„Am Weihnachtsabend des Jahres 1918 kehrte ich heim. Elf zeigte die Uhr am Westbahnhof. Durch die Mariahilfer Straße ging ich. Ein körniger Regen, mißratener Schnee und kümmerlicher Bruder des Hagels, fiel in schrägen Strichen vom mißgünstigen Himmel. Meine Kappe war nackt, man hatte ihr die Rosette abgerissen. Mein Kragen war nackt, man hatte ihm die Sterne abgerissen. Ich selbst war nackt. Die Steine waren nackt, die Mauern und die Dächer. Nackt waren die spärlichen Laternen. Der körnige Regen prasselte gegen ihr mattes Glas, als würfe der Himmel sandige Kiesel gegen arme, große Glasmurmeln. Die Mäntel der Wachtposten vor den öffentlichen Gebäuden wehten, und die Schöße blähten sich trotz der Nässe. Die aufgepflanzten Bajonette erschienen gar nicht echt, die Gewehre hingen halb schief an den Schultern der Leute. Es war, als wollten sich die Gewehre schlafen legen, müde wie wir, von vier Jahren Schießen. Ich war keineswegs erstaunt, daß mich die Leute nicht grüßten, meine nackte Kappe, mein nackter Blusenkragen verpflichteten niemanden. Ich rebellierte nicht. Es war nur jämmerlich. Es war das Ende. Ich dachte an den alten Traum meines Vaters, den von einer dreifältigen Monarchie, und daß er mich dazu bestimmt hatte, einmal seinen Traum wirklich zu machen. Mein Vater lag begraben auf dem Hietzinger Friedhof, und der Kaiser Franz Joseph, dessen treuer Deserteur er gewesen war, in der Kapuzinergruft. Ich war der Erbe, und der körnige Regen fiel über mich, und ich wanderte dem Hause meines Vaters und meiner Mutter zu. Ich machte einen Umweg. Ich ging an der Kapuzinergruft vorbei. Auch vor ihr ging ein Wachtposten auf und ab. Was hatte er noch zu bewachen? die Sarkophage? das Andenken? die Geschichte? Ich, ein Erbe, ich blieb eine Weile vor der Kirche stehen. Der Posten kümmerte sich nicht um mich. Ich zog die Kappe. Dann ging ich weiter dem väterlichen Hause zu, von einem Haus zum andern.“

Joseph Roth: „Die Kapuzinergruft“, München 2009, S. 110/111 im Kapitel 23.

Freitag, 24. Februar 2023 – Glück

Abends mit F. im Tantris DNA gewesen – und erstaunt einen großen Unterschied zwischen dem Haupthaus und dem kleineren DNA festgestellt. Eigentlich kein Wunder, denn es sind zwei verschiedene Köch*innen für die beiden Räume zuständig. Aber wie anders die Atmosphäre im hinteren, etwas intimeren Teil des Hauses ist, hat mich doch überrascht. Positiv!

Wir begannen mit sechs Austern zum Teilen und einem Glas Champagner. Austern sind bei mir immer Tagesform, mal finde ich sie großartig, mal kämpfe ich mit der Konsistenz. Gestern waren sie großartig, schon optisch ein Traum, und mit der feinen Vinaigrette dazu noch frischer als erhofft. Und, Allgemeinplatz, Entschuldigung, aber ich habe zum ersten Mal verstanden, warum die Kombination Austern und Champagner so beliebt ist. Weil sie einfach perfekt ist in ihrer Schlichtheit und der Konzentration auf das Produkt, die so viel mitbringt. Ich war schlagartig wach und sehr gut gelaunt und das hielt den ganzen Abend an.

