1000 Fragen, 61 bis 80

(Ich paraphrasiere Christian: „Die Fragen stammen ursprünglich aus dem Flow-Magazin, Johanna von pink-e-pank.de hat daraus eine persönliche Blog-Challenge gemacht, und Beyhan von my-herzblut.com hat das PDF erstellt.“)

61. Glaubst du an ein Leben nach dem Tod?

Nein, aber ich würde gerne.

62. Auf wen bist du böse?

Momentan auf den Dameneinlass beim FC Augsburg, den Kapitalismus, das Patriarchat, den Münchner Mietmarkt und Jens Spahn. Ansonsten ist alles supi.

63. Fährst du häufig mit öffentlichen Verkehrsmitteln?

Fast täglich, am liebsten Tram.

64. Was hat dir am meisten Kummer bereitet?

Es bereitet mir immer noch Kummer, dass ich so viele Jahre an mieses Essen und Selbsthass verschwendet habe. Ich versuche das durch gutes Essen, viel Schokolade und einem sehr freundlichen Umgang mit mir selbst wieder wettzumachen.

65. Bist du das geworden, was du früher werden wolltest?

Nein, ich bin immer noch dick.

66. Zu welcher Musik tanzt du am liebsten?

Ich tanze nicht. Ich singe aber, da gerne zu fiesen Musicalschnulzen.

67. Welche Eigenschaft schätzt du an einem Geliebten sehr?

Was ich auch an Freunden schätze: Aufmerksamkeit, Zuneigung, einen Hauch Bildung, Humor, Geduld mit mir.

(Okay, nur bei Geliebten wichtig: angenehme Hände.)

68. Was war deine größte Anschaffung?

Luise. (Hier im jetzigen Zuhause.)

69. Gibst du Menschen eine zweite Chance?

Wobei? Wenn sie eine Verabredung nicht einhalten: ja, logisch. Wenn sie mir mein Herz brechen? … Ja, da leider auch, ich bin ganz fürchterlich inkonsequent. Wenn sie sich beim Doppelkopf verwerfen? NIEMALS, was liegt, das liegt!

70. Hast du viele Freunde?

Nein. Ich habe nicht mal viele Bekannte. ABER 6000 BOTS AUF TWITTER!

71. Welches Wort bringt dich auf die Palme?

Stylisch.

72. Bist du schon jemals im Fernsehen gewesen?

Ja, 2004, als wir im ZDF zu sehr später Stunde über unser Blogs-Buch berichten durften. Danach habe ich sehr viele Mails von wildfremden Menschen bekommen, die mir unbedingt mitteilen wollten, wie fett ich bin. Danach habe ich alle Anfragen lieber abgelehnt, ihr Pisser.

73. Wann warst du zuletzt nervös?

Beim Brillenkaufen, weil das immer eine Anschaffung für viele Jahre ist.

74. Was macht dein Zuhause zu deinem Zuhause?

Die schief gestrichenen Farbkanten an der Decke vermutlich.

75. Wo informierst du dich über das Tagesgeschehen?

In der abonnierten FAZ und nicht mehr so viel auf Twitter.

76. Welches Märchen magst du am liebsten?

Ich wollte Frau Holle sagen, weil ich die Vorstellung mag, dass bei Schnee jemand im Himmel sitzt und Betten ausschüttelt, aber ich hatte den Rest des Märchens völlig vergessen. Ich muss nochmal kurz die Gebrüder Grimm befragen, Moment:

77. Was für eine Art von Humor hast du?

Einen verteidigenden. Ich habe selbst in meiner Therapie Witze gemacht, weil das einfacher war als Dinge ohne Pointe zu erzählen.

78. Wie oft treibst du Sport?

So oft ich Lust habe.

79. Hinterlässt du einen bleibenden Eindruck?

Weiß nicht, ich gehe ja selten irgendwo hin.

80. Auf welche zwei Dinge kannst du nicht verzichten?

Nahrung und Sauerstoff.

(Luft und Liebe. Salz und Pfeffer. Knack und Back. Bang und Olufsen. Romeo und Julia.)

Tagebuch Donnerstag, 21. Februar 2019 – Alltag

Gearbeitet, über die FAZ gemeckert, die FAZ gemocht, gelesen, Reste der vorgestern zubereiteten Lasagne zu zweit verspeist, ein Spätburgunder zum Abendessen, gemeinsam eingeschlafen.

Ich lese gerade Wolfgang Koeppens Das Treibhaus, von dem ich vorher nur eine vage Vorstellung hatte. Ich wusste, dass der Roman 1953 erschienen war und hatte mich auf irgendwas in Richtung Böll eingestellt. Das ist es nicht ganz, die Sprache ist recht oft eher assoziativ als beschreibend, aber bis jetzt mag ich es sehr gerne. Über ein paar Altherrenformulierungen, obwohl der Verfasser damals noch nicht wirklich alt war, sehe ich mal gnädig hinweg.

Wir befinden uns im Schlafwagen auf dem Weg nach Bonn, zusammen mit der Hauptfigur des Abgeordneten Keetenheuve und einem Haufen Lobbyisten.

„Nicht alle Abgeordneten reisten im Bundesbahnbett. Andere kamen im Auto zur Hauptstadt gefahren, quittierten das Kilometergeld und standen sich gut dabei; sie waren die schärferen Hechte. Auf der Rheinstraße brausten die schwarzen Mercedeswagen neben dem Wasser stromabwärts. Stromabwärts der Schlick, stromabwärts das Treibholz, stromabwärts Bakterien und Kot und die Laugen der Industrie. Die Herren hockten neben ihrem Fahrer, sie hockten hinter ihrem Fahrer, sie waren eingenickt. Die Familie hatte einen strapaziert. Körperabwärts, unter dem Mantel, der Jacke, dem Hemd, lief der Schweiß. Schweiß der Erschöpfung, Schweiß der Erinnerung, Schweiß des Schlummers, Schweiß des Sterbens, Schweiß der Neugeburt, Schweiß des Wohingefahrenwerdens und wer weiß wohin, Schweiß der nackten, der bloßen Angst. Der Fahrer kannte die Strecke und haßte die Gegend. Der Fahrer konnte Lorkowski heißen und aus Masuren sein. Er kam aus den Tannenwäldern; da lagen Tote. Er gedachte der Seen in den Wäldern; da lagen Tote. Der Abgeordnete hatte ein Herz für die Vertriebenen. Das soll hier nun schön sein, dachte Lorkowski, ich scheiß’ doch auf den Rhein. Er schiß auf den Rhein, Lorkowski, Abgeordnetenfahrer aus Masuren, Lorkowski, Leichenfahrer aus dem Gefangenenlager, Lorkowski, Sanitätsfahrer von Stalingrad, Lorkowski, NSKKfahrer aus Kraftdurchfreudetagen, alles Scheiße, Leichen Abgeordnete und Verstümmelte dieselbe Ladung, alles Scheiße, er schiß nicht nur auf den Rhein.
„Puppe.“
Der Interessenvertreter verließ den Abort, schlenkerte das Hosenbein, nichts Menschliches war ihm fremd. Er trat zu den anderen Interessenvertretern in den Vorraum des Wagens, ein Mann unter Männern.
„Bißchen blaß ist sie.“
„Macht nichts.“
„Durchgeschüttelt, durchgerüttelt, durchgerollt.“
„Zu lange unten gelegen.“
Wagalaweia.
Das Mädchen kam wehenden Gewandes, Engel des Schienenstranges, ein Nachtengel, wehenden Nachtgewandes, Spitzen streiften den Staub Rotz und Dreck des gefirnißten Ganges, Brustspitzen, pralle Knospen rieben die Gewandspitzen, die Füße trippelten in zierlichen Pantöffelchen, Bändergeschnür, die Füße der Salome die wie kleine weiße Tauben sind, die Zehennägel leuchteten rot, verschlafen war das Kind, launisch, mürrisch, viele Mädchen trugen den Ausdruck des Mürrischen im hübschen Puppengesicht, es war eine Mädchenmode, mürrisch zu sein, im Hals kratzte der Raucherhusten, die Männer sahen zu, wie das Mädchen trippelnd, lackiert, hochbeinig, hübsch und mürrisch auf den Lokus ging. Parfum kitzelte die die Nasen und mischte sich hinter der Tür mit des Interessensvertreters strengem Ablauf am Abend genossener Bockbiere – an ihm war Hopfen und Malz nicht verloren.
„Feinen Koffer haben Sie da. Richtige Diplomatenkiste. Wie neu aus dem AA. Schwarzrotgoldene Streifen.“
„Schwarzrotmostrich, wie wir früher sagten.“
Wagalaweia.
Der Rhein schlängelte sich nun, ein gewundenes, silbernes Band, durch flache Ufer. Fern aus dem Frühdunst wölbten sich Berge. Keetenheuve atmete die milde Luft, und schon spürte er, wie sehr sie ihn traurig stimmte. Verkehrsvereine, Fremdenlockbetriebe nannten das Land die rheinische Riviera. Ein Treibhausklima gedieh im Kessel zwischen den Bergen; die Luft staute sich über dem Strom und seinen Ufern. Villen standen am Wasser, Rosen wurden gezüchtet, die Wohlhabenheit schritt mit der Heckenschere durch den Park, knirschenden Kies unter dem leichten Altersschuh, Keetenheuve würde nie dazu gehören, nie hier ein Haus haben, nie Rosen schneiden, nie die Edelrosen, die Nobiles, die Rosa indica, er dachte an die Wundrose, Erysipelas traumaticum, Gesundbeter waren am Werk, Deutschland war ein großes öffentliches Treibhaus, Keetenheuve sah seltsame Floren, gierige, fleischfressende Pflanzen, Riesenphallen, Schornsteinen gleich voll schwelenden Rauches, blaugrün, rotgelb, giftig, aber es war eine Üppigkeit ohne Mark und Jugend, es war alles morsch, es war alles alt, die Glieder strotzten, aber es war eine Elephantiasis arabum. Besetzt, stand auf der Klinke, und hinter der Tür pinkelte das Mädchen, hübsch und mürrisch, die Schwellen an.“

(Wolfgang Koeppen: Das Treibhaus, Frankfurt am Main 1980, erste Auflage Stuttgart 1953, S. 36–38.)

Tagebuch Mittwoch, 20. Februar 2019 – Neu eingekleidet

Okay geschlafen, aber recht lange nicht eingeschlafen. Nicht weil ich wieder ein schönes Buch vor der Nase hatte, das nicht warten konnte, sondern weil ich mir Sorgen um Zeug gemacht habe, das größtenteils außerhalb meines Einflussbereichs liegt. Also genau das richtige, um nicht schlafen zu können, weil man sich nicht sagen kann: „So, morgen mache ich das und dann passiert genau das“, sondern: „Ich mache morgen das und hoffe, dass eventuell das passiert, was ich mir wünsche.“

Zwar den Wecker morgens nicht ausgetreten, aber trotzdem stumm liegengeblieben und an die Decke geguckt. Irgendwann die morgendliche DM von F. bekommen und endlich aufgestanden, geduscht, Kaffee gemacht, den vorgestern geschriebenen Blogeintrag verbessert und veröffentlicht.

