Tagebuch, Donnerstag, 20. April 2017 – Aggro

Mies geschlafen, daher sehr übermüdet am eigenen Schreibtisch gesessen und gelesen. Ausführlicher Mittagsschlaf. Ging nicht anders.

Nachmittags dann eine DM bekommen, die mich über einen Dresscode zu einer Veranstaltung informierte, auf die ich von vornherein sowas von überhaupt keine Lust hatte und von der ich mir auch so gar keinen persönlichen Gewinn verspreche, die ich aber aus Zuneigung zu einem bestimmten Menschen zugesagt hatte. Nun, gut vier Wochen vor dem großen Ereignis, kommt also eine Ansage, was man bitte anziehen und was man bitte nicht anziehen sollte. Seit der DM war der Tag im Eimer, denn ich war von einer Sekunde auf die andere so brastig wie seit langem nicht mehr und kam auch aus dieser Brastigkeitsschleife nicht wieder raus. Ich ärgerte mich über mich selbst, den Scheiß nicht gleich abgesagt zu haben wie ich das mit derartigen Veranstaltungen seit Jahren grundsätzlich so mache, weil ich inzwischen alt genug bin, um zu wissen, dass ich darauf nie, nie, nie Lust habe, und nein, ich habe auch keinen Spaß, wenn ich erstmal da bin, was ja immer die beliebteste Ansage von außen ist. Ich ärgerte mich über die Dreistigkeit, mir vorschreiben zu wollen, was ich tragen darf und was nicht, und ich ärgerte mich darüber, dass mich das nun Geld kostet, denn das verlangte Kleidungsstück habe ich nicht in meinem Schrank. Ich muss also irgendwo sein, wohin ich nicht mal will und dafür auch noch Geld ausgeben, das ich nicht habe. (Nebenbei ist es für dicke Menschen noch problematischer, in diesem relativ kleinen Zeitfenster Kleidung zu bekommen, weil wir eher auf Online-Shops angewiesen sind, was Versand- und eventuelle Retourenzeiten erfordert und vielleicht auch noch Änderungsaufwand.)

Ich hockte also trotz Bücherglück und gutem Tee in meinem Brastigkeitsloch, und das einzige, was mich wenigstens für ein paar Stunden ablenkte, was ein unfassbar komplizierter kunsthistorischer Text, der so anstrengend geschrieben war und so voller Fachsprache steckte, dass ich ihn nicht, wie viele andere Aufsätze, mal eben überfliegen konnte, sondern mich Wort für Wort mit ihm auseinandersetzen musste. Nachdem ich ihn niedergerungen hatte, war aber die Brastigkeit wieder da.

Erneut beschissen geschlafen. Dreckstag.

Was schön war, Dienstag/Mittwoch, 18./19. April 2017 – Wegschaufeln

In den letzten zwei Tagen habe ich am heimischen Schreibtisch gesessen und meine vielen Stoffsammlungen ausgedruckt. Dann habe ich alles gelesen, was ich bisher zusammengetragen hatte und zumindest den Lüpertz-Teil schon in eine halbwegs vortragbare Ordnung gebracht. Meine Grundthese, wie die Werke der beiden Herrn sich unterscheiden, trägt bis jetzt, was mich sehr beruhigt.

Außerdem habe ich Orgakram erledigt, der während meiner Erkältung liegengeblieben war: Steuer, Stellenangebote sichten, Zukunftspläne überdenken, Dinge zu DHL- und Hermesshops bringen, die ich nicht mehr brauche (Sky-Receiver) oder nicht haben will (zu enge Jacke). Happy Size schafft es immer wieder, Oberteile herzustellen, die mir über der Brust zu weit sind, am restlichen Oberkörper perfekt sitzen, aber viel zu enge Arme haben. Und mit zu eng meine ich: Da-komme-ich-kaum-alleine-wieder-raus-eng. Der Wunsch, Dinge selber nähen zu können, wird im Alter immer größer. Vielleicht sollte ich eine Ausbildung als Schneiderin machen, dann würde ich auch wieder Geld verdienen. Könnte für einen Schuhkarton in München reichen, der Ausbildungslohn.

Der Hermesshop ist gleichzeitig mein liebster Weinladen, in dem ich gestern mit „Ham’S a Packerl?“ begrüßt wurde, woraufhin ich sofort nach Wien umziehen wollte. Als Ausgleich wenigstens zwei Blaufränkisch aus Österreich mitgenommen.

The Heart of Whiteness: Ijeoma Oluo Interviews Rachel Dolezal, the White Woman Who Identifies as Black

Ich weiß gar nicht, ob das Thema Rachel Dolezal in den deutschen Medien rumgereicht wurde; meine amerikanische Timeline und Blogschau war vor gut zwei Jahren voll mit der Dame, die sich als weiße Frau als schwarz ausgegeben hatte. In The Stranger interviewt nun Ijeoma Oluo Dolezal, und Jezebel schreibt, dass dieses Interview das letzte sein sollte, was wie über sie lesen müssten, es wären dann jetzt wirklich alle Dinge geklärt.

„For two years, I, like many other black women who talk or write about racial justice, have tried to avoid Rachel Dolezal—but she follows us wherever we go. So if I couldn’t get away from her, I was going to at least try to figure out why. I surprised myself by agreeing to the interview.

I began to get nervous as the interview day approached. By the time I boarded a plane to Spokane, which is a one-hour flight from Seattle and is near the border with Idaho, a state that’s almost 90 percent white, I was half sure that this interview was my worst career decision to date. Initially, I had hoped that my research on Dolezal would reassure me that there was a way to find real value in this conversation, that there would be a way to actually turn this circus into a productive discussion on race in America.

But then I read her book.

Shortly after I announced the deal for my first book (a primer on how to have more productive conversations on race), a friend posted a link on my Facebook page. With a joking comment along the lines of “Oh no! Looks like Rachel beat you to it!” she linked to an article announcing that Rachel Dolezal would also be publishing her first book on race, In Full Color: Finding My Place in a Black and White World. Throughout the week, at least five other friends sent me similar links with similar comments. A look through my social-media feeds showed that I was not alone. Black women writers around the country were all being sent links to articles on Dolezal’s book deal—the memoir of a black woman whose claim to fame is… not being actually black.“

Was schön war, Montag, 17. April 2017 – Reste

Tiramisu und Kartoffelgratin vertilgt, Reste vom Lamm F. überlassen. Ein paar Folgen Deep Space Nine geguckt. Einen Liter Kaffee getrunken. Fragen von Tanja Praske beantwortet, die in einem der nächsten Montagsinterviews veröffentlicht werden. Die werden in den nächsten Tagen noch zehnmal redigiert, wie immer. Am späten Nachmittag ans Referat über Lüpertz und Kiefer gesetzt und bis gegen 21.30 Uhr gearbeitet. Noch einen Klecks Tiramisu genossen. Ein schöner, ruhiger Tag mit viel Regen vor dem Fenster, was schöne, ruhige Tage noch schöner macht.

