Annie Proulx, Autorin der Kurzgeschichte Brokeback Mountain, schreibt in The Age sehr schön und emotional über ihre Erfahrungen mit der Story: unter welchen Anstrengungen sie sie verfasst hat – es wird spürbar, welche Arbeit es war, die richtigen Worte zu finden; sie macht den zähen Prozess des Schreibens sehr deutlich –, wie sie mitverfolgt hat, wie der Film entstand und wie ihr dieser schließlich gefallen hat. Normalerweise werfe ich euch Links zu Zeitungsartikeln ja relativ kommentarlos vor, aber der hier liegt mir wirklich am Herzen. Wahrscheinlich weil mich die Geschichte so böse zu Tränen gerührt hat und weil ich mich deshalb sehr auf den Film freue. More powerful than my words:

Before I finally saw the film, I had heard from (screenwriters) Larry and Diana that it was very good, that the language was intact, that the actors were superb. But I was not prepared for the emotional hammering I got when I saw it. The characters roared back into my mind, larger and stronger than they had ever been.

Here it was, the point that writers do not like to admit; film can be more powerful than the written word. I realised that if Ang Lee had been born in Barrow or Novosibirsk it would likely have been the same. He understands human feelings and is not afraid to walk into dangerous territory.

Seeing the film disturbed me. I felt that, just as the ancient Egyptians had removed a corpse’s brain through the nostril with a slender hook before mummification, the cast and crew of this film, from the director down, had gotten into my mind and pulled out images.

Especially did I feel this about Heath Ledger, who knew better than I how Ennis felt and thought, whose intimate depiction of that achingly needy ranch kid builds with frightening power. It is an eerie sensation to see events you have imagined in the privacy of your mind, and tried hopelessly to transmit to others through little black marks on a page, loom up before you in an overwhelming visual experience.

I realised that I, as a writer, was having the rarest film trip: my story was not mangled but enlarged into huge and gripping imagery that rattled minds and squeezed hearts.

Das Essay aus The Age ist in dem Buch Brokeback Mountain: Story to Screenplay erschienen. Die Kurzgeschichte ist als Buch erschienen, kann aber auch in der sehr schönen Sammlung Close Range: Wyoming Stories gelesen werden.

(Edit: DAMNIT, gestern war der Artikel noch online. Ich wühle gerade ein bisschen auf der Age-Seite rum, um ihn wiederzufinden. Gnarg.)

(2. Edit: In der Suche steht der Artikel noch, aber ich kann ihn nicht aufrufen. Auch wenn man sich einloggt, gibt’s nur die 404-Seite. So sorry.)

(3. Edit, Stunden später, auch im Google-Cache ist nix: Eigentlich ist dieser Eintrag jetzt ziemlich redundant. Nochmal gnarg.)

Oh, fast vergessen: Letzten Montag sind auch die Nominierungen für die Razzies rausgekommen. Diesmal mit einer wunderschönen neuen Kategorie: Most Tiresome Tabloid Targets. Die Nominierten sind (copy & paste):
– Tom Cruise & His Anti-Psychiatry Rant
– Tom Cruise, Katie Holmes, Oprah Winfrey’s Couch, The Eiffel Tower & “Tom’s Baby”
– Paris Hilton and”¦Who-EVER!
– Mr. & Mrs. Britney, Their Baby & Their Camcorder
– The Simpsons: Ashlee, Jessica & Nick

„Doc!“
„Marty!“

Ich hatte ja keine Ahnung: Brokeback to the Future.

(via supatyp)

a different kind of 4

Vier Jobs, die ich gerne gehabt hätte:
– Astronaut
– Kapitän der Queen Mary
– Supermodel
– Chefkoch

Vier Filme, die ich nie wieder sehen will:
– Road to Perdition
– Irréversible
– The Butterfly Effect
– Saw

Vier Orte, an denen ich mein Herz verloren habe:
– auf der Party bei Christiane
– auf der Party von Olaf, als ich viel zu viel Rotwein intus hatte
– auf dem Platz vor der Gedächtniskirche in Berlin
– vor dem Rechner, als deine E-Mail kam

Vier TV-Shows, die ich gerne sehen würde:
– eine gute deutsche Sitcom, die ihren Namen verdient und nicht nur blöder Klamauk mit abgehangenen Herrenwitzen ist
– eine Reality-Show mit Leuten, deren IQ höher ist als die Zimmertemperatur
Wer wird Millionär mit Frau Gröner als Siegerin
Einsatz in vier Wänden Spezial in meinem großzügigen, ruhigen Stadthaus mitten in Hamburg

Vier Orte, an denen ich nie Urlaub machen würde:
– Ballermann
– Kolumbien
– Arktis
– Bitterfeld

