepappt hat, weswegen der Raum jetzt gesperrt ist und man nur noch von außen reingucken kann. War trotzdem gut. Ich wünschte mir zum wiederholten Male eine Art Groundhopper App, nur nicht mit Fußballplätzen, sondern mit Museen oder Meisterwerken.

Im Raum vor dem Rudel hing ein Werk von Piotr Uklánski: Real Nazis (2017). Es bestand aus 203 Porträtfotos von Menschen, die das System des Nationalsozialismus mitgetragen hatten, was man unter anderem an den vielen Eisernen Kreuzen erkennen kann, die an vielen Hälsen zu sehen waren. Ich musste an die Faszination Faschismus denken, die ich gerade in der Masterarbeit angesprochen hatte, und betrachtete die vielen Stahlhelme, Uniformen und Herrenmenschen vermutlich zu lange. In der untersten Reihe war übrigens Joseph Beuys zu sehen. Dann dachte ich länger über den Titel nach: Sind die NSU-Leute keine „real Nazis“, weil sie nicht zwischen 1933 und 1945 gelebt haben? Überhaupt kann man am Wort „real“ noch weiter rumknabbern, denn die Bezeichnung „echte Kerle“ für Männer in Holzfällerhemden und „echte Frauen“ für Damen, die mehr als Größe 36 tragen, ist genauso bescheuert.

Mit Beuys beschäftigte sich noch ein weiteres Kunstwerk im Raum von Sokol Belqiri: Im Kurzfilm Adonis (2017) schneidet er einen Zweig einer Beuys-Eiche in Kassel ab und pfropft sie auf ein Bäumchen in Athen; von diesem schneidet er ebenfalls einen Zweig ab und setzt den an eine der Kasseler Eichen an. Ich mochte diese schlichte Idee der Verbindung der beiden Ausstellungsorte der Documenta und auch, dass eine der Beuys-Eichen jetzt weit außerhalb von Kassel wächst.

Meine Lieblinge im Haus: die formlosen Zeichnungen aus dem Ghetto von Władysław Strzemiński, die Collagen von Elisabeth Wild, die Klangcollagen von Katalin Ladik, die Bilder von Erna Rosenstein, vor allem die Porträts ihrer Eltern, sowie mehrere Bronzeköpfe aus dem 19. Jahrhundert aus Benin. Im unteren Stockwerk mochte ich noch die gewebten Teppiche von Marilou Schultz, die aussahen wie Platinen, sowie die Tumorskulpturen von Alina Szapocznikow: Materialwülste, -berge, -ausstülpungen, die aus der Wand zu kommen scheinen oder ein Podest überwuchern. Beides waren ältere Arbeiten, also nicht speziell für die Documenta gemacht. Überhaupt war vieles in der Neuen Galerie keine neue Arbeit, aber die Kombination von Alt und Neu war hier hervorragend.

Das alles umfassende Thema war die Provenienz von Kunstwerken. Das begann eben im unteren Stockwerk mit den persönlichen Verstrickungen von Menschen wie Beuys in ein System, das Kunstraubzüge perfektionierte, und setzte sich im Obergeschoss mit dem Rose-Valland-Institut von Maria Eichhorn fort. Dieser Blogeintrag würde ewig lang werden, wenn ich jedes Kunstwerk und seine Verbindung zu nächsten Werk aufzählen würde, daher hier nur ein paar Stichworte. Es geht grundsätzlich um Provenienzforschung, um die Bitte an Menschen, die vielleicht Kunst von ihren Großeltern geerbt haben, doch mal zu überprüfen, wann und wo diese die Kunst erworben haben. Es geht um die Rolle von Auktionshäusern im „Dritten Reich“, worüber ich vor gefühlt 100 Jahren mal eine Hausarbeit geschrieben habe. Es geht auch um die Documenta als Wiederaufbauleistung nach dem 2. Weltkrieg, die die Bundesrepublik mit ihrem Fokus auf Abstraktion klar im westlichen Bündnis verortete (ein Bild von Gerhard Richter, das Arnold Bode zeigt, ist zu sehen). Es geht aber auch um Kontinuitäten: Es sind Werke von Cornelia Gurlitt zu sehen, der Schwester von Hildebrand Gurlitt und damit Tante von Cornelius Gurlitt; es gibt Werke, die dem des Schwabinger Kunstfunds ähneln etc. Wie gesagt, das führt alles zu weit, aber für mich war das ein kleines Paradies an Kicks und Klicks im Gehirn.