Der Plan war, meine Diss-Exposition vorzeigbar zu machen, aber gestern lag mir nichts ferner als das. Also erledigte ich Kleinkram, Anrufe, die ich vor mir hergeschoben hatte, vereinbarte Termine, machte Bürozeug. Die Ablage ist ja nie dringender als an den Tagen, an denen man eigentlich etwas anderes erledigen sollte. Als ich dann aber einen Termin erledigen wollte, bekam ich dort gute Ratschläge statt einer Verabredung, die nun nicht mehr nötig war und hatte plötzlich einen neuen Tagesplan, auf den ich auch weitaus mehr Lust hatte als auf mein exzentrisches Hobby, denn mehr ist die Diss gerade nicht.

Und so saß ich ab dem frühen Mittag nicht mehr am Schreibtisch, sondern inspizierte beim Optiker um die Ecke diverse Brillengestelle.

Meine derzeitige Brille ist mindestens fünfzehn Jahre alt, genau weiß ich es schon gar nicht mehr. In der letzten Zeit bemerkte ich öfter, dass ich nur noch mit Mühe die Anzeigen in den U-Bahnhöfen lesen konnte, manche Straßenschilder riet ich eher als sie zu lesen, in der Bibliothek hielt ich manchmal die Bücher etwas weiter von mir weg, anstatt die Nase reinzustecken, und nach fünfzehn Jahren könnte man ja auch mal wieder die Dioptrienwerte checken lassen.

Also ging ich zum Optiker, bei dem ich im Vorbeigehen schon oft genug gesehen hatte, dass er viele Gestelle hatte, die mir zusagten (gucken Nicht-Brillenträgerinnen bei Optikerinnen in die Schaufenster?), und bat um eine Untersuchung. Wir vereinbarten einen Termin am Nachmittag, aber wenn ich schon mal hier sei, könne ich ja gleich ein paar Gestelle aufsetzen? Aber hallo!

Ich mag meine Brille immer noch, deswegen wollte ich nichts großartig anderes, nur etwas größer dürften die Gläser sein. Wir fanden relativ schnell mehrere Gestelle, die mir gefielen, und dann probierte ich natürlich alle weiteren Gestelle auf, von denen ich schon vorher wusste, dass sie mir nicht stehen, die ich aber einfach mal auf der Nase haben wollte. Seit ich irgendwann in den 1980er Jahren die Blues Brothers gesehen habe, will ich die klassische Wayfarer von Ray-Ban haben (gibt’s auch als Nicht-Sonnenbrille), probiere sie immer wieder auf und muss mir seit nun fast 40 Jahren eingestehen, dass sie einfach nicht zu mir passt. Aber ich setze sie jedesmal wieder auf und hoffe, dass mir inzwischen das richtige Gesicht dafür gewachsen ist. Ist es bis jetzt nicht, aber ich gebe die Hoffnung weiterhin nicht auf. Gestern den Entschluss gefasst: Mit spätestens 70, wenn ich so alt werden darf, wird das Ding gekauft, passende Passform oder nicht. Mit 70 muss ich hoffentlich weder auf Kunden noch auf potentielle Lebensgefährten mehr Eindruck machen müssen; dann trage ich nur noch Leggings, bunte Kaftane, ein Tuch um den Kopf, scheiß auf die Frisur, Sneakers auch in die Oper und eine Ray-Ban. Mit 70 darf ich alles.

Ein paar Managerbrillen in Metall probierte ich natürlich auch auf, nur um mich zu schütteln, ein paar bunte Gestelle, weil bunt halt, aber eigentlich hatten wir nach zwanzig Minuten die gefunden, die ich haben wollte. Ich konnte mich noch nicht ganz zwischen dunkelgraublau und braun entscheiden, ließ mich vom Optiker per iPhone fotografieren und besah mir zuhause in den Stunden bis zum Termin weiterhin das Gestell auf meiner Pixelnase.

Als ich dann um 15 Uhr wieder ankam, war der freundliche junge Herr vom Mittag nicht mehr da, stattdessen bediente mich eine junge Dame, für die ich nochmal beide Gestelle aufsetzte. Woraufhin die Dame meinte: „Die stehen Ihnen beide sehr gut, aber merken Sie, dass die Gläser eher auf den Wangen aufliegen als auf der Nase?“ Nein, das hatte ich nicht gemerkt, erst in dem Moment, als sie es ansprach. Ich erinnerte mich schlagartig an jeden Sommer mit meiner jetzigen Brille, die nur durch den Nasensteg da bleibt, wo sie hingehört, sie hat keine von diesen zwei Metallschräubchen, an denen Kunststoffplättchen kleben, die man notfalls verbiegen kann, bis die Brille gut sitzt, aber dafür sieht sie halt nur mit dem Nasensteg netter aus (finde ich). In jedem Sommer bin ich damit beschäftigt, die Brille die Nase hochzuschieben, weil sie durch meinen ständig vorhandenen leichten Schweißfilm runterrutscht. Und dabei streiche ich grundsätzlich den Schweiß zwischen Wangen und Gestell weg. Die Aussicht, das nun dauernd machen zu müssen, weil die Brille jetzt vermutlich deutlich öfter auf den Wangen liegt, gefiel mir gar nicht. Ich wollte aber auch keine doofen Plastikpröppel, die man theoretisch an das ausgesuchte Gestell hätte randengeln können. Ich bat lieber um ein anderes Gestell, und die hilfsbereite und gründliche Dame hatte auch relativ schnell eine Alternative parat (sogar günstiger als das bisher angepeilte Modell), deren Gläser etwas kleiner waren, aber immer noch deutlich größer als meine bisherige Brille. Dieses Mal machte ich schnell Selfies, während sie noch weiter suchte und verglich und verglich – und mochte die Alternative dann ziemlich genauso gerne wie das Modell vom Morgen.

Wunderbar, dann konnten wir ja lustig Dioptrien messen. Da hat sich in den letzten fünfzehn Jahren nicht viel verändert, man hockt vor dem Metallgestell, guckt durch Linsen, die ständig gewechselt werden und muss achtzigmal „So besser oder schlechter?“ beantworten, bis die Optikerin zufrieden ist. Was ich noch nicht kannte: Die nun ausgewählten Linsen wurden in eine Brille eingepasst, die für mich so aussah, als wäre sie aus Lego. Damit wurde ich nun wieder nach vorne in den Laden gebeten, aus dem man auf die Straße schauen konnte, damit ich das fern sehen mal ausprobieren könnte. Auch dort wurde noch an mir gearbeitet, mit mobilen Plättchen – „so besser oder schlechter?“ –, und als ich dann auch bei Tageslicht und mit weiter entferntem Sehziel zufrieden war, suchten wir die passenden Gläser aus, eine Wissenschaft für sich, was weiß denn ich über Entspiegelungen und Beschichtungen. Einfach aus dem Bauch raus das mittelteure bestellt.

Im Laden war gerade eine Mutter mit einem kleinen bebrillen Mädchen, das mich fasziniert, aber auch irgendwie ängstlich anschaute, als ich mit der schlimmen Legobrille durch den Laden spazierte. Ich meinte zu ihr: „Du kriegst auf jeden Fall eine schönere Brille!“, was sie sehr lustig fand.

Über eine Gleitsichtbrille dachte ich auch kurz nach; die Optikerin meinte, dass das schön sei, dass es jetzt noch ginge mit dem Bücher weiter weg halten, aber irgendwann sind die Arme eben auch nicht mehr lang genug. Und: Mit den neuen Gläsern werde ich ja quasi noch weitsichtiger. Daran hatte ich nicht gedacht. Aber mit der Legobrille auf der Nase bekam ich einen Folder vorgelegt, der in verschieden großen bzw. kleinen Buchstaben gedruckt war, und bis auf die letzte Zeile konnte ich alles prima lesen. Und für diese letzte Zeile waren die Arme noch locker lang genug. Also: erstmal keine Gleitsichtbrille.

Wenn ich Glück habe, kann ich schon Freitag mit neuen Gläsern durch München spazieren, spätestens nächste Woche. Es ist übrigens die links im Bild geworden, auch weil sie wirklich sofort perfekt auf der Nase saß. Und sie ist ein winziges bisschen bluesy!

Das vormittägliche Gestell wäre von William Morris gewesen und im Kopf hatte ich natürlich schon einen schönen Prä-Brexit-Einkauf fürs Blog vorformuliert, aber jetzt ist es eine Longchamp geworden. Auf die deutsch-französische Freundschaft!

Nach dem doch recht langen, weil gründlichen Termin ging ich noch schnell einkaufen und vergaß wie immer, wenn ich Lust auf Lasagnemachen habe, dass ich alleine wohne und sie nie schaffe. Ich habe dann jetzt für drei bis vier Tage Essen. Mit einer etwas zu beherzt gewürzten Bechamelschicht, aber Pfeffer ist ja bestimmt gesund.

1000 Fragen, 41 bis 60

(Ich paraphrasiere Christian: „Die Fragen stammen ursprünglich aus dem Flow-Magazin, Johanna von pink-e-pank.de hat daraus eine persönliche Blog-Challenge gemacht, und Beyhan von my-herzblut.com hat das PDF erstellt.“)

41. Trennst du deinen Müll?

Oh, eine moralisch belastete Frage. Na gut: Papier ja, Altglas nein. Zu faul. Und auch wenn ich hier gefühlt dauernd vom Weintrinken schreibe: Es fallen dann doch nicht so viele Flaschen an wie man vielleicht vermuten könnte. (Okay, ich trinke Wein aus dem Tetra-Pak, jetzt isses raus.)

42. Warst du gut in der Schule?

Okayer Durchschnitt mit Spitzen nach oben in Deutsch und Englisch und üblem Bodensatz in den Naturwissenschaften. Ich lache heute noch darüber, dass ich mal mit Sport meinen Notendurchschnitt in der Oberstufe verbessern konnte, weil ich damals Judo im Verein gemacht habe.

43. Wie lange stehst du normalerweise unter der Dusche?

So lange wie nötig. Drei Minuten? Wenn ich dusche, kann ich das Radio nicht mehr hören, deswegen beeile ich mich.

44. Glaubst du, dass es außerirdisches Leben gibt?

Bis letzter Woche ja, nach Lektüre eines Aufsatzes von Nick Bostrom bin ich mir nicht mehr sicher. (Letzter Absatz.)

45. Um wie viel Uhr stehst du in der Regel auf?

Um 7. Am Wochenende ohne Wecker meist gegen 8. Betonung auf „meist“.

46. Feierst du immer deinen Geburtstag?

Ich gehe am Geburtstag gerne schön essen, das war’s. Das letzte Mal richtig gefeiert habe ich den Vierzigsten, glaube ich. (Alle mitlesenden Menschen, die vor einigen Wochen eine Einladungsmail bekommen haben, dürfen sich jetzt noch geehrter fühlen.)

