Konfettiwochenende

Morgens in den Zug nach Dresden gestiegen. Die ganze Zeit aufs Elbpanorama gefreut, das mich bei der letzten Anfahrt so begeistert hatte, nur um gut vier Stunden später festzustellen, dass entweder der Bahnhof oder die Elbe versetzt wurde oder dass ich beim letzten Mal aus einer anderen Richtung gekommen bin – kein Elbpanorama, keine Arme, keine Kekse.

Es sind zehn Grad mehr als in Hamburg, es ist stickig, gelbliches Licht liegt über der Stadt. Das Intercity-Hotel ist dafür auf Hamburger Verhältnisse runtergekühlt, ich bekomme ein Öffiticket in die Hand gedrückt, freue mich darüber und nutze es sofort, um mit der 8 oder der 9 in Richtung Zwinger/Semperoper/Grünes Gewölbe und was da noch alles rumsteht zu fahren. Tramfahren! Jeder Tag ist ein guter, an dem man Tram fahren kann.

Der Zwinger ist, im Gegensatz zum letzten Mal, schön voll. Zehn Euro zahlen, nur um zwei Raffaels anzugucken: ich. Im Stechschritt durch die flämischen Meister, ein hilfloser Blick an den Wänden entlang, schließlich frage ich: die italienische Renaissance? und werde freundlich in die richtige Richtung geschickt.

Ein kleiner abgetrennter Bereich weist auf die Sonderausstellung „Himmlischer Glanz“ hin: „Raffael malte die große, mehr als drei Meter hohe Altartafel der „Madonna di Foligno“ 1512, bevor er im gleichen Jahr von Papst Julius II. den Auftrag zur „Sixtinischen Madonna“ erhielt. Beide Gemälde standen also vor circa fünf Jahrhunderten mutmaßlich zeitgleich in Raffaels Atelier und werden jetzt erstmalig wieder vereint.“ Ich bin verzückt von den Engelchen der Sixtinischen Madonna, obwohl ich damit gerechnet habe, sie eher belanglos zu finden, weil ich sie von Keksdosen und Kitsch kenne, und verzaubert von den Farben der Madonna di Foligno. Alles ist erleuchtet.

Ein kleiner Bummel an den restlichen Exponaten vorbei, nichts, was mich fängt außer dem Heiligen Sebastian von Regnier, der ein ständiger Gast in Dresden ist. Wieder raus, ein dickes Lächeln im Gesicht, Zwinger, Semperoper, Grünes Gewölbe, wunderschön, das Licht, die Luft, nur gut gelaunte Menschen, und in 90 Minuten bin ich schon wieder hier, um mir Dvoraks Rusalka in der Inszenierung von Stefan Herheim anzuschauen.

Zurück ins Hotel und opernfein machen. Theoretisch. Die schwarzen Schuhe vergessen, weswegen ich zu schwarzem Hemd und Hose meine weißblaupinken Nikes trage. Der Dresscode der restlichen Besucher ist allerdings teilweise noch legerer, was mich erstaunt und erleichtert. Ein kurzer Einführungsvortrag erklärt mir, dass heute abend nicht Rusalka die Hauptperson ist, sondern der Wassermann: Er steht stellvertretend für „den Mann“, der sich mit „den Frauen“ auseinandersetzt, mit den Vorstellungen, die er von ihnen hat und damit, wie sie ihn damit kleinkriegen. Ich bin ein bisschen quengelig, weil ich mit dem üblichen Aufmarsch von Huren und Heiligen rechne, aber schauen wir mal.

Huren und Heilige habe ich dann auch bekommen, und so ganz überzeugt hat mich die Deutung nicht, aber scheißegal. Denn was ich noch bekommen habe: wieder einiges, was ich so noch nie in der Oper gesehen hatte. Schon der Anfang hat mich erwischt. Sonst so: Das Saallicht erlischt, die/der Dirigent_in kommt in den Orchestergraben, freundliches Klatschen, Stille, Ouvertüre, Vorhang hoch, los geht’s. Hier so: Das Saallicht wird gedimmt, bleibt aber an, der Vorhang geht auf, und die Handlung beginnt einfach mal ohne Musik. Und mittendrin geht sie dann los, ohne dass ich mitbekommen hätte, dass der Dirigent reingekommen ist. Und wie in Herheims Parsifal, der mich völlig fertiggemacht hat, passieren auch hier wieder lauter Dinge, die ich erst mitbekomme, wenn sie passiert sind. Außerdem tanzen Gummipuppen und Barhocker, Spiegel schieben sich vor Gebäude, eine U-Bahnstation ist ein Blumenladen, der Förster ist ein Kiffer, die Nixen schweben anstatt zu schwimmen, irgendwann tauchen Wasserwesen im Saal auf, und plötzlich regnet es rotes Glitzerkonfetti auf das Publikum. Ich muss mich beherrschen, nicht zwischendurch zu klatschen oder kurz mal „Ihr seid alle irre, aber meine Güte, macht das alles Spaß!” in Richtung Akteure und Akteurinnen zu brüllen, weil es so herrlich ist, so frisch und aufregend und überhaupt nicht märchenhaft-schnarchig, und gleichzeitig so poetisch und tieftraurig. Wundervolle Stimmen, tolle Inszenierung. In der Pause stehe ich mit Sektglas und Zur-Feier-des-Tages-Zigarette zwischen Oper und Zwinger, die nachts beleuchtet sind, gucke um mich rum auf die ganze Historie vor und hinter mir, atme tief ein und aus und ein und aus und bin glücklich.

Beim Rausgehen ein bisschen Glitzerkonfetti aufgehoben und ins Portemonnaie gesteckt.

