Tadpole

Tadpole (Alle lieben Oscar): überzeugende Mischung aus The Catcher in the Rye und The Graduate. Der 15jährige Oscar (Aaron Stanford, 25) verliebt sich in seine Stiefmutter (Sigourney Weaver), landet aber stattdessen erstmal mit deren bester Freundin im Bett. Was eine Aneinanderreihung von peinlichen Situationen hätte werden können, ist ein sehr stimmiger, ruhiger Film geworden. Er fühlt sich an wie eine Kurzgeschichte, manchmal ein bisschen zu gewollt intellektuell (die albernen Voltaire-Zitate als Kapiteltrenner hätte man sich auch schenken können), aber die Story selbst wird unprätentios und sensibel erzählt. Der Film ist gerade mal 78 Minuten lang, und das ist auch gut so. Er wirft nur einen kurzen Blick auf einige Menschen und lässt sie dann in Ruhe. Schöne Sache – bis auf den beknackten deutschen Titel, der sogar noch die Zusatzzeile „Wie verführt man seine Stiefmutter“ trägt. Irgendwann werde ich wegen sowas zum Bombenleger.

Love the Hard Way

Love the Hard Way: wegen Adrien Brody und August Diehl geliehen. Der Film hatte schon verloren, als Brody in seiner ersten Szene eine Schlangenlederjacke anzieht, typisch obercooles Kleinkriminellengeschwätz ablässt und ein Feuerzeug zückt, das Mozart spielt. Nach 20 Minuten abgeschenkt.

Dreamcatcher

Dreamcatcher: uargh. Stephen King-Verfilmungen klappen höchst selten, und diese ist leider keine Ausnahme. Die ersten 40 Minuten sind beklemmend und atmosphärisch dicht – Lawrence Kasdan hat Regie geführt –, aber danach wird daraus nur noch ein blöder Alien-Rip off. Selbst die Effekte sehen geklaut aus, und beim Ende habe ich nur noch gelacht. Geht nach Hause, Außerirdische. Ihr nervt.

A Guy Thing

A Guy Thing (Gelegenheit macht Liebe): typischer Fall von „Hätte so schön sein können“. Jason Lee und Julia Stiles gehören zu meinen Lieblingen, und daher nehme ich es ihnen persönlich übel, sich für diesen Grütz hergegeben zu haben.

Nach seiner Junggesellenparty wacht Paul (Lee) neben der ihm unbekannten Becky (Stiles) auf. Natürlich steht seine Zukünftige (Selma Blair) fünf Minuten später vor der Tür; wir erleben die üblichen Szenen mit im Appartement vergessener Unterwäsche, miesen Ausreden, wohlmeinenden Freunden, übel gelaunten Exfreunden und der vor dem Altar abgesagten Hochzeit. Belanglos, charmefrei, überflüssig.

Human Nature

Human Nature (Die Krone der Schöpfung): kleines seltsames Filmchen mit Tim Robbins, Patricia Arquette und Rhys Ifans. Robbins spielt einen Wissenschaftler, der seinen weißen Mäusen das Essen mit Messer und Gabel beibringt, während seine Frau (Arquette), die unter zu starker Körperbehaarung leidet, gerade dabei ist, sich ins Robbins’ zweites Studienobjekt zu verknallen: Puff (Ifans), der Mann, dessen Vater glaubte, ein Schimpanse zu sein und deshalb seinen Sohn als Affen aufzog. Das Drehbuch stammt von Charlie Kaufman und ist trotz der irrwitzigen Charaktere für seine Verhältnisse fast ein wenig konventionell geraten. Die gut aufgelegte Darstellerriege macht daraus aber dennoch schön schräge Unterhaltung.

Matrix Revolutions

Matrix Revolutions
(USA, 2003)

Darsteller: Keanu Reeves, Laurence Fishburne, Carrie-Anne Moss, Hugo Weaving, Mary Alice, Sing Ngai, Jada Pinkett-Smith
Musik: Don Davis
Kamera: Bill Pope
Drehbuch: Andy & Larry Wachowski
Regie: Andy & Larry Wachowski

Wenn Matrix Revolutions den Titel Heute hau’n wir auf die Pauke gehabt hätte, hätte ich dem Film ein paar Punkte auf der Sympathieskala gegeben, denn er ist ein ordentlich gemachtes, wenn auch sehr konventionelles Stück Actionkintopp geworden. Leider steht aber Matrix Revolutions auf den Plakaten, und somit erwarte ich (denn die Hoffnung stirbt zuletzt), dass der dritte Teil der Saga an die Faszination des ersten anknüpfen und den unsäglichen zweiten Teil vergessen machen kann. Kann er aber nicht. Revolutions – deux points. Wenn’s hochkommt.

Auf den Plakaten steht noch etwas: “Everything that has a beginning has an end.” Ich bin ständig versucht, “und die Wurst hat sogar zwei” hinten dran zu hängen, so sehr geht mir inzwischen die völlige Hohlschwätzigkeit des Matrix-Universums auf die Nerven.

In der ersten halben Stunde von Matrix Revolutions dürfen wir uns wieder mit Programmen in Menschengestalt rumschlagen, die uns sicherlich was wahnsinnig Wichtiges mitteilen wollen, aber ich hab nach drei Sätzen voller choice, purpose und meaning nicht mehr zugehört. Wir begegnen noch einmal den Nervensägen aus Reloaded – dem franzackigen Merowinger und seiner großzügig dekolletierten Gespielin Persephone –, aber diesmal hält sich das belanglose Wortgefecht in Grenzen. Gottlob. Ich hätte beinahe Beifall geklatscht, als Trinity das Ganze auf den Punkt bringt: “I don’t have time for this shit.”

