Was schön war, die vergangene Woche

Am Kranksein ist quasi nichts schön, aber wenn man zwischendurch mal Luft kriegt und nicht gerade das Haus zusammenhustet, kommt doch ein bisschen was zusammen, was nett war an der Woche im Bett. Die vermutlich auch noch nicht ganz rum ist, wenn ich mir angucke, wie wackelig mein Kreislauf immer noch ist.

– jemanden zu haben, der einen bepuschelt. Nicht den ganzen Tag – wenn ich krank bin, will ich alleine leiden –, aber so punktuell, hier mal eine SMS, da ein „Brauchst du was? Ich bring’s vorbei“. Ich habe ein Buch geschenkt bekommen zur Sammlungspräsentation des 19. Jahrhunderts im Lenbachhaus, das ich mir gerne kaufen wollte, Süßigkeiten in fast schon zu üppigen Gebindegrößen (aber eben nur fast) und ich hatte einen Obst-Lieferservice, der Freitag abend auch eine Pizza frisch vom Italiener mitbrachte, als ich vom gesunden Essen und Tee die Nase voll hatte und irgendwas Fertiges mit viel Öl und Salz haben wollte.

– meine Früchteteepackung ist ausgetrunken. Endlich. Ich habe mich gestern am Samstag mal wieder vor die Tür getraut und selbst eingekauft (danach hätte ich gleich wieder duschen können, so sehr hat das angestrengt) und mir einen würdigen Nachfolger an „Teesorten, die ich nur aus Verzweiflung trinke“ zugelegt: Rooibos Vanille. Hatte ich gefühlt mit 14 das letzte Mal. Schmeckt überraschend okay.

– nicht schön: Ich habe in dieser Saison das erste Heimspiel vom FC Augsburg verpasst; den Fußweg von der Tram bis ins Stadion hätte ich nicht geschafft, Rumsitzen und Gucken vermutlich schon. Immerhin konnte ich das Spiel im Bett sehen – und F. schickte mir ein Bild des Kid’s Club, der vor jedem Spiel seine Runde dreht, und ich konnte von unter der Decke heraus winken.

– ich habe kaum etwas von Twitter mitgekriegt, weil ich kaum online war. Wenn, habe ich die letzten 40 Tweets gelesen, Sinnvolles retweetet und bin wieder schlafen (oder husten) gegangen. Das hat sich sehr entschleunigt angefühlt.

– ich bin kurz davor, Instagram zu knicken, weil es mich irre macht, sechs Tage alte Bilder zwischen solchen angezeigt zu bekommen, die zwei Stunden alt sind. Andererseits habe ich es durch beharrliches Wegklicken fast geschafft, keine vermutlich schlicht auf „weibliche Konsumentin“ hingedengelte Klamotten- und Kosmetikwerbung mehr im Stream zu haben. Sollte die Mühe umsonst gewesen sein?

– ich habe das Buch von Hillary Clinton fast durch, weil ich ja nichts machen konnte außer husten, Obst oder Pizza essen und schlafen (wovon mich der Husten immerhin nur eine Nacht fast komplett abgehalten hat). Ich habe außerdem endlich alle Staffeln von BoJack Horseman durchgeguckt, nachdem ich vor längerer Zeit in der ersten hängengeblieben war. Die ist dann auch mit Abstand die blödeste, danach wird es richtig gut. Und ich musste natürlich immer ans Lenbachhaus denken, sobald BoJack durch seine Haustür ging, denn direkt daneben hängt Franz Marcs Blaues Pferd, das in Wirklichkeit hier in München ist.

– F. hat ein Buch für mich aus der Stabi abgeholt, weil ich es nicht ertragen kann, wenn ich bestellte Bücher nicht abhole und sie sinnlos wieder durch die Stadt gekarrt werden. Andererseits konnte er leider die im ZI für mich bestellten Bücher nicht abholen, denn da kommt er nicht rein; die muss ich also noch mal bestellen. Aber Stabi ging. Der Mann war noch nie dort und so überreichte ich ihm mit vermutlich fiebrig-irren Augen meinen heiligen Bibliotheksausweis und erklärte im salbungsvollen Ton, wo er mein Buch findet. Er scheint diesen Initiationsritus sehr unbewegt weggesteckt zu haben, während ich mutterstolz rumwimmerte, ach, noch einmal zum ersten Mal in die Stabi gehen zu können! Wie herrlich! („Die Regale sind gar nicht so hoch wie ich dachte.“ „ICH GEB DIR GLEICH HOHE REGALE BELEIDIGE MEINE BIBLIOTHEKEN NICHT!“)

Status

Wenn man so erkältet rumdöst und sich denkt, Mann, das Bett knarzt heute aber ganz schön, und dann merkt, Oh, das ist nicht mein Bett, das ist meine Lunge.

Green Onion Pancakes und Smashed Cucumber Salad

Frühlingszwiebelpfannkuchen krieg ich noch übersetzt, aber wie ich Pai Huang Gua auf Deutsch ausdrücken soll, weiß ich nicht. Ich rede mich fein damit heraus, dass ich das Rezept aus der New York Times habe. Die Pfannkuchen kommen von Delicious Days, wo sie auch weitaus hübscher geworden sind. Ich schreibe das hier aber trotzdem auf, auch mit mittelprächtigem Foto, denn ich möchte sie auf jeden Fall noch einmal ausprobieren. Vielleicht sehen sie dann etwas schicker aus. Gut schmecken tun sie aber auch so halbattraktiv. Und der Salat erst!

Ich habe zunächst die Gurken vorbereitet, weil die ein bisschen entwässern müssen, bevor sie im Dressing landen. Während sie das tun, habe ich den Teig geknetet, der dann ruhen darf. Dann wieder Salat, damit die Gurken im Dressing durchziehen können, dann wieder Pfannkuchen. Ihr kriegt das schon hin. Die Mengen reichen für zwei Personen.

Für den Salat
6 bis 8 kleine Salatgurken längs aufschneiden und dann in vier bis fünf Zentimeter lange Stücke. Diese mit der Schnittfläche nach unten auf ein Brett legen und plattdrücken, so dass die Schale aufbricht und die Kerne sich etwas lösen. Ich habe dazu mein breites Lieblingsmesser genommen, die Handfläche müsste auch gehen. Die Gurken in mundgerechte Stücke schneiden und in ein Sieb geben, mit
1 guten Prise Salz und
1 guten Prise Zucker bestreuen, mit etwas Schwerem bedecken und eine halbe Stunde entwässern.

Für das Dressing
1 TL Salz,
2 TL Zucker,
1,5 EL Reisessig und
2 TL Sojasauce verrühren, bis Salz und Zucker sich aufgelöst haben. Danach mit
1 EL Sesamöl verrühren.

In den Kommentaren bei der NYT oder bei einer meiner liebsten Masterchef-Kandidatinnen der letzten Staffel habe ich etwas von schwarzem Essig statt Reisessig gelesen, das kenne ich aber nicht. Hier wird auch noch Szechuan-Pfeffer ins Dressing gegeben.

Das Dressing mit den entwässerten Gurken mischen, noch
1 Zehe frischen Knoblauch darüber auspressen und mit
Chiliflocken abschmecken. Wer mag, serviert das Ganze mit gerösteten Sesamsamen und frischem Koriander. Auf beides hatte ich keine Lust, ich mochte den sehr frischen Gurken- und Essiggeschmack sehr gerne, den wollte ich nicht überlagern.

Für die Pfannkuchen
125 ml Wasser zum Kochen bringen.
200 g Mehl mit
1,5 TL Salz mischen, das Wasser dazugeben und in fünf bis zehn Minuten einen seidigglatten Teig kneten. Notfalls Wasser dazugeben. Ich feuchte dazu einfach meine Hände an, solange bis die Mischung beim Kneten stimmt. Die Teigkugel mit einem feuchten Küchentuch bedecken oder in Frischhaltefolie schlagen und 30 Minuten bei Zimmertemperatur ruhen lassen.