Im Hotel Twitter nachlesen; viele Menschen haben die Nudeldicke Deern in der Post und freuen sich oder sie schon durchgelesen und freuen sich. Ich lese Tweets und freue mich noch mehr und poste die bekannteste Arie aus Rusalka.

Der nächste Morgen wirft mich früh aus dem Bett, ein Taxi bringt mich zum Flughafen. Der Taxifahrer weist mich auf das Elbpanorama hin, und ich bin versöhnt. Außerdem erzählt er mir, dass Dresden die höchste Geburtenrate Deutschlands habe. Kein Wunder. Hier scheint sich’s aushalten zu lassen.

Eine gute Stunde später bin ich in München, wo die Lufthansa uns launig ein „zünftiges G’suffa“ wünscht. Mein charmanter Begleiter und ich telefonieren erstmal 20 Minuten, bis wir uns gefunden haben. „Du musst links rausgehen!“ – „Welches links?“ Dann fahren wir in die älteste Brauerei der Welt, um zu frühstücken. Ich esse das erste Mal im Leben Käsespätzle zum Frühstück, verstehe den Kellner nicht, weil er eine Mischung aus kroatisch und bayerisch spricht, bin aber sowieso weichgekocht, weil wir die ganze Zeit mit Humtata aus dem Lautsprecher begleitet werden.

Der Spaziergang im botanischen Garten führt zur ersten Niederlage meiner Nordischkeit, als ich zugeben muss, dem bösen Münchener Regen nichts Adäquates entegegenzusetzen zu haben. Meine schnuffige Kapuzenjacke ist eine Memme, aber mein Begleiter hat nicht nur zwei Regenjacken, sondern auch noch einen Schirm dabei. Ich lerne erstaunt, dass es einen Lebkuchenbaum gibt, wir amüsieren uns über Zieräpfel in der Größe von Mirabellen und verstehen nicht, warum Rosen nicht immer Rosen heißen.

Auf der Autobahn beginne ich Musik zu schätzen, von der ich nie gedacht hätte, dass ich sie mag, was daran liegen könnte, dass sie herrlich laut ist, und Musik kann ja nie laut genug sein. Wir brüllen uns bis nach München an, ich bekomme eine Quasi-Stadtführung aus dem Auto heraus, die an der Säbener Straße endet, beim Trainingsgelände von Bayern München. Der Begleiter ignoriert die geschlossene Schranke, ich peer-pressure-Küken stolpere hinterher, und wir werden beide zu Recht von irgendeinem Aufpasser angeschnauzt. Der Verein ist mir sofort unsympathisch, aber das hält nur 30 Sekunden, bis ich durchs Fenster drei fette Europapokale erspähe.

Bei Kaffee und Käsekuchen werden dann bei ihm Stoppuhren ignoriert und Münchener Reiseführer gewälzt, wir diskutieren die Theorie, dass Frauen immer frieren („Frauen frieren nur, wenn sie nichts essen, und außerdem zieht dein Backofen.“ – „Ja, der ist ein bisschen psychotisch drauf.“), die größten kulturellen Errungenschaften, auf die wir nicht verzichten wollen („Bayreuth“ – „Champions League“), und dann ist es schon Zeit, um sich zur Kneipe aufzumachen, wo das Spiel Schalke-Bayern übertragen wird. Wir verteidigen tapfer unsere Plätze gegen allzu zutrauliche Menschen, Currywurst und Bier für ihn, Bier und Bier für mich, zweimal Torjubel, und ich verleihe Petersen den Ehrentitel Schnucki 2.

Die Zeit reicht kaum noch für einen anständigen Abschied, aber ich hysterische Zu-früh-am-Gate-Seierin habe Angst, den letzten Flug zu verpassen. Wieder alles richtig gemacht, denn die Gepäckschlange ist ziemlich lang, und ich bin zehn Minuten vor Boarding am Gate, wo gerade die Aufschrift blinkt, dass der Flieger eine halbe Stunde Verspätung habe.

Ich bin voll mit Eindrücken, Stimmen, Melodien (und Bier) und gucke nur noch still nach draußen ins nasse Dunkel. Ohne Musik auf den Ohren. Ohne Twitter zu checken. Ohne alles. Nur da sein und satt sein und glücklich sein.

Und ich habe jetzt immer Konfetti dabei.

Julie & Julia

Julie Powell arbeitet 2002 als Versicherungsangestellte in New York und muss sich den ganzen Tag Geschichten von Menschen anhören, deren Angehörige in den Türmen umgekommen sind. Sie wohnt mit ihrem Ehemann in einer Wohnung, die ihr auf die Nerven geht, sie fährt ewig U-Bahn, um irgendwo hinzukommen, und ihre Freundinnen gehen ihr auf den Zeiger mit ihren beruflichen Erfolgen. Das einzige, was sie entspannt und ihr Freude bereitet, ist kochen. Und so beschließt sie eines Abends, das Standardwerk von Julia Childs, Mastering the Art of French Cooking, nachzukochen. Alle 524 Rezepte in 365 Tagen, festgehalten in einem Blog. Julie & Julia erzählt diese Geschichte.

Was den Film so charmant macht, ist, dass er zusätzlich auch noch die Story von Julia Childs erzählt – oder zumindest einen Ausschnitt davon, nämlich die Jahre, in denen sie als Ehefrau eines Diplomaten in Paris lebte und eher aus Langeweile denn aus Berufung anfing, kochen zu lernen. Ihr Ehrgeiz war relativ schnell geweckt, und so sehen wir sie kiloweise Zwiebeln hacken, um ihre Technik zu verbessern, mit dem Fischhändler schäkern, obwohl doch alle Franzosen so brummig sein sollen, und wir sehen sie vor allem beim Essen. Beim Genießen. Beim Schwelgen in guten Zutaten und das in Bilderbuchfrankreich. Bei Julie in New York ist es nicht ganz so bilderbuchmäßig, aber auch bei ihr sehen wir päckchenweise Butter in Pfannen verschwinden, Sahne, die aufgeschlagen wird, einen Kühlschrank voller Köstlichkeiten und immer wieder der selige Gesichtsausdruck, wenn sie an Kräutern schnuppert oder neugierig den Topfdeckel hebt.