Monica Bellucci ist in diesem Film komplett auf ihre Oberweite reduziert und hat einen – einen! – Satz zu sagen. Der ist natürlich wieder von unglaublicher Wichtigkeit, denn das Wort love kommt drin vor. Und das ist auch die Botschaft, die uns in Matrix Revolutions in schöner Regelmäßigkeit um die Ohren gehauen wird, so diese denn noch auf Empfang sind: Wer liebt, gewinnt. (Oder wahlweise: Wer glaubt, gewinnt. Irgendwie.)

Die folgenden 90 Minuten fühlen sich dann eher nach „Terminator meets Alien“ an als nach Matrix – was ich aber ganz erholsam fand. Die Maschinen haben Zion aufgespürt und dringen in die Stadt ein, die Bewohner wehren sich nach Kräften, und es zündelt und explodiert, dass es eine Freude ist. In dem ganzen Feuersturm fällt dann auch gar nicht mehr auf, dass eine Menge Handlungsstränge komplett unter den Tisch fallen oder keine Auflösung stattfindet. Egal. Ich hab eh irgendwann nicht mehr durchgeblickt, welche Programme jetzt gegen wen und wieso das Orakel und der Architekt und dieser komische Inder und der Trainman und überhaupt … statt mir weiter nutzlose Interpretationen (vulgo: heiße Luft) aus dem Schädel zu klopfen, habe ich wohlig an meiner Cola gezuzzelt und entspannt dem munteren Treiben der Special Effects zugeguckt.

Aber dann musste mal wieder ein bisschen geredet werden. Trinity darf darüber monologisieren, was sie Neo alles noch sagen wollte, Morpheus darf dem Senat erklären, dass er keine Ahnung hat, ob Neo sein Ziel erreicht, aber hey, er versucht es wenigstens, und ein Kommandant der Bodentruppe darf eine schmissige Rede halten, die auch aus Independence Day hätte stammen können: “If these machines will kill us, at least we give them hell before!” Yeah, man! Und schon fühlt sich der 16jährige, der die Kanonen nachladen darf, nicht mehr ganz so nach Volkssturm an, sondern wie ein heiliger Krieger. Wobei ich grad nicht weiß, ob das besser ist.

Das Finale verströmt wieder ein bisschen Matrix-Geist: Der Showdown mit Agent Smith ist ziemlich nett geworden und nicht mit Bullet Time oder Zeitlupe zugekotzt worden, und das Ende, das nicht ohne Verluste unter unseren Helden ausgeht, versöhnt ein wenig, denn es ergibt ein halbwegs rundes Bild. Es passt zu den ausgelegten Fährten des einen Auserwählten; die ganzen religiösen Anklänge erhalten eine stimmige Auflösung, und es versinkt nicht in Kitsch. Womit ich nicht gesagt habe, dass es überhaupt nicht kitschig ist.

Ganz perfekt ist es allerdings nicht, denn die Maßnahme, die der Film anbietet, löst nicht das Problem, das eigentlich die Hauptmotivation hinter der ganzen Trilogie ist: nämlich die Befreiung der Menschheit aus ihrem Dasein als pure Energiespender für die Maschinen.

Deswegen ist mir jetzt noch schleierhafter als nach Reloaded, wofür wir zum Teufel drei Filme gebraucht haben, wenn wir eigentlich nicht sehr viel weiter sind als nach dem ersten. Ich hatte ja schon in der Kritik zu Reloaded angemerkt, dass ich der offiziellen Sprachversion nicht traue, dass Matrix von vornherein als Trilogie angedacht gewesen ist. Wenn dem so wäre, hätte ich mir für den zweiten und dritten Teil genauso clevere Drehbücher gewünscht wie für den ersten, die nicht so klingen, als wären sie um die Special Effects rumgetextet worden. Und ich hätte mir eine Dramaturgie gewünscht, die nach dem ersten Teil nicht noch mehr Fragen aufwirft und die dann einfach nicht beantwortet und die mir außerdem im dritten Teil nicht noch mehr seltsame Charaktere zumutet, deren Bedeutung mir bis zum Schluss schleierhaft geblieben ist.

Nach Matrix Revolutions bleibt ein bisschen Wehmut zurück. Wehmut darüber, dass zwei mittelprächtige bis schlechte Popcornstreifen der Intelligenz und dem Geist eines Überraschungserfolgs einen schlechten Geschmack beimischen. Wenn es wenigstens nur blöde Sequels gewesen wären wie zum Beispiel bei Highlander, dem die fürchterlichen Fortsetzungen nichts anhaben konnten. Reloaded und Revolutions haben sich aber leider von vornherein auf die Fahnen geschrieben, das Original noch übertreffen zu wollen. Davon sind sie weit entfernt. Und damit haben sie den ersten Teil in meinen Augen ein kleines bisschen entwertet, denn nun fühlt er sich an wie ein normaler Film, der leider mit einer miesen Auflösung geschlagen ist und nicht mehr wie ein schlaues Meisterwerk mit offenem Ende.

Master and Commander

Master and Commander: The Far Side of the World
(Master and Commander: Bis ans Ende der Welt, USA 2003)

Darsteller: Russell Crowe, Paul Bettany, Billy Boyd, James D’Arcy, Edward Woodall, Chris Larkin, Max Pirkis, Lee Ingleby
Musik: Klaus Badelt, Iva Davies, Christopher Gordon, Richard Tognetti
Kamera: Russell Boyd
Drehbuch: Peter Weir & John Collee, nach den Romanen von Patrick O’Brian
Regie: Peter Weir

Was macht eigentlich ein Epos aus? Für mich ist ein Epos ein Film, der meist einen historischen Hintergrund hat und der eine relativ klar strukturierte Geschichte erzählt, in deren Verlauf viele kleine menschliche Begebenheiten aus eben dieser klaren Geschichte ein ganzes Panorama zeichnen.

