Was schön war, Mittwoch, 8. November 2017 – Stabi

Am Vormittag ließ ich mich mit dem Bus in die Stabi chauffieren. Dort ging ich zunächst in den Lesesaal für Alte Handschriften, den ich nicht so gern mag, weil ich in ihm nie eine Steckdose finde. Das macht mich bei längeren Sitzungen immer nervös, dass mein Macbook sich irgendwann verabschiedet, weil der Akku nicht mehr so irre lang hält. Aber manches kriegt man eben nur in diesen Lesesaal, so wie ich gestern diverse Ausgaben von Westermanns Monatsheften, in denen ich mir Abbildungen von einem Maler anschauen wollte, der zur NS-Zeit dort veröffentlichte. Ich blätterte durch die Jahrgänge 1935 bis 1939, fand spannende Bilder und noch spannendere Texte, die so gar nicht in die Zeit passen wollten. Ich lasse die Details hier mal sein, aber ich tippte recht viel in mein Stoffsammlungsdokument.

Nach zwei Stunden gab ich die Zeitschriften zurück und ging in den Allgemeinen Lesesaal. Dort stellte ich fest, dass man seine Bücher nicht mehr vom Regal zur Ausleihe tragen musste, damit sie dort verbucht werden, sondern sie liegen schon verbucht – mit rotem Stempel und Rückgabedatum – im Regal; man kann sie gleich an seinen Arbeitsplatz tragen. Wieder ein menschlicher Kontakt weniger, aber eigentlich sehr sinnvoll.

Ich hatte mir drei Kataloge zurücklegen lassen, von denen ich zwei nicht im ZI gefunden hatte. Die las ich genauso interessiert durch wie eben die Quelltexte – und stellte bei einer Autorin eine äußerst auffällige Textgleichheit fest. Schatz, wenn du schon Textinhalte übernimmst, die dir offensichtlich peinlich sind, weil sie 1935 entstanden sind, dann stell die Sätze doch wenigstens so um, dass man es nicht sofort merkt. Ich rollte mit den Augen und wollte ernsthaft das entsprechende Emoji in mein Dokument einfügen, bis mir einfiel, das Word keine Emojis verarbeiten kann.

Nach weiteren zwei Stunden legte ich die Kataloge zufrieden wieder in mein Regalfach und holte mir im Erdgeschoss noch ein letztes Buch von der Ausleihe, das ich mit nach Hause nehmen darf. (Immerhin eins.)

Das war eine sehr ertragreiche Sitzung. Ich befinde mich noch komplett am Anfang meines Rumlesens – ich habe eine Ahnung, wohin ich will, aber momentan sammele ich erstmal alles, was mir auffällt. Einer meiner Lieblingstweets stammt von @fischblog, ich zitiere: „Ich hab mal geschrieben, wenn man beim Recherchieren nicht ein, zwei mal seine Ansicht ändert, recherchiert man möglicherweise schlecht.“ Das geht in die gleiche Richtung wie die Aussage einer der Dozenten von F.: „If you know what you’re doing more than half of the time, it’s not research.“ (Dazu schrieb ich mal etwas ausführlicher.)

Ich erinnere mich, wie es mir am Anfang mit Lüpertz und Kiefer und den mir so unendlich lang scheinenden 20 Wochen Bearbeitungszeit für die Masterarbeit ging: Ich fing gefühlt in Trippelschritten an, las hier ein Stündchen und dort ein anderes, blätterte gefühlt sinnlos alles durch, was vor mir im Regal stand, guckte mir irgendwelche Quellen an, weil sie halt da waren und wusste wochenlang nicht, wo ich eigentlich hinwollte. Ich hatte schlicht noch zu wenig gelesen und gesehen, um eine konkrete Frage zu entwickeln. So geht es mir jetzt auch gerade, und natürlich schüchtert mich die nicht vorhandene Deadline für die Abgabe der Dissertation sehr ein. Ich brauche ein Ziel, auf das ich hinlese bzw. einen Termin, an dem ich weiß, ich muss irgendwas abliefern. Das muss ich mir jetzt selbst setzen bzw. den muss ich mir jetzt selbst machen. Momentan ist mein Kopf eher in der Werbung und der Akquise, aber seit gestern blubbern die ersten Fragen im Hinterkopf herum, was mich sehr freut. Ich weiß, dass ich diese noch achtzigmal umformulieren werde und vermutlich wird am Ende etwas ganz anderes auf dem Deckblatt stehen als das, was ich gerade im Kopf habe, aber es hat sich sehr gut angefühlt, wieder dieses Kribbeln im Nacken zu haben, wenn man etwas liest oder entdeckt, das nicht so ganz mit dem bisherigen Forschungsstand übereinstimmt und wo man entsprechend elegant ansetzen kann.

Ich habe auch immer meinen Doktorvater im Kopf mit seinen Abschiedsworten im Rosenheim-Seminar: „Wenn Sie aus diesem Seminar gehen und das Gefühl haben, alles anzweifeln zu müssen, dann ist das richtig.“ Auch dazu gab es gestern einen passenden Tweet: „Great mentors don’t tell you what to think. They teach you how to think.“

Mein Fahrrad vom Schrauber geholt, der mir zum wiederholten Mal sagte, dass ich wirklich ein schönes Fahrrad besäße. Danke – ich weiß. Ich fahre das sehr gern. (Das hier ist ein recht ähnliches Modell.)

Zuhause spontane Suppenlust verspürt und deswegen Lauch, Zwiebeln und Kartoffeln mit Brühe, Wein und Sahne – und einem Sieb – in eine feine Creme verwandelt. Ich werfe ja gerne noch Zeug zur Deko auf Suppen drauf, und gestern fiel mir ein halbes Döschen Mais im Kühlschrank ein, das gerne wegwollte. (Überbleibsel von extrem ungelungenen Maispfannkuchen.) Nur Mais war mir aber zu langweilig, aber ich hatte ja noch den schönen Koriander von vorgestern, also bastelte ich mit viel Chili und ein bisschen Öl eine kleine Salsa. Das war eine recht ungewohnte Kombi von süßlicher Schärfe mit bodenständiger Klassik, aber es schmeckte unerwartet gut.

Was schön war, Dienstag, 7. November 2017 – Lesen

Morgens fuhr ich mein aus unerfindlichen Gründen quietschendes Fahrrad zum Schrauber, der ihm das Quietschen austreiben soll. Dabei wurde ich von einem Autofahrer angemault, gefälligst den Radweg zu benutzen – ironischerweise fast direkt an einem Warnschild, das dort seit gefühlt zwei Jahren steht: „Radwegschäden.“ Der Radweg ist auch nicht mit einem der blauen Schilder bezeichnet, das heißt, es besteht eh keine Benutzungspflicht. Vielleicht könnte man im theoretischen Unterricht für den Führerschein die Neulinge darauf hinweisen, dass Radler*innen sehr oft völlig regelkonform auf der Straße fahren dürfen.

Bisher war ich eine Verfechterin von Radstreifen, also nur durch eine Linie abgetrennte Wege auf der Straße. Da die aber gerne zugeparkt werden, würde ich mich inzwischen über mit Pollern abgetrennte Wege freuen. Sieht scheiße aus, scheint aber nicht anders zu gehen.

(Ach, was reg ich mich auf.)

Nach tränenreichem Abschied vom Fahrrad – hey, ich sehe es jetzt 24 Stunden lang nicht – kletterte ich in Tram (TRAMFAHREN!) und Bus, um wieder nach Hause zu kommen, wobei ich noch ein paar Besorgungen erledigte. Unter anderem frischen Koriander, nur um dann zuhause festzustellen, dass die Avocado natürlich vergammelt war, zu der ich die Kräuter werfen wollte. Mistviecher.

In den irrwitzig kurzen Strecken, die man in München zurücklegt (München = Dorf), komme ich meist nicht mehr zum konzentrierten Lesen, aber immerhin, während ich an Haltestellen rumstehe. Gestern begann ich mein neues Buch Empire of Cotton, das ich bereits vor Monaten mal auf Deutsch aus der Stabi entliehen hatte. Die Übersetzung kam mir aber irre schnarchig vor, weswegen ich jetzt einen neuen Versuch starte und das englische Original lese. Mit derart plastischen Einleitungen kriegt man mich ja sofort:

„Today, cotton ist so ubiquitous that it is hard to see it for what it is: one of mankind’s greatest achievements. As you read this sentence, chances are you are wearing something woven from cotton. And it is just als likely that you have never plucked a cotton boll from its stem, seen a wispy strand of raw cotton fiber, or heard the deafening noise of a spinning mule and a power loom. Cotton is as familiar as it is unknown. We take its perpetual presence for granted. We wear it close to our skin. We sleep under it. We swaddle our newborns in it. Cotton is in the banknotes we use, the coffee filters that help us awaken in den morning, the vegetable oil we use for cooking, the soap we wash with, and the gunpowder that fights our wars (indeed, Alfred Nobel won a British patent for his invention of „guncotton“). Cotton is even a component of the book you hold in your hands. […]

Take a moment and imagine, if you can, a world without cotton. You wake up in the morning on a bed covered in fur or straw. You dress in woolens or, depending on the climate and your wealth, in linens or even silks. Because it is hard to wash your clothes, and because they are expensive or, if you make your own, labor-intensive, you change them irregularly. They smell and scratch. They are largely monochromatic, since, unlike cottons, wool and other natural fibers do not take colors very well. And you are surrounded by sheep: it would take approximately 7 billion sheep to produce a quantity of wool equivalent to the world’s current cotton crop. Those 7 billion sheep would need 700 million hectares of land for grazing, about 1.6 times the surface area of today’s European Union.“

(Sven Beckert: Empire of Cotton. A New History of Global Capitalism, London 2015, S. xii/xiii.)

Einer meiner Geschichtsdozenten, auf dessen Buchtipps ich immer viel gegeben habe, hatte uns das Werk als eine hervorragende Darstellung des 19. Jahrhunderts empfohlen. Ich musste auch an dieses Buch denken, als ich folgende Stelle in The Underground Railroad las, in der die Sklavin Cora, die bisher auf einer Baumwollplantage arbeiten musste, nach ihrer Flucht ihr erstes Kleidungsstück aus diesem Rohstoff trägt:

„Sam went upstairs and returned with clothes and a small barrel of water. “You need to wash up,” he said. “I intend that in the kindest way.” He sat on the stairs to give them privacy. Caesar bid Cora to wash up first, and joined Sam. […] Cora started with her face. She was dirty, she smelled, and when she wrung the cloth, dark water spilled out. The new clothes were not stiff negro cloth but a cotton so supple it made her body feel clean, as if she had actually scrubbed with soap. The dress was simple, light blue with plain lines, like nothing she had worn before. Cotton went in one way, came out another.“

(Colson Whitehead: The Underground Railroad, London 2017, S. 109.)