Das Grün von 3 Frühlingszwiebeln in feine Ringe schneiden.

Nach der Ruhezeit den Teig in sechs bis acht Teile teilen. Jedes davon flach und rund ausrollen (rund kriege ich nie hin). Mit Frühlingszwiebeln bestreuen und zu einer Art Zigarre zusammenrollen. Diese zu einer Schnecke formen und wieder flach ausrollen. (Bei Delicious Days sind sehr sinnvolle Phasenfotos zu finden.) Meine Schnecken sahen eher wie Nacktschnecken aus; wenn man die Dinger mit etwas Sesamöl bestreicht, geht das letztmalige Plattrollen etwas besser. Aber wie man auf dem Foto sieht, sind meine Pfannkuchen nicht so wirklich rund geworden.

In einer Pfanne
Sesamöl erhitzen und die Pfannkuchen in wenigen Minuten ausbacken. Sofort servieren.

Theoretisch. Ich musste erstmal meine Küche von Rauch freiwedeln, um den Rauchmelder am Piepsen zu hindern. Dabei war das Öl überhaupt nicht so heiß!

Ein kleinformatiges Dankeschön …

… an Gundula, die mich mit einem Heft aus dem Nachlass ihres Großvaters überraschte: einer Wehrmachtsausgabe der Zeitschrift Kunst dem Volk zur Großen Deutschen Kunstausstellung 1942. (Beim Auspacken hatte ich F. im Ohr: „Jetzt SCHICKEN dir die Leute schon Nazischeiß!“ Hehe.) Kunst im Volk wurde von Heinrich Hoffmann, Hitlers sogenanntem Leibfotografen, herausgegeben und erschien von 1938 bis 1944. Einige der Ausgaben erschienen zusätzlich als kleinformatige Wehrmachtsausgabe, damit man sich auch im Feld die banalen Nackten angucken konnte. Wir haben die Zeitschrift fast vollständig in der ZI-Bibliothek, aber, wie ich selbst überrascht feststellte, die Wehrmachtsausgaben stehen nur in Florenz (das ZI hängt mit Bibliotheken in Rom, Paris und Florenz zusammen, was mich immer irre macht, wenn ich ein Buch nur einmal im Katalog finde und das steht dann in Italien oder Frankreich). Jetzt habe ich immerhin eine davon, ha! Vielen Dank für das Geschenk, ich habe mich sehr gefreut. (Ja, über Nazischeiß, sorry.)

Beim Suchen im ZI-Katalog bin ich übrigens auf diese Dissertation über die Zeitschrift gestoßen. Bereits auf der zweiten Seite wird Martin Warnke und sein Auftritt beim Kunsthistorikertag 1970 erwähnt, über den gestern auch die FAZ schrieb.

Ein pulitzeriges Dankeschön …

… an Axel, der mich mit Colson Whiteheads The Underground Railroad überraschte. Bisher habe ich mich mit dem amerikanischen Bürgerkrieg nur auf Sachbuchebene befasst; das ist, soweit ich mich erinnere, der erste Roman, den ich darüber lese. Das Buch wurde in diesem Jahr mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnet, und ich kenne nur hymnische Besprechungen. Der Titel geht auf die historische Underground Railroad zurück. Whitehead nahm diesen Begriff wörtlich und erdachte eine unterirdische Eisenbahnlinie, die Sklaven und Sklavinnen befreit. Vielen Dank für das Geschenk, ich habe mich sehr gefreut.

PS: Das zweite Buch im Päckchen, das nicht auf dem Wunschzettel stand, aber über das ich mich natürlich auch gefreut habe, besitze ich schon und verschenke es daher in gute Hände weiter.

Beobachtungen zum Altwerden und der Großstadt

Meine Eltern, beide fast 80, haben mich die letzten Tage in München besucht. Das hat mich sehr gefreut, mich aber auch mehr Nerven gekostet als ich erwartet hatte: Ich war nicht darauf vorbereitet, wieviel ich erklären oder vorausdenken musste. Ich habe einiges über meine eigene Stadt gelernt und wie ich mich in ihr bewege – und dass man die eigene Wahrnehmung nicht einfach so für andere voraussetzen kann.

Meine Twittertimeline und die Lektüre von vielen Blogs haben mich bereits seit längerer Zeit dafür aufmerksam werden lassen, wie unfreundlich unsere Stadtarchitektur zu den sogenannten schwächeren Teilnehmern und Teilnehmerinnen ist. Schmale und zugeparkte Radwege sind ein Punkt, nicht genügend Fahrstühle an U-Bahnhöfen für Menschen mit Kinderwagen oder für Rollstuhlfahrer*innen sowie Trambahnen und Busse, die für die beiden letztgenannten teilweise nicht benutzbar sind, weil sie nicht ebenerdig zu betreten sind. In den letzten Tagen ist mir erstmals aufgefallen, wie kompliziert die Stadt sein kann, wenn man älter ist und vielleicht einfach nicht mehr so schnell oder aufmerksam. Oder auch, weil man es schlicht nicht gewohnt ist, sich in einer Großstadt zu bewegen.

Meine Eltern wohnen zwar in einer kleinen ländlichen Gemeinde, fahren aber seit Jahrzehnten problemlos Bahn und neuerdings S-Bahn, die sie nach Hannover bringt. Dort nutzen sie die Straßenbahn, um zum Beispiel zu Arztpraxen oder kulturellen Veranstaltungsorten zu kommen. Sie fahren auch beide noch Auto, sind es also gewohnt, sich im Verkehr zu bewegen bzw. auf vieles gleichzeitig achten zu müssen. Auch deswegen war ich an den ersten Tagen schlicht davon überfordert, sie gefühlt von überall her abholen oder sie irgendwo hinbringen zu müssen, anstatt sie sich selbst zu überlassen, weil ich dachte, das wäre für sie alles kein Problem. Mein Vater erklärte mir schließlich, dass er sich für Hannover immer aufschreibe, wo er langgehen müsste, welche Nummer die Bahnen hätten, wo genau er aussteigen muss etc. Zudem ist Hannover dann doch eine Ecke kleiner als München, und das hatte ich schlicht unterschätzt.

Ihr Hotel lag einen guten Kilometer von meiner Wohnung entfernt. Am ersten Abend holte ich sie zu Fuß ab, um mit ihnen zu mir zu gehen, wo wir gemeinsam zu Abend aßen. Ich nutzte nicht den kürzesten Weg, sondern den etwas hübscheren, der aber auch fast immer geradeaus ging. Aber eben nur fast. Nebenbei erklärte ich, was ich so an Wissenswertem weitergeben wollte: Hier ist die Ersatzhaltestelle vom Bus, mit dem wir zur Masterzeugnisübergabe fahren; hier ist ein Supermarkt, falls ihr noch Snacks fürs Hotelzimmer braucht; hier ist der Alte Nordfriedhof, wo ich gerne rumlaufe; hier biegen wir endlich zu mir ab, merkt euch mal das italienische Restaurant, an dem ihr nachher nach rechts gehen müsst; hier ist meine U-Bahn-Station, merkt euch mal das blaue U zur Orientierung. Klang für mich alles total nachvollziehbar, und so schickte ich sie arglos nach dem Abendessen wieder zu Fuß in ihr Hotel (sie wollten nicht U-Bahn fahren).

Sie brauchten recht lange, um sich wieder telefonisch bei mir zu melden, dass sie gut im Hotel angekommen waren. Warum, das erzählten sie mir erst am nächsten Tag.

Zwischen U-Bahn und Italiener gibt es noch ein griechisches Restaurant, das sie mit dem italienischen verwechselten und schon wenige Meter nach meiner Wohnung falsch abbogen. Dann kamen sie zur nächsten U-Bahn-Station und waren völlig verwirrt, denn die war ja viel weiter weg als sie dachten. (Da waren sie quasi 300 Meter vom Hotel entfernt und wussten es nicht.) Den Friedhof und den Supermarkt fanden sie gar nicht mehr wieder, und wenn sie nicht nette Menschen mit Orientierungssinn und Ortskenntnis getroffen hätten, wären sie immer noch nicht wieder im Hotel.