Zum Champagner kamen noch zwei kleine Bissen aus der Küche und vor den weiteren Gängen noch ein Gruß, aber wir waren im Kopf schon beim Hauptgang und dem Wein. Denn: Normalerweise mögen wir die vom Haus vorgeschlagenen Menüs und nehmen auch immer die Weinbegleitung, einfach um so viel wie möglich zu probieren, aber seit einigen Wochen wollen wir nur noch eins: endlich mal eine ganze Flasche aus dem heiligen Tantris-Weinkeller für uns und eben nicht mehr ein unterschiedliches Glas nach dem nächsten. Also suchte F., der sich länger mit der Karte im Vorfeld beschäftigt hatte, einen Burgunder aus, wobei der Sommelier freundlicherweise mithalf. Wir erwischten die letzte Flasche dieser Sorte aus dem Keller, F. so: „Schade, wenn uns der jetzt so richtig gut schmeckt, wird es vermutlich schwierig, noch eine zweite Flasche aufzutreiben.“ Sommelier: „In Deutschland ja, aber in Frankreich müsste noch was gehen.“ Oder möglicherweise online.

Aber vor dem Rotwein zum Hauptgang kam erstmal die Entscheidung für einen Weißwein für mich und einen Cidre für F., der Blutwurst vor sich hatte, während ich glückselig mit zwei Jakobsmuscheln in Champagner-Hollandaise beschäftigt war, wobei mir die verschiedenen Texturen von Topinambur fast noch mehr Spaß machten. Ein Chip, eine Art Kraut, beides brachte hölzerne Noten mit, die die perfekt nussig-buttrigen Muscheln ergänzten. Ich genoss einen kalifornischen Chardonnay, der genug Säure mitbrachte, um gegen den Butterberg anzustinken. Ich vergaß das Etikett zu fotografieren, egal, es wird weitere tolle Weine geben. F. weiß alles: Es war ein 2016er Tyler Dierberg Vineyard Chardonnay.

Dann kam der Rotwein in die Gläser und wir nippten und diskutieren und freuten uns, dass nach diesem einen Glas nicht schon Schluss damit war.

Der Hauptgang war der Grund, warum wir überhaupt ins DNA wollten: das Kalbsbries Rumohr ist ein Klassiker auf der Karte, bei Witzigmann noch mit Strudelteig, nun unter Virginie Protat im Blätterteig. Die Pastete wird am Tisch tranchiert, es gab einen Hauch Sauce dazu, die Sauciere blieb am Tisch, was ein sehr guter Plan war, und dann genossen wir weiter wie schon seit Stunden. Ich hatte jedes Zeitgefühl verloren, wie sich das gehört, wenn die Zeit so herrlich ist.

Nach einer angemessenen Pause rollte dann der Patisseriewagen an den Tisch, ich entschied mich für ein Birnentartelette, F. sich für eins mit Zitrusfrüchten, wir erfuhren, dass das Haus die Kalamansi aus Frankreich bezieht, natürlich, aber eigentlich egal, es war ein neuer Wein im Glas – ein 2014er Cave Yves Cuilleron Condrieu Ayguets –, auch hier gönnten wir uns 0,5 statt 0,1 und zogen den Abend noch etwas in die Länge.

Kein Kaffee, kein Schnaps mehr, aber als wir schon unsere Mäntel gereicht bekamen, guckte ich so sehnsüchtig in die Bar, als der Barkeeper uns wiederbegrüßte, es war keine Diskussion nötig, wir zogen die Mäntel wieder aus, es regnete eh gerade draußen, wir gönnten uns noch einen kleinen Drink, aus dem dann zwei wurden. Normalerweise kommt auch in der Bar noch ein käsiger Gruß aus der Küche, aber gestern war ich wirklich froh, dass die Küche schon Feierabend hatte, denn außer Flüssigkeit passte nichts mehr in mich hinein. Der ganze Abend hat sich deutlich lustvoller angefühlt als vorne im Tantris, entspannter, leutseliger, ein Kellner meinte lächelnd, als ich das sagte, dass für ihn Protat quasi kocht wie eine französische Großmutter, und ja, genau so fühlt sich das an. Wie bei Oma, nur modern, aber heimelig. Vorne wird sehr eifrig nach den Sternen gegriffen und das sieht man den Tellern an und schmeckt man auch, aber hinten kann man es sich einfach verdammt gut gehen lassen. Ich möchte sofort wieder hin.

Mittwoch/Donnerstag, 22./23. Februar 2023 – Hach und Hm

Am Mittwoch abend saßen wir bei Lise Davidsen im Prinzregententheater. Wir kannten die Dame aus dem Bayreuther „Tannhäuser“, den es, wie wir vorgestern bemerkten, inzwischen auf DVD gibt, kleiner Kauftipp nebenbei.