Vier Gerichte, bei denen mir das kalte Kotzen hochkommt:
– Hummer
– warmer Holunderbeersaft
– Spanferkel mit Kopf
– Affenhirn auf Eis

Vier Webseiten, die ich viel zu oft anklicke:
– amazon.de
– amazon.co.uk
– amazon.com
– ankegroener.de

Vier Orte, an die ich nie wieder will:
– Wedemark, Turnhalle, Austragungsort aller Schulsportstunden meines Lebens
– Bremen, die Wohnung neben dem Typ, der später als Mörder verurteilt wurde („Was da alles hätte passieren können!“ „Ja, Mama.“)
– Heidepark Soltau, Achterbahn
– Kairo, das öffentliche „Klo“ neben der Zitadelle

Walk the Line

Walk the Line (USA 2005, 136 min)

Darsteller: Joaquin Phoenix, Reese Witherspoon, Ginnifer Goodwin, Robert Patrick, Dallas Roberts, Dan John Miller, Shelby Lynne
Musik: T-Bone Burnett
Kamera: Phedon Papamichael
Drehbuch: Gill Dennis & James Mangold, nach „The Man in Black“ von Johnny Cash und „Cash: An Autobiography“ von Johnny Cash und Patrick Carr
Regie: James Mangold

Trailer

Offizielle Webseite

Als ich im Kino saß und der Film nach wenigen Minuten eine Rückblende startete, in der Klein-Johnny Cash mit seinem Bruder glücklich durch den heißen Süßen der USA stapft und man schon ahnt, dass das wohl nicht so bleiben wird, musste ich unwillkürlich an Ray denken, den Film, in dem Jamie Foxx Ray Charles dargestellt hat. Auch dieser Film zeigte Szenen aus der Kindheit, um einige Motive im Leben des älteren Ray zu verdeutlichen. Walk the Line macht es genauso: Neben dem Tod des Bruders muss Johnny Cash auch noch mit einem Vater fertigwerden, der ihm deutlich zu verstehen gibt, dass lieber John hätte dran glauben sollen. Viel Last für ein Paar Schultern, viel Stoff für schönes Kino. Bei Ray hat das meiner Meinung nach überhaupt nicht funktioniert, weil der Film ein bloßes Abspulen von Szenen aus Ray Charles’ Leben war. Bei Walk the Line dagegen funktioniert es hervorragend. Und zwar aus einem einzigen Grund: Hauptdarsteller Joaquin Phoenix singt selbst.

Der Film hat mich erst nach ungefähr 30 Minuten erwischt, aber dann richtig. Vorher sehen wir den Tod des Bruders, den ungerechten Vater, die ärmlichen Verhältnisse, in denen Johnny aufwächst, die ersten Versuche auf einer Gitarre während seiner Militärzeit in Deutschland, Frau, Kind, Brotberuf, der ihn nicht glücklich macht – und dann die Chance: Mit zwei Freunden (“my band”) traut er sich in ein Aufnahmestudio, um einem Plattenboss vorzusingen. Einen Gospel, nichts Aufregendes. Und genau das sagt ihm der Plattenboss auch. Und bittet ihn dann, ihm doch etwas anderes vorzusingen: Cash solle sich vorstellen, nach einem Unfall im Rinnstein zu liegen. Er habe noch eine Minute Zeit, der Welt einen letzten Song zu singen, einen Song, der eben nicht so klingt wie alles, was man schon gehört habe, so wie der Gospel, den er gerade singe, der von falschen Hoffnungen erzähle. Sondern einen Song, der wahr sei. Denn diese wahren Songs würden Menschen heilen.

Und so räuspert sich Phoenix, nimmt die Gitarre nochmal in die Hand, nuschelt was von “I wrote this song when I was in the Air Force” und beginnt zu singen. Den Folsom Prison Blues, der davon erzählt, gefangen zu sein. Er singt zuerst leise und suchend, dann sicherer, bis auch seine Band mitspielt. Und ich habe im Kino gesessen und mich kaum getraut zu atmen, so intensiv war das Gefühl, was da plötzlich von der Leinwand kam. Auf einmal war es kein Standard-Hollywood-Biopic mehr über eine Legende, sondern auf einmal war es eine neue, wahre Geschichte über jemanden, der Träumen und Hoffnungen nachhing und diese in Worte und Lieder verpacken konnte. Und diesen eine Stimme geben konnte, die auch deswegen so unverwechselbar war, weil sie glaubhaft war.

