Ein schön gestaltetes Dankeschön …

… an Frîa, eine alte Freundin, die mich mit Alena Schröders Junge Frau, am Fenster stehend, Abendlicht, blaues Kleid überraschte. In der Widmung meinte die Schenkerin: „[N]ur weil das Cover so schön gestaltet ist.“ Mit derartigen Geschenkgründen kann ich hervorragend leben! Ich persönlich finde ja, dass Effingers auch sehr hübsch aussieht! Oder Grünbeins Oxford Lectures (das ist eine Autobahn, Sie ahnten es vermutlich). Oder Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen (ein KdF-Wagen, ähem). Gucken Sie mal!

Die Handlung von Junge Frau klang für mich natürlich sehr interessant: „Die Geschichte um die Kulturwissenschaftlerin Hannah, die ein Bild sucht, das ihrer mit einem Juden verheirateten Großmutter von den Nazis geraubt wurde“, ich zitiere den Perlentaucher. Die Leseprobe gefiel mir auch, und jetzt freue ich mich darüber, es ganz lesen zu können.

Ich habe in diesem Jahr wieder angefangen, meine Bücher zu notieren, die ich durchlese. Dabei stellte ich erstaunt fest, dass ich bereits vier Romane und ein Sachbuch durchgelesen hatte. Im fünften Roman stecke ich fest und überlegte gestern, ob ich den wieder ins Regal stellen sollte, als das Geschenk kam. Perfektes Timing! Nebenbei: Einer von den vier bisher gelesenen Romanen war Gegenspiel von Stephan Thome. Hey, Dominic, der du mir dieses Buch im Mai 2016 geschenkt hattest: Es hat mir gut sehr gefallen. Eure Bücher werden alle irgendwann gelesen! Manchmal dauert es halt ein bisschen.

Bis hier hin hatte ich den Blogeintrag gestern geschrieben, dann ging ich ins Bett und wollte nur mal kurz ins Buch gucken. Das ist jetzt 118 Seiten her, es war irgendwann halb eins, und manche Bücher werden anscheinend schneller gelesen. Vielen Dank für das Geschenk, ich habe mich sehr gefreut.

Mamas Marmorkuchen

Mit diesem Kuchen bin ich groß geworden, und seit ich wieder öfter im Norden bin, esse ich ihn auch wieder öfter. Bei meinen Eltern gibt es um halb vier Uhr jeden Tag Kaffee und Kuchen, komme was wolle, und wenn man da ist, isst man mit. (Maske ab, ein Stück abbeißen, Maske auf, kauen, repeat.) Der Kuchen schmeckt saftig-schwer und altmodisch, er ist nicht leicht und flauschig, aber genau so mag ich ihn. Ich habe neuerdings immer ein bis drei Viertel davon eingefroren im Tiefkühlfach und mache gerne Kaffeepause. Oder Teepause. Das ist sehr schön.

Für eine Kastenform mit 30 cm Länge.

250 g zimmerwarme Butter mit
200 g Kristallzucker schaumig schlagen, wie es so schön heißt. Ich habe eine Butter-Zucker-Masse noch nie schaumig bekommen, ich mixe so lange, bis die Butter weißlich geworden ist und sich alles richtig schön verbunden anfühlt bzw. so aussieht.

4 Eier einzeln untermixen.

350 g Mehl, Type 405,
ca. 5 g Backpulver (1/3 Tütchen) sowie
1 gute Prise Salz untermischen.

Die Hälfte des Teiges in die gefettete Kastenform geben. In den restlichen Teig
2 EL entöltes Kakaopulver,
1 EL Vanillezucker und
1–2 EL Milch geben, alles gut vermischen und auf den hellen Teig in die Kastenform geben. Mit einer Gabel die Teige miteinander verwirbeln – ich mache das eher halbherzig –, die Oberfläche glattstreichen und im auf 175° Ober- und Unterhitze vorgeheizten Ofen für 50 bis 60 Minuten backen. Stäbchenprobe machen. In der Form abkühlen lassen, dann stürzen und endgültig auskühlen lassen. Kaffee oder Ostfriesentee dazu, ist klar.

Ein forschendes Dankeschön …

… an Sascha, der mich mit Der Holocaust: Ergebnisse und neue Fragen der Forschung von Frank Bajohr und Andrea Löw (Hrsg.) überraschte.