Ich begann darüber nachzudenken, wie ich Wege erkläre, dass ich vermutlich nicht präzise genug gewesen bin oder sie mit viel zu vielen Informationen zugeballert hatte – oder dass ich schlicht nicht daran gedacht hatte, dass man sich verlaufen kann. Denn ich habe schließlich immer ein Smartphone dabei, auf dem mir gleich mehrere Apps sagen, wo ich mich innerhalb einer Stadt befinde, die wunderbar in Google oder Apple Maps aufbereitet ist, so dass ich Straßennamen finde oder sogar Restaurants oder Läden, die mir als Wegmarkierung dienen können. Ich kann mir eine Route anzeigen lassen und sie blöd abmarschieren. Oder ich nutze eine der vielen Verkehrs-Apps, die mir Busse und Bahnen anzeigen. Oder notfalls die Taxi-App, durch die ich bis vor die Haustür chauffiert werde. Ich hatte schlicht vergessen, dass meine Eltern kein Smartphone haben. Immerhin das hat diese Reise erreicht: Die beiden wollen sich jetzt endlich eins anschaffen. Das hatte meinen Vater schon fasziniert, als er im Juli mit meiner Schwester und ihrem Mann hier war; dass ich letzterem immer sagte, wie treffen uns dann nachher da und da, woraufhin er einfach sein Handy zückte, die richtige Tram fand und den Fußweg. Das begeisterte meinen Vater schon, dass man sich alleine in einer fremden Stadt in wenigen Minuten zurechtfinden kann.

Mir fiel nach dem ersten Verlaufen der beiden (es war nicht das einzige) auch auf, dass U-Bahnhöfe für ungeübte Augen alle gleich aussehen, zumindest hier in München und vor allem im Dunkeln. Der Stationsname steht hier nicht groß am blauen U, sondern quasi erst auf Augenhöhe, wenn man bereits die ersten Treppenstufen heruntergegangen ist, und besonders gut beleuchtet ist er auch nicht. Darauf hatte ich noch nie geachtet, denn ich weiß ja schließlich, an welcher U-Bahn ich bin. Ich musste mich wirklich selbst umschauen, wo genau denn eigentlich der Stationsname steht; darauf hatte ich seit Jahren nicht mehr geachtet.

Als wir einen Tag später U-Bahn fuhren, um zum Hauptbahnhof zu kommen und von dort einen Zug nach Rosenheim zu nehmen, musste ich mich immer nach den beiden umschauen, um sicher zu sein, dass sie mich sehen. Ich achtete erstmals bewusst darauf, wie sehr man sich auf die Ausschilderung konzentrieren muss, um von der U-Bahn nach oben zum Bahnhof zu kommen und von dort ans richtige Gleis. Ich weiß selbst auch oft nicht, welchen Aufgang ich nach oben brauche, ich nehme halt irgendeinen und gucke von da weiter. Das ging hier nicht, hier musste ich wissen, wo wir hinwollen, um sie nicht noch mehr zu verwirren; die beiden waren von den Menschenmengen und ihrer Geschwindigkeit etwas eingeschüchtert und überanstrengt. Mir fiel auf, wie voll die Stadt ist und wie wenig Zeit sich die Reisenden geben, um von A nach B zu kommen. Bleibt man stehen, um die Schilder zu lesen, steht man sofort 20 Leuten im Weg, weil die Bahnsteige manchmal recht schmal sind. Darüber, dass Touristen immer im Weg stehen, rollt man ja gerne die Augen, aber dass auch ältere Menschen manchmal schlicht mehr Zeit brauchen, um sich zu orientieren, wurde mir sehr deutlich vor Augen geführt. Lernerfolg für mich: mehr Geduld mit meinen Mitmenschen haben, vielleicht auch mal proaktiv Hilfe anbieten, wenn jemand offensichtlich lange auf Schilder guckt, anstatt zu denken, der oder die wird den Weg schon finden, sonst kann er oder sie ja fragen. Vielleicht mal nicht darauf warten, dass jemand fragt.

Die eben schon angesprochene Eile macht sich auch beim Fahren in Öffis bemerkbar. Mir ist bewusst, dass die Fahrpläne eng getaktet sind, aber gerade bei den Bussen würde ich mich schon freuen, wenn sie erst losführen, wenn alle Passagiere sitzen – gerade ältere Menschen. Einmal fiel mir mein Vater entgegen, als der Fahrer zügig loslegte; seitdem stand ich immer hinter ihm, sobald er einstieg und sich einen Platz suchte, damit ich ihn notfalls stützen könnte. Ich bat die beiden auch immer, sich zu setzen, weil ich erstmals bewusst merkte, wie zackig manche Fahrer und Fahrerinnen ihr Gefährt bewegen. Ich fahre auch lieber Tram, weil die meiner Meinung nach am ruhigsten fährt, aber wie wenig ruckartige Bewegung schon reicht, um nicht mehr ganz standfeste Menschen ins Stolpern zu bringen, wurde mir erst in den letzten Tagen klar. Auch in der U-Bahn, die gerne mal schärfer bremst.

Dann fielen mir noch Kleinigkeiten auf, die nichts mit dem Verkehr zu tun hatten – zum Beispiel die vielen englischsprachigen Schilder. (Hier bitte selbständig einen Rant auf die ganzen gehässigen Jens-Spahn-Tweets einfügen, auf den ich schon damals keine Lust hatte. Das mag mich als Spießerin ausweisen, aber ich halte es für eine Grundanforderung, in einem Serviceberuf die Sprache zu sprechen, in der der Service angeboten wird. Ansonsten finde ich Spahn meist doof, aber an dem Punkt war ich ausnahmsweise mal seiner Meinung.) Dass in der Werbung viele Anglizismen rumlaufen, geht mir ja selbst als Werberin auf den Keks. Aber wie unfassbar kompliziert Starbucks ist, fiel mir erst auf, als meine Eltern da am Bahnhof, bevor ihr Zug fuhr, noch einen Kaffee trinken wollten. Ausgerechnet bei Starbucks? Ja, weil das außer Burger King der einzige Laden war, in dem man nicht stehen oder auf Barhocker klettern musste, was für ältere Menschen manchmal nicht so töfte ist. Also Starbucks.

Ich setzte meinen Papa samt Gepäck in eine Sitzecke und bot an, für alle Kaffee und Kuchen zu organisieren, aber meine Mama wollte das Backwerk selbst sehen. Ich versuchte, Raspberry White Chocolate Cheesecake und Carrot Cake zu erklären („Mohrrübenkuchen? Haha!“) und ließ das bei der Kaffeebestellung gleich sein. Papa wollte „einfach einen Kaffee“ und ich stellte erstaunt fest, dass Starbucks schlichten Filterkaffee anbietet. Der kam dann aber auch in der kleinsten Größe gleich gefühlt in 0,3 Liter. War es vermutlich nicht, sah aber so aus im Vergleich zu den kleinen Flat-White-Becherchen, die ich für Mama und mich orderte, weil es mich überforderte, die ganzen anderen Dinge zu übesetzen. Ich weiß, es ist total Zweitausender Jahre, sich über die irren Auswahlmöglichkeiten bei Starbucks lustig zu machen, aber gestern bemerkte ich erstmals, dass man davon wirklich überfordert sein kann. Auch von der Geschwindigkeit, mit der die Baristas was von dir wollen. Eigentlich schätze ich das als introvertierter Mensch, der wenig Wert auf zwischenmenschlichen Firlefanz legt, sehr: kein Smalltalk, keine Beratung, man guckt selbständig, was man will, sucht sich was aus, bestellt, wartet kurz und geht. Dass aber genau das für ältere Menschen eine große Herausforderung ist, die schon beim ersten Teil des Vorgangs – „man sucht sich einfach was aus“ – beginnt, war mir nicht so klar.