Die Arie der Elisabeth kam ganz zum Schluss und war natürlich toll, aber was mich überraschte: Ich kann anscheinend doch mit Verdi. Jedenfalls liefen bei „Ave Maria“ aus „Othello“ ein paar Tränchen, und auch die zwei anderen Arien davor aus „Ein Maskenball“ und „Don Carlo“ haben mir sehr gefallen. Dafür langweilte mich dann ausgerechnet Beethoven total. Ich mag gefühlt alles von ihm, aber mit „Fidelio“ hadere ich weiterhin.

Und gehadert habe ich – mal wieder – gestern bei der Arbeit. Eine Kollegin aus dem Haus fragte mich, ob ich Lust hätte, an einem Projekt mitzuarbeiten, das mich kunsthistorisch total interessiert. Ich sagte freudig zu und erwähnte das gestern im Team-Status, wo wir alle vortragen, was wir gerade so machen. Daraufhin bekam ich einen kleinen Rüffel, dass ich das doch bitte hätte absprechen sollen und dass ich genug zu tun hätte.

Erst abends fiel mir auf, dass ich im Kopf noch im Selbständigen-Modus gewesen war bei meiner Zusage. Seit 15 Jahren arbeite ich nämlich als Default so: Jemand fragt, ob ich einen Job machen will, woraufhin ich ja sage. Ohne nachzudenken. Natürlich kann ich das, natürlich will ich das, natürlich habe ich Zeit. Immer. So wird man erneut gebucht („Anke hat immer Zeit“) und weiterempfohlen („arbeitet sich schnell in alles rein“).

Ich hatte schlicht vergessen, dass ich derzeit nicht immer selbständig bin, sondern in meiner Funktion im Museum a) eine Chefin habe, die nicht mehr ich bin, b) eine Kollegin habe, die nicht nur ihre Zeit, sondern auch meine einteilt und c) ich nur eine halbe Woche Zeit und nicht unendlich für all die spannenden Dinge habe, die auf meinem Tisch landen.

Es ist alles toll, ich freue mich jeden Morgen wie blöd, durch die Museumstür zu treten, aber manchmal fühle ich mich trotz ewig langer Berufserfahrung wie beim ersten Schülerjob im Supermarkt, bei dem ich noch keine Ahnung von gar nichts hatte. Sehr ungewohnt.

Schönes neues Wort gelernt:

„Am Abend traf ich den Grafen Chojnicki in unserem Café Wimmerl. Ich wußte wohl, daß man ihm kaum einen größeren Gefallen bereiten konnte, als wenn man ihn bat, für einen seiner Landsleute Vergünstigungen zu verschaffen. Er hatte nicht nur keinen Beruf, er hatte auch keine Beschäftigung. Er, der in der Armee, in der Verwaltung, in der Diplomatie eine sogenannte »brillante Karriere« hätte einschlagen können und der sie geradezu ausgeschlagen hatte, aus Verachtung gegen die Trottel, die Tölpel, die Pallawatsche, alle jene, die den Staat verwalteten und die er »Knödelhirne« zu nennen liebte, machte sich ein delikates Vergnügen daraus, Hofräte seine Macht fühlen zu lassen, die wirkliche Macht eben, die gerade eine nicht-offizielle Würde verlieh. Und er, der so freundlich, so nachsichtig, ja entgegenkommend Kellnern, Kutschern, Dienstmännern und Briefträgern gegenüber war, der niemals versäumte, den Hut abzunehmen, wenn er einen Wachmann oder einen Portier um irgendeine gleichgültige Auskunft bat, bekam ein kaum wiedererkennbares Gesicht, wenn er eine seiner Protektionsdemarchen am Ballhausplatz, in der Statthalterei, im Kultus- und Unterrichtsministerium unternahm: Ein eisiger Hochmut lag, ein durchsichtiges Visier, über seinen Zügen. War er noch unten vor dem livrierten Portier am Portal einigermaßen herablassend, manchmal sogar gütig, so steigerte sich sein Widerstand gegen die Beamten sichtbarlich bei jeder Stufe, die er emporstieg, und war er einmal im letzten Stock angekommen, machte er den Eindruck eines Mannes, der hierhergekommen war, um ein fürchterliches Strafgericht zu halten. Man kannte ihn schon in einigen Ämtern. Und wenn er im Korridor dem Amtsdiener mit einer gefährlich leisen Stimme sagte: »Melden Sie mich beim Hofrat!«, so fragte man nur selten nach seinem Namen, und geschah es dennoch, wiederholte er, womöglich noch leiser: »Melden Sie mich sofort bitte!« Das Wort »bitte!« klang allerdings schon lauter.“

Knödelhirne Herzchen-Emoji.