Zum Frühstück hätte ich gerne meine Zeitung gelesen, aber die war mal wieder nicht im Briefkasten. In der letzten Woche klickte ich auf der FAZ-Seite bereits an zwei Tagen auf die Schaltfläche „Zustellreklamation“, nach der ein Drop-Down-Menü folgt, bei dem man angeben kann, ob die Zeitung gar nicht oder verspätet kam oder sonst irgendwas. Gestern bei meiner dritten Reklamation folgte nach dem ersten Klick stattdessen die Aufforderung, sich telefonisch mit dem Aboservice in Verbindung zu setzen, gerne auch mit Rückrufservice. Quatsch, die paar Cent habe ich noch. Angerufen, brav ein Telefonmenü mit Sprachanweisungenn durchgespielt und sofort eine Mitarbeiterin drangehabt. Die Dame hörte sich meine winzige Beschwerde an und schenkte mir dann die drei verspäteten Ausgaben. Dankeschön!

Die Bundesliga hat alle Spiele bis Ende Februar terminiert. Das ist mir in dieser Saison noch wichtiger als sonst, weil mein Mit-Dauerkarteninhaber seine Stadionbesuche nach seinem beruflichen Terminkalender ausrichtet und ich daher von ihm Vorschläge bekomme, wann ich die Karte haben könne. Gestern sah ich, dass das FCA-Auswärtsspiel in Leipzig an einem Freitagabend war, woraufhin ich F. per DM fragte, ob man daraus vielleicht ein nettes Leipzigwochenende machen könne.

Gleich vier Wagner-Karten, um genau zu sein. Der Herr möchte sich mal RICHTIG Wagner geben, um meine Faszination zu verstehen. Ich bin sehr gespannt auf seine Reaktion. (Vermutlich redet er danach nicht mehr mit mir.)

Abends noch ein paar Folgen Outlander geguckt, wobei ich nicht weiß, ob ich die zweite Staffel auch noch sehen will. Die Story fesselt mich dann doch nicht genug, aber ich gucke mir irre gerne die Kostüme und vor allem die Landschaft der Highlands an. Wenn diese Serie nicht von Scotland Tourism mitfinanziert wurde, weiß ich auch nicht.

Was schön war, Montag, 6. November 2017 – Überraschung

Während morgens mein Kaffee durchläuft oder in der French Press vor sich hin… äh …sitzt und Aroma abgibt, räume ich mein Abwaschgestell leer, das ich jeden Abend zuballere. Ich drücke mich gerne um Staubsaugen und Fensterputzen, aber Abwaschen muss jeden Tag sein. Samstags bin ich manchmal nachlässig mit mir selber und wasche dann halt Sonntag Zeug von zwei Tagen ab, aber sonst räume ich jeden Abend die Küche so auf, dass man morgens sofort mit dem Kochen oder dem Zubereiten von Speisen anfangen kann, ohne zunächst die Spüle leerräumen zu müssen. Wie ich auch meinen Schreibtisch jeden Abend leerräume bzw. aufräume, um am nächsten Morgen frisch ans Werk gehen zu können, ohne das Gefühl zu haben, erstmal Ordnung schaffen zu müssen.

Ich hatte am Samstag Risotto gemacht und mit F. gemeinsam gegessen, wir hatten ein nettes Fläschchen Wein, und nach dem seltsamerweise stets anstrengenden Fußballnachmittag (man sitzt ja nur rum, aber ich bin danach immer müde) und dem schönen Abend zu zweit wollte ich bloß noch ins Bett und ließ daher den Abwasch stehen. Sonntag war ich kochfaul und ernährte mich von Jogurt, belegten Broten und Schokolade. Abends erledigte ich dann brav den Abwasch, denn auch bei belegten Broten fällt schließlich was an. Und Montag morgen wollte ich dann das saubere Geschirr verräumen, darunter auch die Suppenkelle, die ich für das Risotto gebraucht hatte. Die liegt in meiner Allzweckschublade neben Dingen wie Pürierstab, Kartoffelstampfer, Teigschaber, Korkenzieher etc. Also größeres Zeug, das nicht in meine beiden Vasen passt, in denen ich kleineres Werkzeug aufbewahre und die direkt an meiner Arbeitsfläche stehen: in einer Vase die kleinen Billoküchenmesser (die drei großen liegen brav alleine in ihren Schachteln, damit die Klingen nirgends gegendengeln), in der zweiten Pfannenwender und Kochlöffel aus Holz sowie meine geliebte Microplane-Reibe und eine Küchenschere. Das Zeug brauche ich dauernd, den Kram in der Schublade nicht. Ich zog also die Schublade auf – und sah folgendes:

Der kleine Racker hatte irgendwann Samstag abends noch eine dritte Reisetoblerone bei mir gelassen und sich, laut DM von gestern, schon gewundert, dass ich die noch nicht gefunden hatte. Da wäscht man EINMAL nicht gleich ab!

Ich war den ganzen Tag sehr gerührt. (Und muss bis Weihnachten keine Schokolade mehr kaufen. Okay, bis Anfang Dezember.)

Den Tag verbrachte ich zunächst mit dem Blogeintrag von gestern, der dann doch erstaunliche vier Stunden dauerte. Ich hatte ihn inhaltlich schon Sonntagabend im Kopf, war aber schreibfaul und dachte so launig, ach, schreibste morgens schnell runter. Ist klar.

Danach war wieder Schreibtischarbeit angesagt, zwischendurch holte ich die Sonntagsserien nach (Bob’s Burgers, The Last Man on Earth), dann gab’s eine Riesenportion Guacamole und ich ärgerte mich wieder darüber, dass ich keine Korianderplantage auf meiner Fensterbank habe, ich las Zeitung, und abends versackte ich vor Outlander. Ich wollte irgendwas Schnuffeliges gucken und Netflix spuckte mir eben Outlander aus bei „romantischen Serien“ oder wie auch immer die Kategorie heißt. Och jo. Das ließ sich nett nebenbei weggucken.

Gelesen: „The Underground Railroad“

Ich habe den kompletten Sonntag auf meinem Sofa verbracht, um das Buch durchzulesen, das ich am Samstag begonnen hatte: The Underground Railroad von Colson Whitehead, hier der Link zur deutschen Fassung, Übersetzung von Nikolaus Stingl. Nach dem Reinlesen in die deutsche Leseprobe glaube ich, dass die Übersetzung gut gelungen ist, denn was mir am Roman fast am besten gefallen hat, war seine unromanhafte Sprache, er liest sich fast dokumentarisch. Das ist allerdings auch genau die fiese Falle, in die man als Leserin tappt – man meint, historische Fakten mit einer Romanhandlung ummantelt zu lesen, was größtenteils falsch ist. Aber das hat mir noch vor der Sprache am besten gefallen.

Ich interessiere mich schon recht lange für den Amerikanischen Bürgerkrieg bzw. seine Vorgeschichte sowie die Zeit danach (Reconstruction). Neben Machwerken wie Vom Winde verweht, das ich mit 13 erstmals las und damit ein richtig schön falsches Bild der Südstaaten vermittelt bekam, habe ich aber, soweit ich mich erinnere, keinen Roman über diese Zeit gelesen, auch Onkel Toms Hütte nicht. Stattdessen las ich ausgezeichnete Werke wie James McPhersons Battle Cry of Freedom: The Civil War Era (hier auf deutsch), das ich schon hundertmal in diesem Blog empfohlen habe und ich höre auch nicht auf damit, sowie Eric Foners Reconstruction: America’s Unfinished Revolution, 1863-1877 oder Slavery By Another Name: The Re-Enslavement of Black Americans from the Civil War to World War II von Douglas Blackmon, das sich mit den Langzeitfolgen des Krieges beschäftigt. Daher wusste ich, dass die Underground Railroad nicht wirklich eine Bahnstrecke ist, sondern ein Netzwerk aus Menschen und Wegen, die geflohene Sklaven in den vermeintlich sicheren Norden brachten. „Vermeintlich“ wegen der Fugitive Slave Laws, die Sklaven nicht automatisch zu freien Menschen werden ließen, sobald sie die Südstaaten hinter sich gelassen hatten. Der Roman tut nun aber so, als ob die Underground Railroad genau das ist, wonach es klingt: eine unterirdische Bahnstrecke, von Unbekannten in die Felsen und in den Grund geschlagen, auf der Züge verkehren, die Sklaven und Sklavinnen schnell über weite Strecken transportieren.

Ich habe mich recht lange während des Lesens gefragt, warum Whitehead zu diesem Kniff gegriffen hat. Ohne jetzt groß Rezensionen gegoogelt zu haben, glaube ich, dass diese Möglichkeit des weiten Reisens (wenn man eine Flucht als Reise bezeichnen will) ihm schlicht die Möglichkeit gab, mehrere Staaten der USA und der späteren Konföderierten zu beschreiben bzw. ihre jeweilige Auffassung von Recht und Gesetz, dem Umgang mit der schwarzen Bevölkerung und der eigenen Geschichte. Teils fiktiv, teils immerhin historisch inspiriert. (Zum Beispiel das Kapitel zu Indiana.)

Die Sklavin Cora ist die Figur, der wir hauptsächlich folgen, aber wir erfahren in kleinen Einzelkapiteln auch Hintergrund zu anderen, zum Beispiel zum slave catcher Ridgeway. Dessen Vater war Schmied und sein Gehilfe, ein amerikanischer Ureinwohner, erzählte gerne vom great spirit, in dessen Namen nun auch der Vater arbeitete. Der Sohn schlug eine andere Karriere ein. Das Buch klingt streckenweise so, oft einen historischen Fakt (die Maßlosigkeit der Menschenjäger) mit einer deskriptiven und doch evokativen Sprache verbindend:

„Ridgeway gathered renown with his facility for ensuring that property remained property. When a runaway took off down an alley, he knew where the man was headed. The direction and aim. His trick: Don’t speculate where the slave is headed next. Concentrate instead on the idea that he is running away from you. Not from a cruel master, or the vast agency of bondage, but you specifically. It worked again and again, his own iron fact, in alleys and pine barrens and swamps. He finally left his father behind, and the burden of that man’s philosophy. Ridgeway was not working the spirit. He was not the smith, rendering order. Not the hammer. Not the anvil. He was the heat.“ (S. 96)

Das nächste Zitat hat mir besonders gefallen, was vermutlich am Gegenstand liegt, der hier beschrieben wird. Gleichzeitig schwingen zwei Dinge mit: dass Cora als Nicht-Mehr-Sklavin inzwischen lesen gelernt hat und dass ihr inzwischen Dinge gehören. Vieles, was sich ändert, wird so fast nebenbei abgehandelt; das Buch macht kein großes moralisches Fass auf. Das muss es gar nicht, die Diskussion um Sklaverei verbietet schlicht mehr als eine Seite oder Meinung. Aber wieviel sich ändert, nicht nur im Großen, sondern im Kleinen, vermittelt das Buch auf vielen Seiten in intimen Szenen wie dieser hier:

„The almanac had a strange, soapy smell and made a cracking noise like fire as [Cora] turned the pages. She’d never been the first person to open a book.“ (S. 301)

Wir lesen auch die Biografien von anderen Geflohenen, von Helfern und Helferinnen und auch von einer Angehörigen von Cora. Darauf habe ich das ganze Buch gehofft – ich hatte bräsigerweise das Inhaltsverzeichnis überblättert, in dem ich schon hätte sehen können, dass auch Coras Mutter ein paar Seiten gewidmet werden. (Daher ist das kein Spoiler. Hoffe ich.) Ein Hauptmotiv in Railroad ist das Entwurzeltsein, das Gefühl, nirgends hinzugehören. Zu wissen, man stammt aus Afrika, aber nicht zu wissen, woher genau, keine Familie zu haben, als Eltern in Sklaverei nicht zu wissen, ob man seine Kinder wachsen sehen wird, weil die Chance groß ist, dass sie verkauft werden, all das schwingt immer mit, wenn Cora nach ihrem Platz sucht.