Das soll jetzt kein kulturpessimistischer Zurück-zur-Natur-Eintrag werden, ganz im Gegenteil. Ich mag die Großstadt ja, ich will nie wieder auf dem Land wohnen, auch wenn ich die stillere Geräuschkulisse dort inzwischen zu schätzen weiß. Ich mag die Öffis, ich mag die Geschwindigkeit und die ganzen Möglichkeiten, die mir die Stadt bietet; dafür ertrage ich halt die vielen Menschen und tanke allein in meiner kleinen, ruhigen Wohnung wieder Kraft für das Dadraußen. Aber ich beginne darüber nachzudenken, wie ich mich in einigen Jahren in der Stadt zurechtfinde. Was kann ich dann vielleicht körperlich nicht mehr machen, was kann ich geistig nicht mehr bewerkstelligen? Um wieviel Hilfe werde ich bitten müssen und wie unterstützt mich dann die Stadt und ihr System durch Schilder und Verkehrsmittel? Ich glaube, ich werde besser zurechtkommen als meine Eltern, einfach weil ich seit Jahrzehnten in der Stadt lebe. Aber die letzten Tage haben meinen Blick etwas geschärft für die Herausforderungen, auf die andere Menschen reagieren müssen, die die Stadt auch aus Altersgründen anders wahrnehmen als ich.

Was schön war, Sonntag bis Dienstag, 8. bis 10. Oktober 2017 – Elternbesuch

Meine Eltern setzen sich heute mittag in den Zug zurück nach Niedersachsen, aber in den letzten Tagen habe ich ihnen hoffentlich München ein wenig schmackhaft machen können.

Am Sonntag waren wir – natürlich – in Rosenheim, um uns die NS-Ausstellung anzuschauen. Dabei konnte ich dann auch gleich die Termine für meine angedachte Führung mit der Galerieleiterin klarmachen – nachdem ich mich dafür entschuldigt hatte, die Führung im Blog angepriesen zu haben, ohne sie vorher zu kontaktieren. Ich dachte ehrlich gesagt, es meldet sich eh niemand, aber nein.

Abends saß die Familie dann wieder an meinem Küchentisch, wo sie auch schon Samstag abend gesessen hatte. So in Restaurants essen ist nicht das Ding meiner Eltern, und so tischte ich Kürbissuppe auf, nachdem es am Abend vorher nur Käsebrote und Salat gegeben hatte, was aber völlig ausreichend war. Samstag hatten F. und ich einen fiesen Tantris-Kater – ich wollte partout nicht kochen und F. nicht essen. „Was soll jetzt noch kommen?“ Schlimm. Aber das legte sich netterweise bis Sonntag.

Am Montag gingen wir vormittags auf Stadtrundfahrt, die ich eher nicht empfehlenswert fand. Für 17 Euro kann man vermutlich nicht viel erwarten, aber was da an Infos vom Tonband kam, fand ich eher enttäuschend, aber immerhin gut verständlich. Und als wir unerwarteterweise fies im Verkehr feststeckten, kamen dann auch weiterhin Dinge vom Band, die zwar mit den Ansichten vor den Busfenstern kaum etwas zu tun hatten, aber dafür hatte man halt was zum Zuhören: der Kini, warum wir einen Mönch im Stadtwappen haben und so’n Zeug. (Ich glaube, ich sage gerade zum ersten Mal „wir“, wenn ich von München rede. Immer noch ungewohnt.)

Nachmittags schlenderten wir durch die Neue Pinakothek, ich zeigte meine Lieblinge Anne-Marie-Louise Thélusson, Italia und Germania, Frau Gedon und Fanny Ebers, aber wie zu erwarten, hingen dann doch alle bei den ollen Impressionisten rum. Na jut. Abends Käsebrot und Salat.

Gestern war dann der Tag, weswegen meine Eltern sich überhaupt auf den beschwerlichen Weg zur Erstgeborenen gemacht hatten: Ich bekam mein Masterzeugnis ausgehändigt. Das hätte man sich auch formlos beim Prüfungsamt abholen können, aber neuerdings gönnt sich die LMU eine kleine Feier. Zwei Musikstudis gaben drei Lieder zum besten, der Dekan hielt eine kleine Rede, dann überreichten er und der Dozent, bei dem ich meine allererste Kunstgeschichtsvorlesung hatte, die Zeugnisse, und dann meinte der Dekan noch zum Abschluss: „Anhand der vielen feuchten Hände merkt man dann doch, dass das ein besonderer Moment war.“ Stimmt. Ich bin sehr froh, mir das Mäppchen nicht abgeholt zu haben.

Danach gingen meine Eltern noch in die Pinakothek der Moderne, aber ohne mir etwas davon zu sagen, obwohl ich da viel mehr hätte erzählen können als in der Neuen. Ich hatte also quasi den Nachmittag frei, aber abends gab’s dann wieder gemeinsames Essen bei mir; ich warf Gemüse auf ein Backblech, rührte Kräuterquark an und öffnete den von meinen Eltern mitgebrachten Uniabschlussprosecco.

Jetzt ist das Kind endlich von der Straße.

Was schön war, Samstag, 7. Oktober 2017 – KSM 11

Meine Eltern sind seit gestern zu Besuch in München. Der Zug aus Hannover fuhr netterweise wieder, das war Freitag abend noch nicht ganz so klar. Danke, Deutsche Bahn, fürs schnelle Aufräumen!

Wie Eltern halt so sind, fragten sie mich seit Tagen, ob sie mir irgendwas mitbringen sollten, selbstgekochte Marmelade, Geschirr oder Tischwäsche, die bei ihnen die Schränke verstopft und die ich eigentlich immer gerne nehme, aber jetzt gerade nicht, weil sie bei mir nicht nur die Schränke, sondern die Wohnung verstopft, denn ich habe derzeit leider nicht mehr so viele Schränke wie noch vor zwei bis fünf Jahren.

Aber eine Sache fiel mir dann doch ein: die alte Kaffeemühle meiner Großeltern. Ich bin immer noch zu geizig, viel Geld für eine elektrische Mühle auszugeben und ich mag meine Handmühle auch gerne, aber ich erinnerte mich, dass bei Oma und Opa immer so ein rundes Maschinchen rumgestanden hatte. In meinem Kopf war sie weiß und von Krups.

Ist sie nicht. Sie ist silberschwarz und von Braun. Die KSM 11 wurde 1964 von Reinhold Weiss gestaltet und hat sogar Designpreise gewonnen. Vermutlich nicht mit dem kaputten und von Opa huschig geklebten Deckel, aber ich mag sie so, wie sie ist.

Ich hatte ein winziges bisschen auf Dieter Rams gehofft, aber dem wurde sie nur fälschlicherweise zugeschrieben.

Was nicht nur schön, sondern wundervoll war, Freitag, 6. Oktober 2017 – Tantris

Am Anfang des Studiums erstellte der ehemalige Mitbewohner für mich eine Liste, was ich gefälligst alles in München anzusehen oder mitzumachen hatte. Darauf stand natürlich auch das Tantris, das mir auch im hohen Norden ein Begriff war. Wer zu faul ist, den kurzen Wikipedia-Artikel durchzulesen: Das Tantris unter Eckart Witzigmann begründete 1971 die Gourmetküche in Deutschland, war (soweit ich weiß) das erste Sternerestaurant Deutschlands und hält seit über 20 Jahren ständig zwei Michelin-Sterne (es waren zwischenzeitig mal drei). Es hat mit über 35.000 Flaschen einen der größten Weinkeller in deutschen Restaurants, und von 1991 bis 2011 war Paula Bosch Chef-Sommelière, die erste Frau in Deutschland, die einen derartigen Posten innehatte. Die rot-orange-schwarze Einrichtung sieht heute noch fast genauso aus wie 1971, sie wurde 2002 behutsam erneuert und steht inzwischen unter Denkmalschutz.

(Wer mehr Hintergrundgeschichten lesen möchte, kann das im SZ-Magazin tun sowie hier die Chronologie nachlesen.)

