Tagebuch, Dienstag bis Freitag, 5. bis 8. September 2017

Was nicht so schön war:

– ein Termin bei meiner Hausärztin, die seit Jahren an meinen Schilddrüsenwerten rumdoktert. Bei mir wurde vor Ewigkeiten Hashimoto diagnostiziert, und seitdem ich Schilddrüsenhormone nehme, geht es mir weitaus besser als jemals zuvor. Bis dahin dachte ich, ich sei halt lethargisch, müde, undiszipliniert und traurig. Bis ich begann, Medikamente zu nehmen, und auf einmal war ich dermaßen besser gelaunt, dass ich mich kaum wiedererkannte. Dass sich mein Leben in den letzten Jahren derart drastisch verändert hat und ich – was viel wichtiger ist – damit klarkomme, liegt meiner Meinung nach auch an den Hormonen.

Trotzdem sind meine Schilddrüsenwerte gerade nicht so okay und mein Stoffwechsel ist seit Monaten total im Keller – O-Ton Ärztin: „Selbst wenn Sie gar nichts essen, würden Sie nicht abnehmen.“ Das will ich ja auch gar nicht, weswegen es mich wahnsinnig macht, dass die Dame neuerdings trotzdem davon anfängt, obwohl das ja, laut ihren eigenen Worten, kaum bis gar nicht möglich ist. Eigentlich fühle ich mich seit Jahren bei ihr wohl, weil sie mich mit dem Thema in Ruhe lässt, aber diese Woche wollte sie mir irgendwelche Ergänzungsprodukte verschreiben, die „slim“ oder sowas im Titel hatten, was mich sehr überrumpelt hat. Online schaffe ich es, jede Diskussion um richtige oder falsche Ernährung oder was irgendwer sich jetzt gerade darunter vorstellt, weiträumig zu umgehen und blocke und mute auch sehr freigiebig bei Dickenwitzen und Clean-Eating-Scheiß. Offline wirft mich sowas doch immer noch sehr aus der Bahn, wie ich feststellen musste.

– ein Termin bei meiner Masterprüferin, deren Gutachten mich zwar sehr gefreut hat, die aber sehr lange mit mir mein Diss-Thema (bei einem anderen Dozenten) auseinandergenommen hat. Eigentlich war das ein 10-Minuten-Termin, aber ich kam erst nach einer Stunde wieder aus dem Raum mit einem sehr großen Fragezeichen über dem Kopf. Sie hatte ein paar schlimme Killer-Argumente gegen meine bisherige Idee, dafür aber auch eine tolle neue Fragestellung. Darüber grübele ich seit Dienstag und weiß gerade nicht so recht, was ich machen soll. Außer mich vier Wochen in der ZI-Bibliothek einzuschließen, worauf es vermutlich ab Montag hinauslaufen wird.

Ich fand es sehr spannend, wie mich verschiedene Dozent*innen wahrnehmen. Sie kennt mich, laut Eigenaussage, als jemand, die sich nicht mit gängigen Forschungsmeinungen zufrieden gibt, sondern immer nach Gegenargumenten sucht, um dann zu einer eigenständigen, neuen Meinung zu kommen; ich lese halt keine zwei Kataloge, sondern 20 und pflüge durch die ganze Bibliothek, um zu meinem Schluss zu kommen. Sie kennt mich auch als jemand, die sich eher mit zeitgenössischer Kunst beschäftigt. Mein Doktorvater kennt mich hingegen als jemand, die nicht nur eine Quelle auswertet, sondern fünf, und nicht nur in einem Archiv sucht, sondern in zehn; er kennt mich als jemand, die gerne mit Originalen arbeitet und eben in der NS-Kunst zuhause ist. Ich wusste selbst nicht, dass ich diese zwei Seelen habe, aber sobald die Dozentin dieses Thema erwähnte, fiel mir auf, dass das absolut richtig ist.

Was schön war:

– die Reaktion von F., als ich ihm das Gespräch mit der Dozentin mailte, auch um für mich selbst alle Punkte festzuhalten:

– ein gutes Vorstellungsgespräch in einer kleinen, netten Agentur gehabt. Ich hatte seit 2004 kein Vorstellungsgespräch mehr und war ein paar Tage lang nervöser als nötig. Das verflog aber, sobald ich im Konfi saß und sich alles wieder vertraut nach Werbung angefühlt hat. Im Gegensatz zu Kunstgeschichte weiß ich da nämlich, was ich kann und dass ich gut bin.

– auf dem Nachhauseweg einen Blick auf die Isar geworfen und mir erstmals überlegt, ob ich mich mit den Lauftights mal hierher trauen oder weiterhin geschützt hinter Friedhofsmauern rumwalken sollte. Dicke Menschen beim Sport irritieren einige Idioten sehr, und ich möchte einfach keine Scheißsprüche abkriegen. Aber am Fluss langlaufen! Das wäre so schön!

– Vorfreude auf die Wiesn mit Stargast am Tisch!

– einen Abend im Lieblingsbiergarten mit der besten Freundin aus Hamburg und ihrer Frau, die sehr spontan in München auftauchten. Gelernt, dass es 0,33-l-Bierkrüge gibt, was ich sofort instagrammen und twittern musste. Seitdem weiß ich, dass man diese Form „Rentnerhalbe“ nennt. In Bayern – oder München, was weiß denn ich, ich lerne das ja alles immer noch – bestellt man eine Halbe (ich) oder Hoibe (Menschen, die baierisch sprechen, also nicht ich, NIEMALS ICH), wenn man 0,5 haben will.

Eben auf Twitter nannte jemand das Krüglein ein Degustationsglas. Sehr gelacht.

Masterarbeit „Auseinandersetzung und Aneignung. NS-Thematik im Frühwerk von Anselm Kiefer und Markus Lüpertz“

Da ist das gute Stück endlich. Ich habe gestern das Gutachten eingesehen, das mich sehr gefreut hat, wie natürlich auch die Note; ich erwähnte die 1,0 ja bereits. Jetzt mit Abstand fallen mir natürlich wieder tausend Sachen ein, die ich noch hätte erwähnen können, aber ach, die olle Wissenschaft ist ja nie fertig.

Ich mag die Arbeit trotzdem immer noch sehr – vielleicht liest sie ja sogar der/die eine oder andere unter euch. Deswegen steht sie hier nämlich. Das Abbildungsverzeichnis steht hier, dann müsst ihr nicht dauernd wild rumscrollen.

Ich wünsche viel Spaß – oder: viele Erkenntnisse – beim Lesen.

Was schön war, Montag, 4. September 2017

Mein kluges Köpfchen für dumm verkaufen.

Wenn ich tagsüber nicht aus dem Haus muss, also am eigenen Schreibtisch arbeite, hole ich morgens immer die FAZ aus dem Briefkasten, aus dem ich sie sonst ziehe, wenn ich halt raus muss, ins ZI, in die Bibliothek usw. Das heißt, ich schlüpfe nach dem Duschen nicht in meine üblichen In-den-Tag-starten-Klamotten, in denen ich frühstücke, blogge und rumlungere, bevor ich aus dem Haus gehe, also die Hose mit dem Gummizug und die Shirts, in denen ich nicht mehr gesehen werden will, die aber so herrlich bequem und schlumpfig sind. Dazu: keine Socken, kein BH. Statt nun in diesem sehr privaten Aufzug auf dem Sofa Kaffee zu trinken, ziehe ich an Home-Office-Tagen die Jeans an, ein anständiges Oberteil, Socken und Schuhe (kein BH, soviel Luxus muss sein) und stapfe nach unten, um meine Zeitung zu holen. Da ich fünf Stockwerke überwinden muss und ich somit die Chance habe, gefühlt 40 Leuten begegnen zu können, möchte ich wenigstens halbwegs vorzeigbar aussehen. Wenn ich mit der Zeitung wieder in der Wohnung bin, wird die Ausgehklamotte mit der Rumschlumpfklamotte vertauscht und es geht mit Kaffee – und Zeitung – aufs Sofa.

Wenn ich morgens allerdings walken gehe, kann ich meinen Kopf immer davon überzeugen, dass er diesen ganzen Aufwand gar nicht betreiben musste. Ich musste nicht die anständigen Klamotten anziehen, um runterzugehen, denn ich bin ja schon unten, wie praktisch, da kann ich gleich die Zeitung mitnehmen. Ich freue mich ernsthaft beim Walken darüber, die Zeitung nicht extra aus dem Briefkasten holen zu müssen. Dass ich dafür eine Stunde durch die Gegend stratze, scheint mein Kopf als weniger nervig zu empfinden, als noch vor dem Frühstück eine Jeans anziehen zu müssen. Vielleicht liegt es daran, dass meine Sportklamotten ähnlich bequem sind wie meine Schlumpfklamotten.

Unsere Hofkatze.

Seit ich hier wohne, lungert im Hof meist irgendeine Katze rum. Früher war es eine kleine graue mit längerem Pelz, die aber sehr mager war und eines Tages nicht mehr wiederkam. Seit einigen Monaten sehe ich eine deutlich feistere weiße Katze mit roten Flecken, die zunächst etwas scheu in der Hofecke saß, dann gerne mal mitten drin, und inzwischen maunzt sie einen an, wenn man es wagt, an ihr vorbeizugehen, ohne sie zu streicheln. Ich ahne, dass sie zu irgendwem im Haus gehört, aber ich weiß es nicht. Ich bin ihr neulich mehrere Male im Treppenhaus begegnet, das jetzt anscheinend auch zu ihrem Revier gehört, und einmal saß sie im Fahrradkeller fest, als ich mein Rad holte. Ich achtete darauf, dass sie draußen war, bevor ich die Tür wieder schloss und sah ihr zu, wie sie durch die weit auseinanderstehenden Gitterstäbe des Hoftors auf die Straße lief.

Vorgestern sah ich sie aus einer Hofeinfahrt gegenüber kommen. Sie lief auf dem Radweg direkt an den parkenden Autos entlang; wir hatten den gleichen Weg, daher ging ich ihr solange es ging hinterher und achtete darauf, wie sie sich bewegte. Nach dem Radweg bog sie auf den Fußweg, wo sie immer an den Häuserwänden langlief. Irgendwann verschwand sie in einer Einfahrt.

Und gestern begegnete ich ihr, als ich eine Mülltüte in einem unserer zwei Container entsorgen wollte. Ich öffnete vorsichtig den einen, während sie oben auf dem zweiten thronte und mir zusah. Ich entfernte mich ein wenig, um sie nicht zu stören, woraufhin sie vom Container aufs Garagendach sprang und dort oben herumspazierte. Seitdem bin ich der Meinung, dass sie eine Reinkarnation der roten Zora ist, die ihr Revier auskundschaftet, sich aber brav an Verkehrsregeln und Umgangsformen hält.

Ein Lob vom Prüfungsamt.

Vormittags war ich mal wieder im Promotionsbüro des Prüfungsamtes, um die Unterlagen für eine Promotionszusage abzugeben. Die werden jetzt durchgesehen, dann kriege ich hoffentlich die Zusage, und mit der kann ich mich dann in der Studierendenkanzlei einschreiben, um weiterhin mein geliebtes Semesterticket zu haben. Der wichtigste Grund für eine Promotion. Ist klar.

Ich hatte mich auf unserer Website natürlich brav informiert, was man alles anschleppen musste, stand nun mit einem Berg an Originalen und Kopien im Büro und fragte die betreuende Dame, was sie denn als erstes haben möchte.

„Erstmal den Antrag auf Annahme zur Promotion.“

„Hab ich da.“

„Dann die Betreuungszusage.“

„Hab ich.“

„Dann ihr Bachelor- und ihr Masterzeugnis.“

Ich zeigte die Originale vor und gab die Kopien ab, die als „gesehen“ oder ähnlich gestempelt wurden.

„Dann das Führungszeugnis.“

Original, Kopie, Stempel.

„Dann den Lebenslauf.“

Den hatte ich zwar auch zweimal ausgedruckt, aber das war natürlich überflüssig. Sie nahm einen Ausdruck, ich unterschrieb ihn.

„Und zum Schluss den Personalausweis. Haben Sie den auch kopiert?“

„Äh, nee. Dürfen Sie aber gerne.“

Dame kopierte.

„Gut. Dann schicken wir Ihnen die Promotionsberechtigung zu. Danke für die gute Vorbereitung. Schönen Tag noch.“

„Danke gleichfalls.“

Ich hatte sicherheitshalber noch alle Transcripts of Records dabei, meine Studienverläufe aus Bremen und Hannover aus den 1990ern, die ich für die legendäre Immatrikulation gebraucht hatte, und sogar noch mein Abizeugnis, DENN MAN WEISS JA NIE, aber die brauchte ich netterweise nicht. Trotzdem: Sichthüllen-Mentalität wins again.