Ordinary People

Clare Pettitt über zwei Biografien, eine über eine unbekannte Tagebuchschreiberin, eine über Joe Gould und die Unmöglichkeit, ein Leben zu erfassen. Ich lese seit Jahrzehnten gerne Biografien und habe auch meine Übung in Geschichte zum Thema historische Biografien sehr gemocht. Außerdem meckert im Hinterkopf immer noch die Idee mit der von-Welden-Biografie rum, aber die muss erstmal warten. Jedenfalls lese ich gerne Sekundärtexte zum biografischen Schreiben.

„Both these delicately written books reflect on the contradictions and risks of their own biographical practice. They think about the ways that fiction, biography, and history are not distinct genres. “There is something very appealing about this constant failure of biography,” says Masters, reflecting on everything he has got wrong and mis-imagined about the true identity of Not-Mary. “Wouldn’t all biographies be better if they gave up trying to fix the person they’re writing about, and confined themselves to his glints and reflections,” he asks, putting one in mind of Woolf’s own experiment in indirect biography, Jacob’s Room. It is impossible to sum up, as Gould suggested one could, “the whole story of man.” Or woman. But summing up is not the point. Masters understands that “the only moment that ever matters to [the diarist, Not-Mary]” is “Now,” the evanescent present moment. Gould’s dream of contemporary history is equally made up of fleeting fragments of overheard conversations in bars and on trains. Both these books ultimately document what Woolf described in Mrs. Dalloway: the curious way that life has, however pointlessly, however painfully, “of adding day to day.”

Seriously, this Guy Has a Point

Eine gute Auseinandersetzung mit Appropriation Art durch Fearless Girl, die nicht mal Kunst ist, sondern Werbung. (Via @mspro)

„It’s all about the bull. If it were placed anywhere else, Fearless Girl would still be a very fine statue — but without facing Charging Bull the Fearless Girl has nothing to be fearless to. Or about. Whatever. Fearless Girl, without Di Modica’s bull, without the context provided by the bull, becomes Really Confident Girl.

Fearless Girl also changes the meaning of Charging Bull. Instead of being a symbol of “the strength and power of the American people” as Di Modica intended, it’s now seen as an aggressive threat to women and girls — a symbol of patriarchal oppression.

In effect, Fearless Girl has appropriated the strength and power of Charging Bull. Of course Di Modica is outraged by that. A global investment firm has used a global advertising firm to create a faux work of guerrilla art to subvert and change the meaning of his actual work of guerrilla art. That would piss off any artist.“

Dazu gibt es natürlich auch sehr knapp formulierte Gegenmeinungen, der ich insofern zustimmen würde, dass wir mehr öffentliche, sichtbare Vorbilder für selbstbewusste, herausfordernde Frauen brauchen. Ich weiß nur nicht, ob ausgerechnet Fearless Girl das richtige Vorbild ist – angefangen beim Wort girl.

Verstörung

Carolin Emcke schreibt über die blitzschnelle Neuansetzung des Champions-League-Spiels zwischen Dortmund und Monaco und warum das Beharren darauf, Stärke zu zeigen, nicht immer sinnvoll ist.

„In diesem Sinne wiederholten auch die Stimmen nach dem Anschlag von Dortmund umgehend die autosuggestive Losung: Die Erlebnisse könnten die Betroffenen “wegstecken”. Es müsse ein “Zeichen” gesetzt, die “Demokratie und freiheitliche Grundordnung gestärkt” werden, niemand dürfe sich “einschüchtern lassen” – dann hätten “die Terroristen schon gewonnen”. Der Aufruf zur Normalität im Angesicht der Anomalie ist ein fragwürdiger Reflex, in dem als Verteidigung demokratischer Werte ausgegeben wird, was früher einmal Taktlosigkeit geheißen hätte.

Es ist eines, wenn Menschen, die verschont wurden, der Angst und dem Schock widerstehen können, oder wenn direkt Betroffene sich selbst eine Form von Normalität und Vertrauen (zurück-)erobern wollen. Etwas ganz anderes ist es, wenn Normalität und Vertrauen im Angesicht von Terror von oben herab angeordnet werden. Diese ritualisierte Pflicht zur Kontinuität meint, den Schmerz der Opfer, der einer Gewalterfahrung folgt, einfach überspringen zu können. Die Spieler von Borussia Dortmund wurden nicht nur zum Spielen genötigt – 24 Stunden nach dem Anschlag auf ihr Leben. Der eilige Auftrag zum Weitermachen wurde auch noch aufgeladen mit simulierter Moral. So als sei individuelle oder kollektive Trauer eine undemokratische Verweigerungshaltung. Als sei unprofessionell, wer innehalten, reflektieren oder auch nur schockiert sein will. Als sei ethisch verantwortungslos, wem der Schreck über die Wucht der Detonationen anzumerken war. Wer von den Spielern hatte da noch eine Wahl? Wer war da frei zu sagen: Ich kann oder will nicht?

Es war ein gespenstisches Spektakel: Um unbedingte Normalität zu behaupten, wurde ausgerechnet den Opfern aufgebürdet, ihre schreckliche Erfahrung zu verleugnen.“

Was schön war, Sonntag, 16. April 2017 – Schnupfenfrei und froh dabei

Seit Dienstag abend lag ich erkältet im Bett; Samstag ging ich das erste Mal wieder vor die Tür, um die beim Metzger vorbestellte Lammkeule abzuholen, Gemüse vom Markt zu holen und eine geheime Mission durchzuführen. Dann besorgte ich im Supermarkt noch Tiramisu-Zutaten, verarbeitete diese sogleich und ging wieder erschöpft ins Bett.

Gestern war dann der erste Tag, an dem ich mich wieder halbwegs gesund genug fühlte, um eine Lammkeule mit Kräutern in den Ofen zu schieben und mein geliebtes Kartoffelgratin zuzubereiten. In diesem Zusammenhang: Die Anschaffung eines Gemüsehobels war eine meiner besten Ideen. Auf zwei Millimeter fein gehobelte Scheibchen in einer Auflaufform aufzutürmen, macht wirklich große Freude, genau wie beim Essen die entspannend gleichförmigen Scheiben zu bemerken.

F. und ich genossen als Abschluss eine rote Beerenauslese von Heinrich, die jeden Cent wert war.

Nachts begann ich zu husten. (Hier augenrollendes Emoji vorstellen.)

PS: Nicht zusammenzuwohnen hat übrigens den Vorteil, dass man Ostereier verstecken und suchen kann! Win-win!