Julie & Julia erzählt von zwei unterschiedlichen Frauen unterschiedlicher Generationen, schafft es aber, beide so zu verbinden, dass es nie spinnert rüberkommt, wenn Julie erzählt, dass ihr Julia quasi über die Schulter guckt. Beide arbeiten an ihrer Ehe bzw. müssen mit Problemen privater Natur klarkommen, beide suchen nach einer Karriere, beide wollen energisch den Erfolg. Und beide werden von ganz wundervollen Schauspielerinnen dargestellt (Amy Adams und Meryl Streep), wie überhaupt der ganze Film voll ist mit wunderbaren Schauspielerinnen. Die wenigen Männer sind ebenfalls großartig, allen voran mein heimlicher Schwarm Stanley Tucci als Julias Ehemann.

Einen Nachteil hat der Film allerdings: Man kann ihn nicht anschauen, ohne dabei etwas essen zu wollen. Bevor ihr die DVD einlegt, am besten eine Platte mit Crostinis paratstellen. Und eine Cremespeise. Und Sekt. Oder wenigstens eine Runde belegte Brote.

Bechdel-Test bestanden?

1. Es müssen mindestens zwei Frauen mitspielen, die
2. miteinander reden
3. und zwar über etwas anderes als Männer.

Ich würde zu Jein tendieren. Obwohl beide Hauptpersonen weiblich sind, reden sie natürlich nicht miteinander, weil ihre Geschichten 40 Jahre auseinander liegen. Die jeweils wichtigen Bezugspersonen sind ihre Ehemänner (not that there’s anything wrong with that). Julies Freundin darf, wenn ich mich recht erinnere, in zwei Szenen Stichwortgeberin spielen, aber Julia hat immerhin noch ihre Co-Autorinnen für ihr Kochbuch. Spontan hätte ich die Frage nach dem Test mit Ja beantworten wollen, aber so ganz hundertprozentig ist es dann doch nicht. Aber 99%.

Leserinnenzuschrift

Die folgende Mail bzw. der Ausschnitt daraus ist die erste Reaktion von jemandem, den ich nicht kenne und der (bzw. die) mir einfach so schrieb. Ich habe mich sehr, sehr gefreut. Und jetzt bin ich ein paar Minuten lang fett stolz auf mich.

„Liebe Anke Gröner,

gestern ist die “Deern” bei mir eingetrudelt und gerade habe ich die letzten Sätze gelesen – ein paar Tränchen sind geflossen, teils aus Schmerz, teils weil ich laut lachen musste.

Danke für dieses Buch!“

Die „Deern“ und die Post

Wer sein signiertes Exemplar noch nicht hat, der darf auf mich zickig sein, denn ich habe mich beim Porto einen Hauch verguckt. Ich habe brav auf Größe und Gewicht des Briefs geachtet, aber die Höhe (DIE HÖHE!) schmählich vernachlässigt. Deswegen trudeln einige der liebevoll verschickten Bücher wieder bei mir ein, und ich verpacke sie neu und klebe wildes Porto drauf oder knibbele, wie eben, mit einem äußerst freundlichen Postmenschen die Aufkleber für zuwenig Porto ab und haue Restporto drauf und lasse die Briefe gleich da, damit sie hoffentlich morgen bei euch sind.

Wer schon eine „Deern“ hat, weiß jetzt, dass er oder sie nette Zusteller_innen hat. Alle anderen wissen immerhin, dass sie einen extrem normgerechten Briefkastenschlitz haben, in den nix über zwei Zentimeter Höhe passt, nicht mal ein schönes Buch, das blöderweise zwei Millimeter zu hoch ist für 1,45 Euro.

Entschuldigung.

Ralph Bollmann: „Walküre in Detmold“

„Anders als in Berlin herrscht in München eine klare Hierarchie der Opernhäuser. Die Staatsoper für den Glanz und die großen Namen, der Gärtnerplatz für das Volk. Weil in der sozial weniger gespaltenen Gesellschaft Münchens auch ganz normale Leute ins Theater gehen, bleibt der Spielraum für Experimente begrenzt. Berlins Komische Oper wollte stets ein Musiktheater für alle sein, in dem verständlich auf Deutsch gesungen wird und die Stoffe ganz alltagspraktisch auf die Bühne kommen, zuletzt auch gerne provokant, was zu einem Austausch der Zuschauer führte. Jetzt ist das Publikum dort jünger und intellektueller. Das konnte nur funktionieren, weil es in Berlin ein bodenständiges Opernpublikum kaum gibt – und wenn, dann geht es in die großen Häuser. Die sogenannten kleinen Leute wollen auf der Bühne nicht ihren Alltag sehen, sondern heile Welt, gern Operette. Damit muss ein Intendant am Gärtnerplatz stets rechnen, ohne deshalb ins Anspruchslose abzukippen. Zuletzt klappte das nur bedingt, auch weil die Personalpolitik des Hauses nicht glücklich war.