Ich lese auch privat Sachbücher immer mit einem Finger hinten im Anhang, wo die Endnoten und Literaturangaben stehen. Dieses Buch fand ich in Hedwig Richters Demokratie-Buch und das Inhaltsverzeichnis überzeugte mich davon, dass ich da mal reingucken sollte. In einem der Diss-Gutachten wurde zufrieden festgestellt, dass ich die Verdienste Protzens, auch im Vergleich zu anderen Künstlern, aufgearbeitet hatte. Ich zitiere: „Es ist sehr wichtig, dass Verf. dem Salär des Künstlers Aufmerksamkeit schenkt, wird doch im Kontext des NS die ökonomische Dimension des Politischen bisweilen nachrangig beurteilt. Denn die NS-Ideologie, die Verfolgung und Entrechtung der Juden war politisch und ökonomisch motiviert (siehe Toozes Studie „Ökonomie der Zerstörung“). Dies lässt sich ohne Weiteres auf den Sektor Kunst übertragen, und damit sind nicht nur die Beschlagnahmen jüdischer Sammlungen gemeint, sondern eben auch der wirtschaftliche Aufschwung erfolgreicher NS-Künstler.“

Im Buch von Bajohr und Löw gibt es genau dazu einen Aufsatz, „Materielle Aspekte des Holocaust“, sowie zwei, die sich mit der biografischen Aufarbeitung der NS-Täter befassen, was für mich gerade mit ein Punkt ist, auf den ich sehr achte. Da sind mir, laut Gutachten und Gespräch mit dem Doktorvater, doch ab und zu etwas zu positivistische Beschreibungen durchgerutscht bzw. ich habe mir ab und zu Urteile erlaubt, die möglicherweise ungerechtfertigt waren. Und da im Moment alle Bibliotheken geschlossen sind, freue ich mich über jedes Buch, das ich nun zuhause lesen kann. Den Tooze hatte ich mir netterweise vor dem Lockdown schon geliehen, der steht gerade hinter mir.

Vielen Dank für das Geschenk, ich habe mich sehr gefreut.

Tagebuch Dienstag/Mittwoch, 19./20. Januar 2021 – Madame Vice President

Der Dienstag begann hervorragend: Mein inzwischen dritter Versuch mit Roggensauerteig klappte so, wie ich es haben wollte und nicht nur so halb oder geht so oder „kann man essen, wenn’s sein muss“. Das Brot ging in seiner Kastenform zwar im Ofen nur an einer Seite wirklich auf – das ist die etwas aufgerissene, krustige –, aber es schmeckte durch und durch. Fieser Nebeneffekt, der mir schon überrascht bei den ersten Versuchen mit Roggensauerteig aufgefallen ist: Es schmeckt wie das Lieblingsbrot von Papa. Das Gersterbrot esse ich auch immer in der alten Heimat im Norden und wusste nie, dass es aus Roggenmehl zubereitet wird.


(Foto aus der Hüfte für F., muss ich fürs Rezeptverbloggen noch mal anständig machen. Und ohne Bissspuren.)

Ab kurz vor zehn Uhr hatte sich der jährlich vorbeischauende Heizungsableser angekündigt. In den letzten Jahren brachte er oft seinen Kollegen mit, der die Rauchmelder prüft, dieses Jahr kam er wieder alleine und übernahm beide Jobs. In meiner Wohnung standen alle Fenster auf Kipp, ich trug FFP2, er eine OP-Maske, wir hielten Abstand und es war keine Unterschrift auf dem Ableseprotokoll nötig. Danach lüftete ich zehn, fünfzehn Minuten lang durch, bis es wirklich kalt war. So fühlen sich also Schüler:innen gerade.

