Tagebuch, Donnerstag, 8. September 2016

Die Arbeit nicht angefasst, aber natürlich im Hinterkopf weiter an ihr oder ihren Einzelteilen rumgepuzzelt. Ich warte noch auf Informationen von zwei Menschen und hoffe, dass sie rechtzeitig zum Abgabetermin nächsten Donnerstag eintreffen; das würde die Arbeit noch um sehr schöne Details erweitern, ich könnte sie aber auch jetzt schon abgeben.

Im Kopf befasse ich mich auch schon mit der Zeit nach 1945, denn die werde ich im nächsten Semester bearbeiten. Unser Seminar geht im WS weiter und endet im Sommersemester mit einer Übung, an der ich schon nicht mehr teilnehmen muss, denn nach dem WS habe ich – bis auf die Masterarbeit – alle ECTS-Punkte, die ich für meinen Abschluss brauche. Trotzdem werde ich vermutlich an ihr teilnehmen, denn dann geht es um die direkte Ausstellungsvorbereitung, also Pressetexte verfassen, Podiumsdiskussionen organisieren etc. Das klingt für mich auch sehr spannend, und wenn ich schon im Katalog stehe und von mir (mit professioneller Hilfe) ausgesuchte Bilder an den Wänden hängen und vermutlich von mir verfasste Texte danebenstehen, möchte ich auch dabei mitmachen, wenn über Fontgröße und Platzierung der Texte geredet wird. (Sag ich jetzt mal so leichtsinnig und habe ewig lange Werbemeetings im Hinterkopf.)

Tagebuch, Mittwoch, 7. September 2016

Die Erkenntnisse des Ordners vom Montag in die Arbeit einfließen lassen, die dadurch dementsprechend natürlich, wie immer, business as ususal, what else is new ZU LANG GEWORDEN IST. Also wieder reihenweise Darlings gekillt, zum Beispiel einen Preisvergleich zwischen Gemälden, die von Welden auf der GDK verkauft hat zu Ankäufen des Lenbachhauses München und der Städtischen Galerie Rosenheim. Das war ein sehr schöner Absatz, ich werde ihn vermissen und habe ihn angemessen betrauert. Weil er aber auch mit Fußnoten vollgeballert war, in denen Gemäldedetails wie Titel, Maße, Technik und Inventarnummern aufgeführt wurden, hat er richtig schön Zeichen gespart. Er ist für einen guten Zweck gestorben. *snif*

Abends mit dem ehemaligen Mitbewohner auf ein Bierchen und eine Pizza unterwegs gewesen und dabei diesen schönen Linktipp bekommen. War has never been funnier. (Ich gucke wegen ihm jetzt auch Casey Neistat, aber damit bin ich vermutlich die letzte auf diesem Planeten.)

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Auf dem Weg zu F. ein Foto in der Schellingstraße gemacht.

Tagebuch, Dienstag, 6. September 2016

Gestern kamen die Unterlagen für das Wintersemester an, Immatrikulationsbescheinigungen, Studiausweis etc.

Liebe Kinder, erinnert ihr euch noch an damals (TM), als Studieren nichts kostete? In diesem Damals lebte ich auch, man nannte es die 1990er Jahre. Ich studierte für ungefähr fünf Semester richtig, bestand auch brav die Zwischenprüfung in Geschichte und Anglistik auf Magister an der Universität Hannover, sah dann aber keinen Sinn mehr im Studium und jobbte stattdessen. Das war mit Studiausweis deutlich einfacher als ohne, die Krankenkasse war günstiger und man kam ermäßigt ins Kino. Deswegen blieb ich einfach weiter immatrikuliert und beendete meine Unilaufbahn, die ihren Namen wirklich nicht verdiente, offiziell erst, als ich 1999 nach Hamburg zog.

Was ich sagen wollte: Meine schönen, neuen, heißgeliebten und lohnenswerten BA- und MA-Semester werden gnadenlos zu den blöden Magister-Semestern ohne Abschluss dazugerechnet. Ich bin jetzt im 30. Semester und das ist mir jetzt doch ein bisschen unangenehm.

Was schön war, Montag, 5. September 2016 – Originale

Am gestrigen Montag fuhr ich ein weiteres Mal zur Tochter Leo von Weldens, denn ich hatte vergessen, eine Radierung anständig abzumessen und so richtig glücklich war ich mit dem Foto davon auch nicht. Außerdem waren mir während der Arbeit noch ein paar Sachen eingefallen, die ich fragen konnte, und ich bat die Dame am Telefon schon, mir bestimmte Dokumente rauszulegen, die sie mal erwähnt hatte.

Dieses Mal erwischte ich den Zug, kam pünktlich an und wurde wieder mit Wasser und Obst empfangen. Mein „Aber bitte machen Sie sich keine Umstände!“ wurde konsequent überhört. Die Dokumente lagen bereit, ich fotografierte, vermaß Bilder, guckte noch weitere Bilder durch, ich erzählte, was ich bisher so rausgefunden hatte, und dann meinte die Tochter, sie hätte da noch einen Ordner mit Unterlagen, vielleicht wäre der von Interesse?

