Was schön war, Sonntag, 5. Dezember 2021 – Plätzchen und Fenchel

An meinem Laptop hängen abends immer nacheinander zwei externe Festplatten, um jeweils ein Backup zu ziehen. Das dauert normalerweise so zehn, zwanzig Minuten, dann sind beide durch, ich tippe ja nur vor mich hin und erstelle nicht jeden Tag Riesendateien. Vor wenigen Tagen verband ich erstmals eine der beiden Festplatten mit dem neuen Laptop – und hatte natürlich total vergessen, dass nun der komplette Rechner aufgespielt werden musste und nicht nur die fünf Dateien, die ich tagsüber in der Hand gehabt hatte. Die Platte rödelte von 21 Uhr bis ungefähr 14 Uhr am Folgetag vor sich hin. Mittendrin war mir aufgefallen, dass ich natürlich auch Daten manuell von ihr löschen könnte anstatt das alles Time Machine erledigen zu lassen. So brach ich mitten in der Nacht das Backup ab, löschte frohgemut die Jahre 2015 und 2016, startete ein neues Backup, während der Papierkorb sich immer weiter füllte, und wie eben erwähnt, war das tapfere Teil nach 17 Stunden fertig.

Am Samstagabend war nun die zweite Festplatte dran. Hier löschte ich total clever schon vorher so ziemlich alle Daten, damit Platz war, startete wieder um 21 Uhr das Backup – und stellte morgens fest, dass das Backup abgebrochen wurde. Ich löschte wieder, startete neu und erhielt nach ein paar Stunden wieder eine Fehlermeldung. Dieses Mal googelte ich, wie man eine Platte komplett neu aufsetzt, erledigte das, startete wieder ein Backup und hatte abends gegen 20 Uhr, also nach 23 Stunden, endlich meinen Rechner wieder.

Eigentlich hatte ich etwas arbeiten wollen, ich tippe aber ungern, während ein Backup läuft (keine Ahnung, ob das doof ist). Also las ich erst Zeitung, dann weiter in mehreren Büchern gleichzeitig, und dann war mir langweilig und ich fasste einen spontanten Plätzchenbackplan.

Es sind nur die simplen Mürbeteigkekse sowie meine geliebten Schokoladen-Orangen-Stäbchen geworden, deren Rezept ich kurz anpassen musste, um mich selbst daran zu erinnern, dass ich keine Stäbchen will, sondern platte Kekse. Ich backe die nur einmal im Jahr und anscheinend vergesse ich immer alles wieder.

Abends griff ich dann in die Biokiste bzw. ins Gemüsefach, wo fast alles aus der Kiste landet. Freitag hatte sie mich schon sehr zum Lachen gebracht, denn so sah es aus, als ich das abdeckende Papier zurückschlug:

Unter dem übermütigen Salatkopf lagen unter anderem Kürbisse, die mich ob ihrer Größe nochmal zum Lachen brachten. Das dürfte so für zwei Teller Suppe reichen.

Außerdem war Fenchel dabei, den ich niemals selbst bestellt hätte, weil ich alles, was anis-ig schmeckt, nicht mag: Pernod, Lakritze, Fenchel in Reinform, Fenchelsamen mag ich komischerweise sehr, hallo, Salsicchia, du leckeres Ding. Aber dieses Mal dachte ich, aha, da sind auch Orangen dabei, da drängt sich der klassische Fenchelsalat ja geradezu auf.

Also filetierte ich Orangen, hobelte Fenchel hauchdünn, röstete Walnüsse kurz an, schnitt eine halbe rote Zwiebel und mixte aus dem Saft, Walnussöl und ein bisschen Rotweinessig ein Dressing. Das ließ ich etwas durchziehen, und was soll ich sagen? Es war großartig. Nicht lakritzig-eklig, sondern frisch, knackig, süß und ein bisschen streng, aber genau so, dass es mir schmeckte. Biokiste for the win again!