Bis gestern um 14 Uhr saß ich an beiden Tagen an der Diss, überarbeitete erneut den biografischen Teil sowie den Überblick über das Gesamtwerk. Gestern beendete ich vorerst (also bis zu den üblichen 17 Korrekturgängen) den Teil mit Protzens ganzen Vereinsmitgliedschaften. Dazu begründete ich auch, warum dieser Teil wichtig ist: weil Künstlervereinigungen im Kleinen abbildeten, was reichsweit ab 1933 passierte. Es wurde durchaus über die angeblich neue deutsche Kunst diskutiert; ich hatte in Archiven einige Sitzungsprotokolle gefunden, an denen sich Kontroversen gut nachvollziehen ließen. Außerdem lässt sich dort auch die neue Personalpolitik nachzeichnen, also das Ersetzen von bisherigen Amtsinhabern durch Parteigenossen. So verlor auch Protzen, der kein Mitglied der NSDAP war, im April 1933 einen Vorstandsposten beim (ehemals Feldgrauen) Künstlerbund München, was ihm aber auf lange Sicht nicht wirklich geschadet hat. Aber er konnte das hübsch im Spruchkammerbogen ausschlachten. („ICH BIN EIN NAZIOPFER EINS11! … Autobahnen? Was für Autobahnen?“)

Ab 14 Uhr war meine Konzentration aber weg. Ich musste mir anschauen, wie Trump am Weißen Haus das letzte Mal den Hubschrauber Marine One bestieg, der ihn zur Air Force One brachte, die ihn nach Florida und damit hoffentlich in die Bedeutungslosigkeit flog, die für ihn vermutlich die Höchststrafe sein wird. Geh weg, komm nie wieder.

Danach genoss ich die Amtseinführung Bidens und Harris’ und konnte befriedigt feststellen, dass nicht mal Trump meine irrationale Zuneigung zu amerikanischem Pathos ruinieren konnte. Beim Amtseid von Harris, der ersten Schwarzen, der ersten asiatischen und der ersten Frau auf dem Posten des Vizepräsidenten, verdrückte ich dann doch überrascht ein kleines Tränchen. Der Eid wurde von Sonia Sotomayor abgenommen, der ersten Latina und, wenn ich das richtig sehe, dritten Frau am Obersten Gerichtshof der USA.

Das Gedicht von Amanda Gorman mochte ich ebenfalls sehr.

Twitter war gestern wieder in alter, netter Form.

Dass Augsburg gegen Bayern verlor, war dann auch total egal. Tief und fest geschlafen.

Ein abstraktes Dankeschön …

… an Herrn oder Frau Unbekannt, es lag leider kein Absendezettel dabei, der oder die mir ein dickes Paket zukommen ließ, in dem sich Pepe Karmels Abstract Art: A Global History befand. Das Buch landete nach einem Artikel in der NY Times auf meinem Wunschzettel, eine Liste der besten Kunstbücher des Jahres 2020. Hat das Jahr doch was Gutes hervorgebracht.

Ich zitiere die kurze Besprechung vollständig:

„This large coffee table/art history book announces its singularity with its cover, a painting by Hilma af Klint, whose recently rediscovered achievement upended the history of modernist abstraction. A herculean effort, it reproduces the efforts of over 200 artists from all seven continents, usually with sharp capsule discussions. It provocatively divides abstraction according to subject matter (the body, the cosmos, landscape, architecture), increasing its accessibility. The book’s inclusions and theories can be debated, but it sets a standard for future efforts.“

Eine globale Geschichte, die das Werk einer Frau auf den Titel packt, hat bei mir von vornherein viele Sympathiepunkte. Und dass sie global ist, ebenso, denn das ist leider immer noch die Crux unseres Faches und vermutlich vieler anderer Richtungen der Geisteswissenschaften: Unser Verständnis fängt beim Kanon westlicher, weißer, meist männlicher Kunst an, an die sich alles andere andockt. Das ändert sich netterweise seit einigen Jahren, aber der Weg ist noch sehr weit. Ich erinnere mich an mein Staunen in der grundlegenden Ausstellung im Haus der Kunst, Postwar, die mein eigenes Bild von Kunst über jeden Haufen geworfen hat, den ich im Kopf hatte. Daher klang dieses Buch genau wie das richtige, um mich mal eingehender der Abstraktion zu widmen.

Mein Interesse an der Kunst des NS führt dazu, dass ich mich eher im 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhundert auskenne als danach, und zudem liegt mir dementsprechend die naturalistische Kunst mehr. Ich schaue mir aber sehr gerne abstrakte Kunst an, gerade weil sie mir Dinge zeigt, die sonst in meinem Leben – oder auf diesem Planeten – ohne sie nicht vorkommen.