Ich blätterte kurz rein und fing innerlich an zu schwitzen. Ich hatte vor Wochen an das Bundesarchiv in Berlin (ehemals Berlin Document Center) geschrieben und nachgefragt, ob man nachvollziehen könne, ob von Welden Mitglied in der Reichskammer der bildenden Künste gewesen war; in der Forschungsliteratur steht nämlich, dass man ihm die Mitgliedschaft verweigerte. Aus dem Aktenbestand ist herauszulesen, dass von Welden immerhin bekannt war (ich schrieb schon mal über die Karteikarte, die ihn als BeKA = besondere Kulturaufgaben einstufte), eine Mitgliedschaft war aber nicht zu belegen. Außerdem wird in der Literatur ständig ein Brief des Kunstvereins Freiburg zitiert, der ihn im März 1937 nicht ausstellen wollte, weil er sich nicht sicher war, ob von Welden „Untermenschen“ zeichnet; diese Ablehnung soll erstens begründen, dass von Welden keine regimekonforme Kunst produzierte (ein Katalog verstieg sich zur Einschätzung, dass seine Kunst als „entartet“ galt), zweitens belegt sie die inkonsequente NS-Kunstpolitik, bei der die rechte Hand manchmal nicht wusste, was die linke tat, denn von Welden durfte immerhin (laut Literatur) 1943 in Berlin und 1944 in Stuttgart ausstellen. Berlin konnte ich nachweisen, Stuttgart nicht. Ach ja, das Wirtschaftsarchiv Baden-Württemberg hat sich inzwischen gemeldet (dankeschön!): nichts von Leo zu finden aus dem Kunsthaus Schaller/Stuttgart; auch nicht, ob diese Austellung überhaupt stattgefunden hat. Der einzige Beleg in der Literatur ist, ich zitiere zähneknirschend, „Erwin Bareis in einem unbezeichneten Stuttgarter Zeitungsartikel vom Februar 1944“. Ich meine, dass Bareis zu diesem Zeitpunkt für den NS-Kurier geschrieben hat, der netterweise in der Bayerischen Staatsbibliothek liegt. Ich habe den kompletten Februar mehrfach durchgeblättert und dann noch Januar und März, aber ich habe den Artikel nicht gefunden. Das schaffe ich für diese Arbeit nicht mehr, aber aus purer Neugier werde ich wohl mal die Landesbibliothek Baden-Württemberg belästigen, ob sie eine Ahnung hat, wo Herr Bareis sonst noch veröffentlicht haben könnte.

Aber zurück zu Leo: dass ich ihm inzwischen einen Riesenschwung Ausstellungen, Buch- und Zeitschriftenillustrationen nachweisen kann – geschenkt. Aber was unter anderem in diesem unschuldigen Aktenordner zu finden war: ein Anmeldeschein über Bilder, die von Welden an den Kunstverein Freiburg schickte für eine Ausstellung, die im Juli 1937 stattfinden sollte, lausige vier Monate nach der Ablehnung. Kleines Detail am Rande: der Ablehnungsbrief ist mit „Mit besten Grüßen“ unterzeichnet, die mehrfache Korrespondenz zur Ausstellung mit „Heil Hitler“, jeweils vom gleichen Herrn. Da will ich nicht zuviel reinlesen, aber anscheinend war der Kunstverein jetzt auf Linie, nachdem er im März 1937 noch vom Wechsel in der Kreisleitung geschrieben hatte, der das dementsprechende Zögern ausgelöst hatte, was denn jetzt (noch?) ginge an Ausstellungen.

Das beste Detail an diesem Anmeldeschein ist aber: Auf ihm hat von Welden eine Mitgliedsnummer der Reichskammer aufgeführt. Und nicht nur auf diesem: Mir liegen noch zwei weitere Einreichformulare für Hamburg und die GDK 1941 (!) vor, auf denen die gleiche Nummer auftaucht. Die Dokumente scannte ich gestern ein und schickte sie an meinen Kumpel im Berliner Archiv, der mich gebeten hatte, mich nochmal zu melden, falls ich noch was finde. Ich denke, das habe ich.

Aber das war noch nicht alles.

Von Welden verlor 1943 bei einem Bombentreffer sein Atelier, weswegen die bisherige Forschungsliteratur sagen konnte, wir wissen nicht genau, was der Mann vorher gemalt hat. Seit gestern habe ich eine Aufstellung, die vermutlich für das Kriegsschädenamt ausgefüllt wurde, in der der Atelierinhalt beschrieben wird – mit Bildtitel, Technik und Abmessungen. Eine Seite der vier fehlt, aber viele seiner Werke vor 1943 kann ich jetzt benennen. Das ist für mich so spannend, weil es mich ja wahnsinnig macht, dass der Mann extra für die GDK Nazischeiß produziert hat, während er sonst nur lustige Bauern und Kokotten malte. Auch eine persönliche Auseinandersetzung mit seiner Umwelt habe ich bisher nicht gekannt. Jetzt habe ich Bilder, auf denen seine Frau und seine Tochter zu sehen sind sowie weitere Landschafts- und Menschendarstellungen. Kein Nazischeiß, wo-hoo!

Ich habe Verlagskorrespondenz für weitere Buchillustrationen, die ich noch nicht kannte, ich habe noch weitere Ausstellungsbeteiligungen gefunden, ich habe seinen Fremdenpass, der bis September 1945 galt und damit belegt, dass er sich nicht so recht um die deutsche Staatsbürgerschaft bemüht hatte, die eigentlich eine Grundvoraussetzung für die Reichskammermitgliedschaft war. Deswegen weiß ich immer noch nicht, was ich von dieser Nummer halten soll – gehörte die jemand anders? War er Mitglied und wurde im Zuge von verschärften Bedingungen wieder rausgeschmissen? Wieso sollte sich die Gauleitung München-Oberbayern Ende 1938 bei der NSDAP-Ortsgruppe Schwabing nach ihm erkundigen, um ihn in die Kammer aufnehmen zu können, wenn er schon drin war?

Weiterhin habe ich jetzt Belege zum Reichsarbeitsdienst, von dem er als Kriegsmaler Ende 1941 an die russische Front geschickt wurde; das konnte ich bisher nur durch Literatur belegen, aber nicht durch Originaldokumente. Und da ist noch mehr Zeug, aber das breche ich hier jetzt mal ab.

Ich war gestern sehr lange mit Scannen und Lesen und Tiefdurchatmen beschäftigt, denn einiges in meiner Arbeit muss nun mal wieder umgeschrieben werden, aber das mache ich mit Freuden. Mir ging es gestern wie bei meinen Archivbesuchen – dieses herrliche Gefühl, in Originalen zu blättern anstatt in Sekundärliteratur. Klar liebe ich meine ganzen dicken Bücher, aus denen ich so viel lernen durfte, aber wie toll das ist, mit Quellen zu arbeiten, habe ich erst in diesem Semester verstanden. Zunächst in der Geschichtshausarbeit, für die ich Lebenserinnerungen aus dem 19. Jahrhundert las, und dann in dieser Hausarbeit, für die ich in einem Nachlass wühlen darf und durch ein halbes Leben in Korrespondenz blättere. Das ist so viel direkter und nachvollziehbarer als wenn man es in einem Buch präsentiert bekommt. Ich habe die Chance, selber Schlüsse zu ziehen, mir selber ein Bild von Dingen zu machen – eigentlich genau das, was ich auch mit Kunstwerken tue. Ich bastele mir ein Bild eines Malers zusammen, das nicht ganz dem entspricht, was ich durch die Literatur von ihm bekommen habe bzw. es um entscheidende Facetten erweitert. Das ist ziemlich großartig.