Was schön war, Freitag/Samstag, 3./4. Dezember 2021 – Saltshaker und Polyphonie

Ich löse seit jetzt fast zwei Jahren täglich das Kreuzworträtsel der NYTimes. Am Anfang ging recht wenig, dann nur mit Autocheck, also der Funktion, die einem sofort anzeigt, ob ein Buchstabe richtig oder falsch ist. Inzwischen versuche ich immer, ohne Autocheck das Rätsel zu lösen, was in den meisten Fällen auch klappt. Irgendwann weiß man halt, welche Worte sehr oft vorkommen, weil sie so schöne viele Vokale haben (Aloe, Acai, Etta, Ado usw.), mit der amerikanischen Popkultur bin ich auch halbwegs genug vertraut, um Songzeilen oder Filmtitel hinzukriegen, und wenn ich irgendwen nicht kenne, wird er oder sie ergoogelt, da bin ich äußerst schmerzfrei.

Die Rätsel werden im Laufe der Woche immer schwieriger; die von Montag bis Mittwoch bekomme ich inzwischen fast immer hin und brauche dafür irgendwas zwischen zehn und 20 Minuten. Freitag und Samstag kommen in den Rätseln viele schlaue Vokabeln vor, für die ich meist Hilfe brauche, aber netterweise bietet die Times zu jedem Rätsel einen begleitenden Artikel an, wo „tricky clues“ aufgelöst werden und ein großes Forum debattiert, so dass man auch da ein, zwei Lösungen abgreifen kann. Ich fühle mich immer irre schlau, wenn ich alle „tricky clues“ wusste. Hier das Rätsel von diesem Montag, leider hinter der Paywall, hier die Kolumne dazu, die ohne Paywall zu lesen ist. Nur damit ihr wisst, wovon ich spreche.

Der Donnerstag ist meist eine Herausforderung, weil dort mit Rebussen gearbeitet wird. (Erstmal gegoogelt, ob es nicht doch Reben oder so heißt.) Man muss hier also damit rechnen, dass in einem Feld nicht nur ein Buchstabe untergebracht werden muss, sondern eventuell mehrere. Oder dass Worte ab einem Buchstaben nach oben oder unten in andere Felder übergehen. Oder dass irgendeine Abkürzung sich immer wiederholt. Rebusse sind grundsätzlich unterhaltsam, aber manchmal so beknackt umständlich, dass auch das eben erwähnte Forum 300 nölige Kommentare hinterlässt, was dieser Eierkopfquatsch denn sollte.

Am letzten Donnerstag war das Rebus aber toll, und ich habe es ohne Spicken verstanden. In einem Clue ist immer eine Art Auflösung versteckt, hier war es „One of a pair at the dinner table … or a hint to this puzzle’s theme.“ Lösung: Salt Shaker. Ich wusste also, dass irgendwo bei den Rebus-Lösungen Buchstaben durcheinander gewürfelt werden. Erste Idee: überall, wo SALT vorkommt, vielleicht wird es zu SLAT oder TALS oder was auch immer. Aber es war noch ein Eckchen komplizierter und gleichzeitig beglückender: Es ging um die Buchstaben NACL, die chemische Formel für Salz. Ein Hint war: „H. S. course that might have a unit on the Harlem Renaissance“, wo ich dringend „American Literature“ vermutete, aber hier waren nicht genügend Felder vorhanden. Es wurde gekreuzt von „Papal collection overseen by a bibliothecarius“, was natürlich nur die „Vatican Library“ sein konnte, aber auch das passt nicht. Erst als ich die Salz-Lösung (see what I did there) vor Augen hatte, guckte ich genauer: Die Buchstaben für SALT waren nicht da, aber eben die für NACL, geschüttelt zu CANL, das bei beiden vorkam. Das fand ich sehr clever und trotzdem lösbar.