47. Wie oft am Tag bist du auf Facebook?

Seit ich die App vom Handy gelöscht habe, gar nicht mehr. Klappt mit Twitter leider nicht, diese Strategie. Da hatte ich die App ja auch endlich gelöscht, wollte dann aber am vergangenen Samstag einen Artikel aus der NYT teilen, was mit der Web-Oberfläche ein einziger Schmerz im Arsch war und zack, ist die App wieder da. Gnarg.

Noch schaffe ich es, die Nutzung eingeschränkt zu halten – gestern beim Fußball war ich zum Beispiel nur einmal online, wo ich sonst meist ein Auge für den Laptop und das zweite fürs Handy habe.

Letzter Ausweg, um dem Geplärre zu entgehen, inmitten dem aber dann doch eben immer noch genug interessante Links auftauchen: auch nette Menschen entfolgen, die ihre Leser gerne auf alle Ungerechtigkeiten dieser Welt aufmerksam machen wollen. Nur noch Menschen folgen, die freundliche Dinge schreiben und Tierfotos posten. Ich kann einfach nicht mehr.

(Ja, ich poste auch Dinge über Ungerechtigkeiten. Das ist ja Teil des Problems. Ich bin Teil des Problems.)

48. Welchen Raum in deiner Wohnung magst du am liebsten?

Die Bibliothek, weil dort meine Bücher stehen (und liegen. Und Stapel bilden. Und immer mehr werden, ich weiß auch nicht, wie das passiert). Das Schlafzimmer, weil ein riesiger Baum vor dem Fenster rumgrünt und hübsche Geräusche macht. Das Arbeitszimmer wegen der blauen Wände und des Balkonausblicks. Die Küche, weil’s da Essen gibt. Den Flur, weil in ihn ein so schönes Licht aus allen anderen Räumen fällt. Nur das Bad ist mir egal. Und der Keller auch.

49. Wann hast du zuletzt einen Hund (oder ein anderes Tier) gestreichelt?

Hunde streichele ich nie, weil ich Hunde sehr doof finde. Katzen würde ich gerne dauernd streicheln, bin aber gegen sie allergisch. Wahrscheinlich ist das die Strafe des Universums dafür, dass ich Hunde sehr doof finde.

50. Was kannst du richtig gut?

Schreiben. Gläser streifenfrei polieren. Mehrere Teller auf einer Hand tragen. Habe anscheinend ungefähr gleichviel in der Werbung und in der Kneipe gelernt.

Oh, und Essen kann ich auch super.

51. Wen hast du das erste Mal geküsst?

So mit zurückküssen? Oliver. Damals High School Sweetheart, heute bester Freund.

52. Welches Buch hat einen starken Eindruck bei dir hinterlassen?

Zu viele, um alle aufzuzählen. Ich bin gerade nochmal am Bücherregal langgegangen und glaube, einen Eindruck hinterlassen haben: das erste Buch, das ich von Thomas Mann gelesen habe (vermutlich die Buddenbrooks). Der erste Douglas Adams. Der erste Douglas Coupland. Die erste Siri Hustved. Die erste Donna Tartt. Jedes Geschichtsbuch, das mein bisheriges Verständnis erweitern konnte, gerade was Frauen- und amerikanische Geschichte angeht, jedes Sachbuch über Themen, die ich vorher nur so halb auf dem Schirm hatte, so ziemlich jede Biografie.

All-time starker Eindruck: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit. Ulysses. Leider American Psycho. Ich überlege, ob ich ihn nochmal lesen sollte, will mit dem Jungsscheiß aber eigentlich keine Zeit mehr verschwenden.

53. Wie sieht für dich das ideale Brautkleid aus?

Wie ein bequemer Hosenanzug.

54. Fürchtest du dich im Dunkeln?

In meiner Wohnung nicht. Um 3 Uhr morgens draußen alleine vermutlich eher.

55. Welchen Schmuck trägst du täglich?

Meinen kleinen Nasenstecker. Es werden dieses Jahr 34 Jahre, in denen ich ein Steinchen in meinem Nasenflügel habe.

(Hier stand zuerst eine andere Antwort, weil ich über dieses Schmuckstück gar nicht mehr nachdenke.)

56. Mögen Kinder dich?

Keine Ahnung. Ich finde sie ähnlich doof wie Hunde und bin froh, wenn sie sich genauso wenig für mich interessieren wie ich mich für sie.

57. Welche Filme schaust du lieber zu Hause auf dem Sofa als im Kino?

Inzwischen alle.

58. Wie mild bist du in deinem Urteil?

Wenn es nicht um Hunde oder Kinder geht … nein, Quatsch. Ich habe nicht mal zu den beiden eine ausgeprägte Meinung, sie sind mir egal. Je älter ich werde, desto egaler werden mir sehr viele Dinge, was wirklich großartig ist.

Mein Urteil ist hinsichtlich anderer Leute Körper oder Optik oder seltsamen Eigenschaften sehr milde geworden, weil ich merke, dass mir das gut tut. Sehr bockig bin ich allerdings bei politischen Einstellungen, die meiner Meinung nach keine Milde verdienen und greife da auch schnell zu Kraftausdrücken.

59. Schläfst du in der Regel gut?

Ja.

60. Was ist deine neueste Entdeckung?

Bunte Balkonblumen (noch in der Theoriephase). Und dass Orange Wine nach mehr schmecken kann als nach gammeligem Apfelmost.

Tagebuch Montag, 18. Februar 2019 – Lecture Series

Ereignisloser Tag (Arbeit, Zeitung, Tee, Käsebrot, ihr kennt das), dafür spannender Abend.

F. und ich gingen ins NS-Dokumentationszentrum, das in Zusammenarbeit mit dem Amerikahaus und der dort angegliederten Bayerischen Amerika-Akademie eine Vortragsreihe startete: „This is America. Reflections on a Divided Country.“ Gestern abend stand ein Vortrag von Ibram X. Kendi auf dem Programm, er sprach über sein letztes Buch Stamped from the Beginning: The Definitive History of Racist Ideas in America (2016) (auf deutsch: Gebrandmarkt: Die wahre Geschichte des Rassismus in Amerika, 2018) und verwies auch am Ende auf sein neues Buch How to Be an Antiracist, das im August diesen Jahres erscheinen wird..

Wenn ich Facebook-Liveübertragungen richtig verstehe, ist das Video sogar noch abrufbar, ich verlinke mal irgendwas von dort. Bei mir klappt das, ich hoffe, bei euch auch, lohnt sich sehr. Am besten die ersten 15 Minuten (die Einführungsreden) skippen; die erste von Prof. Dr. Mirjam Zadoff, der Leiterin des NS-Dokumentationszentrum, war in Ordnung, bei der zweiten dachte ich die ganze Zeit, erklär mir doch bitte nicht die Arbeit und Forschung von Kendi, dafür ist der gute Mann doch extra selbst zum ersten Mal nach Deutschland gekommen.

Der Titel seines neuen Buchs lässt es schon anklingen: Für ihn ist Anti-Rassismus essenziell. Es reicht nicht zu sagen, ich bin nicht rassistisch und es damit zu belassen, sondern er fordert eine aktive, anti-rassistische Auseinandersetzung mit unserer rassistischen Gesellschaft.

Sein Vortrag bezog sich natürlich eher auf die USA, man konnte aber durchaus Dinge mitnehmen und auf Europa übertragen. Der Ort für den Auftakt der Lecture Series war nicht zufällig gewählt, genau wie Kendi in einigen Sätzen machte auch Zadoff im anschließenden Publikumsgespräch auf den Zusammenhang von Antisemitismus und Rassismus aufmerksam.

Überhaupt war das anschließende Gespräch bis auf eine Frage sehr zielführend. Ein Zuhörer bezog sich auf die Einteilung, die wir unwillkürlich vornehmen, wenn wir über Rassismus sprechen: Wir reden von Gruppen, die sich gegenüberstehen. Genau das ist aber schon rassistisch: Eine Gruppe definiert sich als höherwertig als eine andere. Müsste man daher nicht erstmal dieses Gruppendenken abschaffen? Kendi nannte das den berühmten Catch 22: Er behalte diese rassistische Einteilung bei, um auf Rassismen aufmerksam zu machen. Er erwähnte auch die Illusion einer post-racial society, die während der Präsidentschaft Obamas mal als Theorie vorlag, die sich aber spätestens mit der Wahl Trumps deutlich erledigt habe. Aber genau weil wir so gerne eine post-racial society wären, sei es wichtig, diese Einteilung vorerst beizubehalten, um zu zeigen, dass wir genau das eben nicht sind.

Ich musste kurz an meine eigene Forschung denken: Die Kunstgeschichte hat in ihrer Bearbeitung der Kunst zwischen 1933 und 1945 nämlich auch die Definitionen der Nationalsozialisten übernommen – die damals als „entartet“ bezeichnete Kunst war nach 1945 automatisch gut, alles andere automatisch schlecht. Deswegen begründen wir dauernd, warum wir uns mit dieser angeblich schlechten Kunst beschäftigen. Oder ziehen uns auf den bequemen Standpunkt „Das ist überhaupt keine Kunst“ zurück.

Eine andere Zuhörerin fragte, was man als weißer Mensch machen könne, um Unterstützung und Solidarität zu zeigen. Kendi wies darauf hin, dass das gerne als altuistisches Motiv genommen werde, was aber unnötig sei. Man müsse sich nicht für etwas aufopfern, was normal und gegeben sein sollte (ich hoffe, ich gebe das halbwegs korrekt wieder, ich habe nicht mitgeschrieben. Es erinnerte mich an einige Jungs auf Twitter, die Kekse dafür wollten, sich feministisch zu engagieren. Hase, das ist keine besondere Leistung, das ist Humanismus). Sein Rat also: Be anti-racist, fertig. Elect anti-racists to power. Das war generell eine Aussage, die er im Buch traf: Rassistisches Denken bedeutet rassistische Politik. Klingt einfach und logisch, aber genau das ist einer der wichtigen Punkte: Wir können uns noch so sehr in Bürgerinitiativen aufreiben – wenn die gesamte Politik auf rassistischen Ideen steht, muss man das ändern und nicht klein-klein arbeiten. (Erinnerte mich an Klimapolitik. Es muss der große Wurf werden.)

F. und ich diskutierten noch mehrere Stunden weiter, und ich empfehle euch das Video sehr, auch wenn ihr euch für die Geschichte der USA interessiert. Man kann Kendi sehr gut zuhören, und ich habe vieles erfahren, das ich noch nicht wusste, obwohl ich meine Grundbildung gerade in den Bereichen Civil War und Reconstruction schon für ganz gut hielt.

Das Buch stand schon länger auf meinem Wunschzettel – ich meine, es war mal eine Empfehlung von Ta-Nehisi Coates als grundlegende Lektüre –, aber jetzt habe ich es selbst bestellt. Gestern abend hatte der Beck-Verlag zwar ein paar deutsche Übersetzungen ausliegen, aber die wollte ich nicht haben, auch wenn ich mir noch eine hübsche Signatur hätte abholen können.