Was schön war, Freitag bis Sonntag, 1. bis 3. September 2017 – Runterkommen

Wie angespannt ich vor dem ersten offiziellen Gespräch mit dem Doktorvater war, merkte ich erst Freitag, als ich nach komatösem Schlaf erwachte. Der September begann mit deutlich kühlerem Wetter, was mir außerordentlich gut gefiel. In meiner quietschbunten Regenjacke machte ich mich zur Villa Stuck auf, um mir eine Ausstellung über Willy Fleckhaus anzuschauen.

Ich zückte am Eingang wie immer meinen Studentenausweis und bat um Ermäßigung, als die Dame an der Kasse meinte, ich käme als Kunstgeschichtsstudentin umsonst in die Villa Stuck. Das war mir neu, und auch auf der Website steht davon nichts, aber zu diesem freundlichen Angebot sagte ich natürlich nicht nein, schloss Jacke und Rucksack im Untergeschoss ein und fuhr mit dem Fahrstuhl in den 2. Stock, wo die Ausstellung begann und wo man mir freundlich sagte, dass ich ohne Blitz gerne fotografieren dürfe.

Den ersten Raum habe ich schon wieder vergessen; ich hielt mich am längsten im zweiten auf. Dort lagen in einer Vitrine in der Mitte mehrere Ausgaben der twen und ein paar Photokina-Kataloge. An den Wänden hingen aufgezogene Doppelseiten, teils mit einleitendem Text, vor allem zu den Fotografen, die die twen ebenso wie Fleckhaus’ Gestaltung mitprägten. Von der Fotografin Christa Peters war leider nichts zu sehen, wenn ich richtig geguckt habe. Mir haben vor allem die Bilder von Will McBride gefallen, die auch noch 50 Jahre später in jedem Magazin gut aussehen würden. Oder in der Werbung; im dritten Raum hing eine Reportrage über Jugendliche am Strand, und bei so ziemlich jedem Bild suchte ich das Calvin-Klein- oder das Ralph-Lauren-Logo.

Mit den Texten der twen hatte ich allerdings deutlich mehr Schwierigkeiten, und das wäre auch mein erster Kritikpunkt an der Ausstellung. Ich hätte mir eine bessere Einordnung und Kontextualisierung gewünscht. Wie beeindruckend modern die Gestaltung der twen war, wäre noch eindrücklicher, wenn man ein paar Vergleichsseiten aus anderen Medien gesehen hätte. Und wenn man auf die progressive Themensetzung verweist (Juden in Deutschland in den 1960er Jahren, Homosexualität etc.), dann hätte ich mich über eine Einordnung der ganzen peinlichen Machoscheiße gewünscht, die einem aus jeder Doppelseite entgegentroff. Die Art, wie über Frauen geschrieben wurde und wie sie fotografisch in Szene gesetzt wurden, entsprach sicher dem Zeitgeist, aber da hätte ich mir eine Abgrenzung gewünscht. So stehen Peinlichkeiten wie „Die Sextigerin aus Finnland“ über ein Bond-Girl (ich meine Ursula Andress, aber die ist Schweizerin) und „Die renovierte Romy“ über Romy Schneiders neue Beziehung gleichauf mit fortschrittlichen Themen, ohne das klar gemacht wird, dass eben auch altmodisch-patriarchalischer Rotz im Blatt zu finden war, auch wenn er für damalige Verhältnisse supi-locker formuliert war.

Zweiter Kritikpunkt: die Hängung. Im dritten Raum erklang Jazzmusik, was mir sehr gefiel, und an den Wänden hingen diverse Seiten, die einen guten Überblick über das gestalterische Schaffen von Fleckhaus gaben. Aber: Sie hingen teilweise auf Kniehöhe, so dass man ohne Rückenschmerzen kaum etwas lesen konnte. Ich weiß, es geht um die Grafik, aber trotzdem: Wenn ihr schon was aufhängt, warum dann nicht so, dass man es in Gänze betrachten kann? Den Artikel über den „lustigen Nationalsozialisten Gottfried Benn“ hätte ich gerne gelesen.

Im vierten Raum konnte ich mich wieder davon überzeugen, dass die 70er Jahre fürchterlich hässlich waren, und auch drei weitere Staffeln Mad Men hätten mich nicht vom Gegenteil überzeugen können. Dann geht man eine Treppe hinunter, guckt auf ein paar Plakate, biegt um die Ecke und sieht dann das, weswegen ich in die Ausstellung wollte: die edition suhrkamp, von Fleckhaus 1963 gestaltet. 48 aufeinanderfolgende Bände folgen dem Farbspektrum des Regenbogens, ab Band 49 geht alles wieder von vorn los. Das Titeldesign wurde erst 2004 leicht verändert, die Farbigkeit blieb.

Hier gefiel mir der Ehrenplatz, den diese Buchreihe bekommen hatte – eine kleine Nische ganz für sich alleine. Gegenüber in der Vitrine lagen Suhrkamp-Taschenbücher, die Fleckhaus ebenfalls gestaltete, und ich lernte, dass er bewusst Titelblatt und Titelschrift in nah beieinander liegenden Farbtönen gewählt hatte, also blaues Cover mit dunkelblauer Schrift etc. Jeder, der schon mal ein Suhrkamp-Buch gekauft hat, müsste wissen, was ich meine. Diese Gestaltung wurde irgendwann aufgegeben; mein liebstes Suhrkamp im Regal ist Rainald Goetz’ Irre: ein violettes Cover mit neongelber Schrift.

Am FAZ-Magazin marschierte ich recht schnell vorbei, das kannte ich noch selbst aus den 80ern, während ich es schon spannend fand, die twen mal ausführlicher anschauen zu können. Wenn nur das Lesen nicht so anstrengend gewesen wäre.

Wer durch die Ausstellung laufen möchte, muss sich beeilen, sie ist nur noch bis zum 10. September zu sehen.

Am Samstag genoss ich es sehr, lange neben F. zu schlafen. Abends gingen wir auf eine Geburtstagsfeier, auf der ich über NS-Kunst reden konnte, Cold Brew und Bayern München. F. blieb länger, während ich durch die kühle Dunkelheit zum Bus ging, der zeitgleich mit mir an der Haltestelle ankam. Am Olympia-Einkaufszentrum stieg ich in die Bahn, am Scheidplatz in die nächste und freute mich wie so oft über einen funktionierenden Nahverkehr.

Das fiel mir schon neulich auf, als mein Vater, meine Schwester und ihr Mann mich besuchten, die auf dem Land fast ausschließlich im Auto, manchmal auf dem Rad, unterwegs sind. Für sie war das fürchterlich umständlich, dieses ewige zu einer Haltestelle gehen, warten, umsteigen, zum Ziel gehen, während es für mich total entspannend ist, weil ich passiver Verkehrsteilnehmer bin, mich andere schnell und bequem irgendwo hinchauffieren, ich auf dem Weg lesen kann anstatt im Stau zu stehen und sogar viel Bier trinken darf. Ich mag die Öffis; ich habe in fünf Jahren München ein Auto nur zweimal vermisst – als ich für größere Anschaffungen zu Ikea wollte.

Am Sonntag erholte ich mich von den vielen Menschen auf der Party (15! Mit Kindern!) und genoss das Alleinsein. Ich schlief lange, las viel, ließ uralte Grey’s-Anatomy-Folgen nebenbei laufen, aß ein paar Salamibrote und guckte stumm und zufrieden aus dem Fenster.

Abends kam eine Mail des Kurators unserer Ausstellung in Rosenheim, und ich konnte zum ersten Mal alle Wand- und Objekttexte lesen – also nicht nur meine, sondern alle im Zusammenhang. Ich fand den roten Faden sehr stringent und die Texte sehr informativ. Das wird gut. Ich würde mich freuen, wenn der/die eine oder andere von euch Zeit für diese Ausstellung hätte. Man muss sich nicht mal für NS-Kunst interessieren, es reicht schon, ein paar lokale Künstler interessant zu finden. (Wir haben nur eine einzige Frau in der Ausstellung.)

Vom Doktorvater erfuhr ich, dass unser Katalog ein Brocken mit fast 400 Seiten werden wird; auch auf den bin ich sehr gespannt. Und ich freue mich schon auf das Kolloquium am 4. Oktober im Zentralinstitut für Kunstgeschichte.

Was schön war, Montag bis Donnerstag, 28. bis 31. August 2017 – Bunte Tüte

Nach der letzten Physiositzung mit weichgeknetetem Nacken in der ZI-Bibliothek sitzen und über Dinge lesen, die rein gar nichts mit meinem Forschungsfeld zu tun haben. Ich bereitete den Blogeintrag über Audiences von Thomas Struth vor und schleppte bergeweise Literatur zum Künstler und zu Fotografie im Allgemeinen an den Platz. Ich habe es so genossen, lesen zu können, um nur für mich (und meine Blogleser*innen) etwas zu lernen. Sowohl Thema als auch Entstehungszeitpunkt als auch Medium sind ganz weit weg von dem, was ich in der Diss anfassen werde, daher hat sich das wie Freizeit angefühlt. Schlaue Freizeit.

In einem Teeladen die Nase in diverse große Tonnen mit losem, duftenden Tee halten. Flashbacks zu Teepartys aus den 80er Jahren. (Die norddeutsche weibliche Jugend wird sich erinnern.)

Der U-Bahn-Fahrer, der die Stationen mit einem bestimmten Artikel davor ansagte: „Der Bonner Platz … die Münchner Freiheit …“ Das klang sehr schön, weil es auf einmal weniger beliebig war, kein Irgendeinort mehr, sondern: die Münchner Freiheit.

Mal wieder so ein innerliches glücklich-sehnsüchtiges Ziehen im Bauch gehabt weil München. Diese Sehnsucht ist komisch, denn ich wohne ja jetzt hier, ich müsste gar nicht sehnsüchtig sein. Aber wenn ich zur Uni radele, vermisse ich den Nordfriedhof, und wenn ich da rumlaufe, vermisse ich die Ludwigstraße, und wenn ich die entlangfahre, vermisse ich den Biergarten, und wenn ich in dem sitze, vermisse ich die Pinakotheken. Dauernd vermisse ich was und dabei bin ich doch da. Ein gutes Vermissen. War anscheinend die richtige Entscheidung, hierher zu ziehen.

Die Klimaanlage beim Zahnarzt. Ich habe mich ernsthaft auf den Zahnarzt gefreut, weil ich wusste, da ist es kühl, während es draußen 30 Grad sind (und in meiner Wohnung nach Tagen der Hitze 26).

Morgens vor der Alten Pinakothek an der Bushaltestelle stehen und Leute anschauen, wie sie im Gras sitzen, joggen, walken, sich sonnen, auf Bänken sitzen und lesen, Hunde ausführen, Rollkoffer ziehen, in einem Stadtplan checken, ob sie hier richtig sind, einzeln und in Gruppen auf die Öffnung des Museums warten und dann langsam die Treppe hochgehen.

Im frisch bezogenen Bett liegen und lesen. Ein Evergreen des „Was schön war“.

Einen halbstündigen Termin mit dem Doktorvater haben, der eigenlich nur die Betreuungszusage unterschreiben sollte, aber dann kamen wir doch ins Reden und ich kam mit drei vollgeschriebenen Moleskine-Seiten und 500 guten Ideen nach 90 Minuten wieder aus seinem Büro. Auch deswegen wollte ich den Herrn als Betreuer haben – weil kurze Gespräche mit ihm immer positiv ausarten und er sein Wissen sehr freigiebig teilt.

Eine Mail vom DDR-Museum, das irgendwie meinen letzten Blogeintrag zu lesen bekommen hat, in dem ich Bildungslücken über die DDR offenbarte. Die Betriebsleiterin würde sich freuen, mir ihren neuen DDR-Führer zuschicken zu dürfen. Dankeschön!

Dem Regen zuhören, bei Temperaturen weit unter 30 Grad. Endlich ist der Sommer vorbei.

In zwei Tagen werde ich anfangen, Biergärten, langes Abendlicht, Balkonsitzen und F. in Cargoshorts zu vermissen.