Als ich das Studium begann, überlegte ich mir als Abschluss einen Besuch im Tantris. Das hatte ich immer im Hinterkopf, auch als aus dem Bachelor ein Master wurde. Es war nicht so, dass ich fünf Jahre lang auf diesen Tag hingefiebert hatte, aber als die Masternote online war, wollte ich endlich einen Tisch buchen. Statt des ehemaligen Mitbewohners saß gestern F. mit am Tisch und ich war anfangs völlig überfordert.


(Das Logo auf der Menükarte, die wir uns mitgeben ließen.)

Wenn man sich etwas fünf Jahre lang vornimmt und dann ist der Tag plötzlich da, fühlt sich das alles etwas irreal an. Natürlich kannte ich das Gebäude und die Inneneinrichtung von diversen Bildern und freute mich auf beides fast genauso wie auf das Essen. Natürlich wusste ich um den irrwitzig gut bestückten Weinkeller und freute mich ebenso. Und ich ahnte, dass der Service wie in allen guten Häusern überaus zuvorkommend war, aber als jemand, der gerne seine Jacke zuhause über einen Stuhl schmeißt und entspannt mit dem Teller auf dem Bauch auf dem Sofa isst, sorgt genau dieser Service erstmal für Stress. Ich bin es nicht gewohnt, dass mir jemand aus der Jacke hilft und mir den Stuhl zurechtschiebt, ich will dann bloß nicht auffallen und dumme Fehler machen – falls man dabei einen Fehler machen kann, sich seine Jacke ausziehen zu lassen. Ich war die ersten fünf Minuten jedenfalls völlig überwältigt, auch von den Farben im Innenraum. Es ist schon ein Unterschied zu wissen, dass jetzt die 70er-Jahre-Keule wartet oder dann wirklich fünf Stunden lang auf eine mit orangefarbenem Teppich bezogene Wand zu starren. Ich hatte mich – überfordert – blöderweise auf den Stuhl gesetzt, der zur Wand und zur Fensterfront ging und nicht in den, von dem aus ich in den Laden hätte gucken können. Ich wollte mich dann aber auch nicht umsetzen, obwohl F. es mir ungefähr 80mal anbot; ich wollte einfach nur dasitzen und überfordert-glücklich gucken und essen und trinken.

Und deswegen gibt es auch keine Fotos vom Essen. Mir war eigentlich schon seit Tagen klar, dass ich nicht im Tantris mit dem iPhone rumwedeln und den Teller dreimal drehen wollte, bis das Licht vernünftig ist. Ich wollte nicht den ganzen Abend einen Blogeintrag im Kopf haben und mir innerlich Notizen zu den Weinen machen müssen. Ich wollte einfach nur dasitzen und überfordert-glücklich gucken und essen und trinken. Und OMG habe ich das gemacht.

Als Gruß aus der Küche gab es, wenn ich mich richtig erinnere, ein kleines Stück Zander in einer knusprigen Panade auf kühlem Gemüse. Und schon damit war klar, dass dieser Abend kulinarisch unvergesslich werden würde. Es waren keine irrwitzig überraschenden Geschmäcker, es gab kein modernistisch angerichtetes Eventfood, auf keinem Teller fanden sich effektvolle Saucenkleckse oder molekulare Experimente. Das nehme ich sonst gerne alles mit, aber im Tantris herrscht eine klassische Küche vor – in einer Perfektion, die für mich neu war. In diesem Fall war es die Panade, die so knusprig war wie nichts, was ich jemals gegessen hatte, mit einem winzigen, stimmigen Kontrast aus Heiß und Kalt. So simpel, so großartig. Das war jedenfalls mein Fazit, als wir nach fünf Stunden und acht Gängen wieder gingen: Ich hatte noch nie so stimmig, so irreführend schlicht, denn das war es natürlich nicht, so klar, so perfekt gegessen.

Der erste Gang bestand aus pochierter Entenleberterrine mit Räucheraal, grünem Apfel, rosa Entenbrust und roter Bete. Ich war darauf vorbereitet, dass der Räucheraal alles erschlagen würde, die roten Bete mit ihrer Erdigkeit dagegen anmaulen würden, vielleicht gäbe es ein paar frische Spitzen vom Apfel, und alles zusammen war vermutlich irre kräftig. War es nicht; alles fügte sich harmonisch zusammen, die Entenleber zerschmolz auf der Zunge, der Räucheraal war deutlich zu schmecken, nahm sich aber sofort wieder zurück, um nicht aufdringlich zu werden, die Bete waren frisch statt erdig, und wenn es Spitzen gab, dann waren sie so fein dosiert, dass ich sie nicht als solche wahrnahm.

Zum zweiten Gang – ausgelöster Hummer mit Butternusskürbispüree und Sternaniscreme – wurde uns von einem der drei Sommeliers ein Wein serviert, über den F. und ich seitdem nicht aufhören können zu reden. Überhaupt sprachen wir eigentlich, seit wir aus der Tantris-Tür gingen, über nichts anderes mehr als das Tantris, das Essen, den Wein, den Service, das Ambiente. Aber dieser Wein! Der 2011er Hermitage blanc von Jean-Louis Chave war der teuerste Wein des Abends; für ein Glas 0,1 l zahlten wir 55 Euro, und damit höre ich auch auf, von Geld zu reden. Ja, das war mit Abstand das teuerste Essen, das ich jemals hatte, aber wie gesagt: Es war auch mit Abstand das beste, das ich jemals hatte.

Ich kann den Wein nicht mal beschreiben, weil er nach nichts schmeckte, das ich kannte. Normalerweise definiert sich ein Weißwein über Zucker oder Säure, so weit ich weiß, aber der hier hatte gefühlt nichts von beidem. Er war einfach da, souverän und ausdrucksstark, und er wurde immer klarer, je länger er im Glas war. Er war ein Cuvée aus Marsanne- und Rousanne-Trauben, die ich beide nicht kannte. Ich roch keine Frucht, ich schmeckte auch keine, jedenfalls keine, die ich hätte definieren können. Dieser Wein war so weit außerhalb meines bisherigen Geschmackshorizonts, dass ich nur stumm und ehrfürchtig ein ums andere Mal am Glas nippte und immer kleinere Schlucke nahm, damit er möglichst lange im Glas blieb. Irgendwann musste ich dann aber doch Abschied von ihm nehmen.

Der Sommelier, der uns danach einen weißen Rioja kredenzte, meinte dann auch fast entschuldigend, dass es jeder Wein schwer habe, auf diesen zu folgen. Der Rioja schlug sich aber sehr ordentlich. Und er passte natürlich hervorragend zur konfierten Seezunge mit Bohnen, Ricottaravioli und Oliven-Sardellensud. Auch hier wieder: Oliven! Sardellen! Unglaublich intensive Geschmäcker, aber sie waren nicht die Hauptdarsteller, im Gegenteil, sie stützten mit ihrer Würze den feinen Fisch und den hauchdünnen Raviolo, in dessen Innerem sich der schmelzigste Ricotta verbarg, den ich jemals gegessen hatte. (Ich müsste mit diesen Superlativen langsam aufhören, es kommen schließlich noch drei Gänge, aber sie sind angebracht. Sorry not sorry.) Unter Ricotta verstand ich bisher bröckeliges weißes Zeug, mit dem ich nie etwas anzufangen weiß außer es mit Spinat zu kombinieren. Und Oliven waren für mich halt das herbsäuerliche Zeug, das im griechischen Salat liegt. Mit Sardellen stelle ich nur Dressing für Caesar Salad her oder packe sie auf Pizza, und Bohnen sind meine liebste Gemüsebegleitung, weil sie so schön knackig sind. Dieser Gang warf mal eben alles über den Haufen, was ich bisher über diese Zutaten gelernt und verinnerlicht hatte. Ich lernte, dass Oliven auch einfach nur würzen können und dass Bohnen auch unknackig hervorragend sind. Ich hätte auch gerne gelernt, wie man Pastateig so unfassbar dünn ausrollen kann, so dass der Löffel quasi hindurchgleitet, er aber fest genug ist, um im Wasser nicht auseinanderzufallen.