Tagebuch Freitag bis Sonntag, 15. bis 17. Februar 2019 – 2:3, Kunst, Blümchen und langes Wachbleiben

Am Freitag war Bundesliga: Um 20.30 Uhr begann das Spiel vom FC Augsburg gegen Bayern München, was erstens bedeutete, dass wir abends statt gemütlich nachmittags in einen Regionalzug klettern mussten, der zweitens voller Bayernfans war. Die meisten waren zwar schon früher angereist, aber auch um 18 Uhr waren noch genug unterwegs und mischten sich mit den gewöhnlichen Pendler*innen, die sich zu ihrem Feierabend vermutlich auch was Netteres vorstellen können als einen recht vollen Zug. Bundesliga abends ist zum Kotzen, auch in der eigenen Stadt. Trotzdem ist es für mich jedesmal wieder überraschend zu merken, dass ich für ein Spiel in Augsburg insgesamt immer ungefähr sechs Stunden unterwegs bin anstatt mal eben in 20 Minuten zur Allianz Arena rauszufahren.

Augsburg hatte im DFB-Pokal mit mehr Glück als Verstand mit 1:0 gegen Kiel gewonnen und war letzten Sonntag in Bremen brutal mit 0:4 untergegangen, daher hätte ich mir eigentlich mehr Sorgen machen müssen, aber ich fuhr mit einem eigentümlich guten Gefühl in die Fuggerstadt. F. war schon zwei Stunden vor dem Spiel in konzentriertem Fanmodus, das heißt, er war nicht mehr so recht ansprechbar, was okay ist, denn ich hatte ja ein Buch dabei, wie sich’s gehört.

Der Weg zum Stadion war okay, ich keuchte weniger als erwartet, meine Erkältung fühlte sich eigentlich durch an, aber ich ging trotzdem brav langsam, um mich nicht zu überanstrengen. Ich hatte auch ebenso brav wieder vier Lagen an, Decke, Mütze und Handschuhe dabei, um bloß nicht zu frieren, und das war auch alles richtig so.

Am Einlass musste ich mich wieder über die sinnlose Schikane am Fraueneinlass ärgern. Seit ein paar Spielen gibt es ernsthaft zwei Schlangen für Frauen mit Handtaschen, während nebenan sechs (?) Einlässe frei sind für diejenigen, die keine Tasche dabei haben. Ich hatte zwar keine Handtasche dabei, sondern nur eine Stofftasche, in der sich eine Decke befand, war aber letztes Mal schon in die andere Schlange geschickt worden und wollte dieses Mal nicht mehr diskutieren. Es regnete netterweise auch nicht und so war ich nur halb pissig und nicht komplett verärgert in der langen Schlange, die sich immer mehr hinzog, weil halt viele Frauen Taschen dabeihaben, während nebenan sechs (?) Einlässe leer waren, durch die alle 30 Sekunden mal eine Dame huschte, während die Abtasterinnen sonst nichts zu tun hatten, uns aber natürlich auch nicht rüberwinkten, es muss ja alles seine Ordnung haben.

Ich werde wohl eine nölige Mail an den Verein schreiben. Wenn Klamottenhersteller es irgendwann hinkriegen, Taschen an Frauenkleidung so groß zu dimensionieren, dass mehr reinpasst als ein Tampon oder generell Frauenkleidung mit so vielen Taschen auszustatten wie Herrenzeug, so dass man theoretisch genug Platz hat, alles unterzubringen, dann bräuchten wir vielleicht auch keine verdammten Handtaschen mehr, die natürlich einen Augenblick länger zu kontrollieren dauern als das relativ sinnlose Rumpatschen auf unseren Klamotten. Gerade jetzt mit der dicken Winterjacke hätte ich vermutlich ein Kilo Pyro ins Stadion gekriegt, wenn ich es drauf angelegt hätte.

Bei den Herren gibt es übrigens keine Extraschlangen. F. hatte auch eine Stofftasche dabei, die anscheinend keinen gesonderten Einlass benötigte.

(Herrgott, ich ärgere mich beim Aufschreiben schon wieder. Was für ein Quatsch.)

Dafür musste ich mich danach nicht mehr ärgern. Augsburg trat mit einer totalen Rumpfmannschaft an, weil wieder die Hälfte der Jungs verletzt war, und so erwartete man vor allem nach den letzten Ergebnissen eigentlich nicht viel, aber das Spiel begann in der 13. Sekunde mit einem Eigentor der Bayern, zwischendurch führte Augsburg sogar mal mit 2:1, und generell war wieder die alte Biestigkeit der Mannschaft zurück, auf alles draufzugehen, was sich bewegt (weswegen Augsburg auch als Kloppertruppe verschrien ist. Total zu Unrecht *hust*). Das Spiel endete 2:3, was völlig in Ordnung ging, es war sehr gut anzusehen, ich hielt entweder die Luft an (und musste dann husten) oder brüllte mit der Fankurve mit, weswegen ich nach dem Spiel etwas heiser war.

Netterweise wurden F. und ich dieses Mal nach München zurückchauffiert; einer unserer Bayernfan-Bekannten war mit seinem Sohn im Stadion und nahm uns im Auto mit. Das ging ein bisschen schneller als mit der Bahn, denn nachts fahren nicht mehr so viele Regionalzüge wie nach Nachmittagsspielen, weswegen wir immerhin um halb eins und nicht erst um eins wieder zuhause waren.

(Bundesliga abends ist zum Kotzen.)

Samstag morgen wäre ich gerne einfach im Bett geblieben, denn ein bisschen matschig war ich doch. Aber F. hatte sich netterweise bereit erklärt, mir mal wieder eine Lampe anzudübeln und so räumte ich die Küche um, holte Leiter und Staubsauger aus dem Wandschrank, F. dübelte, ich saugte, und weil wir ja inzwischen die Scheißigkeit der Ikea-Lüsterklemmen kennen, ging das alles sehr schnell. Ich habe jetzt LICHT in meiner Küche und nicht mehr nur Licht.

Ich döste ein wenig rum, bis ich mich wieder auf den Weg machen musste, denn wir waren um 14 Uhr in der Sammlung Goetz angemeldet. Der Eintritt dort ist frei, man muss sich aber vorher auf eine bestimmte Uhrzeit festlegen. F. und ich schauten uns den dritten Teil der Generations-Ausstellung an, über den ersten und den zweiten hatten wir im Podcast gesprochen. Im Nachhinein ärgerten wir uns doch ein wenig, dass wir den dritten Teil nicht ausgewählt hatten, denn es waren – natürlich – wieder spannende Positionen zu sehen.

Mir persönlich gefiel eine Arbeit von Lecia Dole-Recio am besten, eine unbetitelte, sehr großformatige Collage von 2005, die für mich so aussah wie eine Landkarte eines Planeten, den ich nicht kannte. Ich stand sehr lange vor dem Werk und verlor mich immer mehr in seinen Spuren.

Ebenfalls ewig saß ich vor einer Videoarbeit von Sam Taylor-Johnson, die in einem Raum angesiedelt war, in dem nur Stillleben hingen: ein circa vierminütiges Video zeigt eine Schale Obst, die im Zeitraffer verrottet. Eine sehr simple, aber sehr effektive Auseinandersetzung mit einem klassischen Sujet der Kunst. Auf YouTube gibt es ein paar Videos davon, die aber beschnitten sind (vor dem Obstkorb liegt noch ein Plastikkugelschreiber, der sich null verändert, während hinter ihm eine Zivilisation von Fliegen entsteht) und unter die ein widerlicher Klavierscore gelegt wurde.

Ich kann mich außerdem nun als Geta-Brătescu-Fangirl bezeichnen; die Dame war mir schon in der ersten Ausstellung aufgefallen und alles, was nun hier von ihr hing, gefiel mir auch.

Auch der Rest war sehr sehenswert. Die Ausstellung läuft noch bis zum 6. April, bitte einfach mal durchgehen.

Als Abschluss gingen F. und noch zur Galerie Thomas, in der gerade Werke von Günter Haese ausgestellt waren, den wir im letzten Jahr im Sprengel-Museum Hannover entdeckt hatten. Ein Werk mochte ich besonders, das mich an die Hamburger Hafenkräne erinnerte; an ihm klebte schon ein roter Punkt für „verkauft“, was mich total entsetzte. Noch mehr entsetzte mich dann die Preisliste, woraufhin ich sinnlos quengelte, dass ich mir das nicht leisten könne und warum das so teuer sei, woraufhin F. schlau meinte: „Damit du dich nicht ärgerst, dass dein Lieblingswerk schon verkauft ist.“

(FÜNFUNDSIEBZIGTAUSEND?)

Den Rest des Abends verbrachte ich damit, meinen Balkon auszumessen und mich dann entweder in den aus der Stadtbücherei geliehenen Pflanzenbüchern zu vergraben oder auf Gartencenter-Websites rumzusurfen, um mal zu gucken, wie die Auswahl an Balkonkästen so ist (an hübschen eher klein). Ich stellte außerdem interessiert fest, dass es schon farblich passende Sets für Anfängerinnen wie mich gibt und vorfreute mich aufs Einkaufen. (Nicht so sehr aufs Erdsäckeschleppen.) Und ich gab den ganzen Abend sinnlose Sätze wie „Es gibt ja echt viele schöne Blumen“ von mir.

Dann merkte ich aber langsam die olle Erkältung wieder in den Knochen, ging früh ins Bett und schlief ewig. Schadet ja nie. Auch den Sonntag verdöste ich mehr als dass ich etwas von ihm mitbekam, wechselte zwar morgens brav vom Bett aufs Sofa, nickte da aber dauernd weg, ging um 19 Uhr bereits wieder ins Bett, um dann um 22 Uhr wieder hellwach zu sein. Immerhin konnte ich so The Remains of the Day auslesen und mochte das Buch sehr. Will sofort den nächsten Ishiguro haben.

Aus dem Wikipedia-Artikel lernte ich den schönen Begriff des „unzuverlässigen Erzählers“. Das fand ich mit der Sprache am faszinierendsten am Buch: das Gefühl, dass dir jemand etwas erzählt – der Leser wird des Öfteren direkt angesprochen – und du weißt ganz genau, dass die „Wahrheit“, die dir hier vorgesetzt wird, weitaus mehr Schichten hat als die, die in Worten ausgedrückt wird.

Burrata mit gegrillten Trauben und Basilikum

Und noch ein Simple-Ottolenghi-Gericht. Das gab’s bei uns neulich mit frischem Brot und hinter einer Suppe her und dann ist das auch eine entspannte Hauptmahlzeit. Als Vorspeise reichen die unteren Mengen für vier. Die Zubereitung ist sehr einfach, die Küche muss allerdings danach durchgelüftet werden. Kleiner Hinweis für die vielleicht geplante Dinnerparty.

1,5 EL Fenchelsamen anrösten und leicht zerstoßen.

Ca. 200 g kernlose rote Weintrauben von den Rispen zupfen.

2 EL Sherryessig (bei mir Rotweinessig) mit
1 Knoblauchzehe, fein gehackt oder zerdrückt,
1,5 EL braunem Zucker,
1/4 EL Meersalzflocken (bei mir mehr),
ordentlich schwarzem Pfeffer,
2 EL Olivenöl und den angerösteten Fenchelsamen mischen und die Trauben darin marinieren. Laut Buch kann man das gerne schon am Vortag erledigen, bei mir lagen die Trauben nicht mal eine Stunde in der Flüssigkeit, weil diese danach eh über alles gegossen wird.