Ein kindisches Dankeschön …

… an Natalia, die mich zum wiederholten Male mit einem Buch überraschte – dieses Mal mit Mawils Kinderland. Ich lese bekanntlich gerne Biografien und so ganz hat mich der Gedanke daran, eine zu schreiben, auch noch nicht losgelassen, aber jetzt wird die Diss wohl doch in eine andere Richtung gehen. (Doktorvater: „So eine klassische Biografie ist bei uns eigentlich ein bisschen altmodisch als Diss.“ Aber ich bin doch altmodisch! Wer wenn nicht ich? Aber gut. Zurück zu Biografien generell:) Kinderland beschreibt eine Kindheit in der DDR, die für mich immer noch fremd ist. Ich war zwar einige Male „drüben“, als es sie noch gab, aber im Prinzip ist die DDR für mich genauso Ausland wie es Frankreich und Italien sind. Das merke ich vor allem, wenn ich mich mit der Kunst der DDR beschäftige – da weiß ich weniger als über Kunst aus Frankreich und Italien. Daher freue ich mich derzeit über alles, was auch nur ansatzweise an dieses Thema andockt. So habe ich gerade vorgestern mit meiner Physiotherapeutin, die aus der DDR kommt, über die Architektur und die Präsenz des Palastes der Republik gesprochen und dass ich es schade finde, dass er nicht mehr steht, was sie nicht ganz so schade fand. Kinderland ist ein weiteres kleines, total unwissenschaftliches, aber dafür garantiert unterhaltsames Puzzlestück. Vielen Dank für das Geschenk, ich habe mich sehr gefreut.

Kunst gucken: Einzelmeister –
Thomas Struth, „Audiences“ (2004)

Ich verwies neulich auf einen neuen Podcast der amerikanischen Komödiantin/Schauspielerin Abbi Jacobson, die sich mit Gästen für knapp 20 Minuten lang ins MoMA stellt und angeblich dumme Fragen an Kunst hat: Was soll das Rad auf dem Hocker von Duchamp? Wieso malte Warhol Dosensuppen? Fragen an Kunst sind nie dumm, weil man damit ganz simpel anfängt, über Kunst nachzudenken. So ähnlich gehen wir an unseren Fehlfarben-Podcast: Irre viel Ahnung haben wir auch nicht und wir fragen uns dauernd was, wenn wir in Ausstellungen stehen, und anstatt dann im stillen Kämmerlein zu diskutieren, nehmen wir uns beim Lautdenken halt auf.

Seitdem mein Studium etwas fortgeschrittener war, habe ich mir meist vor oder nach den Ausstellungsbesuchen noch irgendwas angelesen, damit die Hörer*innen nicht nur ahnungsloses Gestammel hören. Trotzdem stehe ich natürlich weiterhin vor vielen Werken genau so: ahnungslos. Die Ecke der Kunst, in der ich mich ein bisschen auskenne, ist winzig, immer noch. Daher versuche ich mal eine neue Serie im Blog: Einzelmeister. Ich stelle mich ins Museum und schreibe auf, wie ich gucke und was ich sehe, meist recht ahnungslos. Und erst danach radele ich ins ZI, lese was Schlaues dazu und schreibe das in einen zweiten Textblock. Mal sehen, was dabei so rauskommt.

Mein heutiger Einzelmeister ist Thomas Struths Audiences (2004), das mir von seiner Ausstellung Figure Ground am besten gefallen hat. Wir sprachen über die Ausstellung im letzten Podcast; sie läuft noch bis zum 7. Januar 2018 im Haus der Kunst in München.

Ihr könnt das Bild bzw. die Bilder, denn das Werk besteht aus vier Tafeln, ab 10.53 min im Ausstellungstrailer sehen, hier nicht vollständig im Raum und hier als einzelne klickbare Teile. Im Haus der Kunst hängen von rechts nach links die Bilder 5, 4, 11 und 7.

Was ich sehe:

Das Werk besteht aus vier großen Farbfotografien, geschätzt zwei mal drei Meter breit. Die vier Einzeltafeln hängen schräg im Raum, im Gegensatz zum Rest der Ausstellung, der brav an Wänden hängt. Ich weiß nicht, warum, aber schon diese Hängung hat mir gefallen. Man schaut zu den Bildern auf, sie hängen nicht auf bequemer Augenhöhe. Was sofort auffällt, ist die Parallele zu den abgebildeten Menschen, denn auch sie schauen nach oben.

Auf allen vier Tafeln sind frontal Menschen in Freizeitkleidung zu sehen, die ihren Blick nach oben richten. Aus dem Wandtext wird klar: Sie stehen in einer Rotunde vor Michelangelos David-Statue in Florenz, sicherlich einem der bekanntesten Werke der Kunstgeschichte. Der Fußboden ist rot und grau gemustert, hinter den Menschen sind graue Säulen zu sehen; rechts im Bild geht die Galerie weiter, man sieht goldgerahmte Bilder, ohne diese erkennen zu können. Der Fotograf stand anscheinend links von David und schaute sich die Menschen an, die sich David anschauen.

Auf der ersten Tafel, der rechten (Nr. 5) – das war die Seite, von der aus ich in den Raum kam –, fällt vor allem die dreiköpfige Gruppe links von der Bildmitte ins Auge. Eine junge Frau steht mit verschränkten Armen vor David und trägt Kopfhörer; sie hört dem Audioguide zu und schaut dabei sehr skeptisch nach oben. Sie bemüht sich nicht einmal, erleuchtet oder erstaunt oder irgendwas zu sein, was man halt vor David zu sein hat, sie steht hier und denkt vielleicht über seine riesigen Hände nach. Vielleicht will sie auch einfach nur aus ihren unbequemen Flipflops raus. Der junge Mann neben ihr trägt ebenfalls Kopfhörer und schaut pflichtschuldig nach oben, fast emotionslos, während ein weiterer junger Mann rechts sein Erstaunen nicht verbergen kann. Er steht leicht breitbeinig da, die Arme an seinen Seiten, eine Sonnenbrille im Haar. Er steht da vielleicht schon länger, muss die Arme nicht mehr verschränken oder die Hände in den Hosentaschen verbergen, er steht da in seiner ganzen Körperlichkeit genau wie David, er hat einen festen Stand und behauptet seinen Platz, während er einen anderen Mann anschaut, der eine ähnliche Körperspannung hat wie er.

Auf der zweiten Tafel von rechts (Nr. 4) sieht man mehrere kleine Grüppchen. Ganz links scheint eine Familie zu stehen, Vater, Tochter, Sohn; Vater und Tochter haben die Arme verschränkt, der Sohn steckt seine Hände in die Hosentaschen, alle schauen – im Gegensatz zu den anderen Gruppen im Bildvordergrund – nicht nach oben, sondern geradeaus oder zur Seite. Schaut die Tochter den Sockel an oder denkt sie darüber nach, wo sie noch alles hin muss, bevor sie wieder im Hotel lesen kann? Der Vater scheint die anderen Besucher anzuschauen: Gucken die auch richtig? Was gibt’s da hinten noch zu sehen? Haben wir jetzt lange genug hier den Pflichttermin bespielt?

Rechts von ihnen steht eine Gruppe aus drei Frauen, vielleicht Mutter und zwei Töchter? Die beiden jüngeren Frauen tragen ihre Rucksäcke vor der Brust anstatt auf dem Rücken, vielleicht weil die Aufsicht ihnen das so gesagt hat, vielleicht auch, weil in jedem Touristenratgeber steht, man solle seinen Rucksack im Auge haben. Zwei von ihnen haben ihre Kopfbedeckung, einen Hut, eine Baseballmütze, abgenommen wie in der Kirche. Die dritte scheint zu sprechen, die hält eine Eintrittskarte oder ein Heft in der Hand und scheint den anderen beiden erzählen zu wollen, was sie sieht; die anderen beiden hören ihr zu.

Wieder rechts von ihnen steht eine dritte Gruppe, wieder aus drei Personen. Sie sehen nicht so aus, als ob sie zusammengehören, sie stehen ein bisschen zu weit auseinander, um Freunde oder Familie zu sein. Vielleicht ist aber auch jeder gerade in seiner eigenen kleinen Welt, nur ich und David, und deswegen sind die Freunde gerade nicht so wichtig. Die Frau im Vordergrund hat ihre Brille ins kurze Haar geschoben und schaut fast fassungslos nach oben. Sie scheint sich noch sortieren zu müssen, wie fühlt sich das an, vor David zu stehen, wo schaue ich als erstes hin? Sie schaut nicht ganz so weit nach oben wie der junge Mann rechts neben ihr, sie scheint auf Davids Brustkorb zu verharren. Der junge Mann ist hingegen schon bei Davids Gesicht angekommen, und er lächelt strahlend. Von allen vier Tafeln ist dieser Mann derjenige, der mir am besten klarmachen konnte, was es heißt, vor David zu stehen: Er lächelt, er strahlt. Er steht entspannt mit den Händen in den Hosentaschen in gelbblauem Shirt und knielangen roten Hosen vor dem weißen David und strahlt. Vielleicht grinst er auch über Davids Nacktheit, aber ich wage zu behaupten, dass ein verlegenes, verschämtes Lächeln anders aussieht als dieses hier. Dieser Mann sieht so aus, als hätte er sich am meisten auf den David gefreut, als er die Florenzreise gebucht hat, und jetzt ist er endlich da und kann glücklich vor ihm stehen.

Die dritte Dame in der Gruppe ist noch nicht ganz angekommen – sie lächelt schüchtern, als ob es ihr unangenehm ist, David so nahe zu kommen. Und ganz rechts im Bild nähert sich ein kleiner Junge der Statue, er ist der einzige auf dieser Tafel, der sich ganz leicht bewegt, er geht einen Schritt auf David zu und schaut fragend zu ihm auf. Er weiß noch nicht, was er mit diesem übergroßen nackten Mann anfangen soll, aber er möchte näher an ihn heran.

Diese vier auf der zweiten Tafel waren für mich schon die Essenz des ganzen Werks. Alle Personen danach fand ich ebenso spannend und ich konnte mir Geschichten zu ihnen ausdenken, aber diese vier haben für mich persönlich die Annäherung an ein Kunstwerk perfekt symbolisiert: das Staunen, die Freude, die Intimität und der Wunsch, Kunst noch näher kommen zu wollen.

Auf der dritten Tafel (Nr. 11) sind deutlich mehr Menschen zu sehen, es gibt kaum noch klar erkennbare Gruppen. Ein älteres Pärchen beschäftigt sich mit seinen Audioguides anstatt nach oben zu schauen, eine junge Frau links scheint ihren Blick hin- und herzuwechseln zwischen dem David und dem Kunstführer, den sie in der Hand hält, eine vier- bis sechsköpfige Gruppe bespricht, was man gerade gesehen hat oder lässt sich etwas erklären, schaut aber auch nicht nach oben. Überhaupt schauen mehr Leute nicht nach oben als zum David als umgekehrt.

Eine Person allerdings hat mich persönlich wieder sehr gefreut: der Junge in der Bildmitte im roten Shirt, seine Hände in den Hosentaschen (das scheint eine übergreifende Geste fürs Kunstgucken zu sein), in khakifarbenen, halblangen Hosen und schwarzen Sneakers, seine rote Baseballmütze auf dem Kopf, am Handgelenk eine silberne Uhr. Er scheint die ganzen wuseligen Gruppen gerade vergessen zu haben, denn er blickt nur staunend nach oben. Seine Augen ruhen auf Davids Gesicht, sein Mund ist leicht geöffnet, er steht alleine vor der Statue und alle Menschen um ihn herum sind völlig egal. Er sieht David vermutlich zum ersten Mal und genau das spiegelt sich auf seinem Gesicht wider. Rechts im Bild steht ein Mann in ähnlicher Position, auch er mit halblangen Hosen und Shirt, seine rechte Hand hält seinen Rucksackgurt fest, die linke steckt – natürlich – in der Hosentasche, und auch er schaut mit leicht geöffnetem Mund nach oben. Er sieht allerdings aus wie jemand, der pflichtschuldig schaut, er weiß, was der David ist, er hat sich das alles brav angelesen und guckt jetzt wie jemand, der weiß, wie man gucken muss, wenn man vor David steht. Der Junge neben ihm weiß das nicht, er kann gerade nicht einordnen, was er sieht, er weiß nur, dass er hier stehen und schauen möchte.