Das Dumme war, dass damit mein Kopf erstmal beschäftigt war. Das Palais Bellevue nebenan durchstreifte ich nur sehr kurz, während F. dort weitaus mehr Zeit zubrachte. Ich genoss immerhin die Arbeiten von Olaf Holzapfel und Entwürfe und Modelle von Frei Otto. Dann war mein Documenta-Tag allerdings vorbei, und das lag an einer doofen Kleinigkeit.

Mein Handy nervt seit Monaten. Ich hatte vor ewigen Zeiten schon ergoogelt, dass dieses spezielle iPhone-Modell einen Softwarefehler hat, der dazu führte, dass der Touchscreen nicht mehr so reagiert wie er soll. Meine Reaktion auf diesen Satz: ACH FUCKING WAS?!? An guten Tagen musste ich Apps mehrfach aufrufen – also anklicken, nichts passiert, das Handy ausschalten, wieder anschalten, wieder klicken, nichts passiert – oder das Handy mehrfach brutal neu starten, dann ging es wieder für ein paar Tage. Anfangs hatte das Zurücksetzen auf Werkseinstellungen einmal geholfen, seitdem hielt auch das nur für wenige Tage. An miesen Tagen öffneten sich Apps von alleine, sobald das Handy angeschaltet war, Text erschien ohne mein Zutun in Textfeldern, Apps schlossen sich wieder, die Bildschirme wechselten lustig durch, und das, obwohl ich meine Finger nicht mal in der Nähe des Telefons hatte. Meine Horrorvision war immer, aus Versehen einer Dozentin einen Emoji-Kackhaufen per Mail zu schicken, aber das ist gottlob nicht passiert. Wird es jetzt auch nicht mehr, denn nach dem Palais Bellevue entschloss ich mich nach ewigem Rumärgern und Handy-Anschreien, mir ein neues Telefon zu kaufen.

Normalerweise fotografiere ich in Ausstellungen eher wenig, aber ich knipse gerne die Schilder neben den Werken, damit ich mir Namen und Werktitel nicht merken oder notieren muss, aber trotzdem Stoff für den meist folgenden Blogeintrag habe. Das ging seit Freitag nachmittag nicht mehr. Mein iPhone ließ mich netterweise noch den Parthenon of Books knipsen, aber schon beim abendlichen Festmahl lieh ich mir F.s Telefon, weil meins nicht mehr wollte. Manchmal half es, es nachts am Strom zu haben, damit es morgens wieder lieb zu mir war, aber auch das ging Samstag nicht. Also: neues Handy. Ganz toll. Wo ich gerade in Geld schwimme, ist das echt ne Ausgabe, die ich gebraucht habe. Knurr. Aber in einer fremden Stadt nicht mal auf Google Maps gucken zu können oder zu checken, wann welche Tram von wo fährt oder auch nur F. eine DM schicken zu können, dass ich schon durch bin mit Gucken und draußen im Schatten warte, war mir dann doch zu doof. Ich kaufte also ein neues Handy und verbrachte dann den Nachmittag damit, aus dem alten Mistding ein Backup zu ziehen (immerhin das ging noch) und das neue Handy startklar zu machen. Seitdem schreie ich mein Telefon nicht mehr an, sondern brabbele „OMG es funktioniert!“ vor mich hin wie ein Idiot.

Den Abend verbrachte ich aber trotzdem gut gelaunt, weil ich erstens wieder ein funktionierendes Handy hatte und weil zweitens F. einen Berg wohlschmeckendes Essen vom nahegelegenen syrischen Kebaphaus anschleppte, das wir mit Plastikbesteck auf dem Hotelzimmerfußboden genossen.

