Tagebuch, 5. Februar 2017 – Prüfungsvorbereitung

Die zwei Lektürekursbücher für das heutige Prüfungsgespräch nochmal sehr drastisch quergelesen und meine Notizen dazu vervollständigt.

Die letzten Cézanne-Lernkärtchen gebastelt und durchgegangen. Weil ich mit denen noch nicht fertig war, habe ich mir den Stadionbesuch in Augsburg verkniffen, wo natürlich noch in der Nachspielzeit das Siegtor für den FCA fiel. Das hätte ich schon gerne live gesehen anstatt mit halbem Auge auf dem iPad. Selber schuld, zu lange rumgetrödelt.

Ein weiteres Mal den Lernkärtchenstapel zur osmanischen Architektur durchgeblättert, dabei einige Gebäude rausgelegt, deren türkische Namen ich mir auch beim zehnten Durchgang und mit allen Eselsbrücken dieser Welt anscheinend nicht merken kann. Ich lerne für diese beiden allerletzten (unbenoteten) Klausuren meines Studiums gnadenlos nur noch auf „Bestehen“ und nicht auf „Mit Bravour alle Fragen beantworten“, was zumindest im Bachelor meist mein Anspruch an mich selbst war. Da wusste ich aber auch noch nicht, wohin meine kunsthistorische Reise geht, weswegen ich mir dachte, das kann ja alles nicht schaden, was du dir hier gerade reinstopfst. Kann es vermutlich auch dieses Mal nicht, aber ich weiß inzwischen, dass ich osmanische Architektur nie wieder brauchen werde, und für Cézanne gibt es eine Million Kataloge.

Außerdem weiß ich inzwischen auch: 95 Prozent von dem, was ich für Klausuren lerne, vergesse ich nach dem Prüfungstermin sofort. Ich kann heute noch Details aus Memlings Leben abrufen, die ich mir im ersten Semester für Referat und Hausarbeit selbständig erarbeitet habe, aber was ich für die elf KuGi-Klausuren der letzten vier Jahre gelernt habe, ist so ziemlich alles weg. In Geschichte könnte etwas mehr hängengeblieben sein, denn dort haben wir keine Multiple-Choice-Dinger geschrieben, sondern Essayfragen gehabt, wofür ich auch anders gelernt habe. Multiple Choice ist für Kunstgeschichte sowieso das dämlichste Format, um Wissen abzufragen, aber bestimmt haben die BA-Ausdenker*innen sich was total Sinnvolles dabei gedacht.

Bagels gebacken, die aber nicht so toll geschmeckt haben wie sie aussahen. Monika Marons Stille Zeile Sechs durchgelesen und als „fand ich gut“ ins Regal gestellt; mit Carolin Emckes Gegen den Hass angefangen.

In den Endnoten fand ich ihr Buch Kollektive Identitäten: Sozialphilosophische Grundlagen, das mir eventuell für die Masterarbeit nützlich sein könnte. Beim Einschlafen noch einen Geistesblitz zur Arbeit gehabt, mir schnell mit dem iPhone am Bett eine Mail geschrieben, damit ich ihn nicht vergesse.

Tagebuch, Samstag, 4. Februar 2017 – Dösen

Ich hatte die Nacht von Freitag auf Samstag sehr schlecht geschlafen, ich kann gerade meinen Kopf nicht ausmachen, und auch die üblichen Strategien, mit denen ich mich zum Einschlafen kriege, klappten nicht (Dankesrede als frisch mit dem Oscar prämierte Drehbuchautorin, dabei Fat Acceptance in der Ansprache unterbringen; Blumenschmuck überlegen für Hochzeit mit dem Promischnucki des Tages; sich an uralte Gedichte erinnern, die ich mal im Deutschunterricht gelernt habe etc.). Daher war ich gestern den ganzen Vormittag über sehr dösig und unkonzentriert. Nach ein paar Stunden am Schreibtisch, die zu gar nichts führten außer zu Gereiztheit, weil ich ja schließlich lernen muss, legte ich mich aufs Sofa und schlief beim Fußball ein. Nach ein paar Stündchen war ich fit und munter, ignorierte aber die Klausuren und gönnte mir stattdessen Urlaub bei einem Buch, das nichts mit der Uni zu tun hatte und viel Pasta.

Hätte ich nicht gedacht, dass Saturday Night Live mal wichtig für meine seelische Gesundheit wird. Hier ist Melissa McCarthy als Sean Spicer. Grandioses Casting.

Durch Replys auf dumme Tweets von dummen Rassisten gelernt, wo Fish and Chips herkommen.

Tagebuch, Freitag, 3. Februar 2017 – Endspurt

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Was schön war, Donnerstag, 2. Februar 2017 – Alte Bücher

Nachdem ich den Mittwoch damit verbracht habe, meine Hausarbeit zu Amnesty International ein allerletztes Mal Korrektur zu lesen und auszudrucken, konnte ich sie gestern abgeben. Einmal in physischer Form, indem ich den Ausdruck in den Briefkasten der Dozentin warf, einmal in digitaler Form als PDF per Mail.

Zur Abgabe einer Hausarbeit gehört bei mir auch immer der kathartische Akt der Buchrückgabe. Im Laufe einer Arbeit sammele ich über München verstreut kleine Bücherberge, zum Beispiel in den Lesesälen von Stabi und UB oder im Ablagefach des Zentralinstituts für Kunstgeschichte. Dazu kommt der eigene Schreibtisch, auf dem die Bücher thematisch geordnet rumliegen; bis gestern gab es den Stapel „Amnesty“ und den Stapel „Leo“, der sich allerdings auch schon auf einen Stuhl und das Regal hinter mir ausgedehnt hat, weil ich zu Leo noch mappenweise Korrespondenz und ausgedruckte Bilderlisten habe. Den Amnesty-Stapel konnte ich nun aber abtragen. Die UB-Bücher hatte ich bereits am Dienstag zurückgegeben, die Stabi-Bücher waren gestern dran.

So trug ich den Stapel zur Rückgabe im Erdgeschoss und ging dann gleich nach nebenan, um Nachschub aus der Ausleihe zu holen. (Unter anderem ein paar Bücher, die mir sowohl für die Leo-Hausarbeit als auch für die Masterarbeit, deren Bearbeitungszeit offiziell Ende Februar beginnt, helfen sollen.) Dann ging ich in den ersten Stock, wo ich zunächst an der Infotheke meine zurückgelegte Mikrofichesammlung endgültig zurückgab; danach schleppte ich vier riesige Zeitungsbände der Süddeutschen und des Münchner Merkur zur Rückgabetheke sowie zwei Jahresberichte von AI. Für die Zeitungsbände gönnte ich mir einen der Rollwägen, die ich bisher immer verschmäht hatte, aber gestern dachte ich mir, ach, machste mal kurz Krach und rollst zehn Kilo Zeitung durch den Lesesaal. War super.

Der letzte Gang führte mich in den Handschriftenlesesaal, in dem ein letzter Jahresbericht von AI lag, der wieder ins Magazin durfte. Nachdem ich das erledigt hatte, ging ich in die Schatzkammer, an der ich die letzten Wochen nur eilig vorbeigelaufen war. Wenn ich in der Stabi bin, ist das für mich Arbeit, die will ich erledigen und dann nach Hause. Ich habe auch nie verstanden, warum Leute in der Agentur gerne ewig um Kickertische und Kaffeemaschinen rumstanden; ich saß lieber am Schreibtisch und hatte um 18 Uhr Feierabend.

Aber gestern war diese Arbeit erledigt, das letzte Buch war weg und ich konnte meinen Kopf in mittelalterliche Handschriften und Drucke stecken. Das könnt ihr bis zum 24. Februar übrigens auch, und das lohnt sich sehr. Hier sind alle Bücher schon mal vorab zu betrachte, aber wie immer ersetzt natürlich nichts das Original. Vor allem ist es schlicht toll, in zwei Räumen zu stehen, die Schatzkammer heißen und sich auch so anfühlen. Im Sommer besonders, denn die Räume sind immer schön runtergekühlt.