(Kleiner Einschub: Die eigene Familie zu finden, beschäftigte ehemalige Sklaven und Sklavinnen noch lange Zeit. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts fanden sich in Zeitungen Anzeigen, in denen nach Familienmitgliedern gesucht wurden. (Foner 1988, 84.) Gleichzeitig gab es Lithografien wie diese hier, mit denen man einen eigenen Stammbaum begründen konnte.)

Cora macht sich außerdem Gedanken über die Weißen und ihren Umgang mit dem Land und den Menschen, die andere Hautfarben haben. Es wird oft angedeutet, dass die Vereinigten Staaten ein Land sind, das auf Verbrechen gegründet wurde: der Mord an den amerikanischen Ureinwohnern, die unrechtmäßige Landnahme und natürlich die Sklaverei, ohne die vor allem die Südstaaten nicht so einen großen wirtschaftlichen Aufschwung erlebten. Der allerdings immer noch geringer war als der der Nordstaaten: 1850 besaßen die Südstaaten gerade 18 Prozent der Produktionskapazitäten, obwohl sie 42 Prozent der Gesamtbevölkerung stellten. 70 Prozent der Baumwolle wurden in den Norden exportiert, wo die Webereien aus dem Rohstoff Kleidung herstellten, die zu höheren Preisen exportiert werden konnte. Nur fünf Prozent der Ernte wurde in den Südstaaten verarbeitet. (McPherson 1988, 91.)

Auch die Tatsache, dass in vielen Landkreisen der Südstaaten mehr schwarze als weiße Menschen lebten, wird angesprochen; einerseits hoffnungsvoll aus der Sicht von Cora, andererseits ängstlich aus der Sicht der Plantagenbesitzer und slave catcher, denen durchaus bewusst ist, dass sie im Falle einer Revolte zahlenmäßig weit unterlegen wären.


(Quelle: James McPherson, Battle Cry of Freedom. The Civil War Era, New York 1988, S. 101. Man sieht sehr gut, dass gerade die Gebiete, in denen die arbeitsintensive Baumwolle angebaut wurde, eine große schwarze Bevölkerung haben.)

In The Internal Enemy von Alan Taylor las ich, dass gerade die zahlenmäßige Überlegenheit das bescheuerte Denkgebäude der Sklavenhalter noch wackeliger machte. Ihre Begründung für die Rechtmäßigkeit von Sklaverei war, dass Schwarze minderbemittelt seien und die guten Weißen sich quasi um sie bemühten, indem sie ihnen ein Dach über dem Kopf und Nahrung zur Verfügung stellten – im „Tausch“ gegen Arbeitskraft. Ohne die Weißen wären die Schwarzen quasi hilflos. (Ich kann dieses paraphrasierte Zitat leider gerade nicht belegen, weil ich das Buch nur aus der Bibliothek geliehen hatte.) Dass diese Auffassung kompletter Blödsinn war, war den meisten spätestens nach den ersten Revolten klar, als sehr deutlich wurde, wie groß die Sehnsucht nach Freiheit war. Als der Anteil der schwarzen Bevölkerung immer größer wurde, nahm auch die Angst vor weiteren gewaltsamen Auseinandersetzungen zu. Auch deswegen neigten viele Sklavenhalter zu großer Brutalität – grausame Strafen sollten zur Abschreckung vor Flucht oder Ungehorsam dienen. Gleichzeitig durften diese Strafen aber nicht so schwer sein, dass Sklaven und Slavinnen arbeitsunfähig wurden, denn sie waren schlicht wertvolles Gut, für das man durchaus hohe Preise gezahlt hatte. (Der slave catcher im Buch spricht nie von he oder she, wenn er über die Menschen redet, denen er nachstellt, sondern stets von it, dem Besitz, dem Ding.)

In Railroad Unterground gibt es also diverse Themen, die angerissen und aus der Sicht von Cora geschildert werden. Whitehead beschreibt die verschiedenen Staaten, in denen Cora sich aufhält, unterschiedlich, und auch hier vermischt er wieder Fakten mit Fiktion oder deutet Dinge an, die noch nicht passiert sind. Der Roman scheint vor dem Bürgerkrieg zu spielen, aber als Cora sich in Tennessee bewegt, wird verbrannte Erde beschrieben, verkohlte Häuser, schwarze, kahle Bäume, was ich als Vorausahnung auf den Bürgerkrieg interpretieren würde. In einer anderen Situation erinnerte mich Cora an Anne Frank, was ich für keinen ganz schiefen Vergleich halte, in einer anderen an ausgestellte Menschen in Tierparks, auch hier in Deutschland. Ich weiß bei beidem nicht, ob es diese Vorbilder auch in den USA gab, aber ich hatte das Gefühl, dass Whitehead hier bewusst die Geschichte auf weitere Verfolgte weltweit ausdehnt. Auch daher halte ich seinen Kniff, die Underground zu einem echten Zug zu machen, für einen genialen Trick, um der Leserin eine viel größere Welt zu eröffnen – und damit eine Welt an Problemfeldern, die eben nicht auf eine kurze Zeit in den Südstaaten begrenzt und damit erledigte Geschichte sind, sondern bis heute vorherrschen oder einen Einfluss auf heutige Politik haben.

(Noch ein Einschub: Mit der unsäglichen Aussage John Kellys, der Bürgerkrieg wäre deshalb ausgebrochen, weil man keinen vernünftigen Kompromiss hatte finden können, hat sich unter anderem Ta-Nehisi Coates auf Twitter beschäftigt. Der Thread hat leider zu viele Antworten, um vernünftig angezeigt zu werden, aber ich fand den verlinkten Tweet mit dem Link zu einer Quelle sehr wichtig; in ihr wird ganz klar auf Sklaverei als Wirtschaftsfaktor hingewiesen, was die Entwicklung der Argumentation von Weißen beschreibt: vom angeblich guten Förderer der schwarzen Rasse zu ihrem Ausbeuter. Ich halte Coates für einen derzeit sehr wichtigen Autoren, der eine sehr herausfordernde und unbequeme Sichtweise auf die amerikanische Geschichte der Schwarzen hat, und verweise einmal mehr auf sein neues Buch mit Essays aus den vergangenen Jahren, darunter auch das meiner Meinung nach bahnbrechende und sehr informative The Case for Reparations.)

Zurück zu Underground Railroad: Während des Lesens erinnerte ich mich an viele der Dinge, die ich eben erwähnte, während ich andere nachschlagen musste, weil ich selbst nicht sicher war, was jetzt Fakt und was Erfindung war. Ich mochte dieses Leseerlebnis sehr gerne. Vielleicht inspiriert es Menschen, die noch nicht so viel zu diesem Teil der amerikanischen Geschichte gelesen habe, auch dazu, wenigstens mal in der Wikipedia rumzuklicken. Und neben dem Lerneffekt ist das Buch sehr unwiderstehlich geschrieben. Ich habe es, wie erwähnt, an knapp zwei Tagen durchgelesen und lege es euch hiermit sehr ans Herz. Auch wenn euch der Bürgerkrieg nicht die Bohne interessiert.

Tagebuch, Samstag, 4. November 2017 – Unentschieden

Ich begann den Tag mit hammerhartem Rumlungern. Keine Lust zu putzen, keine Lust einzukaufen. Ich daddelte Hay Day auf dem iPad, las Zeitung (pünktlich im Briefkasten!) und wartete darauf, dass es Mittag wurde, um mich für die Fahrt nach Augsburg in Stadionklamotten zu werfen.

Stadionklamotten und ich werden immer noch keine Freunde. Ich weiß nie, was ich anziehen soll – welches Trikot ist schon klar, aber: wieviele Lagen? Welche Jacke? Schon die Winterstiefel oder gehen noch Sneakers? In Augsburg kommt noch dazu, dass wir immer in der beknackten Sonne sitzen, das heißt, ich brauche meist ein Cap und meine Sonnenbrille, um das Spiel entspannt verfolgen zu können. Die wollen auch irgendwo untergebracht werden und damit entscheidet sich meist die Jackenfrage, denn meine schnuffelige MärzbisNovemberjacke von Nike, unter die eben ein bis drei Shirts kommen, hat gerade zwei lausige Taschen ohne Reißverschluss. Da passt nicht mal mein Sonnenbrillenetui rein. Ja, Etui, denn ich trage ja bereits eine Brille, die ich bei Sonne eben tauschen muss. Die hat natürlich geschliffene Gläser und war dementsprechend teuer, weswegen ich die nicht einfach so locker im Shirtkragen rumbaumeln lasse. Deswegen entschied ich mich gestern für die Regenjacke mit vier Taschen, zwei davon mit Reißverschluss, wo Dinge wie Asthmaspray und Hausschlüssel reinkommen. In eine der großen Innentaschen passen Cap und Brille, in die andere kommt meist mein Stadionbuch. Eintritts- bzw. Dauerkarte und Stadionbezahlkarte sowie Semesterticket (Ticket, Studi-Ausweis, Perso, ja, die MVG nimmt das Semesterticket sehr ernst) stecken in diversen Hosentaschen.

Ich finde es sehr angenehm, dass F. damit keine Probleme hat, wenn ich im Zug nicht dauernd reden, sondern lesen oder stumm aus dem Fenster gucken möchte. Er selbst zückt dann halt sein Handy und so zuckeln wir 40 Minuten schweigend gen Augschburg. Beim Abtasten am Stadioneinlass werde ich natürlich immer gutmütig angefrotzelt, ob ich ein so langweiliges Spiel erwarte, aber das ist okay, für Bücher rechtfertige ich mich gerne.