Ausnahmsweise entscheiden wir uns deshalb für eine alte Produktion, Friedrich von Flotows Martha in der Inszenierung von Loriot, die 1986 in Stuttgart Premiere hatte und seit 1997 in München läuft. Das ist Opernmuseum, in diesem Fall aber gutes Museum. Die Aufführung funktioniert noch immer. Der Kellner, der im Waldrestaurant mit seiner Spucke die Tische putzt, während die anderen Liebesarien schmettern; der ungerührt die Stühle auf die Tische räumt; der vergeblich der Festgesellschaft die Rechnung zuzustellen sucht: Das ist eine Figur wie aus den klassischen Sketchen des Humoristen. Hier auf der Opernbühne weiß man nicht genau, ob das eigentlich noch Loriot ist oder schon Christoph Marthaler, der später die Ästhetik des deutschsprachigen Theaters mit ähnlichen Pathosbrüchen prägte.

Loriot erfindet zwei Hauptfiguren hinzu. Er belässt die Handlung in England, verlegt sie aber in die Entstehungszeit des 1847 uraufgeführten Stücks. Am Schluss thront daher Queen Victoria als riesiger, gluckenhafter Teewärmer über einer nicht minder bauchigen Kanne, dazu spielt das Klavier God save the Queen. Der zweite Gast ist Richard Wagner, inspiriert durch den Umstand, dass die männliche Hauptfigur Tristan heißt und Loriot den Komponisten ohnehin verehrt. Der „sächsische Tondichter“, wie es auf dem Besetzungszettel heißt, sitzt in der zentralen Biergartenszene auf der Bühne. Er wird auch musikalisch zitiert, den ersten Auftritt Tristans begleitet der einschlägige Akkord. Loriot greift in die Musik ein, mehrfach sogar. Bei Flotow darf er das, der mecklenburgische Singspielautor und zeitweilige Schweriner Opernintendant zählt nicht zu den Unantastbaren des musikalischen Olymp. Aber was, wenn es jemand umgekehrt machte und im Tristan unvermittelt singen ließe: „Martha, Martha, du entschwandest“? Nicht auszudenken.

Als wir das Theater verlassen, laufen in den Wirtshäusern die Fernseher. Wenig später hat Bayern München das Finale der Champions League verloren. Nach dem Abpfiff endet der sonnige Tag mit einem überraschenden Regenschauer. Die enttäuschten Fans lassen sich die Laune nicht verderben und kommen mit ihren nassen Bayern-Schals noch auf ein Helles in die Schankstube. Wir sitzen an blanken Holztischen, essen unter einer herrlichen Stuckdecke unser saures Lüngerl. So schön kann Bayern sein.“

Ralph Bollmann, Walküre in Detmold (Affiliate-Link), Klett-Cotta 2011, S. 274/275.

Das Buch erwähnte ich bereits einmal; jetzt habe ich’s durchgelesen und würde es euch allen gerne schenken, so großartig fand ich’s. Man muss nicht mal Opernfan sein, ja eigentlich muss man noch nie in die Oper gegangen sein, um das Buch trotzdem zu genießen. Es macht ein bisschen mehr Spaß, wenn man grob weiß, wer so Jungs wie Verdi oder Wagner waren, aber notfalls hilft ein kurzer Blick in die Wikipedia weiter.

Der Inhalt hört sich simpel an: In Deutschland gibt es 81 Opernhäuser, und Autor Bollmann guckt sich in jedem Haus eine Aufführung an, manchmal auch mehrere. Er beschreibt kurz die Höhepunkte oder die Dinge, die ihm aufgefallen sind; meist bekommt ein Haus nicht mehr als ein oder zwei Seiten im Buch. Den Rest der knapp 300 Seiten füllt er mit kleinen Ausflügen in die spezielle Geschichte zum Haus oder dem Ort, an dem es steht. Ich habe viel erfahren über den deutschen Föderalismus, die Kulturförderung, den Anspruch von Publikum und Kunstschaffenden, der nicht immer auf einer Linie liegt, und über viele Orte, Landschaften und Sehenswürdigkeiten, die bisher an mir vorbeigegangen sind. (Ich muss ganz dringend nach Sachsen-Anhalt! Wer hätte es gedacht.)

Ich fand den Stil sehr wohltuend und passend; kein doofes Bildungsbürgergequatsche, kein elitärer Opernsnobismus. Ganz im Gegenteil: Ich behaupte, dass auch Leute, die vorher dieser Kunstform so gar nichts abgewinnen konnten, sich jetzt vielleicht doch mal so einen Quickie wie Tosca mit ihren lausigen zwei Stunden Spieldauer anschauen wollen, weil Walküre so herrlich nahbar ist. Jedenfalls wünsche ich mir das. Genauso wie ich mir wünsche, dass Bollmann ne Menge Exemplare von diesem kleinen Schmuckstück verkauft.

„Kein Text über Oenning“

Aber dafür ein sehr schöner Text über Michael Oenning (Trainer vom HSV) und Thomas Schaaf (Trainer von Werder Bremen). Beim Freitagsspiel:

„Oen­ning schaut mich an, einen solch trau­ri­gen Blick habe ich nie­mals zuvor bei einem Trai­ner gese­hen. Ich weiß nicht, ob ich weg­se­hen soll, oder ob ich mich der Fas­zi­na­tion beuge. Da zeigt sich jemand für einen Moment offen, dem bewusst sein muss, in welch expo­nier­ter Lage er sich befin­det, die­ser Blick trägt die Schwere der Situa­tion, und leich­ter wird es an die­sem Tag nicht mehr, der HSV wird erneut ver­lie­ren, gegen Wer­der Bre­men. Ein Punkt aus fünf Spie­len, das ist eine Haus­num­mer, und sie ist nied­rig.“

Balsamicozwiebeln

Normalerweise haue ich einfach angebratene Zwiebeln auf mein Kartoffelpüree, was für mich eine eins-a-Hauptmahlzeit ist. Überhaupt ist Kartoffelbei meiner Meinung nach ein völlig unterschätztes Gericht; ich mache es quasi dauernd, wenn ich nicht wirklich Lust auf großes Kochen habe, aber viel Geschmack haben möchte. Was gibt es Besseres aus Kartoffeln, Butter, Sahne und Salz als Kartoffelpüree?