In einem Lehrbuch konnte ich ein Bild Albrecht Dürers bewundern, der den Lesern (und Leserinnen?) die Perspektive mittels eines Gitters beibrachte. (Ich kannte bereits die Arbeit Albertis dazu sowie diese bekannte Darstellung Dürers.) Dann erfreute ich mich am angeblich ältesten modernen Atlas der Welt von Johannes Schott, der 1513 gedruckt wurde. Die aufgeschlagene Seite zeigt die neu entdeckten Gebiete Amerikas und darunter einen riesigen Blob namens Terra Incognita. Ebenfalls toll: eine gezeichnete Weltkarte von Martin Waldseemüller, den den Globus in Segmente unterteilt hatte. Auch hier war Amerika schon zu sehen, aber noch längst nicht in der Größe, die heute bekannt ist. Das sah sehr seltsam und rührend aus und es warf mich kurz in eine Gedankenschleife, die mit der Star-Trek-Enterprise-Musik unterlegt war: It’s been a long road. Ich musste daran denken, was wir alles gelernt hatten über die letzten Jahrtausende hinweg – und dann fiel mir ein, dass wir das anscheinend alles gerne wieder vergessen. Anders kann ich mir schlicht nicht erklären, wieso derzeit gerne Idioten gewählt werden, die Ansichten vertreten, von denen ich dachte, wir hätten die durchgedacht und uns im gesellschaftlichen Konsens dafür entschieden, sie als rückständig und doof hinter uns zu lassen. Falsch gedacht.

Eine Abbildung aus dem Ring bzw. der Begleittext dazu ließ mich dann aber wieder fröhlich werden, denn ich lernte die Namen des Liebespaares Bertschi Triefnas und Mätzli Rüerenzumph kennen. Sehr beeindruckt hat mich eine touronische Bibel, die im frühen 9. Jahrhundert geschrieben wurde. Ich erinnerte mich an die Mittelalterseminare, die ich im Laufe des Studiums genossen hatte und freute mich, dass ich wusste, was ich da vor mir liegen hatte. Gleichzeitig schaute ich mir die Pergamentstruktur der verschiedenen Bücher genauer an und bewunderte die Feinheit der Seiten, genau wie das Schriftbild und die kaum oder gar nicht verblassten Farben. Mir strahlten gold und blau entgegen und ich erfreute mich an kleinen Details in einem Lehrbuch für Schmuckformen der Buchmalerei wie Ranken, Früchte und Tierfiguren. Auch in der Ottheinrich-Bibel verlor ich mich in Details und bewunderte die vielförmigen Pflanzen auf dem aufgeschlagenen Blatt. Und dann sah ich noch meine erste Gutenbergbibel. Was die Stabi halt so im Depot hat.

Das war eine schöne, ruhige Pause, bevor es wieder an den Schreibtisch ging. Manchmal brauche ich eine kleine Versicherung, dass die Menschheit nicht ganz so blöd ist wie ich derzeit denke. Alte Bücher scheinen eine gute Therapie zu sein.

Die Hamburger Staatsbibliothek hat einen Talmud nach Israel restituiert.

„Das Ehepaar Loebenstein wurde am 19. Juli 1942 nach Theresienstadt deportiert. Rahel Loebenstein starb dort knapp zwei Jahre später im April 1944. Eliesar Loebenstein wurde am 9. Oktober 1944 nach Auschwitz deportiert und dort ermordet. Ihr in Hamburg zurückgelassener Besitz wurde wie aller jüdische Besitz umgehend nach Deportation beschlagnahmt und öffentlich versteigert. „Verbotene Literatur“ – und dazu gehörte jegliche jüdische Religionsliteratur – nahm die Gestapo beiseite und bot sie verschiedenen öffentlichen Bibliotheken an, so auch der Stabi. Diese Bücher sollten nur unter Auflagen zugänglich gemacht werden. Welchen Weg der großformatige, 15bändige Talmud genau nahm, ist nicht mehr zu rekonstruieren. Klar ist, dass er in den Bestand der Stabi gelangte und von dort als Dauerleihgabe in das Institut für die Geschichte der deutschen Juden kam.“

Pioniere der Foodfotografie

Annekathrin Kohout und Wolfgang Ullrich starten in ihren Blogs eine Interview-Reihe:

„Wir sprechen mit Fotografen, die im letzten Jahrhundert ein Genre entdeckt oder maßgeblich beeinflusst haben, das als solches bisher nur wenig Beachtung gefunden hat. Wie ist die Lebensmittel-Fotografie entstanden? Und wer hat die ästhetischen Standards, von denen Instagram-Foodies noch heute profitieren, gesetzt? Unser erster Gesprächspartner ist Christian Teubner, der in den 1950er Jahren begonnen hat, Essen zu fotografieren.“

Tagebuch, Montag, 30. Januar 2017 – Abschied

Gestern fand die letzte Sitzung im Rosenheim-Seminar statt und damit auch die letzte Sitzung meiner laut Prüfungsordnung vorgeschriebenen Seminare in Kunstgeschichte (heute habe ich nochmal Geschichte). Unser Semester geht noch bis nächste Woche, aber der Termin fällt leider aus, weswegen auf mich in der nächsten Woche nur noch Klausuren bzw. ein Prüfungsgespräch warten. Ich dachte bis gestern abend, dass dieses Gespräch heute stattfinden würde, denn so steht es in unserem elektronischen Vorlesungsverzeichnis, aber auf dem Handout des Dozenten vom Oktober (der Kurs besteht nur aus zwei Sitzungen und selbständiger Lektüre) steht der 7. Februar als Prüfungstermin. Ich schickte vorsichtshalber eine Mail, man weiß ja nie, und bekam gerade eben eine Antwort (an den ganzen Kurs): Termin ist nochmal verschoben, es ist nun der 6., also Montag. Wie praktisch, dass da das Rosenheim-Seminar schon nicht mehr stattfindet. Auf die Prüfung bin ich, weil ich ja bräsigerweise auf heute gelernt habe, immerhin schon tiptop vorbereitet. (Und habe bis Montag hoffentlich nicht wieder alles vergessen.)

Unser Dozent gab uns noch was Nettes mit auf den Weg: „Wenn Sie aus diesem Seminar gehen und das Gefühl haben, alles anzweifeln zu müssen, dann ist das richtig.“

Ich hülle mich jetzt in meinen Trauerkokon, weil das mein letztes Kunstgeschichtsseminar war. Wie können viereinhalb Jahre nur so schnell rumgehen?

Was ich als Studi hilfreich fand

Karoline Döring fragte vorgestern auf Twitter, ob es Studierenden bei den Hausarbeiten helfen würde, eine Literaturliste zu bekommen oder gar eine vorgebene Forschungsfrage:

„Ich merke grad wie komplex das Schreiben von HA für Studis sein muss. #empathie und überlege schon, wie ich besser unterstützen kann. / Allein der Schreibprozess ist extrem komplex. Wenn noch wiss. Recherche & Beurteilung wiss. Publikationen bzgl. ihrer Relevanz hinzukommt …“

Ich twitterte zurück, einige andere auch, aber ich dachte, das könnte ich auch mal verbloggen, was mir im Studium beim Vorbereiten von Referaten und Hausarbeiten geholfen hat. Sehr subjektiv natürlich.

Referats- und Hausarbeitsthemen

Ich persönlich fand Seminare hervorragend, wo in der ersten Sitzung jede*r eine Liste bekam, auf der Themen standen, die von der Dozentin kurz vorgestellt wurden und für die man sich dann melden konnte. Man wusste ungefähr, was in dem Thema steckte und vor allem, wann der Referatstermin im Semester war. Ich persönlich mochte die Mitte des Semesters gerne, dann hatte ich genug Zeit für die Vorbereitung, aber auch danach noch genug Zeit für die Hausarbeit. Am Semesterende musste ich schließlich auch für Klausuren lernen und hätte dann ungern noch ein Referat vorbereitet, daher habe ich diesen Zeitpunkt stets vermieden, außer jetzt bei Leo von Welden, denn über den Mann kann ich inzwischen fast im Schlaf etwas erzählen. Ich kenne aber auch genug Studis, die gerne alles ewig aufschieben.