Wir unterhielten uns auch über die eher schlechten Kritiken zur Documenta (zu denen wir am Sonntag ein schönes Bilddokument fanden). Ich hatte nicht so viel gelesen, aber der Grundtenor war wohl, dass die politische Kunst zu billig war oder dass überhaupt Kunst politisch sein wollte. Das frage ich mich ja eh schon länger und das wird mich voraussichtlich auch in der Diss beschäftigen: Was will Kunst überhaupt von mir? Ich persönlich meine total unwissenschaftlich, dass Kunst natürlich politisch sein darf, es aber nicht muss, die darf auch einfach mal nett über dem Sofa aussehen. Und ich glaube, diese nette Kunst hat die gleiche Berechtigung wie die Kunst, die mir mitteilen möchte, dass wir zu viele Menschen haben, denen es nicht mehr möglich ist, in ihrem Heimatland menschenwürdig zu leben und die deshalb flüchten, dass NSU-Morde passieren, dass es Raubkunst gibt, seit es Kunst und Krieg gibt uswusf. Kunst weist mich immer auf irgendetwas hin, und das darf auch gerne mal nur die Tatsache sein, dass ich anscheinend Dinge mag, die in einer bestimmten Ordnung zu einem Stillleben aufgetürmt sind. Vielleicht bringen mich Stillleben dazu, über the internet of things nachzudenken oder dass ich noch Zitronen einkaufen muss oder dass totes Geflügel echt nicht hübsch aussieht und dass ich es vielleicht nicht mehr essen sollte. Ja, schlimme Beispiele, ich weiß. Das hier ist aber nicht meine Diss, bis dahin überlege ich mir noch was Besseres. Aber auch schlimme Beispiele machen klar: Kunst macht im besten Fall irgendwas mit mir. Dass sie das mit vielen Kunstkritiker*innen nicht mehr macht, die schon alles gesehen haben, ist nicht das Problem der Kunst, sondern das der Kritiker*innen. Ich habe mir selber meine Faszination an Kino versaut, weil ich irgendwann das Gefühl hatte, alle Geschichten schon mal erzählt bekommen zu haben. Das ist natürlich Quatsch, aber es ist genauso Quatsch zu sagen, diese Documenta ist zu politisch oder nicht politisch genug oder was auch immer. Man hat in Kassel alle fünf Jahre die Gelegenheit, eine irrwitzige Menge an Kunst auf sehr kleinem Raum zu erschwinglichen Preisen zu sehen. Ich kann daran nichts Falsches finden.

Was schön war, Freitag, 28. Juli 2017 – Kassel: Kunst und Futtern (Business as usual also, aber in Kassel)

F. und ich lungern gerade in Kassel rum, wo diese Kunstausstellung läuft, diese … na, Dings halt. Als ich im ersten Semester Kunstgeschichte in der Einführungsvorlesung saß, fragte uns der Dozent, wer denn auf der Documenta war (also die von 2012). Es meldeten sich recht viele, ich nicht, und alle, die sich nicht gemeldet hatten, bekamen einen sanften Rüffel, das wäre ja wohl das mindeste, sich für die Documenta zu interessieren. Fünf Jahre lang hatte ich ein schlechtes Gewissen, und jetzt, wo mein Studium vorbei ist, JETZT bin ich in Kassel.

Wir haben uns nur ein Zwei-Tages-Ticket gegönnt, weswegen wir Freitag nur Dinge anguckten, die frei zugänglich waren. Außerdem hatten wir die Anreise und abends eine nette Reservierung zum Tafeln, weswegen wir ganz zufrieden waren, kein großes Programm zu haben. Sobald wir in Kassel aus dem Zug kletterten, begannen wir, nach den Beuys-Eichen Ausschau zu halten, und ich war fast enttäuscht, dass es über eine halbe Stunde und eine Straßenbahnfahrt dauerte, bis wir die erste sahen. Ab dann tippten wir uns aber quasi dauernd an: „Da, noch eine“, und schon nach wenigen Stunden guckten wir nur noch blasiert in der Gegend rum. Nein, Quatsch. Ich mag die Eichen sehr gerne, weil die Idee so schön simpel ist: Ein Teil des Kunstwerks – der Basaltblock – bleibt stets gleich, während der andere Teil – die Eiche – sich ständig verändert, indem er wächst. (F. irgendwann: „Nein, Anke, das ist kein Basaltblock, das ist ein Papierkorb.“ „Egal. Beuys-Eiche.“)

Das ist eine der beiden ersten gepflanzten Eiche am Friedrichsplatz, direkt vor dem Fridericianum, einem Gebäude, das den Mittelpunkt der diversen Ausstellungsplätze bildet. Direkt nebenan steht der Parthenon of Books, eine Wiederauflage eines Kunstwerks von 1983, das verbotene Bücher zeigt. Das Werk kannte ich von diversen Fotos und quengelte innerlich immer von „instagrammable art“, aber als ich dann selber durch das Stahlgerüst mit den vielen Büchern ging, mochte ich es doch. Erstens kenne ich jetzt die Ausmaße des Parthenon, das ich noch nicht gesehen habe, und zweitens geht alles mit Büchern bei mir ja immer. Vor allem in Kombination mit dem Werk, mit dem das Fridericianum bespielt wird.