Die Trauben auf Spieße stecken, fünf bis sechs pro Stück, und in einer richtig heißen Grillpfanne für zwei bis drei Minuten pro Seite grillen. Die Trauben dürfen ruhig schwarz werden, das soll so. Ich bin mir im Nachhinein recht sicher, dass es die Spieße nicht braucht und man auch einfach so einen Berg Trauben in die Pfanne werfen kann (die bei mir auch keine Grillpfanne, sondern eine nicht beschichtete Edelstahlpfanne war), aber die Spieße sehen halt hübsch aus.

Zum Servieren
2 Kugeln Burrata (notfalls Büffelmozzarella) leicht zerzupfen oder aufreißen, zu den Traubenspießen noch
6 Stängel roten oder grünen Basilikum abzupfen und auf die Teller oder die Platte geben und alles mit der übrig gebliebenen Marinade übergießen. Ein bisschen zusätzliches Olivenöl drüber schadet auch nicht.

Ich hätte die Trauben gerne heiß zum kalten Burrata serviert, aber wie gesagt, die Küche muss schon beim Grillen möglichst weit offene Fenster und eine Abzugshaube auf höchster Stufe haben, sonst steht man recht schnell am Rauchmelder und muss versuchen, ihn auszuschalten, bevor einen das Piepsen wahnsinnig macht. Daher waren meine Trauben schon abgekühlt, aber das hat auch sehr gut geschmeckt: der milde Burrata, die Früchte mit einem ungewohnt herben Röstaroma, das Öl und das frische Basilikum machen im Mund wirklich gute Laune.

Linsen-Tomaten-Suppe mit Kokos und Curry

Ein Rezept aus Ottolenghis Simple. Das Buch kommt mir nach einigen Rezepten wirklich deutlich niedrigschwelliger vor als seine bisherigen – die Zubereitung ist jedenfalls bis jetzt immer äußerst simpel gewesen, die Zutatenanzahl für den Herrn fast schon karg, aber geschmeckt hat bisher alles. Ottolenghi eben.

Für 4 Personen.

In einem größeren Topf
2 EL Kokosöl (bei mir Sonnenblume) bei mittlerer bis hoher Temperatur erhitzen.
1 größere Zwiebel, fein gewürfelt, andünsten, bis sie glasig ist.

2 zerdrückte Knoblauchzehen,
1 EL mittelscharfes Currypulver,
1/4 TL Chiliflocken (bei mir fast ein ganzer, wo sind wir denn hier) und
1 daumengroßes Stück Ingwer, fein gewürfelt, dazugeben und für zwei Minuten mitbraten, dabei umrühren.

150 g rote Linsen, gewaschen, dazugeben und für 1 Minute unterrühren, dann
25 g Korianderstängel (oder gemahlenen Koriander nach Augenmaß) dazugeben und mit
1 Dose stückige Tomaten (400 g) sowie
600 ml Wasser ablöschen. 600 ml kamen mir im Nachhinein ein bisschen viel vor, ich hätte die Suppe gerne etwas stückiger gehabt. Ich werde beim nächsten Mal erstmal 400 nehmen und notfalls welches nachkippen.

1 Dose Kokosmilch (400 ml) glattrühren und ein paar EL Milch für die spätere Deko zurückbehalten. Den Rest ebenfalls in den Topf geben und alles mit
1 TL Salz (bei mir mehr, danke, Samin Nosrat) und
ordentlich schwarzem Pfeffer würzen.

Bei mittlerer Hitze 20 bis 25 Minuten kochen, bis die Linsen zerfallen sind, aber noch etwas Biss haben. (Das ging bei mir ein bisschen schneller.) Auf Teller verteilen, die restliche Kokosmilch auf die Suppe geben und mit frischem Koriander und einer Limettenspalte servieren.

Ich mochte das Mundgefühl sehr gerne, weil die Tomaten nicht ganz zerfallen, genau wie die Linsen. Die Suppe schmeckt warm und gemütlich, aber durch Limette, Ingwer und Kräuter gleichzeitig frisch. Laut Buch kann man sie bis zu vier Tage vorher vorbereiten; mein oberes Bild ist vom Donnerstag, das untere hier vom Mittwoch, als ich sie gekocht, aber keinen Koriander im Haus hatte, dafür aber die aufgehobene Kokosmilch. Die Suppe zieht geschmacklich nicht mehr an, was Suppen ja gerne nach einem Tag Rumstehen machen, sondern bleibt gleichbleibend nett und dickt etwas ein, was ich sehr mochte.

Tagebuch Donnerstag, 14. Februar 2019 – Bücher und Brot

Dafür, dass ich nur vier Stunden geschlafen hatte, wachte ich weniger gerädert als erwartet auf. Es brauchte dann aber doch eine Dusche, einen doppelten Espresso und frische Luft, um mich wirklich wach zu kriegen.

Der erste Gang des Tages führte mich zur Stadtbibliothek, in der ich einen Berg Comics loswurde und mir ein paar Bücher über strategisch sinnvolle Balkonbepflanzung auslieh. Ich hätte gerne ein paar bunte Blümchen und vor allem viele Kräuter, aber ich habe von beidem überhaupt keine Ahnung. Aber dafür gibt’s ja Bücher, die einem alles beibringen.

Und, wie ich beim Rumgehen am Regal feststellte, es gibt auch Bücher, über die ich netterweise noch nie nachdenken musste.

Die S-Bahn trug mich dann zum Kaufhof am Marienplatz, wo ich gerne Futter einkaufe, gestern zum Beispiel Ziegenkäse in Asche, Pastrami und Kräuter. Letztere bald nicht mehr! Hoffentlich.

Glücklich bepackt fuhr ich wieder nach Hause, jede Sekunde auf Rolltreppen, an Bahnsteigen oder in Zügen dazu nutzend, weiter The Remains of the Day zu lesen, das wirklich ganz wunderbar ist (und in meine Jackentasche passt! Perfekte Stadionbuch-Voraussetzung). Einkäufe verstaut, Tee gekocht, Waschmaschine angeschaltet und meinen gestern angesetzten Brotteig aus der Schüssel gekratzt, um ihn zu formen und weiter ruhen zu lassen. Das Formen hat nicht ganz so geklappt, wobei ich selbst nicht verstanden habe, was ich eigentlich gemacht habe. Egal. Ruhen lassen, nicht noch mehr Luft rausfriemeln.

Während der Ofen dann den Bräter vorheizte, sah ich die neue Folge Masterchef UK und begann mich doch so langsam auf die neue australische Staffel zu freuen, nachdem die letzte eher mäßig gewesen war. Die sollte im Mai oder Juni losgehen.

Brot in den heißen Topf umgesiedelt, Wäsche aufgehängt. Die leuchtende Sternengirlande endlich von der Gardinenstange des Balkonfensters abgenommen und neu am zweiten Arbeitszimmerfenster angebracht. Ich habe gerne in jedem Zimmer Licht, wenn es draußen dunkel ist. Keine Festbeleuchtung, aber überall so eine kleine Tischlampe oder ähnliches, damit kein Raum eine dunkle Höhle ist – außer Flur und Bad, die dürfen Höhlen sein, wobei der Flur eh genug Licht von den anderen Räumen abbekommt, weil bei mir mir alle Türen offenstehen, ja, die Heizkosten, jajaja. Ich channele selbstverständlich mein inneres Nuf und heize nur in dem Zimmer, in dem ich dauernd bin (die Bibliothek) und lasse in allen anderen die Heizung ausgeschaltet. Ist auch bei Frost draußen bisher warm genug geweseen.

Zurück zu den Sternchen: Ich mag das freundliche Leuchten der Girlande so gerne, dass ich die jetzt einfach weiterbenutze, obwohl Weihnachten echt durch ist, aber an einem Fenster, das ich eh nie aufmache, denn es ist direkt neben der Wand, an der Luise hängt. Dort ist meist die Jalousie halb geschlossen, damit sie nicht so viel Sonne abkriegt. Hier können die Sterne schön ungestört vor sich hinleuchten und mein Arbeitszimmer erhellen, wenn ich nichts darin zu tun habe, und ich kann endlich den großen Flügel der Balkontür wieder komplett öffnen. Da muss ich demnächst ja auch 40 Kästen und Töpfe durchtragen. (Aka F. *fieps* *Bambi eyes*)

Wohnung gesaugt, sehr geschwitzt, so ganz fit bin ich dann wohl doch noch nicht.

Brot aus dem Ofen geholt und einigermaßen zufrieden gewesen, dafür dass ich nicht so recht wusste, wo ich eigentlich hinforme. Vor dem Umzug hatte ich noch überlegt, Omis alten Emaillebräter wegzuwerfen (oder mindestens in den Keller zu bringen), weil er durch seinen nicht mehr ganz planen Boden sehr unregelmäßig brät. Und ich habe ja seit einiger Zeit meinen geliebten großen runden Le Creuset, in dem ich seitdem alles anbrate, was geht, und auch Brot backe. Das Bâtard ist aber zu länglich für das orangefarbene Schätzchen und so holte ich Omis Bräter vom Schrank und freute mich sehr, dass ich noch Verwendung für ihn habe, denn das Brot ist trotz seiner mäßigen Optik sehr wohlschmeckend geworden. Aus dem Plötzblog, hier die Sauerteigversion des Brots, bzw. aus einem seiner Backbücher dazu, aus dem ich das Brot nur mit Hefe gebacken habe.

Dann langsam das kleine Festmahl für F. und mich vorbereitet. Wir begehen keinen Valentinstag, aber wir hatten uns durch meine Erkältung schon ein paar Tage nicht gesehen und ich wollte zum Rest der vorgestrigen Linsen-Tomaten-Suppe noch ein paar Kleinigkeiten servieren. Das wurden dann Burrata mit gegrillten Trauben (genau wie die Suppe aus Ottolenghis Simple), der Ziegenkäse, das frisch gebackene Brot und ein wenig Rosé, im Bild noch nicht im Glas, stattdessen ausgedruckte Valentines-Grüße von Liz Climo, die ich sehr mag (hier mein Lieblingscartoon von ihr).

Ein doppeltes Dankeschön …

… an Julia für gleich zwei Bücher von meinem Wunschzettel – und auch für die Genesungswünsche, haben geholfen!

Von Kazuo Ishiguro las ich vor Ewigkeiten Never Let Me Go und fand es großartig. Sein The Remains of the Day steht seitdem auf dem Wunschzettel als eins von diesen Büchern, auf die ich schlicht warte, bis sie mir jemand schenkt. Irgendwann hätte ich es mir selbst gekauft, aber, ihr kennt das, es kommen ja immer neue Bücher hinzu, das hört nie auf, verdammtes Feuilleton, blöde Blogs, stupid Twitter, und so rutschte Ishiguro immer weiter nach hinten und ich holte ihn alle sechs Monate wieder nach vorne, weil ich ihn wirklich gerne haben wollte, aber es auch irgendwie nett fand, so lange auf ihn zu warten. Ja, das ergibt keinen Sinn, aber ich hatte das Gefühl, das Buch hätte es verdient, auf es zu warten.