Eine vorgebene Forschungsfrage hätte ich doof gefunden, aber gerade in den ersten Semestern war ein Schubs in die richtige Richtung sehr hilfreich. Vielleicht hatte ich mit meinen Proseminaren Glück, denn ich musste mich dort nur mit jeweils einem Werk auseinandersetzen und nicht mit einem ganzen Lebenswerk; das heißt, mein Fokus war schon sehr übersichtlich. Wenn ich aber statt „Diptychon des Martin van Nieuwenhove von Hans Memling“ im ersten Semester „Hans Memling“ als Thema gehabt hätte, wäre es sinnvoll gewesen, mir wenigstens anzudeuten, was die wichtigsten Werke Memlings sind, die ich dem Kurs vorstellen sollte, denn ich kenne sie noch nicht, weil ich ein ahnungsloses Erstsemester bin. Was mich elegant zum zweiten Punkt bringt:

Literaturlisten

Auch hier: In den ersten zwei Semestern ist man schlicht damit beschäftigt, sich einen Überblick über ALLES zu verschaffen. Man hat von nichts richtig eine Ahnung, man weiß noch nicht, auf was man sich irgendwann mal spezialisieren will, man guckt dauernd in neue Themen rein, kurz: Man weiß schlicht nicht, wer jetzt das Wichtigste zum Thema gesagt hat. Daher fand ich in den ersten Semestern Literaturlisten absolut sinnvoll, um überhaupt einen Anfangspunkt zu guter Literatur zu haben. Das müssen keine zehn Werke zu einem Thema sein, drei Hinweise tun’s auch.

Welche genau das sind, müsste man vielleicht auf den jeweiligen Studi abstimmen. Wer im Seminar schon einen bräsigen Eindruck macht, sollte vielleicht nicht gleich das 700-seitige Standardwerk auf französisch kriegen, während die sich immer meldende Dame in der ersten Reihe garantiert mehr vertragen kann als den dreiseitigen Aufsatz „Renaissanceporträts für Dummys“. Vielleicht einfach beide Werke auf die Liste setzen.

Einige meiner Dozierenden wollten zwei Wochen vor dem Referat eine Literaturliste und dann eine Woche später das Handout haben, das sehr klar darüber Auskunft gibt, wo das Referat hingeht. Generell fand ich es großartig, wenn man das Referat vorher mit der Dozentin besprechen musste (oder ihr eben ein pdf schicken musste), denn dadurch wird auch für den Kurs gewährleistet, dass da vorne kein Totalausfall sitzt. Der Dozent kann frühzeitig eingreifen und verwirrte Geister sanft in die richtige Bahn lenken. So hatte ich bei meinem Amnestyreferat eine viel zu spezielle Forschungsfrage gewählt, während ich im Referat doch erstmal einen Überblick für den Kurs geben sollte; das teilte mir die Dozentin durch die Blume mit und zack, hielt ich ein schönes Referat, und der Kurs hatte auch was davon.

Ich hatte nie ein Problem damit, der Dozentin vorab eine Literaturliste zu zeigen, aber so richtig glücklich war ich nie mit ihr, weil ich noch längst nicht damit fertig war, Stoff zu suchen. Zwei Wochen vor dem Referatstermin hatte ich mir ja gerade erst einen Überblick verschafft und buddelte mich nun tiefer ins Thema rein, was natürlich noch mehr Literatur nach sich zog. Daher standen auf meinen Listen vermutlich immer nur die Klassiker zum Thema. Andererseits hat mich ein Dozent auch einmal auf genau die Klassiker aufmerksam gemacht, die eben nicht drauf standen, und die waren für das Referat wirklich wichtig.

Beim Handout habe ich mich stets über Obergrenzenangaben gefreut, die aber, wenn ich mich richtig erinnere, gerade zweimal in neun Semestern kamen, nämlich: nicht mehr als zwei Seiten, basta. Kein Mensch braucht ein achtseitiges Handout, auf dem das gesamte Referat in Stichworten steht. Und ich glaube, es ist auch ein Lernziel, Dinge zusammenfassen zu können.

Überhaupt:

Ansagen

In den ersten Semestern war ich schlicht blöd. Ich traue mich wirklich nicht mehr, meine Hausarbeiten aus dieser Zeit nochmal anzugucken und vielleicht sollte ich sie auch tunlichst aus dem Internet zerren, denn sie können nur mies sein. Und mit mies meine ich: Ich habe Dinge missachtet, von denen ich nicht wusste, dass ich sie beachten soll, weil sie mir schlicht niemand gesagt hat.

Das geht los bei Fachbegriffen: Wie stellt man einen Forschungsstand zusammen und was ist das überhaupt? Als ich diese Ansage im ersten Geschichtssemester bekam, fragte ich nach der Stunde eine Kommilitonin, was das sei, weil das anscheinend alle wussten, nur ich nicht. Dozentinnen verwenden logischerweise Begriffe, über die sie gar nicht mehr nachdenken. Kleiner Tipp: Wir Studis sind anfangs grundsätzlich doof. Wir wissen nichts. Bitte erklärt uns alles. Ernsthaft.

Oder noch besser: Schreibt es uns auf. Ich greife heute noch auf Listen aus eben diesem Semester zurück, auf der schlaue Internetportale stehen, durch die ich auf Quellen und Aufsätze komme bzw. die Fundorte von diversen Zeitschriften im Historicum – die habe ich mir auch nach neun Semestern (und sieben in Geschichte) nicht gemerkt. Ich gucke bei jeder Hausarbeit auf ein Handout aus dem dritten Semester, in dem der Dozent akribisch notiert hatte, wie lang welcher Teil einer Hausarbeit sein sollte und was genau in den jeweiligen Teil reingehört (seitdem weiß ich, dass meine Einleitungen früher viel zu lang waren – die sollten nicht mehr als zehn Prozent der Gesamtarbeit ausmachen). Eine andere Dozentin machte sich die Mühe, uns das richtige Tempus zu nennen, in dem geschichtswissenschaftliche Hausarbeiten geschrieben werden (Präteritum). Das kriegt man natürlich alles irgendwie mit, je mehr Aufsätze man selber liest, aber so eine strunzdumme, idiotensichere Liste ist ein Gottesgeschenk. Wie gesagt, ich nutze sie immer noch. Ich ahne, dass ich für die Diss noch mal nachschauen werde, wie genau ich jetzt welche Quellenart im Literaturverzeichnis angebe und in welcher Reihenfolge. (Ansonsten gucke ich gerne in dieses Buch, das ich jeder*m Geschichtsstudierenden empfehlen kann.)

Wichtigste Ansage für mich war: Wie erarbeite ich eine Forschungsfrage? Das war die große Glühbirne im dritten Semester, meinem ersten Geschichtssemester, in dem mir klar geworden ist, dass es nicht mein Job ist, anderer Leute Hirnschmalz hübsch zusammenzufassen, sondern stattdessen aus anderer Leute Hirnschmalz eine neue Frage zu formulieren oder Zweifel anzumelden oder eine Replik zu entwickeln. Oder eben an ein Werk eine Frage zu stellen, die noch niemand gestellt hatte (der Königsweg), für den man aber erstmal den Forschungsstand kennen musste, wenn man weiß, was das ist. In Kunstgeschichte hatte mir das niemand so explizit erklärt, obwohl meine Proseminare alle gut waren. Aber richtiges wissenschaftliches Arbeiten wurde mir eindeutig besser im Historicum beigebracht.

Feedback

Ich persönlich finde es sehr wichtig, Feedback zu bekommen, denn wie soll ich sonst was lernen? Aber das fällt sehr unter Eigenverantwortung des Studierenden. Feedbackgespräche brauchen nur fünf Minuten lang zu sein, außer es war alles grütze, aber den Fall hatte ich netterweise nur einmal. Da habe ich das Feedback auch gleich vor den versammelten Zuhörerinnen gekriegt, als der Dozent mich mitten im Referat liebevoll bat, doch bitte nicht weiterzusprechen, das sei so gar nicht das, was er sich vorgestellt hätte. Da hat auch das Vorgespräch nicht geholfen, aus dem ich verwirrt gekommen war, dann aber doch dachte, ich hätte alles verstanden, was ich aber offensichtlich nicht hatte. Das habe ich so richtig verkackt, und bei eigener Blödheit helfen natürlich auch die besten Dozenten und fünf Vorgespräche nichts.

Ich weiß, dass Feedback direkt vor dem Zuhörern für manche Referentinnen doof ist, aber meiner Meinung nach hilft das allen, gerade in den Anfangssemestern, wenn die Dozentin kurz sagt, was am Referat gut und was vielleicht verbesserungswürdig war. Ich persönlich hätte mich gefreut, wenn mehr als nur eine Dozentin meine grafisch begeisterungsfähigen Kommilitoninnen darauf hingewiesen hätte, dass es in Kunstgeschichte echt super ist, die Bilder flächenfüllend auf die Powerpoint-Folie zu ziehen und dass wir keine Schnörkelschrift mit Animationen brauchen.