Die letzte Tafel (Nr. 7) scheint später am Tag aufgenommen zu sein, die meisten Besucher sind müde, haben schon halb Florenz in den Knochen und möchten nur irgendwo sitzen und was trinken. Ein Mann schaut den Fotografen an, sein Gesicht ist leicht gerötet, er trägt einen Schlapphut und wurde eventuell von seiner Freundin vor den David geschleift. Sie steht links neben ihm in heller Hose und einer Bluse mit Sonnenblumen, um ihre Hüfte hat sie eine blaue Jacke geknotet, ihre Schuhe sind nicht die üblichen Turnschuhe oder Trekking-Sandalen, die sonst alle Besucher und Besucherinnen tragen, sondern flache Pantoletten; mit ihrer linken Hand lehnt sie eine Wasserflasche an ihre Hüfte. Sie scheint sich wenigstens ein bisschen für David schick gemacht zu haben, sie wollte hier nicht in Sneakers stehen, und so schaut sie andächtig nach oben, ob er das zu würdigen weiß. Hinter den beiden richtet jemand eine flache Kamera auf David. Spätestens hier merkt man, wie alt das Werk schon ist, heute würde vermutlich so gut wie jeder ein Smartphone zücken. Das sieht man auf Instagram sehr gut, wenn man nach #davidmichelangelo sucht.

Was ich las:

Thomas Struth sagte einmal zu seinen Porträts, dass er sie als gelungen empfindet, „wenn das Bild der duellhaften Sitzung, der Gegenüberstellung von Modellen auf der einen und dem Autor und seiner Kamera auf der anderen Seite eine irgendwie unausweichliche Betroffenheit auslöst, eine epische Qualität, die sich in einem Bild kondensiert.“ Er sprach dabei über seine Familienporträts (1, 2), bei denen er den Ort und den Bildausschnitt bestimmt, seinen Objekten aber die Freiheit überlässt, sich zu positionieren, wo und wie sie möchten. (Auch aus dieser Reihe hängen einige derzeit im Haus der Kunst.) Ich glaube, diese Aussage passt auch auf Audiences, auch wenn seine Objekte sich hier vermutlich nicht in eine Pose gestellt haben – höchstens die des Kunstguckens, Hände in die Hosentaschen oder Arme verschränkt, Blick nach oben. Struth weiter zu seinen Familienporträts: „Vor allem ist es die uneingeschränkte, nicht abgelenkte Präsenz der Personen, wie sie sich im Hier und Jetzt zusammen darstellen, die ein Gradmesser [für ein gelungenes Bild] ist.“ (Beide Zitate Schubert 2016, S. 228.)

Vielleicht ist es genau das Gegenteil, diese abgelenkte Präsenz der Personen, die ich an Audiences so mochte. Die Anziehungskraft von David ist in jedem Detail spürbar, selbst wenn die Menschen nicht zu ihm aufblicken. Ohne ihn wären sie hier nicht versammelt, er ist das Zentrum, obwohl er überhaupt nicht sichtbar ist. Jedenfalls dachte ich das, bis mich ein Aufsatz darauf aufmerksam machte, dass sich die Statue in einer Sonnenbrille eines Betrachters spiegelt: Der müde Mann aus dem vierten Panel, der den Fotografen anschaut, hat seine Sonnenbrille in seinen Shirtkragen gehängt – und dort ist der David zu sehen. (HaCohen/Ezrahi 2010, S. 175.)

Im Podcast verglich ich das Bild mit Da Vincis Abendmahl. Das mag erstmal etwas schräg klingen, aber alleine die Bildmaße lösten diesen Vergleich in mir aus, ohne dass ich darüber nachdachte. Dann aber überlegte ich: Vielleicht sind es eher die verschiedenen Gesichtsausdrücke, die mich an das Abendmahl haben denken lassen? Bei Da Vinci zeigen sich in den Gesichtern der Jünger verschiedene Regungen auf Jesus’ Ankündigung, jemand werde ihn verraten. Vielleicht musste ich daran denken, als ich die vielen Reaktionen auf David sah: Zweifel, Erstaunen, Glück, Ratlosigkeit, Erschöpfung. Auch Hans Belting schrieb über die Tätigkeit des Betrachtens und die unterschiedlichen Reaktionen:

„Museumsbesucher […] aus allen Rassen und Kulturen bilden das gemeinsame Publikum, das, so scheint es, einer gemeinsamen Tätigkeit nachgeht. Aber es benimmt sich dabei so, daß nicht ganz eindeutig ist, worin diese gemeinsame Tätigkeit besteht. Alle betrachten sie Bilder, aber auf so unterschiedliche Weise und in so verschiedener Intensität, daß man daran zu zweifeln beginnt, daß alle noch das gleiche tun.“ (Belting 2005, S. 110.)

Belting schrieb hier über die Museum Photographs (1, 2), in denen Struth Museumsbesucher fotografierte, aber im Gegensatz zum David von hinten, so dass man das betrachtete Kunstwerk ebenfalls im Foto sieht. Auch davon hängen einige Exemplare im Haus der Kunst; mein Liebling war die Ansicht von Caillebottes Straßenszene in Paris. Und der ungewohnte Anblick von Dürers Selbstporträt, das quasi nebenan im Original in der Alten Pinakothek hängt; das war schon fast surreal, es hier im Haus der Kunst zu sehen. Vielleicht auch, weil ich dieses Bild an einem festen Ort abgespeichert habe: Das gehört für mich nicht in Ausstellungskataloge oder Abbildungen oder eben ins Haus der Kunst, das gehört für mich in die Alte Pinakothek, da habe ich es gesehen, da hat es seinen Platz. Belting beschreibt diese Verortung und damit meinen Blick auf die Museumsbesucher so:

„Wir gehen gewöhnlich nicht in eine Ausstellung, um Leute zu betrachten, schon gar nicht solche Leute, die ihrerseits Bilder betrachten, womit wir uns in einer Tautologie, ihres Blicks in unserem Blick, verfangen. Wir freuen uns aber daran, daß wir die Orte kennen, weil wir sie an den Bildern wiedererkennen, die dort hängen. So binden zunächst Orte und Bilder unseren Blick. […] Deshalb können wir auch in unserer Vorstellung den Ort, an dem wir selber sind, mit dem abgebildeten Ort vertauschen, auf den wir nur blicken. Dann entdecken wir in diesem Labyrinth des Blicks noch einen dritten Ort, nicht den Ort, an dem die Gemälde hängen, sondern den Ort, den sie darstellen.“ (Belting 2005, S. 110.)

Wie bei Caillebotte das Paris des 19. Jahrhunderts, das plötzlich zu Chicago wird, wo das Bild hängt und zu München, wo ich mir gerade ein Foto davon anschaue. Das funktioniert auch bei Audiences, wo mich die Reaktionen der Betrachter an mich selbst erinnern und ich so kurz in Florenz stehe.

In Audiences kommt ein Wesenszug von Struths Fotografien sehr deutlich zum Ausdruck: sein Staunen, das sich hier in den ebenfalls staunenden Gesichtern der David-Betrachter abzeichnet. In allen Bildern, die im Haus der Kunst zu sehen sind, ist die vorsichtige, nie aufdringliche, fast schon stoische Neugier Struths sichtbar; vielleicht auch ein Grund, warum mir die Fotografien so gut gefallen haben – neben ihren altmeisterlich großen Formaten. Ann Goldstein schreibt dazu:

„Struths Werk besitzt eine selbstkritische Qualität des Staunens und der Entdeckung bei der Repräsentation seiner Sujets. Für ihn ist Fotografie ‚ein eigentlich naturwissenschaftliches Werkzeug zur psychologischen Erforschung‘; er spricht von seinem Interesse an ‚psychologischer Bestimmung‘ und nennt als Auswahlkriterium für Straßenbilder die ‚Atmosphäre‘ dieser Örtlichkeiten sowie den Prozess, durch den er herausfindet, welche Strukturen es sind, die dafür sorgen, dass diese Orte so aussehen, wie sie aussehen. Seine Frage an sich selbst lautet: ‚Wieso reagiere ich darauf?‘“ (Goldstein 2009, S. 147.)

Vielleicht ist das die beste Methode, sich mit Kunst zu konfrontieren: erstmal entspannt gucken und sich dann fragen: Reagiere ich darauf? Und wenn ja, auf was und wieso? Ich habe länger über Audiences nachgedacht und ahne inzwischen, dass die Abendmahl-Assoziation nicht von ungefähr kommt. Kunst hat für mich manchmal einen erhabenen, fast religiös-andächtigen Charakter; manche Werke bringen mich nicht nur zum Staunen, sondern sogar zum Weinen (wie van der Weydens Kreuzabnahme), und weil ich das weiß, will ich mich manchen recht vorsichtig nähern, immer schön den Profiblick aufsetzen, bloß nicht von Anfang an emotional reagieren. Audiences kann man sich aber nicht vorsichtig nähern, seine nahbare Menschlichkeit reißt von vornherein alle Schranken nieder, auch weil man selber in genau der Position steht wie die Menschen, die man sich gerade anschaut. Audiences ist ein perfekter Spiegel, und auch wenn man nur im ollen Nazibau des Hauses der Kunst steht und keinen Michelangelo aus Marmor anschaut, sondern moderne, kühle Fotografie, ist das Erlebnis das gleiche: Staunen über Kunst.

„Zwischen diesen Polen der Betrachtung, dem fotografierten Gemälde und der Fotografie selbst, sind die fotografierten Besucher wie in einem Zeitspalt gefangen, in dem sie erfreulicherweise nichts anrichten können. Denn die Blicke, die seit Jahrhunderten täglich auf die Bilder geworfen werden, bleiben folgenlos. Es macht vielleicht das größte Faszinosum der Kunst aus, dass sie sich im Gebrauch der Anschauung nicht verzehrt, vielmehr die Blicke, die auf sie geworfen werden, ihrerseits spurlos zu verzehren scheint. Es fällt einem dazu der Anfang von Paul Celans Gedicht Die Krüge ein: ‚An den langen Tischen der Zeit / zechen die Krüge Gottes. / Sie trinken die Augen der Sehenden leer und die Augen der Blinden“ heißt es in seinen ersten beiden Zeilen, und was könnte – bis auf die letzten Worte – die Metaphysik des Museums treffender charakterisieren?

Struths Fotografien provozieren die Frage, wie viele Betrachter die Museumsgemälde täglich zu sehen bekommen, wenn sie es denn könnten. Würde man sich im Zeitraffer die Besucherströme ansehen, welche die Mona Lisa täglich vor Augen hat, käme die Frage von selbst auf, wer hier wen anschaut […] Natürlich ist Celans Gedicht Die Krüge nicht der Kunstwahrnehmung gewidmet. Es handelt von der Langlebigkeit der irdischen Kulisse, in der die kurzfristige Neugier aller Durchreisenden vor der Ausdauer des Betrachteten verblasst. Museumsbilder zählen zu den markantesten Elementen dieser Kulisse, welche die Lebensspanne des Einzelnen überschreitet; sie sitzen die vorüberziehenden Generationen gleichsam aus. Deshalb passen auch die letzten Zeilen des Gedichtes auf sie: „Sie sind die gewaltigsten Zecher: / sie führen das Leere zum Mund wie das Volle / und schäumen nicht über wie du oder ich.“ Celans Gedicht zeigt gleichsam nebenbei, was ars longa, vita brevis auch wahrnehmungsgeschichtlich heißen kann.“ (Grasskamp 2009, S. 189.)

Literatur:

Belting, Hans: „Der photographische Zyklus der ‚Museumsbilder‘ von Thomas Struth“, in: Struth, Thomas (Hrsg.): Museum Photographs, München 2005, S. 108–127.

Goldstein, Ann: „Portraits der Selbstreflexion“, in: Reust, Hans Rudolf/Lingwood, James (Hrsg.): Texte zum Werk von Thomas Struth, München 2009, S. 144–157.

Grasskamp, Walter: „An den langen Tischen der Zeit. Thomas Struths Betrachtung des Betrachters“, in: Reust, Hans Rudolf/Lingwood, James (Hrsg.): Texte zum Werk von Thomas Struth, München 2009, S. 187–191.

HaCohen, Ruth/Ezrahi, Yaron: „In Räumen denken: Thomas Struths Poetik der Enthüllung“, in: Zürcher Kunstgesellschaft/Kunsthaus Zürich und Kunstsammlung (Hrsg.): Thomas Struth. Fotografien 1978–2010, München 2010, S. 174–182.

Schubert, Claudia (Hrsg.): Mit anderen Augen. Das Porträt in der zeitgenössischen Fotografie, Köln 2016.

Was schön war, Sonntag, 27. August 2017 – In der Bäckerei

Ich kam morgens von F. nach Hause und wollte die üblichen zwei Croissants in der Bäckerei kurz vor meiner Haustür kaufen. So will es das Gesetz, wenn ich von F. komme. Ich bestellte also, als die Dame hinter der Theke mich ansprach:

„Sind Sie das, die hier immer morgens zum Walken vorbeikommt? Ja, oder?“

Ich so: „Äh. Ja.“ (Huch?)

