Links vom Samstag, 3. Dezember 2016

Zerstörung einer Leistung

Wolfgang Ullrich schreibt beim Perlentaucher über Künstler*innen, die Abdrucke ihrer Werke verbieten. Es gibt aber auch Gegenbeispiele, die Hoffnung machen:

„Zwar gilt für wissenschaftliche Publikationen ein Zitatrecht, so dass in gewissem Umfang Werke auch ohne eigene Genehmigung reproduziert werden können, doch ist es nicht umfassend genug, um in vielen der geschilderten Fälle entscheidend weiterzuhelfen. So erlaubt das Zitatrecht nur ziemlich kleine Abbildungen, weshalb sich bei der Wiedergabe etwa von Architekturplänen oder großformatigen Gemälden kaum noch etwas erkennen lässt. Und sollen von einem Künstler viele Werke auf einmal reproduziert werden, fällt das nicht mehr unter das Zitatrecht, so dass sich die Publikation monografischer Arbeiten tatsächlich verhindern lässt, wenn der betreffende Künstler oder seine Rechtsnachfolger keine Reproduktionsgenehmigung erteilen. Verlage sehen mittlerweile oft davon ab, sich in Zweifelsfällen auf das Zitatrecht zu berufen, da sie die Sorge haben, dass – zumal erfolgreiche – Künstler sie nicht nur verklagen, sondern auch bessere Möglichkeiten besitzen, ihren Standpunkt mithilfe guter und teurer Anwälte vor Gericht durchzusetzen. Ein verlorener Prozess kann aber für einen kleinen Wissenschaftsverlag existenzielle Folgen haben, weshalb lieber von vornherein gegen eine eventuell problematische Publikation entschieden wird.

So unterschiedlich darüber geurteilt werden mag, welche Fälle von Verhinderungspolitik man für nachvollziehbar, welche hingegen für skandalös hält, so kommen doch alle darin überein, dass die Rechteinhaber mithilfe des Urheberrechts Einfluss auf die Interpretation und Imagebildung von Kunst und Architektur nehmen. […] Waren die bisherigen Spielarten der Einflussnahme auf die Rezeption darauf ausgerichtet, Werke noch besser zu präsentieren, ihnen zusätzliche oder neue Bedeutungsnuancen zu verleihen oder sie nachträglich zu pointieren, so wird das Urheberrecht dazu benutzt, bestimmte Formen der Werkrezeption zu unterbinden, anderen also die Mitwirkung daran zu erschweren oder sogar ganz zu versagen. Wenn ein Architekt verbietet, dass ein Fotograf sich mit unabhängigem Blick einem Gebäude widmet, verhindert er mit den Fotos zugleich ein neues Werk. Und wenn ein Wissenschaftler eine Forschungsarbeit über einen Künstler nicht publizieren kann, weil die Argumentation ohne Anschauungsmaterial stumpf oder nicht nachvollziehbar wäre, ist die Berufung des Künstlers auf sein Urheberrecht gleichbedeutend mit der Störung oder gar Zerstörung einer Leistung, die, würde sie in ihrer Existenz nicht behindert, ihrerseits ganz selbstverständlich urheberrechtsfähig wäre. […]

Daher mutet ein Maler wie Markus Lüpertz inzwischen beinahe altmodisch an, wenn er erklärt, ein Kunstwerk sei “nicht zu besitzen, weil es ein Schlachtfeld ist”, als solches aber “vogelfrei und ungeschützt”; “…kein Schlachtfeld gereicht irgendeinem Menschen zum Eigentum”. Vielmehr könne jeder damit machen, was er wolle: “Ungerührt sieht der Künstler zu, weil er all dies weder forcieren noch beeinflussen will”. (6) Dahinter steht die romantische Vorstellung, Kunst sei ein öffentliches Gut, da sich in ihr etwas ausdrücke, was für grundsätzlich alle Menschen relevant sei. […]

Tatsächlich scheinen bei einigen Rechteinhabern erste Bedenken aufzukommen, ob ein restriktiver Umgang mit Abbildungswünschen, also das Verweigern von Reproduktionsgenehmigungen oder auch die Festsetzung abschreckend hoher Tarife für Abbildungen, auf längere Sicht nicht zu einem Schwund an Aufmerksamkeit und sogar zu einem Wertverfall führen könnte. Im Februar 2016 hat die Robert Rauschenberg Foundation als erste Stiftung ihrer Art deshalb die Entscheidung getroffen, die Werke Rauschenbergs für Wissenschaft und Unterricht, aber auch für die Verwendung in den sozialen Medien freizugeben. Künftig muss – ganz im Sinne der ursprünglichen Idee des Urheberrechts – nur noch eine Abbildungserlaubnis einholen und Gebühren zahlen, wer Werke kommerziell oder zu werblichen Zwecken nutzen will. Ausdrücklich will die Stiftung mit ihrer neuen Strategie erreichen, dass Rauschenbergs Werke größere Verbreitung finden (“it wants the images to flow freely”) und der Künstler einen höheren Stellenwert im weiteren Kunstdiskurs einnimmt.“

Trump’s lies have a purpose. They are an assault on democracy.

Über den Unterschied zwischen den Lügen der Bush-Administration und denen von Trump und was die Medien tun müssen, um dagegen zu halten.

„President George W. Bush and his advisers — most notably deputy chief of staff Karl Rove —wove a parallel universe in which Saddam Hussein possessed weapons of mass destruction, Al Qaeda was in cahoots with virtually all of America’s enemies, and the United States was a messianic crusader that would eventually spread capitalist liberal democracy to every corner of the world. This apocalyptic vision had little in common with the actually existing global order, but it was a compelling story. Creating an alternate political universe requires discipline. It requires the willingness to tell many little lies that add up to one big lie. All these lies need to be internally consistent, mutually reinforcing, and at least superficially plausible. Think of it like writing fantasy fiction; the spell woven by books like The Lord of the Rings only works if the worlds they obey a coherent inner logic. […]

President-elect Donald Trump does not create new realities. He tells lies that are seemingly random, frequently inconsistent, and often plainly ridiculous. He says or tweets things on the record and then denies having ever said them. He contradicts documented fact and then disregards anyone who points out the inaccuracies. He even lies when he has no discernible reason to do so — and then turns around and tells another lie that flies in the face of the previous one.

If Bush and Rove constructed a fantasy world with a clear internal logic, Trump has built something more like an endless bad dream. In his political universe, facts are unstable and ephemeral; events follow one after the other with no clear causal linkage; and danger is everywhere, although its source seems to change at random. Whereas President Bush offered America the illusion of morality clarity, President-elect Trump offers an ever-shifting phantasmagoria of sense impressions and unreliable information, barely held together by a fog of anxiety and bewilderment. Think Kafka more than Lord of the Rings.“

Decades in the Making: Fidel Castro’s Obituary

Die NYTimes beschreibt, wie der Nachruf auf Castro immer wieder umgeschrieben wurde – und wie sich die Medienarten dabei veränderten.

„One piece that didn’t make it into this weekend’s digital coverage was a four-part, 20-plus-minute-long audio slide show on Mr. Castro’s life. The audio slide show — a mostly bygone format intended to marry photos and audio in an age when slow dial-up connections couldn’t handle video — was originally produced around 2006 by Geoff McGhee, Lisa Iaboni and Eric Owles and featured narration from Anthony DePalma, who wrote The Times’s obituary.

With over 80 photos and several audio files, the slide show was managed with a custom-made program called “configurator” that lived on a single, aging Macintosh in a windowless room on the ninth floor of the Times building.

For years, recently hired web producers would spend hours keeping the slide show up to date; something that became a rite of passage of sorts, or — given the complicated and arcane “configurator” — a hazing ritual.

Though much of the material appeared in other forms in our coverage of Mr. Castro’s death over the weekend, the audio slide show was itself lost to history sometime around 2009 when that old Macintosh was decommissioned.“

Was schön war, Donnerstag, 1. Dezember 2016 – „Lady Macbeth von Mzensk“

Gestern war Weihnachten – jedenfalls bekam ich mein Weihnachtsgeschenk in Form einer Oper. F. führte mich in Schostakowitschs Lady Macbeth von Mzensk aus; wir saßen äußerst angenehm mit hervorragender Sicht und sehr gutem Klang im ersten Rang, nur Sekunden entfernt von Sektstand, Klo und Garderobe und diversen beeindruckenden Kronleuchtern, die ich in der Pause anschmachten konnte. Endlich mal mit Profis arbeiten.

Ich überlegte die komplette erste Hälfte, wie ich die Inszenierung beschreiben würde. Als der Vorhang sich öffnete, rollte ich innerlich ein winziges bisschen mit den Augen, weil der Standort „Industriebrache“ jetzt echt nichts Revolutionäres ist und gerne für alles als Tapete herhalten darf. Man sieht zentral einen Raum auf Stelzen, der mit gelben Querbalken überdeckt ist, eine Metalltreppe führt zu ihm hinauf, darin befindet sich nur ein Bett. Um den Raum herum erstrecken sich weitere Metalltreppen und füllen die gesamte Bühne über gefühlt drei Stockwerke kreuz und quer; der Hintergrund ist ein Schwarzweißbild einer heruntergerockten Fabrikhalle. Im Laufe des Stücks werden die Treppen immer weniger, bis sie zum Schluss fast nur noch Deko sind und ins Leere gehen. In der Pause nannten F. und ich das Bild „unaufdringlich“ und waren abschließend der Meinung, dass es sich ganz der Musik und den Stimmen unterordnet, ohne aber unterzugehen. So fühlte sich die ganze Inszenierung an: nach der ersten Irritation sehr stimmig.