Schreiben

Zum Thema „Aber wie genau schreibe ich denn jetzt Satz 1 bis Satz 1000?“ kann ich leider nichts sagen, denn das konnte ich netterweise schon vorher. Vor 20 Jahren habe ich von Wolf Schneider Bücher über gutes Deutsch gelesen, keine Ahnung, ob die noch was taugen; ich ahne, dass da schon neue Ratgeberinnen nachgewachsen sind. Ich halte mich weiterhin an Regeln aus meiner Zeit im Journalismus sowie der Werbung, die ich auf wissenschaftliches Schreiben modifiziert habe: Schreib so, dass du es selber lesen willst. Lies dir die Hausarbeit notfalls laut vor, dann stolperst du von ganz allein über Sätze, die keiner kapiert. Benutze Wörter, die jede versteht und keine, von denen du glaubst, der Dozent will sie hören. Schreib deutsch, kein fachchinesisch. Mach Punkte. Viele Punkte. Kein Mensch braucht Sätze über sieben Zeilen. (Schreib aber nicht so wie ich in den letzten drei Sätzen, denn das ist werbisch und nicht wissenschaftlich.) Aber ich glaube, der erste Punkt ist der wichtigste: Schreib so, dass du es selber lesen willst. Ich erwische mich immer noch dabei, auf Pointe zu texten und ich behaupte, das darf man auch in akademischen Arbeiten. An meinen Einstiegs- und Rausschmeißersätzen arbeite ich deswegen recht lange. Okay, am Rest auch, was mich zu den letzten Tipps bringt. Erstens: Lass es gegenlesen! Und zweitens: Gib niemals die erste Fassung ab, sondern frühestens die fünfte. Bei mir ist es meist die zwanzigste, aber mir muss man meine Werke ja immer aus der Hand reißen, weil ich so an ihnen hänge und weiß, dass man immer alles besser machen könnte.

Tagebuch, Samstag, 28. Januar 2017 – Lesen als Eskapismus

Ausgeschlafen, eingekauft, ein bisschen aufgeräumt und dann brav am Schreibtisch gesessen, um zu lesen und zu lernen.

Abends die neueste beknackte Executive Order des Präsidenten mitgekriegt und erstmal Frustcarbonara gemacht. Überlegt, ob viel Nudeln zu essen meine neue Strategie wird, mit den Nachrichten aus den USA klarzukommen und ob ich in vier Jahren noch durch meine Wohnungstür passe.

Mich bewusst dafür entschieden, das iPhone wegzulegen. Wenn ich lieber ein Buch über das Grauen des Zweiten Weltkriegs lese als meine Twittertimeline, ist irgendwas gerade nicht in Ordnung. Meine Fassungslosigkeit über Trump wird nicht kleiner, sondern größer.

Tagebuch, Freitag, 27. Januar 2017 – Kunsthistorisches Bloggen

Ich wollte die Diskussion vom Donnerstag anständig verbloggen und ging dazu morgens nochmal in die Pinakothek der Moderne, um mir den Saal 13 ein weiteres Mal anzuschauen. Dieses Mal nahm ich auch die ausliegende Broschüre mit, um richtig zitieren zu können. Wie jedesmal ist es komisch, in den Raum zu kommen, aber vielleicht nur, weil ich eben weiß, was da hängt und warum es da hängt und wieso es so außergewöhnlich ist, dass es da hängt.

Ich ging bewusster die Wege in und aus dem Raum ab, um das Besucherinnenerlebnis nachvollziehen zu können, wenn man das erste Mal hineingeht, aber das hat nicht funktioniert. Stattdessen schwelgte ich nach dem Saal 13 noch in der direkten Vor- und Nachkriegskunst, sagte meinem geliebten Kiefer Hallo (der einzige Kiefer, der ausgestellt ist, falls ich nichts übersehen habe) und ging dann zunächst in die Ausstellung Distant Realities – Fotografie heute. Ich fand dort besonders Mishka Henners Arbeit spannend, der mal den schönen Satz sagte: „There’s an absurdity to living in an age when everything is photographed.“ Danach sprang ich wieder in die Vergangenheit und verglich im Kopf die eben gesehenen Straßenszenen Henners mit den alten Ruhrgebietsansichten von Albert Renger-Patzsch. Same, same, but different. Das hat Spaß gemacht, die leeren, gleißenden Betonbänder Henners mit den düsteren, kohleverschmierten Bildern Renger-Patzschs zu kontrastieren.

Durch die Architektur von Francis Kéré sprintete ich eher durch, mein Kopf war voll und meine Finger wollten tippen. Also ging ich von der Pinakothek ins Zentralinstitut für Kunstgeschichte, um noch ein bisschen was nachzuschlagen, bevor ich den gestrigen Blogeintrag verfasste.

Danach fuhr ich mit der U-Bahn nach Hause, kaufte frische Brezn, genoss sie mit dem Lauchfrischkäse, den mir F. vorgestern vorbeigebracht hatte, den er wiederum von seinem besten Freund aus dem Allgäu mitgebracht bekommen hatte. So gut!

Den Rest des Tages gab ich mir frei, obwohl ich dringend lernen musste. Aber ich hatte das Gefühl, den Vormittag brav mit Kunstgeschichte verbracht zu haben, weswegen ich weiter meiner derzeitigen Lieblingsserie Please Like Me auf Netflix frönte. Danke an dasnuf für den Tipp.

Mir ist mal wieder aufgefallen, wie lange ich an, in meinen Augen, anständigen Blogeinträgen sitze. Das Tagebuchbloggen geht recht schnell, aber wenn ich über mein Fach – oder sollte ich sagen: meinen Beruf? – blogge, dann lese ich lieber noch mal Dinge nach oder lasse den Eintrag notfalls länger liegen. Über den Saal 13 wollte ich bloggen, seitdem ich das erste Mal drin war, aber ich bin froh, dass ich den Eintrag in den Entwürfen habe liegen lassen, denn jetzt mit der Einrahmung durch die Diskussion bekommt er eine bessere Einordnung als nur mein persönliches Empfinden. Wobei ich glaube, dass genau dieses Empfinden der Grund ist, warum meine Texte überhaupt gelesen werden.

Den Mann ohne Eigenschaften habe ich bereits mehrfach angelesen und kriege ihn einfach nicht durch. Eine neue Ausgabe verspricht eine schönes Layout fürs Smartphone.

(via @instantkarmabln)

Ich habe die Artikel selbst noch nicht gelesen, aber ich wollte das neben Twitter auch mal hier liegen lassen: Burst your bubble: five conservative articles to read during Trump’s first week.

(via @andriankreye)

Der Saal 13 in der Pinakothek der Moderne

Gestern abend hörte ich in der Pinakothek der Moderne einer größtenteils spannenden Diskussion über NS-Kunst zu. (Soll demnächst auch online sein, ich verlinke das dann.) Anfangs kam für mich nicht viel Neues, aber in der zweiten Hälfte wurden dann doch einige Punkte angesprochen, über die ich so noch nicht nachgedacht hatte.

Oliver Kase, der Leiter der Sammlung Klassische Moderne in der Pinakothek, leitete die Veranstaltung ein und erzählte von den gut 900 Bildern, die die Bayerische Staatsgemäldesammlung nach 1945 aus NS-Besitz überstellt bekommen hatte; er nannte das einen „unerbetenen Sammlungszugang“ (ich zitiere aus dem Kopf, ich wollte nicht mitschreiben. Sollte ich mir vielleicht mal wieder angewöhnen). Anscheinend haben die Bilder erstmal ein paar Jahrzehnte im Depot gehangen; seit einiger Zeit werden sie endlich erforscht und hoffentlich bald publiziert. Die eindeutig ideologischen Werke – also die Hitlerporträts etc. – waren schon vorher von den Alliierten am Central Collecting Point ausgemustert und nach Washington verschifft worden, davon hat die Pinakothek also nichts im Keller (die Werke hat jetzt das Deutsche Historische Museum).

2015 gab es bereits die Ausstellung GegenKunst, in der eines der bekanntesten NS-Gemälde – Adolf Zieglers Vier Elemente, die hier in München im Führerbau (der heutigen Musikhochschule) im Salon über dem Kamin hingen – einem Triptychon von Francis Bacon gegenübergestellt wurde; eine Skulptur von Josef Thorak wurde einer von Otto Freundlich zugeordnet. Das war für mich sehr spannend, weil ich erstmals ein so bekanntes Werk wie die Elemente im Original sehen konnte.