Master and Commander ist ein Epos. Und was für eins.

Der historische Hintergrund des Films sind die napoleonischen Kriege. Es geht um das englische Kriegsschiff HMS Surprise, das den Auftrag hat, das französische Schiff Archeron zu stoppen. Vor der Küste Brasiliens liefern die beiden Schiffe sich ein Gefecht, das die Surprise verliert. Aber anstatt nun geschlagen nach England zurückzukehren, lässt Kapitän Jack Aubrey (Russell Crowe) sein Schiff auf See reparieren und nimmt die Verfolgung der Archeron auf.

Master and Commander erzählt von dieser Verfolgungsjagd, aber eigentlich rückt diese Geschichte in den Hintergrund; viel eher erzählt der Film vom Leben an Bord. Wir begegnen mehreren einzelnen Charakteren, von denen jeder eine Art Blaupause für viele ist. Der Offizier, dem seine Männer keinen Respekt entgegenbringen. Der kleine Junge, der durch seine adlige Abstammung einen höheren Rang einnimmt als Männer, die doppelt so alt sind wie er. Der Koch, der weiß, dass er eine kleine Sonderstellung an Bord hat. Die Mannschaft, von denen jeder einzelne weiß, dass er sein Bestes geben muss, damit niemand zu Schaden kommt. Und natürlich der Kapitän, der stets ein Vorbild sein muss, der aber auch für Disziplin sorgen und daher manchmal sehr unpopuläre Entscheidungen treffen muss.

Allein die Tatsache, dass die Surprise nicht nach Hause zurückkehrt, ist eine solche Entscheidung; ebenso die Tatsache, dass man sehenden Auges einem Feind entgegentritt, der stärker und besser ausgerüstet ist als man selbst. An Bord gibt es nur einen, der es wagt, dem Kapitän ab und zu zu widersprechen: Stephen Maturin, der Schiffsarzt (Paul Bettany), der ebenfalls ein Sonderling an Bord ist. Als Nicht-Seemann ist er allerlei Späßen ausgesetzt, die er aber gutmütig und anscheinend fasziniert von der menschlichen Natur hinnimmt.

Aus der Dynamik dieser beiden Männer ergibt sich die Spannung, die den ganzen Film durchzieht und aus ihm mehr macht als ein reines Seefahrer-Abenteuer. Während der Kapitän Schlagworte wie Vaterland, Stolz und Disziplin im Munde führt, ist der Arzt eher ein Forscher, ein Denker, jemand, dem sein Vaterland ziemlich egal ist, wenn er knietief im Blut stehend seine Mannschaft verarztet. Sein Verständnis von Fortschritt und Humanität ist ein anderes als das des Kapitäns, und obwohl die beiden Männer alte Freunde sind, ist klar, wer an Bord das Sagen hat und wer stets zurückstecken muss.

Was sich anhört wie eine simple Charakterstudie, ist mehr. Beide Männer überraschen den Zuschauer mit Regungen, die wir nicht erwartet haben. Ab und zu entdeckt man unter der strengen Schale des Kapitäns eine sehr weiche Seite, sei es beim Geigenspiel oder als er einem verletzten Jungen ein Buch ans Krankenlager bringt und ihm erzählt, dass es einige sehr hübsche Illustrationen zu bieten habe. Genauso kommt beim Arzt, der sich deutlich gegen die Mission des Kapitäns ausspricht, auf einmal ein Pflichtgefühl durch, das ihn dazu bringt, seine eigenen Wünsche für das Wohl der Gemeinschaft zurückzustellen.

Master and Commander lebt von seiner unaufdringlichen, aber eindrucksvollen Inszenierung. Man wird nicht mit üppigen Geigen zugeschmettert, und die Kameraarbeit ist fast altmodisch gradlinig. Man könnte erwarten, dass einem nach 20 Minuten der Anblick von Holzplanken, Großsegeln und Wasser, Wasser, Wasser langweilig wird. Dem ist aber nicht so. Die ruhige Kamera sorgt sowohl für atemberaubende Weiten als auch für sehr intime Blicke in die Gesichter und Herzen der Charaktere. Außerdem ist es Kameramann Russell Boyd gelungen, durch viele verschiedene Perspektiven ein sehr ausführliches Bild vom Schiff zu zeichnen. Man bekommt ein sehr gutes Gefühl für die Surprise und verliert sich so nie an Bord, wobei der Detailreichtum des Sets und die vielen kleinen Gesten und Handlungen der Mannschaft den Eindruck noch vervollständigen.

Aber bei aller Liebe zur Story und zur Ausstattung – was Master and Commander so außergewöhnlich macht, sind seine Darsteller. Russell Crowe ist für mich einer der wenigen Schauspieler, der durch seine reine Präsenz beeindruckt. Ich habe bei ihm nie das Gefühl, dass er spielt; im Gegenteil, ich nehme ihm jede seiner Rollen ab, weil er mindestens einmal in jedem seiner Filme diesen zwingenden Gesichtsausdruck draufhat, der mir sagt: Das hier ist kein Spaß. Crowe spielt den Kapitän nicht nur, er ist es. Jeder Blick von ihm kommandiert ein ganzes Schiff – und die Zuschauer. Man glaubt ihm einfach, was er tut und sagt, ohne dass er uns erklären muss, warum.