Verkäuferin: „Find ich toll. Noch im Dunkeln. Respekt.“

Ich so: „Äh. Ja. Danke!“

Verkäuferin: „Viel Erfolg noch.“

Ich so: „Äh. Ja. Danke!“ (Bei was?)

Ich ahne, dass die freundliche Frau mir Erfolg beim Abnehmen gewünscht hat, aber das weiß ich nicht. Vielleicht hat sie mir auch Erfolg bei der Vorbereitung zum Extremmarsch in den Alpen gewünscht, das würde ich viel toller finden. Ich bilde mir jetzt ein, dass sie das gemeint hat, denn wenn ich abnehmen wollen würde, würde ich vermutlich keine Croissants kaufen. Auch dies fiel mir innerhalb von den üblichen Millisekunden ein, die mich weiterhin ab und zu erwischen, wenn irgendwas den Gedanken an Diäten auslöst: Ich will nicht abnehmen, ich will Croissants essen, weil Croissants glücklicher machen als eine kleinere Zahl auf der Waage. Ich weiß das inzwischen, auch wenn es 25 Jahre gedauert hat, bis ich es mir endlich gemerkt habe.

Mir fiel im Laufe des Tages mal wieder ein Geburtstagsgeschenk ein, das mir meine Eltern mal gemacht haben; ich muss immer daran denken, wenn ich im Supermarkt Apfelmus kaufe, denn ich liebe Apfelmus. Als ich noch kleiner war, unter zehn, schätze ich, haben meine Eltern mich mal gefragt, was ich mir zum Geburtstag wünsche. Und weil mir außer dem üblichen EINE MILLION BÜCHER, die ich sowieso immer gekriegt habe, nichts mehr einfiel, sagte ich: einen Topf Apfelmus, von Mama gekocht. Und den bekam ich auch.

Ich frage mich im Nachhinein, wann das passiert ist, dass Essen kein Glück mehr für mich war, sondern ein Unglück, eine Sünde, etwas Fürchterliches, was man unbedingt vermeiden muss. Ich weiß es nicht mehr genau, aber ich war wieder kurz traurig darüber. Ich wäre vielleicht ein anderer Mensch geworden, wenn ich mich früher hätte annehmen können wie ich nun einmal bin, mit allen Macken und Gelüsten, aber eben auch gleichzeitig mit allen Talenten und Stärken. Die habe ich nämlich nie wahrgenommen, so lange ich damit beschäftigt war, mich scheiße zu finden, weil ich dick bin. Andererseits bin ich heute sehr glücklich mit dem Menschen, der ich jetzt bin, auch wenn ich natürlich an ein paar Sachen an mir etwas auszusetzen habe. Das ist inzwischen aber eher die mangelnde Fähigkeit, mir Namen und Werke von Künstler*innen länger als fünf Minuten zu merken, weswegen ich alles aufschreiben und nachschlagen muss. Es ist nicht mehr der dicke Hintern. Ganz im Gegenteil; auf den und alles andere, das meinen Körper bildet, passe ich heute auf. Ich bin nett zu ihm, kümmere mich um ihn, bewege ihn und füttere ihn – mit Essen, das ihn glücklich macht. Zum Beispiel Croissants. Nie wieder ohne.

Was schön war, Samstag, 26. August 2017 – Buch, Fußball, Essen, alles

Gestern hatte der FC Augsburg sein erstes Heimspiel. Das erste Saisonspiel auswärts gegen den HSV (ausgerechnet, grmpf) wurde dusseligerweise verloren; gestern war Borussia Mönchengladbach zu Gast. Ich freute mich sehr auf das kleine Puschelstadion im Vergleich zur Monster-Allianz-Arena, auf den FCA-Knacker (Stadionwurst), auf den fähnchenschwingenden Kid’s Club, die Stadionhymne und alles, sogar auf den Rumpelfußball, der einen vermutlich erwartete.

Wir fuhren um halb zwei von München aus in Richtung Augschburg. Um uns herum plapperte eine kleine Gruppe Russen, während neben uns eine Dame Percussionsübungen mit einem Notenheft ausführte, indem sie sich rhythmisch aufs Brustbein oder den Unterarm schlug, klatschte oder mit den Fingern schnippte. F. und ich guckten amüsiert-augenrollend, wollten uns aber nicht umsetzen. Der Herr genoss sein Wegbier (wegen der Hitze ein Wegradler), während ich mein Zugbuch zückte.

Ich lese gerade Alexander Masters A Life Discarded: 148 Diaries Found in a Skip, das mir meine Bekannte von neulich geschenkt hatte. Die Dame wohnt nicht in Deutschland und fragte deshalb vor der Bestellung, ob sie mit Karte zahlen könne, die Bedienung bejahte, und ihr ahnt schon, was kommt: Meine Bekannte meinte Kreditkarte, die Bedienung EC-Karte, weswegen meine Bekannte am Ende unseres Treffens nicht zahlen konnte und sich nach dem nächsten Geldautomaten erkundigte, woraufhin ich natürlich meinte, Quatsch, ich lad dich ein. Als Ausgleich lag ein paar Tage später dieses Buch in der Packstation, worüber ich mich sehr gefreut habe. Das passte nämlich so gerade ins Stadiontäschchen, wofür die Radium Girls viel zu groß sind. Und ohne Buch gehe ich ja in kein Fußballstadion.

Wir kamen akustisch leicht überfordert, aber ansonsten vorfreudig in Augschburg an, erwischten zwei Sitzplätze in der Tram zum Stadion und waren in einer Minute durch die Einlasskontrollen. Dieses Mal hatte ich noch eine Eintrittskarte aus Papier dabei, aber beim nächsten FCA-Heimspiel gehe ich damit durch die Drehkreuze:

Ich teile mir in dieser Saison eine Dauerkarte mit F.s Sitznachbar, der so oft geschäftlich unterwegs ist, dass er nur die Hälfte der Spiele schafft. F. hat in dieser Saison erstmals eine eigene Dauerkarte beim FC Bayern, worüber der Mann sich seit Wochen kindlich-niedlich freut. Seit gestern kann ich diese Freude nachvollziehen, denn obwohl auf der Dauerkarte nicht mein Name steht, ist es doch gefühlt meine. Ich hoffe, der FCA bleibt noch ein paar Saisons erstklassig, dann gönne ich mir eventuell mal eine eigene Dauerkarte. Ich will seit gestern auch meinen Namen auf Plastik sehen.

Beim FCB werden die Dauerkarten unter Freunden überschrieben oder innerhalb der Familie vererbt, ansonsten besteht kaum eine Chance auf das Ding. Beim FCA kauft man die einfach. Für mich wäre eine Dauerkarte dort nur in der ersten Liga sinnvoll, denn bei den Anstoßzeiten der zweiten Liga am Freitag und Montag ist es etwas anstrengend bzw. zeitlich kaum möglich, bei einem regulären Arbeitstag rechtzeitig von München aus zum Spiel im Stadion zu sein.

Aber das ist Zukunftsmusik. Gestern freute ich mich dann über alles, worauf ich mich im Vorfeld gefreut hatte, bis auf die Stadionwurst, auf die hatte ich bei 30 Grad keine Lust. Wegen der Temperaturen trank ich auch erstmals einen Liter Wasser im Stadion; normalerweise trinke im Stadion nichts, weil ich keine Lust habe, in der Halbzeit aufs Klo zu gehen, ich stehe da lieber am Platz und gucke in der Gegend rum. Dieses Mal musste ich aber eh aufs Klo, um Sonnencreme nachzulegen, denn in der zweiten Halbzeit liegt der Dauerkartenplatz in der Sonne. Während ich in der letzten Saison noch vor mich hinlitt und auf den Hitzschlag wartete in meinen üblichen dunklen Klamotten, hatte ich dieses Mal vorgesorgt und saß in einem überhaupt nicht meiner Farbpalette entsprechenden mintgrünen Shirt und einer ebensolchen Hose im Stadion. Ich hatte zur Sicherheit noch eine weiße Bluse dabei, die ich mir wie ein Zelt hätte überwerfen können, so dass nur noch mein Gesicht Sonne abkriegt, aber das war nicht nötig, die hellen Klamotten halfen schon sehr. Auch wenn ich aussah wie eine Zahnpastatube. Dass ich heute keinen Sonnenbrand habe und gestern gute Laune hatte, zeigt, dass die Investition in diese Kleidung eine gute war. Trotzdem frage ich mich im Nachhinein, warum ich nicht gleich weiße gekauft habe.


(Da drüben vor dem Tor dreht der Kid’s Club seine Runde, während das Publikum die Fähnchen schwenkt, die für Mitglieder kostenlos verteilt wurden.)

Das Spiel war spannend, begann gleich nach 35 Sekunden mit einem Tor für den FCA, dann führte Gladbach plötzlich 2:1, und erst in der 89. Minute fiel der Ausgleich. Ich bin heute zwar sonnenbrandlos, aber ein bisschen heiser. Da habe ich wohl doch mehr gebrüllt als gedacht.

Gegen kurz nach 19 Uhr waren wir wieder in München. Ich tauschte die Zahnpastaklamotten gegen Lieblingsrock und violettes Shirt (eindeutig mehr meine Farbe), denn F. und ich wollten dringend zum Afghanen, weil wir unerklärlichen Heißhunger auf Gewürzreis hatten. Der dortige Kellner ist stets eine Ausgeburt an Höflichkeit, und gestern hat er nochmal Punkte gemacht, als er die Klimaanlage anwarf, sobald er sah, dass ich mir Luft zufächelte. Ich freute mich zudem darüber, dass er einen, so vermute ich, Landsmann mit „Servus“ begrüßte, bevor die beiden dann (ebenfalls vermutlich) Paschtunisch miteinander sprachen.

Wir ließen den Abend mit einem Radler auf F.s Balkon ausklingen und guckten im Aktuellen Sportstudio nochmal die Highlights des FCA-Spiels. Nicht gezeigt wurde, dass auch Simon im Stadion war. Zwei Jahre nach seinem Unfall schob ihn seine Mutter im Rollstuhl vor die Nordkurve und erhielt einen Spendenscheck der Fans.

Was schön war, Mittwoch, 24. August 2017 – Gutgehtag

Morgens von F. nach Hause spaziert, frische Croissants besorgt und gleich mit Johannisbeergelee verspeist.

Dazu wieder herrlichen kühlschrankkalten Kaffee mit Milch und einem winzigen Schuss Sirup genossen. Ja, ich weiß, total unpuristisch und unhipsteresk, aber ich mag Kaffee am liebsten mit Milch und ein bisschen süß. Obwohl ich, seitdem ich die Bohnen selbst mahle und mit der French Press zubereite, auch weiß, dass ich ihn schwarz gerne trinke – und sogar lieber kühl oder kalt als heiß.

Deswegen freue ich mich immer noch über diese tolle Kaffeeflasche, die, seitdem ich sie besitze, im Dauereinsatz ist.

Den ganzen Tag vor Serien rumgelungert, die FAZ gelesen, mein Buch weitergelesen, die Diss im Hinterkopf arbeiten lassen, mich über die Einladung in eine kleine Münchner Agentur gefreut, die mich mal kennenlernen will und deren Website mir auch äußerst sympathisch ist. Statt zu kochen ein Nutellabrot geschmiert.

Abends bei F. auf dem Balkon dem Gewitter zugeguckt und dabei Weißwein getrunken und verwackelte iPhone-Fotos gemacht.

Links ist das Heizkraftwerk zu sehen, die beleuchtete Kirche in der Bildmitte ist die Theatertinerkirche, ganz rechts die Frauenkirche, und das unbeleuchtete Ding dazwischen ist meine Kirche, St. Markus. Ich beschwere mich an jedem Balkonabend über die protestantische Sparsamkeit und dass dieser schicke 50er-Jahre-Bau nicht angestrahlt wird.

Was schön war, Dienstag, 23. August 2017 – Schnurr

Mein Zahnarzt hatte mir, O-Ton, Physio für mein knirschendes Kiefergelenk verordnet, worüber ich tagelang gackern musste. Ich sah mich schon lustige Mundgymnastik unter Aufsicht machen, aber es war dann viel netter und entspannender. Die Behandlung entpuppte sich als Manualtherapie, was bedeutete, dass mir eine freundliche Therapeutin diverse Muskelpartien im Gesicht und Hals massierte und irgendwann auch noch den Nacken und den Schulterbereich mitnahm, denn das hängt ja alles zusammen und ich war anscheinend verspannt wie nix. Das ahnte ich natürlich, denn der Abschied vom Studium, die Langstrecke einer Promotion und die ungewisse Zukunft belasten dann halt doch so ein bisschen. Außerdem neige ich dazu, in Bibliotheken irgendwann wie ein Schluck Wasser in den Stühlen zu hängen und die Bücher viel zu nah vor der Nase zu haben, bevor ich mich daran erinnere, gerade zu sitzen und Abstand zu den schönen Aufsätzen zu wahren.