Ich war bei jedem Gang damit beschäftigt, die ganzen winzigen Kleinigkeiten zu bewundern, von denen ich nur ahnen kann, wieviel Arbeit sie gemacht haben. Die Gemüsewürfelchen in der folgenden Ochsenschwanzessenz wurden vermutlich mit einem Skalpell geschnitten, und trotzdem schmeckte man Möhre und Zwiebel aus diesem zwei Millimeter kleinen Ding heraus.

Der Fleischgang bestand aus gratiniertem Lammrücken mit Spinat, Artischocken und Petersilienpolenta. Und hier, und es ist mir ein bisschen peinlich es zuzugeben, war ich kurz davor zu heulen. Es ist doch nur ein blöder Lammrücken mit einer blöden Kräuterkruste und blöder Polenta, aber es war dann eben doch so unglaublich viel mehr. Wo ich bisher noch auf Details der Zutaten oder der Zubereitung geachtet hatte, warf mich hier der Geschmack endgültig um, ich war schlicht überwältigt von diesen mir eigentlich bekannten Aromen in ihrer mir bisher nicht bekannten Vollendung. Ich weiß, es ist „nur“ Essen, aber genauso könnte ich vor Rogier van der Weydens Kreuzabnahme im Prado stehen und sagen, es ist nur ein Bild. Dieses Essen hatte ein Niveau, das mich schlicht überforderte – mich damit aber sehr beglücken konnte.

Den Käsegang (Ziegenfrischkäse auf Mispeln, OMG) und die beiden Desserts nahm ich fast nur noch als Konsistenz war, so fertig waren meine Geschmacksnerven. Ich erinnere mich daran, beim Mohr im Hemd – ein kleines Schokoküchlein mit Rumsahne und geschmolzener Schokolade und Kaffeeeis – nur noch über die unfassbare Fluffigkeit des Küchleins gebrabbelt zu haben: Wie kann man einen Kuchen so backen, dass er sich anfühlt, als würde man in süße Luft beißen? Und wie kann ein Süßwein bitte nach Kaffee schmecken? Das Passionsfruchtsorbet auf Mango räumte dann den Magen wieder etwas auf, aber für mehr als einen Espresso reichte meine Kraft nicht mehr, keinen Schnaps mehr, danke. Ich wollte abends auch gar nicht Zähneputzen, um möglichst lange die letzten Geschmacksmoleküle zu retten.

Ich habe so noch nie gegessen – und ich werde wieder ein paar Jahre verstreichen lassen, bis ich mir das noch einmal gönne. Das war ein unvergesslicher Abend, und als wir uns auf dem Weg zur U-Bahn noch einmal zum Restaurant umdrehten, hatte ich dann doch ein paar Tränchen in den Augen. Ich bin so dankbar, etwas so Wundervolles erlebt und genossen zu haben. Und ich bin einer meiner Leserinnen genauso dankbar, dass sie mir diesen Abend finanziert hat; ich konnte die ganze Zeit schmecken und riechen und staunen anstatt daran zu denken, dass ich gerade dreiviertel meiner Monatsmiete für eine Mahlzeit ausgebe.

Den nächsten Tisch dort buche ich, wenn die Dissertation abgegeben ist. Ich freue mich jetzt schon darauf.

Tagebuch, 3. Oktober 2017 – Putztag

Meine Eltern sind ab Samstag in der Stadt, denn ich bekomme Dienstag nächster Woche meine Masterurkunde überreicht, und das wollen sie sich gerne angucken (und vermutlich schlimme Fotos machen, auf denen ich wie ein Honigkuchenpferd strahle). Deswegen muss diese Woche die Wohnung elternfein gemacht werden – also auf einen Sauberkeitsstandard gebracht werden, der meinen normalen etwas übersteigt. Ich beging den Tag der deutschen Einheit also wie eine gute Hausfrau aus den 50er Jahren und beschäftigte mich mit der Küche, die ich bis auf die tägliche Reinigung von Kochstelle und Umgebung sowie dem wöchentlichen Saugen meist sich selbst überlasse. Gestern putzte ich Fenster (das mache ich höchstens einmal im Jahr, was soll der Aufwand), räumte alle offenen Regale aus und wischte alles sauber, säuberte Schrankoberflächen und die Ecken unter dem Sideboard, die ich sonst erst beim Auszug mal geputzt hätte, warf weg, räumte um und wischte schließlich den Boden.

Wie ich mal wieder latent ungern feststellen musste: Putzen vertreibt bei mir Traurigkeit. Nicht ganz so effektiv wie in der Bibliothek zu sitzen, aber es ist nah dran: Ich sehe, was ich getan habe, fühle mich irre produktiv und bin meist zufrieden damit.

Wenn das mit der Werbung oder dem Arbeiten in der Kulturbranche nichts mehr wird, werde ich Raumpflegerin.

Andere Baustelle: die Ausstellung über lokale NS-Künstler in Rosenheim (kein Gendersternchen, mpf). Ich meinte neulich mal launig, dass ich Interessierte durch die Ausstellung führen würde – und jetzt hat sich tatsächlich jemand gemeldet, die darauf gerne zurückkommen würde. Besteht ernsthaft Interesse daran? Schickt mir eine Mail oder einen Tweet, falls ihr Lust auf eine Führung hättet, dann mache ich ein Google-Doodle mit Terminvorschlägen auf.

Ganz Kurzentschlossene können sich zu diesem Thema auch heute das Kolloquium in der Pinakothek bzw. im Zentralinstitut für Kunstgeschichte geben. Ich bin natürlich vor Ort und lausche aufmerksam.

„It’s okay if sometimes you’re not okay.“

Gestern war ich eigentlich auf der Wiesn verabredet, und ich hatte mich auf den Termin und die Gruppe und das Zelt seit Wochen gefreut. Leider ging es mir Montag ähnlich wie Samstag; ich war bei allem irrwitzig nah am Wasser und sah mich schon flennend vor meiner Maß sitzen. Also sagte ich gegen Mittag ab und machte Dinge, die mir gut tun: spazierengehen, einen Riesenberg Obstsalat schnippeln und genießen, still in meinem dicken Buch weiterlesen, auf dem Sofa unter meiner Kuscheldecke Tee trinken und den Tag möglichst schnell verstreichen lassen. Und: das Internet und Twitter weitgehend ignorieren. Wenn mir im realen Leben Menschen zu viel sind, sind sie das auf Twitter erst recht.

Abends, als es mir besser ging, schaute ich aber doch wieder in die Timeline, wo gerade ein, ja sorry, Buzzfeed-Artikel verlinkt wurde. Bitte nicht von der bescheuerten Headline irritieren lassen; es geht um Ratschläge, die Menschen aus der Buzzfeed-Community von ihren Therapeut*innen erhalten haben und die im Alltag, gerade an miesen Tagen, hilfreich sind. Darunter war auch der Satz, der über diesem Blogeintrag steht: Es ist in Ordnung, wenn es dir manchmal nicht gut geht. Das lasse ich mal hier stehen, auch damit ich es mir selber merke.

Der wichtigste Satz, den ich aus meiner Therapie mitgenommen habe, war: „Sie dürfen nett zu sich sein.“ Den kann man auch immer gut brauchen, den Satz, gerade wenn wieder Sprüche kommen wie „in den Schmerz reinarbeiten“ und „hart zu sich sein“ und „What’s your excuse“ und „den inneren Schweinehund überwinden“ oder ähnlicher Quatsch.