Paul Bettany als sein Gegenpart Stephen beeindruckt durch eine leicht spöttische Zurückhaltung, die seinen Sinneswandel in Richtung Pflichtgefühl umso dramatischer macht. Beide zusammen ergeben ein perfektes Gespann, dem wir atemlos und gleichzeitig voller Vertrauen um die halbe Welt folgen.

Master and Commander ist ein altmodischer Film. Er lässt sich Zeit, um seine Geschichte zu entwickeln, er führt uns erst in alle Gepflogenheiten an Bord ein, bevor er langsam an Dramatik zunimmt, und immer, wenn man glaubt, jetzt kommt ein bisschen Tempo in den Film, geschieht genau das Gegenteil. Die Story läuft zwar zwingend auf die erneute Auseinandersetzung mit der Archeron hinaus, aber auf dem Weg dahin haben wir genug Gelegenheit, uns an Bord umzusehen. Der Film besteht eher aus vielen einzelnen Momenten als aus einer langen Geschichte. Aber genau das macht ihn zum Schluss beim großen Gefecht so mitreißend – alle an Bord sind uns inzwischen ans Herz gewachsen, und ganz plötzlich entfaltet sich die Hingabe der Mannschaft an ihren Kapitän und seine Mission in ihrer ganzen epischen Breite. Und auf einmal wird man fast selbst zum Teil der Mannschaft, fiebert mit, leidet mit, erlebt mit, während man vorher nur ein Zuschauer, ein Gast an Bord war. Und deswegen fällt es einem zum Schluss sehr schwer, sich von dieser Mannschaft zu verabschieden, mit der man so viel mitgemacht hat. Ein ganzes Epos, um genau zu sein.

Finding Nemo

Finding Nemo
(Findet Nemo, USA 2003)

Originalstimmen: Albert Brooks, Ellen DeGeneres, Alexander Gould, Willem Dafoe, Allison Janney, Geoffrey Rush
Musik: Thomas Newman
Kamera: Sharon Calahan, Jeremy Lasky
Drehbuch: Bob Peterson, Andrew Stanton
Regie: Andrew Stanton

Um’s kurz zu machen: Ich verneige mich mal wieder in Ehrfurcht vor Pixar. Soweit ich weiß, ist es das einzige Studio, bei dessen Filmen ich mich jedesmal – jedesmal! – mitten im Film dabei erwische, mit offenem Mund auf die Leinwand zu glotzen wie eine Sechsjährige und ständig versucht bin, den Charakteren zuzurufen: „Nein, nicht da lang, Kasper! Da wartet das Krokodil!“ Sie kriegen mich jedesmal. Und dabei sind da auf der Leinwand doch nur PIXEL!

Finding Nemo handelt vom Clownfisch Marlin, dessen Sohn Nemo von einem Sporttaucher gefangen wird. Dieser landet in einem Aquarium in einer Zahnarztpraxis und versucht zu fliehen, während Marlin den ganzen Ozean nach ihm absucht und dabei eine Menge neuer Bekanntschaften macht: mit dem Fisch Dory zum Beispiel, der unter einer Störung des Kurzzeitgedächtnisses leidet, aber dafür lesen kann (“I can read? I CAN READ!”); er trifft eine Selbsthilfegruppe für Haie (“Fish are friends – not food!”), bekiffte Schildkröten, die auf einer Strömung in Richtung Australien surfen (“Grab a shell, dude!”) und noch viele weitere Charaktere, die sich im Meer halt rumtreiben. Jeder einzelne von ihnen verströmt diesen wundervollen Pixar-Charme, der aus einem animierten Fisch eben einen Vater macht, der sich um seinen Sohn sorgt und aus einem Seestern einen Experten für Wurzelbehandlungen.

Der Film fühlt sich weniger zwingend an als die Vorgänger Monsters, Inc, A Bug’s Life oder Toy Story. Die Geschichte hat zwar eigentlich eine klare Richtung, aber irgendwie weicht man ständig vom Weg ab. Das mag an den geteilten Schauplätzen liegen, zwischen denen wir ständig hin- und herspringen – Marlin im Ozean, Nemo im Aquarium –, aber ich denke, es sind eher die ganzen Mitspieler, mit denen sich die beiden „Hauptdarsteller“ das Wasser teilen. Alle fünf Minuten lernen wir jemand anders kennen, und so vergisst man beim Zuschauen manchmal komplett, dass man sich auf einer zielgerichteten Suche befindet, soviel gibt es zu sehen und zu entdecken. Der Film fühlt sich fast an wie ein Roadmovie, wo der Weg das Ziel ist. Und da Pixar zu Disney gehört, gibt’s auch ein bisschen Botschaft zwischen den ganzen Witzen: Marlin und Nemo lernen auf ihrer Reise, dass man Kindern mal die lange Leine gönnen sollte, aber auch, dass Väter manchmal recht haben.

Aber selbst die wenigen moralischen Einsprengsel stören kaum, denn man eigentlich gar keine Zeit, großartig über sie nachzudenken. Der Film hat ein hohes Tempo, wundervoll ausgefeilte Dialoge und die üblichen kleinen Gags, die jede Szene veredeln und wegen derer man den Blick gar nicht von der Leinwand wenden möchte, um bloß nichts zu verpassen. Fast überflüssig zu erwähnen, dass die Optik wie immer bei den Pixelschubsern atemberaubend ist. Selten sah der Meeresboden so verlockend, so feindselig, so leer, so überfüllt, so glitzernd blau und so unheimlich tiefschwarz aus wie in Finding Nemo.