Joseph Roth: „Die Kapuzinergruft“, München 2009 (deutsche Erstausgabe 1949? so steht’s in meinem Taschenbuch), S. 28. Oder beim Gutenberg-Projekt.

Dienstag, 21. Februar 2023 – Fasching

Seit letzter Woche, als es dramatisch wärmer wurde, sitze ich morgens wieder auf dem Sofa im Arbeitszimmer und gucke über den Balkon in die Bäume, die demnächst grüner werden. Sonst hocke ich in der Bibliothek auf dem Sofa unter Decken, aber die Zeit scheint vorerst vorbei zu sein. Die Balkontür ist noch zu, geschweige denn, dass ich den Kaffee auf dem Balkon trinke, aber das fühlt sich schon vorsichtig nach Frühling an. Im Februar, schon gut.

Als städtische Angestellte hatte ich gestern ernsthaft und zum ersten Mal in meinem Leben offiziell faschingsfrei: Ab 12 durften wir (unbezahlt) nach Hause gehen. Kein Wunder, dass es gestern in den Büros recht leer war, die meisten haben vermutlich Home Office gemacht anstatt für einen halben Tag reinzukommen. Ich nicht, ich brauche immer noch alles und alle um mich herum, weil ich noch nicht so ganz genau weiß, was ich eigentlich tue.

Das fiel mir letzte Woche ein, als ich so mit dem Format und den Formulierungen des Newsletters haderte: Ich habe momentan noch schlicht keine Zeit, mich mal kurz aus allem rauszunehmen, einen Schritt zurückzugehen und auf alles draufzugucken: Ist das eigentlich gut, was ich da mache oder arbeite ich nur besinnungslos etwas ab? Ich lerne jeden Tag etwas Neues und kann an Altes anlegen, aber den großen Gesamtüberblick, der sich mit Routine und Erfahrung automatisch einstellt, habe ich noch nicht. Das ist vielleicht auch etwas zu viel verlangt nach gerade gut drei Wochen, aber ich erwarte diesen Überblick inzwischen einfach von mir Berufserfahrener – und vergesse dabei, dass ich derzeit wieder Anfängerin bin. Die Praktikantin quasi, nur mit Geld.

Erstmals in diesem Jahr Wäsche auf dem Balkon getrocknet, die ich abends auch schrankfertig wieder reinholen konnte. Im Februar, schon gut.

Montag, 20. Februar 2023 – Stiftlos

Im ganzen Ikea Brunnthal keinen der kleinen Bleistifte gefunden, mit denen ich mir hätte Notizen machen können. Musste ich halt Schilder fotografieren.

Matratzen probegelegen und Schilder fotografiert.

Kleinste Rechnung ever bei Ikea bezahlt, weil ich mir jeden Schnickschnack verbat. Aber zwei Pfannenwender und Servietten mussten mit, die gibt es schließlich nur hier.

Gelesen, Linsen gekocht, Butterscotch Blondies gebacken, die großartig sind, die ich aber nie wieder backen werde, weil man schon nach einem Eckchen im Zuckerkoma landet.

Sonntag, 19. Februar 2023 – Sonntagstee

Früher – also vor der derzeitigen Festanstellung – war Wochenende eher variabel als Arbeitszeit im Hinterkopf. Sie kennen den Spruch mit „selbst“ und „ständig“. Seit den wenigen Wochen im neuen Job ist Wochenende das, was es sein soll: Freizeit. Okay, ein bisschen Putzzeit, aber Samstag ist halt Putztag, das wird erledigt, und dann hab ich frei.