#12von12 im April 2017

Fotos 1 bis 10: vollgerotzte Taschentücher.
Foto 11: eine Kanne Tee, daneben eine Flasche Wasser.
Foto 12: ein Teller Fertigpulverhühnersuppe, mit Bohnen, Nudeln und TK-Erbsen aufgepimpt. Memo to me, wie bei jeder Erkältung: endlich mal einen Pott richtige Hühnersuppe kochen (so mit Huhn – und EIERSTICH OMG EIERSTICH), einfrieren und im Krankheitsfall auftaubar.

Was schön war, Montag, 10. April 2017 – Lesen

Endlich mal wieder einen produktiven Tag im ZI gehabt. Die letzte Woche über war ich irgendwie wenig motiviert, das übliche Loch, das zwischendurch mal kommt, vor allem, wenn man weiß, dass man eigentlich eh schon wieder viel zu viel hat. Aber natürlich gibt es immer noch Ecken, in denen ich rumlesen kann, und wie ich schon mal schrieb: zwei Wochen gebe ich mir noch, dann bastele ich zwei Wochen lang am Referat – wobei ich sehr schnell merke, ob mein Plan bzw. meine Gliederung passt –, und dann geht’s ans Aufschreiben.

Eine der Ecken, in die ich gestern reingeguckt habe, war zum Beispiel die politische Kunst. Also ganz banal: Ist Kunst politisch? Muss sie das sein? Kann sie auch explizit unpolitisch sein? Was Herr Lüpertz ja gerne von seinen Werken sagt, weswegen ich ihn immer innerlich anbrülle: UND WARUM MALST DU DANN WEHRMACHTSMÜTZEN UND SCHREIBST SCHWARZ-ROT-GOLD DRUNTER? DANN MAL DOCH PONYS!

Dann lag der große Katalog zum NS-Dokumentationszentrum bei mir auf dem Tisch, in dem ich über Kultur während der NS-Zeit las und wo ich ein schönes Zitat für den Kiefer-Teil in meiner Arbeit fand. Dass München sich nicht nur „Stadt der Bewegung“ und „Stadt der deutschen Kunst“ nannte, sondern auch noch „Richard-Wagner-Stadt“, zum Beispiel in einem offenen Brief an Thomas Mann, der es gewagt hatte, an Ritchie rumzumeckern, passt mir ganz hervorragend in die Argumentation.

Außerdem las ich einen Aufsatz über die Nachkriegszeit und fand schöne Zahlen. 1951 wurden die Bayreuther Festspiele wiedereröffnet, wo ein Handzettel verteilt wurde, auf dem darum gebeten wurde, doch bitte nicht über Politik zu reden, denn „hier gilt’s der Kunst“. Das Ding kannte ich, aber seit gestern kenne ich auch ein paar Dinge, auf die sich dieser Zettel eventuell beziehen könnte. Ab Ende 1950 begann die gesellschaftliche Debatte zur Wiederbewaffnung. Dann: Das sogenannte 131er-Gesetz wurde 1951 verabschiedet, nach dem ehemalige NS-Beamte Rente erhielten und auch wieder im öffentlichen Dienst arbeiten durften. 1951 wurde die faschistische Sozialistische Reichspartei, von der ich noch nie gehört hatte, in den niedersächsischen Landtag und die Bremer Bürgerschaft gewählt, aber immerhin bereits 1952 verboten. Und dann fand ich noch das hier:

„Am 23. Januar 1951 verlas [General Dwight D. Eisenhower, Oberbefehlshaber der NATO] nun vor der Öffentlichkeit einen Text, den die Wehrmachts- und späteren Bundeswehrgeneräle Adolf Heusinger und Hans Speidel vorbereitet hatten. Er habe erkannt, rezitierte Eisenhower, dass ein ‚wesentlicher Unterschied‘ bestehe ‚zwischen den deutschen Soldaten und Offizieren einerseits und Hitler und seinen verbrecherischen Helfern andererseits‘. Die Wirkung dieser Ehrenerklärung kann gar nicht überschätzt werden, nicht nur deshalb, weil sie das Offizierskorps rehabilitierte und für die Aufnahme in die neue westdeutsche Armee gegen ‚den Osten‘ qualifizierte. Der mörderische Krieg versank im Abgrund des Schweigens. Im Handumdrehen tauchte das Bild des heldenhaften Kriegs in den Schaufenstern der Buchläden auf. Ehemals führende Generäle schufen sich eine publizistische Plattform für beschönigende Memoiren. Erinnerungsbücher, Landserhefte und scheinbar sachliche Schilderungen des Krieges hatten im Jahrzehnt von 1952/55 bis zur Mitte der 60er Jahre eine stabile Konjunktur.“

(Doering-Manteuffel, Anselm: „Gründe und Abgründe des Schweigens. Kontinuitäten und Generationserfahrungen nach dem Zweiten Weltkrieg“, in: Nerdinger, Winfried (Hrsg.): München und der Nationalsozialismus. Katalog des NS-Dokumentationszentrums München, München 2015, S. 537–547, hier S. 542.)

Das ist für mich so spannend, weil ich mich gefragt habe, warum Lüpertz gefühlt aus dem Nichts bzw. der Abstraktion heraus Ende der 1960er Jahre plötzlich Stahlhelme malt. Ich gehe davon aus, dass er die Original-NS-Kunst nicht explizit vor Augen gehabt hat; jedenfalls las ich mal in einem Aufsatz, ich meine, in diesem Buch, dass zum Beispiel die Bilder der GDK ganz schnell bewusst vergessen wurden. Das heißt, dass Lüpertz nicht unbedingt das hier oder das hier vor Augen hatte, als er seine Helme, sinkend – dithyrambisch malte, sondern eher Kriegsfilme gesehen hatte oder eben: Landserheftchen. Nehme ich jedenfalls an.

Meine Dokumentsammlung wird auch immer länger. Anstatt wie sonst alles, was ich finde, gnadenlos in ein immer länger werdendes Word-Dok zu tippen und es irgendwann thematisch zu gliedern, habe ich hier von Anfang an mehrere einzelne Dokumente angelegt: Stoffsammlung Lüpertz, Stoffsammlung Kiefer, Stoffsammlung Vergangenheitsbewältigung, Stoffsammlung Kunst nach 45 (figürlich statt abstrakt, politische Kunst, was will ein Bild von mir, solche Diskussionen halt), Stoffsammlung Vergleich (für schlaue Vergleiche, die mir einfallen und die ich weder im Lüpertz- noch im Kiefer-Dokument verschwinden lassen will) und Stoffsammlung alles, wo ich zum Beispiel Dinge über Gerhard Richter (Onkel Rudi), Wolf Vostell (Deutscher Ausblick) oder Joseph Beuys (Auschwitz-Demonstration) reinschreibe.