Pixar hat es also mal wieder geschafft: Ich habe aus vollem Halse gelacht, als ein Seepferdchen zugibt, gegen Wasser allergisch zu sein, habe heimlich zwei oder drei Tränen verdrückt, als Dory Marlin gesteht, dass sie sich bei ihm zuhause fühle, habe atemlos meine Fingernägel in die Armlehne gedrückt, als ein riesiger Wal auftaucht, habe fast lauthals mitgejubelt, als Marlin Nemo endlich wieder in die Flossen schließen kann und habe sogar den einzigen Ekeldialog (“I love you, Daddy”) gut gelaunt hingenommen.

Das einzige, was ich an Finding Nemo auszusetzen habe, ist das Fehlen der Outtakes im Abspann, an die ich mich doch bei den anderen Pixar-Filmchen so gewöhnt habe. Dafür singt Robbie Williams Beyond the sea als Rausschmeißer, und neben sämtlichen Charakteren darf auch Mike aus Monsters, Inc ganz zum Schluss mit Taucherbrille durch den Abspann schwimmen. 9,9 von 10 Punkten. Mehr davon.

El crimen del padre Amaro

El crimen del padre Amaro (Die Versuchung des Padre Amaro): stimmungsvoller mexikanischer Film mit Schnuffi Gael García Bernal. Vordergründig geht es um die Geschichte eines jungen Priesters, der der Versuchung der körperlichen Liebe erliegt. Daneben beschäftigt sich der Film aber auch mit dem Leben im heutigen Mexiko, mit der Stellung der Kirche und ihren Angestellten, Ambitionen versus Gefühlen und Moral versus Geschäft. Manchmal wirkt die Geschichte ein wenig zerfahren – man weiß nicht so genau, was eigentlich das Hauptthema des Films ist, aber eine gefühlvolle Darstellerriege tröstet über manche Ungereimtheiten oder allzu altmodische Klischees hinweg.

Ich hab mir den Film im spanischen Original mit Untertiteln gegeben und behaupte, ungefähr vier Sätze verstanden zu haben. Meine Güte, ist diese Sprache schön. Und meine Güte, sprechen die Mexikaner schnell!

Old School

Old School: typischer Männerfilm über drei Kerle, die ihrem langweiligen Erwachsenenleben dadurch entfliehen, dass sie eine studentische Verbindung gründen. Luke Wilson, Vince Vaughn und Will Farrell sind nette Jungs und daher für diesen Film viel zu schade. Er wimmelt von vorhersehbaren Gags auf Grundschulniveau, dummen Dialogen und einer Story, die ihren Namen nicht verdient. Dafür ist das Bonusmaterial auf der DVD ganz unterhaltsam. Trotzdem Daumen runter. Leider. Ich hatte mir ein bisschen mehr davon versprochen als die übliche Gummipuppen- und Bierdosen-Nummer. Ich weiß allerdings nicht mehr, warum.

Anger Management

Anger Management (Die Wutprobe): schlecht, schlecht, schlecht. Eine „Pointe“, die man aus zehn Kilometern Entfernung riecht, eine „Story“, die so belanglos und abstrus ist, dass man sich nie entscheiden kann, ob man gelangweilt oder genervt sein soll, und ein völlig verschenktes Ensemble aus eigentlich guten Darstellern, die sich hier durch die Bank nutzlos zum Affen machen. Der Trailer war witzig, aber für mehr als zweieinhalb Minuten reicht die Story um einen Mann (Adam Sandler), der zu einer Aggressionstherapie bei einem anscheinend ziemlich durchgeknallten Arzt (Jack Nicholson) verurteilt wird, dann auch nicht.

Nicholas Nickleby

Nicholas Nickleby: Es gibt Filme, bei denen einem einfach das Herz aufgeht, bei denen man sich nach wenigen Minuten wieder wie ein Kind fühlt, dem vorgelesen wird. Man folgt mit offenem Mund der Geschichte, obwohl man bereits ahnt, wie sie weitergeht, aber man möchte jedes Detail mitbekommen, jede Geste würdigen und die Hauptpersonen gar nicht wieder ziehen lassen. So ein Film ist Nicholas Nickleby.

Er ist vordergründig eine altmodische Familiengeschichte und doch so viel mehr: Es geht um Freundschaft, Liebe und den Sieg des Guten. Die Buchvorlage stammt von Charles Dickens, und dementsprechend wimmelt es im Film von bösen Oberschurken, die aber zum Schluss natürlich ihre Strafe bekommen, und ehrlichen, großherzigen Lichtgestalten, die zwar einiges durchstehen müssen, aber doch als die Sieger vom Platz gehen.

Dickens birgt ja stets die Gefahr, dass die relativ simple Botschaft seiner Werke durch ebenso simple Dialoge runtergedummt wird oder dass man den Schauspielern ihre Emotionen nicht abnimmt, weil diese schon ziemlich plakativ angelegt sind. Hier funktioniert aber alles: Die Geschichte wird mit einer wundervollen Leichtigkeit und einem großartigen Ensemble erzählt. Nathan Lane und Barry „Dame Edna“ Humphries machen jede ihrer Dialogzeilen zu einem Genuss, Jamie „Billy Elliot“ Bell bricht einem mit jedem Blick das Herz, und Charlie Hunnam in der Titelrolle ist so unschuldig und bemüht, stets das Richtige zu tun, dass man ihm nachsieht, ein bisschen wie ein weichgespülter Heath Ledger zu agieren. Christopher Plummer, Edward Fox, Juliet Stevenson und Jim Broadbent als die Bösen runden die Darstellerriege perfekt ab. Besondere Beachtung verdient Tom Courtenay als Butler von Plummer, der einen wundervollen Sidekick abgibt und das Böse stets ein wenig lächerlich aussehen lässt.