Das hatte ich nicht geplant, es ergab sich so. Mal gucken, wie lange es hält, aber momentan finde ich das sehr nett, mich wieder wie eine Old-School-Arbeitnehmerin zu fühlen, schön nach Tarif bezahlt, mit Mitarbeiter*innenausweis und fest gelegter Mittagsdauer.

Deswegen habe ich gestern nur gelesen, dann F. zum Tee bewirtet, schön aus Mamas Sammeltassen, abends schlug ich eine Mayonnaise für Caesar Salad auf, die netterweise im ersten Versuch gelang, dazu Croutons aus dem Samstag gebackenen Ciabatta, und dann war der Tag schon rum.

Samstag, 18. Februar 2023 – Wochenende

Wohnung geputzt. Ciabatta gebacken. Kuchen gebacken. Fußball geguckt. Gelesen. Einer Kollegin eine Autobahnbrücke von Protzen geschickt. Früh ins Bett gegangen.

Freitag, 17. Februar 2023 – Unblutig

Vom bräsigerweise nicht ausgestellten Wecker aus dem Tiefschlaf mit wirren Träumen gerissen worden. Kaffee, Schreibtisch, Fußnoten aufgehübscht. Eine UPS-Sendung entgegengenommen. Altpapier runtergebracht. Eingekauft. Bürozeug erledigt. Einen Zweidrittel-Kuchen mit Marzipan und Mohn (bei mir Chia) gebacken nach einem Rezept von Feed me up before you go go. Meine Blutorangen waren nicht blutig genug für die quietschrosa Glasur von nebenan, und außerdem ist mir der Kuchen aus der Hand gerutscht, als ich ihn aus der Form holte, weswegen er in der Taille eine unschöne Delle hat, aber die sieht man kaum, danke, unblutige Deko-Orangen, und latent verzerrte Aufsichtsperspektive beim Fotografieren. Schmeckt ganz hervorragend, empfehle ich hiermit zum Nachbacken. Brotteig angesetzt. Abends beim Fußball eingeschlafen und Augsburgs einziges Tor verpasst. Egal, ich hatte guten Kuchen auf einer kleinen Platte, die ich mir beim letzten Elternbesuch mitnehmen durfte. (Ich schreibe weiterhin Eltern, ich habe kein Argument dafür, ich möchte das halt schreiben, auch wenn nur noch ein Elter da ist.)


Donnerstag, 16. Februar 2023 – Puzzle

Abends ging es mit F. und weiterer Begleitung ins Prinzregententheater, wo Igor Levit aufspielte. Er kam sehr leger auf die Bühne und erzählte, dass er seit Tagen auf Tour ist, allerdings zwangsweise ohne Koffer – was ihn gar nicht so störe, weil sein Traum sich erfüllte, sich zum Konzert nicht mehr umziehen zu müssen. Das Theater lachte und ich dachte, was ist los, folgt ihr ihm etwa nicht auf Insta, wo das alles seit Tagen steht? Fand ich aber trotzdem nett, Laune war gut im Saal. Brahms’ „Vier ernste Gesänge“ im Arrangement von Max Reger liefen dann freundlich durch, und dann kam das Stück, was die heutige Headline inspirierte. Das Adagio von Mahlers Sinfonie Nr. 10, für Klavier arrangiert von Ronald Stevenson, dessen Passacaglia uns letztes Jahr so fertigmachen konnte (ganz runterscrollen). Es fühlte sich an, als ob ein Stück in seine Einzelteile zerlegt und dann eher freestyle wieder zusammengesetzt wurde. Mittendrin war ich etwas raus und suchte verzweifelt wieder den roten Faden, aber zum Schluss ließ ich einfach alle Teile um mich herumfallen und versuchte gar nicht mehr, sie aufzusammeln oder gar zusammenzusetzen. Die Musik war einfach da und alles war gut.