F. und ich sprachen am Freitag bei der Date Night darüber, wie gut wir beide diese Idee fanden. Und heute im Sonntagspuzzle, das bei mir immer ewig dauert, weil es so groß ist, war wieder eine kleine Extrawurst versteckt. Dieses Mal nicht so kompliziert wie ein Rebus, der einem auch am Sonntag manchmal über den Weg läuft, aber hier gab es mehrere Lösungshinweise, die einem entgegenlachten: FLOOR FLOOR FLOOR. Oder wenige Zeilen darunter: GRIZZLY GRIZZLY GRIZZLY. Oder mein bisheriger Favorit: COMMERCIAL COMMERCIAL COMMERCIAL. Die Lösungen haben alle nichts miteinander zu tun, aber ich mag derartige optische Spielchen. (Lösungen: Neverending Story, Bears Repeating und Ad Infinitum.)

Ich lese weiterhin in der Martinů-Biografie, habe aber nebenbei nun einen Aufsatzband in der Hand, der für mich persönlich anscheinend sinnvoller ist, denn die biografischen Daten kann ich mir auch in der Wikipedia durchlesen, aber ich möchte ja mehr zu Martinůs Musik wissen. Gleich die Einleitung schubste mich in mehrere spannende Richtungen.

„Bohuslav Martinů wird oft ein naives unreflektiertes ‚Vorwärtskomponieren‘ im Sinne eines nicht näher definierten Neoklassizismus vorgeworfen. […] [Diese Anschauung] steht allerdings in einem eklatanten Widerspruch zu seinem eigenen kompositorischen Selbstverständnis, wie es sich sowohl in seinen Schriften als auch (und vor allem) in seinen Werken manifestiert. So zeigte sich Martinů spätestens seit Beginn seiner Pariser Zeit in den frühen 1920er Jahren offenkundig darum bemüht, seine Kompositionsästhetik wie auch seine technischen Mittel unablässig zu erweitern.“ (S. 13)

Der Aufsatz zitiert Texte von Martinů, in denen er Mitte der 20er Jahre zwei Ausdrücke benutzte, die für ihn den Neoklassizismus ausmachten: Disziplin und Beherrschung. Seinen eigenen Worten zufolge beginnt man als Komponist mit einer Phase der Experimente, durch die man nach und nach einen eigenen Stil entwickelt. Dieses Ankommen an einem Punkt muss zwangsläufig eine Gegenreaktion hervorrufen. Erst aus diesen beiden Phasen forme sich schließlich eine Synthese aus dem Alten und dem Neuen, was schlussendlich eine Vollendung bedeute. (S. 14) Zwei Texte Martinůs vom Anfang der 1940er Jahre sowie Mitte der 1950er Jahre lassen den Schluss zu, dass er selbst immer noch auf der Suche nach diese Synthese war. Im Text von 1941 benennt er einige seiner kompositorischen Stationen, die er ausprobiert habe: „Folkloretexte und volkstümliche Bräuche, Tänze, Legenden, Jahrmarktgeschichten und Kinderspiele, mittelalterliche Mirakelspiele, die tschechische Commedia dell’arte, Rundfunkopern (‚fast für Amateurenensemble komponiert‘) bis hin zur abendfüllenden Oper Juliette H.253 (1937) – einem ‚großen symphonischen Gedicht‘, in welchem er ‚den regionalen und folkloristischen Ausgangspunkt‘ verlässt.“ (S. 16) Anfang 1956 führte er in einem Gesucht an die Guggenheim Foundation seinen bisherigen Weg erneut auf und erwähnt hier einen „Plan“, dessen Beginn er auf 1926 datierte. „Diese beiden Texte lassen Martinůs scheinbar disparates Bühnenschaffen in einem ungewöhnlich planmäßigen Licht erscheinen und zeugen gemeinsam mit den betreffenden Werken von der gestaltenden Persönlichkeit eines Komponisten, der zwar allem gegenüber offen stand, sich jedoch nicht – wie oft kolportiert – primär durch äußere Umstände – seien es die verschiedenen Wirkungsorte oder die zahlreichen Kompositionsaufträge – lenken ließ.“ Ich kann nicht beurteilen, ob sich dieser Plan eher retrospektiv erschließt oder ob er wirklich vorhanden war; ich habe aus diesem Abschnitt mitgenommen, dass man durchaus Linien ziehen kann.