Eine Bewegung fand ich gleichzeitig unheimlich und faszinierend. Beim Gesangsunterricht hatte mir meine Lehrerin immer gesagt, wenn ich auch da wie ein Schluck Wasser rumstand und die Nase am Notenständer hatte, ich solle mir vorstellen, ich hätte einen Faden an der Schädeldecke und an dem zieht mich jetzt jemand nach oben – schon richtete ich mich auf, war gefühlt zehn Zentimeter größer und konnte, wer hätte es gedacht, freier singen. So ungefähr fühlte es sich an, als die Therapeutin mich gestern irgendwo unten am Hinterkopf anfasste und zu sich zog (ich lag). Es war wie gesagt ein bisschen unheimlich, sanften, aber deutlichen Zug auf der Halswirbelsäule zu spüren, aber es war gleichzeitig sehr schnurrig. Zum Abschluss durfte ich noch zehn Minuten in warmen Kissen liegen und war endgültig grundentspannt.

Ich mochte die Kachelfarbe im Treppenhaus der Praxis gern. Außerdem freute ich mich über den Altbau. Ich bin in München viel zu selten in Altbauten. Dusselige Hauptstadt der Bewegung.

Danach überlegte ich kurz, ob ich nach Hause fahren und mich wieder ins Bett legen sollte, so puschelig-weichgeknetet wie ich war, aber ich hatte den Rechner dabei und mir ein bisschen Nazikram im ZI vorbestellt, also fuhr ich brav dort hin und las wieder schlimmes Zeug. Also schlimm im Sinne der Parteipolitik, für mich aber wie immer alles höchst spannend und aufschlussreich. Ich entdeckte schöne Dissertationen und Aufsätze; so fand ich derKunst im Dritten Reich von 1937 eine Abbildung des damals neuen (und heutigen) Park-Cafés und fühlte mich in meiner Ahnung bestätigt, dass das NS-Architektur war. Seitdem frage ich mich, ob die alten Fresken im Innenraum noch unter Farbschichten vorhanden sind oder die irgendwann abgeschlagen wurden. Außerdem las ich ein Machwerk von Robert Scholz, einem Kunstkritiker der NS-Zeit, der sich 1977 ernsthaft hingestellt und behauptet hatte, NS-Kunst sei die quasi alternativlose Folge der Kunst der Weimarer Zeit gewesen – er nannte 1933 eine „konservative Kunstwende“ und ich wollte wieder Bücher anschreien, so wie ich ständig meinen Rechner anschreien will, wenn wieder irgendwo steht, dass der beschissene Rechtsruck und Trump unvermeidlich gewesen seien, weil die Linke mit ihren liberalen Ideen halt so fies ist.

Nach vier Stunden und mit ein paar neuen Ideen zur Diss fuhr ich nach Hause. Dort warf ich zwei Paprika mit einer Zwiebel in die Pfanne und ließ alles hübsch karamellisieren, während in einer zweiten Pfanne eine Portion Rührei vor sich hinstockte. Ich habe mir vor einigen Wochen einen Topf Schnittlauch für die Fensterbank gekauft und warte seitdem, dass er stirbt, was alle meine Kräutertöpfe tun, denn meine Fensterbank bekommt nie wirklich Sonne. Dieser Topf ist aber anscheinend ein Zombie, er wächst so irre, dass ich derzeit mein Essen danach plane, ob man zwei Handvoll Schnittlauch dazu werfen kann. Da liegt Rührei natürlich nah. Gut war’s.

Abends Fußball bei F. Gemeinsam eingeschlafen.

(Da Zusammenziehen in München eher so hahajaklarwaskostetdiewelt ist und wir beide auch sehr an unseren eigenen Wohnungen hängen, wird der letzte Satz als Statusmeldung dort vermutlich (hoffentlich) noch länger stehen.)

Tagebuch, Dienstag, 22. August 2017 – To-Do-Liste

Am Montag gönnte ich mir mehrere Stunden im Zentralinstitut für Kunstgeschichte, um meinen Blogeintrag von gestern fertigzuschreiben, für den ich viel mehr las als ich eigentlich brauchte, aber hey, wenn man schon mal in der Bibliothek sitzt, dann holt man sich eben ein paar Bücher an den Platz. Ich bestellte auch gleich noch ein paar Zeitschriftenbände aus den Rara-Beständen vor, in die ich für die Diss reingucken will.

Am Blogeintrag über die Ausstellung von NS-Kunst in Regensburg habe ich tagelang gesessen, und mir ist beim Schreiben, genau wie beim Schauen, mal wieder aufgefallen, wie herausfordernd die nächsten drei Jahre werden, denn ich bin eigentlich die ganze Zeit damit beschäftigt, mich von meinem Forschungsfeld zu distanzieren. Einerseits verteidige ich die NS-Kunst als wichtig genug, um sich wissenschaftlich mit ihr zu befassen, andererseits genieße ich es sehr, im Blog alberne Adjektive zu ihrer Beschreibung nutzen zu können und sie so auf Abstand zu halten.

Ich kann vor keinem Bild, das im Deutschen Reich zwischen 1933 und 1945 entstanden ist und dem System genehm war, rumstehen und sagen, jo, finde ich gut, würde ich mir ins Wohnzimmer hängen, wie ich das vermutlich bei jedem anderen Bild aus jeder anderen Zeit tun könnte. Bis jetzt habe ich netterweise noch kein NS-Bild gesehen, bei dem ich diese Anwandlung hatte, aber falls das mal kommt, und ich ahne, dass es irgendwann kommt, werde ich hundertmal aufschreiben müssen: „Du sollst keine NS-Kunst ästhetisch attraktiv finden, denn die ist bäh.“ Das ist, wie gesagt, anstrengend. Ich muss aufpassen, dass meine Neugier auf diese Bilder nicht zu Anerkennung wird. Aber vielleicht überschätze ich die NS-Kunst auch gerade gewaltig. Wie gesagt, bis jetzt war noch nichts dabei, das ich haben wollte, aber ich kenne schon einige Werke, die mich faszinieren konnten.

(Anstrengend.)

Gestern war der Tag des Wegarbeitens von lauter Kleinkram, den ich seit Tagen vor mir herschiebe oder den ich Montag nicht erledigen wollte, wie zum Beispiel den nächsten Schwung Akquisemails. Sich bei Leuten per Mail vorzustellen, mache ich lieber nicht am Montag, wo alle davon genervt sind, dass Montag ist, aber auch nicht Donnerstag oder Freitag, weil da alle von der Woche gestresst sind und schon ans Wochenende denken. Daher habe ich gestern, am schönen Dienstag, mal wieder ein paar Agenturen angeschrieben, Leute auf Xing zu meinen Kontakten hinzugefügt sowie bei einigen Portalen mein Portfolio hochgeladen.

Dann erledigte ich weitere lustige Dinge wie Arzttermine vereinbaren, Mails schreiben, Telefonate führen, Altpapier wegbringen, Wäsche machen, lauter Zeug halt, das sich angesammelt hatte und für das ich am Wochenende ernsthaft eine To-Do-Liste geschrieben hatte, was ich sonst nie tue. Aber es war dann eben doch viel Kleinkram, und seit gestern ist er weg. Ha!

Mittags gab’s Zucchinipuffer mit scharfem Feta. Ich merke immer mehr, dass ich es ganz gerne mag, Zeug wegkochen zu müssen bevor es vergammelt, weil ich mir stets irgendwas Neues überlegen muss, um nicht vom eigenen Essen gelangweilt zu werden. Vielleicht sollte ich doch mal so ein Gemüsekistenabo abschließen. Bisher habe ich mich geweigert, mir meine Nahrung vorschreiben zu lassen, weil mich das so unerträglich an Diätpläne erinnerte. Hm. Ich werde weiter darüber nachdenken. (Puffer waren lecker.)

Über die Kunst und die Technik, und warum letztere manchmal ein Hund ist.

Ines Häufler verzweifelt an QR-Codes – wer nicht –, plädiert aber weiterhin für den Einsatz von digitaler Technik in Museen. (Ich nenne QR-Codes ja gerne die Arschgeweihe der Wandtexte.)

„Mein Handy ist jetzt also um zwei Apps und ich um einige Erfahrungen reicher. Als ich die Ausstellung verlasse, spreche ich den Mann am Ticketschalter an, und erzähle, dass das mit den QR-Codes leider nicht so gut funktioniert. Er ist sehr freundlich und bedankt sich für mein Feedback. Dann zeigt mir der Mann einen kleinen Aufsteller am Eingang, auf dem ein erklärender Satz zur App und der QR-Code dafür draufklebt. Ich versuche, ihn live zu scannen (den Code, nicht den Mann), und es funktioniert auch hier nicht. Weil das Licht von oben entweder spiegelt oder man sich mit dem Handy so einen starken Schatten macht, dass der Code zu wenig Kontrast bekommt und selbst für die Cloudguide-App, die einen QR-Reader eingebaut hat, unlesbar wird. Tja.“

‘The civil war lies on us like a sleeping dragon’: America’s deadly divide – and why it has returned

Der Yale-Historiker David Blight schreibt über den Amerikanischen Bürgerkrieg bzw. die Zeit davor und was wie heute davon lernen können.

„Republics are ever unsteady and at risk, as our first and second founders well understood. Americans love to believe their history is blessed and exceptional, the story of a people with creeds born of the Enlightenment that will govern the worst of human nature and inspire our “better angels” to hold us together. Sometimes they do. But this most diverse nation in the world is still an experiment, and we are once again in a political condition that has made us ask if we are on the verge of some kind of new civil conflict. […]

Where are we now? Are Americans on the verge of some kind of social disintegration, political breakup, or collective nervous breakdown, as the writer Paul Starobin has recently asked? Starobin has written a new book, Madness Rules the Hour: Charleston, 1860, and the Mania for War, in which he revisits the old thesis that the secession moment represented a “crisis of fear” that led tragically to disunion and war. Psychologically and verbally, in the comment sections on the internet, and in talkshow television, we are a society, as Starobin shows, already engaged in a war of words. And it has been thus for a long time. Americans are expressing their hatreds, their deepest prejudices, and their fierce ideologies. It remains to be seen whether we have a deep enough well of tolerance and faith in free speech to endure this “catharsis” we seem to seek.“

A Most American Terrorist: The Making of Dylann Roof

Was auch dabei herauskommt, wenn eine Nation zu viel Hass und Angst in sich trägt. Ein Longread, der sich netterweise nicht nur mit dem Täter, sondern auch seinen Opfern befasst.

„I had come to Charleston intending to write about them, the nine people who were gone. But from gavel to gavel, as I listened to the testimony of the survivors and family members, often the only thing I could focus on, and what would keep me up most nights while I was there, was the magnitude of Dylann Roof’s silence, his refusal to even look up, to ever explain why he did what he had done. Over and over again, without even bothering to open his mouth, Roof reminded us that he did not have to answer to anyone. He did not have to dignify our questions with a response or explain anything at all to the people whose relatives he had maimed and murdered. Roof was safeguarded by his knowledge that white American terrorism is never waterboarded for answers, it is never twisted out for meaning, we never identify its “handlers,” and we could not force him to do a thing. He remained inscrutable. He remained in control, just the way he wanted to be.

And so, after weeks in the courtroom, and shortly before Dylann Roof was asked to stand and listen to his sentence, I decided that if he would not tell us his story, then I would. […]

Dylann Roof was educated in a state whose educational standards from 2011 are full of lesson plans that focus on what Casey Quinlan, a policy reporter, said was “the viewpoint of slave owners” and highlight “the economic necessity of slave labor.” A state that flew the Confederate flag until a black woman named Bree Newsome climbed the flagpole and pulled it down. A place that still has a bronze statue of Benjamin Tillman standing at its statehouse in Columbia. Tillman was a local politician who condoned “terrorizing the Negroes at the first opportunity by letting them provoke trouble and then having the whites demonstrate their superiority by killing as many of them as was justifiable…to rescue South Carolina from the rule of the alien, the traitor, and the semi-barbarous negroes.”