Aber seit ich dieses Rezept beim Kuriositätenladen gefunden habe, esse ich es kaum noch pur oder nur mit schnöden Simpelzwiebeln. Stattdessen krönen jetzt Balsamicozwiebeln mein Leibgericht.

Babyeinfach. Für eine kleine Anke

4 bis 5 rote Zwiebeln in feine Streifen schneiden.
Einen ordentlichen Klacks Butter (ORDENTLICH) in der Pfanne schmelzen lassen, Zwiebeln,
1 Zweig Thymian,
Salz und
schwarzen Pfeffer dazugeben und alles ungefähr 30 Minuten bei kleiner bis mittlerer Hitze anbraten, ihr kennt euren Herd besser als ich. Die Zwiebeln sollten nicht braun, sondern nur glasig werden. Regelmäßig umrühren, dann brennt auch nichts an. (Sollte es jedenfalls nicht.)

Nach den 30 Minuten
3 EL Balsamico und
1 guten TL braunen Zucker

in die Pfanne geben. Alles weitere 30 Minuten braten, weiterhin brav öfter umrühren. Je länger die Zwiebeln in der Pfanne bleiben, desto mehr Aroma können sie aufnehmen. Der Essig sollte irgendwann verkocht und die Zwiebeln eher trocken sein – und dann kann man die Köstlichkeit auf Püree hauen, auf Käsebrote, auf pures Baguette oder von mir aus auch auf eine Tafel Hachez. Vorher noch den Thymianzweig aus der Pfanne rauspicken.

Wer mehr macht (siehe die Mengenangaben bei Steph), kann die Zwiebeln auch in Gläser füllen. Ich habe die obige Portion locker alleine weggeputzt bzw. nur noch einen winzigen Rest für den nächsten Tag übrig gehabt. Schmeckt kalt übrigens noch besser als warm. Gekühlt halten sie sich übrigens laut Steph für einen Monat, aber so lange haben sie es bei mir noch die durchgehalten, die waren immer eher weg.

Mein gestriges Gespräch mit DRadio Wissen ist jetzt auch online zu hören.

Die Webseite zur Nudeldicken Deern ist jetzt online. Und der erste Termin im Kalender ist schon heute um 11 Uhr.

Eine Schokolade auf das Leben oder:
Wie man in der Lebensmittelbranche arbeitet, ohne ein Teil von ihr zu sein

(Für die deutsche Ausgabe der WIRED, die gestern erschien, habe ich einen Artikel über Alyssa Jade McDonald, Gründerin von Blyss, geschrieben. Ich hatte eine bestimmte Zeichenzahl zur Verfügung, die ich im ersten Entwurf natürlich völlig ignorierte, weil ich so viel schönes Zeug zu erzählen hatte. Die gekürzte Fassung steht in der Zeitschrift, und darin geht es eher um die technologischen Aspekte. Mich haben andere Dinge aber mehr interessiert: wie Schokolade zu Müll verkommen konnte und welche Marketingstrategie Blyss verfolgt zum Beispiel. Das steht alles in der „extended version“, und die kommt jetzt:)

“And now I’ll show you how to experience chocolate.”

Ich sitze mit Alyssa Jade McDonald, der Gründerin von Blyss, auf einer viel zu tiefen Couch eines Frankfurter Luxushotels. Seit einer guten Stunde erzählt McDonald begeistert von ihrem Produkt: Blyss, einer Serie an hochwertigen Schokoladen und Kakaoprodukten. Zwischen uns liegen diverse Reagenzgläser; sie sind mit Bruchstücken von Kakaobohnen gefüllt, mit dunklen Schokoladenplättchen, mit einer Kakaobutter, die McDonald flächendeckend auf meinem Arm verteilt hat und die mich mit einem weichen Duft umhüllt. McDonald, im knielangen schwarzen Kleid, mit goldenem Lidstich und auf Absätzen unterwegs, auf denen ich nicht mal stehen könnte, hantiert mit einem Kellnerbesteck, um die Reagenzgläser zu öffnen, lacht, gestikuliert, erhitzt die Kakaobutter mit einem Feuerzeug, lacht wieder, zeigt mir blitzschnell Bilder aus Ecuador auf ihrem iPad und strahlt, wenn sie von ihren Plantagen erzählt. „Wir haben vier Plantagen in Ecuador, eine im Landesinneren, eine am Río Babahoyo und zwei direkt am Meer. Ich glaube, dass die Kakaobäume ihre Einflüsse aufnehmen. Wie ein guter Wein, dessen Geschmack sich auch durch anderes Terroir ändert. Hier, probier mal.“

McDonald greift sich mal wieder meinen Arm, wo ich hungrig einfach ein Stück Schokolade aus der Metallbox nehmen wollte. Keine Chance. „Du musst die Schokolade erstmal etwas anwärmen.“ Sie legt mir ein Stück auf den Handrücken, wir warten, McDonald plaudert und gestikuliert weiter, und ich gucke erwartungsvoll auf meine Hand, ob sich da irgendetwas Wunderbares ereignet. McDonald reibt nun die leicht angewärmte Schokolade auf meiner Haut entlang; schön sieht das nicht aus, aber: „An diesen Streifen erkenne ich inzwischen die wahren Connaisseure. Riech mal dran.“