Was schön war, Sonntag, 9. April 2017 – Architektur

Gestern sah ich erstmals einen Hollywoodstar auf der Bühne, nämlich John Malkovich, der mit Just Call Me God für zwei Abende in München war. Das Stück ist eine Auftragsproduktion für die Elbphilharmonie, was man dem Text ein wenig anmerkt, wenn er vom „großartigen Konzertsaal“ spricht und auf die Orgel hinweist, die eine große Rolle spielt. Wir saßen nun stattdessen in 50er-Jahre-Holzverschalung im Konzertsaal der Musikhochschule – bzw. dem ehemaligen „Führerbau“. Das passte dann doch ganz gut zur Geschichte um den größenwahnsinnigen Dikator eines fiktiven Landes, dessen Palast gestürmt wird, in dem sich der Saal befindet. Eine ebenso fiktive Armee, hier bestehend aus wenigen Soldaten, einer Journalistin (Sophie von Kessel), ihrem Kameramann und einem Armeegeistlichen, kommen in den Saal, schauen sich um – und werden bis auf die Journalistin und den Geistlichen erschossen. Vom Diktator aka Herrn Malkovich. Der Geistliche wird an die Orgel getaped und spielt die nächsten 90 Minuten lang fast kontinuierlich muntere Weisen, der Dikator schreit rum, plappert pseudoweltkritische Allgemeinplätze und bedroht die Journalistin mit seiner goldenen Knarre, während die so tut, als würde sie ein total sinnvolles Interview mit der Plappernase führen. Das ganze war sehr durchsichtig und langweilig und nebenbei mit albernen Klischees überzogen, die schon bei den Namen begannen. Der Diktator erklärte fünf Minuten seinen Phantasienamen (mir egal), der Geistliche wurde von ihm „Burt Bacharach“ genannt, aber Frau von Kessel war entweder „bitch“ oder „sweetheart“. Ihre anscheinend einzige Überlebenschance war dann auch die Erotik, und ich kam aus dem Augenrollen nicht mehr aus. Zum Schluss noch die große Vergebungsgeste oder zumindest eine Annäherung, obwohl der Herr gerade die Liebe ihres Lebens erschossen hatte, aber scheiß drauf. Ich quengelte innerlich vor mich hin, konnte mich aber immerhin an den wenigen zurückgenommenen Minuten von Malkovich erfreuen, wo er ein bisschen Normalität hinter der ganzen bescheuerten Grandezza durchblicken ließ.

Außerdem erfreute ich mich an der Architektur des Gebäudes. Der ehemalige Führerbau, ich schreibe das jetzt vermutlich zum tausendsten Mal in dieses Blog, aber ich weiß ja nie, was ihr euch merkt, ist von außen baugleich mit dem NS-Verwaltungsgebäude, in dem heute das Zentralinstitut für Kunstgeschichte residiert. In unser Gebäude darf auch jede*r rein, denn im Lichthof im Erdgeschoss steht die Abgusssammlung, die man sich kostenlos anschauen kann. Vom Lichthof geht rechts eine Treppe in den ersten und zweiten Stock, die beide annähernd die gleiche Höhe wie das Erdgeschoss haben; wir sehen außerdem eckige Säulen und riesige Holztüren. Das erkennt man alles wenigstens als Andeutung auf der Homepage der Abgusssammlung. Wie der Führerbau bzw. die Musikhochschule von innen aussieht, wusste ich nur vom Wikipediabild, denn in das Gebäude dürfen, zu Recht, nur Studierende und Lehrende. Ich ahne auch, dass da sonst die ganzen Katastrophentouristen nicht mehr rauszukriegen wären, denn in diesem Gebäude hatte Hitler sein Arbeitszimmer, und das muss man sich ja dringend angucken, auch wenn das heute, glaube ich, eine Übungszelle ist. Ich freute mich also auf das Treppenhaus, das auch hübsch anzuschauen ist. Was mich irritierte, waren die Stockwerkhöhen. Hier war das Erdgeschoss deutlich höher als der erste Stock, der aber immer noch, ich nenne sie mal „Altbaumaße“ hatte, während der zweite wie ein halbes Stockwerk aussah. Darüber musste ich sehr grinsen, denn ich erinnerte mich an den Film Being John Malkovich, in dem ein halbes Stockwerk vorkam. Außerdem sah ich, dass hier runde Säulen verwendet wurden, aber die Türen und Türzargen sehen aus wie bei uns. Der schönste Blick ist übrigens nicht die Treppe hoch, sondern genau umgekehrt: Wenn man oben auf der Treppe steht und hinunterschaut, erwischt einen die olle NS-Überwältigungsarchitektur ganz gut. Das Licht ist weicher und heller als bei uns, aber das mag daran liegen, dass es hier von der beigefarbenen Treppe zurückgeworfen wird, während es bei uns bis auf den Blutwurstmarmorfußboden herunterfällt.

Ich hatte also vor dem Stück schön was zu gucken und danach auch. Das Stück selbst kann man sich allerdings getrost schenken.

Was schön war, Samstag, 8. April 2017 – Vieles, aber ich zeige jetzt nur mal ein Bild, das ist nach dem langen gestrigen Eintrag auch okay

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Auch nach diversen Besuchen: Die Arena sieht beleuchtet einfach großartig aus. Immer wieder.

Das 4:1 gegen Dortmund war auch schön.

Die neue digitale Sammlung der Pinakotheken – ein guter Anfang

Seit dem 6. April kann man sich online durch die Sammlung der Pinakotheken, des Museums Brandhorst und der Sammlung Schack wühlen. Jedenfalls theoretisch. Wenn es um den Bereich moderne und zeitgenössische Kunst geht, sieht man nämlich statt schöner bunter Bilder das hier:

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Der erste Name, den ich eingab, war Anselm Kiefer, weil ich mich mit dem gerade beschäftige. Keines seiner fünf Werke, die im Besitz der Bayerischen Staatsgemäldesammlung sind, kann angezeigt werden. Bei zwei Bildern liegen schlicht noch keine digitalen Fotos vor, was ich nachvollziehen kann, bei drei weiteren scheint es Bildmaterial zu geben, das aber nicht gezeigt werden darf. Das liegt nicht an den Pinakotheken, sondern am dusseligen deutschen Urheberrecht, das mich mal wieder laut knurren ließ.