Die Bühne wurde sehr effizient, aber auch effektiv genutzt. Der Raum auf Stelzen hob sich manchmal in die Luft, so dass darunter etwas stattfinden konnte; in einem weiteren Bild stand an diesem Ort eine Hochzeitstafel, die ebenfalls in die Höhe gefahren wurde – darunter wurde eine Polizeistation sichtbar, in der, schönes Bild, jeweils ein Polizist einen weiteren auf Drehstühlen hin und her schob, was erstens eine schöne Dynamik war, zweitens ein bisschen comic relief, den man in diesem Stück wirklich brauchen kann, um nicht an der Deppigkeit der Menschheit zu verzweifeln, und drittens ganz subtil Rangunterschiede der blöden Untertanengesellschaft klarmachte, wo immer einer buckelt und einer tritt. Im letzten Bild war dieser Teil der Bühne leicht versunken, die Treppen kaum noch sichtbar, und aus der zunächst geschlossenen, dann offenen Fabrikhalle wurde nun ein unendliches Meer, weiterhin in Schwarzweiß.

Auch die Farbigkeit der Bühne und der Akteur*innen hat mir gefallen. Sieht man zunächst den gelblichen Raum, in dem sich die Hauptfigur Katerina in einem hellroten Kleid bewegt, wird das Gesamtbild im Verlauf immer farbloser. Aus dem roten Kleid wird ein gelbgrüner Mantel, schließlich ein weißes Hochzeitskleid und zum Schluss, auf dem Weg nach Sibirien ins Straflager, ein graues Bündel Stoff. Das letzte Bild mochte ich besonders, die Aufseher in grau, schwarz und dunkelblau, die Gefangenen in ähnlich gedeckten Farben, hier mal ein dunkelgrüner Tupfer, da etwas Grellgelbes und -rotes von Katerinas Nebenbuhlerin, womit sich der Kreis auch farblich schloss, ohne dass das Gesamtbild der hoffnungslosen Einöde zerstört wurde.

Ich kann mich nicht erinnern, bewusst schon einmal Schostakowitsch im Konzert gehört zu haben, daher wusste ich nicht, was musikalisch auf mich zukommt. Ich mochte die Musik sehr, die an einigen Stellen noch nach romantischer Oper des 19. Jahrhunderts klang, aber schon eindeutig im 20. Jahrhundert verortet war. Besonders beeindruckt hat mich der Hochzeitstanz, bei dem man viele Paare in heiterem Treiben auf der Bühne sieht und es rhythmisch lebhaft zugeht, aber trotzdem klang der Tanz eher nach The Walking Dead meets Red Wedding als nach ausgelassener Heiterkeit.

Als olle Wagnerianerin war es für mich außerdem ungewohnt, eine zügige Handlungsfortführung auf der Bühne zu erleben; der Richard lässt sich ja bekanntlich mit allem sehr viel Zeit, während hier in einem Akt so viel passiert wie bei Wagner im gesamten Ring. Auch ungewohnt: eine selbstbewusste Frauenfigur. Während sich bei Wagner die Damen gerne theatralisch für Kerle, Götter oder Ideologien opfern, singt Katerina lieber darüber, dass sie es schade findet, dass niemand ihre weißen Brüste berührt. Außerdem erlebten wir einen Orgasmus, gespielt und musikalisch, auf offener Bühne, und ich habe auch noch nie gesehen, wie dramatisch man einen Mann entkleiden kann. (Ich beherrsche mich gerade sehr, jedes Wortspiel mit „Bläsereinsatz“ zu vermeiden.)

Wo wir gerade bei den Bläsern sind: acht von ihnen, wenn ich richtig gezählt habe, saßen außerhalb des Orchestergrabens auf die vier kleinen Logen direkt an der Bühne verteilt. Die haben sich wahrscheinlich auch gedacht, endlich mal anständige Sitzplätze statt der fiesen Holzstühle im Graben. Und wenig zu tun. Ich konnte sie klanglich aber nicht von dem unterscheiden, was aus dem Graben kam, was mich bei jedem ihrer Einsätze fasziniert hat. Außerdem erwischte ich mich erstmals in der Oper bei dem Gedanken, meine Güte, ist das Orchester wunderbar. Dass die Damen und Herren ihren Job können, setze ich voraus und beklatsche den*die Dirigent*in auch immer gerne besonders laut, wenn er oder sie auf die Bühne zum Schlussapplaus kommt, aber gestern dachte ich des Öfteren, dass das alles schlicht perfekt war. Es hat sich sehr aus einem Guss angehört, trotzdem voller Dynamik, mit Höhen, Tiefen und verschiedenen Lautstärken, es war nie eine Konkurrenz zu den Stimmen, aber es war weit mehr als nur eine Begleitung. Ich habe zu wenig Ahnung davon, wie ein Orchester klingen muss, vielleicht lag es schlicht an der Komposition oder an den Sitzplätzen, aber wie gesagt, so bewusst wahrgenommen, wie großartig das gerade alles ist, habe ich es noch nie.

Auch die Übertitel haben sehr viel Spaß gemacht. Zwei neue Lieblingssätze: „Ich werde ein ganzes Jahrhundert lang trinken, ich bin ein herzlicher Mensch.“ Und:

Abschluss des Abends bei einem schmackigen Crémant bei Kerzenlicht. Das war gestern alles ein großes Glück.

Edit: Auf dem YouTube-Kanal der Staatsoper gibt’s Ausschnitte und Vlogs zum Stück, und am 4. Dezember um 19 Uhr könnt ihr euch das alles entspannt im Livestream anschauen.

roteschleife

Herbsttagung des Arbeitskreises Provenienzforschung

Am Montag saß ich im Museum Fünf Kontinente und lauschte den halben Tag mit roten Öhrchen überwiegend spannenden Vorträgen. Genauer gesagt, diesen hier. Ich habe kaum mitgeschrieben, weil ich lieber zuhören wollte, aber ein paar Dinge kommen jetzt doch ins Blog.

Gleich der Einführungsvortrag von Hilke Thode-Arora, die seit Kurzem am Museum Fünf Kontinente angestellt ist, beschäftigte mich noch länger. Es ging dabei nicht um das, was ich bisher unter Provenienzforschung verstanden hatte – also hauptsächlich die Beschäftigung mit Kunst- und Kulturgütern, die während der NS-Zeit unrechtmäßig ihre Besitzer wechselten –, sondern um ethnologische Zeugnisse, die vor allem während der Kolonialzeit des Deutschen Reiches in dessen Gebiet gelangten. Thode-Arora beschrieb unter anderem, wie genau diese Raubzüge vor sich gingen; einmal die mit militärischer Gewalt, dann gab es aber auch den sogenannten „Stillen Tausch“, wo sich Einwohner der angegriffenen Gebiete aus ihren Dörfern zurückzogen, die Seefahrer von dort Dinge mitnahmen, die ihnen wertvoll erschienen, aber im Gegenzug etwas zurückließen, meist Naturalien. Dass das genauso unrechtmäßig war, sollte man nicht betonen müssen.

Die Vortragende erwähnte aber auch, dass die Ureinwohner der betreffenden Gebiete (ich habe mir leider nicht gemerkt, welche genau) schon recht früh anfingen, sich auf schatzsuchende Europäer einzustellen. Ein Forscher hielt sich jahrelang bei einem Stamm in Polynesien auf, arbeitete und lebte mit ihm und ging mit ihm fischen. Als er in europäischen ethnologischen Museen angeblich polynesische Angelhaken sah, konnte er berichten, dass die vermutlich nie benutzt worden waren, weil sie schlicht unpraktisch waren. Sie waren wahrscheinlich eher direkt zum Verkauf oder Tausch produziert worden, hatten aber nie Wasser gesehen.

Ich lernte das Wort „Repatriierung“, das verwendet wird, wenn es darum geht, unrechtmäßig erworbene Dinge zurückzugeben; bei NS-Raubgut sprechen wir von „Restituierung“. Manche Dinge sollen aber gar nicht wieder repatriiert werden. Thode-Arora zeigte Bilder von Samoanern, die europäische Museen besuchten und noch nicht einmal verlangten, dass die Glasvitrinen geöffnet wurden, in denen ihre Objekte lagen, um diese nicht zu stören. Ein Zitat, das ich brav von der Folie abschrieb, damit ich es richtig wiedergeben konnte: „The object lives here now and is taken care of.“ Einige Museen gaben Besuchern aus den betreffenden Ländern Gelegenheit, mit ihren kultischen Objekten zu interagieren, sie zu berühren; auch davon sahen wir Fotos, die mich sehr faszinierten. Nicht nur weil ich eine intime Handlung miterleben durfte (jedenfalls sind kultische Riten für mich auf einer Ebene immer intim, auch wenn sie öffentlich sind wie das Abendmahl in der Kirche), sondern weil die Objekte schlicht wunderschön waren.

Auf den ersten Vortragsblock war ich am meisten gespannt, denn hier ging es um den Münchner Kunsthandel. Zwei Doktorandinnen stellten ihre Arbeiten vor; einmal ging es generell um jüdische Kunsthandlungen, die noch nicht erschlossen sind – die Doktorandin war bisher auf über 30 gestoßen, wenn ich mir das richtig gemerkt habe –, der zweite Vortrag handelte von Jaques Rosenthal. Meike Hopp, bei der ich im 3. Semester im Provenienzforschungsseminar saß, referierte über Hugo Helbing, der Historiker Sebastian Peters über seine MA-Arbeit zu Anna Caspari. Abschließend staunte ich über einen Schatz, auf dessen Erschließung vermutlich der halbe Saal wartete, jedenfalls erwähnte Hopp die vielen Anfragen, die sie schon bekommen hatten für: die überlieferten Bücher der Kunsthandlung Julius Böhler. Im Bayerischen Wirtschaftsarchiv liegen schönst annotierte Bücher, in denen seit ca. 1910 (?) bis in die 1970er Jahre hinein jedes Werk aufgeführt wurde: wann es gekauft wurde, von wem (wichtig für die Provenienz), wann es verkauft wurde, an wen (yay) und zu jeweils welchem Preis. Außerdem besitzt das ZI neuerdings einen Riesenberg an Fotos, die sehr hilfreich sind, wenn man 700 Bilder mit dem Titel „Bayerische Landschaft“ im Depot hat. Den Titel habe ich mir gerade aus dem Ärmel geschüttelt, aber ich merke schon bei meiner winzigen Arbeit zu von Welden, wie irre es mich macht, dass ich zwar Titel finde, aber keine Ahnung habe, wie das Bild dazu aussieht und ob die „Badende“ aus Ausstellung 1 von 1939 die gleiche ist wie die aus Ausstellung 2 von 1955.