Ich habe eben selbst sehr erstaunt beim Verlinken des Blogeintrags zu Never Let Me Go festgestellt, dass ich auf dieses Buch dreizehn Jahre gewartet habe.

Das zweite Buch steht erst seit letzten Jahr auf dem Wunschzettel, und zwar weil ich es auf Instagram bei Marguerite Joly gesehen hatte: Pachinko von Min Jin Lee. Mit dem Stichwort „Familiengeschichte“ kriegt man mich ja immer, obwohl nach Middlesex, den Buddenbrooks, Krieg und Frieden und Unendlicher Spaß sehr lange nichts mehr kommt. Aber ich lasse mich gern überraschen, und zum Thema Japan und Korea habe ich, glaube ich, noch nicht viel gelesen.

Vielen Dank für die Geschenke, ich habe mich sehr gefreut!

Tagebuch Mittwoch, 13. Februar 2019 – Besser, Baby!

Hervorragend durchgeschlafen. Die Nase ist noch nicht ganz wieder frei, aber die Grundkonstitution würde ich jetzt schon mit „quasi gesund“ angeben. Deswegen voller Tatendrang die Küche ein bisschen umorganisiert, in der ich nun seit ungefähr vier Monaten rumkoche und in der ich immer noch vergesse, dass ich auf einmal mehr Schränke habe. Beim Umzug habe ich vieles einfach wieder dahingestellt, wo es in der alten Wohnung auch stand, bis mir vor Kurzem auffiel, dass ja gar nicht so viel offen rumstehen muss – das kann auch alles hinter Türen!

Ich erledigte Kram am Schreibtisch und rutschte vom Martinů-Hören auf YouTube kurz zu Dvořák: Diese Aufnahme von der „Neuen Welt“ aus dem Münchner Gasteig von 1991 ist großartig. Nehmt euch nach Feierabend mal ein Stündchen und hört rein.

Ach, und die Akzente funktionieren jetzt ohne Wikipedia-Copypaste, danke an die Hinweisgeber*innen per Mail, Twitter und Instagram: Ich habe der deutschen Tastatur noch die tschechische hinzugefügt, und jetzt bekomme ich nach dem Umschalten beim längeren Drücken der U-Taste auch brav den Kringel. Martinůůůůůů!

Dann schaute ich die neue Folge von This Is Us, die mir sehr gut gefiel. Die neue Staffel nervt mich ein bisschen, weil sie plötzlich so irre viel Action bringt und so viele neue Schauplätze aufmacht, wo die alten noch gar nicht abgespielt sind. Diese Folge fühlte sich wieder an wie gutes, altes This Is Us: ein kleines Kammerspiel, nur die wichtigen Akteure, nicht wieder die ganze Peripherie in eine Folge gequetscht, nicht drei Dramen auf einmal, sondern nur eins. Mehr davon bitte.

In der aufgeräumten Küche gleich mal ein neues Brot angesetzt. Ich habe jetzt SONNE! in meiner Küche! Und eine neue Edelstahlschüssel, in die die Brotteige von Herrn Geissler hoffentlich besser passen als in meine gute alte Plastikschüssel von Mama. Die quillt nämlich über.

Nachmittags fiepste mein Handy und zeigte mir ein Geschenk in der Packstation an, siehe Extra-Eintrag. Ich ging deutlich schnelleren Schrittes als gestern zum Abholort und stellte dort fest, dass der liebe DHL-Mensch mein kleines Päckchen in das vermutlich größte Fach geworfen hatte, das da war, ganz nach hinten – und dazu noch das Fach ganz oben. Und so stand ich Zwerg vor dem gelben Mount Everest und konnte mein Päckchen von unten bewundern, es aber überhaupt nicht erreichen. Weil gerade niemand Großes die Straße entlang kam, dachte ich, ach komm, machste dich halt erstmal zum Affen. Und so schleuderte ich meinen Rucksack mit Schmackes ins Fach, immer bedacht, ihn noch an einem Gurt festzuhalten, nicht, dass er auch noch außerhalb meiner Reichweite gelangte. Ich brauchte auch nur zwei Versuche, bis der Rucksack das Päckchen nach vorne beförderte, wo ich halbwegs elegant an es herankam. Ich musste an die ganzen Tiere denken, die mit schweren Dingen nach Nüssen oder ähnlichem werfen, um sie zu knacken, und war eigentlich ganz beeindruckt von mir, dass ich die guten alten Atavismen noch aktivieren konnte, ich Säugetier.

Abends griff ich wieder zu Ottolenghis Simple-Kochbuch und genoss eine herrliche Linsen-Tomaten-Suppe mit Kokos und Curry, Rezept kommt morgen. Dann lungerte ich Zeitung lesend auf dem Sofa rum, bestellte meine virtuelle Farm und genoss es sehr, nicht mehr dauernd nach Taschentüchern greifen zu müssen.

Abends diesen Blogeintrag und den Dankeschön-Blogeintrag getippt und dabei die neuen Bücher gestreichelt. Bücher sind so wunderbar! Musik ist so wunderbar! Gutes Essen ist so wunderbar! Schau an, wie gut die Laune wieder ist, wenn man gesund ist, total erstaunlich.

Und dann war ich so guter Laune, dass ich bis morgens um 4 nicht einschlafen konnte. Ich versuchte es ein-, zweimal, dachte an meine üblichen Einschlafrituale, aber mein Kopf wollte lieber an alle Salatrezepte dieser Welt denken, die ich für meine kleine Partay demnächst schnippeln könnte, an die Bücher, die ich heute zurückbringen und die, die ich heute ausleihen will, an eine lustige Einladung, die gestern bei mir im Briefkasten lag und die mich in Erinnerungslaune brachte, und so knipste ich immer wieder das Licht an, las, versuchte wieder zu schlafen, und las weiter.

Zunächst griff ich zum hier schon mal erwähnten Buch zur Zukunft der Menschheit, weil ich dachte, ein Aufsatz über „Die Vermeidung existentieller Risiken als globale Priorität“ müsste mich doch bestimmt langweilen, aber das tat er natürlich nicht; ich war eine Stunde damit beschäftigt, „Hm? Ach was!?! Firlefanz!“ an den Rand zu schreiben und war weiterhin hellwach.

Und vier Uhr morgens zog und faltete ich den Brotteig nochmal, praktisch, wenn man wach ist. Und dann griff ich zu einem der neuen Bücher und folgte dem Butler Stevens ins England der 1950er Jahre, wo er mir bedächtig und wohlüberlegt und äußerst vorsichtig formuliert seine Geschichte erzählte, ich meine, in gedämpftem Plauderton. Das beruhigte mich derart, dass ich um halb fünf endlich ein bisschen müde wurde, das Buch zur Seite legte und sofort einschlief.

Sydney Opera House: the designs that didn’t make it – in pictures

Wer wissen möchte, wie das Sydney Opera House hätte aussehen können, wenn es nicht Utzons großer Wurf geworden wäre, kann sich hier einige der über 200 Wettbewerbsentwürfe als neues Rendering anschauen. Klar sind die nicht so irrwitzig wie das, was es schließlich geworden ist, aber ich finde die alle durchaus reizvoll. Bis auf das letzte, das von einem Dirigenten gestaltet wurde. Ähem.

(Via @Simon Kuestenmacher)

Tagebuch Dienstag, 12. Februar 2019 – Good-bye, *schneuz*, where art thou, *hust*?

Um 5 aufgewacht, noch bis 9 gedöst, ziemlich gut geschlafen, was mich sehr gefreut hat. Schnupfen ist auf dem Rückzug, Husten mag immer noch nicht aus der Lunge kriechen. Vielleicht habe ich erstmals eine Erkältung ohne Husten? Bleiben Sie dran!

Nach vier Tagen mal wieder geduscht, weil der Kreislauf stabil genug dafür war, und dann gleich todesmutig zum Einkaufen gegangen. Das hat gefühlt eine Stunde gedauert und ich war danach wieder duschfertig angeschwitzt, aber es ging.

Kurz gearbeitet. Was muss, das muss und geht jetzt auch wieder gut.

Endlich einen Gesprächstermin mit dem Doktorvati ausgemacht, nachdem ich ungefähr sechs Monate (aka ein Semester lang) wegen der Grossberg-Erben eingeschnappt war und Kunstgeschichte doof fand. Ich komme dann mal wieder langsam rein.

Eigentlich hätten wir demnächst auch mal wieder ein Doktorandenkolloquium, das letzte war im vergangenen März, aber wie es der Zufall will, findet es genau an den zwei Tagen statt, an denen ich zu einer kleinen Geselligkeit eingeladen habe bzw. an denen ich dafür vorkoche und die Wohnung putze. Ich habe sehr laut geflucht, als der Termin per Mail reinkam, denn da haben jetzt die Leute, die teilweise schon Züge gebucht haben, um nach München zu kommen, eindeutig Vorrang. Ich hatte mich sehr auf das Kolloquium gefreut, denn das letzte war durchaus lehrreich, und dieses Mal hätte ich sogar schon was zu erzählen gehabt und wäre nicht nur Zuhörerin gewesen.

Ich sage zwar immer, dass man Kunst nicht verstehen soll, dass es völlig in Ordnung ist, vor einem Werk zu stehen und sich zu sagen, das gefällt mir. Reicht. Mehr braucht es gar nicht. Deswegen verzweifele ich gerade an mir selber, die so dringend verstehen will, warum ihr Martinů so gut gefällt. Und nebenbei, wie man den ollen Kringel über dem u hinkriegt, damit ich nicht immer den Namen aus der Wikipedia copypasten muss. Nein, das U festhalten, damit die verschiedenen Akzente erscheinen, klappt nicht: üûùúū. Kein Kringel. Stupid Mac.

Gestern hörte ich zum wiederholten Male sein Rhapsody Concerto Nr. 337, freute mich, dass ich Tonfolgen wiedererkannte, wusste, wie es weitergeht, konnte mich mit der Musik nach der Auflösung von Akkorden sehnen, weil ich fühlte, dass sie kommen wird. Aber wieder konnte ich nicht formulieren, was genau mich so an seiner Musik begeistert. Sie kommt mir so klar vor, nicht überkompliziert, aber auch nicht runtergedummt, sie vermag mich zu überraschen, aber nur soweit, dass ich kurz Huch! beim ersten Hören denke, dann aber sofort wieder bei ihm bin. Er lässt mich nicht mit Noten alleine, die ich nicht nachvollziehen kann, ist aber nie langweilig. Ich kann es wirklich nicht beschreiben, und als jemand, der sich über sein Schreiben definiert, macht mich das irre. Mir fehlen ernsthaft die Worte.

Meine immerwährenden Küchengötter – oder warum ich Austern auf Sauerkraut mag

Alain Claude Sulzer darüber, warum er 200 Kochbücher hat, obwohl er in die meisten nur einmal reingeschaut hat. (Ich bin zu faul, aus den Guillemets einfache Anführungszeichen im Zitat zu machen. Ich schieb’s auf die Erkrankung.)