Der Film ist fürchterlich altmodisch, strotzt nur so von theatralischen Sets und nimmt sich viel Zeit für seine Story. Aber ich habe mich die ganze Zeit so wohl und warm und aufgehoben gefühlt, dass ich den Beginn des Abspanns verflucht habe wie schon lange nicht mehr.

Also: die Sofakissen aufschütteln, Kuscheldecke bereitlegen, Tee kochen und DVD ausleihen. Sofort.

(Ich guck ihn jetzt nochmal. Nee, watt isset schön.)

Intolerable Cruelty

Intolerable Cruelty (Ein (un-)möglicher Härtefall): Der Film wird ja gerne mit den Screwball-Komödien der 40er Jahre verglichen. Wenn Katherine Hepburn das hört, dreht sie sich im Grab um. George Clooney hat zwar offensichtlich Spaß daran, sich wie ein Idiot aufzuführen und einen ab und zu vergessen zu lassen, dass er ein ziemlich attraktiver Kerl ist, aber leider ist zwischen ihm und Catherine Zeta-Jones nicht mal der Hauch eines Funken geflogen. Zeta-Jones bleibt stets die geldgeile Zicke, und ich habe ihr nicht eine Minute geglaubt, dass sie wahre Gefühle hat. Das sollte man aber, sonst macht der Film überhaupt keinen Spaß.

Die Charaktere sollen wohl schablonenhaft sein, aber was die beiden hier abziehen, war mir doch ein bisschen zu simpel. Ich habe mich über eine Stunde gelangweilt, weil sich alles wie eine Exposition für eine kleine Pointe angefühlt hat. Die letzten 20 Minuten waren dann okay und hatten endlich ein bisschen Tempo – und vor allem eine wunderbare Szene mit einem Berufskiller, einer Knarre und einem Asthma-Inhalator –, aber das hat es leider auch nicht mehr rausgerissen.

Das Wunder von Bern

Das Wunder von Bern (2003)

Darsteller: Louis Klamroth, Peter Lohmeyer, Sascha Göpel, Lucas Gregorowicz, Katharina Wackernagel, Peter Franke
Musik: Marcel Barsotti
Kamera: Tom Fährmann
Drehbuch: Rochus Hahn, Sönke Wortmann
Regie: Sönke Wortmann

Wie macht man eine Geschichte spannend, deren Ende jeder kennt? Ganz einfach: indem man weitere Geschichten hinzufügt. So hat jedenfalls Sönke Wortmann es geschafft, aus der altbekannten Geschichte des „Wunder von Bern“ einen recht unterhaltsamen Film zu machen.

Die Story um die deutsche Nationalmannschaft, die im Endspiel der Fußball-WM 1954 die seit Jahren ungeschlagenen Ungarn besiegten, ist wirklich nichts Neues mehr. Selbst diejenigen, die damals noch nicht mal geboren waren, kennen die legendäre Radioreportage von Herbert Zimmermann: „Aus dem Hintergrund müsste Rahn schießen, Rahn schießt …“ und den Rest kann eigentlich jeder runterbeten. Der Kniff, die Geschichte trotzdem spannend zu machen, ist der übliche, den auch schon andere historische Filme genutzt haben: Man nimmt das Großereignis nur als eine Art Tapete und erfindet ein paar Charaktere, um die es eigentlich geht. So wird der Film keine Geschichtsstunde, und wenn man Glück hat, bekommt die Story, die jeder kennt, noch ein paar neue Facetten.

Im Wunder von Bern ist einer der erfundenen Charaktere der kleine Matthias, ein absoluter Fan von Helmut Rahn, ohne den dieser angeblich kein Spiel gewinnen kann. Das glauben jedenfalls sowohl Matthias als auch Rahn. Und so steht Matthias am Schluss des Films natürlich am Rande des Spielfelds in Bern, als Rahn den Siegtreffer gegen die Ungarn erzielt.

Wie er dahin gekommen ist, erzählt Das Wunder von Bern sehr klassisch, aber nie langatmig. Matthias’ Vater Richard, gespielt von Peter Lohmeyer, kehrt nach zwölf Jahren Kriegsgefangenschaft wieder nach Hause zurück. Dort findet er eine völlig veränderte Welt vor – einen Sohn, der Musik macht, eine Tochter, die sich mit amerikanischen Soldaten vergnügt, eine Ehefrau, die selbständig eine Kneipe aufgebaut hat und eben Matthias, den er noch nie gesehen hat und mit dem er auch nicht wirklich etwas anfangen kann.

Dass sich das ändert, ist keine große Überraschung. Es ändert sich für meinen Geschmack ein wenig zu holprig, aber mehr Zeit hätte man auf den Handlungsstrang auch nicht verwenden dürfen. Schließlich gibt es noch mehr zu sehen in Das Wunder von Bern. Zusätzlich zu Matthias, der in eher ärmlichen Verhältnissen im Ruhrgebiet aufwächst, lernen wir den Reporter Paul Ackermann und seine für damalige Verhältnisse schon ziemlich emanzipierte Ehefrau kennen. Aber vielleicht steht sie auch nur komplett unter Drogen; jedenfalls grinst sie die ganze Zeit bis zum Anschlag und ist überhaupt eine so seltsame Figur, dass ich nie wusste, ob ich sie jetzt ziemlich witzig oder total widerlich finden soll. Warum wir die beiden allerdings überhaupt kennenlernen, ist mir bis zum Schluss des Films ein Rätsel geblieben. Für mich haben sie nicht wirklich zur Story beigetragen, außer, dass sie zeigen, dass für ein paar Menschen in den 50ern das Wirtschaftswunder früher begonnen hat als für den Rest, denn sie wohnen im Gegensatz zur Familie von Matthias in einem absoluten Postkartenhäuschen in München.