Roof is what happens when we prefer vast historical erasures to real education about race. The rise of groups like Trump’s Republican Party, with its overtures to the alt-right, has emboldened men like Dylann Roof to come out of their slumber and loudly, violently out themselves. But in South Carolina, those men never disappeared, were there always, waiting. It is possible that Dylann Roof is not an outlier at all, then, but rather emblematic of an approaching storm.“

Kunst gucken: „Artige Kunst. Kunst und Politik im Nationalsozialismus“, Kunstforum Ostdeutsche Galerie Regensburg

Die Ausstellung wurde ab November 2016 in Bochum gezeigt und wanderte dann nach Rostock. Eigentlich sollte sie auch in Wrocław, dem ehemaligen Breslau, gezeigt werden, aber der Vertrag der dortigen, liberalen Museumsdirektorin wurde nicht verlängert, und ihr Nachfolger sagte die Ausstellung ab. (Kat. Ausst. Bonn 2016, 9)

Unser Rosenheim-Seminar besuchte die Ausstellung in Bochum (ich war leider nicht dabei) und war wenig begeistert. Kommilitoninnen bestätigten die Rezension in der Zeit, wonach man erstmal großformatige KZ-Bilder betrachten musste, bevor man die eigentlichen Bildwerke zu sehen bekam. Als ob man Besucher*innen noch mal dringend erklären müsste, was zwischen 1933 und 1945 geschah, bevor sie biederen Abbildungen von Bauernfamilien und pseudo-dynamischem Jungvolk ausgesetzt sind.

Auf der oben verlinken Website aus Rostock kann man ein paar Blicke in die Ausstellung werfen, was ich spannend fand, denn auch ich habe sie nun endlich gesehen: im Kunstforum der Ostdeutschen Galerie in Regensburg, wo sie noch bis zum 29. Oktober gezeigt wird. Die Hängung ist an allen drei Orten unterschiedlich, was natürlich schon den räumlichen Begebenheiten geschuldet ist, aber anscheinend hat man die Werke auch jedesmal neu gruppiert; zumindest sehe ich kleine, aber nicht unwichtige Unterschiede zwischen Rostock und Regensburg.

In Regensburg muss man nicht erst Bilder aus Bergen-Belsen sehen; die hängen zwar auch gleich im ersten Raum, sind aber relativ kleinformatig. Die erste Bildpaarung, die man sieht, ähnelt dem Titelblatt des Katalogs: Links hängt Sepp Happs Über allem aber steht unsere Infanterie (1943), rechts Alexej von Jawlenskys Mädchenbildnis (1909). Und damit beginnt auch schon mein Problem mit dem generellen Ausstellungskonzept. Die Gegenüberstellung von ideologischer NS-Kunst und … hier musste ich etwas überlegen, bevor ich mich für die folgende Formulierung entschieden habe … irgendeinem Bild, das keine ideologische NS-Kunst ist, finde ich arg billig. Vor allem, weil Jawlenskys Werk nicht mal annähernd zwischen 1933 und 1945 entstanden ist. Wenn man schon dringend die ideologische NS-Kunst in einen Kontext setzen will, dann wenigstens in einen, der eine gewisse Zeitgleichheit aufweist. So steht man entspannt vor dieser Bildpaarung und kann schaudernd den ollen Nazikram doof finden und den Jawlensky richtig und schön und alles. (Ist er ja auch.) Aber damit macht es sich die Ausstellung halt viel zu einfach und ist keinen Schritt weiter als diverse andere Ausstellungen von NS-Kunst vor ihr. Einen kurzen und guten Überblick über diese bekommt man im Katalog, den ich eben verlinkt habe; bei der Bundeszentrale für politische Bildung kostet er gerade 7 Euro. Die sind gut angelegt. Darin ist auch Elk Ebers Die letzte Handgranate (1937) vom Titel abgebildet, das ich gerne gesehen hätte, das in Regensburg aber leider nicht hing.

Ich schrieb das bestimmt schon gefühlte hundert Mal in diesem Blog, dass es „die NS-Kunst“ nicht gibt, weil es keinerlei Vorschriften der Machthaber gab, wie NS-Kunst auszusehen habe, höchstens welche, wie sie nicht auszusehen habe. Wenn man heute „NS-Kunst“ sagt, haben die meisten vermutlich genau die Bilder vor Augen, die es in Bochum, Rostock und Regensburg zu sehen gibt: die Herrenmenschen in blond und blauäugig mit überzeichneten Vorstellungen von männlichen und weiblichen Idealmaßen, bei denen die Jungs immer aussehen wie Bodybuilder, die nicht wussten, wann sie mit den Drogen aufhören sollten, und bei den Mädels herrschen gebärfreudige Becken, adrette Frisuren und eine eher kleine Oberweite vor, da spannt dann auch die BDM-Bluse nicht so. Dass diese Bilder nur einen winzigen Teil der Werke bildeten, die in der Großen Deutschen Kunstausstellung (1937–1944) zu sehen war, wird gerne vergessen.

„Artige Kunst“ zeigt immerhin noch ein bisschen mehr, und damit höre ich auch auf zu meckern, denn für mich war der Erkenntnisgewinn trotz aller Vorhersehbarkeit und ollem Konzept groß. Man beginnt in Regensburg, wie gesagt, mit Happ/Jawlensky und einigen Fotodokumenten nach der Kapitulation, darunter auch Fotos von Richard Peter sen. wie das schreckliche Das Lächeln des Wahnsinns (1945/46). Blickt man in den zweiten Raum, ist der dritte bereits sichtbar, wo eine Männerstatue einen anblickt. Mein Kopf meinte „Breker“, war er auch, aber erstmal kam ein Raum namens „Der genormte Mensch“. Dort hingen teils klassische, teils bürgerliche Motive in der NS-Interpretation.

Über Ivo Saliger kann ich einfach nur mit den Augen rollen, aber seitdem ich seine Bilder erstmals im Original und nicht nur als winzige Katalogabbildung gesehen habe, weiß ich besser, warum. An seiner Madonna mit Jesuskind (1938/41) blieb ich nicht lange hängen, das war schlicht langweilig. Aber Das Urteil des Paris (1939) sowie Die Rast der Diana (1939/40) sah ich mir länger an. Wenn Adolf Ziegler als „Meister des deutschen Schamhaars“ verspottet wird, möchte ich Saliger als „Meister des deutschen Warzenhofs“ ergänzen. Da hat der Herr sich schon sehr große Mühe gegeben. Ich fand es spannend, diese beiden recht bekannten Bilder im Original sehen zu können und las mir brav die Wandtexte durch. Die sprachen bei Saliger von einer „deckend schlichten Malweise“ und auf einmal fiel mir auf, warum mich Saligers Werke immer so nerven. Sie sehen genauso totgepostet aus wie heutige Anzeigen, an denen Menschen gebastelt haben, die den Photoshop nicht recht beherrschen. Saligers Werke tun so, als wären sie alte Meister, aber die Haut der Damen ist poren- und faltenfrei, die Posen sind banal, und nicht mal Vorder- oder Hintergrund sind irgendwie aufregend. Die Bilder sehen auf 160 x 200 Zentimeter genauso langweilig aus wie als Katalogbild. Das klingt zwar komisch als große Erkenntnis, aber ich hatte mich ein bisschen davor gefürchtet, alle Bilder im Original auf einmal toll zu finden.

Nochmal kurz zur Madonna: Ich lernte aus den Wandtexten, dass es bis 1941 ganze acht Heiligendarstellungen auf der GDK gab, danach keine mehr. Christliche Motive gehörten nicht zu den gewünschten Motiven der NS-Zeit. Das deckt sich mit meinen Erkenntnissen, die ich bei der Arbeit zu Leo von Welden (1, 2) gewonnen habe.

Im zweiten Raum hing auch noch Hans Schmitz-Wiedenbrücks Familienbild (vor 1939, unter dem Link zu sehen oder hier mit Provenienz). Das hätte, bis auf wenige Details, von Motiv und Malweise her auch aus dem 19. Jahrhundert stammen können. Aus der Bochumer Ausstellung berichteten meine Kommilitoninnen, dass an den „NS-Bildern“ kleine Aufkleber mit der Aufschrift „Artige Kunst“ (natürlich in Fraktur) befestigt waren, und dass die Aufbauenden manchmal nachfragen mussten, an welche Bilder der Aufkleber denn soll – das war anscheinend nicht immer sofort ersichtlich. Mir ging es einen Raum weiter so, dass ich beim schnellen Rundumblick bei einigen Werken dachte, jo, NS-Zeit, aber falsch lag. Soviel zum Thema „So sieht NS-Kunst aus, total eindeutig, das Zeug“. Beim Familienbild kann man die weiße Bluse und den braunen Rock des Mädchens links als BDM-Uniform lesen, und die Jacke des kleinen Jungen links sieht auch ein bisschen nach Uniform aus – es könnte aber auch eine Jägerjoppe sein. In der Abbildung erkennt man nicht, dass der Farbauftrag recht fein und lebhaft ist; ich starrte lange auf die rote Decke auf der Bank rechts im Bild und mochte generell die Stofflichkeit gerne. Und so begann schon im zweiten Raum bei mir der innere Kampf zwischen „Da gucke ich jetzt total unbeteiligt als Profi drauf“ und „Verdammt, das Bild hat einen gewissen Reiz, den ich gerade wegargumentieren will, damit ich mir nicht nachsagen lassen muss, Nazischeiß gut zu finden“. Ich fand das Bild nicht gut im Sinne von „Muss ich dringend über der Couch hängen haben“, aber ich konnte es auch nicht so doof finden wie die Saligers. Ein Propagandaplakat für „Gesunde Eltern – gesunde Kinder“ der NS-Volkswohlfahrt sorgte dann wieder für Kontext, wovon ich wieder genervt war. Ja, ich weiß, warum das Ding da hing (NS ist böse, nur falls das jemand bereits im zweiten Raum wieder vergessen haben sollte), aber das war echt Didaktik für Dummies.

Im dritten Raum stand dann wie gesagt eine Breker-Statue, die sogar noch halbwegs manierlich aussah und nicht wie die Drogenmuckijungs. Als Kontrast stand hier zum Beispiel die zarte Hungernde (1925, untere Bildreihe rechts) von Karel Niestrath, die man ein paar Räume weiter auf einem Foto zur Feme-Ausstellung „Entartete Kunst“ wiedersah. Das mochte ich gern, dass man Objekte in einem Zeitkontext wiederfinden konnte. Ich weiß nur gerade selber nicht, warum mich der Hinweis auf die Aktion „Entartete Kunst“ weniger nervte als die Volkswohlfahrt und die KZ-Bilder. Auch das war eine Erkenntnis der Ausstellung, die ich schon im Saal 13 der Pinakothek der Moderne hatte: Ich habe dieses ganze Forschungsfeld immer noch nicht fertig durchdacht. Immer wenn ich denke, jetzt weiß ich, wie ich selbst mit diesen Werken umgehen soll, will, muss, ändert sich wieder irgendwas. Vielleicht bin ich in drei Jahren nach der Diss irgendwo angekommen.

Ich erspare euch jetzt eine Aufzählung alle Werke, sondern lege euch die Ausstellung einfach ans Herz. Was für mich persönlich noch wichtig war: der Gesamteindruck von mehreren Werken aus der NS-Zeit in einem Raum. Das Problem an NS-Kunst, wenn man sich mit ihr wissenschaftlich befassen will: Sie wird nirgends gezeigt. Würde ich über die klassische Moderne promovieren wollen, könnte ich in so ziemlich jedes Museum des 20. Jahrhunderts gehen und einen kleinen Einblick bis großen Überblick bekommen. Bilder aus der NS-Zeit hängen in wenigen Exponaten in historischen Museen in Berlin und Nürnberg und jetzt eben auch in München, aber das war’s. Alle Bilder, die ich bisher als „klassische NS-Kunst“ kannte, kenne ich nur aus Abbildungen. Deswegen war der Besuch in Regensburg so lohnend für mich, weil ich endlich viele Originale sehen konnte – aber eben auch zwiespältig. Meine erste Reaktion per DM an F. lautete sinngemäß, toll, unbedingt angucken – was nicht heißt, dass da nur gute Kunst hängt, die man dringend sehen muss, sondern es heißt, es war für mich persönlich wichtig und aufschlussreich, sie gesehen zu haben. Aber ich merke bei jedem Satz, dass es ziemlich dünnes Eis ist, auf dem ich mich bewege.

Das fiel mir besonders in der Mittelhalle des Museums auf, wo zwar auch ein paar Werke hingen, die als Korrektiv wirkten, aber die Hälfte des Raumes bis zum Raumteiler war mit NS-Kunst bestückt, und es fühlte sich ganz kurz so an, als würde ich in einer GDK stehen. Das kannte ich noch nicht, dieses Gefühl: So könnte sich das damals angefühlt haben. Und zum ersten Mal wurde mir auch klar, warum der NS-Kunst bis heute eine gewisse Verführungskraft zugesprochen wird. Ich habe da dennoch gleich ein dickes „Aber“.