Im zweiten Teil stellten einige Münchner Institutionen ihre Erfolge bei der Provenienzrecherche vor. Stephan Kellner von der Bayerischen Staatsbibliothek sprach über die NS-Raubgutforschung im Haus und erwähnte den Berg von über 60.000 Büchern, die sie alleine aus der Ordensburg Sonthofen übernommen hätten, bei dem davon auszugehen war, dass einige Stücke Raubgut waren. Es wurden bereits diverse Stücke restituiert. Auch die Bayerische Staatsgemäldesammlung wühlt ihre Bestände durch und konnte bisher einige wenige Bilder an ihre rechtmäßigen Eigentümer zurückgeben. Das forderte auch eine Frage im Publikum heraus, ob sich der ganze Aufwand denn lohne für zwei, drei Bilder, woraufhin eine ziemlich scharfe Erwiderung kam, dass sich der ganze Aufwand selbst für ein einziges Bild lohnen würde. Natürlich könne man nichts wiedergutmachen, natürlich sei der Zustand vor dem Holocaust nicht wiederherstellbar, aber es liege in unser aller Verantwortung, wenigstens zu versuchen, erlittenes Unrecht zu mildern.

Am aufregendsten, weil so schön detektivisch, war der Vortrag von Ilse von zur Mühlen vom Bayerischen Nationalmuseum, das, genau wie die Bayerische Staatsgemäldesammlung, einen Teil der Sammlung Göring besitzt. Sie stellte ein Besteckset vor, von dem erstmal geklärt werden musste, wann es überhaupt hergestellt wurde. Auf den Messern fand sich ein winziger Name, den das Klingenmuseum Solingen einem dänischen Schmied Ende des 18. Jahrhunderts zuordnen konnte. (Natürlich gibt es ein Klingenmuseum und natürlich ist es in Solingen. Ich wollte die ganze Zeit begeistert in die Hände klatschen, was wir uns alles leisten.) Auf den Griffen der Messer fand sich ein Wappen, das Experten auf vor 1819 datierten. An den Gabeln fand sich zudem eine winzige Punze, also ein kleiner Abdruck im Silber; in diesem Fall war das ein Eberkopf, der in den Niederlanden im 19. Jahrhundert bei der Silbereinfuhr eingestempelt wurde. Eine zweite Punze konnte das bestätigen. Zu diesem Zeitpunkt im Vortrag musste ich nachträglich notieren, was ich hier gerade verblogge, denn das klang schon so nach Verbloggen. Daher bekam ich fünf Sätze nicht mit und weiß daher nicht mehr genau, wie jetzt das Silber zu dem Herrn kam, den ich wieder mitbekam, nämlich Kaiser Wilhelm II; ich vermute, irgendwelche niederländischen Aristokraten wollten dem armen Exilanten ein hübsches Messerset schenken, wenn er schon kein Reich mehr hatte. Von dort könnte es dann als Geschenk bei Göring gelandet sein, wäre also kein Raubgut, aber komplett belegt war der letzte Teil der schönen Theorie noch nicht.

Im letzten Block kamen dann die nichtstaatlichen Museen zu Wort, also die eher kleinen Heimat- und Volkskundemuseen, in deren Schränken auch durchaus untersuchungswürdige Objekte liegen. Ich muss gestehen, ich weiß nicht mehr, welche der beiden Damen, die im Programm abgedruckt waren, gesprochen hat, aber der Vortrag war toll (Frau Lange oder Frau Bach, sorry!). Sie sprach über ihre Arbeit in der Landesstelle für die nichtstaatlichen Museen, an die sich Häuser wenden, die nicht mehr so recht weiterwissen mit ihren Beständen. „Dann kommt man da hin, es werden Vitrinen geöffnet und Schubladen aufgezogen – und dann kommt immer irgendwann der Satz: ‚Und dann haben wir noch das da.‘ Das sind fast immer Judaika, denen man ansieht, dass sie Gewalt ausgesetzt waren.“ (Ich zitiere aus dem Gedächtnis, aber „Und dann haben wir noch das da“ habe ich mir gemerkt, weil es mir in seiner Hilflosigkeit sehr stimmig vorkam.) Die Vortragende sprach über eine besondere Torarolle, die vermutlich eher einem Privathaushalt gehörte, denn sie ist zu klein für eine Synagoge, die Schrift wäre zum Vorlesen zu winzig. Sie scheint in einer Pfütze gelegen zu haben, das Papier ist durchfeuchtet und brüchig, wenn man sie anhebt, rieseln Grashalme heraus. Der Text ist stellenweise verschwunden; dafür sorgt Säure, man geht davon aus, dass auf diese Torarolle uriniert wurde. Die Anordnung der Texte sei ungewöhnlich, ein angefragter Rabbiner aus Jerusalem meinte, er hätte derartiges noch nie gesehen. Außerdem ungewöhnlich: Einige Worte im Text sind handschriftlich verstärkt. Die Landesstelle unterstützt das betreffende Museum gerade bei der Restaurierung der Torarolle und natürlich bei der Provenienzrecherche.

In vielen Heimatmuseen liegen Judaika, teilweise nicht einmal inventarisiert. Intern hätten viele Häuser die sinnlose Diskussion geführt, ob der damalige Direktor die Stücke am 9. November 1938 ins Museum gebracht hätte – dann hätte er sie gestohlen – oder am 10., dann hätte er sie quasi gerettet. Viele Stücke sind in einem schlechten Zustand, auch weil sich jahrzehntelang niemand damit befasst hat. Die Vortragende erzählte allerdings auch von einem sehr hoffnungsvollen Fall, sie bat aber um Verständnis, dass sie das Museum nicht nennen wollte, um das es ging. Daher verzichte ich hier auf die Wiedergabe des Vortrags, aber ich habe durch ihn von der Arbeit Theodor Harburgers erfahren, der Ende der 1920er Jahre viele israelitische Gemeinden in Bayern besuchte und ihre Kunstschätze dokumentierte. Diese Berichte und Fotos sind heute ein unverzichtbares Hilfsmittel, von dem ich bis Montag abend noch nie gehört hatte.

Ich habe von der Tagung viele Eindrücke, Anlaufstellen und Namen mitgenommen, die mir bei meinen eigenen Recherchen nützlich sein könnten. Und nebenbei wurde mir vor Augen geführt, wie sinnvoll mein kleines Orchideenfach sein kann. Das ist manchmal ganz schön zu wissen, wenn ich wieder mit mir ringe, ob ich nicht doch wieder sinnlos Werbung machen sollte, weil sie die Miete deutlich einfacher bezahlt als die Wissenschaft.

Was schön war, Sonntag, 27. November 2016 – Frag (googele) und dir wird geholfen

Gemeinsam aufgewacht. Und dann brachte mir die eine Hälfte des gemeinsamen Aufwachens sogar noch Backwerk vorbei, weil ich zu faul war, selber rauszugehen. Das verspeiste ich im Laufe des Tages, mittags Croissants mit Himbeermarmelade, abends Brezn mit Guacamole.

Weiter am Referat geschraubt, die Literaturliste finalisiert, die ich morgen abgeben muss.

Altes Wachs aus meinen gläsernen Teelichthaltern entfernt, indem ich sie kurz in heißes Wasser legte. Wer hätte es gedacht. Macht’s gut, Obstmesser, Scheren und Zahnstocher, mit denen ich sonst immer an Kerzenhaltern rumfriemele.

Nachmittags wollte ich eigentlich vor Netflix rumgammeln, merkte aber, dass mein Internet zickte. Wie gut, dass man zum Laptop noch ein Handy hat, das immer über Internet verfügt, selbst wenn der Rechner keins hat. So sah ich, dass die Telekom gerade massiv gestört war, deren Kunde ich bin, sah aber auch einen Hinweis von Caschy, wie man diese Störung umgehen könne. Hat mit der DNS-Adresse von Google ganz wunderbar funktioniert; nach einem Hinweis von @fehlpass probierte ich dann einen Server vom CCC, der ging natürlich auch.

Ich nahm die Störung trotzdem zum Anlass, den Rechner zuzuklappen und las weiter Kershaw plus mein neues Buch. Das bekam ich auch fast durch – es ist recht schmal – und fand es sehr schön. Seltsam vertraut. Ich glaube langsam, die alte Bundesrepublik hat eine ganz eigene Gefühlspalette, die in mir wachgerufen wird, wenn ich etwas über sie lese.

Dunkle Idyllen

Unser Rosenheimkurs guckt sich demnächst diese Ausstellung an (ich leider nicht, aus Gründen), und wir sprachen auch schon im Seminar über die Inszenierung der Bilder, die bei uns eher auf Unverständnis stieß. Der Zeit anscheinend auch:

„Als müssten [die Kurator*innen] sich vor falschen Freunden schützen, ziehen sie die Besucher gleich zu Beginn hinein ins Grauen: eine Grube tut sich auf, mit Leichen angefüllt. Es ist ein Massengrab im Konzentrationslager Bergen-Belsen.