„Zwei Kochbücher würden genügen. Dennoch habe ich nicht aufgehört, neue zu kaufen. So wie ich auch weiter Romane kaufe und lese, alte und neue, obwohl ich mir sagen könnte, dass ein, zwei Bücher über den Ehebruch genügten, um alles über den Ehebruch zu wissen («Madame Bovary» und «Effi Briest»), ein, zwei Bücher über den Krieg, um alles über den Krieg zu wissen («Krieg und Frieden» und «Im Westen nichts Neues»), und ein, zwei Bücher über das Verbrechen, um alles über das Verbrechen zu wissen («Verbrechen und Strafe» und «Kaltblütig»).“

U.K. Economy Falters as Brexit Looms. Amsterdam Sees Risks, and Opportunity

Das ist ja schön, dass der Brexit auch was Gutes hat. Amsterdam freut sich anscheinend inzwischen, denn viele Firmen suchen neue Hauptquartiere, wenn London raus ist. Die meisten Banken sind nach Frankfurt gegangen, weil es in den Niederlanden eine Obergrenze für Boni gibt, aber Amsterdam führte Gespräche mit gut 100 Firmen, von denen sich bereits 30 für die Stadt entschieden hätten, darunter auch die European Medicines Agency.

„Landing the European Medicines Agency was significant. The regulator employs 900 people. It is building an office tower that will be its new headquarters on the southern reaches of Amsterdam, across a highway from a futuristic hotel designed by the Dutch architect Rem Koolhaas.

With the regulator shifting here, Mr. Kock and his team have focused on attracting companies within its orbit, including drugmakers, law firms and insurance companies that serve the pharmaceutical industry.

The group conducts tours of Amsterdam, talking up the city’s attributes: swift internet links; a creative work force; an easily accessible airport with more than 300 direct connections to points around the globe.

“We have taken a very Dutch approach — modest, but solid and persuasive,” Mr. Kock said. “We didn’t go around London like vultures seeking companies, or lavish them in the palace with seven-course dinners. We offer them coffee with a cookie.”

Is that a dig at Paris, where officials have deployed French culinary prowess toward luring investment banking jobs? Mr. Kock grins mischievously.

Bringing the medicine regulator has already helped one industry: the relocation business.

Ten years ago, Roz Fremder moved to Amsterdam from Boston with her husband, who had taken a job in the chemical industry. She started her own company, Expat Help, which guides newly arriving families as they look for housing, schools and health providers. Early last year, the company secured its largest contract, a deal to help workers with the medicines agency relocate from London.“

Tagebuch Montag, 11. Februar 2019 – Weniger *schneuz*, mehr so *ächz*

Der Schnupfen scheint sich langsam zu verabschieden, ich warte auf den Husten und genieße derweil den fast vollständigen Ausfall meines Kreislaufs. Zu mehr als zu den Wegen zwischen Bett, Sofa und immerhin zweimal Schreibtisch war er noch nicht fähig, das Einkaufen bzw. die Versorgung mit Nachschubobst und -gemüse verschob ich auf heute. Immerhin Tee habe ich genug im Haus, auch wenn ich jetzt gerade dem schwarzen Tee eine Pause gönne (ich würde ihn eh nicht recht schmecken) und stattdessen kannenweise Kräuter- und Pfefferminztee zuspreche.

Am Schreibtisch saß ich mittags zum Bloggen und nachmittags ganz kurz für einen spontanen Job, danach war wieder Dösen auf der Couch angesagt, bevor ich mich schnellstmöglich ins Bett verzog. Keine Zeitung gelesen, kaum online gewesen, abends im Bett noch ein paar Seiten meiner neuen Lektüre geschafft, eine Biografie über meinen derzeitigen Lieblingskomponisten Bohuslav Martinů von F. James Rybka.

Über Rybka ist online quasi nichts zu finden, das Buch verrät, dass er Chirurg war und Martinů als Freund der Familie, vor allem seiner Eltern, kannte. Dass er kein begnadeter Autor ist, merkt man recht früh, das Buch liest sich ein bisschen stockend und manchmal wie eine lange Aufzählung von Dingen. Aber ab und zu kann es mich durchaus überraschen.

Rybka beschreibt die zwei Kulturen, die Prag in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg beherrschten, als Martinů und sein bester Freund Stanislav Novák dort am Konservatorium studierten. Er erwähnt die beiden deutschsprachigen Franz Kafka und Max Brod, die den tschechischen Studenten vermutlich nie über den Weg gelaufen sind, auch weil sie acht Jahre älter waren. Diese Zweiteilung der Stadt wird auch durch die Biografie Albert Einsteins verdeutlicht, der 1911 als Physikprofessor an der deutschen Fakultät der Karls-Universität eine Stelle antrat. In den 18 Monaten seines Aufenthalts führte er vermutlich kaum eine Konversation mit tschechisch sprechenden Menschen.

„‚The population for the most part speaks no German and is strongly anti-German,‘ Einstein wrote. ‚The students, too, are not as intelligent and industrious as in Switzerland [wo er vorher in Zürich gelebt hatte], but I have a fine institute and a magnificent library.‘

Although aloof by nature, Einstein befriended several scientists at the university such als Georg Pick and Otto Stern. He joined evening discussions that gathered at the home of pharmacist Berta Fanta. Zionism was just emerging as an issue, and some Prague Jews were disappointed Einstein did not become interested in it. He was very interested in music, however, and enjoyed hearing the numerous church choirs and organ music that were not as plentiful in Zurich. When Einstein played Mozart violin sonatas at these soirées, Max Brod accompanied him on the piano.“

James F. Rybka: Bohuslav Martinů. The Compulsion to Compose, Lanham/MD 2011, S. 19/20.

Wenn man sich die verlinkten Biografien durchliest, weiß man auch genug über das 20. Jahrhundert. Seufz.

Tagebuch Freitag bis Sonntag, 8. bis 10. Februar 2019 – *schneuz*

Freitag vormittag wollte ich eigentlich um Punkt 9 Uhr 30 bei Ikea sein, um noch schnell (knurr) was einzukaufen. Das klappte nicht ganz, denn mein Mütterchen rief an. Sie erzählte mir, dass Papa letzte Woche kurz im Krankenhaus gewesen war, jetzt sei aber im Prinzip alles wieder gut. Ich hasse es, dass ich sowas nie mitkriege, weil ich so weit weg bin und mir auch niemand Bescheid sagt, denn ich könne ja eh nix machen außer mir Sorgen. Ja, stimmt. Trotzdem!

Dann erzählte sie mir noch, wie sie davon erfahren habe, und das war wieder so eine typische Dorf-und-Eltern-Geschichte, dass ich nicht wusste, ob ich schimpfen oder lachen sollte. Papa sei zum Hausarzt gefahren und Mama zum Einkaufen, danach wollte sie zum Friseur, wo Papa vorbeikommen sollte, um ihr den Hausschlüssel zu geben (wohin er danach wollte, weiß ich nicht mehr). Der Hausarzt überwies meinen Papa aber gleich ins Krankenhaus, ein Rettungswagen wurde bestellt – und den leitete Papa dann halt noch kurz zum Friseur, wo einer der Sanitäter der Friseurin erzählte, dass Herr Gröner ins Krankenhaus XY gefahren werde, seine Frau sich aber keine Sorgen machen solle, wenn sie denn gleich zum Haareschneiden vorbeikäme.

Warum das alles so umständlich ist? Weil beide nur ein gemeinsames Handy haben, das auch nie angeschaltet ist, außer sie sind im Urlaub, damit wir sie erreichen können.

Mama am Freitag so zu mir: „Ach, ich wüsste auch gar nicht, wofür ich das anhaben sollte.“
Ich so: „FÜR FÄLLE WIE DIESEN?!?“

Papa ist schon wieder zuhause, Schwesterchen schickte mir Freitag abend Fotos über WhatsApp, wo sie mit ihm bei Preisskat sitzt. Diese Familie macht mich irre. (DICKES HERZCHEN!)

Jetzt war meine Zeit aber doch knapper als gedacht, um zu Ikea zu fahren. Deswegen guckte ich erstmals auf die MVG-App und ließ mir Verbindungen nach am Arsch der Welt empfehlen, wo ich sonst immer die gleiche U-Bahn, die gleiche S-Bahn, den gleichen Bus genommen hatte, weil ich halt wusste, wo der langfuhr und es mir egal war, ob ich zehn Minuten warten musste, denn ich habe ja Zeit und ein Buch dabei. Bei Temperaturen knapp über Null und dem jetzt verschobenen Tagesplan wollte ich aber nicht warten, und so ließ ich mich von der App leiten. Ich muss sagen, das war beeindruckend hübsch getaktet, ich habe nirgends mehr als zwei Minuten gewartet, an drei Stationen fuhr das zu benutzende Verkehrsmittel ein, sobald ich auf den Bahnsteig kam. Technik. Toll.

Auch bei Ikea selbst war alles äußerst ereignislos, ich kürzte wie immer die Möbelausstellung ab, ging gleich zum Kleinkram, nahm (natürlich) noch Servietten mit, die gibt’s ja nirgendwo anders, schnappte mir die Lampe, die schon viermal in meiner Wohnung hängt und demnächst dann auch noch in der Küche, wo mir das ach so stimmungsvolle Schummerlicht über dem Esstisch nach drei Monaten so dermaßen auf den Zeiger geht, dass ich mich nach Flakbeleuchtung sehne, daher der Ikea-Trip. Auch die Leuchtmittel vergaß ich nicht, ich Schlaumeierchen, dann stand an der Kasse irgendwie noch Marabou-Schokolade rum, huch, und dann war ich schon an der Selbstscannerkasse, bezahlte, ging nach draußen, und selbst dort fuhr der Bus gerade um die Ecke, als ich an der Haltestelle ankam.

Zuhause angekommen, schrieb ich noch den langen Blogeintrag, für den ich morgens keine Zeit mehr gehabt hatte, weil ich möglichst früh zum Schweden wollte, aber ich ja jetzt Krankheitssymptome und Behandlungsmethoden googeln musste (wollte). Man kann Eltern mit Wikipedia-Einträgen beruhigen, wie ich jetzt weiß. Und mich auch.

Nach dem Bloggen merkte ich schon, dass in meinen Knochen eine Erkältung hochkroch. F. fühlte sich per DM sofort schuldig, aber ich glaube, es war eher einer der fünf Menschen, auf die ich letzte Woche in öffentlichen Verkehrsmitteln getroffen war, die so dermaßen husteten, dass ich jedesmal dachte, och, ich geh einfach bis ans andere Ende des Wagens weiter anstatt hier stehenzubleiben. Hat anscheinend nicht so recht geholfen.

Seit dem letzten Januar/Februar, wo ich drei Erkältungen hintereinander hatte (und sehr viel schlechte Laune), achte ich recht penibel darauf, mir quasi dauernd die Hände zu waschen und in der U-Bahn und im Bus die Haltestangen möglichst nur mit Handschuhen anzufassen. Das klappt natürlich nicht immer, und so hat es mich nach einem Jahr dann auch mal wieder erwischt. Mit dem Schnitt könnte ich leben.