Im Raum hängen direkt nebeneinander an drei Wänden zwei Kriegsmotive (Claus Bergens Im Kampfgebiet des Atlantik (vor 1941); Michael Mathias Kiefers Die Wacht (Seeadler, 1940)), zwei Motive, die sportlich-gestählte Menschen zeigen (zum Beispiel Albert Janeschs Wassersport (vor 1936)), sowie ein paar Landschafts- und Bauernmotive. Eines davon war für mich wieder spannend: Paul Junghanns Pflügen (1940). Es zeigt einen Bauern, der hinter einem Pflug geht, der von drei Pferden gezogen wird. Der Horizont ist niedrig, das Bild gelblich-bräunlich, es sieht aus wie späte Abendsonne, eigentlich völlig unaufregend. Das Format entspricht allerdings überhaupt nicht den üblichen bäuerlichen Abbildungen, die man aus dem 19. Jahrhundert kennt – es ist mit 150 x 245 cm recht großformatig. Hier sieht man es im Kontext der GDK 1940, wo es neben weiteren bäuerlichen Bildnissen hängt und immer noch recht unaufregend wirkt. Aber in einem Raum, wo nebenan ein U-Boot durch ein bewegtes Meer pflügt und kleinpimmelige Herrenmenschen ihre Körper für den Kampf stählen, bekommt es einen sehr unheimlichen Beigeschmack. Und schon haben wir die gewollte Gruselstimmung: Guckt mal, wie schlimm NS-Kunst ist.

Aber, und hier kommt das Aber: Mit dieser Hängung schafft die Ausstellung eben auch einen Kontext, den die Bilder zur damaligen Zeit nicht hatten. Wie schon beschrieben, hing Pflügen neben anderen bäuerlichen Szenen und eben nicht zwischen U-Booten und Turnern. Wenn man sich mal durch die Säle der GDK klickt, was man auf GDK-Research ganz wunderbar machen kann, sieht man, dass recht themenzentriert gehängt wurde: hier die weiblichen Akte und die Blümchen, da die Kruppstahl-, Windhund- und Lederjungs, hier die Bauernstuben, dort die Tierporträts und irgendwann dann Kriegsbilder (gerne mit Landschaften kontrastiert wie Leo von Weldens Vormarsch in Norwegen (1941)). Die heutigen Ausstellungen zeigen durch ihre Werkauswahl und -kombination schlicht ein falsches Bild, um einen längst überholten Forschungsstand zu illustrieren. Und das nehme ich der Schau wirklich übel.

Wieder zum Positiven: Auch wenn ich die Hängung problematisch und die Idee doof finde, NS-Kunst mit Nicht-NS-Kunst zu kontrastieren, war es natürlich schön, zusätzlich zum Nazikram einige Werke der klassischen Moderne zu sehen, die ich noch nicht im Original kannte. Sehr gefreut habe ich mich über Komposition (1939/40) von Otto Freundlich aus dem Besitz der Ostdeutschen Galerie. Freundlichs Skulptur Der neue Mensch wurde in einer bösartig verzerrten Fotografie für das Titelbild des Katalogs zur Ausstellung „Entartete Kunst“ missbraucht. Gern gesehen habe ich auch Carl Grossbergs Brücke über die Schwarzbachstraße in Wuppertal (1927, im Link zu sehen); Grossbergs neusachliche Darstellung von Großstädten mag ich sehr gerne. Ich mag allerdings ebenso gerne Carl Theodor Protzens Straßen des Führers (vor 1940), und da sind wir dann wieder bei den Ambivalenzen, mit denen ich die ganze Zeit zu kämpfen habe. Selber schuld, ich weiß. Hätte ich mich mal auf feministische Kunst der 1970er Jahre spezialisiert, aber nein, es musste ja Nazischeiß sein.

Auch gefallen hat mir in Regensburg der Lokalbezug. In der Ausstellung waren einige Werke zu sehen, die nicht im gemeinschaftlichen Katalog abgebildet sind. So gefielen mir drei großformatige Grafiken (Ende 1940er Jahre) von Max Radler, die sich im Besitz der Ostdeutschen Galerie befinden, auf denen er sich mit der angeblichen Entnazifizierung nach 1945 befasst. Auch spannend: ein 13-minütiger Farbfilm über die GDK 1943, in der ein für mich aufschlussreicher Satz fiel: Die künstlerischen Werke der GDK seien „Dokumente unseres Wesens, um das wir kämpfen“. So hatten eben auch die Blumenstillleben und die weiblichen Akte eine Funktion und waren mehr als Deko. Das wusste ich zwar schon vorher, aber jetzt hab ich ein schönes Zitat.

Wenn ich Zeit und Lust habe, gehe ich Ausstellungen gerne noch einmal in umgekehrter Reihenfolge ab, also nicht in der Richtung, in die mich die Kurator*innen schicken. Beim ersten Durchgang fiel mir wie erwähnt der Zehnkämpfer von Breker in einer Blickachse ins Auge. Wenn man aus der anderen Richtung kommt, kann man ebenfalls schon aus der Entfernung in Raum 3 schauen. Dann sieht man allerdings Ossip Zadkines Torse de la Ville détruite (1951). Auch hier quengelte ich zwar innerlich, dass eine Skulptur von 1951 echt nicht in diese Ausstellung gehört, aber der Kontrast zur anderen Blickachse hat mich wieder versöhnt.

Literatur zum Blogeintrag:

Kat. Ausst. Kunst und Politik im Nationalsozialismus. Ruhr-Universität Bochum, Situation Kunst (für Max Imdahl)/Kunsthalle Rostock/Kunstforum Ostdeutsche Galerie Regensburg, Lizenzausgabe für die Bundeszentrale für Politische Bildung, Bonn 2016.

Kunstforum Ostdeutsche Galerie Regensburg (Hrsg.): Erinnerung & Vision. 100 Meisterwerke der Sammlung, Regensburg 2005.

Museum Ostdeutsche Galerie Regensburg (Hrsg.): Von Chodowiecki bis zur Gegenwart. Eine Auswahl aus der Graphiksammlung, Regensburg 1993.

Was schön war, Sonntag, 20. August 2017 – Sonntagsrumsnoozen

Gemeinsam aufgewacht. Vor acht Uhr morgens. „Weißt du noch, als wir bis 10 geschlafen haben?“

Mich darüber gefreut, dass auf der Schellingstraße Baustelle ist und deshalb der 154er Bus von F. zu mir an den Pinakotheken entlangfährt, die ich sonst deutlich seltener sehe.

Schokocroissants mit schwarzem Johannisbeergelee.

Die FAZ von Montag bis Freitag nachgelesen; die von Samstag hatte ich vorgestern geschafft, auf die anderen hatte ich erst gestern Lust. Durch ein Feuilleton wieder eine neue Diss-Idee gehabt; gleich wieder verworfen, aber ich finde es lustig, dass mich in letzter Zeit so viele Themen anspringen, die etwas hergeben würden. Vielleicht waren die schon immer da, aber ich habe sie einfach nicht gesehen.

Grey’s-Anatomy-Rewatch, ich hab ja Zeit.

Radium Girls weitergelesen.

Früh ins Bett gegangen, bei Regen eingeschlafen.

Was schön war und mich komplett sprachlos machte, Samstag, 19. August 2017 – Random Acts of Kindness

Ich bekam am Freitag eine Mail, wie sie öfter bei mir landet: Jemand schreibt mir, wie gut ihm oder ihr mein Blog gefällt, was man davon mitgenommen hat in den letzten Jahren und dass man sich dafür einfach mal bedanken wollte. Derartige Mails freuen mich immer sehr und machen rote Bäckchen und ein dickes Lächeln. In dieser Mail wurde nun aber explizit Bezug auf meinen Blogeintrag genommen, in dem ich meine zweite Selbstbelohnung für das abgeschlossene Studium erwähnte – den geplanten Besuch im Tantris. Ob man mich dabei irgendwie unterstützen könne: „Paypal, Überweisung, Tantris-Gutschein :)“?

Das war neu. Normalerweise schicken mir Leute was vom Amazon-Wunschzettel, und auch darüber freue mich mich immer sehr. Dass mir jemand Geld schicken wollte, kannte ich persönlich noch nicht, obwohl ich natürlich weiß, dass andere Blogs sich so unterstützen lassen. Also verschickte ich gestern meinen Paypal-Link und versprach, das Geld nur ins Tantris und sonst nirgends hinzutragen.

Längerer Einschub: Ich denke ernsthaft seit gestern abend darüber nach, ob ich den Link hier verbloggen soll oder nicht. Es sieht jetzt gerade im Kontext dieses Eintrags ein bisschen danach aus, als ob ich meine Leser*innen dringend darauf hinweisen möchte, dass man mir natürlich neben netten Worten und Büchern auch cold hard cash schicken kann. Eigentlich will ich diesen Eindruck nicht vermitteln – deswegen ist dieses Blog auch nach 15 Jahren werbefrei bis auf die Amazon-Affiliate-Links, über deren Erträge meine Steuerberaterin vermutlich immer die Augen rollt. (Ja, ich gebe die in der Steuererklärung an. Ich sehe mich als Autorin, ich autoriere hier lustig vor mich hin und deshalb werden die winzigen Erträge dieses Blogs genauso angegeben wie alles, was durch Werbetexte oder andere schriftliche Aufträge reinkommt. Das war jetzt ein Einschub im Einschub, sorry.)

Zurück zum „eigentlich“: Eigentlich siehe oben, aber andererseits eben genau das Gegenteil. Meine Website wird von einem netten Menschen seit Monaten im Hintergrund umgebaut, weil ich allmählich nicht mehr möchte, dass mein Blog als erstes erscheint, wenn man meinen Namen googelt. Ich würde gerne zunächst als Kunsthistorikerin, Werbetexterin und Autorin sichtbar sein, bevor man liest, was ich gestern zum Abendbrot hatte und über was ich mich dieses Mal in der Einlasstraube der Allianz-Arena aufgeregt habe. Auf der neuen Startseite habe ich auch Links zu Paypal und Patreon vorgesehen, mit denen man meine Arbeit unterstützen kann. Denn trotz all dem persönlichen Vergnügen, den mir dieses Blog macht, ist es natürlich auch Arbeit. Arbeit, die ich freiwillig erledige und dazu auch noch bemerkenswert regelmäßig UND mit annähernd perfekter Rechtschreibung. (Mehr geht seit der Reform bei mir nicht mehr. „Annähernd“ ist meine Messlatte.) Andere Content-Produzierende (oder wie Casey Neistat so schön sagt: creators) machen das ähnlich, und daher fand ich diesen Weg für mich ebenfalls geeignet: Man muss mich nicht abonnieren, man kann weiterhin alles umsonst lesen, es wird weiterhin keine Bezahlschranke oder Werbung geben, aber wer mich anders unterstützen möchte als mit einem Buch, der kann das demnächst tun.

Deswegen lag der Paypal-Link hier griffbereit rum. Und damit zurück zur Mail vom Freitag:

Ich erwartete ehrlich gesagt irgendwas in der Höhe eines Buchs – und war deshalb mehr als erschrocken, erstaunt, fassungslos und ein bisschen überfordert, als mir Paypal eine Mail schickte mit der Summe, die mir gerade überwiesen worden war. Ich behalte den genauen Betrag mal für mich, aber er reicht inklusive Trinkgeld großzügig für das derzeit angebotene Gourmet-Menü im Tantris – das mit den besonderen Weinen, auf die ich so scharf bin. Ich ahne, dass auch die reguläre Weinbegleitung keine Plörre aus dem Tetrapak ist, aber ich freue mich fast mehr auf die Weine als auf das Essen. Das ist jetzt alles von einer Leserin finanziert worden, und ich bin auch einen Tag später immer noch sprachlos. Ich habe mich natürlich schon per Mail bedankt, aber ich mache das hier nochmal. Vielen Dank für dieses unglaubliche Geschenk, ich habe mich so sehr gefreut, dass ich nur noch hysterisch brabbelnde DMs an F. schicken und weinerliche Tweets absetzen konnte.

Den Tisch haben wir heute morgen reserviert. Wir werden wenige Tage, bevor mir die Master-Urkunde überreicht wird, fürstlich tafeln und trinken. Das ist fast auf die Woche genau fünf Jahre, nachdem ich meine erste Vorlesung an der LMU hatte.