Beim letzten Spiel, wo es kühler war als gestern, trug ich unter der Regenjacke noch die Nike-Schnuffeljacke; auf die hatte ich gestern verzichtet, es sollten laut iPhone 14 Grad und Sonne sein. Waren es auch. In der ersten Halbzeit saß F. im Shirt neben mir, was mir ein winziges bisschen zu kühl war, aber es wäre noch gegangen. In der zweiten Halbzeit war die Sonne bereits hinter dem Stadion verschwunden, und es wurde merklich kühler. Ich fror nicht, aber eine zweite Jacke wäre auch okay gewesen. Vielleicht ahnt ihr jetzt, warum ich mir immer und ewig einen Kopf darüber mache, was ich im Stadion trage. Manchmal denke ich an eine Bekannte, die in der Allianz-Arena immer in der Südkurve stand und 90 Minuten anfeuerte: „In der Kurve wird dir nie kalt.“ Ich sitze dann aber doch lieber rum als zu hüpfen.

Das Spiel selbst war spannend und endete 1:1. Vor dem Spiel wäre ich total mit einem Unentschieden gegen Leverkusen zufrieden gewesen; nach dem Spiel war ich dann aber doch quengelig, weil mehr drin gewesen wäre.

Während des Spiels hörte man plötzlich ein lautes Brummen und ich wollte mich gerade an F. wenden und fragen, was das für ein Geräusch wäre, als ein ADAC-Hubschrauber direkt über dem Stadion auftauchte. Er überflog es aber nicht, sondern schien kurz über der Dachöffnung zu kreisen. Zuerst dachte ich, haha, da wollen die Piloten oder Pilotinnen nach einem Einsatz vielleicht noch ein bisschen Fußball gucken, aber der direkte Gedanke danach erschreckte mich dann selbst ein bisschen. Der Hubschrauber stand kurz über dem Rasen und ich dachte: Hatten wir Hubschrauber als Terrorwaffe schon?

Ich ärgerte mich selbst über den Gedanken, war die nächsten 45 Sekunden aber doch sehr angespannt, als ich dem Hubschrauber durch die durchlässige Fassade zusah, direkt neben dem Stadion zu landen. Wie wir abends nachlasen, hatte sich anscheinend ein Zuschauer verletzt und benötigte Hilfe. Ich ärgerte mich immer noch über meinen blöden Gedankengang. So ganz haben die Terroristen nicht gewonnen, weil ich und viele andere immer noch zu Großveranstaltungen gehen, Konzerte und Weihnachtsmärkte besuchen, Rad fahren und einfach unser Leben leben, ihr Arschlöcher. Aber ein bisschen sind sie anscheinend doch in meinem Kopf.


Stadionbuch. Macht vom Thema her natürlich überhaupt keinen Spaß, liest sich aber bis jetzt unwiderstehlich.

Wir fuhren ähnlich schweigend zurück wie wir hingefahren waren. Abends bekochte ich F. noch mit Kürbisrisotto, das von diesem Spiegel-Rezept inspiriert war. Den Schinken habe ich mir geschenkt, und auch die verschieden geschnittenen Kürbisstückchen habe ich vereinfacht (Einheitsgröße FTW), aber was richtig toll war: weißer Pfeffer. Der brachte einen mir bisher ungekannten Geschmack ins Risotto, das ich bis auf die Zugabe von Kürbis und weißem Pfeffer wie immer zubereitete – Butter, Zwiebeln, Reis, Weißwein, Hühnerbrühe, Parmesan. Und ständig rühren! Ich weiß, darüber gehen die Meinungen auseinander, aber ich gehöre zum Team Ständig Rühren.

Tagebuch, Freitag, 3. November 2017 – Bürotag

Nachtrag zu gestern: Die FAZ kam irgendwann noch, das ND nicht mehr (egal, hat mich ja nichts gekostet). Im Flur traf ich meine Nachbarin, die gerade die ebenfalls verspätete Süddeutsche aus dem Briefkasten fischte und meinte, ihr hätte der Austräger gesagt, die Lieferung sei so spät angekommen.

Kleine Beobachtung nebenbei: Seit ich selber Zeitungen aus dem Briefkasten hole, fällt mir auf, wieviele andere im Haus auch eine beziehen – und auch die Bandbreite fällt auf. Neben den schon genannten sah ich noch den Merkur und die tz. Bisher noch keine taz. Und mit der FAZ falle ich auch sehr raus.

Ich verbrachte den Großteil des Tages am Schreibtisch, eher werbisch als kunsthistorisch. Neben dem üblichen Bürokram (Steuer, Ablage etc.) bastelte ich ein neues PDF, mit dem ich meine ganzen Belege mal hübsch präsentieren kann. Meine olle Arbeitsseite ist schon sehr in die Jahre gekommen und eine Dame mit Wissen um die Branche meinte neulich mal, kein Mensch klickt sich durch Websiten, alles wollen bloß ein PDF durchscrollen. Stimmt vermutlich. Also bastelte ich ein PDF. Das liegt jetzt noch ein paar Tage rum, dann gucke ich, ob es mir immer noch gefällt, und dann starte ich die nächste Akquiserunde.

Als täglichen Spaziergang den Weg zur Buchhandlung mit einem Umweg genommen. Dort ein bestelltes Buch abgeholt, das ich verschenken will. Aber wie das so ist mit Buchhandlungen hatte ich natürlich noch eins für mich dazubestellt. Aus Erfahrung weiß ich, dass es schlicht nicht möglich ist, nur ein einzelnes Buch zu kaufen.

Keine Lust zum Kochen gehabt, stattdessen eine Avocado auf frisches Weißbrot gehauen. Viel Tee getrunken. (Hach, Herbst!)

Was schön war, Donnerstag, 2. November 2017 – Doppelschokolade

Morgens stapfte ich erwartungsvoll zum Briefkasten, denn in ihm vermutete ich gleich vier Zeitungen: zweimal die FAZ und zweimal das Neue Deutschland, von dem ich mir ein Probeabo gegönnt habe. Zweimal pro Zeitung, weil am Mittwoch in Bayern Feiertag war, in einigen anderen Bundesländern aber nicht, weshalb da die Zeitungen normal erschienen, und als Abonnentin kriege ich alles, was erscheint, halt nachgeliefert.

Stattdessen starrte ich in einen leeren Briefkasten und war verstimmt, weil ich es mir angewöhnt habe, schon beim Frühstück ins erste Buch der FAZ reinzulesen, auch wenn ich es nicht komplett schaffe. (Ich fange immer brav vorne mit Politik an.)

Ich beschwerte mich online bei der FAZ, quengelte sinnlos in mich rein und bereitete mich weiter auf ein berufliches Gespräch am frühen Nachmittag vor. Dazu ging ich gegen 13 Uhr aus dem Haus und guckte noch mal in den Briefkasten – wo vier Zeitungen auf mich warteten. Die habe ich gestern natürlich nicht mehr alle geschafft, aber nach dem ersten Eindruck werde ich das ND-Abo vermutlich nicht in ein reguläres umwandeln.

Das Gespräch war sehr angenehm; es hatte was mit Werbung zu tun und ich freute mich darüber, mal wieder selber zu merken, was ich alles kann, in was ich allem gut bin und wie ich mir die berufliche Zukunft vorstelle. Mal sehen, was draus wird.

Abends konnte ich endlich F. wieder in die Arme schließen. In den letzten Wochen war ich ja ewig krank und schlief daher brav alleine, und dann, als ich wieder gesund war, fuhr der Herr am letzten Freitag weg, um sich Sport und Kunst in fremden Ländern anzugucken. Das einzig Gute daran: Ich bekomme von seinen Reisen immer Flughafenschokolade mitgebracht, weil ich der festen Überzeugung bin, dass Flughafentoblerone besser schmeckt als Supermarkttoblerone. Gestern erhielt ich sogar die doppelte Menge: „Ich konnte mich bei den Botschaften nicht entscheiden.“

Und dazu gab’s ein Gläschen Honig von den Bienen auf der Tate Modern, was mich sehr gefreut hat. Ich habe es noch nie geschafft, Honig von der Bayerischen Staatsoper zu bekommen oder von den Pinakotheken – und das, obwohl letztere den besten Twitter-Namen aller Zeiten für ihre Völker haben: Bienakotheken.

Heute war die FAZ wieder zu spät, das ND ist noch nicht aufgetaucht. *krückstockfuchtel*

Was schön war, Mittwoch, 1. November 2017 – Im Olympiapark

In der eigenen Stadt unternimmt man ja nie die Dinge, die man Besucher*innen von auswärts empfiehlt. (Man = ich.) Ich wohne nun seit fünf Jahren in München – ich unterschrieb den Mietvertrag laut meines eigenen Blogeintrags, den ich eben gesucht habe, am 30. Oktober 2012 – und war erst einmal im Olympiapark und da wohnte ich noch nicht einmal hier. Das war am Tag des Finale dahoams (the game that should not be named), als vor dem eigentlichen Spiel in der Allianz-Arena noch ein bisschen Ringelpiez-Fußball mit alten Allstars im Olympiastadion stattfand. Schon damals war ich von der Anlage fasziniert, hatte aber ganz andere Dinge im Kopf. Jetzt, mit ein bisschen mehr Wissen über Stadionarchitektur und einem freien Tag vor mir, wollte ich noch einmal durch den Park spazieren.

Ich ließ mich vom Bus bis zur Station Olympiaberg chauffieren, denn ich wollte erstmal auf den Berg klettern, um von dort einen Überblick über die gesamte Anlage zu haben. Ich hatte allerdings meine gute Kamera nicht dabei, sondern nur das iPhone. Damit hätte aber auch niemand rechnen können, dass ich aus meinem Spaziergang einen Blogeintrag mache, neinnein. (Ich Hirn. Irgendwann lerne ich dieses Bloggen noch mal richtig.)

Der Olympiaberg wurde zwischen 1947 und 1958 aus Weltkriegsschutt zusammengehäuft. Ich bin nicht ganz bis zum Gipfelkreuz geklettert, sondern gefühlt in dreiviertel Höhe herumspaziert. Wenn das Stadion zum ersten Mal sichtbar wird, sieht es ein bisschen wie ein Ufo aus. Wenn ihr mal zum eben verlinkten Wikipedia-Eintrag klickt, bekommt ihr schöne Hochglanzbilder. Ich mochte es im Nachhinein ganz gerne, dass alles grau in grau war, das verstärkte die irreale Architektur noch mehr.