Seit ein paar Monaten stellt die Pinakothek der Moderne im Saal 13 als erstes Kunstmuseum in Deutschland NS-Kunst regulär in der Dauerpräsentation aus; bisher war NS-Kunst nur in historischen Museen zu sehen (DHM oder GNM). Seitdem ich mich mit dem Thema beschäftige, war ich der Meinung, die Bilder müssten an die Wand, man müsste sie aus den Depots holen, um sich mit ihnen beschäftigen zu können, man dürfe sie nicht weiter mystifizieren und dämonisch überhöhen, gerade wenn man weiß, wie gering der Anteil von genuin ideologischen Werken z.B. bei der Großen Deutschen Kunstausstellung war – der weitaus größte Teil waren Landschaften, Genremalerei, Stillleben und Porträts. Und dann stand ich zum ersten Mal in diesem Raum und sah den Ziegler wieder, den ich ja schon kannte – und auf einmal fühlte er sich völlig anders an. Wie genau, ist mir erst gestern bei der Diskussion klar geworden.

GegenKunst war natürlich didaktisch auf die Zwölf, hier die gute Kunst, da die böse, da konnte man sich entspannt zurücklehnen und wusste, was angeblich richtig und was falsch ist. Aber jetzt in Saal 13 gibt es fast nur noch „böse“ Kunst – aber sie sieht nicht so aus. Da hängen keine Herrenmenschen, da hängen unter anderem verträumte Landschaften, ein Bild, auf dem der Autobahnbau zu sehen ist, und eben der olle Ziegler – quasi als einziges Werk, bei dem man auch als jemand, der sich noch nie mit dem Thema beschäftigt hat, eventuell sagen könnte, das sieht irgendwie anders aus, das fällt raus.

Aber um diese Andersartigkeit ging es mir gar nicht bei meinem ersten Besuch. Es hat sich auf einmal total falsch angefühlt, diese Bilder hier zu sehen. Man kommt aus den Baselitzen und man weiß, dass um die Ecke Kirchner hängt und mein geliebter Lehmbruck kauert – und man guckt sich blöde Nazischeiße an. Und dann reißt man sich zusammen und erinnert sich, dass man als Kunsthistorikerin hier ist, aber so ganz habe ich den Argwohn und die Wut auf diesen Kram nicht abstellen können. Zu wissen, das hängt jetzt hier auf Augenhöhe mit dutzenden von Werken, die die Nationalsozialisten als „entartet“ bezeichnet haben, fühlte sich total falsch an – aber eben auch total richtig.

Der Spectator hat das gerade sehr hübsch formuliert:

„Only a few of the artworks in the Haus der Deutschen Kunst were overtly fascistic. It was seeing them all together that made them so. The majority were merely old-fashioned: muscular nudes, aping the warriors and athletes of antiquity; standard genre paintings, with an emphasis on rural toil. The propaganda value was often confined to the titles: a landscape became ‘A German Landscape’; a family became ‘A German Family’. Most of these tidy daubs would have graced a bourgeois drawing room — there was nothing revolutionary about them. That’s what made them so seductive. The most telling thing about this show was the art that wasn’t there.“

Die Pinakothek hängt diese Bilder jetzt erstmals zwischen the art that wasn’t there und gibt ihr damit die Chance, sich zu beweisen. Das klappt bei Ziegler überhaupt nicht, der sieht in meinen Augen nur noch alberner aus, aber ich muss gestehen, die Winterlandschaft von Müller-Schnuttenbach würde ich mir auch ins Wohnzimmer hängen. Der Spectator meint sogar, dass dieser Raum mit den elf Bildern der interessanteste im ganzen Museum sei, aber da tut er meiner Meinung nach dem Rest des Hauses unrecht.

Bei der Diskussion gestern fragte Olaf Peters, ob es denn unbedingt diese Bilder sein mussten? Generell wurde die Frage nach der Qualität der Werke gestellt, aber leider nicht beantwortet. Ich fragte mich, ob das Absicht war, also ob der Raum bewusst so kuratiert wurde, dass man alles eher so meh findet und sich damit auf der politisch richtigen Seite fühlen darf? Das scheint mir aber selbst zu billig, dann kann man es auch gleich lassen, die Bilder aufzuhängen.

Im Saal selbst liegt ein Begleitheft aus, das man sich schön mit nach Hause nehmen (und darüber bloggen) kann. Dort wird in der Einleitung aufgeführt:

„Die qualitativ und stilistisch breit gefächerte Werkauswahl zielt nicht auf die Präsentation etablierter Meisterwerke, sondern gibt exemplarische Einblicke in die Handlungsmöglichkeiten der Künstler und die Herausforderungen oder Verstrickungen ihrer Karrieren während des nationalsozialistischen Regimes. Die Präsentation möchte die kategorische Unterscheidung von ‚NS-Kunst‘ und ‚entarteter Kunst‘ und damit auch die Verknüpfung bestimmter Malstile mit politischen Haltungen hinterfragen und Ambivalenzen oder Paradoxien in den Mittelpunkt rücken.“

Wie ambivalent die Auswahl war, zeigt sich gleich zwei Räume weiter, wo ein Bild von Wilhelm Lachnit aus dem Jahr 1936 hängt: Mädchen mit Schmuck (ich finde online leider keine Abbildung). Lachnit galt als „entartet“, stellte aber trotzdem im kleinen Rahmen, vor allem in Dresden, aus; das Mädchen mit Schmuck reichte er beim „Nationalen Porträtwettbewerb“ 1936 ein. Das hätte also auch locker in Saal 13 hängen können. Weil es da aber nicht hängt, kann man es ohne jeden Hintergedanken schön finden, während man bei Müller-Schnuttenbach darüber nachdenkt.

Eine weitere Diskussionsteilnehmerin, Stephanie Marchal, erwähnte die Bochumer Ausstellung von NS-Kunst, in der die Bilder eingebettet werden in Fotografien aus Konzentrationslagern – damit auch ja niemand vergisst, in welchem Umfeld sie entstanden sind. Unser Rosenheimseminar kam sehr kopfschüttelnd von der Exkursion zurück, und auch Marchal nannte das „Didaktik mit dem Holzhammer“. Daniela Stöppel fragte aber trotzdem nochmal, warum der Saal 13 nicht anders aufbereitet wurde, also warum man hier die Bilder unbegleitet für sich sprechen lasse und ob das nicht eben doch eine Gefahr sei. Sie erwähnte einen eigenen Aufsatz, in dem sie für eine Normalisierung im Umgang mit der NS-Kunst plädiert hatte, „und für den ich viel Beifall von der falschen Seite bekommen habe.“ Kase meinte, in den wenigen Monaten, in denen der Saal jetzt so gestaltet sei, wäre er noch nicht zu einer Pilgerstätte für Alt-Nazis geworden. Ich selbst fragte heute morgen beim Rundgang mal einen der Aufpasser, ob die Besucher das denn überhaupt mitbekämen, was hier hängt, worauf der Herr meinte, ja, auf jeden Fall. Als ich das erste Mal im Saal stand, schien mir das nicht so, da schlenderten die Leute genauso aufmerksam oder gelangweilt wie durch alle anderen Säle auch. Ziegler und Schnuttenbach schienen weder zu stören noch zum Widerspruch herauszufordern, und ich weiß gerade selber nicht, welche Reaktion ich eigentlich gerne hätte. (Ich weiß auch nicht, welche Herr Kase gerne hätte.)

Stöppel und Peters fragten sich, ob die Normalisierung, die wir als Kunsthistoriker*innen fordern, vielleicht gerade heute ein Schritt zu weit wäre, also ob man vielleicht doch wieder auf das „Unnormale“ hinweisen müsste, wenn auch nicht mit Holzhammer und Bergen-Belsen-Bildern. Aber da es heute ja Menschen gibt, „die den Begriff des ‚Völkischen‘ wieder neu besetzen wollen“, sei vielleicht doch etwas mehr Vorsicht angebracht.

Ich habe aus der Diskussion und dem nun mehrfachen Besuch des Saals mitgenommen, dass ich das Thema schlicht weiter durchdenken muss. In jeder Seminarstunde stolpere ich über weitere Widersprüche und Ambivalenzen, es scheint bei diesem Thema schlicht kein Schwarz und Weiß zu geben, kein Richtig und kein Falsch, weil es eben nicht „die NS-Kunst“ gibt, sondern einen Berg an Werken, Stilen und Biografien, die nur eins gemeinsam haben, nämlich ihre Entstehungszeit. Kase fragte zum Abschluss in die Runde, ob die Diskutant*innen das Gefühl hätten, die Diskussion wäre in den letzten Jahren weitergegangen oder ob man sich nur auf der Stelle bewegt hätte, woraufhin sich schon alle einig waren, dass sich viel getan hätte, aber dass eben anscheinend auch noch viel getan werden müsste und dass der Umgang mit diesem Thema immer noch schwierig sei.