Der Pinakothek der Moderne gehört zum Beispiel Nero malt von 1974, das nicht auf der Website erscheint. (Hier kann man das Bild natürlich trotzdem sehen; ganz runterscrollen.) Das Museum als Eigentümer dieses Bildes darf es verbrennen, wenn es möchte, es kann aber kein Foto seines Bildes auf seiner Website zeigen – weil es schlicht zu viel kosten würde. Wolfgang Ullrich schrieb im letzten Jahr sehr schön über den Irrsinn der Verwertungsrechte:

„Die aktuelle Gebührenpolitik der meisten Verwertungs-gesellschaften könnte zu dem Schluss verführen, es sei tatsächlich eine Arkanisierung der Kunst angestrebt. So kommt die Nutzung eines Werkes, das auf einer Website reproduziert wird, in den meisten Fällen erheblich teurer als die Abbildung in einer Printpublikation. Die Differenz entsteht vor allem, weil bei Druckerzeugnissen nur einmalig eine Gebühr zu zahlen ist, während bei Veröffentlichungen im Internet im Allgemeinen nach Monaten gerechnet wird oder aber nach einem Jahr eine erneute Lizensierung erfolgen muss. So addieren sich die Beträge rasch zu hohen – zum Teil absurd hohen, unbezahlbaren – Summen. Diese Praxis entbehrt jeglicher logischen Grundlage, sind doch Bücher viel stärker als Websites auf Dauer angelegt, werden also auch nach Jahren und Jahrzehnten noch rezipiert. Man könnte das Vorgehen der Verwertungsgesellschaften als prohibitiv bezeichnen; sie sehen das Internet offenbar als schmutzigen, unseriösen Ort an, vor dem sie die von ihnen vertretenen Urheber und Werke schützen wollen. Auf die Wildnis der Sozialen Medien reagieren sie mit dem Versuch, streng exklusive Reservate einzurichten.“

Die Verwertungsgesellschaft, die für bildende Kunst zuständig ist, ist die VG Bild-Kunst. Anselm Kiefer wird nicht von ihr vertreten, wenn ich der hauseigenen Suche glauben darf. Trotzdem gilt für ihn wie für alle anderen auch: Werke von Künstler*innen, die nicht bereits seit 70 Jahren tot sind, dürfen nur gegen Gebühr abgebildet werden. Das kennen wir ähnlich von literarischen Werken. Auch dort kann ich die Schutzfrist nicht verstehen, weil ich sie erstens für viel zu lang halte und zweitens nicht nachvollziehen kann, wieso Nachkommen noch was von den Werken ihrer Väter, Großmütter oder Tanten haben sollen. Ich kann aber immerhin nachvollziehen, dass literarische Werke, die man sich als Buch kauft und mit nach Hause nimmt, Geld kosten. Ich kann aber nicht verstehen, wieso Künstler*innen Geld dafür bekommen, dass ein Werk, das sie verkauft haben, irgendwo abgebildet wird. Wenn es Werbung ist, klar – aber wenn es ein Museum oder eine wissenschaftliche Auseinandersetzung ist, nein. Wirklich nicht.

Antje Lange, die für die Online-Kommunikation der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen verantwortlich ist, erklärte mir auf Anfrage, wie diese Rechte die Vermittlungsarbeit von Museen erschweren. Ein Beispiel: Auf den Seiten der Pinakotheken kann man durch die Alte, die Neue und die der Moderne online von Saal zu Saal bummeln – eine Funktion, die ich sehr gerne mag, weil man durch sie auch Bilder wiederfindet, von denen man sich weder Titel noch Künstler*in gemerkt hat. Ja, auch ich renne gerne mal hirntot durch Museen und freue mich einfach an den Werken. Eine Dozentin meinte mal, man lerne auch im Vorbeigehen. Der Satz ist seitdem mein Mantra. Zurück zum Rundgang:

Bei der Alten und Neuen Pinakothek, die Werke vom Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert zeigen, sind online Abbildungen zu sehen – bei der Pinakothek der Moderne, die, wie der Name schon sagt, eher Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts zeigt, nur in Ausnahmefällen. Lange: „Wir haben einen Museumsvertrag mit der VG Bild-Kunst, der uns eine gewisse Anzahl von Werken kostenlos zeigen lässt – aber der Rundgang durch die Pinakothek der Moderne ist deswegen nie vollständig online, weil die Anzahl der Werke diese Grenze deutlich übersteigt. Das finde ich bedauerlich, denn meiner Meinung nach sollte ein staatliches Museum auch für Menschen zugänglich sein, die nicht vor Ort sind.“

Die Rechte gelten übrigens auch für die sozialen Medien der Museen, wobei es dort Ausnahmeregelungen für laufende Ausstellungen gibt. Wenn die Pinakotheken auf Instagram eine Saalansicht mit zeitgenössischer Kunst posten, kostet das Geld. Die VG Bild-Kunst berechnet nach Klickzahlen und Dauer der Veröffentlichung – das heißt, wenn eine derartige Ansicht zu sehen ist, die keine aktuelle Ausstellung zeigt und damit gebührenfrei ist, müsste sie theoretisch zeitlich begrenzt sein, damit es nicht teuer wird. Man müsste also dauernd Dinge depublizieren – oder man lässt es gleich. Jetzt weiß ich wenigstens, wieso der Instagram-Account der Pinakotheken gerne die Alte vorstellt. Mir juckt es gerade sehr in den Fingern, durch alle Säle der Pinakothek der Moderne zu gehen und zu instagrammen, was das Zeug hält. Ich bin eine Privatperson ohne kommerzielle Interessen an den Werken – aber ich weiß gerade selbst nicht, ob ich sie herzeigen dürfte oder ob die Schlägertruppen der VG Bild-Kunst dann durch meine Streams marodieren. Was ich aus unserem Gespräch schon mal mitgenommen habe: Ich lästere nie wieder über eher unbeeindruckende Instagram-Accounts von zeitgenössischen deutschen Museen, weil sie schlicht nicht die Chance haben, so großartig zu sein wie das MoMA, dessen Stream vermutlich in jeder Präsentation als Benchmark hochgehalten wird.