„Eine eigentliche Phase des Experimentierens kann bei Martinů erst nach seiner Übersiedlung nach Paris festgestellt werden. Er selbst stellte in seiner Autobiographie von 1941 fest, bis 1923 ‚nur aus seiner Begabung heraus komponiert‘ zu haben, ‚ohne durch bewusste und harte Arbeit etwas Neues hervorgebracht‘ zu haben. Seine Kompositionsversuche aus Prag und Polička lassen in der Tat keine systematische Entwicklung erkennen: Sie erscheinen vielmehr als unmittelbare Reaktionen auf das von Martinů erkundete Repertoire, das etwa im Fall französischer Werke sehr verspätet und oftmals erst zu einem Zeitpunkt nach Prag gelangte, als es – wie beispielsweise bei Debussys Pelléas et Mélisande – längst nicht mehr den aktuellen Stand repräsentierte. Werke deutscher und österreichischer Komponisten, allen voran der Komponisten der ‚Zweiten Wiener Schule‘, fanden zwar in der Regel viel schneller den Weg nach Prag, doch Martinů vermochte sich bei aller Wertschätzung für Schönberg nicht richtig dafür zu interessieren.“ (S. 19)

Direkt nach seiner Übersiedlung nach Paris erhielt Martinů privaten Kompositionsunterricht bei Albert Roussel. Dieser riet ihm angeblich, den Kontrapunkt in seinen Werken anzuwenden, womit sich Martinů selbst schon befasst hatte. „Von da an bildete die lineare Polyphonie eine Konstante in Martinůs Tonsprache vom Klavierkonzert Nr. 1 H. 149 (1925) und vor allem vom Streichquartett Nr. 2 H. 150 (1925) über die Concerto-Grosso-Trilogie von 1937–38 [hier H. 263 von 1937] bis zu seinen letzten großen Orchester- und Chorwerken.

Gleichzeitig mit der freien Polyphonie entdeckte Martinů die Dissonanz als zentrales Mittel der zeitgenössischen Musik. Zu verweisen ist dabei ebenfalls auf das Streichtrio Nr. 1, das die erste konsequente Dissonanzverwendung im Schaffen Martinůs darstellt. Eine ‚logische und überlegte‘ Dissonanz wird zu einem der wesentlichsten Elemente seiner Werke, wobei er sie äußerst differenziert einsetzt. Die Palette reicht vom Nebenprodukt einer strikt linearen Stimmführung (1920er Jahre) über form- und strukturbildende Funktionen (1930er Jahre) bis zur Klangfarbe und Klangfarbenpolyphonie (1940er und 50er Jahre).“ (S. 20/21)

Und da hatte ich schwarz auf weiß, warum ich an Martinů so hänge: Bei keinem anderen Komponisten spüre ich so stark das Sehnen und Drängen hin zu einer Auflösung, also aus einer Dissonanz in einen klaren Akkord. Eins der wenigen Dinge, die aus meinen lausigen zwei Semestern Musikwissenschaft hängengeblieben ist, ist, dass Tonfolgen immer irgendwo hin möchten, die wollen nicht sinnlos im Raum rumwabern, sondern haben ein Ziel. Das dauert manchmal fünf Stunden wie bei Wagner und manchmal nur drei Takte. Ich ahne, dass Musik daher so gut geeignet ist, Sehnsucht spürbar zu machen, den Wunsch, irgendwie anzukommen, einfach nur zu sein. (Ich möchte hier einfach nur sitzen.) Und wie eben erwähnt: Ich verspüre bei niemandem anders als bei Martinů dieses Sehnen in quasi jeder seiner Tonfolgen. Und bei keinem ist das Ankommen süßer und brutaler und beeindruckender. Mein Lieblingsbeispiel ist der zweite Satz im Cellokonzert Nr. 1 H. 196 (1930, 1955 überarbeitet). Das war auch gleichzeitig das erste Stück von Martinů, das ich jemals bewusst gehört habe.