Tagebuch, Samstag/Sonntag, 30. September/1. Oktober 2017 – Altona-Tränen

Am Samstag stand wieder ein Augsburg-Spiel auf dem Plan. Ich war schon den ganzen Vormittag latent traurig, wusste aber nicht, warum, denn ich freute mich auf das Spiel und den @Surfin_Bird, der F. und mich begleiten würde. Wenn ich dieses Spiel mit meiner halben Dauerkarte bestritten hätte, wäre ich vermutlich auf dem Sofa unter der Decke geblieben, aber bei dieser Begegnung war der eigentliche Karteninhaber wieder im Stadion, weswegen ich 40 Euro für eine Karte ausgegeben hatte. Ich weiß nicht, ob das der Grund war, mich doch aufzuraffen oder schlicht die Vorfreude aufs Spiel – auf jeden Fall ging ich aus dem Haus, wenn auch ohne Trikot und Schal, sondern in meinen normalen Klamotten. Als ich am Hauptbahnhof auf den Bahnsteig gehen wollte, auf dem wir uns immer treffen, um nach Augsburg zu zuckeln, fiel mein eh schon wackeliger Blick auf das Nachbargleis, auf dem gerade ein ICE darauf wartete, nach Hamburg-Altona zu fahren. Und ehe ich begriff, was passierte, kullerten die ersten Tränchen und ich drehte mich um und hoffte, die Jungs hatten mich noch nicht gesehen. (Hatten sie, wie ich später erfuhr.) Ich ging ein paar Meter zurück zum Infostand zur neuen Stammstrecke und dem geplanten Umbau des Hauptbahnhofs, der wie ein kleines Häuschen mitten im Bahnhof steht. Dort versteckte ich mich, heulte minutenlang vor mich hin und las mir, um mich abzulenken, die ganzen Infotafeln durch. Ich kenne jetzt auch das Architekturmodell für den neuen Hauptbahnhof auswendig, und soweit ich das durch den Tränenschleier beurteilen kann, wird das Ding echt okay.

Das Spiel war dann recht nervig, auch weil sehr viele Dortmunder Fans im Stadion waren und die Kulisse sich deswegen nicht ganz so heimspielig anfühlte. In der ersten Halbzeit war Dortmund klar besser und führte zur Pause mit 2:1, auch weil beim zweiten Tor die Augsburger Verteidigung reiner Slapstick war. In der zweiten Halbzeit machte der FCA aber das, was er am besten kann: den Gegner auf sein Niveau runterziehen. Auch der BVB bekam kaum noch Pässe zustande und schoss zeitweilig nur noch hoch und weit in den Strafraum. Das Spiel wurde hakeliger, und zu allem Überfluss störte der neue, beknackte Videobeweis die Spieldynamik zusätzlich. (Womit die Spieler anscheinend besser umgehen können als wir als Publikum.) Das war alles grottig anzusehen, aber ich persönlich fand es beruhigend, dass Augsburg gegen Dortmund nicht untergegangen ist. Wenn die Mannschaft die restliche Saison ähnlich agiert, dürfte der Klassenerhalt kein Problem sein. (Und dann kaufe ich mir eine eigene Dauerkarte.)

Den Sonntagmorgen verbrachte ich bei F. Wir lungerten ewig im Bett rum und beschlossen zur Mittagszeit, dass man ja mal frühstücken könne, was wir dann im Görreshof taten, wo ich statt Croissants und Kaffee Schnitzel in Breznpanade und Apfelschorle genoss. Das machen wir selten, so lange an freien Tagen morgens zusammen zu sein; meist will derjenige, in dessen Wohnung man sich gerade nicht befindet, sich irgendwann frischmachen und den Tag starten, während der andere noch rumliegen will. Das sind die Momente, wo ich Zusammenleben vermisse. Wir wohnen keinen Kilometer auseinander, es ist also kein Akt, mal eben zum anderen rüberzugehen oder zu radeln oder den Bus zu nehmen, der uns ernsthaft von Haustür zu Haustür schaukelt. (Wir haben quasi Chauffeurservice.) Trotzdem mag ich es, dass jeder seinen Tag im eigenen Tempo starten kann und man trotzdem zusammen ist. Ich mochte das in anderen Beziehungen gern, dass der eine schon aufsteht, während der andere halt noch liest oder schläft; irgendwer kümmert sich um Frühstück oder halt nicht, man kann nochmal zum anderen unter die Decke schlüpfen, wenn derjenige partout noch nicht rauswill oder ähnliches. Es kostet weniger Planungsenergie oder überhaupt irgendeine Anstrengung, miteinander Zeit zu verbringen, wenn man unter einem Dach wohnt. So gerne ich unsere getrennten Wohnungen mag, so sehr vermisse ich eine gemeinsame an Sonntagmorgenden.

Den Rest des Tages las ich das Terrorismusbuch weiter. Vermutlich werde ich es nicht komplett durchlesen können, weil ich es diese Woche in die Stabi zurücktragen muss; da hat ein Schlingel doch tatsächlich eine Vormerkung getätigt, bevor ich es verlängern konnte. Auch okay, schön, dass das Buch mehr Leser*innen kriegt.

Neben der schon gerühmten Schreibweise und des wirklich spannenden Inhalts konnte ich mir noch ein paar wissenschaftliche Konventionen abgucken. Bis zur Masterarbeit habe ich gefühlt jeden Satz mit einer Fußnote belegt, in dem eine Idee drinsteckte, die vielleicht nicht ganz allein meine war. Hier sah ich eine etwas entspanntere Herangehensweise: Man schreibt einen ganzen Absatz zu einem Thema und belegt dann in einer langen Fußnote die einzelnen Teile.

Überhaupt merkte ich mal wieder, wie gut es der eigenen Arbeit tut, andere zu lesen. Den Rat kriegt vermutlich jede Journalistin, jede Texterin, jede andere Wortarbeiterin irgendwann: „Wer schreiben will, muss lesen.“ Den halte ich auch immer noch für essentiell. Klar gibt es Genies, die aus dem Nichts einen Stil erfinden, aber ich persönlich habe gerne von anderen gelernt: Wieso funktioniert diese Headline jetzt? Wieso will ich diesen Film weitergucken und diesen hier nicht? Wie ist die Erzählstruktur aufgebaut? Wieso finde ich diesen wissenschaftlichen Aufsatz lesbar und strukturiert und diesen hier nicht? Wo ist der Unterschied? Neuerdings lese ich das FAZ-Feuilleton nicht nur wegen des Inhalts, sondern gucke mir besonders an, wie die Autor*innen in den Text reinkommen: Wo holt man die Leserin ab, und wie entlässt man sie nach 40 Zeilen wieder? Das ist gerade bei Ausstellungsbesprechungen ein ganz anderer Aufbau als der, den ich hier lustig im Blog anbiete, denn hier weiß ich um eine geneigte Leserschaft. Ich ahne, dass Zeitungsartikel – genau wie Werbetexte – nur ein, zwei Zeilen haben, um die Leserin zu überzeugen, ihre Zeit für die Lektüre herzugeben.

Auch deswegen freue ich mich sehr darüber, wenn ich wissenschaftliche Texte finde, die ich nicht nur lese, weil ich weiß, dass ich Informationen von ihnen brauchte, sondern schlicht, weil es ein Vergnügen ist, sie zu lesen.

Ein etwas ängstliches Dankeschön …

… an Annette, die mich mit Hillary Rodham Clintons What Happened überraschte. Ängstlich, weil ich ahne, dass diese Lektüre vermutlich wenig Spaß machen wird. Ich habe von Clinton bereits Living History gelesen wie auch die Autobiografie ihres Mannes; ich schätze ihre Art zu schreiben sehr. Jetzt interessiert mich, wie Clinton den Wahlkampf und vor allem das Wahlergebnis verarbeitet hat, auch weil sie sehr deutlich sagt: „In the past, for reasons I try to explain, I often felt I had to be careful in public, like I was up on a wire without a net. [Dieses Gefühl dürften viele Frauen im professionellen Umfeld kennen.] Now I’m letting my guard down.“

Ich ahne, dass Clinton immer noch nicht alles sagen wird, was ihr in den letzten zwei Jahren durch den Kopf gegangen ist, aber ich bin gespannt auf ihre Sichtweise, die jetzt keine Rücksicht mehr nehmen muss auf Umfragen und Persönlichkeitschecks. Ich habe einige Rezensionen zum Buch gelesen; in einigen wird gesagt, Clinton übernehme nicht genug Verantwortung für ihre Fehler, in anderen steht genau das Gegenteil. Auch deswegen war ich neugierig auf dieses Buch – aber eben auch ängstlich. Vielen Dank für das Geschenk, ich habe mich sehr gefreut.