Es gab noch zwei Publikumsfragen, die mir egal waren, aber dann meldete sich eine Dame und hatte keine Frage, sondern nur eine Anmerkung, die sie mit leiser und fester Stimme vortrug: „Mir ist das unangenehm, dass diese Bilder dort hängen.“

Und daraufhin hatte dann auch niemand mehr ein Argument auf Lager. Kase und Peters meinten beide, dass das ein völlig gerechtfertigtes Gefühl sei und man könne auch nicht wegdiskutieren, dass man hier jetzt ein Bild zeigt, von dem man weiß, dass Hitler es gerne betrachtet hatte. Ich kann die Dame völlig verstehen; bei meinem ersten Besuch – ich ließ es oben anklingen – ging es mir ähnlich. Der Raum ist genauso gestaltet wie die benachbarten, weder Boden- noch Wandfarbe oder Lichtgestaltung weisen darauf hin, dass diese Kunst vielleicht problematisch ist, dass sie vielleicht nicht in den Kanon gehört, dass wir schlicht noch nicht damit fertig sind, uns ein Urteil über sie zu bilden.

Ich persönlich glaube aber, dass die Begleitbroschüre und der Wandtext schon helfen, sie einzuordnen; ich glaube nicht, dass wir noch mehr Hinweise darauf brauchen, in welchem Kontext die Werke entstanden sind – für so schlau halte ich die Besucher*innen der Pinakothek jetzt mal, dass sie wissen, was zwischen 1933 und 1945 in Deutschland passiert ist. Ich weiß es sehr zu schätzen, dass ein Museum endlich den Versuch wagt, diese Werke zu zeigen und sich nicht nur hinter verschlossenen Universitäts- und Museumstüren mit ihnen beschäftigt, sondern sie dem Publikum zeigt. Das kann jetzt selbst entscheiden, was es davon hält.

Tagebuch, Dienstag bis Donnerstag, 24. bis 26. Januar 2017 – Working Girl

Dienstag wollte ich nachmittags eigentlich in mein schnuffiges Menschenrechtsseminar, aber die LMU hatte großflächigen Stromausfall und daher konnte – oder musste – ich zuhause bleiben, puschelte weiter an Amnesty rum und bastelte Klausurlernkärtchen. Im letzten Semester, in dem ich noch Klausuren schreibe, werde ich zur Klischeestudentin und betreibe möglichst wenig Aufwand für möglichst großen Ertrag: spät anfangen, alles besinnungslos in den Kopf kloppen, Prüfung bestehen und danach alles wieder vergessen.

Am Mittwochmorgen im Stadtarchiv gewesen und eine Quelle überprüft, danach in die Stabi gefahren und das gleiche gemacht, dann am Schreibtisch fünf Stunden die Hausarbeit korrigiert bis auf den letzten blöden Apostroph und schließlich als pdf an die geschätzte Korrekturleserin gemailt. Dann ein Bier aufgemacht und Serien geguckt.

Gestern den ganzen Tag weiter die Lektürekursbücher gelesen und abends in der Pinakothek der Moderne einer spannenden Diskussion über NS-Kunst zugehört. Den Saal 13, in dem die ganzen Bilder aus der Zeit hängen, wollte ich ja schon länger mal verbloggen. Um das anständig zu machen und die Diskussion gestern schön einzubinden, muss ich aber noch mal kurz in die Pinakothek und ins ZI. Ich reiche nachher noch einen Schlag Blogeintrag nach, Moment … hier ist er.

Was schön war, Montag, 23. Januar 2017 – Thinker’s High

Vormittags an der Amnesty-Arbeit rumgepuschelt, dann mein Gehirn im Rosenheim-Seminar durchkneten lassen, danach in der Stabi die vorerst letzte Korrekturschleife für Amnesty gedreht, nach Hause gefahren und dabei die ganze Zeit ein dickes Grinsen im Gesicht gehabt.

Mir ist gestern wieder ein Satz eingefallen, den mir F. schon im Bachelor mit auf den Weg gegeben hatte, als ich bei irgendeiner Arbeit in der Literatur versank und hilflos in den ganzen Fakten zappelte, die nicht so waren, wie ich mir das vorgestellt hatte. Einer seiner Professoren hatte mal gesagt: „If you know what you’re doing more than half of the time, it’s not research.“ Der Satz hatte damals geholfen, mir darüber klarzuwerden, dass es mein Job als Wissenschaftlerin ist, alles anzuzweifeln. Vor drei, vier Semester schüchterte mich das noch ein, aber inzwischen – ich erwähnte es neulich schon mal – ist es genau das, was mir beim Studieren so viel bedeutet. Dauernd klickt irgendwas im Kopf, dauernd fällt mir irgendetwas ein zu irgendetwas anderem, was ich schon mal gehört oder gelesen habe und schon steht eine neue Frage im Raum, eine neue Definition, ein neues Feld, das sich vor mir öffnet und das ich durchackern kann. Mir fiel gestern dazu der Begriff Thinker’s High ein in Anlehnung an das Runner’s High, das sich einstellt, wenn deine Endorphine dafür sorgen, dass du einfach besinnungslos weiterläufst, weil’s so toll ist. So geht es mir inzwischen bei jeder Bibliothekssitzung – ich merke zwar, dass ich immer noch viel zu wenig weiß, aber es macht mir keine Angst mehr, ganz im Gegenteil. Ich sehe eine Langstrecke vor mir und anstatt dass ich an ihr verzweifele, schnappe ich mir Stift und Notizbuch und Laptop und Post-its und mache mich auf den Weg.

Mir ist gestern auch aufgefallen, wo der Unterschied zur Werbung liegt. Dort habe ich schließlich auch geistige Arbeit geleistet, und ich habe mich schon oft gefragt, warum ich bei der nicht so oft Erfolgserlebnisse hatte wie jetzt im Studium (dafür hatte ich Geld, das war auch super). Aber in der Werbung waren die Dinge, die ich gelesen habe, schlicht andere. Ich bekam Briefings und technische Spezifikationen, und mein Job war es nun, Marketinggewäsch und Technogeblubber in Kundenvorteile umzutexten. Das war’s. Keine großen Entdeckungen, kein Anzweifeln (bloß nicht!), sondern quasi Übersetzen. Dinge, die andere sich ausgedacht hatten, hübsch formulieren. Das ist auch eine Fähigkeit, ich will mein Licht hier gar nicht unter den Scheffel stellen; dass ich einen guten Job gemacht habe, merke ich bei allen beschissenen Copys, die ich lese und bei denen ich immer noch denke, Kinder, hat da der Kunde mal wieder selbst zur Feder gegriffen oder wolltet ihr das echt so schlecht schreiben? Und natürlich habe ich mich auch in der Agentur gefreut, als ich merkte, ich kenne die Firmengeschichte jetzt so gut, dass ich daraus Ideen entwickeln kann, ich kann Modelle vergleichen, ich weiß, welches technische Feature was kann und vor allem, was eben die Käuferinnen davon haben.

Aber die Neugier, die ich hier jeden verdammten Tag habe, die war in der Agentur einfach irgendwann weg. Jedes Auto ist wie das letzte, da kann das Design noch so schick und der Motor noch so sparsam sein, es ist immer die gleiche Soße. Hier schmeißt mich jedes Bild in eine neue Denkschleife, jede Künstlerin wirft alles um, was ich vorher zu wissen geglaubt habe, ich bin quasi jeden Tag dabei, mir ein Update zu geben, weil mein Wissen von gestern sofort veraltet mit jedem Buch, das ich aufschlage. Ich befinde mich seit Monaten in diesem Thinker’s High und ich weiß, dass das nie weggehen wird, weil ich nie alle Bücher und Aufsätze gelesen haben werde und nie alle Bilder, Skulpturen und Gebäude gesehen haben werde, die es gibt. Das Feld vor mir wird immer unendlich bleiben und das fühlt sich einfach großartig an.

Tagebuch, Sonntag, 22. Januar 2017 – Halbhalb und Bananenkekse

Mein gestriger Tag bewegte sich zwischen Hoffen und Bangen.