Der gesamte Olympiapark wurde als bewusstes Gegenstück zum Reichssportgelände von 1936 entworfen, als die bis dahin letzten Olympischen Spiele in Deutschland bzw. dem Deutschen Reich stattfanden. Ich zitiere mal meine eigene Hausarbeit über Sportstadien; ihr findet das Zitat mit allen Quellenangaben auf den Seiten 6/7:

„In Amsterdam 1928 wurden die zusätzlichen Sportanlagen städtebaulich um das Stadion herum gruppiert; es entstand die erste olympische Gesamtanlage. Die Spiele in Berlin 1936 gingen über diese reine Sportanlage deutlich hinaus: Auf dem sogenannten Reichssportfeld entstanden zusätzlich zum Stadion für 100.000 Zuschauer noch „einer einheitlichen Pflege des deutschen Sports dienende[…] Bauten mit Gedächtnis- und Versammlungsstätten der Nation, mit Theater[n] und Denkmälern in einem Festraum vereinigt“.

Geplant wurde das Stadion bereits 1925 von Werner March (1894–1976); die Nationalsozialisten veränderten den modernen Entwurf während der Bauphase zu einem imperialen Monumentalbau im Sinne der staatlichen Überwältigungsarchitektur. Neben dem Stadion lag das Maifeld mit Tribüne, auf dem 250.000 Menschen aufmarschieren konnten. Das Marathontor im Stadion gab den Blick frei auf einen Glockenturm am westlichen Ende des Maifelds, der über der Langemarckhalle stand, in dem deutscher Toten des Ersten Weltkriegs gedacht wurde. Damit war erstmals ein Sportstadion der Neuzeit nicht nur Teil einer staatlichen Repräsentation, sondern seiner Ideologie: Die Spiele sollte nicht nur die Aufrüstung für einen neuen Weltkrieg verschleiern, sondern auch die angebliche Überlegenheit der arischen Rasse demonstrieren. Die Monumentalarchitektur war die Bühne dieser Ideologie.

An den Spielen in München 1972 lässt sich gut ablesen, wie sehr sich das Selbstverständnis eines Staates ändern kann. Die „heiteren Spiele“, die „Spiele im Grünen“, waren architektonisch ein deutlicher Gegenentwurf zu Berlin: „Statt in geordneten Marschkolonnen und in geometrisierter Kanalisierung bewegten sich die Menschen im freien Fluss, im hügeligen Park, unter einer lichtdurchlässigen Zeltlandschaft, geleitet von heiteren Farben zur Orientierung.“ Bei den „heiteren Farben“ hatte man bewusst auf Rot verzichtet, um auch die letzten Assoziationen zu den Berliner Spielen zu tilgen.“

Und auf Seite 8:

„Das Münchner Olympiagelände inklusive des Stadions war von Anfang an Teil einer zukunftsfähigen Stadtplanung. Zur Vorbereitung der Spiele wurde die Münchner Innenstadt fußgängerfreundlicher gestaltet, die öffentlichen Verkehrsmittel wurden verbessert, 233 neue Straßenkilometer gebaut sowie diverse Einkaufs- und Übernachtungsmöglichkeiten geschaffen. Das Gelände ist bis heute ein beliebter und belebter Park, und aus dem Olympischen Dorf wurden begehrte Miet- und Eigentumswohnungen. Das Stadion selbst war zwar nicht als bauliche Ikone geplant, sein charakteristisches Zeltdach ist aber inzwischen aus der Stadtsilhouette nicht mehr wegzudenken.“ Das liegt auch daran, dass die Bürger und Bürgerinnen für den Erhalt der olympischen Anlagen kämpften. Nicht in jeder Stadt blieben die Stadien bestehen.“

Eine Fußnote dazu:

„Olympiagelände-Architekt Günter Behnisch schrieb 1987: „Im Bild des Olympiaparks hat sich die Überdachung stärker in den Vordergrund geschoben als dies zunächst geplant war. Ihrer sichtbaren, auffälligen Form wegen […] So übersieht man leicht, daß das Wesentliche unseres Entwurfes unter und neben dem Dach liegt; es ist die Sport- und Spiellandschaft, der Münchner Olympiapark.“

Diese Sport- und Spiellandschaft ist deutlich größer als ich dachte. Ich kannte den Park bisher nur aus der Gegenrichtung, als wir mit einem Uni-Seminar die BMW-Welt besuchten und über ihre ikonische Architektur sprachen. Von einer nahegelegenen Brücke aus ist das Stadiondach sichtbar, aber wie groß der Park mit seiner Seenlandschaft eigentlich ist, konnte ich erst gestern erfassen.

Ich ging am See entlang und überquerte ihn am Fuß des Bergs in Höhe des Olympiaturms. Dort beginnt die Zeltlandschaft; das Zeltdach vom Olympiastadion ist nicht das einzige Gebäude, das mit dieser irrwitzigen Konstruktion überspannt ist. Als erstes wurde die Schwimmhalle sichtbar, die so aussieht, als würde der gewaltige Mast das Dach nach oben ziehen. Hier sind auch schon weitere Stahlseile sichtbar, die auf dem gesamten Gelände immer wieder auftauchen und einen ständig daran erinnern, wie diese Dachlandschaft konstruiert ist. Ich mag diese sichtbare Architektur sehr gern.

Direkt neben der Schwimmhalle liegt die Olympiahalle, die heute unter anderem für Konzerte genutzt wird. Zwischen den beiden Gebäuden geht man durch die Dachlandschaft hindurch. Das sieht auf den Bildern übrigens alles gammeliger aus als es ist. Ich fand es zauberhaft, vor allem den Kontrast aus dem leichten und stets gespannt aussehenden Dach und den massiven Betonblöcken, aus denen die Stahlstützen sprießen.


Wenn man durch diesen Kristallwald gegangen ist, steht man an der Längsseite des Olympiastadions, von dem man nur die schrägen Flutlichtmasten sieht. Geht man nach rechts, kommt man an die alten Olympiakassen mit ihrer dreisprachigen Beschriftung. Okay, die sehen wirklich so gammelig aus und sie sind auch nicht mehr in Benutzung. An einer neueren Kasse kann man sich für 3,50 Euro eine Eintrittskarte fürs Stadion kaufen und dort herumwandern.

Hier sieht man an der Säule die angesprochenen Farben, in denen kein Rot vorkommt. Und natürlich die herrlichen Piktogramme von Otl Aicher. (Gestern war offensichtlich kein Biergarten- und Ausflugswetter. Also genau mein Ding.)

Der einzige Weg durch das Stadion führt einmal außen und oben an den Sitzreihen entlang. Auf halber Höhe hat man dann diesen Ausblick.

Für mich war das eine kleine Mutprobe, einmal bis nach ganz oben zu den alten Kommentatorenkabinen zu wandern. Ich fühle mich schon auf Leitern in Altbauwohnungen in zwei Meter Höhe nicht so recht wohl, und hier geht man auf einem einen Meter breiten Betonsteg nach oben bis in circa 40 Meter Höhe, der links zu den Sitzen offen ist und rechts nur mit einem Gitter und Geländer vor dem Abgrund schützt. Ich hielt mich mit der rechten Hand konstant fest und blickte immer ins Stadioninnere. Ab und zu wagte ich einen Blick nach rechts, um die massiven Pfeiler zu bewundern, an denen die Dachkonstruktion hängt, aber nie lange. Ich fand das sehr unangenehm, dort oben rumzuturnen. Außerdem fiel mir auf, dass es im gesamten Stadionrund keine Geländer und nur wenige Trennzäune gibt; die Sitze sind kaum unterteilt, man kann durch fast alle Blöcke einfach hindurchwandern. Das klappt soweit ich weiß in keinem modernen Stadion mehr, vermutlich aus Sicherheitsgründen (marodierende Fanhorden und so, kennt man ja, schlimme Fußballfans. Daher auch immer die Blocksperre für Gästefans nach Abpfiff). In der Allianz-Arena gibt es an den Treppen in den Blöcken auch keine Geländer, was mich jedesmal irre macht, weil ich mich halt gerne ab und zu irgendwo festhalte. Die Blöcke sind in neuen Stadien deutlich steiler; man kann dadurch eindeutig besser Fußball gucken, aber es geht eben auch sehr steil auf- und abwärts. Gerade abwärts freue ich mich über etwas, das mir fußlahmen Fan etwas Sicherheit bietet. In Augsburg sind an den einzelnen Sitzreihen Metallstäbe, an denen ich mich wenigstens temporär festhalten kann. In der Allianz-Arena greife ich durchaus mal nach der Schulter eines Vordermanns, wenn ich das Gefühl habe, nicht sicher zu stehen. Das führt meist zu freundlichen Kennenlernsituationen; ich habe bis jetzt jedenfalls noch keinen Ärger bekommen, wenn ich erkläre, dass ich wackelig stehe. Ist trotzdem doof, wildfremde Menschen angrabschen zu müssen, weil es sonst nichts anderes zum Festhalten gibt. (Kleiner Exkurs Ende.)


Wenn man das Stadion einmal halb umrundet hat, kommt man an der nicht überdachten Seite wieder heraus. Dort bewunderte ich die schon erwähnten schrägen Flutlichtmasten, die gefühlt an einem seidenen Faden hängen, um nicht umzukippen. Die Masten und das Dach sehen aus, als würden sie konstant unter Spannung stehen; die Neigung der Masten verstärkt dazu noch das Gefühl von Dynamik, das bereits das Dach erweckt, alles scheint sich zum Innenraum zu neigen und zu drängen. Sportstadien sind ja gerne massive Klötze, die brutal in der Gegend herumstehen. Das Olympiastadion vermittelt einen ganz anderen Eindruck, es wirkt leicht und offen, einladend und fast bewegt. Ich konnte mich überhaupt nicht sattsehen.

Von der nicht überdachten Seite sieht man noch einmal das Schwimmstadion.

Und nach den vorhin schon gezeigten Olympiakassen geht man durch eine weitere zerklüftete Dach- und Seilkonstruktion und verlässt das Olympiagelände in Richtung U-Bahn und BMW-Welt. Unten im Bild, unter der tiefsten Zeltwölbung, ist ein parallel zur Erde ausgerichteter Balken zu sehen.

Das ist die Skulptur „Klagebalken“ von Fritz Koenig. Auf ihm sind die Namen der elf israelischen Opfer in Hebräisch sowie der Name des deutschen Opfers des Olympia-Attentats 1972 in lateinischen Buchstaben eingemeißelt.

Als ich den Klagebalken betrachtete, fiel mir ein, dass erst in diesem Jahr ein neuer Erinnerungsort eingeweiht wurde. Hatte ich den übersehen? Ich wusste nicht, wo er war und wie er aussah. Aber ich ahnte, dass ich auf ihn zulief, als mir kurz vor der U-Bahn-Station eine Art abgetragene Grasnarbe auffiel. Es sieht aus, als hätte man die Rasenfläche um zwei Meter angehoben, um darunter einen kleinen Ort des Gedenkens einzurichten. Eine breite Stele trägt das Dach, der dadurch entstandene Raum ist zu drei Seiten geöffnet, die vierte Wand ist eine Videowand, auf der Filmausschnitte aus der Zeit des Attentats laufen. Ich sah unter anderem Ausschnitte aus der Rede von Avery Brundage mit seinen bekannten Worten: „The games must go on.“ Vor der Videowand standen einige Teelichter.