Nach der Pause gab’s noch „Drei Klavierstücke“ von Schubert, ebenso freundlich wie vorher der Brahms, und dann noch ein bisschen Akrobatik mit Prokofievs „Sonate für Klavier Nr. 7“. Das Publikum wartete mit dem Applaus immer gut erzogen, bis Levits Körperspannung nachließ und damit quasi das Zeichen für Applaus gab, aber hier ging nach den brutalen Schlussakkorden der Jubel sofort los. Die Zugabe leitete Levit mit kleiner persönlicher Ansprache ein: „Ich plane nie Zugaben.“ *Gequengel aus der ersten Reihe* „Dass ich sie nicht plane, heißt nicht, dass ich sie nicht spiele.“ *große Freude* Er meinte, er habe sich in der zweiten Hälfte des Konzerts darüber Gedanken gemacht, was Menschen einander antun und kündigte dementsprechend Paul Dessaus „Guernica“ an – nach dessen Noten er erstmal auf dem iPad suchen musste. Auch noch nie gesehen: Die erste Konzerthälfte spielte Levit nach Noten, aber nicht vom Blatt, sondern vom Screen, und die Dame, die sonst Seiten umblättert, musste hier halt klicken.

Mal eine CD von Levit auf den Wunsch- und damit Merkzettel gepackt, damit meine gute uralte Anlage demnächst was anderes abspielen darf als ewig Martinů. Alle anderen Klassik-CDs liegen noch im Norden.

Mittwoch, 15. Februar 2023 – Nicht mehr hadern

Gleich das erste Gespräch des Tages war ein gutes, alles wieder im Lot, und ich konnte erneut produktiv arbeiten.

Ich gehe derzeit zu Fuß in die Arbeit und auch wieder nach Hause. Morgens werde ich dadurch wacher und abends freut sich mein Rücken. Die kalten Temperaturen sorgen dafür, dass ich trotz Mantel, Schal und Handschuhen nicht durchgeschwitzt ankomme, was immer mein Grund dafür ist, irgendwo hin nicht zu Fuß zu gehen. Das freut mich gerade alles sehr. Auch dass ich erstmals in meinem Leben fußläufig von meiner Arbeitsstelle weg wohne. Also fußläufig im Sinne von: Ich muss keine Stunde früher aufstehen, um rechtzeitig und zu für mich normalen Zeiten anzukommen. Ich schlafe nämlich noch lieber als morgens zu Fuß zur Arbeit zu gehen, unglaublich.

Mittagslocation und Wetter gestern waren auch ganz okay.


Dieses Mal telefonierte die IT mit mir und nicht andersrum, denn mein Netzteil musste ersetzt werden. Zwei freundliche Herren kamen vorbei, und weil sie schon mal da waren, fragte ich sie gleich, warum mein Rechner den Drucker nicht findet und ob sie ganz zufällig auch noch ein HDMI-Kabel für meinen externen Monitor dabei hätten. Wussten sie und hatten sie, und jetzt arbeite ich mit zwei Monitoren, was ich noch nie gemacht habe und auch noch nie bewusst wollte, aber jetzt wo ich weiß, wie es sich anfühlt, will ich das auch für zuhause haben, verdammt.

Ich sitze gerade an einem Job, der sich aus der Ausstellung „Kunst und Leben 1918 bis 1955“ ergeben hat. Dafür las ich mal wieder im Katalog rum, den ich natürlich besitze, auch weil ich selbst zwei Beiträge geschrieben habe, aber ich hätte ihn eh gekauft. Bisher las ich ihn aber nur oberflächlich; gestern tauchte ich auch in die Fußnoten ab und fand die Online-Galerie zu Friedel Dethleffs-Edelmann und ihrer Tochter Ursula. Friedels „Selbstbildnis in der Malkutte“ (1932) hängt gerade bei uns. Kommt mal rum, ich mag dieses Gemälde sehr.

Zu meinem eh schon tollen Job wurden mir noch zwei weitere im Haus angeboten, die ich in der halben Woche machen könnte, die nicht für Job 1 draufgeht. Ich hoffe sehr, dass die beiden klappen – einer liegt nicht ganz in meiner Hand, der andere schon, aber ich muss mich noch trauen. Ich renne derzeit (wenn ich nicht hadere) mit lauter Glückssternchen in den Augen durch die Gegend.

Und F. hat uns schon wieder irgendein Restaurant gebucht, der gute Mann! Was geht’s uns gold.