Jeder, der schonmal selber versucht hat zu singen anstatt vor dem Spiegel zum Playpack in eine Haarbürste zu mimen, weiß, wie schwierig es ist, einen Song so hinzukriegen, dass Emotionen spürbar werden, ohne dass es albern wird. Jedes Liebeslied kann mit einer falschen Stimmfarbe fürchterlich kitschig werden, und so hätte auch Cashs Gefängnissong ziemlich aufgesetzt wirken können – wenn ihn Cash nicht so gesungen hätte, dass ihm jeder abnimmt, Knasterfahrungen zu haben. Oder eben die Erfahrung, sich gefangen zu fühlen. Ich glaube, dass es der Darstellung von Cash sehr, sehr gut getan hat, dass Phoenix selber gesungen hat anstatt sich hinter theatralischen Gesten zur Musik vom Band zu verstecken, wie Foxx das in Ray gemacht hat. Man sieht Phoenix zwar des Öfteren an, dass die seltsame Cash’sche Gitarrenhaltung nicht unbedingt die seine ist, aber dadurch, dass er jedes Lied selber singt, wirkt der ganze Film authentisch, ungekünstelt, unmittelbar und nicht wie eine beliebige Nummernrevue, wo die größten Hits mal eben runtergespielt werden, damit sich der Soundtrack gut verkauft.

Obwohl Phoenix ziemlich oft zum Mikro greift (genau wie seine Geliebte und spätere Frau June Carter, dargestellt von der wunderbaren und stimmlich ebenso begabten Reese Witherspoon), verdrängt die Musik nicht die Geschichte, die der Film erzählen will. Denn natürlich muss sich Cash sowohl den Dämonen des toten Bruders und des vorwurfsvollen Vaters stellen als auch dem wahren Leben, in dem eine Ehefrau und seine Band und Tourkollegen ihre Rechte einfordern. Der Film erzählt nicht das ganze Leben von Cash und Carter, sondern konzentriert sich auf die Zeit der 50er und 60er Jahre. Er schafft es dabei, nicht nur viel über die beiden und über die sich zwischen ihnen entwickelnde Beziehung zu erzählen, sondern auch über die USA in der Zeit und deren Moral – ein weiteres Gefängnis, über das Cash und Carter singen können. Walk the Line lebt von seinen beiden großartigen Hauptdarstellern, die anscheinend überhaupt keine Angst vor der Kamera haben oder vor dem Publikum, so sehr tragen sie ihr Herz auf der Zunge, und so nah lassen sie uns an sich herankommen. Mit jedem Lied, das sie singen, geben sie so viel mehr von sich und ihren Figuren preis als in den Szenen zwischen den Liedern.

Wahrscheinlich war es auch das, was das Faszinosum Johnny Cash ausgemacht hat: die Authentizität. Das Ungeschönte. Das Wahre. Walk the Line hat genau diese Essenz einfangen können. Einfach dadurch, dass der Film nicht so klingt wie der echte Johnny Cash. Und dann doch genau so.

WTF (TM)

„Sehr geehrte Frau Anke Gröner,

aufgrund der großen Nachfrage nach Tickets für die FIFA Fussball-Weltmeisterschaft Deutschland 2006 (TM) mussten die geprüften und angenommenen Ticketanträge einer Auslosung unterzogen werden. Leider konnten Ihnen keine Tickets für die FIFA Fussball-Weltmeisterschaft Deutschland 2006 (TM) zugeteilt werden.

Selbstverständlich haben Sie die Möglichkeit, sich in einer der folgenden Verkaufsphasen erneut um Tickets zu bewerben.

Mit freundlichen Grüßen

Ihr 2006 FIFA World Cup (TM) Ticketing Center“

Liebe FIFA (TM),

ist eigentlich nur der falsch geschriebene Wortschwall „FIFA Fussball-Weltmeisterschaft Deutschland 2006 (TM)“ geschützt? Darf ich stattdessen also „FIFA Fußball-Weltmeisterschaft Deutschland 2006“ sagen, ohne dafür geteert und gefedert zu werden? Ja? Okay, dann:

Liebe FIFA (TM),

ich, Anke Gröner AG, finde es total doof, dass ich keine Karten für die FIFA Fußball-Weltmeisterschaft Deutschland 2006 bekommen habe. Keine einzige. Bei fünf angefragten Spielen, bei denen nur einmal Deutschland und keinmal England dabei war. Nun muss der Kerl DK winselnd vor der AOL (TM)-Arena stehen und um Karten betteln. Oder sogar seinen Alabasterleib auf eBay (TM) verkaufen, um genug Geld für – genau – eBay (TM) zu haben, wo bestimmt massenweise Tickets für die FIFA Fußball-Weltmeisterschaft Deutschland 2006 erhältlich sind. Das finde ich nicht schön NS. Und die letzte Abkürzung auch nicht AN. Bitte erspart dem Kerl DK und mir AG das Leibverkaufen und Mit-Pappschildchen-vor-Stadien-Rumjammern und gebt mir in der nächsten Auslosungsrunde wenigstens ein verdammtes Spiel EVS. Das wäre so nett SN.