Auf der breiten Stele sind die Biografien der zwölf Getöteten in deutsch und englisch abgedruckt. Alle enden mit der Abbildung eines persönlichen Gegenstands; der letzte Brief, den einer der Athleten schrieb, die Kippa, die alle israelischen Sportler für die Einmarschzeremonie erhalten hatten oder das Stoffmaskottchen Waldi, das André Spitzer für seine Tochter gekauft hatte.

Ich wunderte mich zunächst über den Standort des Memorials, es kam mir so seltsam in die Landschaft gesetzt vor. Erst als ich die Stele umwanderte, wurde mir klar, warum es hier stand: Von der einen Seite blickt man auf das Olympiagelände, den Ort, weswegen die Menschen alle hier waren; von der anderen Seite sieht man genau auf das olympische Dorf, dem Tatort des Anschlags.

Ein bisschen stiller als gedacht ging ich zur U-Bahn. Rechts davon tauchte die BMW-Welt auf, deren Architektur ich eigentlich ziemlich beeindruckend fand, als ich sie mit dem Seminar genauer betrachtet hatte. Jetzt, mit den Eindrücken des Olympiageländes, kam sie mir plötzlich ziemlich banal vor.

Was schön war, Montag, 30. Oktober 2017 – Festessen

Vor dem Wecker wachgeworden, weiter im Bett rumgelungert und Twitter gelesen. Entspannt den Tag begonnen: Flat White genossen, gelesen, dann auf den Weg ins Zentralinstitut für Kunstgeschichte gemacht. Mein Fahrrad macht gerade seltsame Geräusche und wartet darauf, dass ich es endlich zum Schrauber fahre, weswegen ich derzeit mit der U-Bahn unterwegs bin. Schon auf dem Weg von der Station zum ZI dachte ich, das ist echt ein schöner Arbeitsweg, den ich gerade habe. Auf dem Rückweg habe ich ihn dann fotografiert.

Im ZI war totaler Brückentag. Zunächst dachte ich, ich wäre allen Ernstes alleine im Lesesaal, aber gerade als ich mich umdrehte, um mit dem iPhone ein Beweisfoto zu machen, entdeckte ich in der Ecke vor den Handapparaten noch eine Dame. Also fast alleine. Nur wir und die etwas zu engagiert angestellte Heizung. (Es wurde nach und nach noch etwas voller.)

Ich beschäftigte mich aus Gründen mit Carl Grossberg, von dem es nicht so irre viele Ausstellungskataloge gibt. Die Kunstgeschichtsschreibung hat sich anscheinend nach der Ausstellung zu seinem 100. Geburtstag 1994 eine Pause gegönnt; einzig eine Galerie hier in München stellt ihn regelmäßig aus und veröffentlicht auch kurze Kataloge zu ihm – die geben textlich allerdings meist nicht ganz so viel her. Wobei ich den letzten aus diesem Jahr für mich aufschlussreich fand, denn dort schrieb Olaf Peters, den ich sehr schätze. Tollerweise kann man den Katalog als PDF anschauen und herunterladen. Ich hatte die letzte Ausstellung hier in München auch gesehen und war sehr versucht, mein schmales Konto für ein Aquarell von Grossberg zu plündern, konnte mich aber gerade noch beherrschen, wenn auch sehr betrübt. Das Aquarell zeigt – leider nicht im Katalog abgebildet – eine Straßenszene aus Hannover, im Hintergrund ist das Anzeiger-Hochhaus mit seiner charakteristischen Kuppel zu sehen. Das hätte ich schon gerne gehabt, vielleicht auch aus blöder Sentimentalität der alten Heimat gegenüber.

Ich vergrub mich also in alle Kataloge, die das ZI im Regal hatte, darunter auch einen von 1942, auf den ich sehr gespannt war – nicht zu Unrecht. Einige andere Ausstellungskataloge aus der Zeit der 1930er Jahre fand ich leider nicht, vielleicht stehen die gerade in irgendwelchen Handapparaten und tauchen wieder auf.

Wie immer, wenn ich mich in ein Thema reinfresse, merke ich nicht, wie die Zeit vergeht. Als ich das erste Mal auf die Uhr schaute, waren drei Stunden um und ich mit den meisten Katalogen durch. Einige wenige orderte ich mir in den Lesesaal der Stabi, wo sie mir entspannte vier Wochen gehören und ich sie nicht dauernd wieder zurückstellen muss. Außerdem bestellte ich mir ein paar Zeitschriftenbände, die nicht im ZI stehen und für die Grossberg in den 30ern Illustrationen angefertigt hat; die möchte ich mir auch mal anschauen. Wie immer in solchen Momenten, wo ich mir einfach uraltes Zeug zusammenklicken kann, denke ich dann: Bibliotheken sind eine ganz großartige Sache. Ich plane ja seit Längerem die Anmietung einer Lesesaalkabine, das stelle ich mir irre glamorös vor, einen eigenen Arbeitsplatz in der Stabi zu haben.

Im Gebäude des ZI läuft gerade eine Ausstellung der Abgusssammlung zum Pergamonaltar. Das großformatige Fotoband sieht ziemlich klasse aus. (Und passt logischerweise gut zur neoklassizistischen NS-Architektur des Gebäudes.)

Der Heimweg zur U-Bahn über den dramatisch beleuchteten Königsplatz. Rechts das gelbe Gebäude ist übrigens das Lenbachhaus, aber das wisst ihr ja alle. Darf ich auf die gerade eröffnete Münter-Ausstellung aufmerksam machen? Ich mag das Plakat sehr gerne, auf dem sehr souverän nur der Nachname der Künstlerin steht.

Hier in Bayern ist nicht nur ausnahmsweise der 31. Oktober frei, sondern auch planmäßig der 1. November. (Allerheiligen. Ich muss irgendwann mal nachschauen, was das eigentlich ist.) Ich erinnere die Leserschaft wieder einmal daran, dass ich in den Bundesländern mit den wenigsten Feiertagen groß geworden bin und mich daher immer noch wie ein Schnitzel über jeden süddeutschen Feiertag freue; es fühlt sich immer noch an wie „Schon wieder frei? Was ist denn jetzt schon wieder? EGAL!“ Und nach wenigen Sekunden der Freude kommt immer der Gedanke: „Hey, Moment, dann sind die Bibliotheken ja zu, das ist doch bekloppt!“

Jedenfalls fühlte sich das gestern nach dem halben Arbeitstag und den kommenden zwei freien Tagen wie Weihnachten an, so dass ich spontan beschloss, mir ein Festessen zu gönnen. Ich legte beim Lieblingsmetzger ordentlich Geld für ordentliches Fleisch auf die Theke, mischte Kräuterbutter zusammen und bestrich frisches Weißbrot damit; ich hobelte Kartoffeln hauchdünn und schichtete sie zu einem Gratin, ich bereitete einen kleinen grünen Salat zu und briet mir zum Schluss genüsslich ein Rib-Eye-Steak, das ich gefühlt minutenlang mit Kräuterbutter begoss, bevor es ruhen durfte. Das war eine ganz ausgezeichnete Idee. Natürlich habe ich es nicht komplett geschafft, aber dafür konnte ich abends noch ein schönes Steak-Sandwich genießen, auf das ich ein bisschen Parmesan hobelte. Und das restliche Gratin aus gerade einmal drei Kartoffeln gibt es heute.

Was schön war, Sonntag, 29. Oktober 2017 – Emoji-Backen

Eigentlich wollte ich morgens walken gehen, weil ich ja eine Stunde länger hatte schlafen können. Ich vergaß es aber, den Wecker zu stellen und erwachte äußerst ausgeruht erst um kurz 8, was mir zu spät zum Loslaufen war. Ich gehe gerne, wenn noch nicht viele Leute unterwegs sind, weil ich mich dann in den hautengen Tights nicht so den Blicken anderer aussetzen muss. Ja, mag doof sein, sich selbst einzuschränken, um den Deppen zu entgehen, aber es ist weniger anstrengend, früh aufzustehen als sich dauernd zu fragen, hat der Trottel da drüben gerade innerlich über deine dicken Beine nachgedacht oder warst du ihm egal und er hat nur zufällig in deine Richtung geguckt? Es ist vermutlich sehr oft zweiteres, aber auch hier: Es ist mir inzwischen zu anstrengend, darüber nachzudenken. Ich verlinke derzeit weiter dickenfreundliche Inhalte auf Twitter, halte mich aber so gut es geht aus allen Diskussionen raus. Überhaupt habe ich viele Leute entfolgt, die dauernd wichtige gesellschaftliche Anliegen hatten und lautstark auf sie aufmerksam machten. Ich habe irgendwann gemerkt, dass ich nur noch angespannt war, sobald ich Twitter anklickte, weil ich mich wieder über irgendwas aufregen sollte. Das mag die totale Flucht vor meiner eigenen Verantwortung sein, aber momentan möchte ich kein Aushängeschild mehr für dicke Frauen sein, kein Sprachrohr, kein Vorbild, sondern einfach nur still vor mich hinwalken und nicht über meinen Körper nachdenken müssen. Das habe ich viel zu lange getan.

Den Vormittag verbrachte ich mit Lesen. Mittags hatte ich Lust auf Kekse zum Tee und bereitete schnell einen Mürbeteig zu. Als ich meine üblichen runden Kekse ausstechen wollte, fiel mir auch der Herzausstecher in die Hand, und ich dachte sofort an die Bildbotschaften, die ich F. so gerne per DM zuschicke und auch gerne bekomme. Also verzierte ich ein paar Kekse, nachdem sie abgekühlt waren, und verschickte statt der üblichen Grinsefressen ein Bild. Welches Emoji F. gehört, behalte ich mal für mich, aber mein geliebtes Brillenschlangenemoji, durch das ich mich sehr gut repräsentiert fühle, kriegt ihr zu sehen.

Ich hatte keine Zartbitterkuvertüre mehr im Haus. Wie konnte das passieren? Aber Lebensmittelfarbe. Ist klar.

Nachmittags freute ich mich sehr über den Auswärtssieg vom FC Augsburg in Bremen. Ich mag das Werderlied sogar noch ein bisschen lieber als unsere Stadionhymne.

Abends gab’s einen äußerst schmackhaften, aber total unfotogenen Kartoffel-Lauch-Auflauf.