Denn: Dieser Urheberrechtsnervkram ist ein deutsches Problem. Wenn ich zum Beispiel auf die Seite der Online-Kollektion des MET gehe, finde ich dort 62 Werke von Kiefer, alle in schönster farbiger Abbildung. Was das MET auch vorbildlich macht: die wissenschaftliche Informationstiefe für die einzelnen Werke. Nehmen wir als Beispiel mal Herzeleide (1979), das ich in meiner Hausarbeit vor einem Jahr erwähnen konnte – und noch weitere Werke Kiefers, von deren Existenz ich ohne die Online-Datenbank nichts gewusst hätte, weil sie in keinem Katalog erwähnt wurden, der mir physisch zur Verfügung stand. Zu den Werken findet man auf der Site nicht nur die kunsthistorischen Basisdaten (Herstellungsdatum, Maße, Technik), sondern eine vollständige Provenienz, einen Hinweis auf Literatur sowie eine Ausstellungshistorie. Die Pinakotheken beschränken sich momentan auf die Basisdaten, bieten aber – bei älteren Werken – die Möglichkeit zum Download der Bilder unter CC-BY-SA-4.0-Lizenz. Außerdem kann man sich das Datenblatt ausdrucken lassen. Die Daten sollen, laut Lange, in Zukunft noch ausführlicher werden, der derzeitige Stand ist nicht der finale. Als Messlatte gilt nicht überraschend das Rijksmuseum, das seine Werke hochauflösend zum Download anbietet und den Nutzer*innen alle Freiheiten lässt, mit den Schätzen zu machen, was sie wollen. Mein Lieblingszitat des dortigen Direktors: „If they want to have a Vermeer on their toilet paper, I’d rather have a very high-quality image of Vermeer on toilet paper than a very bad reproduction.“

Auch wenn ich die fehlenden Bilder in der Datenbank der Pinakotheken beklage, freue ich mich, dass ich überhaupt die Möglichkeit habe, einen musealen Bestand zu durchsuchen, denn das ist leider noch keine Selbstverständlichkeit. Neben München bieten Berlin und Dresden diesen Service, aber das war’s dann auch schon. Bei der digitalen Sammlung des Städel in Frankfurt bin ich mir nicht sicher, ob die komplette Sammlung erfasst wurde, die Hamburger Kunsthalle zeigt „300 Meisterwerke aus den Bereichen Malerei, Skulptur, Fotografie und Graphik sowie mehr als 15.000 Zeichnungen und Druckgraphiken aus dem Kupferstichkabinett“. Dass es nur so wenige vollständige Sammlungen online gibt, finde ich nicht nur für mich und meine berufsbedingte kunsthistorische Neugier schade, sondern auch für Laien. Eine Frage, die ich Lange stellte, war die nach der Zielgruppe der neuen Site – da kam in mir kurz die Werberin durch: „Die Online-Sammlung ist sowohl für die Wissenschaft als auch für das Museumspublikum konzipiert. Das Publikum profitiert vermutlich eher von den Inspirationen, die zu jedem Werk angezeigt werden [eine Art Empfehlungsbilderbogen]; für die Wissenschaft sind die Daten interessanter. Mir war es wichtig, die Datenbank nicht zu wissenschaftlich aussehen zu lassen; es sollte aber auch nicht so spielerisch sein wie die digitale Sammlung des Städel.“

Ich finde den Spagat gut gelungen – wenn jetzt noch die Datentiefe des MET erreicht wäre, wäre ich schon fast wunschlos glücklich, denn natürlich sind die fehlenden Bilder das Hauptproblem. Sie sind für mich auch als wissenschaftliche Quelle wichtig und nicht nur als Downloadmöglichkeit für einen schöneren Bildschirmhintergrund. Im Studium bezog ich meine Bilder aus dem Prometheus-Bildarchiv, einem Zusammenschluss von derzeit 90 kulturellen Institutionen, die ihre Bilder für wissenschaftliche Zwecke zur Verfügung stellen. Die LMU hat eine Lizenz, weswegen ich nach Herzenslust suchen, downloaden und Dinge in PowerPoint-Präsentationen einbauen durfte. Das Problem bei Prometheus ist: Viele bekannte Werke liegen in mehrfacher, teilweise dutzendfacher Ausfertigung vor – und kein Bild sieht so aus wie das nächste. Ich bleibe mal bei Kiefer als Beispiel, dessen Parsifal ich nur zweimal fand, aber selbst da sieht man schon das Problem:

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Ich kann mir schlicht nicht sicher sein, wie das Bild im Original aussieht, wenn ich nicht schon einmal selbst davor gestanden habe. Bei Manets Olympia, die ich 23 Mal fand, wird es noch klarer:

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Wie soll man bitte wissenschaftlich mit Bildern arbeiten, wenn man nicht mal weiß, ob man gerade die originale Farbgebung betrachtet? Gerade dafür sollte ich mich auf Museen verlassen können. Kann ich aber leider nicht: Das Kunsthaus Zürich, in dem der Parsifal hängt, zeigt quasi gar nichts auf seiner Seite, beim Musée d’Orsay kann ich immerhin die Olympia in recht kleiner Auflösung mit den Bildern in Prometheus vergleichen, um eine möglichst ähnliche Abbildung für meinen Vortrag zu benutzen. Ideal finde ich beides nicht. Hier sehe ich die Verantwortung bei den Museen, bei der Verwertungsgesellschaft, die Rechte freizugeben – und, darauf wies auch Ullrich hin, bei den Künstler*innen selbst:

„Aber selbst Wissenschaftler, die über Künstler publizieren, welche ihre Rechte von einer Verwertungsgesellschaft vertreten lassen, werden gelegentlich damit konfrontiert, dass man ihnen eine Reproduktionserlaubnis verwehrt. So machen es einige Künstler – zum Beispiel Andreas Gursky – zur Bedingung, dass ihre Werke in Farbe reproduziert werden. Das aber behindert – wegen der dann nicht finanzierbaren erhöhten Druckkosten – insbesondere Autoren von Doktorarbeiten, wissenschaftlichen Sammelbänden oder unabhängigen Büchern; Texte, die sich, vielleicht auch analytisch-kritisch mit der Ikonografie oder den Sujets des Künstlers befassen und die deshalb auf Abbildungen als Grundlage und Verifizierung einer Argumentation angewiesen sind, können im Extremfall gar nicht publiziert werden.“

Was schön war, Donnerstag, 6. April 2017 – Schon wieder Duft

Gemeinsam aufgewacht. (Still awesome.)

Der Duft frischer Kaffeebohnen.

Viel gelesen, aber auch viel aus dem Fenster geguckt und nachgedacht. War beides produktiv, ich hatte gestern aber eher einen langsamen Tag. So als ob meine Hirnzellen sich erstmal duschen und eincremen und anziehen und frühstücken und dann sehr entspannt zum Bus gehen würden, bevor sie sich an die Arbeit machen.

Eine überraschend schnell beantwortete E-Mail.

Ein faszinierender Duft im Treppenhaus, als ich zum Einkaufen ging.

Vom Einkaufen frisches Sonnenblumenbrot mitgebracht. Ihr ahnt schon, was kommt: der Duft!

Ein äußerst hilfsbereiter Mensch an meiner Seite. Ich habe jetzt einen verpackten Sky-Receiver, den ich vielleicht auch irgendwann mal zur Post bringen werde. Und mein Ikea-Couchtischchen, das seit 20 Jahren mit mir umzieht, hat jetzt wieder vier funktionierende, mit anscheinend nicht ewig haltbarem Plastik umhüllte Rollen, nachdem vorgestern die letzte, ihre Hülle zerbröselnd, ins Jenseits verschied.