Was schön war, Samstag/Sonntag, 3./4. September 2016

Am Samstag hatten F. und ich unseren ersten offiziellen Pärchentermin, denn wir hatten ein weiteres Pärchen zum gemeinsamen Beisammensein (vulgo: Essen, Trinken, Quatschen, vom Balkon gucken) eingeladen. Das ganze fand in F.s Wohnung statt, denn der Mann hat einen Balkon. Ich bin während des Abends mehrfach über Sätze gestolpert wie „Habt ihr noch dingsbums im Kühlschrank?“, denn diese Wohnung wird ja nicht von „wir“ bewohnt. „Wir“ hatten uns aber die Vorarbeit so halb geteilt: F. stellte die Küche bereit und schleppte eine Bierkiste hoch, ich bereitete Lauchkuchen vom Blech, Salat und Mousse au Chocolat vor und brachte das meiste in Einzelteilen vorbei, um es bei ihm zusammenzubauen. Das war schon irgendwie „wir“, aber nicht so, wie ich es aus Hamburg gewohnt war. Deswegen flashte ich innerlich die ganze Zeit back und stand ein bisschen neben mir in meiner neuen Rolle als alleinlebender Pärchenbestandteil. Ist lange her, dass ich das war.

Essen, Trinken, Quatschen und vom Balkon gucken ist sehr schön.

Am Sonntag wollte ich eigentlich Orgakram machen wie E-Mails schreiben. Ich nenne das ganze immer noch „Korrespondenz erledigen“, weil’s hübscher klingt. Nebenbei: Ich habe meinen Füller wiedergefunden, von dem ich dachte, ich hätte ihn eventuell in Hamburg vergessen, denn dort steht immer noch mein uralter Schreibtischbisley voller Briefpapier, das ich zur Konfirmation bekommen habe und einer Box, in der Stifte liegen, die auch schon vor 30 Jahren ausgetrocknet sein müssten. Falls Kai danach fragt, sage ich ihm, er soll das ganze Ding unbesehen in die Tonne kloppen.

Zurück zur geplanten Arbeit: Ich war so müde, dass ich fast den ganzen Tag verschlief. Aber auch dafür ist Jesus gestorben. Schön den Sabbat eingehalten, praise the Lord.

Was schön war, Freitag, 2. August 2016

Eine Übersetzung zu meiner momentanen Zufriedenheit erledigt. Mal sehen, wie sich der Text Sonntag liest.

Für eine nette Agentur in den nächsten Wochen optiert worden.

Das erste Mal einen Fahrradschlauch gewechselt (unter fachkundiger Anleitung). Ich war kurz davor, mir mit den Fäusten auf die Brust zu trommeln und „I! MADE! FIRE!“ zu brüllen.

Am Küchentisch bei Gin & Tonic gemeinsam den winzigen Madridurlaub festgezurrt. Werde jetzt vier Wochen lang „Guernica! Las Meninas! El Escorial!“ vor mich hinwimmern, bis es endlich losgeht.

Was schön war, Donnerstag, 1. September 2016 – Löschen

Morgens am Königsplatz aus der U-Bahn gestiegen (mein Fahrrad ist immer noch nicht repariert), wo ich meine geliebten Propyläen in der Pokémonwelt als gelb erblickte, wo sie doch verdammt noch mal blau sein sollen. Ich habe immer noch kein richtig starkes Pokémon, aber ich dachte, egal, dann werde ich wenigstens die ganzen Tränke mal los, die ich sonst nur wegschmeiße, um Platz für Pokébälle zu haben, und schickte deshalb nacheinander Tauboss, Hypno und Rattikarl in den Ring. Und was soll ich sagen? Den ersten Kampf konnte ich gewinnen! Ich habe noch nie einen Kampf gewonnen, wo-hoo! Den zweiten verlor ich allerdings, weil alle meine Viecher geschwächt in den Seilen hingen. Die Arena blieb rot, und ich schlich wie immer geknickt von dannen. (Aber: meinen ersten Kampf gewonnen, wo-hoo!)

Genauer gesagt, schlich ich ins ZI, wo ich irgendwas nachgucken wollte. Irgendwas will ich ja immer nachgucken und im ZI steht dazu auch so gut wie immer was. Ich saß also zwischen Büchern am Rechner, als die Mail meiner Korrekturfee aufploppte, der ich vorgestern meine Arbeit gemailt hatte. Es ist sehr schön, eine Korrekturfee zu haben, die sich nicht scheut zu sagen: Ich krieg deine Arbeit nicht mit ihrem Titel zusammen. Guck mal hier … und dann zehn Sachen aufzählt, an denen ich selbst auch schon rumgegrübelt habe.

Seit Tagen quengele ich F. voll, dass ich mit meiner Arbeit nicht glücklich bin, aber nicht weiß, warum. Immer wenn ich denke, jetzt hab ich’s, gucke ich einen Tag später drauf und denke, nee, das ist es doch noch nicht. Dann fussele ich an irgendwelche Sätzen, löse aber mein Gesamtproblem nicht.

Jetzt weiß ich, woran es lag. Ich habe – mal wieder, d’oh – zu viel gewusst, zu viel gewollt und von allem ein bisschen in meine vorgegebene Zeichenzahl gequetscht, anstatt irgendwann den Cut zu machen und zu sagen, das klappt nicht, beschränk dich auf einen Aspekt von den fünfen, die du hier zu verargumentieren suchst. Diese simple Lösung kriegte ich einfach nicht hin, weil ich an allem hing und alles wichtig fand. Die Korrekturfee schlug einen Teilbereich vor, der auch den größten Teil der Arbeit einnahm und meinte gnadenlos: Schmeiß den anderen Kram raus.