VD,
AG

Me 2, me 2

4 Jobs:
– Lokalzeitungsjournalistin (Kaninchenzüchter und Schützenfeste. Loved it.)
– Konzertkartenvertickerin (hated it)
– alles im Kino: Karten abreißen, Popcorn verticken, sich als Eistante zum Affen machen, Kasse, Vorführerin, Buchhaltung, Theaterleitung
Kellnern und Zapfen bis morgens um 5

4 Filme zum Immerwiedergucken:
– When Harry Met Sally
– Arielle, die kleine Meerjungfrau (hab ich zehnmal auf deutsch gesehen, bevor ich das Originalvideo gesehen habe – keine Chance. Der Film ist bei mir deutsch)
– Back to the Future (der erste Teil)
– One, Two, Three
(Den Rekord von ungefähr 50mal gesehen hält bis heute Flatliners. Gucke ich in letzter Zeit aber nicht mehr so oft.)

4 Orte, an denen ich gelebt habe:
– Wedemark
– Hannover
– Bremen
– Hamburg

4 TV-Sendungen:
– Friends
– The West Wing
– ER
– Futurama

4 Bücher, die ich in letzter Zeit gelesen und gemocht habe:
Fleisch ist mein Gemüse, Heinz Strunk (wobei „gemocht“ das freundlichste ist, was ich über das Buch sagen kann. War nett, aber irgendwann dann auch mal gut)
Die Vermessung der Welt, Daniel Kehlmann
Es geht uns gut, Arno Geiger
Habseligkeiten, Richard Wagner (lese ich gerade und muss mich noch etwas mit ihm anfreunden)

4 Orte, an denen ich Ferien gemacht habe:
– Ägypten (Studienreise, einmal den Nil rauf und runter)
– Israel (Studienreise, auf den Spuren von Jesus)
– China (Studienreise, von Peking nach Hong Kong, kein einziges Mal Hund gegessen – aber dafür alles andere, was nicht schnell genug weglaufen konnte)
– Indiana, USA (auch irgendwie ne Studienreise: mein erstes Ben & Jerry’s, mein erster Pumpkin Pie, meine erste Letterman-Show, Oprah, Seinfeld und natürlich das erste Rumballern auf einer Shooting Range)

4 Mahlzeiten:
– Pizza mit Salami und Zwiebeln
– Himbeermarmelade
– frische Erdbeeren mit Jogurt
– fluffiges Weißbrot mit Nutella

4 tägliche Webseiten:
– salon.com
– spiegel.de
– nytimes.com
– ankegroener.de

4 Orte, an denen ich jetzt lieber wäre:
– Rom (war ich noch nie)
– Wien (war ich noch nie)
– London (immer wieder gerne)
– USA (gerne für immer)

(Beworfen worden vom bjklog)

Köchsnifwäh. Kamillentee statt Kino. Ratzrotz.

Der Countdown läuft

Die Oscar-Nominierungen sind gestern verkündet worden. George Clooney kann sich gleich in drei Kategorien Hoffnung machen: als bester Nebendarsteller für Syriana (den Golden Globe dafür hat er ja schon) und als Mit-Autor des besten Originaldrehbuchs und Regisseur für Good Night, and Good Luck. Sophie Scholl – Die letzten Tage ist wunderbarerweise für den besten ausländischen Film nominiert, aber der Preis wird wohl eher nach Frankreich oder Palästina gehen. In der Kategorie bester animierter Film treten die grundverschiedenen Corpse Bride und Wallace & Gromit gegeneinander an, und ich wüsste gerade nicht, wem ich den Preis mehr gönne.

Wenn ich mich nicht verzählt habe, führt Brokeback Mountain von Ang Lee die Liste mit acht Nominierungen an, darunter beste Regie, bester Film und bestes adaptiertes Drehbuch. Heath Ledger, Jake Gyllenhaal und Michelle Williams sind für ihre Darstellungen nominiert – und Dolly Parton für den Song aus dem Film. Auf ihr Kleid bin ich jetzt schon gespannt. Walk the Line, das Biopic über Johnny Cash, ist bei fünf Nominierungen nicht für den besten Film nominiert worden, aber Joaquin Phoenix und Reese Witherspoon dürfen auf einen Oscar für ihre Darstellung hoffen. Good Night, and Good Luck. Memoirs of a Geisha und Crash haben je sechs Nominierungen, Munich und Capote fünf, Pride and Prejudice, The Constant Gardener, King Kong vier, Cinderella Man und War of the Worlds drei.