Worüber soll man sich da mehr entsetzen? Über die fotografierte Barberei oder die barsche Art, wie hier der Holocaust für didaktische Unterweisungen der Besucher herhalten muss? Zusätzlich gibt es erklärende Wandtexte, und eigens ist jedem der rund 20 Werke noch eine Art Warnhinweis beigegeben: Artig steht da, in Fraktur geschrieben. Damit auch wirklich jeder versteht, dass es sich hier um staatsfromme, irgendwie schuldbeladene und also verachtenswerte Machwerke handelt. […]

Längst hat die kunsthistorische Forschung herausgestellt, dass nur wenige Künstler der NS-Zeit auf einer agitatorischen Mission waren. Anders als im Sozialismus gab es keine Stil- und Formdiktate, keine detaillierten Manifeste, die zu erfüllen gewesen wären. Offenbar glaubte Hitler nicht an die bewusstseinserschütternde Macht der Bilder – anders als manche Kuratoren von heute. […]

Hier die Guten, dort die Bösen, diesem binären Schema folgt die Ausstellung, und leider vergibt sie so die Gelegenheit, endlich einmal die Halbschatten und Unschärfen der NS-Kunstpolitik zu beleuchten. In den ersten Jahren des Regimes bewarben sich bekanntlich auch manche “der Guten” für die Rolle “der Bösen”, allen voran Emil Nolde, der unter anderem von Joseph Goebbels derart geschätzt wurde, dass in seiner Dienstwohnung anfangs einige Aquarelle des norddeutschen Malers hingen. Der brodelnde Expressionismus schien zunächst eine Alternative zu sein zur apollinisch-ewigen Idylle, die später zum Ideal erkoren wurde.“

27 Questions to ask instead of “What do you do?”

„I’m a bit of an introvert in social situations, and my natural instinct when I meet new people is that old fallback, “What do you do?” I’ve long had an inkling that this question doesn’t always create the best environment to really get to know someone, and Geekwire explains a few reasons why:

It’s understood as “What do you do for a living?” and ranks paycheck activities above all others in the get-to-know-you hierarchy. […] It pins your identity to a job instead of pinning a job to your bigger, evolving identity. […] The person may not care about what they do for a living. But they have to tell you anyway.

The key, according to Chris Colin and Rob Baedeker, authors of What to Talk About: On a Plane, at a Cocktail Party, in a Tiny Elevator with Your Boss’s Boss, is to ask an open-ended question. Their advice?

“Aim for questions that invite people to tell stories, rather than give bland, one-word answers.”“

Tagebuch, Freitag/Samstag, 25./26. November 2016 – Gilmore Girls und Weihnachtskiste

Freitag hatte ich einen wichtigen Tagesplan, nämlich sechs Stunden lang vor Netflix rumzulungern und die neuen Folgen der Gilmore Girls zu gucken. Die Serie war für mich immer fluffige Zuckerwatte, alle nervigen Folgen wurden vorgeskippt oder ignoriert, ich hielt mich an der einen weiblichen Hauptfigur fest, deren größter Traum es ist, alle Bücher dieser Welt zu lesen und immer klüger zu werden, während um sie herum so gut wie alle Frauenfiguren schwanger wurden, was mich extrem nervte. Sookie konnte ich noch verstehen, auch wenn ich nicht kapierte, wieso sie gleich drei Kinder kriegen musste, obwohl ihr eins gereicht hätte, und warum Lanes christliche Erziehung, gegen die sie ihr ganzes Leben lang rebelliert hatte, ausgerechnet dann durchschlug, als der Schwangerschaftstest positiv war, hat mich auch eher verstört. Überhaupt störte vieles an Stars Hollow, angefangen bei arg klischeeigen Geschlechtervorstellungen und dass es anscheinend nur eine Hautfarbe gab (aber immerhin ein paar mehr Körperformen als „schlank“), aber gleichzeitig war auch vieles schön an Stars Hollow, angefangen vom stets kitschig-with-a-vengeance-geschmückten Gazebo bis hin zu den Lichterketten, die immer und zu jeder Jahreszeit das Städtchen erhellten. Die letzten Staffeln fand ich eher anstrengend als nett, vor allem weil sich mir Logan als love interest für Rory nie erschlossen hatte und ich Lorelei dauernd eine reinhauen und ihr sagen wollte, jetzt bleib halt mal da, stell dich da hin und guck wie es ist, bevor du wieder hektisch wegrennst.

Zehn Jahre nach dem Ende der sieben Staffeln kamen nun vier neue Folgen, jeweils 90 Minuten lang. Das Gute am Nachklapp: Der generelle Geist der Serie war sofort wieder da, ich habe mich über ein Wiedersehen mit vielen Figuren gefreut, allen voran Kirk, Hep Alien und, was mich selbst überraschte, Taylor, über dessen geschlechtliche Neigungen ich noch nie nachgedacht hatte, jetzt aber mit der Nase drauf gestoßen wurde. Okay then. Das Schlechte am Nachklapp: die legendären letzten vier Worte, über die Schöpferin Amy Sherman-Palladino seit Jahren spricht und die sie angeblich von Anfang an im Kopf hatte, sind die dümmsten, die ich der Serie zugetraut hätte. Vor zehn Jahren hätten sie gepasst, jetzt sind sie einfach nur albern. Und dass ich die schnöselige, bescheuerte Life and Death Brigade nochmal ertragen musste, nehme ich der Neuauflage auch sehr übel. Aber das mag persönlicher Geschmack sein.

Womit ich aber viel eher beschäftigt war: Die Serie warf mich blöderweise auch in meine Zeit von vor zehn Jahren zurück, wo ich mal eben sieben Serienstaffeln auf DVD kaufen konnte, ohne darüber nachdenken zu müssen, weil ich in der Zeit halt nicht über Geld nachdenken musste. Vielleicht konnte ich damals die Suche nach dem Sinn des Lebens so entspannt genießen, weil ich selbst ihn ja schon längst gefunden hatte, ich hatte ja alles, Job, Kohle, große Wohnung, Mann, alles da. Und jetzt sehe ich Rory dabei zu, wie ihr Traum, Journalistin zu werden, in die Brüche geht, und sitze auf meinem Sofa und muss daran denken, wie ich auch gerade mein Leben neu zusammenpuzzele, von dem ich doch dachte, es wäre in schickes, instagrammables Acryl gegossen. Vielleicht habe ich die Serie auch deshalb nicht ganz so genießen können, denn wenn selbst in Stars Hollow nicht alles nach Plan läuft, wie dann bei mir? *in eine Papiertüte atmend*

Ich ruinierte mir den restlichen Freitag schön selber, indem ich nach a) Kunsthistorikerinnenjobs und b) Werberinnenjobs online suchte und feststellte, dass ich für a) nicht qualifiziert bin, auf b) sowas von keinen Bock mehr habe und dass ich zudem c) noch uralt bin. Das war eher ein Scheißtag, trotz glitzerndem Gazebo.

Dafür war der Samstag dann deutlich besser, denn ich habe in den letzten Jahren gelernt: Wenn’s dir scheiße geht, fahr in die Bibliothek, da kommst du nicht auf dumme, sondern im Gegenteil, auf total kluge Gedanken. Also saß ich morgens im Historicum und las weiter über Amnesty International. Ich fand einen sehr guten Aufsatz, der quasi alles hübsch bündelte, was ich eh schon wusste, nur in gut formuliert, exzerpierte drei Stunden vor mich hin, befand dann, dass 23 einzeilig beschriebene Seiten reichen sollten, um daraus ein 30-Minuten-Referat zu machen und verließ sehr zufrieden und innerlich wieder beruhigt meinen Happy Place.

Ich hatte völlig vergessen, dass am Sonntag schon der erste Advent war und musste dringend noch einen Adventskranz organisieren. Normalerweise reicht mir ein bisschen Tannengrün mit Glitzer und Kerzen drauf, aber dieses Mal hatte ich keine Lust auf etwas Gekauftes. Ich ging zuhause in den Keller und holte die Weihnachtskiste nach oben in die Wohnung und das ohne zu heulen, was ich blöderweise noch immer des Öfteren tue, wenn ich Dinge mache, die ich ein Jahrzehnt lang in Hamburg gemacht habe. Der Tag lief bisher also sehr gut: Bibliothek, yay! In den Keller gehen, ohne zu heulen, yay! Aus einem goldenen Teller, vier Kerzen, meinen goldenen und roten Kugeln und viel Geschenkband bastelte ich etwas adventskranzähnliches (vier Kerzen auf einem Teller mit Zeug drumrum halt) und freute mich darüber.

Dann freute ich mich über ein Geschenk, dann darüber, dass ich im Warmen sitze und ein Dach über dem Kopf habe und gesund bin und dass so viele schöne Bücher um mich rumstehen und jetzt auch noch ein goldener Teller mit Kerzen und Zeug. Abends kam F. vorbei, wir tranken einen überraschend guten Supermarktwein, und um Mitternacht musste ich noch dringend Knoblauchcroutons herstellen, damit der Käse nicht so alleine war. Gemeinsam eingeschlafen. Erneutes Nachdenken über a) auf die nächste Woche verschoben. Wird schon. Mehr Glitzer, weniger Acryl.

Ein Bonner Dankeschön …

… an Julia, die mich mit Matthias Brandts Raumpatrouille überraschte. Ich zitiere mal den Klappentext: „Die Geschichten in Matthias Brandts erstem Buch sind literarische Reisen in einen Kosmos, den jeder kennt, der aber hier mit einem ganz besonderen Blick untersucht wird: der Kosmos der eigenen Kindheit. In diesem Fall einer Kindheit in den Siebzigerjahren des letzten Jahrhunderts in einer kleinen Stadt am Rhein, die damals Bundeshauptstadt war.“ Klingt so, als würde ich das gerne lesen wollen. Vielen Dank für das Geschenk und die nette Widmung, ich habe mich sehr gefreut.

Was schön war, Donnerstag, 24. November 2016 – Ruhiges Arbeiten

Earl Grey. Teelichter im Wohnzimmer. Die Thermosocken, die dafür sorgen, dass mir am Schreibtisch nicht kalt wird (zumindest nicht an den Füßen). Zu merken, dass ich zweieinhalb Wochen vor dem Referat schon wieder viel zu viel Zeug habe; mal langsam das Keynote-Dokument anfangen anstatt weiter in Word Stoff zu sammeln. Auch gemerkt: Das wird mein drittletztes Referat im Studium. Im Januar spreche ich noch einmal über Leo von Welden, und dann wartet das Oberseminar auf mich, das begleitend zur Masterarbeit stattfindet, in dem ich über meine Arbeit erzähle. Das war’s. Traurig geworden. Schnell die Lichterkette angeknipst und neuen Tee gekocht. Weiter ruhig vor mich hingearbeitet.