Das tat ich gestern frohgemut (I SAW THE LIGHT!), saß dazu fast den ganzen Tag im ZI, stapelte Bücher und Bücher um mich rum und fand tollerweise so ziemlich alles, was ich noch wissen wollte, um den Rumpf meiner Recherchen aufzupeppen. Ein bisschen bessere ich noch im Historicum nach, aber im Prinzip ist es das jetzt. Die Arbeit klingt besser, hat einen besseren Lesefluss und fühlt sich schlicht zackiger und mehr auf den Punkt an als vorher. Und dafür musste ich nur ungefähr ein Drittel rauswerfen, neu schreiben und ein paar Kapitel hin- und herschieben.

Montag besuche ich noch mal die Tochter des Künstlers, auch um ein Werk anständig zu fotografieren, das ich beim Erstbesuch nur aus dem Handgelenk mit dem iPhone geknipst hatte. Dessen Beschreibung ist jetzt zwar auch raus, aber als Bildbeleg kann ich es noch im Anhang aufführen. Und dann fotografiere ich noch ein Foto von Weldens, das noch nirgends in der Literatur zu sehen war.

Ich könnte dann jetzt wirklich fertig sein mit diesem Semester.

Was schön war, Dienstag, 30. August 2016

Einen spannenden Aufsatz in der Stabi gelesen. In alten Zeitungen geblättert. Mich über die Ruhe in Bibliotheken gefreut.

Weißwurst mit süßem Senf und Butterbrezn. (Nach 12, weil ich erst um 14 Uhr Hunger hatte. Deal with it, Bayern.)

Den Weg zur weiter weg gelegenen Packstation nicht wie üblich mit dem Rad oder per Bus und Tram zurückgelegt, sondern zu Fuß. Dabei drei neue Pokémon gefangen und viele schöne Häuser angeschaut. Häuser anzuschauen ist ähnlich beruhigend wie in Bibliotheken zu sitzen.

Die letzte Staffel How I Met Your Mother noch mal geschaut (nicht gestern, verteilt über die letzten Tage hinweg). Wenn man sie in einem Rutsch durchguckt, ist sie gar nicht so schlecht. Ich glaube, die wöchentliche Zerstückelung hat schlicht nicht funktioniert, aber wenn zwischen den Folgen weniger Zeit bleibt, kommt sie einem nicht so elendig lang vor und es stört nicht mehr, dass wir uns die ganze Zeit an einem Ort und in einem Zeitraum von 48 Stunden befinden. Das Ende ist allerdings immer noch genauso scheiße wie beim ersten Sehen.

Was weniger schön war: Ich merke, wie meine übliche Semesterendtraurigkeit sich wieder an mich ranschleicht. Das ganze Hausarbeiten-Adrenalin ist weg, die Deadline zur Abgabe halte ich locker ein, und schon wieder ist ein Semester zu Ende. Schon wieder rückt der Zeitpunkt näher, an dem ich aus meiner wissenschaftlichen Blase raus muss. I’d rather not.

Tagebuch, Montag, 29. August 2016

Regen! Es regnete! Wo-hoo!

Ich hatte keine Lust, mit der U-Bahn zu fahren und setzte mich aufs Rad, als es gerade trocken war. Nach drei Stunden im ZI war ich mit der Arbeit fertig und wollte nach Hause. Regen! Es regnete! Wer hätte es gedacht. Gnarf.

Da mir warmer Sommerregen aber ziemlich egal ist, vor allem, wenn ich gerade mal anderthalb Kilometer fahren muss, band ich mir ein Tuch um den Kopf, damit die Brille nicht ganz nass wurde und radelte los. Ich mag das Gefühl von nassen Armen, wenn es warm ist. Ich mag das Gefühl von nassen Hosen nicht ganz so, aber ich war ja schon fast zuhause – als ich merkte, dass mein Fahrrad schlingerte und ich nur sehr schwer geradeaus fahren konnte. Ein Blick nach unten zum Reifen … platt. Von einer Sekunde auf die andere. Ich schob das Rad die letzten 300 Meter und jammerte in mich rein. F. hatte mir beim letzten Platten schon gezeigt, wie ich den Schlauch wechseln könnte, aber damals hatte ich nur zugeguckt. Heute abend versuche ich das mal selbst (unter fachkundiger Anleitung).

Die Leo-von-Welden-Arbeit an die geschätzte Korrekturleserin gemailt. Bis gestern morgen haderte ich und überlegte, Bildbschreibungen rein, Bildbeschreibungen raus … was hätte ich noch für schönen Platz, wenn ich rauswerfe und einfach Bildbeispiele in den Anhang packe, ohne sie groß zu diskutieren … hm … das kam mir aber für eine kunsthistorische Arbeit irgendwie billig vor, daher blieben sie drin, ich kürzte gnadenlos an Einleitung und erstem Kapitel rum und konnte schließlich sogar meinen schon gekillten Darling mit Oskar Maria Graf wieder reinpacken. Mal sehen, was die Korrekturfee sagt.

Ich warte noch auf Feedback vom Wirtschaftsarchiv Baden-Württemberg zum Kunsthaus Schaller, in dem Leo 1944 eine seiner zwei Einzelausstellungen zur NS-Zeit hatte, aber ich weiß nicht, ob da überhaupt was kommt und wenn ja, wann. Abgabetermin für die Arbeit ist am 15. September, und wenn wirklich was zu finden sein sollte, kann ich das hoffentlich noch einfügen.

Ich fühle mich jetzt ganz wohl mit der Arbeit, weil sie Forschungslücken schließt – das konnte ich bisher nicht so oft von mir behaupten, aber hier schon, weil vor mir eben noch keiner an dieser betreffenden Stelle im Archiv gewühlt hat. Das fühlt sich gut an; trotzdem weiß ich, dass ich noch viel mehr zu sagen gehabt hätte, mich aber die olle Zeichenbegrenzung nicht lässt. Aber ich habe ja noch ein Semester lang Zeit, das alles nachzutragen, denn im Zuge der Ausstellungsvorbereitung findet im Wintersemester eine Fortsetzung dieses Seminars statt.