Der Duft anderer Haut. (Still awesome.)

(Hier bitte weiteren Backfischkram vorstellen, der mir selbst peinlich wäre, wenn ich ihn woanders läse. Aber zum Glück ist das hier ja mein Blog. Puh.)

Check this box if you’re a good person

Eine director of admissions erzählt über ein besonderes College-Essay:

„The problem is that in a deluge of promising candidates, many remarkable students become indistinguishable from one another, at least on paper. It is incredibly difficult to choose whom to admit. Yet in the chaos of SAT scores, extracurriculars and recommendations, one quality is always irresistible in a candidate: kindness. It’s a trait that would be hard to pinpoint on applications even if colleges asked the right questions. Every so often, though, it can’t help shining through.

The most surprising indication of kindness I’ve ever come across in my admissions career came from a student who went to a large public school in New England. He was clearly bright, as evidenced by his class rank and teachers’ praise. He had a supportive recommendation from his college counselor and an impressive list of extracurriculars. Even with these qualifications, he might not have stood out. But one letter of recommendation caught my eye. It was from a school custodian.“

(via @cervus)

Was auf den zweiten Blick schön, aber trotzdem total doof war, Mittwoch, 5. April 2017 – #FCAFCI

Gestern stellte ich fest, dass die dünnen Suhrkamps perfekt in die Innentasche meiner Spätherbst-Frühfrühlingsstadionjacke passen.

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So hatte ich im Zug etwas zu lesen, als ich mit F. in Richtung Augsburg zuckelte, wo wir uns das Spiel gegen Ingolstadt anschauen wollten. Wir erwischten eine schöne leere Tram vom Bahnhof zum Stadion, genossen dort die traditionelle Stadionwurst (aka „FCA-Knacker“, eine rote Bratwurst, gestern richtig schön heiß, in einer Laugenstange), ich erfreute mich wie immer am fähnchenschwingenden Kid’s Club, der zur Vereinshymne eine Runde um den Platz drehte, wobei das Publikum immer brav zurückwinkt, dann nahmen wir Platz, und ab da wurde der Abend eher scheiße.

Zur Halbzeit stand es bereits 0:2, das Endergebnis war dann 2:3, und bis auf 15 Minuten vor Schluss spielten die Augsburger nicht nur unterirdischen Müll zusammen, sondern ließen auch den Willen vermissen, der nötig gewesen wäre, um das Spiel zu gewinnen. Augsburg stand gestern mit 7 Punkten Vorsprung auf dem Relegationsplatz, Ingolstand direkt dahinter auf dem ersten Abstiegsplatz. Die drei Punkte hätten dem FCA einen Vorsprung von zehn Punkten sichern können, stattdessen sind es jetzt nur noch vier; man ist jetzt punktgleich mit Mainz und einen Zähler hinter dem HSV und Wolfsburg, die der FCA mit einem Sieg alle hätte überholen können. Hätte, hätte, Fahrradkette. Augsburg bleibt auf dem Relegationsplatz, hat aber noch schwere Spiele vor sich. Die drei Punkte waren eigentlich fest eingeplant, der Abend war deswegen eher anstrengend und ich dementsprechend mies gelaunt.

Aber: Ich habe eine neue Facette des Fußballguckens kennengelernt. Dem FC Bayern folge ich aufmerksam erst so seit sieben, acht Jahren, und in dieser Zeit spielte er einen teilweise überirdisch schönen – und erfolgreichen – Fußball. Der FCB war niemals auch nur in der Nähe von irgendwelchen Abstiegsplätzen – ganz im Gegensatz zu Augsburg. Dessen Saison war vom Umbruch gekennzeichnet: Nach der Europapokalteilnahme im letzten Jahr, wovon noch diverse Schals an Fans im Stadion künden, ist diese Saison eine ganz andere. Der neue Trainer wurde noch vor der Winterpause entlassen, sein Nachfolger macht … irgendwas, ich weiß nicht was, es sind neue, junge Spieler in der Mannschaft, die sich zwar emsig bemühen, aber denen schlicht Erfahrung fehlt, und durch viele Verletzte ist der Kader sehr schmal, der auch nicht aufgestockt werden kann, weil schlicht das Budget fehlt. Da kommt einiges zusammen, und deswegen spielt der FCA gerade gegen den Abstieg. Oder rumpelt sich so durch, wie man’s nimmt.

Die ganze Saison über hatte ich Spaß an dieser Art Fußball und dieser Art des Fußballguckens, weil es sehr anders ist als Spiele beim FCB zu sehen. Ein Stadion für 30.000 ist schlicht eine andere Hausnummer als eins für 75.000, und auch die ganze Stimmung ist eine andere. Beim FCB besteht gefühlt die Hälfte der Zuschauer*innen aus Touris, die aufgeregt alles und jeden knipsen, stolz ihre nagelneuen Trikots ausführen und gerne suchend im Weg rumstehen; die Stadionbeschallung ist nervig-professionell, alles ist riesig und groß und supi und champions of the world. In Augsburg wedelt der Kid’s Club, das Kaschperle aus der Augsburger Puppenkiste sagt den Spielstand voraus (immer falsch), die Tormusik ist Eine Insel mit zwei Bergen, und die Zuschauer*innen sehen so aus, als kämen sie seit 30 Jahren und hätten schon die Spiele in der dritten Liga mitangesehen. In seiner liebevollen Schraddeligkeit fühlt es sich in der WWK-Arena mit ihren Menschen fast wie bei meinem schmerzlich vermissten Altona 93 in der Hamburger Oberliga an: alles eine Nummer kleiner und sehr auf dem Boden geblieben. Deswegen störte mich auch der miese Fußball nicht, der hier gespielt wird – bis gestern. Denn gestern merkte ich zum ersten Mal, dass dieser miese Fußball dafür sorgen könnte, dass der FCA in der nächsten Saison zweitklassig spielen könnte. Das war ein komplett neues Gefühl für mich: Abstiegskampf. Und so schön ich es finde, eine neue Facette des Fanseins kennenzulernen, so sehr litt ich gestern 90 Minuten vor mich hin.

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Und dann hatte auch noch die Schwarze Kiste am Bahnhof schon geschlossen, so dass wir kein Trostbier für die Rückfahrt hatten. Musste eben zuhause eins aus dem Kühlschrank den Schmerz lindern.

Was schön war, Dienstag, 4. April 2017 – Duft

Abends mit dem ehemaligen Mitbewohner in der Goldmarie gesessen und gut gespeist und noch besser getrunken. Der Zweigelt war zwar einen Hauch zu warm, aber ich hatte trotzdem ständig meine Nase im Glas, weil der Wein so herrlich duftete, woraufhin der ehemalige Mitbewohner meinte, das sei so schön mitanzusehen, wie sehr ich mich über Wein freuen kann.