Meiner Meinung nach hätte man die Reportergeschichte komplett rauslassen und stattdessen so viel mehr aus der Familiengeschichte herausholen können. Fünf spannende Figuren, die mich alle interessiert haben (warum tun sie, was sie tun und in welcher Konsequenz?), deren Storylines aber fast alle irgendwie versanden. Der Film konzentriert sich schließlich nur noch auf Vater und Sohn – eigentlich okay, aber leider wenig überraschend und voller Schablonenszenen.

Trotzdem macht Das Wunder von Bern Spaß. Denn obwohl die Historie „nur“ die angesprochene Tapete ist, bekommt man eine Menge Fußball zu sehen. Sönke Wortmann hat es sehr geschickt angestellt, dass wir zum Schluss ganz wild darauf sind, beim Endspiel dabei zu sein, obwohl wir ja wissen, wie es ausgeht – durch einen ganz simplen Trick: Wir sehen vor dem Endspiel die Mannschaft nie wirklich Fußball spielen. Wir hören Radioreportagen oder erleben Kinder, die das Halbfinale gegen Österreich nachspielen – aber Rahn und seine Kollegen sehen wir wirklich erst im letzten Spiel. Und dadurch ist man noch nicht übersättigt und fiebert wirklich mit.

Wortmann arbeitet netterweise recht wenig mit Zeitlupe und dramatischen Geigen im Hintergrund, so dass das Spiel stets ein Spiel bleibt und nicht zu einer Heldentat hochgejubelt wird. Die wenigen emotionalen Klischeebilder, die der Film bietet, tun nicht wirklich weh; ich glaube sogar, wenn sie nicht da gewesen wären, hätte ich sie nörgelnderweise vermisst. Denn schließlich ist Sport eine fürchterlich gefühlvolle Sache.

Das „Wunder von Bern“ ist – in der Rückschau gesehen – immer mehr gewesen als ein Fußballspiel. Es war der Anfang eines neuen Selbstbewusstseins, der Anfang eines unvergleichlichen Aufschwungs, der Anfang einer gewissen Normalisierung in der Geschichte der Bundesrepublik. Trotzdem ist Sönke Wortmann der Versuchung nie erlegen, aus diesem Fußballspiel, das mehr ist als ein Spiel, auch einen Film zu machen, der mehr sein will als ein Film. Er ist kein großes Statement zur Lage der Nation geworden, keine nachträgliche Heldenverklärung. Ganz im Gegenteil. Er ist einfach ein sehr ordentlich gemachter Film geworden. Ein paar Dialoge waren zwar von der Sorte „Muss ich nicht haben“, aber selbst die haben nicht wirklich gestört, denn sie wurden aufgewogen durch eine sehr liebevolle und detaillierte Ausstattung, eine Menge Lokalkolorit und die guten Darsteller, die alle sehr eigenständig wirkten und nicht wie schlechte Kopien aus 50er Jahre-Filmen.

Das wirklich Schöne an Das Wunder von Bern aber ist, dass sich der Film fast wie ein Spiel anfühlt – ein Spiel voller Hoffen und Bangen, mit eigensinnigen Protagonisten, einer guten Dramatik und einem Happy End. So wie ein gutes Spiel eben sein soll. Oder eine gute Geschichte.

Kill Bill: Vol. 1

Kill Bill: Vol. 1
(USA, 2003)

Darsteller: Uma Thurman, Lucy Liu, Vivica A. Fox, Daryl Hannah, Michael Madsen, David Carradine, Sonny Chiba, Julie Dreyfus
Musik: RZA
Kamera: Robert Richardson
Drehbuch: Quentin Tarantino
Regie: Quentin Tarantino

Was ich an Filmen von Quentin Tarantino schätze, ist sein Gespür für Dramatik und Musik. Er hat es bis jetzt in jedem seine Filme, auch in denen, die ich nicht so mochte, geschafft, mir Szenen zu zeigen, die ich so noch nie gesehen habe. Er schert sich einen Dreck um zeitliche Logik und schafft lieber eine eigene, spannende Dramatik. Und er nutzt Soundtracks, die aus einem interessanten Film einen ganz persönlichen machen. Das ist in Kill Bill nicht anders, und deswegen hat mir der Film auch gefallen. Aber es war eher ein Gefühl von Respekt als von Begeisterung, mit dem ich aus dem Kino kam.

Die Story von Kill Bill ist, wie in allen Tarantino-Filmen, eher Nebensache und kann auch in wenigen Sätzen zusammengefasst werden: Uma Thurman spielt eine namenlose Braut, die am Tag ihrer Hochzeit samt Ehemann und Pfarrer niedergeschossen wird. Sie überlebt den Anschlag, liegt vier Jahre im Koma, wacht auf und startet einen Rachefeldzug gegen ihre damaligen Angreifer. So weit, so egal, denn das Interessante an Tarantinos Werken ist eher die Erzählweise als der Inhalt.

In Kill Bill lässt Tarantino uns über weite Strecken an seiner Faszination für das Hongkong-Kino teilhaben: mit furiosen Schwertkämpfen, traditionellen Kostümen und klassischen Sets wie Teehäusern und japanischen Gärten. Das ganze mischt er mit Bildern des modernen Japan und seiner Nachtgestalten und legt den üblichen 60er-Jahre-Soundtrack darüber. Gleichzeitig feiert er den guten, alten Spaghetti-Western, indem er die Szenen, die in Amerika spielen, eher mit Italo-Klängen untermalt. In beiden Welten geht es aber nur um das eine: um Rache. Und die ist verdammt blutig.