Was schön war, Dienstag/Mittwoch, 22./23. November 2016 – Wandgestaltung und altes Papier

In meiner Vorlesung zur osmanischen Architektur ging es vorgestern erstmals um religiöse Bauten, genauer gesagt, Moscheen. Seit über vier Jahren gucke ich brav auf Grundrisse von christlichen Gebetsräumen, weswegen mich der erste Grundriss einer Moschee nachhaltig verwirrte, denn sie war nicht längs ausgerichtet, wie ich es von vielen Kirchen kenne, die keine Zentralbauten sind, sondern quer, wie hier zum Beispiel die Umayyaden-Moschee in Damaskus. Während in Kirchen der Chor nach Osten weist, also sehr grob in Richtung Jerusalem, weist die Gebetsnische in Moscheen, die Mihrab, in Richtung Mekka. Die Mihrab befindet sich an der sogenannten Qibla-Wand. Wenn ich die Dozentin richtig verstanden habe, war es anfangs eine große Ehre, so nah wie möglich an dieser Wand zu beten, weswegen man sie einfach so lang wie möglich gemacht hat, damit viele Gläubige vor ihr Platz fanden. Und deswegen waren frühe Moscheen halt eher quer ausgerichtet als längs. Die Dozentin benutzte launig die Formel „form follows function“. Auf den Punkt.

Außerdem muss ich jetzt dringend nach Cordoba, wo eine Moschee steht, in die nach der Reconquista großkotzig eine Kathedrale gebaut wurde.

Nach der Vorlesung saß ich drei Stunden in der Historicumsbibliothek und versank in Büchern zu Amnesty International. Natürlich hing ich auch wieder in Fußnoten rum, um weitere Literatur zu finden – halbwegs erfolgreich.

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Meine gute Tat des Tages fand am Rückgaberegal statt. In der Historicumsbibliothek stellen wir unsere Bücher nicht wieder selbst ins Regal, sondern legen sie in dafür vorgesehene Fächer ab, die nach Signaturen geordnet sind. Dort hängen auch Hinweise, die Bücher a) ins richtige Fach zu platzieren und b) sie hinzustellen anstatt hinzulegen. Ich kam mit meinem Armvoll Bücher ans Regal und sah mit großen SCHOCKIERTEN Augen einen Berg von Büchern, die achtlos abgelegt wurden. Das konnte ich nicht so lassen. DENKT DENN NIEMAND AN DIE BÜCHER? Ich sortierte die Bücher liebevoll in ihre kuscheligen Fächer und konnte mich gerade noch zurückhalten, ihnen „You are loved“ zuzuflüstern.

Abends lasen wir im Menschenrechtsseminar einen Zeit-Artikel von 1951, der sich mit dem neu entstehenden Europarat bzw. der Europäischen Menschenrechtskonvention beschäftigt. Interessant war hier, dass Deutschland sowohl als Täter- als auch als Opferland vorkommt. Einmal sind wir daran schuld, dass man jetzt echt mal über Menschenrechte nachdenken sollte, die auch staatenübergreifend einklagbar sind, andererseits sind wir auch die armen Hascherl, die von Siegermächten ausgeplündert werden.

Die oberen drei Absätze schrieb ich gestern morgen, klickte aber anscheinend nur auf „Save“ und nicht auf „Publish“, bevor ich eilig zum Bahnhof fuhr, um mich in einen Zug nach Rosenheim zu setzen. Das fiel mir jedenfalls nachmittags um 16 Uhr auf, dass auf meiner Seite gar kein neuer Eintrag stand. Deswegen kriegt ihr heute zwei. Yay! (Aber erstmal muss ich überall aus „gestern“ „vorgestern“ machen. Moment.)

Für meine Leo-von-Welden-Arbeit wühle ich mich gerade durch die Kunstpolitik nach 1945, in die ich Leos Ausstellungen und Stilwechsel einordnen möchte. Der Mann engagierte sich schon sehr früh in gleich drei Kunstvereinen: in Bad Aibling, wo er von 1943 bis 1952 wohnte, in Rosenheim – da wusste ich aber nicht genau, ab wann – und in Bad Feilnbach, wo das Stadtarchiv beharrlich meine Mails ignoriert. Dann muss ich euch eben doch telefonisch belästigen.

Im Heimatmuseum in Bad Aibling hatte ich schon einiges gefunden, allerdings nicht genug, und auch hier warte ich noch auf eine Reaktion vom Stadtarchiv, bevor ich zum Telefon greifen muss. (Ich hasse telefonieren. Mails sind so schön praktisch und übersichtlich und nerven nicht.) Gestern fuhr ich nach Rosenheim, wo ich mir am Montag online einen Berg Zeug vorbestellt hatte. Als ich in Rosenheim aus dem Zug stieg, rief jemand meinen Namen – zwei meiner Kommilitoninnen hatten das gleiche vor wie ich. Und als wir im Archiv ankamen, saßen schon zwei weitere Kursteilnehmerinnen versunken über Papierbergen. Das war ein nettes Arbeiten, weil man zwischendurch was fragen oder mal fünf Minuten quatschen konnte, um den Kopf auszumachen.

Ich arbeitete fast fünf Stunden durch und schrieb so viel ab, dass ich für diesen Blogeintrag nochmal nachgucken musste, was denn überhaupt. Ich hatte mir alles vom Kunstverein ausheben lassen, was ich finden konnte, und blätterte gestern unter anderem in Zeitungsartikeln von 2015 bis in die 1930er Jahre zurück, in denen über den Verein berichtet wurde. Ich fand Kassenbücher, zwei komplette Jahrgänge von Rechnungen, die an den Verein gerichtet wurden – 1939 und 1940; das wäre auch ein schönes Projekt, die anständig aufzuarbeiten. Was sind das für Firmen, was haben die während der NS-Zeit gemacht, was danach, wer arbeitete mittelbar am Betriebssystem Kunst mit? Könnte man auch digital was Schickes draus machen, glaube ich. Hm. Hmmmmmmm.

Ich fand außerdem Sitzungsprotokolle, auf die ich gehofft hatte, aber leider nicht annähernd so viel, wie ich gebraucht hätte. Gerade über die sogenannte Gruppe 51 fand ich überhaupt nichts außer Erwähnungen in Zeitungsartikeln, und gerade hier hätte ich gerne Originale gehabt. Diese Gruppe gründete sich als Gegenbewegung zur vergangenheitsgerichteten Kunst und setzte sich aus vielen jungen Malern zusammen, die im NS-Staat nicht so recht zur Geltung gekommen waren – und Leo. Der fällt da völlig raus, aber anscheinend hat das niemanden gestört, dass der Mann zwischen 1933 und 1945 durchaus produzieren konnte. Ich weiß aus der Literatur um Auseinandersetzungen, zum Beispiel über eine geplante Ausstellung von Sepp Hilz und Paul Padua, aber auch darüber fand ich nur Anmerkungen, dass diese Ausstellung geplant sei und die Maler schon zugesagt hätten. Leider fand ich in den Originaldokumenten nichts darüber, wie’s dann weiterging.

Ich fand außerdem mal wieder bergeweise Ausstellungen, die noch nicht in der Forschungsliteratur zu von Welden verzeichnet sind und konnte mir auch notieren, welche Werke er genau wo ausgestellt hatte. Besonders spannend für mich waren Preislisten, auf denen er mit anderen Maler*innen verzeichnet war, einmal vor und einmal nach dem Ende der NS-Zeit. Das ist für mich wichtig, um seine Preisentwicklung nachzeichnen zu können. Und jetzt habe ich auch endlich Daten von anderen. Außerdem fand ich Leos Mitgliedsbeitragszahlung von 1950 in einem weiteren Kassenbuch des Kunstvereins Rosenheim, da habe ich dann jetzt auch ein Datum.

Total ausgehungert kaufte ich mir gegen 15 Uhr am Bahnhof Rosenheim einen Kaffee, fuhr nach Hause, guckte eine Folge Masterchef und machte mich dann zu F. auf, der fast zeitgleich mit mir ankam und Essen mitbrachte. Lecker Döner plus Fußball, danach eifriges Gin-Tonic-Genießen.

Was schön war, Montag, 21. November 2016 – Dächer und Keller

Das Rosenheimseminar ist immer eine Wundertüte. Mal eine kleine Dozentenlobhudelei: Der Mann ist total chaotisch, der Seminarplan eher ein grober Richtwert als ein Gerüst, die Referatsthemen entstehen gerne beim Brainstorming anstatt dass sie vorgegeben werden und wir überziehen ständig. Das würde mich in jedem anderen Kurs wahnsinnig machen, aber hier ist es total egal, denn der Mann weiß gefühlt alles, was mit dem Betriebssystem Kunst rund um die NS-Zeit zu tun hat. Jedenfalls entsteht dieser Eindruck bei den zehnminütigen Antworten, die er auf unsere Fragen hat, die vermutlich auch in einer Minute hätten beantwortet werden können, aber er kommt gerne vom Hölzchen aufs Stöckchen. Auch das würde mich in jedem anderen Kurs wahnsinnig machen, aber hier lerne ich mit jedem Nebensatz, jedem mal eben hingeworfenen Buchtitel, Künstler- oder Auktionshausnamen oder kunsthistorischem Desiderat eine neue Facette eben dieses Betriebssystems.

Gestern sprachen wir kurz über die Architektur des Hauses der (deutschen) Kunst, das in Stahlbetonbauweise errichtet wurde und nicht massiv, wie ich jetzt getippt hätte. Außerdem hat es ein Flachdach, was eigentlich nicht der NS-Ideologie entsprach, die sich im Dächerstreit (hier ein kurzer Erklärungsansatz) gegen das Bauhaus positionierte und eher Walmdächer als Flachdächer verbaute. Auf dem neuen Tempel der deutschen Kunst sitzt nun aber ein Flachdach, während zum Beispiel die (deutlich kleinere) Galerie Rosenheim, die sich architektonisch am Haus der Kunst orientiert, ein Walmdach hat. Auch die beiden neu errichteten NS-Gebäude, die Verwaltung und der Führerbau, heute Haus der Kulturinstitute (in dem unter anderem das Zentralinstitut für Kunstgeschichte sitzt) und Musikhochschule, haben Flachdächer. Darauf achtet man aber kaum, weil die Fassade so präsent ist.