Fat Shaming is Not an Individual Problem, It’s a Cultural One

Lesley Kinzel schreibt über den Scheißsatz „Kurven haben, ja klar, aber dick sollte sie nicht sein“ der neuen Body-Acceptance-Quatscher und was er für uns Dicke bedeutet.

„[W]hen an indubitably average-sized woman is praised for writing about the terrible injustice of being called fat by a stranger, I have a very complicated suite of feelings to go with that. I agree wholeheartedly that it is bullshit that she should have to suffer such nonsense. I validate her ferocious refusal to apologize for her body. And I also feel angry, because I know the same perspective written by an obviously, visibly fat woman, a woman who is not sorry for being fat and who is not attempting to become smaller — in short, a woman who looks like me — would not get anywhere near as much praise and support.

Because I am the woman who should be sorry about my body. I am the woman who doesn’t get to rail against the injustice of being called fat, because that is what I am. I’m actually fat, the kind of fat that makes some people not want to look me in the eye; the kind of fat that makes some people assume I am dying of obesologizing disease, like, right now, dying; the kind of fat that makes me embarrassing, or weird, or gross. It’s my fault, for going too far — I crossed a line I didn’t even see and this is my punishment. Meanwhile, in that other oft-repeated situation, where a woman in a size 10 dress is castigating the establishment that finds her body unacceptable, many of those people who wouldn’t make eye contact with me? They’re cheering for her.“

Was schön war, Sonntag, 28. August 2016

Gemeinsam aufwachen.*
Eiskaffee.
Bei der Bundesliga einschlafen.
Rührei, selbst bei 30 Grad, Rührei, Kinnings!

* Ja, das steht hier neuerdings öfter, auch gerne in der Variante „Gemeinsam einschlafen“. Mir ist in den letzten zwölf Monaten aufgefallen, dass das schlicht das größte Glück ist, für das ich nichts tun kann. Meine anderen Glücksmomente kann ich mir erarbeiten, ich kann lernen und lesen und Ausstellungen angucken oder den Sonnenuntergang, ich kann Wein und Käse kaufen, kochen (RÜHREI!), radfahren oder einfach auf meinem Sofa sitzen, meine Bücherwand anschauen und mich darüber freuen, dass ich gesund bin und ein Dach über dem Kopf habe. Okay, Gesundheit kann ich mir auch nur mittelbar erarbeiten, die ist auch Glückssache. Aber dieses Ding namens Liebe, darauf habe ich keinen Einfluss, ganz egal wie sehr ich mich selbst optimiere und wie oft ich auf Tinder bin. Unter 3,5 Milliarden Männern einen zu finden, der einen toll findet und den man selber toll findet – das ist pures, blödes Glück. Ich glaube, ich habe das in meiner letzten Beziehung manchmal vergessen. Das soll mir nicht noch mal passieren.

Was schön war, Samstag, 27. August 2016 – Ergebnisoffenes Fußballspiel

Eigentlich wollten F. und ich gestern einen längeren Augsburg-Ausflug machen; der Herr kommt aus der Ecke, kennt die Stadt gut und hätte mir bestimmt viel zu erzählen gehabt. Ein Blick auf das Thermometer ließ mich aber alle Pläne streichen – bis auf einen Punkt, auf den ich mich sehr gefreut hatte: das Fußballspiel Augsburg gegen Wolfsburg.

Wolfsburg hatte kurz vor der Saison Herrn Gomez verpflichtet, dessen Name mein Bayerntrikot ziert und so hegte ich die winzige Hoffnung, dass ich ihn mal wieder spielen sehen könnte. Ich ignorierte den Begriff „Trainingsrückstand“ bis eine Stunde vor Spielbeginn, als der VfL die Mannschaftsaufstellung twitterte und Gomez nicht mal auf der Bank saß. Wusste ich eigentlich, klar, aber die irrige Hoffnung stirbt zuletzt. Bei einem Tweet. Mpf.

Machte aber nichts. Wir waren gutgelaunt am Hauptbahnhof in München in einen klimatisierten Zug eingestiegen, knappe 40 Minuten später waren wir in Augsburg, wo uns eine ebenfalls klimatisierte Tram in gefühlt zehn Minuten zum Stadion fuhr. Dort ging es ungefähr 500 Meter bis vor die Tore – allerdings durch die pralle Sonne. Ich hatte mich zwar brav zuhause eingecremt, aber die blöde Sonnencreme nicht eingesteckt. Nach dem Generve mit dem Rucksack in der Allianz-Arena guckte ich dieses Mal lieber auf die Website des FCA, wo aber nichts davon stand, dass man keine Taschen etc. in die Arena mitbringen dürfte. Ich kam auch entspannt durch die Kontrolle, F. lotse mich fürsorglich von einer Schattenecke zur nächsten und besorgte auch erstmal was zu essen. Die Stadionwurst wurde von mir mit „sehr schmackhaft“ bewertet. Zu unseren Füßen stehen Apfelschorle und Radler.

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Dann war ich natürlich erstmal mit Architekturgucken beschäftigt. F. erzählte, dass die Fassade noch verkleidet werden soll, was ich sehr bedauern würde; ich mag es, wenn man Gebäuden ihre Konstruktion ansieht. Gerade bei solchen Kolossen wie Stadien gucke ich Säulen und Streben sehr gerne an. Und Dächer! Ich liebe Dächer. Und so clever ich es finde, dass man in der gewaltigen Allianz-Arena nicht sieht, wie die weite Vorkragung in den Innenraum funktioniert, so sehr mag ich es in kleineren Stadien (in die WWK-Arena gehen 30.000 rein, in die Allianz-Arena 75.000), dass man es sieht.

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Das Spiel selber hat mir gefallen, weil es ergebnisoffen war. Das ist jetzt Jammern auf sehr fiesem Niveau, aber wenn man Bayernspiele in der Liga guckt, fragt man sich eigentlich nur noch, wie hoch der FCB gewinnt und nicht, ob überhaupt. Ich persönlich freue mich immer auf Leverkusen, Gladbach und Dortmund, weil ich den Mannschaften zutraue, gegen die Bayern anzustinken. Bei allen anderen muss die Tagesform schon verdammt gut und bei Bayern verdammt schlecht sein, wenn da was gehen soll. Das Jammern ist: Es ist langweilig, wenn die Mannschaft immer gewinnt. So, jetzt hab ich’s gesagt.