Das Bangen lag natürlich an der Weltmacht da drüben überm Ozean, die jemanden gewählt hat, der nicht mal in die Nähe des Weißen Hauses gehört und der sich dazu auch noch eine Mannschaft zusammengebastelt hat, die mir den Magen umdreht. Ich dachte, nach dem Press Briefing von Spicer, auf dem die Presse sich vorhalten lassen musste, ihren Job zu machen, könnte kaum noch was kommen, aber hey, make America great again: Kellyanne Conway schaffte es ernsthaft, in einem Interview von alternative facts zu sprechen, als sie auf die offensichtlichen Lügen Spicers hingewiesen wurde. „War is peace, freedom is slavery, ignorance is strength.“ Ich werde wahnsinnig, wenn ich dem Treiben da drüben jeden Tag folgen soll, ich werde das lassen müssen.

Stattdessen sollte ich lieber Geschichtsbücher lesen. (UND NICHT NUR ICH, HERRGOTTNOCHMAL. ARE YOU LISTENING, US OF A? AAAAAAAAHH!)

Und so las ich gestern hoffnungsvoll weiter in Sheehans Where Have All the Soldiers Gone, wo ich endlich nach 1945 angelangt bin. Ich muss gestehen, ich weiß über die Nachkriegszeit kunsthistorisch besser Bescheid als historisch; bei letzterem besitze ich eine anständige Allgemeinbildung, aber das war’s dann auch. Gestern las ich zum ersten Mal etwas detaillierter über die Potsdamer Konferenz, die Truman-Doktrin, den Marshallplan und die Ausrichtung der beiden Blöcke, was Deutschland anging. Und dann war ich bei der Gründung der Europäischen Gemeinschaft, die 1951 als Handelsabkommen namens Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl begonnen hatte. Ich las folgenden Absatz:

„From the beginning, the European Community was based on a combination of ideals and interests, including a widespread desire among Europeans to escape the poisonous rivalries of the past and careful calculations of comparative advantage by individual policy makers. When one examines the course of the negotiations that produced European institutions, it is not difficult to find the constant pull of national interest. The molders of European integration believed that it was a way of making their states stronger, better able to survive in a new and complex world. For them, Europe was, in the language of American social science, a rational choice. But it is important to recognize that hazy concepts like “interest” and “rationality” acquire concrete meaning in particular historical situations. Only within the international order imposed by the superpowers could the intensifying economic and legal cooperation among the European states seem rational. The emergence of a new Europe, therefore, was not the cause of the long peace after 1945; peace was the new Europe’s necessary precondition.“

(James J. Sheehan, Soldiers, New York 2008, S. 161/162.)

Der letzte Satz war für mich der Schlüssel des Buchs, jetzt kann ich aufhören zu lesen. (Ich scherze.) Die Idee, dass nicht das gemeinsame Handeln der Grund für den langen europäischen Frieden ist, sondern dass die bewusste Entscheidung für Frieden und das Zurückstellen, aber nicht Vergessen von nationalen Interessen der Grund für ein vereinigtes Europa ist, hat für mich vieles im Kopf umgeworfen und neu sortiert. Allmählich ahne ich, warum mich die Entscheidung für den Brexit so irre gemacht hat, und ich verstehe nun, worin der historische Rückschritt in dieser Entscheidung liegt. Genauso rückschrittlich ist das „America first“-Gequatsche Trumps. Die FAZ kommentierte heute dazu, dass die USA damit ihre Weltmachtstellung freiwillig hergeben.

So große weltpolitische Entwicklungen musste ich abfangen und buk daher Bananenkekse. Ich habe dazu dieses Rezept ein zweites Mal ausprobiert und meine Erkenntnisse ergänzt. So ging der Tag etwas unaufgeregter zuende, als er begonnen hatte, und das war mir sehr recht.

Tagebuch, Samstag, 21. Januar 2017 – Marchin’ on

Was schön war:

Gleich morgens einen wundervollen Artikel gelesen, den die Kaltmamsell gestern in ihrem Blog empfohlen hatte. Nehmt euch mal bitte 20 Minuten, die lohnen sich. Es geht um die Post von Bürgern und Bürgerinnen an den Präsidenten und was mit ihr passiert. Barack Obama hatte von Anfang an die Direktive ausgegeben, er wolle zehn Briefe pro Tag lesen. Im Artikel wird beschrieben, wie diese Auswahl – aus 10.000 am Tag – getroffen wird, es folgen Beispielschreiben, und es geht um die Menschen, die Briefe verfassen und diejenigen, die sie lesen.

Mein erster Gedanke war: „OMG was für Quellen!“ Was könnte man die schön auswerten! Worüber schrieben die Menschen in den ersten 100 Tagen, worüber in den letzten, worüber dazwischen? Wer schreibt was, in welcher Länge, in welchem Medium? Und natürlich: Welche Themen bleiben konstant, welche ändern sich? Ein bisschen wie die Auswertungen, die Google am Jahresende veröffentlicht: Nach welchen Begriffen hat die Welt im letzten Jahr gesucht? Nur eben mit echten Menschen und echten Anliegen.

Im Artikel wird auch angesprochen, wie die vielen Briefe sich auf die Freiwilligen auswirken, die sie lesen. Ein Satz fällt: “I never thought about how powerful a letter was.” Genau das habe ich die letzten Wochen auch dauernd gedacht, als ich mich mit Amnesty beschäftigt habe.

„Presidents have dealt with constituent mail differently over the years. It started simply enough: George Washington opened the mail and answered it. He got about five letters a day. Mail back then was carried by foot, or on horseback or in stagecoaches — not a high volume. Then came steamboats, then rail and a modernized postal system, and by the end of the 19th century President William McKinley was overwhelmed. One hundred letters every day? He hired someone to help, and that was the origin of O.P.C. It wasn’t until the Great Depression that things got especially tricky. In his weekly fireside chats, Franklin D. Roosevelt began a tradition of speaking directly to the country, inviting people to write to him and tell him their troubles. About a half-million letters came pouring in during the first week, and the White House mailroom became a fire hazard. Constituent mail grew from there, and each succeeding president formed a relationship with it. By the end of his presidency, Nixon refused to read anything bad anyone said about him. Reagan answered dozens of letters on weekends; he would stop by the mailroom from time to time, and he enjoyed reading the kid mail. Clinton wanted to see a representative stack every few weeks. George W. Bush liked to get a pile of 10 already-answered letters on occasion. These, anyway, are the anecdotal memories you find from former staff members. Little hard data exists about constituent mail from previous administrations; historians don’t focus on it, presidential libraries don’t feature it; the vast majority of it has long since been destroyed.“

So viel zu den schönen Quellen. Snif.

Ich habe den ganzen Tag am Schreibtisch gesessen und bin jetzt mit meiner Amnesty-Hausarbeit sehr zufrieden. Die lasse ich jetzt einen Tag liegen und gucke dann noch mal drauf, aber ich bin zuversichtlich, dass sie nächste Woche zur geschätzten Korrekturleserin kann. *wink*

Abends fuhr ich mit dem Bus zu F. und lauschte an der Bushaltestelle zwei Mädchen, die sich über Essen unterhielten (die Tätigkeit, nicht die Stadt). Dabei fiel der vermutlich beste Grund für Vegetarismus:

„Ich ess ja voll wenig Fleisch.“
„Echt, wieso?“
„Ich komm nicht dazu.“

An der Station vor meiner stieg eine junge Dame aus dem Bus, die eine schwarze Wollstrumpfhose trug, auf die laute bunte Eulen gestickt waren. Musste sofort an Frau Schüssler denken. Ich mag das, wenn mein tägliches Rumgucken mich an Menschen erinnert, die ich noch nie getroffen habe.

Und dann natürlich: die vielen Frauenmärsche auf der ganzen Welt, aber vor allem in den USA. Angeblich war das der größte Protestmarsch in der Geschichte der Vereinigten Staaten (Quelle 1, Quelle 2), aber ich hätte dazu gerne noch aus anderen Quellen eine Bestätigung.

Ich hätte nicht gedacht, wie gut es nach der für mich immer noch unfassbaren Vereidigung Trumps tat, an der gleichen Stelle deutlich mehr Menschen zu sehen, die für so ziemlich das Gegenteil von allem protestieren, was Trump ausmacht.

Hier ein paar Bilder, die ich mir in den nächsten vier Jahren hoffentlich noch öfter angucken kann. Oder hoffentlich nicht – Impeachment kann für mich nicht schnell genug kommen.