Was ich außerdem lernte: dass unter der Galerie Rosenheim ein Bunker war, der damals wegen Bauvorschriften vom Ende der 1920er Jahre vorgeschrieben war. Unter öffentlichen Gebäuden mussten Bunker vorhanden sein, um im Falle eines Falles den Besucher*innen Schutz zu gewähren. Angeblich, aber da war sich der Dozent ausnahmsweise mal nicht sicher, ist das auch heute noch so. Nicht unter jedem neuen öffentlichen Gebäude, aber doch ausreichend viele pro Stadtteil, so dass die Bevölkerung Zuflucht finden kann. Seitdem überlege ich natürlich, ob unter der Pinakothek der Moderne ein Bunker ist.

Edit: Das ging schnell. Danke, @vicari: Baulicher Bevölkerungsschutz und das ganze auf München bezogen.

Meine 2 cents zu Kikis 2 cents

In den letzten Tagen wurde in meiner Timeline ein Artikel von Kiki sehr oft geteilt und abgefeiert, was mich etwas gewundert hat. Ich las ihn mehrfach, um zu verstehen, worum’s eigentlich geht, fand es aber nicht heraus; mir kam er wie eine Ansammlung von Klischees und schlechter Laune vor (dagegen ist ja nichts einzuwenden), aber er beklagt die „Arroganz der Linken“, die jetzt anscheinend schuld daran ist, dass schlecht bezahlte Menschen AfD und Trump wählen. Und gegen diese Deutung habe ich dann doch etwas einzuwenden.

Zuerst holt Kiki die grobe Keule raus und wettert gegen die überhebliche „linke Intelligenzia“, die ihrer Meinung nach so aussieht:

„Die „Wir nennen es Arbeit“-Romantiker, zumeist Akademiker aus dem, was wir in der Schule „Laberfächer“ nannten, bei denen es mehr auf Meinungen denn auf Fakten ankam, die Soziologie, Psychologie und Gendergedöns studiert haben oder mit ihren Macbooks im Café sitzen, Erdnussflips ironisch essen und sich ihr mehr oder weniger freiwillig minimalistisches Leben schönsaufen, die sind doch genauso betroffen von den negativen Auswirkungen der Globalisierung.“

Ich hätte die „linke Intelligenzia“ jetzt nicht unbedingt im Sankt Oberholz vermutet, sondern eher in Zeitungs- und Zeitschriftenredaktionen oder als Autor*innen von klugen Büchern und Blogs. Ich habe die „linke Intelligenzia“ auch nicht als diejenigen wahrgenommen, die Kiki mit „zynischen Witzen vom hohen Ross aus […] in der eigenen, kleinen, engen Filterblase“ genervt haben, aber über beides können wir gerne diskutieren. Sowohl im Oberholz als auch auf Twitter sind meiner Meinung nach auch eine Menge Leute unterwegs, die eher konservativ wählen und beide Gruppen waren in meinen Augen nicht unbedingt Meinungsführer – dafür sind die Menschen im Digitalen dann doch noch zu einflusslos.

Nach dem reißerischen Reinkommer, in dem Kiki mal eben die angebliche mittelose Intelligenzelite, die es meiner Meinung nach so nicht gibt, sondern die eine gehässige Klischeevorstellung ist, mit ausgestorbenen Handwerksberufen, die auch kein Geld mehr bringen, in einen Topf wirft, kommt sie zu dem Schluss, dass sich zu all diesem Elend noch die „klassische Linke in ihrem Elfenbeinturm, die in den Städten wohnt und sich als quasi-Hüterin der Moral und des Rechts begreift“ gesellt.

„Sie zeigt angewidert mit dem Finger auf die Wählerschaft von Trump, AfD, Front National, UKIP, Lega Nord und wie sie noch alle heißen, die rechten und jenseits von Rechts formierten Gruppierungen zwischen Moskau und Dublin, Oslo und Ankara.

Sie halten ihre hehren, gebildeten Gefühle für die einzig akzeptablen, lachen über die Landeier, Ossis, Dunkeldeutschen, anatolischen Bauern, Balkanspacken. Sie sind erschrocken und empört wenn rechtsnationale Einzeltäter Attentate verüben, rasend schnell mit Hitlervergleichen bei der Hand, wenn jemand CDU wählt und merken gar nicht, was sie da gerade tun.“

Hier geht mir jetzt einiges zu sehr durcheinander. Ohne dafür Zahlen zu haben, glaube ich, dass auch SPD-Wähler*innen Schwiegertochter gesucht gucken und damit die hehren Moralvorstellungen fies untergraben, dass es auch in ostdeutschen Städten genug Menschen gibt, die „Landeier“ für doof halten (und vermutlich umgekehrt) und dass so ziemlich jede*r, der*die links von der NPD steht, von rechtsnationalen Attentaten entsetzt ist. Warum man über anatolische Bauern und Menschen vom Balkan lachen sollte, weiß ich allerdings nicht, mir fallen da nicht mal Klischees sein. Das Elfenbeinturm-Bashing hat mich nach wenigen Absätzen latent genervt, aber das mag mein sensibles Seelchen sein, denn seit einem Jahr habe ich ja auch einen akademischen Abschluss und arbeite eifrig an einem zweiten. Komisch, dass ich jahrzehntelang auch als Nicht-Akademikerin ähnliche Wert- und Moralvorstellungen hatte wie heute.

Dann kommt noch ein kleiner Seitenhieb auf die Clinton-Wähler*innen, die sie auch deshalb gewählt haben, weil sie eine Frau ist. Lustig, dass den angeblich Abgehängten eine symbolische Wahl, nämlich die eines gefühlt starken Mannes, zugestanden wird, der anderen Seite aber nicht, die mit einer Frau an der Spitze der USA sicher auch ein Zeichen setzen wollte. Natürlich hatten wir schon andere weibliche Regierungschefs, worauf Kiki zu Recht hinweist, aber die Länder, die von ihnen regiert wurden, waren Pupsländer im Vergleich zu den Vereinigten Staaten. Nicht umsonst machen sich jetzt eine Menge Menschen auch außerhalb der USA Sorgen, eben weil deren Reichweite deutlich größer ist als die von zum Beispiel Island. Eine Präsidentin wäre ein deutliches Signal an alle amerikanischen Frauen gewesen, genau wie Obama ein Signal für die Schwarzen war. Aber für jemanden, die Geschlechterpolitik vermutlich unter „Gendergedöns“ abtun würde, mag das nicht so sein.

Aber zurück zum eigentlichen Wutanfall: Die großkotzigen linken Denker*innen, ob sie nun am Macbook oder im Elfenbeinturm sitzen, kapieren nicht, wie es zu AfD und Trump kam und sie sind überrascht vom „Arschtritt der Verachteten“. Schauen wir uns diese Verachteten doch mal an:

„Ich denke, das sind in der überwiegenden Mehrheit auch keine Nazis, Rassisten, Sexisten und was es sonst noch so für -ismen gibt, die den Mann gewählt haben. Das sind Menschen, denen schlicht das Hemd näher als die Jacke ist, lies: Sie sind weltweit seit rund 40 Jahren trotz harter Arbeit auf dem immer schneller absteigenden Ast und wissen, dass ihnen diese Talfahrt in erster Linie die (Sozial)Demokraten beschert haben, die linke Intelligenzia, die für alle Minderheiten ein Herz und großzügige Programme haben, ganz besonders für die eigenen Tasche, nur nicht für die künftige Minderheit – die der weißen Mittelschichtklasse.“

Es scheint hier gleichzeitig um die Menschen in den USA und der Bundesrepublik zu gehen, denn die Sozialdemokrat*innen dürften auf das Leben von Amerikaner*innen recht wenig Einfluss gehabt haben. Wenn wir uns nur die Bundesrepublik angucken, sollte man vielleicht erwähnen, dass die Sozis in den letzten 40 Jahren gerade mal in 13 den Kanzler gestellt haben und dass Angela Merkel seit 2005 Zeit hatte, die vielen schlimmen Minderheitenprogramme wieder rückgängig zu machen. Hat sie vermutlich aus guten Gründen nicht getan.

Die Mehrheit der Trump-Wählerinnen mag sich vielleicht selbst nicht als Nazi, Rassist oder Sexist bezeichnen, aber sie nimmt durch ihre Stimme in Kauf, dass sie von jemanden regiert wird, der all das zu sein scheint. Das ist für mich nicht viel besser und daher auch nicht durch das dusselige Argument zu entschuldigen, dass sie trotz harter Arbeit kein Bein mehr auf den Boden bekommen. Vor allem, weil genau die finanziell eher schlecht Gestellten mehrheitlich Clinton gewählt haben: Menschen mit einem Jahreseinkommen bis zu 50.000$ haben eher für die Demokratin gestimmt, reichere Menschen für Trump, wobei die Zahlen ab 100.000$ kaum noch auseinandergehen. Die Mär der sozial Abgehängten, die Trump vertrauen, ist schlicht falsch.

Bei der AfD sieht es nicht viel anders aus: Auch hier speisen sich die Wählerstimmen nicht ausschließlich aus ehemaligen enttäuschten Wähler*innen von linken Parteien. Bei der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern wanderten zwar 17% von der SPD zur AfD, aber auch 16% von der NPD. Der größte Teil der Wähler*innen hat einen Realschulabschluss (27%), 14% sogar einen Hochschulabschluss (verdammter Elfenbeinturm!), so dass man auch hier nicht pauschal sagen kann: Das sind die Abgehängten, die nur noch Berufe haben, die niemand mehr braucht. Warum die Menschen AfD wählen, scheint mir auch aussagekräftig:

„Und nur im Bereich Flüchtlingspolitik billigten die Befragten der Partei überhaupt nennenswerte Kompetenz zu: 17 Prozent gaben an, die AfD löse die Probleme in der Flüchtlingspolitik am besten. Alle anderen Themenfelder – Arbeitsplätze (drei Prozent), Bildungspolitik (vier Prozent), soziale Gerechtigkeit (sechs Prozent) – hätten die AfD kaum über die Fünf-Prozent-Hürde gebracht. Dem Selbstbild der AfD, die sich vehement gegen die Einstufung als Ein-Themen-Partei wehrt, entsprechen diese Zahlen nicht.“

Anders ausgedrückt: Den AfD-Wähler*innen geht es nicht um ihre Arbeitsplätze oder dass Minderheiten gefördert werden, was Kiki vermutet. Ihnen geht es um das Wahngebilde der angeblichen Flüchtlingswelle, die sie überrollt und meiner Meinung nach lassen sie sich da von Fakten auch nicht mehr beirren.