Vor allem die Szenen in Japan, in denen Thurman mit einem Samurai-Schwert Dutzende von Angreifern auf jede nur erdenkliche Weise abschlachtet, sind ein einziges Fest für die Kunstblutfraktion. Es spritzt aus sämtlichen Körperöffnungen oder großzügig geschlagenen Fleischwunden, dass es eine Freude ist. Wenn man auf die völlig überzogene Darstellung von Hinrichtungen steht. Ich fand es schon beim ersten Hieb eher nervig, und beim dreihundertsten nur noch doof. Ich gestehe der großen und für mein Empfinden nicht enden wollenden Kampfszene eine ausgeklügelte Choreografie zu, aber das war’s dann auch.

Ich persönlich hatte viel mehr Spaß am spöttisch-beherrschten Lächeln von Lucy Liu, die bis zum Schluss glaubt, gewinnen zu können. Jedes Zucken ihres Mundwinkels war für mich eine Großaufnahme wert, während ich auf die Close-ups von abgehackten Füßen auch locker hätte verzichten können. Und zwar nicht, weil es eklig war – da war das abgeschnittene Ohr in Reservoir Dogs um einiges härter –, sondern weil es einfach überflüssig war. Das Comichafte gehört sicher zum typischen Hongkong-Filmchen, aber wenn das ganze nur ein Zitat bzw. eine Hommage sein soll, muss man das Gemetzel doch nicht auf ewig ausdehnen. Denn im Gegensatz zu diesen Szenen sind die anderen Teile des Films, in denen ähnlich viel Blut fließt, straffer inszeniert und kommen einem nicht so ausgewalzt vor.

Wirklich beeindruckt hat mich an Kill Bill die animierte Sequenz – wobei die sicher nicht nur eine Verbeugung vor den Animes ist. Als Realfilm hätte sie nämlich auch den hartgesottensten Kinogänger in die Flucht geschlagen. Ein kleines Mädchen muss den Yakuza-Mord an ihren Eltern aus ihrem Versteckt unter dem Bett mit ansehen. Die Mutter stirbt ausgerechnet auf diesem Bett, und so regnen Tropfen von Blut in Zeitlupe auf das Mädchen nieder. Als Anime Poesie, als Realfilm ein Grund, aus dem Kino zu gehen.

Komischerweise war diese Sequenz die einzige im ganzen Film, die mich berührt hat, weil ausgerechnet sie als einzige nicht wie ein Comic gewirkt hat, sondern echt und gefühlvoll. Sämtliche Charaktere sind, genau wie die Handlung, simpelste Schablonen, die einfach einen Zweck zu erfüllen haben: Die Braut ist die Gute, alle anderen sind die Bösen. So einfach ist das. Jede Geste, jede Kameraeinstellung zeigt uns die Unschuld und die moralische Verpflichtung der Braut, in ihren ganz persönlichen heiligen Krieg zu ziehen. Aber genau dadurch wirkt diese Figur nur noch plakativ und nicht mehr menschlich. Dem kleinen Comic-Mädchen, das weinend unter dem Bett liegt, entfährt ein gezeichnetes „Whimper“, als sie ihre Eltern sterben sieht. Diese eine geschriebene Wort hat mehr Eindruck bei mir hinterlassen als die großen, blauen, mit Tränen gefüllten, weit aufgerissenen Augen von Uma Thurman auf ihrem Rachefeldzug.

Trotzdem macht Thurman ihre Sache sehr gut: Sie schwankt in ihrer Mimik gekonnt zwischen Blutgier und Respekt vor ihren Gegnern, und man sieht ihr in jedem Gefecht den Schmerz über ihre verlorenen vier Jahre an – und den über ihr ungeborenes Kind, denn am Tag ihrer Hochzeit war sie schwanger. Nichtsdestotrotz ist sie im Kern genauso unbarmherzig wie ihre Feinde. Eine ihrer Gegnerinnen, die sie gleich zu Beginn des Films eliminiert, gesteht ihr, sie könne den Wunsch nach Rache zwar verstehen, aber sie sei heute ein anderer Mensch als damals. Das ist der Braut allerdings ziemlich egal. Sie erledigt sie, genauso, wie sie die anderen erledigen wird.

Und das ist der Punkt, der mich an Kill Bill gestört hat: Er wirft mit hehren Schlagworten wie Loyalität und Ehre nur so um sich, aber wenn er die Chance hat, über sich hinauszuwachsen und zu verzeihen, drückt er stattdessen lieber auf den Abzug oder zückt ein Schwert – einfach, weil es cooler aussieht. Kill Bill ist ein unmoralischer, ein seelenloser Film. Er reißt Themen wie Vergewaltigung und Pädophilie an, indem er sie als Vorlage für dämliche Witze benutzt, und er stellt Gewalt als etwas Ästhetisches oder wahnsinnig Komisches dar.

Ich bin mir einfach nicht sicher, was ich aus diesem Film mitnehmen soll. Er hat mich auf eine sehr seltsame Art unterhalten, denn normalerweise finde ich unnötige Gewaltdarstellungen nicht lustig, sondern verwerflich, vor allem, wenn sie so zelebriert werden wie bei Tarantino. Trotzdem kann man seinen Blick schwer abwenden, weil er es wieder einmal geschafft hat, mir Bilder vorzusetzen, die ich so noch nie gesehen habe. Und das ist schließlich der Grund, warum ich ins Kino gehe. Insofern ist mein Fazit: Soundtrack kaufen und bis Februar warten, um den zweiten Teil zu gucken. Aber wirklich freuen tue ich mich nicht darauf.