Ich erinnere mich bei derartigen Anwandlungen allerdings immer an Steffi Graf, die nach einem Sieg mit 6:1, 6:1 oder so über die Pfiffe des Publikums irritiert war, das gerne ein längeres Match gesehen hätte: „Was wollt ihr denn?“ Womit sie natürlich recht hatte. Es geht in erster Linie um den Sieg, genau wie im Fußball. Trotzdem ist es allmählich nervig, wenn man sich als Bayernfan eigentlich nur noch auf die K.O.-Phase der Champions League freut, weil da endlich richtige Gegner auflaufen. In der Liga stellen sich so gut wie alle hintenrein, hoffen, nicht allzuviele Tore zu kassieren und dass die 90 Minuten schnell rum sind.

Deswegen hat mir das Spiel gestern wirklich Spaß gemacht, weil beide Mannschaften die Möglichkeit hatten, zu gewinnen. Dass Wolfsburg mit 2:0 nach Hause gegangen ist, war dann natürlich trotzdem doof, weil gerade das erste Tor, so hübsch es auch anzusehen war, total aus dem Nichts kam. Beide Mannschaften hakelten sich gerne im Mittelfeld fest, was ich als Bayernfan ja kaum noch kenne. Überhaupt ist mir erst gestern klar geworden, dass die ganzen Kommentatoren recht haben, wenn sie sagen, dass Bayern in einer anderen Liga spielt. Wie brutal gut sie sind, merkt man erst, wenn man sich andere Mannschaften länger anguckt als in der fünfminütigen Zusammenfassung bei „Alle Spiele, alle Tore“. Ballannahme, Ballbehandlung, Spielübersicht, Passgenauigkeit, das gnadenlose Streben nach vorne, kaum Querpässe und natürlich der eiskalte Abschluss – das ist wirklich ein Klassenunterschied. Das weiß ich jetzt auch zu schätzen. (Trotzdem: Spannung, niggeldi, niggeldi.)

Was mir das Spiel in den letzten 20 Minuten etwas verleidet hat, war die olle Sonne, die nicht brav auf der Fankurve geblieben ist, sondern wanderte, das Mistding. Irgendwann saßen wir in der prallen Sonne und trotz Basecap, Sonnenbrille, langer Hose und Fächer, mit dem ich irgendwann wenigstens einen Unterarm bedeckte anstatt zu fächern, meinte ich meine Haut wimmern zu hören. Direkte Sonneneinstrahlung ist etwas, das ich sehr großflächig vermeide, ich wechsele ohne nachzudenken die Straßenseite, wenn da drüben Schatten ist, und wenn ich im Sommer nicht raus muss, dann mache ich das auch nicht. Ich empfinde Hitze als lästig, und die Sonne direkt abzukriegen, ist für mich wirklich körperlich unangenehm. Die Idee, mich an einen Strand zu legen und stundenlang vor mich hinzubraten, lässt mich nur fassungslos zusammenzucken. Wenn ich mit Leuten unterwegs bin und der unvermeidliche Satz fällt „Ach, lasst uns doch draußen sitzen, es ist so schön“, denke ich immer nur, aber da drinnen ist es dunkel und kühl und man muss nicht dauernd Insekten vom Essen verscheuchen, DAS ist schön. Auch ein Grund, warum ich selten mit Leuten unterwegs bin.

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Aber gut. Jetzt weiß ich, wo in Augsburg die Sonne hinwandert und kann mich mit langärmigen Dingen und einem größeren Hut vorbereiten. Der Rucksack bleibt nächstes Mal auch zuhause, denn die Sitze sind enger als in der Allianz-Arena, die ich auch als dicker Mensch als durchaus bequem empfinde. Ein nächstes Mal wird es bestimmt geben; das hat – bis auf die letzten 20 Minuten – wirklich Spaß gemacht. Natürlich auch wegen der Kleinigkeiten, die den FCA so charmant machen: dass der gegnerische Kapitän keinen blöden Wimpel kriegt, sondern eine Marionette aus der Puppenkiste, die sich von Saison zu Saison ändert – derzeit ist es die Prinzessin Li Si – und dass das Kasperle vor jedem Spiel den Ausgang tippt. (Meist falsch. Egal.)

Was schön war, Donnerstag/Freitag, 25./26. August 2016

Am Donnerstag saß ich wieder den ganzen Tag im ZI und krempelte meine Hausarbeit großflächig um. Vorher wollte ich von Welden schlicht in seine Zeit einordnen, merkte nun aber, dass ich viel zu viel schönes Zeug hatte, das nicht so recht zum Thema passt, aber deutlich spannender ist als mein erster Ansatz und vor allem gewisse Tendenzen in der Forschungsliteratur gnadenlos (und elegant) widerlegen kann. Jetzt arbeite ich mich ausschließlich am Begriff des Expressiven Realismus in Bezug auf von Welden ab, der so schwammig ist, dass er für mich nicht mal ein Begriff ist. (Ich verwies bereits auf die schöne Kritik von Herrn Schneede, den ich sehr gerne lese.)

Das ist der Absatz, an dem ich hauptsächlich andocke (aus der oben verlinkten Website):

„Weil die damals jungen Maler, von einer derartigen Einstellung beflügelt, ihr Werk schufen – wobei viele zunächst an damals moderne Stile anschlossen, beim Kubismus oder der Neuen Sachlichkeit – , galten sie in der Kunstgeschichte lange Zeit als „Einzelgänger“. Nun aber, aus der zeitlichen Distanz, tritt bei aller Individualität der Handschriften, die eine Subsummierung unter einem Ismus problematisch machte, die gemeinsame Haltung dieser realistischen Maler des vergangenen Jahrhunderts immer deutlicher hervor – nicht im stilistischen Detail, aber in der malerischen Grundhaltung gegenüber der Erscheinungswelt und in einer ähnlichen Auffassung vom Wesen der Bildkunst.