„Sich für Schwächere stark zu machen, das funktioniert nur so lange, wie man selbst keine Hilfe braucht. Tut weh, aber ist so. Gibt es rassistische Übergriffe, hässliche Attacken gegen LGBTQ-Menschen, Übergriffe gegen Muslima? Ja. Sind die entschuldbar? Natürlich nicht. Aber wann habt Ihr das letzte Mal die Meinung geändert, weil man Euch als Nazis oder Idioten beschimpft hat? Ach so, Hass ist keine Meinung. Ja, dann … brauchen wir ja auch nicht mehr miteinander reden, oder? Ist ja alles gesagt. Ich gut, du doof, hugh, ich habe gesprochen.“

Wenn ich mich an die Diskussionen in den Medien erinnere, gab es zwar wütende Stimmen, die die AfD-Wähler*innen als Nazis und Idioten beschimpften, aber der weitaus größere Teil räumte ihnen hübsche Plätzchen in Talkshows frei, schrieb sorgenvolle Kolumnen, wie man diese Menschen wieder dazu bringt, anständige Parteien zu wählen und ging sogar physisch auf sie zu, wie Claudia Roth bei den Einheitsfeierlichkeiten in Dresden, wo aber anscheinend niemand mit ihr reden wollte, sondern lieber weiter sinnlos rumbrüllte. Totale Überraschung. Deshalb habe ich auch keine Lust mehr, mit diesen postfaktischen Nasen zu diskutieren, denn genau das wollen sie ja gar nicht. Ich sehe keine Bereitschaft von AfD-Wähler*innen, mal mit Grünen- oder Linken-Wähler*innen zu reden, um ihren Standpunkt verständlich zu machen. Ich sehe nur Demonstrationen mit hasserfüllen Plakaten und Menschen, die selbst dann noch „Lügenpresse“ schreien, wenn die Medien ihr Material ungeschnitten online stellen, um zu zeigen, dass sie nicht manipulieren. Ich sehe bei Trump-Wähler*innen, soweit ich das berurteilen kann, auch eher Häme und Großkotzigkeit anstatt den Versuch, den Clinton-Wähler*innen die Sorge zu nehmen, dass unter einem Rassisten und Sexisten nicht alles schlechter wird.

Und da sind wir wieder bei den oben angesprochenen „hehren, gebildeten Gefühlen“, die, wenn ich Kiki richtig verstehe, total doof sind, weil sie auf gewissen Moralvorstellungen beruhen. Und das war der Punkt, an dem ich am längsten geknabbert habe. Ja, ich glaube, dass die Linke, ich nutze jetzt mal diesen Allgemeinplatz, sich völlig zu Recht etwas auf ihre Moralvorstellungen einbildet und deswegen geschockt ist, dass sie offensichtlich nicht von allen geteilt werden. Ich glaube, die Linke zeichnet sich durch progressives Denken aus, während die Rechte eher bewahren will. Das ist nichts Schlimmes, bringt uns als Gesellschaft aber nicht weiter. Ich (als Linke) empfinde es als wohltuend, dass immer mehr gesellschaftliche Gruppen laut werden und Rechte fordern, die jahrhundertelang nur der weißen, männlichen, heterosexuellen Oberschicht zugestanden wurden. Daher erfüllt es mich mit großer Sorge, dass diese Zugeständnisse anscheinend nicht nur nicht von allen geteilt, sondern sogar aktiv abgelehnt werden. Das liegt aber nicht daran, dass diese Menschen AfD oder Trump wählen, obwohl ich das auch zum Kotzen finde. Meine hehren, gebildeten Gefühle können schlicht nicht verstehen, warum jemand nicht möchte, dass es anderen genauso gut geht wie einem selbst. Das ist der Punkt, auf dem ich rumkaue und den ich nicht dadurch auflösen kann, indem ich AfD-Wähler nicht mehr Nazis nenne und sie auf einen Salbeitee einlade, so zum Reden. Dass auf einmal so simple Dinge wie Anstand oder Mitgefühl für Schwächere weggewählt werden, das macht mir Sorgen.

Die Verachtung, die Kiki der Linken unterstellt, gilt nicht denen, die kein großes Gehalt mehr nach Hause bringen. Die Verachtung gilt den Arschlöchern. Und das meiner Meinung nach völlig zu Recht. Es ist nicht mehr unsere Aufgabe, ihnen weitere Talkshow-Zeit zur Verfügung zu stellen, es ist nicht mehr unsere Aufgabe, ihnen liebevoll das verwirrte Köpfchen zu tätscheln. Es ist unsere Aufgabe, ihnen sehr deutlich klar zu machen, dass sie sich mit diesen menschenverachtenden Positionen außerhalb der Gesellschaft positionieren. Das mag eine riskante Strategie sein – die deplorables-Bemerkung hat Clinton sicher geschadet wie auch das „Pack“ von Gabriel –, aber ich glaube, dass die Beschwichtigungspolitik der letzten Monate uns nicht weitergebracht hat.

Was schön war, Samstag, 19. November 2016 – Ruhetag

Ich frühstückte zwei herrliche Brezn, noch warm vom Bäcker nebenan. Der kleine Laden hat vor einigen Monaten umgebaut, weswegen man jetzt doof auf dem Bürgersteig stehen muss, wenn die Schlange vor der Bedientheke etwas länger wird. Gestern regnete es leicht, aber ich kam kaum dazu, mir die Kapuze überzustülpen, als eine der beiden Angestellten mich reinwinkte: „Sie müssen doch nicht im Regen stehen. Wir merken uns einfach alle, wer als nächstes dran war.“

Ich las einen weiteren Comic von Isabel Kreitz: Die Sache mit Sorge: Stalins Spion in Tokio und lernte, dass es jemanden namens Richard Sorge gegeben hatte. Nie gehört.

Abends las ich noch Steffen Kvernelands Munch und freute mich über die herrlichen Bilder, aber weniger über den Rest des Buches. Ich fand keine wirkliche Story, sondern nur Fetzen aus Munchs Leben, die sich für meinen Geschmack auch zu sehr um Freunde wie August Strindberg und dessen kompliziertes Verhältnis zu Frauen drehten. Überhaupt kommen Frauen nur in den üblichen Klischeerollen gütige Mama/Tante/Schwester, nacktes Modell, dicke Hure oder total anstrengendes Wesen vor, das die armen Männer vom Arbeiten ablenkt, nur dadurch, dass es existiert. Komm mal klar, Junge.

Was mir allerdings sehr gefallen hat: dass Kverneland viele Werke Munchs in seine Zeichnungen einarbeitet und netterweise auch dazu schreibt, was es ist. Viel gelernt.

(Ach guck, das allererste Buch, das über Munch erschien, ist online lesbar.)

Es wurde gefühlt schon gegen 15 Uhr dämmerig, aber ich hatte noch keine Lust darauf, die ganzen Steh- und Tischlampen anzumachen, die in meinen Zimmern verteilt sind. (Ich hasse Deckenlampen.) Also zündete ich eine Reihe Teelichter und Kerzen an und genoss unter meiner flauschigen Decke, auf dem Sofa, mit einem Buch auf dem Bauch, das mummelige Licht.

Ich kochte Eintopf. Eins der vielen Dinge, die ich an Herbst und Winter mag: Man kann dauernd Eintopf essen.

Was schön war, Freitag, 18. November 2016 – Lesen (meine Standard-Überschrift, ich weiß)

Morgens fuhr ich zur von-Welden-Tochter, die mich wie immer erstmal bewirtete, bevor sie sich dazu bewegen ließ, mir Dokumente rauszulegen, was ich aber inzwischen ganz charmant finde. Erstmal bei Tee plaudern, dann über die Nachkriegszeit sprechen. Ich blätterte Kisten und Kästen von undatierten Zeichnungen durch und bekräftigte entschieden die Aussage der Tochter, dass man wirklich nicht jeden Fitzel, den der Mann mal bekritzelt hatte, aufheben muss. Dann guckte ich einige gerahmte farbige Bilder durch, die in einem großen Regal standen und erfreute mich ganz unwissenschaftlich an ihnen; die farbigen Werke aus den späten 50ern und 1960ern mag ich inzwischen wirklich gerne, mit den ganzen Zeichnungen kann ich bis heute recht wenig anfangen.

Ein paar Stunden später saß ich wieder im Zug, meinen Rucksack und meine Residenztheaterstofftasche vollgepackt mit Briefen an die Tochter und an Künstlerfreunde, dazu Unterlagen über Ausstellungen, meist erst nach seinem Tod, aber die will ich auch durchgucken, um Namen mitzukriegen, die mit ihm in Verbindung gebracht werden. Ich glaube, meine Arbeit wird sich eher um Künstlerkollektive drehen. Ich kann hier leider nicht gendern, denn anscheinend hat der Mann nur mit anderen Männern gemalt oder ausgestellt. Hmpf.

Außerdem im Rucksack: Schokolade. Ich kriege immer was mit, letztes Mal war’s Obst, dieses Mal Schokolade, weil ich schon so viel zu tragen hatte, die ist leichter. Es ist echt immer wie Oma-Besuchen.