Riech mal. Natürlich. Bei einem Wein setze ich ja auch nicht die Flasche an den Hals, sobald ich sie entkorkt habe, sondern gieße den Wein in ein Glas, betrachte ihn, schnuppere an ihm, um erste Aromen wahrzunehmen. Bei dieser Schokolade geht das auch: Ich erkenne herben Kakao, überhaupt nicht bitter, obwohl das braune Stück einen Kakaogehalt von 65 Prozent hat. Dazu einen blumigen Duft, sehr zart, tropisch-mild, nicht zu süß. „Das ist Ishpingo, ein Lorbeergewächs. Wir destillieren das Aroma per Bedampfung aus der Blüte und verarbeiten es in der Schokoladenmasse. Jetzt darfst du’s essen.“

Das lasse ich mir nicht zweimal sagen, nachdem ich mich schon genüsslich durch die Reagenzgläser gefuttert habe. Die Schokolade zergeht langsam auf der Zunge, der blumige Geschmack steigt mir in die Nase und erfüllt meinen ganzen Mund. Dann kommt ein leichtes Pfefferaroma dazu, das kurz die Blüte überdeckt, die sich aber wehrt und geschmeidig zurückkommt. Und dann bleibt der tiefe, dunkle, saftige Kakaogeschmack. Ich hätte jetzt gerne einen Rotwein. Oder einen Whisky. Oder ein Schaumbad mit einem Vorleser bei Kerzenlicht, der mir den Rücken krault und zwischendurch Arien singt.

Blyss ist eine sehr junge Firma; gerade mal ein knappes Jahr arbeiten McDonald und ihre acht Kollegen daran, Schokolade wieder den Status zu geben, den sie verdient hat: eine Speise der Gottheiten zu sein und nicht mehr das billige Zeug aus größtenteils Fett und Zucker, das falschen Trost verspricht. Das Besondere an Blyss-Schokolade: Sie entsteht unter besonderen ethischen und geschmacklichen Ansprüchen zum größten Teil in Handarbeit, und das fertige Produkt folgt neuen Vertriebsstrukturen.

800 Familien arbeiten für Blyss in landwirtschaftlichen Genossenschaften auf den Plantagen in Ecuador, ernten die Kakaofrüchte und lassen die Bohnen zunächst auf hohen Gestellen lufttrocknen. Blyss verwendet ausschließlich Bohnen der Sorte Arriba Nacionale, die für ihr fruchtiges Aroma bekannt ist. Die großen Konzerne zermahlen die Bohnen bei bis zu 150 Grad, um Kakaobutter zu erhalten, den Grundstoff für Schokolade – Blyss setzt hingegen auf eine teilmanuelle Mahlmethode. Die dabei entstehende Reibungshitze soll 50 Grad nicht übersteigen. Genau wie kaltgepresstes Olivenöl behalten die Bohnen so ihren charakteristischen, starken Geschmack. In Ecuador werden sie dann zu Schokolade verarbeitet, die wiederum in Deutschland in recycelbare Metallboxen verpackt wird.

Leider kann man diese Boxen (noch) in keinem Geschäft finden, nicht einmal in speziellen Süßwarenläden oder Patisserien. Weltweit beherrschen Kraft Foods, Mars, Nestlé, Ferrero und Hershey die Preise und drücken die Margen. Daher entschied sich McDonald für einen ungewöhnlichen Weg: „If you can’t compete – don’t. Wir wollten nicht die zwanzigste Schokolade im Supermarkt sein – wir wollten etwas Einzigartiges schaffen. Und dafür haben wir den Prozess von Herstellung und Vertrieb von Grund auf umgekrempelt.“

Für McDonald ist Schokolade mehr als „nur“ ein Genussmittel. Die gebürtige Australierin arbeitete jahrelang als Managerin eines deutschen Großkonzerns, bis eine schwere Krankheit alles änderte. „Ich konnte vieles auf einmal nicht mehr essen. Deswegen habe ich mich eingehend mit Nahrungsmitteln beschäftigt, wie sie produziert werden, was sie mit uns und unseren Körpern machen. Klar dachte ich auch über ‘gesunde’ Produkte nach, aber ich brauchte etwas, das mich glücklich macht und mich die Krankheit mal vergessen lässt. Also: Schokolade.“ Drei Jahre lang experimentierte McDonald in ihrer eigenen Küche mit Zutaten und Rezepten, bis sie schließlich ihren Angestelltenjob kündigte, für ein Jahr nach Ecuador zog und ihre Ersparnisse in die Kakaoplantagen steckte. Mithilfe von acht Freunden wurde Blyss gegründet. Diese sitzen in Kapstadt, Montreal, London, Sydney, Amsterdam und Frankfurt: „Wir nutzen Skype, weil Handyverbindungen in Ecuador nicht immer verlässlich sind. Per Google Docs, Basecamp und unserer geschlossene Gruppe auf Facebook tauschen wir Informationen aus; ich twittere und bin seit Kurzem auch bei Google+, um mit Freunden, Kollegen und Geschäftspartnern in Kontakt zu bleiben. Wir sind eigentlich eine virtuelle Organisation – wir verwenden mehr Technik, um unsere Geschäfte zu machen als die Schokolade herzustellen.“

Keiner der Menschen bei Blyss hat vorher je in der Lebensmittelindustrie gearbeitet – was McDonald als einen Vorteil ansieht. „Wenn du die sprichwörtliche ‘Box’ nicht kennst, außerhalb der du denken willst, kannst du nicht in ihr steckenbleiben. Deswegen sprechen wir auch nicht mit dem Chefkoch eines Luxushotels, in dem wir unsere Schokolade anbieten möchten, sondern mit dem Manager.“ Er oder sie hat im besten Fall einen strategischen Plan, wo es mit dem Hotel hingehen soll. Falls es sich zum Beispiel als Konferenzhotel von anderen unterscheiden möchte, ist Blyss ein Mittel zum Zweck. „Es geht nicht darum, unsere Schokolade in der Minibar zu finden. Wir können Events bestücken, in denen es um Nachhaltigkeit geht. Oder wir unterstützen Konferenzen mit Vorträgen, in denen wir unsere Sicht auf die Produktion von Lebensmitteln darlegen – wir sind quasi eine Metapher für einen anderen, innovativen Umgang mit Ressourcen.“