Was schön war, Freitag, 29. September 2017 – Mittagswiesn und Macarons

Wie schon im letzten Jahr schafften F. und ich es einmal, zur Mittagszeit auf der Wiesn zu sein. Unsere Überlegung „Ochsenbraterei oder Augustinerzelt“ wurde durch den Wunsch nach dem Lieblingsbier entschieden (F. über Spaten, das in der Ochsenbraterei ausgeschenkt wird: „Schaufelbier“), und so landeten wie, ebenfalls wie im letzten Jahr, im Augustinerzelt. Es war noch vor 12, die Kapelle spielte noch nicht, wir konnten uns in normaler Lautstärke unterhalten, der Herr hatte Fleischpflanzerl (das Zeug heißt Frikadellen und Bayern hat manchmal echt ne Macke), ich genoss meine geliebten Rostbratwürstchen mit Sauerkraut, jeder hatte eine Maß und alles war gut. Danach bummelten wir etwas, tranken im Biergarten beim Käferzelt einen Absacker-Milchkaffee, ich guckte ein wenig den Fahrgeschäften zu, kaufte meine üblichen gebrannten Mandeln, ohne die ich kein Oktoberfest verlasse, und dann saßen wir noch ein Stündchen bei F. auf dem Balkon, bevor der Herr zu einer Hochzeit musste.

Beim untenstehenden Foto mochte ich die abfallende Diagonale zum Riesenrad sowie die geschwungene Fassade links im Bild so gerne, deswegen nahm ich es auf. Ich achtete überhaupt nicht auf die Leute im Bild, und so fiel mir erst zuhause auf, was die Menschen so trugen. In letzter Zeit geht mir das Klamottenabwatschen wieder stark auf den Zeiger – was darf man tragen, was nicht – und so verzichtete ich in diesem Jahr bei allen Wiesnbesuchen nicht nur aus Bequemlichkeitsgründen, sondern auch aus Bockigkeit auf mein Dirndl. In den ersten zwei Jahren Oktoberfest trug ich Jeans und fühlte mich underdressed, in den nächsten zwei dann Dirndl und fühlte mich verkleidet, und seit letztem Jahr gehe ich wieder in Jeans. Jetzt passt’s.

Ich verbrachte den Rest des Abends mit Lesen und brach gaaanz vorsichtig das Mitbringsel von F. an, das er ernsthaft aus Paris nach München getragen hatte. Der Herr war für das Bayernspiel gegen PSG mal kurz in den TGV gestiegen und ich hatte per DM gewitzelt, er möge mir bitte Macarons von Ladurée mitbringen. Sowas darf man dem Mann nicht sagen – der macht das nämlich.

Was schön war, Donnerstag, 28. September 2017 – Rosenheim und Küchengast

Morgens setzte ich mich in den Zug nach Rosenheim, um mir unsere Ausstellung über die lokale Kunst im Nationalsozialismus anzuschauen. Darüber blogge ich noch ausführlich, aber dafür möchte ich noch kurz was im ZI nachschlagen, was heute nicht geht, denn heute ist endlich Mittagswiesn mit F., und am Wochenende hat meine geliebte Lieblingsbibliothek unfassbarerweise geschlossen; der Bericht kommt also erst nächste Woche.

Ihr könnt euch für einen ersten Eindruck aber durch meine bebilderten Tweets klicken, die ich bräsigerweise nicht zu einem Thread zusammengefügt habe (ich mach das noch nicht so lange). Vor der Galerie; erster Eindruck in der Mittelhalle (die Galerie erinnert in ihrem Aufbau bewusst ans Haus der Kunst in München); zwei Bilder von Leo von Welden (1944), die vor einem Spiegel aufgehängt wurden, damit man die Rückseiten sehen kann; ein Wandtext, der erklärt, worum es genau geht; ein Wandtext über Hans Müller-Schnuttenbach, einem der meistausgestellten Künstler auf der Großen Deutschen Kunstausstellung, über den es bis heute noch keine wissenschaftliche Auseinandersetzung gibt; ein nachgestelltes Depot im Ausstellungsraum, das darauf verweist, wieviele solcher Bilder noch in deutschen Depots hängen (das gefiel mir sehr gut); zwei Lithografiemappen von Leo von Welden (1948), an denen ich seinen leicht veränderten Stil in der Nachkriegszeit erläutere – diese beiden Mappen waren die ersten Ankäufe der Galerie nach 1945; Leos Selbstporträt von 1956, als der Mann Farbigkeit und Expressivität für sich entdeckte; ein Blick in das Inhaltsverzeichnis unseres substanziellen Katalogs, in dem ich entsetzt entdeckte, dass mein Name falsch geschrieben wurde, aber beim eigentlichen Text steht er korrekt.

Gegen 13.30 Uhr war ich wieder in München. Zum Mittagessen gab es den Rest der köstlichen Erbsensuppe von gestern sowie ein Plunderstückchen, das ich mir am Bahnhof mitgenommen hatte. Gegen 16 Uhr twitterte @holgi, dass er drei Stunden in der Stadt totschlagen müsse, bevor sein Flieger nach Berlin ging, und ich lud ihn spontan an meinen Küchentisch ein. Der Herr brachte eher geschmacklosen Kuchen mit („Ist der vegan?“), gönnte sich ein Augustiner, während ich weiter an meinem Tee nippte und froh war, vom Teilchen noch zu satt für den komischen Kuchen zu sein. Holger und ich hatten uns bereits auf meinem Hamburger Sofa mal gesehen, jetzt halt in München, und so meinte er folgerichtig zum Abschied: „Bis zur nächsten Stadt.“

Nachdem der Spontanbesuch gegangen war, las ich weiter unseren Ausstellungskatalog, den mir die Museumsleiterin vormittags in die Hand gedrückt hatte, um endlich die Forschungsergebnisse meiner Kommilitoninnen würdigen zu können. Einige weitere Aufsätze von Kunstgeschichtsprofis las ich ansatzweise und freute mich über gute Diskussionspunkte, die ich in meiner Ausstellungsbesprechung aufgreifen kann. Ich hatte aber überhaupt keine Lust mehr, sie gestern noch anzufangen, daddelte stattdessen Hay Day und Candy Crush und ließ mich von alten Grey’s-Anatomy-Folgen berieseln.

Außerdem hat der FCB gestern Herrn Ancelotti entlassen, wozu die New York Times sehr schlau schrieb: „Ancelotti was just what Bayern had wanted. It just turned out he was not at all what it needed.“

„The immediate interpretation is that Ancelotti’s 15 months in Munich should be read as an allegory for not knowing what you’ve got until its gone, and to interpret his appointment and dismissal as proof that what Bayern wanted all along was actually — here is the ironic twist — Guardiola.

The reality is different. Bayern and Guardiola had traveled as far as they could together; fissures were starting to appear by the time he left. The mistake Bayern made was in assuming that was the end of the journey: that what was needed now was someone to keep things ticking along, rather than put a foot on the throttle.

In both a domestic and European context, Ancelotti’s calling card — that air of serene stability, managing both upward and down — now seems a little outdated.

In Germany, in those years when Guardiola was transforming Bayern, the rest of the league changed too, becoming populated by a raft of bright young coaches full of bold new ideas. They are all cast from the same mold, each possessing just a scintilla of Guardiola’s influence: their styles are adventurous and expansive, their tactics complex and advanced. In the Bundesliga, as elsewhere, players do not expect simply to be maintained. They expect to be improved.“

Das Schlusswort hat F. Und ich erkläre den Witz mal kurz für die Nicht-Wiesnkundigen.