Das war ein schöner Satz, weil er einen für mich riesigen, schwierigen Komplex zusammenfasst. Nach jahrzehntelangem Kampf gegen mich, meinen Körper und gegen Essen generell *freue* ich mich jetzt über mich, meinen Körper und Essen. Am meisten über Essen, das weit mehr für mich ist als schnöde Nahrung oder Treibstoff oder wie auch immer man Essen abfällig und beiläufig nennen und damit jede emotionale Komponente völlig ignorieren kann. Für mich ist Essen so viel Freude und Lust und Genuss und Vergnügen, weswegen ich bei Sätzen wie „XY nicht schälen, unter der Schale sitzen die ganzen Nährstoffe“ nur noch mit den Augen rolle anstatt panisch meine Blutwerte checken zu lassen. Ich esse fantastisches Zeug, ich kann meine Äpfel ruhig schälen. Ich sterbe schon nicht an Skorbut. Und wenn, habe ich vorher wenigstens noch die weltweiten Rotweinvorräte ausgetrunken. Ich werde auf dem Totenbett jedenfalls nicht bedauern, irgendwelche irdischen Genüsse ausgelassen zu haben. Wenn ich schon keinen Plan für mein Leben mehr habe – einen fürs Ableben habe ich: möglichst satt sterben.

Was schön war, Montag, 3. April 2017 – Gutes Essen

Mittag gab’s im Home Office, wo gerade die halbe Staatsbibliothek auf meinem Tisch liegt. Letzte Woche fand ich auf dem Elisabethmarkt richtig tolle Tomaten, die ich seitdem roh mit Olivenöl, Salz und Pfeffer esse. Reicht völlig. Dazu gibt’s meistens geröstetes Sonnenblumenbrot (nicht selbstgebacken, an Sauerteig traue ich mich immer noch nicht ran, und die Hofpfisterei macht wirklich gutes Brot), auf das ich Avocadoscheibchen lege, die auch noch Olivenöl, Salz und Pfeffer abbekommen.

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Abends hatte F. um etwas Leichtes gebeten, nachdem er letzte Woche im Skiurlaub richtig zugeschlagen hatte. Ich entdeckte im Supermarkt Reispapier und schwenkte von Reis mit Pfannengemüse auf Sommerrollen um. In denen befand sich in Sojasauce, Ingwer und Knoblauch mariniertes Rindfleisch, Eisbergsalat, Möhren, Gurken, Kaiserschoten, Schalotten und Reis. Dazu gab’s zwei Fertigsaucen, die wir beide verschmähten und als dritte Sauce einfach den Bratensaft des Rindfleisches, in den ich noch ein winziges bisschen dunkles Sesamöl gab. Das zweite Festessen des Tages. (Wenn ich auch des Öfteren runtergefallenen Inhalt mit der Gabel aß, weil ich die Rollen viel zu locker gewickelt hatte.)

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Was schön war, Sonntag, 2. April 2017

Mit Bach auf den Ohren bei Sonnenaufgang über den Alten Nordfriedhof spazieren.

Wenige Stunden später in einem Blog über einen Spaziergang auf dem Alten Südfriedhof lesen.

Was schön war, Samstag, 1. April 2017 – Spieltach

Für die letzten fünf Heimspiele des FC Bayern habe ich eine geliehene Jahreskarte. Jetzt ist es wieder warm genug für Frau Schönwetterstadiongängerin, jetzt will ich auch wieder live dabei sein. Gestern spielte Bayern gegen Augsburg, denen ich neuerdings noch gewogenerer bin als den Münchnern, weswegen das ein sehr seltsamer Stadionbesuch war. Als der FCB in der Hinrunde in Augsburg spielte, was ich auch hin- und hergerissen, aber sobald ich in der WWK-Arena saß, war klar, wem ich die Daumen drückte (allerdings vergebens). Die Entscheidung kam aus dem Bauch und fiel auch nicht schwer, denn es war schließlich ein Augsburger Heimspiel. Gestern saß ich aber nun in eigentlich „meiner“ Arena – und drückte dem Gastverein die Daumen. Ich trug ein grünes Shirt, kein rotes, versuchte in den Anfangsminuten irgendwie neutral zu bleiben, was sich aber beim ersten Tor für den FCB erledigt hatte. Der FCB ist schon halbwegs Meister, Augsburg hingegen kämpft gegen den Abstieg, weswegen ich ihnen noch mehr ein paar Punkte wünschte. Das blieb gestern allerdings beim Wünschen, denn der FCA verlor null zu sechs und spielte dabei auch so richtig schön scheiße. Gut, mag sein, dass ein paar Spieler für das wichtigere Duell am Mittwoch gegen Ingolstadt geschont werden (ich habe eine Karte und werde laut brüllen), mag auch sein, dass man eh nicht mit Punkten rechnete, aber dass man sich so abschlachten lässt, fand ich doch sehr schade.

Bei der Rückfahrt aus Fröttmaning erwischte ich eine U-Bahn, die nicht erst am Stadion eingesetzt wurde, sondern schon aus Garching kam. Darin saß eine Touristengruppe, die eher verschreckt als amüsiert auf die brachiale Horde von roten Trikots reagierte, die sich da plötzlich in ihre schöne ruhige U-Bahn ergoss. 75.000 Menschen auf einem Haufen sind aber auch echt ne Menge. Einige überschwänglich gut gelaunte Fans stimmten dann die üblichen Gesänge an, und ich dachte augenrollend, och, haltet doch die Klappe, als einer der Touris lautstark zu einem Mitsitzer sagte: „Ich sehe, die Fußballkultur hat sich nicht geändert, seit ich aus München weg bin“, woraufhin ich augenrollend dachte, och, halt doch die Klappe. Einer der FCB-Fans beschwerte sich, dass niemand im Waggon mit ins Triumphgeheul einstimmte: „Nix los hier! Alles Touris! Wo kommts ihr denn her?“ Ein anderer trocken: „Aus Augsburg.“ Großes Gelächter, Verbrüderung, alles wieder gut und ruhig. Ich zückte mein iPhone und las.

Abends bereitete ich mal wieder ein Tasty-Rezept zu, das ich vorgestern auch schon gegessen und daher Brokkoli übrig hatte. Das hat so gut geschmeckt, das wollte ich gleich noch mal essen.

Nichts für die Uni gemacht. Kopf ausgeschaltet und fünf uralte Masterchef-Australia-Folgen nachgeguckt, weil’s so schön ist. Warum das so ist, steht nicht nur bei mir, sondern auch bei Adam Cadre. Danke an @ttepasse für den Hinweis auf diesen sehr langen Blogeintrag. Die neue Staffel geht übrigens nach Ostern los und ich bin schon sehr hibbelig.