(Zitate aus: Aleš Březina: „Von ‚Experimenten‘, ‚Synthesen‘ und ‚definitiven Werken‘“, in: Ders./Ivana Rentsch (Hrsg.): Kontinuität des Wandels. Bohuslav Martinů in der Musikgeschichte des 20. Jahrhunderts, Bern 2010, S. 13–38.

Ingwer-Tahini-Sauce

Das Rezept aus der NYT schlägt dazu noch Bok Choi und gedämpften Tofu vor; ich habe ihn stattdessen knusprig angebraten und anderes Gemüse verwendet, aber die Sauce möchte ich doch schnell notieren, die war genau meins.

In einer Schüssel

6 EL Tahini,
1/4 Cup (60 ml) Sojasauce,
3 EL destillierten Essig (zum Beispiel den philippinischen von Silver Swan),
1 TL geriebenen oder fein gehackten Ingwer und
1/4 TL (bei mir: 1/2) geriebenen oder fein gehackten Knoblauch gut vermischen, notfalls mit
Salz und Pfeffer nachwürzen.

Als Saucenspiegel nutzen oder über das fertig gegarte Gemüse geben, mit
weißem Sesam und
Koriander servieren.

Tagebuch Mittwoch/Donnerstag, 1./2. Dezember 2021 – Maulwurf und Schokolade

Der Mittwoch begann eher doof, weil ich die zweite und damit letzte Absage auf einen Druckkostenzuschuss erhielt. Bei beiden Stiftungen musste ich neben einem Probekapitel und lauter Zeug auch einen Lebenslauf einreichen, und ich ahne – oder ich rede mir ein –, dass beide Absagen damit zu tun haben, dass ich eben seit über 20 Jahren im Berufsleben stehe und man daher erwarten kann, dass ich einige Rücklagen habe, mit denen ich so nebenbei irgendwas zwischen 10.000 und 12.000 Euro bezahlen kann, denn darauf wird die Endabrechnung meines Buchs hinauslaufen. Im Gegensatz zur armen knapp 30-jährigen Doktorandin, die sich als Hiwi über Wasser hält und in einer WG wohnt. Das stimmt theoretisch auch, aber da ist so eine kleine Pandemie, die dafür gesorgt hat, dass ich anderthalb Jahre keine einzige Rechnung schreiben konnte. Insofern hätte ich das Geld ganz gut gebrauchen können. Aber gut. Haken dran und weiter in mich reinknurren, wie unhöflich die Wissenschaft zu mir ist, ihrem willigen Groupie.

Immerhin konnte F. zwei Zimt-Kardamom-Schnecken beim Lieblingsbäcker ergattern und gab mir liebevoll die größere ab. Ich glaube ja nie, dass mich jemand gern hat, aber wer freiwillig das größere Backwerk weiterreicht, ist mir vielleicht doch gewogen.

Ich benutze diese Teller aus dem Sammeltassenberg übrigens unironisch, ich mag den Kitsch ab und zu sehr gern.

Die zweite Tagesrettung waren meine beiden Adventskalender. Einer versorgt mich nun täglich mit einer Praline von Xocolat aus Wien, den ich herzlich vermisse, wie überhaupt die ganze Stadt. Und der zweite zeigt mir lauter Bilder vom kleinen Maulwurf, und damit beginnt ja jeder Tag gut.

Nebenbei würde ich gerne wissen, wer mal auf die Idee gekommt ist, dass pickelige Rauhfasertapete das Nonplusultra für Mietwohnungen ist und ihm oder ihr nachträglich auf die Nase hauen.