Dienstag, 14. Februar 2023 – Hadern

In der letzten Woche noch so gedacht, ach, easy, ins Internet schreiben, das kenne ich ja, gib her, hau ich weg. Diese Woche bzw. gestern dann an einem Text und den Bildern dazu verzweifelt und acht Stunden lang gerungen. Außerdem teilweise innere Argumente wie der blödeste Kunst-Snob gehabt, warum ich manche Sätze so schreibe und nicht anders. Ich musste erst nach Hause kommen und Kohlenhydrate en masse essen, damit mir klar wurde, dass ich wie der blödeste Kunst-Snob geklungen habe. Werde mich heute entschuldigen und weiß nun besser, wie ich in Zukunft für das Haus schreiben sollte und kann.

Und hey, irgendwer benutzt doch noch die Corona-App! Ich habe plötzlich wieder eine rote Kachel. Keine Ahnung, warum, ich teste mich natürlich brav, bevor ich ins Büro gehe oder ins Tantris. Mir geht’s gut, aber ich guckte gestern schon etwas erstaunt, dass anscheinend doch noch Menschen ihre Testergebnisse einpflegen. Eigentlich wollte ich die App schon vom Handy schmeißen, jetzt wo selbst ich keine Maske mehr beim Einkaufen trage. Der Vorsatz „Bis Ende Februar noch mit Maske in der U-Bahn“ hat sich natürlich auch schon erledigt.

Montag, 13. Februar 2023 – Hmpf

Etwas geliefert bekommen, was sich als falsch herausstellte. Über mich selbst geärgert.

Viele Mails zu Bildrechten geschrieben, viele Dateien auf dem eigenen Rechner durchwühlt, noch ein Bild für den Aufsatz ausgetauscht, hilft ja nix, noch mehr Mails.

Bürokram erledigt, der die letzten zwei Wochen liegen geblieben war.

Abends nur noch fähig gewesen für einfache Rezepte, die kein Nachdenken erfordern: Ich kochte Kartoffeln halb durch, gab etwas Knoblauchöl in den Topf, schüttelte alles herzhaft, so dass die Kartoffeln an ihrer Oberfläche aufbrachen. Dann wurden sie in der Pfanne fertiggebraten. Dazu Erbsen mit Minze, Petersilie und Schnittlauch, ein Spiegelei drüber.

Ich lese gerade „Braunes Erbe“ von David de Jong (übers. von Jörn Pinnow und Michael Schickenberg), was überraschenderweise überhaupt keine gute Laune macht. Sehr viel Neues ist nicht für mich dabei, aber die ganzen Querverbindungen und Nebenbei-Namen sind für mich durchaus spannend. Ich merke allerdings, dass ich immer mehr Schwierigkeiten mit erzählter Geschichte habe, wo nicht an jedem zweiten Satz eine Fußnote klebt. Ich frage mich dauernd, wo der Autor diese Info herbekommen hat und das stört etwas beim Lesen.

Sonntag, 12. Februar 2023 – Sonntag halt

Einen Yuzu-Kuchen in der kleinen Kastenform gebacken, der eigentlich ein Zitronengugelhupf ist. War gut, wird aber meinen liebsten Zitronenkuchen nicht von der Spitze meiner Gunst ablösen können. Auch weil er ähnlich viel Arbeit macht, aber nicht ganz so perfekt (für mich!) daherkommt.

Am Samstag hatte ich mal wieder mit Zimtschnecken experimentiert. Meine Tiefkühlfächer quellen jetzt über, das Projekt „Schränke leerkochen – ja, auch das Mehl“ weitet sich unerwarteterweise zu „Tiefkühler vollknallen“ aus. Ich muss das Konzept überdenken. Oder mir Backen verbieten, aber das ist eigentlich nicht wirklich eine Möglichkeit. Seelenheil geht vor und Backen lenkt von allem ab.

Aus dem fluffigen Fluffteig für das Japanese Milk Bread (ohne Paywall) kamen sehr gute Schnecken raus sowie wie schon am letzten Wochenende ein kleiner Laib Fluffbrot. Da mir letzte Woche die Flüssigkeitsmenge deutlich zu hoch war – ich musste händeweise Mehl nachkippen –, ließ ich dieses Mal das Wasser im Tangzhong weg (gute Idee) und nahm nur ein Eigelb statt eines ganzen Eis. Das war eine eher doofe Idee, mir fehlte die Briochigkeit im Brot, obwohl die, so vermute ich wenigstens, wohl eher vom Eigelb als vom Eiweiß kommt, und das war ja im Teig, aber ich habe keine Ahnung. Jedenfalls hatte ich Brot da und so gab es ein paar Scheibchen davon über den Tag verteilt.