So ganz fit bin ich noch nicht, aber ich war am Wochenende doch produktiver als gedacht: Ich habe Twitter vom Handy geschmissen. Facebook ist seit letzter Woche schon nicht mehr drauf, und ich habe es nicht die Bohne vermisst. Bei Twitter waren es gefühlt drei Säue gleichzeitig, die durch meine eigentlich liebevoll kuratierte Timeline getrieben wurden, und ich hatte auf keine einzige Lust und wollte dazu auch keine 70 Takes lesen.

Wenn mir jetzt langweilig ist, lese ich die Apps der New York Times, der Washington Post, des New Yorker, der FAZ und des Atlantic leer (bis auf den Atlantic bin ich überall Abonnentin). Ab und zu gucke ich, ob ich Replys habe, auf die ich reagieren muss oder ob ich in den drei Minuten auf Twitter, wo ich jetzt umständlich über die Web-Oberfläche reinmuss, was retweeten kann, aber das war’s. Keine Ahnung, ob ich das länger als drei Tage durchhalte oder ob es nur jetzt okay ist, weil mich krank alles noch mehr nervt als gesund, aber für dieses Wochenende war’s okay.

Und jetzt geh ich wieder ins Bett.

Tagebuch Donnerstag, 7. Februar 2019 – Feiertag und Weltuntergang

Gearbeitet. Auf DHL gewartet, gelernt, dass es Kartons für 18 Flaschen gibt (die Zwölferkiste kannte ich), danke fürs Schleppen, freundlicher DHL-Mitarbeiter, jetzt bin ich wieder mit Stoff vom Lieblingsweingut versorgt. Viel gelesen.

Abends mit F. was zum Feiern gehabt, das wir im Freisinger Hof erledigt haben. Keine Fotos, aber: Lachscarpaccio, Tafelspitz und Schokokirsch waren sehr wohlschmeckend. Der Herr kämpfte Blutwurst, Backhendl und Limettenmousse nieder, wir gönnten uns beide noch ein Blutorangenschnäpschen und ließen uns von pünktlichen Öffis beschwingt und glücklich nach Hause tragen.

Neu auf der immer offenen Blaufränkisch-Liste: The Butcher vom Weingut Schwarz (Burgenland). Weniger fruchtig, mehr so wumsig, tolles Zeug. Macht dem bisherigen Lieblingsblaufränkisch von Moric ernste Konkurrenz.

Ich lese zum ersten Mal bei der @Twitlektuere mit und weiß gar nicht, wie man über das Buch Die Zukunft der Menschheit des schwedischen Philosophen Nick Bostrom auf 280 Zeichen sprechen soll. Im Sammelband stehen sechs Aufsätze, die zwischen 2003 und 2013 veröffentlicht wurden, was ich aber erst nach dem Kauf kapiert habe. Das wunderte mich schon: Ich bin sehr gespannt darauf, wie gut sich ein Text von 2003, der sich mit Computersimulationen befasst, im Jahr 2019 noch liest.

Gestern las ich den ersten Aufsatz, der gut 40 Seiten lang ist, und war damit ernsthaft über Stunden beschäftigt. Ich konnte mich aber schon mal über ein unerwartetes generisches Femininum freuen, bei dem ich mich natürlich frage, wie Übersetzer Jan-Erik Strasser darauf gekommen ist (ich kenne das Original nicht). Egal, Freude.

Die Seite im Tweet sieht noch sehr unbeleckt aus, später sahen dann alle eher so aus:

Bostrom verhandelt in seinem Aufsatz vier Szenarien für die Zukunft der Menschheit, die er übrigens in Tausend- bzw. Zehn- und Hunderttausender Jahren rechnet, nicht so läppisch die nächsten 20 oder so, nein, der große Wurf. Wobei er auch Aufsätze anderer Wissenschaftler zitiert, die teilweise die Chance der Menschheit, das 21. Jahrhundert zu überleben, pessimistisch bei fifty-fifty sehen. Spätestens da begann ich mich auf den späteren Blaufränkisch zu freuen.

Zunächst beschreibt Bostrom, welche Veränderungen auf die Menschheit zukommen könnten, die zu ihrem Untergang führt. Natürliche Katastrophen sieht er nicht als universellen Killer, die hätten wir schon ewig überlebt, das passt schon. Klingt nicht gut für die Klimaschützer, ich zitiere:

„Obwohl diese Prognose [Erwärmung von 1,1 bis 6,4 Grad, Meeresspiegel steigt irgendwas zwischen 18 bis 59 cm an] durchaus eine Reihe von Klimaschutzstrategien rechtfertigen könnte, besteht kein Grund zur Panik [WIESO NICHT, WANN DENN SONST?], wenn wir das Ganze unter dem Blickwinkel der Zukunft der Menschheit betrachten. Selbst der Stern Review on the Economics of Climate Change, ein Bericht für die britische Regierung, der verschiedentlich als zu pessimistisch kritisiert wurde, schätzt, dass die Erderwärmung (wenn wir nichts dagegen unternehmen) den globalen Wohlstand um einen Betrag vermindern wird, der umgerechnet einer dauerhaften Reduktion des Pro-Kopf-Verbrauchs zwischen 5 und 20 Prozent entspricht. In absoluten Zahlen wäre das zwar ein enormer Schaden, andererseits wuchs das weltweite BIP im 20. Jahrhundert um rund 3700 Prozent und das BIP pro Kopf um etwa 860 Prozent. Es scheint daher ziemlich sicher zu sein (falls unsere besten wissenschaftlichen Modelle des Erdklimas nicht völlig verkehrt sind), dass alle negativen wirtschaftlichen Folgen des Klimawandels gegenüber anderen Faktoren völlig vernachlässigbar sein.“ (S. 27/28)

Ich lasse das mal so stehen bzw. frage mich, ob wir über etwas mehr nachdenken sollten als über die „wirtschaftlichen Folgen“ des Klimawandels oder ob das alles umfasst.

Aber gut. Die Natur bringt uns also nicht um, sondern wir, und zwar durch unsere selbstgebastelten Technologien. Sie bringen Risiken mit sich, die wir schlicht nicht übersehen können. Aber: Sie bringen ebenfalls Möglichkeiten mit, wie wir mit diesen neuen Risiken umgehen könnten. Behauptet Bostrom einfach, ich hoffe das wenigstens.

Bostrom entwirft dann vier Szenarien, was mit der Menschheit in Zukunft passieren könnte, eine davon ist der totale Untergang, vermutlich durch unsere eigenen Hände bzw. die Technik, die wir damit gebastelt haben. Ein totaler Untergang wäre auch gar nicht so unwahrscheinlich, denn bisher sind geschätzt 99,9 Prozent aller Arten, die jemals auf der Erde lebten, untergegangen, also warum nicht auch die Menschen? (S. 22)

Ein anderes Szenario wäre der zyklische Kollaps, den Bostrom aber für weniger wahrscheinlich hält, und ich weiß immer noch nicht, ob das jetzt tröstend ist oder nicht. In einem zyklischen Kollaps ruinieren wir unsere Spezies immer und immer wieder, aber nie komplett, einige von uns bleiben übrig und erfinden das Rad oder den Mac nochmal neu. Wir erholen uns wieder – und kloppen uns dann wieder, werfen Atomraketen, setzen Viren in die Welt, was auch immer. Dass dieser Zyklus niemals wieder durchbrochen wird und wir entweder endlich aussterben oder uns, eine weitere Theorie, zu posthumanen Wesen weiterentwickeln, hält Bostrom für weniger wahrscheinlich als die anderen beiden Möglichkeiten. Ich persönlich traue der Menschheit durchaus viele Dummheiten zu, aber in diesem Punkt glaube ich, dass er Recht hat.

Das dritte Zukunftszenario ist das Plateau: Wir entwickeln uns bis zu einem gewissen Punkt und bleiben dann da. Laut Bostrom auch eher Quatsch, und das verstehe ich sogar. Ich glaube nicht, dass wir uns irgendwann mit irgendwas zufriedengeben, irgendein Planet ist immer da, auf dem wir noch nicht waren, eine Erfindung wartet, an die wir gestern noch nicht gedacht haben etc. Bostrom formuliert es so:

„Wer nicht an solche Entwicklungen glaubt, sollte sich fragen, ob sich seine Skepsis wirklich auf die Unmöglichkeit oder doch nicht eher bloß auf den Zeithorizont bezieht. Einige dieser Technologien [menschliche Lebenserwartung auf 1000 Jahre hochschrauben, individuelle Charakterformung durch Pharmaka, maschinelle Intelligenz etc.] werden zwar schwer zu entwickeln sein, aber heißt das, dass wir sie niemals entwickeln werden? Nicht einmal in 50 Jahren? 200? 10.000 Jahren?“ (S. 34)

Sein letztes Szenario wäre die Weiterentwicklung des Homo Sapiens in eine posthumane Lebensform. Diese charakterisiert er unter anderem durch eine Lebenserwartung von mindestens 500 Jahren, eine vollständige Kontrolle über eigene Sinneswahrnehmung, kaum noch vorhandene psychische Leiden oder andere ähnlich tiefgehende Veränderungen der Spezies. Bostrom beschreibt in diesem Abschnitt auch die Singularitätshypothese, nach der während einer Periode „extrem schneller technologischer Entwicklung uns die Posthumanität ganz plötzlich beschert“ wird (S. 39). Er zitiert auch weitere Vertreter dieser Hypothese, die ihre eigenen Voraussagen, was den Zeithorizont angeht, aber immer wieder korrigieren. Er zitiert außerdem Vaclav Smil, der die 1880er Jahre für die innovativste Dekade der Menschheit hält, die uns aber nicht plötzlich posthuman machen konnte.

Der Aufsatz endet mit der Schlussfolgerung, dass totaler Untergang und Weiterentwicklung auf ein posthumanes Level die wahrscheinlichsten Möglichkeiten für die Zukunft der Menschheit seien. Aber hey, Hoffnung auf die Raumfahrt: „[S]obald bestimmte kritische Technologien und autarke Kolonien im Weltraum geschaffen wurden“, sinkt die Möglichkeit des totalen Untergangs (S. 47). Ich setze jetzt alles auf die NASA und ähnliche Organisationen. Die Außerirdischen kann ich mir aber vermutlich abschminken, denn:

„Fast im gesamten Universum herrscht ein extremes Vakuum, und so gut wie alle materiellen Pünktchen darin sind so heiß oder so kalt, so zusammengepresst oder so ausgedünnt, dass dort keinerlei organisches Leben möglich ist. Räumlich wie auch zeitlich gesehen ist unsere Situation bemerkenswert.“ (S. 21)

Wir haben Wein und Schokolade. Alleine das ist bemerkenswert.

(Alle Zitate aus: Nick Bostrom: „Die Zukunft der Menschheit“, in: Ders.: Die Zukunft der Menschheit. Aufsätze, Berlin 2018, S. 9–47.)