Linda Nochlin, Trailblazing Feminist Art Historian, Dies at 86

„In 1971, Nochlin earned widespread attention for her landmark essay “Why Have There Been No Great Women Artists?,” which approached that question with incisive and nuanced analysis, demonstrating how, for centuries, institutional and societal structures had made it “impossible for women to achieve artistic excellence, or success, on the same footing as men, no matter what the potency of their so-called talent, or genius.”

But Nochlin also interrogated how “greatness” itself had long been formulated and evaluated. “In the field of art history, the white Western male viewpoint, unconsciously accepted as the viewpoint of the art historian, may—and does—prove to be inadequate not merely on moral and ethical grounds, or because it is elitist, but on purely intellectual ones,” she wrote in the essay, which was published in ARTnews.

That article quickly became a cornerstone for the developing field of feminist art history.“

Was schön war, die letzten Tage – Norddeutsches Wetter und Menschen von überall her

In der letzten Woche war es noch herbstlich warm – also das, was ich als warm empfinde, während viele schon den dicken Pulli rausholen –, aber gestern wurde es gefühlt von Jetzt auf Gleich deutlich kälter. Dazu kam ein kleines Windchen, während im Norden anscheinend gerade ein Sturm rumlungert. Ich mag den Klang von Wind und Regen sehr gerne, zugegebenermaßen am meisten, wenn ich irgendwo drinnen im Warmen sitze und ihn ungefährdet und trocken genießen kann. Ich vermisste mal wieder Norddeutschland und das Gefühl, sich dort oben ein bisschen auszukennen. Ich wohne bereits seit fünf Jahren in München, aber ich weiß immer noch nicht, in welcher Himmelsrichtung eigentlich Rosenheim und Augsburg von hier aus gesehen liegen; für mich ist das immer noch alles „da unten“, und wenn ich mal irgendwelche Wetterkarten im Netz aufrufe, geht mein Blick immer noch automatisch in den Norden, bis ich mich daran erinnere, dort nicht mehr zu wohnen.

Am Donnerstag hatte sich Besuch aus Norddeutschland in München angekündigt und wir saßen in netter Viererrunde zusammen, die anderen bei Cocktails, Whisky und Bier, ich bei Milchkaffee und Apfelschorle. Mir war immer noch nicht nach Alkohol. Das änderte sich gestern abend, als ein anderer Besuch, dieses Mal aus Köln, in der Stadt war. Wie saßen in komplett anderer Runde zu fünft zusammen, netterweise in einem Lokal, das 300 Meter von meiner Haustür entfernt war. So einen kurzen Heimweg hatte ich noch nie. Normalerweise mag ich etwas längere Heimwege nach Massenveranstaltungen (alles über vier Leute ist eine Masse für mich) ganz gerne, weil ich die Zeit zum Runterkommen brauche. Das war gestern aber eine sehr angenehme Rotte mit ebenso angenehmen Gesprächsthemen – da brauchte ich gar nichts zum Wieder-zu-mir-Finden. Und ich war nach zwei Hellen auch angemessen bebiert, um gut schlafen zu können. Das erste Mal seit zwei Wochen, dass ich durchgeschlafen habe. Der Wind hat anscheinend meine Erkältung mitgenommen, das gute Ding. Ich weiß schon, warum ich den so mag.

Tagebuch, Freitag, 27. Oktober 2017 – Heimarbeit

So langsam möchte die Lunge wieder an die frische Luft. In den vergangenen Tagen habe ich meine Spazierstrecke jeweils verlängert, bin aber noch nicht wieder so weit, ernsthaft walken zu gehen. Der Husten ist auch noch nicht ganz weg, und wenn ich irgendeines meiner Körperteile ernst nehme, dann die Atemwege. Vor Jahren habe ich mal etwas verschleppt und war dementsprechend lange damit beschäftigt; daher bleibe ich seitdem bei Erkältungen und ähnlichem so lange wie möglich im Bett bzw. gönne mir so lange wie möglich Ruhe. Jetzt laboriere ich an so etwas halt nicht nur die übliche eine Woche, sondern zwei rum, aber danach ist auch alles wieder gut. (Hoffe ich.)

Gestern daher wieder eine Runde um den Block in eher entspanntem Tempo, auf dem Rückweg eingekauft. Einen halben Tag am Schreibtisch verbracht. Ich twitterte gestern bereits: Herbst-Home-Office ist das beste Home Office, denn ich kann Kerzen anzünden, meinen Lieblingstee kochen und vor allem in meinen dicken Schnuffelsocken arbeiten. Ich habe an meinen neuen Websitetexten gefeilt, ein bisschen rumrecherchiert, Bürozeug erledigt, Kleinkram weggearbeitet.

Den Rest des Tages verbrachte ich damit, Zeitung zu lesen, mein neues Buch anzufangen, die Reste vom Bohneneintopf aufzuwärmen und zu verspeisen (heute mache ich ihn dann alle) und abends noch einen Pumpkin Pie zu backen.

Den Buchtipp Die Feuchtwangers. Familie, Tradition und jüdisches Selbstverständnis im deutsch-jüdischen Bürgertum des 19. und 20. Jahrhunderts habe ich übrigens aus dem Blog des Österreichischen Jüdischen Museums, wo es in diesem Blogeintrag empfohlen wurde. Auf das Museum aufmerksam geworden bin ich durch sein Projekt, Grabsteine online abzubilden, die Inschriften zu entziffern und zu übersetzen und dazu auch noch weiterführende biografische Details zu den Bestatteten anzubieten. Ein tolles Projekt!

Scharfer Bohneneintopf mit Avocado

Im Original bei Buzzfeed Tasty Vegetarian heißt das ganze „Protein Packed Chili“, aber das übersetze ich nicht – ich ordne mein Essen nicht danach ein, ob es viel Protein oder Zucker oder Kohlenhydrate hat. Ich ordne nach Geschmack: schmeckt oder schmeckt nicht. Das hier schmeckt. (Ach was.)

Ich habe die blöden Cups mehr so Pi mal Daumen umgerechnet, weil ich immer noch kein Cupmaß habe und zu geizig bin, mir eins zu kaufen. Ich nutze beim Rezepte-Umdenken gerne diese Tabelle, aber bei den ganzen Bohnen, die ins Gericht kommen, war ich mir selbst nicht sicher, wieviele Gramm es denn sein dürfen; die Tabelle hat bei Cup-Mengen an trockenen Zutaten eine ziemliche Bandbreite. Ich habe die goldene Mitte – und das Maß deutscher Dosen – angelegt. Was ich sagen wollte: Haltet euch nicht sklavisch an meine Mengenangaben. Außerdem werden im Originalrezept teilweise andere Bohnen verwendet (Wachtelbohnen aka pinto beans) und Quinoa; bei mir sind es schnöde Cannellinibohnen und Naturreis geworden. Auch hier gilt: Macht doch, was ihr wollt.

Das Originalrezept reicht für acht Portionen, was ich für untertrieben halte. Ich habe die Hälfte gekocht – das sind die Mengen, die hier unten stehen – und glaube, dass davon mehr als vier Leute satt werden.

In einem großen Topf

1 Zwiebel, gehackt,
1 rote Paprikaschote, in Stücke geschnitten,
4 frische Knoblauchzehen, fein gehackt,
1 grüne Chilischote in Ringen, mit Kernen und allem,
1/2 EL Cayennepfeffer,
2 EL Chilipulver und
1/2 EL gemahlener Kreuzkümmel in
Sonnenblumenöl anbraten, bis die Zwiebeln glasig werden.

280 g gehackte Dosentomaten (aka eine kleine Dose),
2 frische Tomaten, grob geschnitten,
140 g Naturreis,
120 g Kidneybohnen, abgespült und abgetropft,
120 g Cannellinibohnen, dito, und
120 g schwarze Bohnen, dito, dazugeben. Mit
400 ml Gemüsebrühe (aka ein gekauftes Glas) und
300 ml Wasser ablöschen.

Alles zum Kochen bringen, den Topf abdecken, die Hitze herunterschalten und für ca. eine halbe Stunde simmern lassen. Danach

120 g Mais (aka eine winzige Dose),
1 TL getrockneter Oregano,
1 EL Limettensaft und
1 EL frischen Koriander unterrühren. Nochmal fünf Minuten simmern lassen. Kurz etwas abkühlen lassen, notfalls mit
Salz und Pfeffer abschmecken und mit
Avocado und Koriander servieren.

Ich habe weder den Oregano noch die Limette rausgeschmeckt und ungefähr die zehnfache Menge an frischem Koriander ans Essen gehauen. Nachdem ich das Foto gemacht habe, gab’s auch noch einen Klecks saure Sahne oben drauf, das kann ich auch sehr empfehlen. Das Gericht macht alle Nebenhöhlen frei, die eventuell verstopft sind – wer also wie ich nicht ganz so die Scharfesserin ist, vielleicht das Chilipulver etwas vorsichtiger dosieren bzw. bei der Chilischote die Kerne entfernen und lieber nachwürzen.

Tagebuch, Dienstag, 24. Oktober 2017 – Abrüsten

Nach gut einer Woche löste ich mein Krankenlager auf und machte aus der Couch wieder eine Couch, die sich erst abends in ein Bett verwandelt. Ich tauschte meine geliebte Bettdecke (my happy place!) gegen die brave Tagesdecke aus, ordnete die Kissenberge wieder anständig und kaufte erstmal frisches Brot, nach dem ich fiese Entzugserscheinungen hatte. Wenn ich erkältet bin, reicht mir Sandwichbrot. Das strengt beim Essen nicht so an.

Dann verbrachte ich den Tag vor Phoenix, um mir die erste Sitzung des neuen Bundestages anzuschauen. In die Bibliothek traute ich mich noch nicht, denn ich huste zwar längst nicht mehr so häufig wie am vergangenen Wochenende, aber wenn, dann immer noch mit gefühlt 90 Dezibel. Und weil mich selbst in der Bibliothek Leute wahnsinnig machen, die nur laut atmen, huste ich diese Woche lieber weiterhin privat vor mich hin, bevor ich endlich wieder ins ZI radele.

Während des Livestreams rollte ich mit den Augen, als die AfD-Nasen sich in eine Reihe mit Clara Zetkin stellten, die von Göring angeblich daran gehindert wurde, als Alterspräsidentin im Reichstag zu sprechen. (Scheint nicht ganz so gewesen zu sein, also alles wie immer bei der AfD.) Ich sah aber auch erstaunt, wie die AfD mit der SPD und den Linken gemeinsam abstimmte – wie sich also schon vorsichtig Jamaika ankündigte. In den Sitzungspausen standen diverse Parlamentarier*innen am Interviewpult bei Erhard Scherfer, darunter auch gemeinsam Andrea Nahles und Katrin Göring-Eckardt. Mir fiel erst nach wenigen Minuten auf, dass da keine Rot-Grün-Koalition stand, sondern vermutlich zwei Angehörige von zukünftiger Opposition und Regierung.