Starttermine für die Filme, die bis zur Oscar-Verleihung am 5. März noch in Deutschland anlaufen:
Walk the Line 2. Februar
North Country (Kaltes Land) 9. Februar (Nominierung für Charlize Theron als beste Hauptdarstellerin)
Syriana 23. Februar
Capote 2. März

Vier Tage nach der Verleihung (super Timing, grrr) kommt Brokeback Mountain, am 16. März Transamerica (Nominierung für Felicity Huffman für die beste weibliche Hauptrolle) und Good Night, and Good Luck kommt dann doch schon am 6. April (genau wie Ice Age 2, nur so nebenbei).

(Starttermine wie immer beim allwissenden filmz.de nachgeguckt)

„Hinter der Tagespost finde ich wieder die (aufgeschriebenen) Träume meiner Mutter. Ich lese sie nur flüchtig, wie einen Brief von der Krankenversicherung. Ihre Träume sind ganz alltäglich. Sie können niemandem Angst einjagen. Ich denke nicht, daß sie froh oder auch nur erleichtert zu sein braucht, wenn sie aus einem ihrer Träume erwacht. Obwohl ich ohnehin nicht das Gefühl habe, daß sie wirklich von mir handeln. Ich glaube übrigens schon lange nicht mehr, daß ich anderer Leute Träume beeinflussen kann. Wir bevölkern gegenseitig unsere Alpträume, ohne zu wissen, was wir dort alles anstellen.

Meine Mutter glaubt, wir seien die Träume von Toten. Ich will nicht der Traum eines Toten sein. Darum höre ich ihr zu, als ob ich Briefe lese, die nicht für mich bestimmt sind.“

aus: Blauer Montag, Arnon Grünberg

„Ja, es stieg auch mir ein Engel nieder …“

Ich liebe Gottesdienste, aus denen ich beseelt komme. Normalerweise habe ich ein wenig zu mir selbst gefunden, ich bin ruhiger geworden, habe die Woche abgeschlossen, freue mich auf die nächste oder sehe ihr wenigstens gelassener entgegen – aber die Gottesdienste, die mich noch tagelang begleiten, sind die, in denen ich wirklich das Gefühl hatte, etwas für meine Seele mitgenommen zu haben und nicht „nur“ für meinen unruhigen Geist.

Gestern war ich wieder mal in einem solchen Gottesdienst. Der Pastor war eine Vertretung, und ich weiß leider seinen Namen und seine Heimatgemeinde nicht, sonst würde ich hier nichts lieber tun als sie zu verlinken. Ich hatte ihn schon öfter predigen gehört; er gehört zu den Pastoren, die gerne die Kanzel verlassen und sich mitten zwischen die Kirchenbänke stellen, um der Gemeinde näher zu sein. Gestern ging es auch passenderweise um uns, denn der Predigttext kam aus dem Paulusbrief an die Epheser (Kap. 1, Vers 15–20). Der Pastor sprach viel über die „erleuchteten Augen des Herzens“, die Flammen, die Gott in uns anzündet und durch die wir leuchten. Was mich besonders beeindruckt hat, war die Gewissheit, mit der der Pastor uns von Gott und seinem Wirken erzählt hat. Er begann den Gottesdienst mit einer sehr persönlichen Geschichte: Er erzählte uns, dass heute der vierte Sonntag nach Epiphanias sei, was für ihn ein sehr wichtiges Datum sei, denn an eben diesem Tage sei ihm einmal ein Engel erschienen.

Ich habe noch nie jemanden sagen hören, dass ihm ein Engel erschienen sei. Außerhalb der Kirche schon mal gar nicht, und wenn mir jemand so etwas erzählen würde, würde ich ihn wahrscheinlich recht ungläubig (im wahrsten Sinne des Wortes) anschauen. Ich weiß nicht, ob ich an Engel glaube; ich zweifele sowieso des Öfteren an allem, nur um zwei Minuten später wieder von allem überzeugt zu sein. Der Pastor hatte damit anscheinend keine Probleme. Nachdem er ganz schlicht gesagt hatte, dass ihm an diesem Sonntag ein Engel erschienen sei, stockte er kurz, hielt inne – und lächelte plötzlich, wahrscheinlich bewegt von seiner eigenen Erinnerung an diesen Moment. Man sah ihm an, wie wundervoll dieses Gefühl gewesen sein muss, und nur durch sein Lächeln und den kurzen Moment des Innehaltens war ich auf einmal sicher, dass er wirklich einen Engel gesehen haben musste. Er erzählte uns dann die ganze Geschichte: 1944 war er mit Mutter und kleinem Bruder auf der kuhrischen Nehrung und spazierte in den Dünen umher. Er und sein Bruder sahen auf einmal etwas Großes, Glitzerndes am Strand liegen und rannten zu dem unbekannten Ding hin, um es genauer zu betrachten, als auf einmal ein Mann neben ihnen stand und sie fragte: „Wollt ihr eine Himmelfahrt machen? Das ist eine Bombe!“ Die beiden Kinder erschraken und rannten zu ihrer Mutter, um ihr von dem Mann zu erzählen, der sie gewarnt hatte – worauf die Mutter nur fragte: „Was für ein Mann? Dort ist doch niemand.“