Ansonsten am kunstgeschichtlichen Job für meinen Ex-Doktorvater gearbeitet, viel Tee getrunken, viel Martinů gehört. Seine Biografie lässt mich zwar weiterhin am Stil verzweifeln, aber sie schubst mich immerhin in die Richtung von wegweisenden Stücken, und genau das wollte ich von ihr. Seit gestern in der Dauerschleife: das Doppelkonzert für zwei Streichorchester, Klavier und Pauken (1946). Beim Googeln danach über diesen Klassik-Hinweisdienst gestolpert, den ich noch nicht kannte. Gleich mal vertwittert und den Hinweis auf Themensortierung der ARD-Mediathek erhalten, kannte ich auch noch nicht.

Gestern ein Rezept der NYT etwas abgewandelt. Ein Sößchen aus Tahini, Sojasauce, Essig, Ingwer und Knoblauch war jetzt nichts Neues für mich, aber hier passten die Mengenverhältnisse haargenau zu meinem Geschmack. Statt Pak Choi gab’s bei mir Möhren und Zucchini und keinen gedämpften, sondern knusprig angebratenen Tofu.

Was schön war, Dienstag, 30. November 2021 – Fliegenpilzpflaster

Morgens einen Termin per Zoom mit dem Doktorvater gehabt, von dem ich gar nicht weiß, ob ich ihn noch so nennen sollte. Ex-Doktorvater? Er hat seinen Job ja erledigt. Er ist gerade Editor bei einem größeren Projekt, für das ich etwas beisteuern darf, was mich sehr freut. Unbezahlt natürlich. Wir forschen alle, weil wir so gute Menschen sind. Knurr.

Bei diesem ersten Zoom vom neuen Rechner gemerkt: Ich nehme für zukünftige digitale Meetings, bei denen man mich sieht, wieder den alten Rechner. Da waren alle Teilnehmenden pixelige Blobs und nicht diese superscharfen HD-People. Ich wollte mich die ganze Zeit schminken! Und den Bildhintergrund aufräumen.

Außerdem gemerkt: Die Kamera lässt sich nicht mehr so leicht mit einem länglichen Post-it abkleben, weil das Macbook diesen seltsamen Notch am oberen Bildschirm hat, von dem ich dachte, dass er mich wahnsinnig machen würde. Tut er nicht, aber er ist so schmal und klein, dass ich mein Post-it erstmal zurechtschneiden musste. Bei Netflix oder ähnlichem wird der ganze obere Bildrand dunkel, so dass diese seltsame Ausstülpung nicht mehr auffällt. Ja, darüber hatte ich im Vorfeld nachgedacht. Schließlich gucke ich die ganze Zeit dorthin.

Nach dem Zoom todesmutig (ich weiß gerade nicht, ob dieses Adjektiv geschmacklos ist) in die U-Bahn gestiegen, um zur Hausärztin zu fahren. Dort holte ich ein neues Rezept für die Dauermedikation ab und fragte mich zum wiederholten Male, ob man das nicht digital lösen könne anstatt alle drei Monate da auflaufen zu müssen, um einen Zettel abzuholen und eine Karte einlesen zu lassen. Aber wenn ich schon mal da war, fragte ich nach einer Grippeimpfung, die ich eigentlich vor drei Wochen hätte machen wollen, aber damals ergab sich unerwartet die Chance auf den Booster, den ich wichtiger fand.

Zuhause stellte ich fest, dass ich ein Kinderpflaster mit Fliegenpilzen auf die Einstichstelle bekommen hatte. Fand ich sehr gut.

Von der Ärztin mit der U-Bahn in die Nähe des Lieblingsbäckers gefahren und mein Lieblings-Körner-Ciabatta abgeholt. Zu Fuß durch Schneetreiben nach Hause spaziert. Vom Zoom und der Impfung (und der leeren U-Bahn) euphorisiert vergessen, das Rezept einzulösen, obwohl ich direkt an der Apotheke vorbeigekommen war.