Diese Maler aber gerieten in die politischen Turbulenzen des 20. Jahrhunderts, sie mussten nicht nur unter der nationalsozialistischen Diktatur, sondern weiterhin nach 1950 im Abseits der öffentlichen Wahrnehmung ihr Werk schaffen: Im Westen aufgrund der Bevorzugung der ungegenständlichen Malerei, im Osten wegen des staatlich geforderten Sozialistischen Realismus.“

Einen Stil dadurch definieren zu wollen, dass er eine gewisse Haltung der Künstler*innen widerspiegelt, halte ich ja eh schon für gewagt. Bei von Welden kommt aber noch dazu, dass aus seinen Bildern keine Haltung klar wird, höchstens die, dass er gerne altmeisterlich gearbeitet hat und mehr Rembrandt ähnelt als Daumier, was immer gerne für ihn in der Literatur herangezogen wird. Sehe ich schlicht nicht.

Gerade in seinen Zeichnungen kommt für mich deutlich mehr barocke Lebensfreude zum Ausdruck als eine Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit; genau das sieht nämlich Rainer Zimmermann, der Erfinder dieses Begriffs, als ein Zeichen für den Expressiven Realismus. (Über das große E könnten wir auch noch mal reden.) Laut Zimmermann bewältigten die Maler*innen, die um die Jahrhundertwende geboren wurden und die zunächst einfach mal deshalb zu den Künstler*innen des ExprzRealzz gehören, die „schonungslos erfahrene Wirklichkeit gestaltend“ (Zimmermann 1994, S. 11). Macht von Welden nicht. Die einzige Wirklichkeit, an der er sich künstlerisch abarbeitet, ist die Zeit des Nationalsozialismus, was sich an seinen Werken in der Großen Deutschen Kunstausstellung zeigt.

Damit ist dann auch das zweite Kennzeichen des ER hinfällig: dass die Künstler*innen ihr Werk abseits der Staatskunst und unter Ausschluss der Öffentlichkeit produzieren mussten. Ich kann von Welden inzwischen Presse- und Buchillustrationen von 1934 bis 1941 und Ausstellungsbeteiligungen bzw. -einreichungen von 1937 bis 1944 nachweisen, und ich bin mir sicher, dass meine Liste nicht vollständig ist. Nach 1945 erlangte er im Umkreis von Rosenheim eine gewisse lokale Berühmtheit, was ihn als Teil des ER endgültig hinfällig macht (und er musste dafür nicht mal schlimm, SCHLIMM ungegenständlich malen). Für die Zeit nach 1945 habe ich allerdings keinen Platz mehr in der Arbeit.

Am Donnerstag abend hatte ich das Gefühl, was richtig Anständiges produziert zu haben. Das lasse ich jetzt ein Wochenende rumliegen und gucke Montag noch mal frisch drauf.

Den gestrigen Freitag verbrachte ich dementsprechend mit geistigem Urlaub, der sich darin zeigte, dass ich sowohl beim Lesen als auch beim Seriengucken ständig einschlief. Ich war anscheinend müder als ich dachte.

Erst gegen 16 Uhr war ich halbwegs unter den Menschen, und um 18 Uhr klingelte mein Handy: Der ehemalige Mitbewohner wollte nicht so recht in die Allianz-Arena, ob ich seine Karte haben wolle? Wollte ich! Frohgemut holte ich das Gomez-Trikot aus dem Schrank, entschied mich aber mit einem Blick auf die Außentemperaturen, die sich 30 Grad näherten, doch gegen das Polyesterding und zog ein schlichtes rotes Shirt an, packte meinen üblichen Stadionrucksack, bekam die Karte an die Haustür geliefert und ging schnurstracks zur U-Bahn.

Ich habe immer noch keine richtige Stadionroutine, weil ich nicht so oft gehe (Eintrittspreise), daher bin ich lieber viel zu früh da und gehe sehr gemütlich die ungefähr ein Kilometer lange Esplanade von der U-Bahn zur Arena hoch. So kam ich gestern auch sehr entspannt an, fing auf dem Weg noch einige neue Pokémon, was an den Lockmodulen gelegen haben könnte und nahm irritiert wahr, dass die Arena in der Pokémonwelt gelb war. GELB! Kurz darauf war sie blau, was auch nicht besser war. (1860 München spielt in blau.) Aber das war jetzt wurst, ich war an der Einlasskontrolle, nahm meinen Rucksack ab, um ihn vorzuzeigen – und in dem Moment fiel mir die neue Stadionordnung ein, die besagte, dass keine Taschen mehr mitgenommen werden dürfen, die größer als DIN A4 sind. Da war ich locker drüber. Ich versuchte trotzdem sinnloserweise, die Dame am Einlass zu bequatschen: „Hier, da ist bloß ne Basecap drin und ne Sonnenbrille … und Asthmaspray und Labello und mein Portemonnaie und mein Schlüsselbund und mein Buch und mein Fächer und ein kleines Handtuch, weil ich halt schwitze und das doof finde … aber sonst echt nix, nicht mal ne Flasche!“

Es nützte natürlich nichts, ich musste umdrehen und die ganze Esplanade wieder runterrennen, denn das Zelt, in dem man das Zeug abgeben konnte, stand natürlich am Anfang des Wegs. Eigentlich clever, für mich jetzt eher doof. Es war auch schon 20 Uhr, weil ich sehr entspannt nach oben gegangen war. Jetzt nicht mehr. Mit mir waren noch andere berucksackte Fans auf dem Weg nach unten, also vom Stadion weg, darunter auch zwei am Trikot erkennbare Werderfans, zu denen ein Bayernfan meinte: „Na komm, SO aussichtslos ist es auch nicht!“ (Das Spiel ging 6:0 aus.)