Die Bilder sind allerdings auch der Grund, warum die Überschrift zu diesem Eintrag nicht „Was schön war“ lautet, sondern „Tagebuch“. Denn gestern fand auch die erste offizielle Pressekonferenz statt, die ihren Namen nicht verdiente. Der neue Pressesprecher des Weißen Hauses, Sean Spicer, trat vor die Presse, beschimpfte sie, log größtenteils wie gedruckt, zum Beispiel was die Größe der Menschenmenge bei der Inauguration anging, sagte nichts zu den ganzen Protesten vor seiner Haustür und ging, ohne eine einzige Frage beantwortet zu haben. CNN übertrug die Konferenz bewusst nicht live, sondern setzte sich erst mit dem Gesagten auseinander. Das klingt für mich nach einer guten Taktik für die nächsten vier Jahre. (Bitte lass es keine acht werden.) Außerdem können wir den Scheißspruch „Gebt der neuen Regierung doch erstmal eine Chance“ jetzt auch einmotten. Die Chance hat sie gleich am ersten Tag grandios verspielt.

Was schön war, Freitag, 20. Januar 2017 – Innerliches Augenrollen

Nein, nicht wegen des neuen US-Präsidenten. Augenrollen reicht da nicht. Ich bin seit dem 8. November sehr pissig auf the home of the brave (is klar), weswegen ich mich standesgemäß von der drohenden Inauguration ablenken wollte.

Also fuhr ich morgens zum Stadtarchiv, wo ich an der Tür einen Zettel entdeckte, den ich vor zwei Tagen anscheinend übersehen hatte: Wegen Personalmangel bleibt der Lesesaal freitags gerade geschlossen. Ich quengelte innerlich ein bisschen und stapfte wieder zum Bus – bis mir einfiel, hey, ich kann statt mit Bus und U-Bahn auch mit der Tram zum Zentralinstitut für Kunstgeschichte fahren, was mein nächstes geplantes Ziel war.

Also wartete ich wenige Minuten bei herrlichem Sonnenschein auf die Tram, stieg ein, dankte innerlich Andreas Nagel dafür und fuhr bis zum Karolinenplatz, von wo es nur wenige Schritte zu Königsplatz und ZI sind.

Dort las ich zunächst in einem Buch, das Plakate aus 40 Jahren Amnesty-Geschichte versammelte. Bzw. ich versuchte zu lesen, denn es war auf Französisch. Interessanterweise kriege ich den Sinn von vielen französischen Texten immer so halbwegs mit, aber es dauert ewig und so richtig sicher bin ich mir auch nie, bevor ich Google Translate gefragt habe. Dann war ich mir aber sicher und so konnte ich frohgemut in die Hausarbeit schreiben, dass die Kerze im Stacheldraht schon 1961 von Amnesty verwendet wurde, wenn auch noch nicht als weltweites Logo (bisher war 1963 mein frühestes Funddatum – hier der Nachruf auf die Gestalterin Diana Redhouse, die von Anfang an AI-Mitglied war). Außerdem lernte ich, dass die frankokanadische Sektion von AI jahrelang anders hieß als die anglokanadische, nämlich Amnistie Internationale; auch die spanischsprachigen Länder hießen … irgendwie Spanisch halt, habe ich mir nicht notiert. Und die Französinnen hatten jahrelang unter dem englischen Namen noch einen französischen Untertitel (Écrire contre l’oubli).

Nachdem ich mit Amnesty durch war, vergrub ich mich im Frühwerk von Markus Lüpertz, mit dem ich mich in meiner Masterarbeit befassen werde (und mit Kiefer natürlich). Ich las mich durch mehrere Ausstellungskataloge und erwischte mich dabei, bei einem bestimmten Aufsatz alle drei Zeilen innerlich mit den Augen zu rollen. Ich begann, das Augenrollen zu verschriftlichen und schon hatte ich meiner MA-Stoffsammlung fast zwei Seiten hinzugefügt, einfach weil ich so viele schöne Gegenargumente zu einem Text hatte. Das hat sich gut angefühlt, nicht nur aus dem Bauch raus sagen zu können, nee, Junge, da schreibst du jetzt aber Quatsch, sondern es auch begründen zu können.

Nach ein paar Stunden war ich durch, fuhr nach Hause und konnte natürlich nicht widerstehen, im Internet zu gucken, ob Amerika schon auf der Seite des Bösen war. War es noch nicht ganz, und so konnte ich immerhin noch was Nettes sagen, nämlich, dass das hellblaue Ensemble von Melania Trump mir wirklich gut gefiel. Das war’s dann aber auch. Trumps Rede habe ich keine zehn Minuten ausgehalten, bevor ich ihn wieder anschreien wollte, weswegen ich dann lieber meine Nase in Serien (The Good Place! Gucken!) und ein Buch steckte.

Was schön war, Mittwoch/Donnerstag, 18./19. Januar 2017 – Tippeditipp

Zwei Tage lang konzentriert an der Amnesty-Arbeit weitergeschrieben und jetzt sehr zufrieden. Also bis zum nächsten Korrekturgang, ist klar.

Am Mittwoch blätterte ich vormittags durch die Presseausschnittsammlung des Münchner Stadtarchivs zum Thema AI. Für diese Sammlung wurde anscheinend nur der München-Teil der SZ ausgewertet, denn zum Thema Friedensnobelpreis fand sich ein Artikel, der mehr über die Arbeit einer Münchner AI-Gruppe berichtete als über Stockholm. Zum Thema Fußball-WM 1978 gibt es nur zwei kleine Meldungen. Die WM war für Amnesty eine hervorragende Gelegenheit, auf Menschenrechtsverletzungen in Argentinien aufmerksam zu machen, denn, wie die FAZ am 8. April 1978 schlau kommentierte: „Wenn die ganze Welt ohnehin schon nach Argentinien blickt, lassen sich die Augen auch leichter auf andere Dinge in diesem Land richten.“

In der SZ war am 31. Mai 1978 zu lesen: „In einem Rundbrief an alle Pfarrerinnen und Pfarrer seines Bezirks sprach der Münchner Dekan Ernst Borger die Bitte Amnestys an die Kirchen an, sich für „die Wahrung und den Schutz der Menschenrechte einzutreten“. Im Gegensatz zu den Leserbriefautoren in der FAZ nannte er AI „über jeden Verdacht einseitiger politischer Stellungnahme erhaben“. Am 31. Mai 1978 veranstaltete der Münchner Bezirk von Amnesty in der Mensa des Olympiadorfes einen Informationsabend mit dem Titel „Fußball ja – Folter nein.“ Der Artikel berichtete über die 17 Deutsche, die in Argentinien verschwunden waren, darunter auch der damals noch als vermisst geltende Münchner Student Klaus Zieschank, der allerdings bereits im Mai 1976 ermordet worden war.

Nachmittags beendete ich meine FAZ-Recherchen im Historicum; ich habe jetzt knapp 800 Zeitungsartikel über Amnesty gelesen (oder überflogen).

Den Donnerstag verbrachte ich fast komplett am heimischen Schreibtisch, um meine Stoffsammlung in eine hübsche Form zu bringen bzw. die Artikel chronologisch und thematisch aufzubereiten. Der First Draft stand schon am Mittwoch Abend, aber am Donnerstag warf ich natürlich wie immer alles nach Herzenslust noch mal in der Gegend rum, verfeinerte, löschte, korrigierte. Und erklärte Sepp Maier, was mir sehr komisch vorkam.

Abends begann ich, Wolfgang Koeppens Das Treibhaus (1953) zu lesen, von dem ich mir Einsichten für die Masterarbeit verspreche. Dabei stieß ich auf einen schönen Satz von Novalis, der dem Buch vorangestellt ist:

„Der Prozess der Geschichte ist ein Verbrennen.“

Der Satz findet sich hier, wo auch noch andere schöne Dinge über Geschichte stehen. Zum Beispiel diese für mich sehr spannende Einsicht:

„Von wie wenig Völkern ist eine Geschichte möglich! Diesen Vorzug erwirbt ein Volk nur durch eine Literatur oder durch Kunstwerke, denn was bleibt sonst von ihm Individuelles, Charakteristisches übrig?“

Ich habe noch nie darüber nachgedacht, dass sich ein Volk – oder eine Nation – auch über Kunst definiert. Gleich mal in die Stoffsammlung für MA-Arbeit und Diss notieren.