Vorgestern hatte ich das Brot noch nicht angeschnitten, da hatte ich Waffeln. Ich sag ja, Backen, Seelenheil. Okay, vielleicht ist es nur der Zucker.

Abends gab es dann Spaghetti mit Lauch; ich kochte das Grüne vom Lauch weich und pürierte es mit ein bisschen Crispy Chili Oil, frittierte das Weiße und gab das daraus entstandene Lauchstroh auf die Spaghetti.

Ein Hinweis: Eine freundliche Leserin wies mich auf das Glutamat im Crispy Chili Oil hin. Ich hatte mir noch nie das Label durchgelesen und bei den Mengen an Tomaten und Parmesan und Miso, die ich mir schmecken lasse, dürfte das Glutamat im Chili-Öl nicht mehr auffallen. Aber falls ihr das Produkt lieber vermeiden wollt, dann macht das. (FDA sagt: Glutamat ist okay, Gesundheitsministerium weist auf den Verdacht der „schädlichen Rolle“ hin, die MSG bei Demenz spielen könnte. Mehr habe ich in drei Minuten nicht ergoogeln wollen.)

Das sind übrigens keine fünf Kilo Essen, sondern 100 Gramm Nudeln und zwei Stangen Lauch. Aber ich war selbst über diesen Berg erstaunt, der sich auf meinem Teller aufhäufte. (Alles weg.)

Karottenkastenkuchen mit Zitronenglasur

Oder wie es die NYT ausdrückt: Carrot Loaf Cake with Tangy Lemon Glaze (Artikel müsste vor der Paywall sein, Abonnentinnengeschenk). Ich habe den Kuchen das erste Mal im November gebacken, als ich meine neue KitchenAid einweihte. Seitdem gehört er zu meinen Standardrezepten, auch wenn ich inzwischen auf die Glasur verzichte; der Kuchen ist auch so saftig und lecker genug.


Für eine 20-Zentimeter-Kastenform, sieht man ja schön im Bild.

Diese Kastenform ölen und mit Backpapier auskleiden. Den Ofen auf 180° Ober- und Unterhitze vorheizen.

2 bis 3 Mohrrüben grob reiben. Es sollten 165 g oder anderthalb dicht gepackte Cups dabei rauskommen.

In einer Schüssel
225 g braunen Zucker mit
2 Eiern ein paar Minuten verrühren, bis die Masse gelblich-wattig ist.

Mit
180 ml Pflanzenöl (bei mir Sonnenblume),
1 TL gemahlenem Zimt,
1/2 TL gemahlenem Kardamom (bei mir 1 TL) und
1 TL Salz gut verrühren. Anschließend

225 g Mehl, Type 405,
2 TL Backpulver und
1/2 TL Natron kurz unterrühren.

Die Karotten unterheben und den recht festen Teig in die vorbereitete Backform füllen. Für 50 bis 60 Minuten backen, Stäbchenprobe nicht vergessen. Zehn Minuten in der Form auskühlen lassen, dann herausheben und komplett erkalten lassen.

Für den Guss
den Saft einer Zitrone mit
100 g Puderzucker vermischen und den Kuchen damit bestreichen. Ich hatte anscheinend eine Riesenzitrone, weswegen mein Guss viel zu flüssig war, lieber erstmal mit einer halben anfangen. Wer mag, bestreut den Guss noch mit ganz fein geriebener Mohrrübe für die Schickizität.

Der Kuchen ist blitzschnell gemacht, das Reiben der Möhren dauert länger als alles andere, außer wenn man wie ich den schicken Gemüsehobelaufsatz für die KitchenAid hat, dann geht das auch blitzschnell. Bis auf das Abwaschen desselben, aber irgendwas ist ja immer. Der Kuchen bleibt gefühlt tagelang saftig, aber wie lange genau, kann ich nicht sagen, weil er immer sofort weg ist.