Ich abonnierte mehrere Newsletter der Partei, der ich bei der letzten Bundestagswahl beide Stimmen gegeben habe und guckte mal, was diese Partei eigentlich so direkt vor meiner Haustür alles macht. Dann klickte ich beim Neuen Deutschland auf Probeabo, um meiner tägliche FAZ-Lektüre etwas entgegenzustellen. Das wird ab nächster Woche ein sehr lustiger Briefkasten. Generell bin ich aber bis auf wenige Ausrutscher immer noch sehr zufrieden mit der FAZ; bei den politischen Kommentaren schnaufe ich meist sehr unwillig, aber ich lese die Rubrik Gegenwart sehr gerne, liebe weiterhin das Feuilleton, gerade die Sachbuch- und Ausstellungsrezensionen, und schmeiße ebenfalls weiterhin den Wirtschaftsteil komplett ungelesen ins Altpapier. Den Finanzteil öffne ich nur, weil da am Ende der Sportteil kommt. Ich mag es immer noch sehr, auf Papier zu lesen, und es ist inzwischen ein kleines Ritual geworden, mich ein Stündchen mit der FAZ hinzusetzen und aufmerksam zu lesen. Ich bin sehr gespannt, wie sehr das Neue Deutschland da reingrätschen wird. (Nein, ich habe nicht Die Linke gewählt.)

Ich lachte sehr über einen Kommentar zu einem Instagrambild von Olly Wainwright, dem Architekturkritiker des Guardian, der über das neue Hauptquartier von Bloomberg in London berichtete: „How will they move it to Frankfurt?“.

Ich freute mich darüber, dass The Dinner Party endlich einen festen Standort gefunden hat.

Ich las auf den Tipp von Herrn BuddenbohmVerbessern soziale Medien die Welt?“ in der brandeins und lege euch den Artikel auch ans Herz.

Und dann konnte ich nicht schlafen und las weiter Hillary.

Europeana, Munch, Brillen und Spucknäpfe

Die „Kulturtussi“ Anke von Heyl hat mir ein Blogstöckchen zugeworfen, über das ich mich sehr gefreut habe. Es geht beim Rumgewerfe, an dem ich mich auch beteiligen werde, darum, die Blogwelt darauf aufmerksam zu machen, dass man sich – trotz der vielen ollen Bilderverbote in der Kunstwelt – bei der Europeana wild bedienen und mit dem Material gerne seine Blogposts schmücken darf.

Anke hat mir ein Selbstporträt von Edvard Munch geschickt, das mir als Inspiration für einen Blogeintrag dienen soll. Munch ist mir im Studium nur ein einziges Mal untergekommen, als wir in einer Vorlesung über Davids Der Tod des Marat sprachen und davon diverse Variationen gezeigt bekamen. Munch hat sich mehrfach mit diesem Motiv auseinandersetzt (etwas runterscrollen). In der Europeana findet sich eine Zeichnung mit diesem Titel, von der aber nicht klar ist, ob sie eine Vorzeichnung ist. Gelernt: Sie liegt im Kupferstichkabinett in Dresden, wo ich auch mal wieder hinfahren könnte; die digitale Reproduktion stammt von der Staats- und Universitätsbibliothek in Dresden bzw. der Deutschen Fotothek.

Der Tod des Marat. Munch, Edvard. Deutsche Fotothek. In Copyright.

Bis ich mich getraut habe, das Bild hier im Blog einzubinden, musste ich mich dann aber doch durch ein paar Copyright-Texte, Gebührenordnungen und CC-Lizenzen lesen, um sicher zu sein, dass ich das Bild auch wirklich verwenden darf. Da hat die Kulturtussi mir ja genau den richtigen Künstler hingeworfen – ich schreibe im Einleitungssatz vollmundig von „darf man alles verwenden“ und dann kommt bei meiner ersten Suche gleich ein Bild, bei dem schön links am Rand steht „Nur mit Genehmigung – Unterliegt Urheberrecht“. Nun gut. Klappt anscheinend doch noch nicht alles so simpel wie wir Nutzer*innen uns das wünschen. Aber wenn ich alles richtig gelesen habe, darf ich das Bild verwenden, also mache ich das.

Ein weiteres Mal habe ich über Munch nachgedacht, als ich am Museumskatalog schrieb. Insgesamt verfasste ich die Architekturbeschreibungen für 18 Museumsbauten, die gerade fertiggestellt wurden, sich bereits im Bau befinden oder eventuell nur eine schöne Idee auf dem Reißbrett bleiben, aber architektonisch ziemlich töfte sind. Eins der Museen ist das Munchmuseet in Oslo, das den alten Bau des bisherigen Munchmuseums ablöst. Von diesem Museum hat die Europeana übrigens über 3.600 Exponate im Angebot.

So wird das neue Museum 2020 hoffentlich aussehen. Und das schrieb ich im Katalog:

„It was in 1940 that Edvard Munch bequeathed his artwork to the city of Oslo. More than 1,000 paintings, nearly 18,000 prints, close to 8,000 drawings and watercolours, as well as other objects came into the city’s possession after the artist’s death in 1944. Since 1963 parts of the collection have been on display in the Munchmuseet. Now the collection is to be moved into a new building that offers modern technical equipment and more display space. For this assignment Estudio Herreros designed a structure that wholly accords with Munch’s wishes: it is accessible not only to museum visitors but to the entire city of Oslo.

The elegant structure, its top third tilting forward, towers eleven stories above the harbour. A café on the top floor is also open outside of museum hours, and with its almost completely glazed frontage it offers an expansive view of the city. As the visitor rides the escalators upward behind the glass façade he can see Oslo’s history unfolding below: from the harbour, then and now an important trading post, the industrious town extended inland to become a lively metropolis that is the country’s cultural and industrial centre. This new elevated point of view establishes a strong relation between the heritage of the art collection of Edvard Munch and his native city.

The new museum structure based on the “Lambda” design by Estudio Herreros deliberately towers above the surrounding buildings and places a new visual accent above the harbour. The projecting upper third gives the otherwise plain façade an unmistakable, forward-thrusting dynamism. In his landscapes and city scenes Munch himself liked to work with exaggerated perspective so as to direct the viewer’s eye to what was essential. [1] Even if the painter was not their primary inspiration, Estudio Herreros has managed to employ this same principle in architecture.

The project was initially received as controversial and strongly discussed by the public, especially because in Norway’s highly egalitarian society it is considered improper for an individual to stand out too much. The architects entered in a dialogue with the city and its inhabitants, taking into consideration criticism of their initial designs and further developing the building until it was approved by the authorities. Now, the Munchmuseet’s eleven stories are new to Oslo’s largely horizontal architecture, and greatly dominate over the cityscape.

Over the bearing structure of concrete and steel a sophisticated, multi-layered curtain wall of glass and perforated metal masks the floors’ irregular openings. In the museum itself light breaks through the glass front and pours into the building’s interior public areas in contrast to the artificially lit exhibition rooms, while the ground floor is not only illuminated from the side but also from above. The building appears to consist of levels the visitor can enter and experience. The light streaming in through the translucent curtain wall of triple layered glass and perforated aluminum lends the structure a new, almost magical quality [2], making it seem more flexible and fluid.

This flexibility was desired; exhibition rooms are of different sizes and heights. Sculptures and large-format paintings can be appreciated in the larger galleries, prints and drawings in the smaller, more intimate cabinets. Instead of the traditional, somewhat rigid enfilade of rooms through which visitors are forced, here spaces can be set aside or opened, depending on the given exhibition. Around these inner exhibition spaces the museum is a structure that is accessible at no cost, open to Oslo and the world.

[1] Lloyd, Jill. “Van Gogh and Munch: A Question of Style.” In Munch/Van Gogh, edited by Maite van Dijk, Magne Bruteig, and Leo Jansen, 124–47. Brussels: Mercatorfonds, 2014, p. 143.

[2] For more information about glass as a building material in modern architecture, please see Ábalos, Iñaki, and Juan Herreros. Tower and Office. From Modernist Theory to Contemporary Practice. Cambridge, Mass: MIT Press, 2003, p. 99.“

Meine drei Stöckchen werfe ich weiter an die Kaltmamsell, F. und Stepanini. Es besteht natürlich kein Zwang, es aufzuheben. Ich habe mich bewusst für Blogger*innen entschieden, die nicht zur üblichen Kunst/Kunsthistoriker-Blase gehören, denn ich glaube, dass die Europeana für alle interessant ist.

Bei der Kaltmamsell muss ich immer an ihre verschiedenen Brillen denken, die sie auch gerne im Blog herzeigt. In der Europeana fand ich die untenstehende aus den 1960er Jahren sehr schick – vielleicht stößt sie ja einen Blogeintrag über Mode an? Oder Augen? Oder etwas ganz anderes. Auf der Seite des Victoria and Albert-Museum stehen noch ein paar Informationen zum Objekt.

Milinaire. Victoria and Albert Museum. CC BY.

Den ersten Urlaub mit F. verbrachte ich in Amsterdam. Dort spazierten wir natürlich auch durchs wunderbare Rijksmuseum. Eines meiner Lieblingsbilder dort ist folgendes:

Still Life with AsparagusStilleven met asperges. RM0001.PEOPLE.87191. Rijksmuseum. Public Domain.

Mal sehen, ob F. sich jetzt herausgefordert fühlt, über Essen, Museen, Urlaube oder etwas ganz anderes zu schreiben.

In Stepaninis inspirierendem Blog mag ich ihre Rezepte immer sehr gerne. Sie veranstaltet auch Supperclubs, und neben dem Essen bewundere ich immer das Geschirr. Deswegen gab ich den Suchbegriff „pottery“ bei Europeana ein, und neben lustigen Amphoren, auf denen Fußamputationen abgebildet waren, kam auch – dieser Spucknapf. Der war zu schön, um daran vorbeizugehen, aber ich weiß selbst nicht, zu welcher Art Blogeintrag er inspirieren kann. Über Kaugummi vielleicht?


L0058199 Multicoloured spittoon, Europe, 1701-1900
Credit: Science Museum, London. Wellcome Images
Copyrighted work available under Creative Commons Attribution only licence CC BY 4.0

„Spitting was a common and socially acceptable habit in Europe until the 1800s. Pottery spittoons like this one were used as containers for spit and could be found both inside and outside of public places, such as inns and pubic houses. From the late 1800s, spitting was discouraged as it was realised that the habit could spread potentially fatal diseases. These included tuberculosis, or consumption as it was then known, one of the biggest killers of the period. The hole in the side was used to empty the spittoon – not a pleasant task.“

Moritz Hoffmann wirft übrigens auch mit.