Im Tal gab ich den Rucksack ab, stopfte mir mein überdimensioniertes Portemonnaie in die Hosentasche und hüpfte wieder in Richtung Stadion. An der Einlasskontrolle standen die letzten Menschen, denn es war 20.28 Uhr. Direkt vor mir zeigte eine äußerst attraktive Dame gerade ihr Handtasche vor, die ungefähr doppelt so groß war wie mein Rucksack. Ihr ebenso attraktiver Begleiter meinte zur Abtastdame, dass seine Perle nur englisch könne, sie wär nicht von hier, sie wusste nix von den Vorschriften, ob das nicht mal ausnahmsweise … und sie wurde durchgewunken. Ich war zu genervt, um mich drüber aufzuregen, aber jetzt bin ich doch wieder pissig. Auch im Stadion sah ich mehrere Menschen mit größeren Taschen und überlegte, ob dicke Menschen mit Sneakers eher nach Terroristen aussehen als schlanke auf Stöckelschuhen, aber wurst. Es war 20.29 Uhr und ich saß auf meinem herrlichen Platz, fang an, neue Saison!

Nach dem Spiel gab’s zwei wohlverdiente Bierchen am Löschzug, ich sprach mit netten Menschen und fing nebenbei – endlich mal in Gesellschaft! – noch ein Pokémon. Stärker verschwitzt als geplant wieder nach Hause, sehr gut geschlafen.

Tagebuch, Mittwoch, 24. August 2016

Den ganzen Tag im Zentralinstitut für Kunstgeschichte gesessen und gelesen und geschrieben und nachgedacht und umformuliert. Hauptsächlich habe ich die Erkenntnisse aus meinem Wühlen im Bayerischen Hauptstaatsarchiv aufgeschrieben, aber um die zu kontextualisieren, musste ich am Rest der Arbeit auch noch rumschrauben. Und als ich abends fertig war, stellte ich fest, dass ich schon bei 48.000 Zeichen bin. 45.000 bis höchstens 50.000 ist die Marke, bei der ich laut Prüfungsordnung landen soll.

Jetzt könnte ich ein bisschen kürzen, noch drei Zeilen Zusammenfassung rauswürgen und abgeben, aber so einfach geht das natürlich auch nicht. Der Plan war: Aus allen drei Lebensabschnitten von Weldens (Jugend, Ausbildung, erste künstlerische Gehversuche: 1914–1933; NS-Zeit, die in der bisherigen Forschung fast komplett ausgeblendet wird: 1933–1945; Nachkriegszeit und Spätwerk, das halbwegs okay erschlossen ist: 1945–1967) jeweils ein Bild beschreiben, das stellvertretend für seine Arbeit steht und es in den Zeitkontext einordnen. Also ganz doof: Hat er so gemalt wie alle zu der Zeit oder nicht. Bildbeschreibungen fressen aber, wie ich ja schon weiß, irre viele Zeichen, weswegen ich gestern abend dazu übergegangen bin, die Arbeit in eine andere Richtung zu drängeln.

Ich hatte nicht damit gerechnet, so viel über den Mann zu finden – die ganzen Ausstellungsbeteiligungen, die alleine knapp zwei Seiten füllen; die GDK-Sache, die ich erklären muss – was genau habe ich gefunden und was sagt mir das? Ein Foto, das ihn eher in die linke Ecke stellt, was es für mich noch verwunderlicher macht, dass er so schöne NS-Propaganda für die GDK pinselte. Alles Kram, den ich inzwischen für wichtiger halte als eine stilkritische Auseinandersetzung. Aber damit ist das Grundkonzept meiner Arbeit halt hinfällig.

Ich lese mir das jetzt gleich noch mal in Ruhe durch und gehe dann wieder basteln.

Was schön war, Montag/Dienstag, 22./23. August 2016

Ich stecke derzeit tief in meiner Hausarbeit und habe seit einigen Tagen diesen herrlichen Tunnelblick, der einem zwar den Blick darauf verstellt, dass F. nebenbei einen Mini-Madridurlaub für uns gebucht hat (ich werde Guernica sehen und kann es kaum erwarten) und ich noch Sternerestaurants und Hotels abnicken muss und ich Samstag endlich mal Zeug in Augsburg angucke und ich mir allmählich überlegen sollte, was genau ich da eigentlich sehen will (bisheriger Plan: Goldener Saal im Rathaus, Fuggerei, irgendeine Kirche, danach Fußball), aber der Tunnelblick sorgt eben auch dafür, dass ich allmählich die Biografie von von Welden drauf habe und sie in Archiven runterbeten kann, damit mir freundliche Menschen Akten rauslegen, von denen sie glauben, dass sie mir nützlich sein könnten oder ich in der Bibliothek wild nach Sekundärliteratur suche in Ecken, in denen ich bisher noch nicht gewühlt habe.

Gestern war ich im Bayerischen Hauptstaatsarchiv, wo ich nach der Entnazifizierungsakte fragte, die übrigens im Archivjargon Spruchkammerakte heißt. Lag nicht vor, was mir von Welden schon wieder sympathisch machte (auch dass ich aus dem Schreiben an die Gauleitung München-Oberbayern weiß, dass er kein Parteimitglied war, macht ihn mir sympathisch). Stattdessen lagen aber Einlieferungsbücher vom Haus der (Deutschen) Kunst vor, auf die ich nicht mal warten musste, sondern die mir ein freundlicher Herr nach wenigen Minuten in den Lesesaal legte. Und das Tollste: Ich fand genau das, was ich erhofft hatte. Nicht in dem Umfang, den ich erhofft hatte – es sind nicht alle Einlieferungsbücher erhalten –, aber doch ausreichend für eine Tendenz, die ich verargumentieren kann. Was ich auch sehr nett fand: dass sich Archivangestellte mit einem freuen, wenn man was findet.

Was schön war, Sonntag, 21. August 2016

Jemanden zu haben, der morgens Croissants holt. Gemeinsam frühstücken.

Eine Ausstellung mit Grafiken von Picasso anschauen, in der auch Grafiken von anderen Künstlern (und, wenn ich richtig geguckt habe, immerhin einer Künstlerin) hingen und über genau das gleiche Bild lästern. I’m looking at you, Donald Judd. (Love you! Aber das Bild war einfach faul.)

Netten Menschen Kaffee und Tee in Omis Service kredenzen und bei Stachelbeerkuchen über Sitzrasenmäher sprechen.

(Achtung, Emo:) Sich in den schönsten Augen der Welt verlieren und sich wie ein fiepsiger Backfisch fühlen.

Fontane lesen. Zum Einschlafen ist das echt super.