Im Zug las ich weiter Ian Kershaws To Hell and Back (auf deutsch Höllensturz). Ich ahne allmählich, warum der Mann so erfolgreich ist: Er ist nicht nur ein guter Historiker, sondern er kann auch noch schreiben. Auf den ersten 100 Seiten geht’s um die Situation Anfang des 20. Jahrhunderts, die goldene Zeit, aus der dann eher zufällig und durch engstirnige Bräsigkeit ein Weltenbrand wurde. Ich las über die Entstehung des 1. Weltkriegs, seinen Verlauf und bin jetzt bei den direkten Nachkriegsauswirkungen. Das macht alles überhaupt keinen Spaß, liest sich aber wie geschnitten Brot; es ist wirklich eine Freude.

Ich habe gerade mal in die deutsche Leseprobe reingeguckt, die Übersetzung von Klaus Binder, Bernd Leineweber und Britta Schröder scheint auch gut gelungen zu sein, wobei sie natürlich das Problem haben, dass im Deutschen auch die schönsten kurzen englischen Sätze grundsätzlich länger und manchmal umständlicher werden. Mir ist dieser Effekt bei meinen eigenen Texten vor Kurzem aufgefallen; für ein kunsthistorisches Projekt wurden meine deutschen Texte ins Englische übersetzt, und auf einmal klang ich total kurz angebunden. Nicht mehr präzise und auf den Punkt wie im Deutschen, sondern wirklich sehr vereinfacht. Damit haderte ich etwas, aber ich wusste nicht, wie man das noch hätte ändern können. Was ich mir für den nächsten Textauftrag, der hoffentlich kommen wird, vornehme: gleich auf Englisch abgeben. Dann klinge ich wenigstens nach mir und nicht wie jemand, die keine Lust hat, längere Sätze zu formulieren.

Abends schnappte ich mir wieder eine Graphic Novel aus der Münchner Stadtbibliothek: Haarmann von Peer Meter und Isabel Kreitz. Auch dieses Buch macht natürlich überhaupt keinen Spaß, denn es geht um den Hannoveraner Serienmörder Fritz Haarmann. Ich habe es trotzdem gerne gelesen, denn die Zeichnungen haben mir gefallen und es war schön, die alte Heimat wiederzusehen. Jetzt weiß ich zum Beispiel, wie der Bahnhofsvorplatz Mitte der 20er Jahre ausgesehen hat. Außerdem ist mir mal wieder aufgefallen, wie sehr Haarmann mit Hannover verbunden ist; wenn ich darüber nachdenke, was man so mitkriegt, wenn man dort bzw. in der Nähe aufwächst, bestand Hannover für mich jahrelang aus Haarmann, Schwitters, dem größten Schützenfest der Welt (plus Lüttje Lage), den Nanas und den Herrenhäuser Gärten. Über letztere freue ich mich innerlich immer großkotzig, wenn ich durch Nymphenburg gehe und denke, ja gut, du hast nen tollen Kanal, aber die Gärten sind in Hannover hübscher. Auch Schleißheim konnte mich nicht so umhauen. Bei beiden Gärten fehlt mir das Intime, das Herrenhausen an einigen Stellen hat. Das ist nicht überall nur groß und weitläufig und „guck mal, was wir haben“, sondern dort finden sich auch Eckchen zwischen hohen Hecken, in denen plötzlich eine kleine goldene Statue steht oder ein Bänkchen zum Ausruhen. Ich müsste da eigentlich mal wieder hin.

Was schön war, Donnerstag, 17. November 2016 – Transkribieren

Ich habe weiter die Briefe von Weldens transkribiert – nicht alle, nicht jede Postkarte aus Italien, die er nach Bad Feilnbach geschickt hat, aber doch einen großen Teil. Allmählich kann ich seine Handschrift ganz gut entziffern, wenn auch nicht immer.

Was das Aufschreiben etwas erschwert, ist sein Freestyle-Deutsch. Er ist in Paris geboren und hat dort die ersten gut 15 Lebensjahre zugebracht, und auch wenn seine Eltern Deutsche waren, so schreibt er in einer manchmal seltsamen Grammatik, hört mitten im Satz auf oder wiederholt sich oft. Inzwischen lese ich seine Briefe wie einen langen Gedankenfluss, der nicht unbedingt irgendwo ankommen will, sondern manchmal einfach so vor sich hinrauscht.

„Und doch, ist das Malen so schwer, ich plage mich, u. finde die Ergebnisse/Verhältnisse [?] sehr undankbar u. doch muß ich malen, es steckt irgendwas dahinter, bloß ich finde mich darin noch nicht. Hin u. doch, habe ich das Gefühl darin zu jonglieren, aber es ist doch noch nicht so. Vielleicht will ich zu viel oder denke zu viel, oder mache zu viel, oder nehme ich zuviele Mitteln dazu, ich weiss es nicht, u. komme nicht dahinter. Ich glaube ich lerne mehr Weisheiten dahinter wie’s malen. Aber weisst Du, bloß Zeichnen kann ich auch nicht, irgendwie müßte ich dann alles umdrehen, vielleicht doch Bücher illustrieren. Aber Aufträge sind einerseits schön, andererseits fühlt man sich zu stark an Auftraggeber gebunden u. hat Hemmungen, aber es ist alles mit Dornen gespickt, bloß Du nicht. Du wirst sagen, es ist ironisch gemeint, aber man muss auch in einem Liebesbrief scherzen, denn ein bißchen Bosheit ist mir Bedürfnis. Gerade habe ich deine Stimme am Telefon gehört, sie klingt da ganz anders so aus der Brust voll herausgeholt, Du müßtest eine schöne Altstimme haben, aber Du hast mir noch nie was vorgesungen.“

(Leo von Welden an seine zweite Frau Josefa von Welden, 7.3.1949)

Was schön war, Dienstag/Mittwoch, 15./16. November 2016 – Trüffelschweinchen

Am Dienstag fuhr ich ins Heimatmuseum Bad Aibling. Leo von Weldens Atelier in München wurde im Oktober 1943 von einer Bombe getroffen, woraufhin er und seine Familie nach Bad Aibling umgesiedelt wurden. 1952 zog er dann nach Bad Feilnbach weiter. In dieser Zeit war er an der (Neu-)Gründung der dortigen Kunstvereine beteiligt, genau wie an dem in Rosenheim. Was mich in diesem Semester interessiert: Wie ging es nach 1945 für ihn weiter? Wo und was hat er ausgestellt, wenn überhaupt, und dafür sind Kunstvereine natürlich eine dankbare Adresse.

Im Heimatmuseum versorgte mich ein freundlicher Herr des historischen Vereins neben vielen mündlichen Anekdoten, die ich mir gerne anhörte, mit mehreren Mappen voller Zeitungsausschnitte und Korrespondenz. Nicht ganz so viel wie ich gehofft hatte, aber: Ich fand allen Ernstes in Bad Aibling den Zeitungsausschnitt aus Stuttgart über eine Ausstellung ebenda, den ich in der Stabi in München ergebnislos gesucht hatte. Außerdem kenne ich jetzt noch mehr Ausstellungen in München von vor 1945 von ihm, was mich zwar wieder ärgert, weil meine Hausarbeit nicht vollständig war, aber gleichzeitig bestätigt, weil ich richtg geschlussfolgert hatte: Der Mann hat durchgehend gearbeitet und ausgestellt und wurde in der Presse freundlich besprochen. Wobei es während der NS-Zeit, ich glaube ab 1935, aber nagelt mich darauf nicht fest, keine wirkliche Kunstkritik mehr gab, sondern nur noch eine Kunstberichterstattung, die das Positive an der Kunst vermittelt sollte und keine ernsthafte Auseinandersetzung mehr war.

Was ich spannend fand: In Bad Aibling wurde bereits 1946 wieder Kunst ausgestellt – aber natürlich eher die Maler, die vorher auch schon präsent waren. Noch bin ich auf keine*n Moderne*n gestoßen, aber das bestätigt das Narrativ, das wir in unserem Kurs belegen wollen: dass es eben keine Stunde Null gab, sondern im Kunstbereich eher erstmal so weitergemacht wurde wie vorher.

Außerdem fand ich einen Zeitungssauschnitt von 1950, in dem ein Zeichenkurs von Weldens angekündigt wurde: Für ein halbes Jahr lang konnte man sich von ihm das Handwerk beibringen lassen, für jeweils 30 Pfennig pro Abend. Ich bin immer dankbar, wenn ich irgendwo Zahlen finde, denn dadurch kann ich die Preise seiner Bilder besser einschätzen, die ich aus der Galerie Rosenheim und dem Lenbachhaus München habe. Zum Vergleich: Für eine Mappe mit sechs von Weldens Federzeichnungen, die zu den ersten Ankäufen der Galerie nach dem Krieg gehörte, zahlte die Galerie 1948 150 DM. 1944 wurde für fünf seiner Werke (meist Öl) noch jeweils 1200 RM gezahlt. Zum Vergleich: In der hochpreisigen Großen Deutschen Kunstausstellung war sein günstigstes Bild für 1600 RM verkauft worden. Ein Facharbeiter verdiente zu der Zeit ungefähr 2400 RM – im Jahr. Wie die Löhne um 1950 aussehen, muss ich noch recherchieren.

Auf der Zugrückfahrt blickt ich kurz von meinem Buch hoch und sah: Berge. Und wie immer, wenn ich Berge sehe, denke ich genau das: „Oh, Berge!“ Manchmal vergesse ich, dass ich nicht mehr in Norddeutschland wohne. Ich bin stets beeindruckt von diesen souverän rumstehenden Klötzen, die für mich immer noch überraschend plötzlich in meinem Blickfeld auftauchen. Das ist immer so ein bittersüßes Mittelding zwischen „Ich habe mich verändert“ und „Aber ich weiß noch nicht, wohin“.

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Gestern saß ich den ganzen Tag am Schreibtisch. Ich hätte auch in die Bibliothek fahren können, aber draußen regnete es so vor sich hin, ich hatte Tee und Kekse und noch tausend Aufsätze zu Amnesty International, und so saß ich da halt und las und lernte und merkte, wie ich immer ruhiger wurde, was nach den letzten angespannten Tagen durch die US-Wahl sehr schön war.