Denn auch das unterscheidet Blyss von der durchschnittlichen Supermarktschokolade: der ethische Anspruch. Die Schokolade ist vegan, kosher, halal und kann mit ihrem niedrigen glykämischen Index von 16 auch von Diabetikern genossen werden; die Bohnen werden biologisch angebaut und erfüllen die Ansprüche für Fair Trade. Als Emulgator (das ist der Stoff, der den weichen Schmelz bei Schokoladen erzeugt) nutzt Blyss Sonnenblumenlecithin. „Wir hatten Sojalecithin getestet, aber es gibt weltweit kaum Soja mehr, das nicht genetisch modifiziert ist. Daher verzichten wir auf diesen Stoff.“ Genau wie Blyss auf Kinderarbeit verzichtet, die bei der Schokoladenproduktion, gerade in Afrika, ein offenes Geheimnis ist. „Wir produzieren ein ethisch einwandfreies Produkt – aber das ist nicht unser Alleinstellungsmerkmal. Ethik sollte der Ausgangspunkt für jedes Geschäft sein und nicht etwas, das du extra betonen musst, damit die Leute dein Produkt kaufen.”

Ein Vorwurf, den man Blyss allerdings machen kann: Es ist einfach, bei einem Luxusprodukt ethisch einwandfrei zu arbeiten. McDonald lässt das allerdings nicht gelten. „Irgendwo muss man ja anfangen, um den grundlegenden Prozess zu ändern. Momentan hat es noch seinen Preis, hochwertige, ethisch einwandfreie Schokolade zu produzieren – die 50-Gramm-Tafel kostet zurzeit 30 Euro. Wir arbeiten aber daran, kostengünstiger zu werden, ohne unsere Ansprüche zu kompromittieren. Und dann kann man unsere Schokolade über das Internet bestellen.“

Schokolade sollte laut McDonald wieder den Rang eines bewusst genossenen Lebensmittel haben. „Wir möchten, dass Menschen wieder darüber nachdenken, was sie essen, wo ihre Lebensmittel herkommen. Und wir sagen ganz klar: Genuss ist wichtig. Wir wollen keinen erhobenen Zeigefinger – wir wollen wieder in Essen schwelgen.“ Genau wie Genießer und Genießerinnen bei Wein nicht grob von „irgendwas Französischem“ reden, sondern wissen, aus welcher Region der Wein kommt, aus welcher Traube er gekeltert wurde und von welchem Gut er stammt, spricht McDonald Menschen an, die genauso über Schokolade denken. „Wir richten uns momentan noch an Kunden, die für sich Fragen nach der Herkunft ihrer Lebensmittel schon beantwortet haben. Menschen, die deswegen auch mehr Geld für Genussmittel ausgeben, weil sie wissen, dass es jeden Cent wert ist.“

Blyss spricht derzeit eher mit Kunden, die nichts mit der traditionellen Lebensmittelbranche zu tun haben. Ihre Geschäfte machen sie zum Beispiel mit Autoherstellern, die für ihre Kunden Individualisierungsprogramme anbieten. Wer sich für eine besondere Lederfarbe interessiert und wie der Werkstoff behandelt wurde, interessiert sich vielleicht auch dafür, durch welche Blume eine Schokolade ihr Aroma bekommen hat. Anders herum geht das auch: Anstatt für besondere Kunden zu produzieren, lässt sich Blyss von besonderen Menschen, Industrien, Innovationen inspirieren. McDonald: „Manchmal frage ich Musiker: Wenn dein Song aus Kakao wäre – wie würde er schmecken? Ich spreche mit Architekten, Künstlerinnen, anderen Entrepeneuren. So zu arbeiten, ist unglaublich inspirierend. Genau wie unser Produkt ist auch unsere Arbeitsweise eher innovativ als kompetitiv.“

Was dabei herauskommt, wenn man traditionelle Produktions- und Vertriebsstrukturen ignoriert, kann man in jeder Tafel Blyss schmecken. Der Name Blyss – „bliss“ bedeutet auf englisch „Glückseligkeit“ – ist eben nicht nur ein Anklang an den Vornamen der Gründerin, sondern ein Statement. Sie weiß, dass er ein bisschen exzentrisch ist: „Aber Glück kommt eben auch von Genuss. Und für uns ist Glück nicht nur unser eigenes, sondern auch das anderer. Das unterscheidet uns von vielen Produzenten in der Lebensmittelbranche.“

Das Interview ist vorbei, lang hat es gedauert. Wir sind längst ins Plaudern gekommen, ich erzähle von meinen Erfahrungen mit Essen, Alyssa von ihren. Ich darf die angebrochenen Tafeln und Reagenzgläser mit nach Hause nehmen (darauf hatte ich die ganze Zeit gehofft) und schnappe mir ein Taxi. Im Flug zurück nach Hamburg gibt es einen Schokoriegel von einem der fünf Großkonzerne. Ich lasse ihn liegen.

Ziegenkäsetarte mit karamellisiertem Knoblauch à la Ottolenghi

Das Rezept war das erste, das mich in Genussvoll vegetarisch (Affiliate-Link) anlachte, aber ich habe mich ewig nicht rangetraut. Völlig unnötig, denn das Zeug ist relativ einfach zu machen, obwohl es nach viel Fitzelkram aussieht. Ist allerdings viel zu schnell weg.