Ich habe keinen Katalog, daher trage ich Werktitel und Künstler*in irgendwann nach. Aus einem der Erker stieg in gewissen Abständen Rauch auf, während eine Stimme in verschiedenen Sprachen „Ignoranz ist eine Tugend“ flüsterte. Ich mag Kunst, die so offensichtlich im Raum stattfindet, deren Botschaft nicht auf einen Galerieraum oder ähnliches beschränkt ist, sondern die sich dauernd in dein Leben drängelt. Klar, wenn ich das alle fünf Minuten für den Rest meines Lebens hören würde, wäre mein Leben vermutlich nicht mehr sehr lang, weil nervig, aber für die Dauer des Aufenthalts im Parthenon und die Zeit, die wir mit den Eichen und mit de Marias vertikalem Erdkilometer, den ich dringend sehen wollte, verbrachten, fand ich es immerhin reizvoll. Vielleicht sehr auf die Zwölf, aber F. meinte, vielleicht braucht man in einer Zeit, in der einfache Parolen zu wirken scheinen, halt Kunst, die ebenso einfach funktioniert.

Über dem Eingang des Fridericianum steht normalerweise der Name des Gebäudes; derzeit steht dort „Being safe is scary“, und auch das ist auf die Zwölf, aber auch das passt halt gerade. Wenn Menschen in reichen Wohlstandländern Busse angreifen, in denen Flüchtlinge sitzen, dann stimmt das so. Auf die Flüchtlinge trifft der Satz vermutlich allerdings so gar nicht zu, was wieder Fragen öffnet nach „Für wen ist Kunst überhaupt gemacht – denkt man beim Schaffen auch an die Rezipienten?“ oder ähnlich.

Wir spazierten dann noch durch die Elisabethkirche – da steht ne Kirche, also geh ich da rein – und bestaunten die Architektur. Mir gefiel, dass sich der Neubau aus dem 20. Jahrhundert an dem zerstörten aus dem 12. Jahrhundert orientierte: die hohen Wandöffnungen für das Licht und der einschiffige Kirchenraum, der außen noch zwei Seitenschiffe andeutet, erinnerte mich sehr an die Romanik. Ich murmelte die ganze Zeit #506070kassel vor mich hin – ein Instagram-Hashtag, der sich auf Architektur der jeweiligen Jahrzehnte bezieht –, denn wir sahen erst abends in der Nähe des Restaurants mal mehr als ein Altbaugebäude. Wir hatten einen Tisch im Voit reserviert und jetzt, wo wir da waren, kann ich euch nur empfehlen, es uns gleichzutun. Vielleicht ein Jäckchen oder ein Kissen für die etwas unbequemen Stühle mitnehmen.

Der Gruß aus der Küche war Tunfisch in einer Krustentiersauce. Beim ersten Bissen dachte ich, huch, was, WTF?, beim fünften hätte ich von der Sauce einen ganzen Teller leeressen wollen. Die war etwas sperrig, wurde dann aber sehr spannend.

Erster Gang: gleich noch mal Tunfisch, dieses Mal mit hübsch arrangierten Gurke, Melone, Misomousse und Senfkörnern. Die Weine lasse ich mal alle weg, obwohl F. sie sich brav notiert hat; ich vergesse die immer sofort, sobald der Kellner die Flasche aus meinem Blickfeld nimmt. Mir fiel gestern der Unterschied zum Broeding auf: Dort ist die Küche zwar auch immer hervorragend, aber doch eher klassisch; dafür sind die Weine stets spannend. Im Voit scheint die Philosophie eine andere zu sein: Hier steht das Essen im Mittelpunkt, während der Wein wirklich nur begleitet. Der war immer stimmig und schmackhaft, aber mehr als einen würde ich davon nicht nach Hause tragen wollen, während ich im Broeding quasi von allem alles kistenweise ordern möchte.

Rindertatar mit Champignons, Avocadotupfen, winzigen Zwiebelscheibchen und knusprigem Brot. Klingt so simpel, war aber mit jeder Gabel ein großes Vergnügen.

Eine kurz gebratene Jakobsmuschel in kalter Erbsensuppe, von der ich auch deutlich mehr hätte essen wollen. Passte von der Menge aber natürlich, was wir daran merkten, dass wir keinen Käsegang haben wollten.