Sehr gut: „Missbrauch des ‚Judensterns‘ kann jetzt verfolgt werden“. Das Landgericht Augsburg und das Bayerische Oberste Landesgericht sprachen ein Urteil, das hoffentlich auch in anderen Bundesländern Anwendung finden wird:

„Nicht nur auf Corona-Demonstrationen, auch im Netz ist dieses Motiv, versehen mit der Aufschrift “Ungeimpft”, immer wieder zu sehen, die Botschaft lautet: Ungeimpfte würden heute unterdrückt wie einst Juden durch die Nazis. […]

Strafrechtliche Folgen hatte das bislang nie. Verschiedene Amtsgerichte deutschlandweit entschieden: Das sei nicht als Verharmlosung des Holocaust strafbar. Denn nach dem Wortlaut des Strafgesetzbuchs ist ein Fall von Volksverhetzung erst dann gegeben, wenn sich die Verharmlosung auf Tötungen etwa in Konzentrationslagern bezieht. Die Gerichte differenzierten: Der gelbe Stern habe nicht der Tötung, sondern “nur” der Entrechtung der Juden gedient.

Eine Vorlage für die bayerische Justiz, um diese Rechtsprechung zu ändern, lieferte nun ausgerechnet ein AfD-Politiker. Auf dem Bundesparteitag der Rechtspopulisten im Messezentrum Augsburg am 30. Juni 2018 hatte der AfD-Kommunalpolitiker Rainer Lanzerath aus Nordrhein-Westfalen ein Plakat hochgehalten, das auf der einen Seite den “Judenstern” und den Text “1933 – 1945” zeigte, auf der anderen Seite das AfD-Logo und die Aufschrift “2013 – ?”. Ein Protest gegen die vermeintliche Unterdrückung der AfD. Das Amtsgericht Augsburg erließ einen Strafbefehl wegen Volksverhetzung.

Weil der AfD-Politiker Lanzerath die Geldstrafe nicht akzeptieren wollte und unter Berufung auf seine Meinungsfreiheit sämtliche Rechtsmittel ausschöpfte, konnte die Justiz in Bayern diese Frage nun bis in die letzte Instanz klären. Das Landgericht Augsburg und auch das Bayerische Oberste Landesgericht haben in diesem Verfahren erstmals festgehalten, ein “Judenstern” stehe sinnbildlich für den gesamten Holocaust.“

Abends verfolgte ich eine Diskussion des Leibniz-Zentrums für zeithistorische Forschung in Potsdam in der Reihe um die Hohenzollern; sie wurde aufgezeichnet und steht vermutlich demnächst online. Die ersten beiden Teile hatte ich nicht mitbekommen, die hole ich nach; die Videos sind im obigen Link zu finden.

Gestern schaute ich zu, weil unter anderem Stephan Malinowski dabei war, von dem ich sehr interessiert Vom König zum Führer: Deutscher Adel und Nationalsozialismus gelesen hatte. Sein neues Buch Die Hohenzollern und die Nazis: Geschichte einer Kollaboration wird sehr positiv rezensiert. Er wurde vorgestellt als der von den Hohenzollern am häufigsten verklagte Historiker.

Malinowski sprach auch mit eines der Schlusswörter. Es kam die Frage auf, warum man überhaupt über dieses Thema diskutieren müsse; er meinte sinngemäß, dass er die Debatte um das Kaiserreich und seine Verbindung mit dem Nationalsozialismus eher als politisch denn als historisch ansehe. Vor 15, 25 Jahren, als er Doktorand gewesen war, wurde anders über dieses Thema gesprochen. Heute hingegen überlappen sich „tagespolitische, geschichtspolitische und emotionalisierte Themen“, wie es Historiker Jörn Leonhard vor längerer Zeit im DLF formulierte. Was auch mit der AfD zu tun hat, die genau diese Schiene fährt. Das halte ich für einen wichtigen Hinweis: dass heute mit historischen Diskussionen Tagespolitik gemacht werden soll anstatt diese Diskussionen erst einmal in der Sphäre der Forschung zu belassen, bis ein Ergebnis feststeht.

Heute ist der erste Dezember.