Eine Tarteform, am besten mit Hebeboden (geht aber auch ohne) und 26 cm Durchmesser mit
fertigem Blätterteig auskleiden. Dabei einen schönen Rand basteln. Mit Backpapier abdecken und mit Blindbackzeug beschweren. Alles für 20 Minuten im Kühlschrank parken.

Nach der Ruhezeit im auf 180° vorheizten Backofen für 15 Minuten backen, dann Papier und Blindbackzeug entfernen und alles weitere fünf bis zehn Minuten backen, bis der Teig appetitlich gebräunt ist. Beiseitestellen, Ofen anlassen.

In der Teigbackzeit kann man sich um den wundervollen Belag kümmern.
3 Knoblauchknollen in Zehen zerlegen und diese von den Häutchen befreien. In einen kleinen Topf geben, mit Wasser bedecken, aufkochen, drei Minuten köcheln lassen. Wasser abgießen, Topf trockenreiben, wieder auf die Platte stellen.

Knoblauch wieder in den Topf geben und in
1 EL Olivenöl (bei mir war’s ein bisschen mehr) für zwei Minuten bei hoher Temperatur anbraten.
1 EL Balsamico-Essig und
220 ml Wasser dazugießen, zum Kochen bringen und zehn Minuten köcheln lassen.
3/4 EL Zucker,
1 TL Rosmarin, gehackt,
1 TL Thymian, gehackt, und
2 Prisen Salz
dazugeben. Bei mittlerer Temperatur weitere zehn Minuten köcheln lassen, bis ein Großteil der Flüssigkeit verdampft ist und die Knoblauchzehen mit einem lecker-dunklen Sirup überzogen sind.

Jetzt alles zusammenbauen.

120 g weichen, cremigen Ziegenkäse (bei mir 100 g) und
100 g gereiften Ziegenhartkäse (bei mir Provolone, der musste weg)
zerkleinert auf den Tarteboden streuen. Knoblauch dazu. Mit einer Mischung aus
2 Eiern,
100 g Crème fraîche,
100 ml Sahne,
1/2 TL Salz und
schwarzem Pfeffer

übergießen, so dass die Lücken geschlossen werden, der Knoblauch aber noch zu sehen ist.

Die Backofentemperatur auf 160° verringern und alles 35 bis 40 Minuten backen. Mit Thymianzweigen verzieren und servieren.

Die Tarte kam bei uns kaum zum Auskühlen, da war sie quasi schon weg. Ich würde beim nächsten Mal die Crème-fraîche-Sahne-Mischung deutlich reduzieren – mir hat der Käse eigentlich schon gereicht. Der Knoblauch ist wunderbar süßlichmild, aber ich hätte gerne ein bisschen mehr von Thymian und Rosmarin geschmeckt. Da werde ich beim nächsten Mal auch etwas mehr von in den Topf werfen.

Schmeckt mir kalt am nächsten Tag sogar noch besser, aber ich esse auch kalte Pizza zum Frühstück, wenn welche da ist.

„Gehen war schon immer leichter als Bleiben; gehen passiert einfach so nebenbei, kaum ist man durch die Tür, ist es halb vorbei, wenn man nicht stehenbleibt und sich nicht fragt, ob es das jetzt gewesen ist.“

We’ll be the only ones to remember, beim glücklichen Schnitzel.

Veranstaltungshinweis

Diesen Samstag, 10. September, bin ich beim Online Talk von DRadio Wissen zu Gast. Von 11 bis 12 Uhr sprechen wir über mein Blog, meine Lieblingslinks und ein gewisses Buch, das ich nur geschrieben habe, weil ich auch ein Blog schreibe. Wie das alles wieder passt. Toll.

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Die drei Promitode, bei deren Nachricht ich geweint habe: Loriot. Willy Brandt. Freddie Mercury. Happy Birthday, Freddie. (Auch wenn mein liebster Queen-Song größtenteils von Brian gesungen wird.)

Und natürlich bin ich der Band sehr dankbar für Fat Bottomed Girls.

Reaktionen

Ich erwähnte schon mal, dass jede wundervolle Mail von einer Frau (bis jetzt war noch kein Mann dabei), die mir schreibt, dass meine Worte etwas in ihr angeregt hätten, mich unglaublich glücklich macht. Und dass jede diese Mails jede Idiotenmail aber sowas von wert ist.

Heute stolperte ich über einen Blogeintrag, der mich genauso glücklich gemacht hat:

„nun habe ich gestern die leseprobe von anke gröners buch “nudeldicke deern – free your mind and your fat ass will follow” gelesen und fühle mich in vielem angsprochen. ich hatte nie ein gewichtsproblem, ich war noch nie dick und habe keine einzige diät gemacht – aber das zerstörerische denksystem um den eigenen körper ist exakt dasselbe. für mich geht es mehr um body acceptance als um fat acceptance, aber ihre worte treffen so sehr die wahrheit über mein eigenes körpergefühl, das immer eher destruktiv und negativ ist. und als ich die wenigen seiten der leseprobe durch hatte (and the rest will follow…..) war für mich mein erster, allerkleinster momentan leistbarer schritt in die gute, gesunde, annehmende richtung klar.

ich habe die waage verbannt. dieses gläserne ding, dass mich jeden morgen traktiert hat, mir ein soll eingeredet und mein haben kritisiert hat liegt nun unerreichbar in den tiefen unseres kellers. und dort bleibt es.

ein winziger schritt für die menschheit, aber ein riesiger für mich.“

Ich wünsche tadellos.himmelblau weiterhin alles erdenklich Gute. Und euch anderen da draußen auch.

(Das ist kein Pathos. Das ist Anteilnahme.)