Ich habe noch den ganzen Tag über diese Geschichte nachgedacht. Unter anderem habe ich auch an Anne Lamott gedacht, die in ihrem Buch Traveling Mercies ebenfalls von Begebenheiten erzählt, die sie in ihrem Glauben bestärken (einige der Geschichten sind auf Salon zu lesen, wo sie Kolumnistin ist). Sie hat meines Wissens zwar noch nie eine so deutliche Begegnung gehabt, aber auch sie ist der Überzeugung, dass vieles, was ihr passiert, eine Botschaft von Gott ist.

Ich nehme an, dass viele von uns Dinge erleben, bei denen sie nachher sagen: Das war doch kein Zufall. Oder: Was für ein Glück, dass dieser Fremde da war, um mir zu helfen. Sie werden diese Begebenheiten vielleicht nicht als Botschaften von Gott ansehen, sondern als Glück, Schicksal, was auch immer. Ich für meinen Teil habe jahrelang mit der Frage gehadert, warum mir ein Mensch wie Karl geschenkt und dann so schnell wieder genommen wurde. Wir hatten etwas mehr als dreieinhalb Jahre Zeit füreinander (wenn auch auf zwei verschiedenen Seiten des Ozeans), und ich habe mich nach seinem Tod sehr oft gefragt, was der Sinn unserer Begegnung war. Wieso musste ich meinen Seelenverwandten wieder gehen lassen, wo ich doch mein Leben lang nach ihm gesucht hatte? Seit einiger Zeit habe ich das Gefühl, dass es gar nicht nötig war, unser Leben gemeinsam zu verbringen. Ich habe aus der Begegnung mit ihm sehr viel mitgenommen: Dadurch, dass wir uns so ähnlich waren, habe ich viel Positives über mich gelernt – aber auch viel Negatives. Es war manchmal sehr erschreckend für mich, ihm bei irgendetwas zuzusehen und zu merken: Ich bin genauso. Und es ist kein schöner Anblick. Ich habe vieles an mir geändert, was nicht gut war. Ich habe aber gleichzeitig vieles an mir zu schätzen gelernt, was ich sonst kaum beachtet hätte. Dafür bin ich dankbar. Sehr dankbar.

Vielleicht war Karl ein Engel. Vielleicht ist er von einem Engel geschickt worden, um in meinen dunklen Zeiten auf mich aufzupassen, denn er ist in dem Moment gegangen, als es mir besser ging, als ich eine weitreichende Entscheidung getroffen hatte, die mich zu mir selbst geführt hat. Vielleicht war er eine Botschaft von Gott, damit ich mich besser um mich kümmere. Vielleicht war er aber auch einfach nur ein Mensch, der mir zufällig über den Weg gelaufen ist. Ich weiß es nicht. Aber seit gestern, seit dem Gottesdienst, in dem mir jemand aus tiefstem Herzen versichert hat, dass er einem Engel begegnet sei, fühle ich mich auf eine seltsame Weise getröstet. Und bestärkt darin, Karl zwar zu vermissen, aber gleichzeitig sicher zu sein, dass es ihm gut geht, wo immer er auch ist.

Ich bin froh über jeden schönen Gottesdienst. Ich bin froh über alles, was ich neu über mich lerne oder was aus meinen eigenen Tiefen emporsteigt. Und ich bin beseelt von jedem Menschen, der mich so anspricht wie der Pastor gestern und der mich noch ein Stück weit begleitet, auch wenn ich schon längst wieder aus der Kirche gekommen bin.

(PS: Der Titel dieses Eintrags ist eine Zeile aus dem Lied Der Engel aus den Wesendonck-Liedern von Richard Wagner, das ihr hier anhören könnt.)

damsel on the run

Den Highlander-Soundtrack beim Sport hören. Sich überlegen, das nächste Mal das Schwert mit aufs Laufband zu nehmen.