Maishuhn, sous vide gegart (was für eine Konsistenz!), dazu Kartoffelpüree und -chips und eine kleine Tomate. Auf den grünen Bohnen, bei denen ich zunächst nur Thymian schmeckte, lagen noch winzige Olivenstücke, bei denen ich mir nicht sicher bin, ob sie da hingehören.

Zum Magenaufräumen gab’s eine perfekte Nocke Sanddornsorbet – mit Dillöl! Über diese Kombi konnte ich mich den ganzen Abend nicht beruhigen. Ich bin nicht der Riesendillfan, und ich hätte nicht gedacht, dass er in seiner Zickigkeit mit dem ebenso zickigen Sanddorn klarkommt, der für mich so ein unentschlossenes Ding zwischen süß und herzhaft hist. Passte aber ganz hervorragend.

Adlerfisch mit Bouchot-Muscheln und Artischockenpüree. Sagt jedenfalls die Karte, für mich schmeckte das nach Fenchel. Das gelbe müsste Süßkartoffel gewesen sein, und auch hier wusste ich nicht, ob’s das gebraucht hätte. Es kann aber auch sein, dass ich durch das ganze Masterchef-Australia-Gucken in den letzten Wochen etwas verdorben bin, wo einem immer gesagt wurde, dass nur auf den Teller gehört, was da halt drauf soll. Ich war mir gestern bei mehreren Gängen unsicher, wieviele Geschmäcker ich denn noch im Mund haben soll. Das passte alles, aber manchmal quengelte ich innerlich, dass ich gerne mehr Geradeaus-Gänge haben wollte, die nicht dauernd mit noch einer Komponente um die Ecke kommen.

Kalbstafelspitz, ebenfalls sous vide gegart und daher unglaublich zart und toll. Hier quengelte ich, dass ich statt Spargelmousse und Spargel lieber eine Kombi gehabt hätte. Man konnte es mir nicht ganz recht machen, aber ehe das jetzt klingt, als wäre alles doof gewesen: Es war alles toll. Hier mochte ich besonders die rote Zwiebel, deren Sechzehntel man zerteilen und mit dem Spargel kombinieren konnte. Und hier gab’s dann auch den einzigen Wein, den ich nochmal trinken wollen würde: einen Hensel Aufwind Spätburgunder von 2015. Beim ersten Schluck dachte ich, ich hätte Butter im Mund, so weich war der Wein. Er veränderte sich dann von Minute zu Minute, die er im Glas war, bis er schön kapriziös rumduftete und -schmeckte.

Erdbeere, Vanille, Jogurt, Schokoladenerde, danach noch Espresso und für mich den üblichen Haselnussgeist, während F. sich gerne durch andere Obstbrände trinkt. Wir ließen uns mit der Tram nach Hause chauffieren und rollten glücklich ins Bett.

Was schön war, Mittwoch, 26. Juli 2017 – Aus bräsiger Gewohnheit ins Online-Transcript-of-Records gucken

Im Prüfungsamt sagte man mir, die Note für die Masterarbeit und das Gutachten dazu müssten bis Ende August vergeben bzw. geschrieben sein. Viel früher rechnete ich auch nicht damit, aber ich habe es mir in den vergangenen neun Semestern blöderweise angewöhnt, trotzdem viel zu früh ins Online-Tool zu gucken, weil ich es nie erwarten kann, meine Noten zu sehen. Ja, Streberin, ja, ich weiß, aber ich kann inzwischen damit leben, in manchen Dingen sehr gut sein zu wollen und auf erbrachte Leistungen stolz zu sein.

Normalerweise warten immer mehrere Seminarnoten auf mich, aber im letzten Semester schrieb ich ja nur meine Masterarbeit. Das fiel mir aber erst ein, als ich auf „PDF erzeugen“ geklickt hatte, was dann den Notenspiegel runterlädt. Über mich selbst augenrollend klickte ich das PDF an, denn obwohl ja noch nichts drinstehen kann: Wenn ich was runterlade, wird das angeklickt. Also klickte ich – und sah sehr überrascht die Note für meine Masterarbeit, mit der ich noch gar nicht gerechnet hatte.

Solange ich das Gutachten noch nicht gelesen und vor allem die Endnote für mein Masterstudium noch nicht habe, bleibt der Schampus zu und das Feuerwerk ungezündet. Aber ich lasse mal mein Lieblings-gif hier.

(1,0.)