Beautiful art made with knitting

Munich

Munich (München, USA 2005, 164 min)

Darsteller: Eric Bana, Daniel Craig, Ciarán Hinds, Mathieu Kassovitz, Hanns Zischler, Ayelet Zorer, Geoffrey Rush, Michael Lonsdale, Mathieu Amalric, Lynn Cohen
Musik: John Williams
Kamera: Janusz Kaminski
Drehbuch: Tony Kushner & Eric Roth, nach dem Buch
Vengeance: The True Story of an Israeli Counter-Terrorist Team von George Jonas
Regie: Steven Spielberg

Trailer

Offizielle Seite

Munich erzählt die Geschichte des Olympia-Attentats in München 1972 – oder besser: Er erzählt, was danach passiert ist. Oder angeblich danach passiert ist. Laut des Films und dem diesem zugrunde liegenden Buch beauftragen Golda Meir und der Mossad einige Israelis, die palästinensischen Köpfe hinter dem Attentat ausfindig und unschädlich zu machen. Der Film konzentriert sich auf fünf Männer; einer davon ist Avner (Eric Bana), dessen Frau gerade hochschwanger ist, als er sich auf den Weg nach Europa macht, um dort seinen Auftrag auzuführen.

Ich hätte nicht gedacht, dass Regisseur Steven Spielberg es schafft, eine so hochemotionale Geschichte von Rache, Gerechtigkeit, Wiedergutmachung (alle Begriffe mit Fragezeichen) dermaßen distanziert zu erzählen. Spielberg ist für mich immer ein Regisseur gewesen, der seine Storys überlebensgroß ausstattet, üppiges Kino schafft, immer wiederkehrende Motive satt ins Bild setzt. Selbst bei der äußerst sensiblen Geschichte von Schindler’s List hat er es geschafft, die typischen Hollywood-Momente zu produzieren; wenn Liam Neeson als Schindler sich kurz or Schluss grämt, dass er nicht genug Juden gerettet hat, dann ist das eklig und nicht ergreifend, einfach weil es zum Rest des Films, der sich ganz vorsichtig bewegt, in seiner brachialen Botschaft nicht passt. Munich wäre eine Steilvorlage gewesen, ebenso brachiale Botschaften an den Zuschauer zu bringen. Und ausgerechnet Spielberg hat dieser Versuchung widerstanden.

Der Film fühlt sich sehr altmodisch an; sicherlich auch, weil er liebevollst die 70-er Jahre wieder aufleben lässt, inklusive interessanter orangefarbener Kacheln in einem Küchenschaufenster. Aber vor allem fühlt er sich von der Erzählweise altmodisch an. Er nimmt sich viel mehr Zeit als man heute gewohnt ist, um den Zuschauer in die Geschichte zu holen. Zwar wird das Attentat selbst anfänglich nur sehr kurz abgehandelt, und auch Avners Vorgeschichte wird nur in zwei Sätzen erzählt, aber darum geht es in Munich ja auch nicht. Es geht um die Jagd nach den Attentätern, um die Suche nach ihnen, um die Pläne, wie man die Gefundenen töten kann. Und anstatt daraus jetzt eine atemlose Hetzjagd durch Europa zu machen, sehen wir den Israelis ganz gemächlich dabei zu, wie sie zusammen kochen und essen, Bomben basteln, Kontakte knüpfen, Schmiergelder zahlen und warten. Warten auf die richtige Gelegenheit, ihren Auftrag auszuführen. Die Erzählweise ist konzentriert, aber dabei fast beiläufig, lakonisch geradezu.

Nur in wenigen Szenen merkt man Munich an, dass er eine filmische Erzählung sein will und keine kühle Dokumentation. Als der erste Täter erschossen wird, kommt der gerade vom Einkaufen, seine Papiertüten fallen herunter, eine Milchflasche zerbricht, und die Milch vermischt sich telegen mit dem Blut des Opfers. Oder die Szene, in der ein Nachrichtensprecher die Namen der israelischen Sportler verliest, die gestorben sind; der Film springt zwischen den Fernsehbildern und einem Raum des Mossad hin und her, in dem gerade die Namen der Attentäter bekannt gegeben werden – die Namen vermischen sich, sie gehören auf einmal zusammen und werden nicht wieder voneinander loskommen. Oder eine Szene kurz vor Schluss, wo die beiden Welten des Films aufeinandertreffen: die letzten Bilder der Opfer und Täter in den Hubschraubern auf dem Flugfeld, die verunglückte Rettung, das sinnlose Sterben auf beiden Seiten. Hier mischen sich diese Szenen mit Bildern von Avner, der nach langer Zeit nach Hause gekommen ist und mit seiner Frau schläft. Er wird die Bilder, die seinen Auftrag begründeten, nicht mehr loswerden, ganz gleich, wie sehr er es auch versucht. Die Welt draußen ist in seine Welt drinnen eingedrungen, und dort wird sie bleiben.

Das Interessante an Munich ist, dass es sich genau wie für die Akteure auch für den Zuschauer immer mehr wie „nur“ ein Auftrag anfühlt. Zwar klingt ab und zu durch, dass man das alles für Israel tut, für sein Land, aber das waren für mich irgendwann nur noch Worthülsen. Nach dem zweiten oder dritten Mord spüren die fünf einen Verdächtigen im Libanon auf; also in einem arabischen Land, aus dem sie sich eigentlich fernhalten sollten. Sie überzeugen ihre Auftraggeber, sie trotzdem walten zu lassen. Und diese Überzeugungsarbeit klingt nicht wie eine Aufgabe um der Ehre des Heimatlandes Willen, sondern es klingt, als ob die Männer inzwischen wissen, wie sie ihren Job am effektivsten ausführen können. Es geht auf einmal nicht mehr um Gerechtigkeit, es geht inzwischen nur noch darum, mehr von „denen“ zu erledigen, bevor diese noch eine Chance haben, einige von „uns“ zu kriegen.

Genau das ist auch das Dilemma, dessen sich Avner im Laufe des Film bewusst wird. Je besser er in seinem „Job“ wird, desto mehr Angst hat er auf einmal um sich – und um seine Familie, die längst nicht mehr in Israel lebt, dem Land, wegen dem er doch den Kampf aufgenommen hat. Er beginnt, paranoid seinen Unterschlupf auf Bomben abzusuchen, er schläft nicht mehr in seinem Bett aus Angst vor Sprengsätzen, er vertraut Menschen nicht mehr, denen er vertraut hat und muss denen vertrauen, denen er eigentlich fremd bleiben wollte. Der Auftrag zehrt nach und nach an ihm, und allmählich wird ihm klar, dass mit jedem ermordeten Terroristen mehrere neue nachkommen, die er theoretisch auch umbringen müsste, um sich sicher zu fühlen. Munich schafft es, die kleine, geordnete Welt, die Avner beschützen wollte, zu einer einzigen großen Ungewissheit zu machen, in der er sich nun befindet, obwohl er doch genau das verhindern wollte.

Beide Seiten – Palästinenser und Israelis – dürfen in wenigen Dialogen „ihre“ Sicht darlegen, und natürlich klingen beide gleich: Beide beanspruchen denselben Platz auf dieser Erde, und beide gemeinsam können sie nicht darauf leben. Der Film bietet keine Lösung an – wie auch, die Realität schafft das ja auch nicht. Munich zeigt den Anfang des Terrors, mit dem wir heute leben, und er fühlt sich genauso überflüssig und genauso dumm an wie heute. In einer Szene geben die Israelis vor, für die RAF oder die ETA zu arbeiten, und es wird ihnen geglaubt. Es ist irgendwann egal, für wen die Waffen erhoben werden, das Ziel ist irgendwann egal, die Mission, die Menschen, die dafür sterben. Irgendwann fühlt sich alles wie ein nicht enden wollender Selbstzweck an, und die Protagonisten legen die Waffen nur deshalb nicht nieder, weil sie sie eben schon so lange in der Hand halten.

Munich ist streckenweise recht brutal, es fließt viel Blut in Großaufnahme, es tut weh, sich das sinnlose Töten anzuschauen, weil man weiß, dass es nichts bewirkt. Munich fühlt sich aber gleichzeitig an wie ein Versuch, das Böse aus der Welt zu schaffen – ein naiver Versuch, ein grausamer und ein sinnloser, aber ein Versuch. Der Film bezieht allerdings keine Stellung, er verurteilt das Attentat, er verurteilt aber ebenso die Reaktion darauf. Er negiert quasi sein Anliegen – und wird dadurch zu einer Art Auseinandersetzung ohne Auflösung. Die zu finden, bleibt dem Zuschauer überlassen. Und auch das hätte ich von Spielberg nicht erwartet: Er bildet diesmal nur ab, seine Handschrift ist kaum zu spüren, er gesteht dem Film zu, dass er streckenweise recht zäh wirkt, weil eben die Ereignisse minutiös erzählt werden müssen, er wagt sich an menschliche Abgründe, vor denen er sonst gerne zurückgeschreckt ist, er lässt das Böse zu Wort kommen, und er gesteht sich und uns ein, dass auch aus guten Absichten fürchterliche Konsequenzen folgen können. Diesmal sind wir nicht in Hollywood. Diesmal gibt es kein Happy-End. Und deswegen ist diesmal auch ein sehr erwachsener und sehr guter Film dabei herausgekommen.

„Soll ich dir was Liebes in den Schnee pinkeln?“

(file under „Finger weg, Mädels, ich hab ihn zuerst gesehen!“)