Die Idee, Werke, die nichts Nachvollziehbares abbilden, in Kategorien zu ordnen, die genau das tun – Körper, geöffnete Fenster, Sonnen und Planeten –, klingt erstmal sehr abwegig. Ganz durchhalten kann Karmel das auch nicht, einige Angaben im Inhaltsverzeichnis lauten „Embryos and Blobs“, „Vibrations“ oder auch schlicht „Calligraphy“. Wie die Times anklingen lässt, kann man darüber streiten wie über alles, aber beim ersten Durchblättern fand ich es ganz schlau gemacht. Karmel ordnet nicht, wie es die bisherigen Narrative der Kunst es tun, nach Jahreszahlen, Schulen oder Kontinenten, sondern wirft alles wild durcheinander – um es in eine neue Ordnung zu bringen. Oder er versucht es zumindest.

David Carrier schreibt auf Hyperallergic in seiner guten Rezension die entscheidenden Sätze:

„Karmel’s originality and literary skill are praiseworthy. But his account is not a history. There is no reason given to suggest that the later artists further developed the forms of abstraction explored by their predecessors. […] I imagine that Thames & Hudson would have vetoed calling Karmel’s book A Global Charting of the Varieties of Abstraction, with Reference to Its Figurative Roots, though that title would give a clearer view of his achievement. Karmel has, in fact, proven that a global history of abstraction is impossible. This is an important achievement, for it opens the way to constructive analysis. Today’s art world has an essentially different structure from Gombrich’s Eurocentric tradition or Clement Greenberg’s New York-centric era; we must now recognize that writing a global art history demands that we give up historical thinking.“

Das trifft, soweit ich das überblicken kann, auch durchaus in Teilen auf die naturalistische Kunst zu. Ich twitterte im Dezember diesen Link zum Deutschlandfunk über afrikanische Kunst. Die letzte Abbildung hat mich völlig umgehauen: Sie zeigt eine menschliche Figur mit deutlich abstrahierten Zügen, aber in einer fluiden Bewegung erstarrt und stammt aus dem 13. Jahrhundert. Diese Art der Darstellung bekam Europa erst Anfang des 20. Jahrhunderts hin und fand sich irre innovativ (siehe z. B. die Demoiselles d’Avignon, die Skulpturen kamen noch einige Jahre später). Dass man nun komplett darauf verzichtet, historisch zu denken, halte ich allerdings für einen Fehlschluss, ich hänge schon noch an der Theorie, dass wir bei sehr vielen Leistungen auf den Schultern unserer Vorgängerinnen stehen. Wir vergessen sie nur gerne wieder.

Wie gesagt, ich habe das Buch erst einmal durchgeblättert und mich über Eva Hesse und Gego gefreut, aber bis jetzt gefällt mir der Brocken, auch in seiner Inklusion von vielen Künstlerinnen und Menschen außerhalb von Europa und den USA, ausgesprochen gut, auch in seiner wirklich üppigen Aufmachung. Es war beim Blättern ein bisschen, wie durch eine Ausstellung zu bummeln, was mir doch mehr fehlt als ich dachte. Das tat sehr gut.

Vielen Dank für das Geschenk, ich habe mich sehr gefreut.

Tagebuch Montag, 18. Januar 2021 – Anhang 2

Ich wachte um 4.40 Uhr auf, ging auf die Toilette, hoffte bis 6 Uhr noch darauf, wieder einschlafen zu können, gab es dann aber auf und begann latent nölig und übermüdet meinen Tag.

Der bestand hauptsächlich darin, meinen Anhang 2 in der Diss zu überarbeiten. Bisher ist die Dissertation – sehr vereinfacht ausgedrückt – eine chronologische Abfolge von Ausstellungen und Verkäufen. An diese dockte ich immer noch Metaebene dran, aber das ist es im Prinzip. Das wurde in den Gutachten als „bürokratisch“ und „pedantisch“ umschrieben, immer liebevoll abgeschwächt – „ist trotzdem super“ –, aber, wie ich mir nun mit einem halben Jahr Abstand zum Werk eingestehen muss, leider korrekt. Daher war das mein Hauptanliegen: diese pedantische Ordnung aufzubrechen.

Der Anhang 2 ist mir erst kurz vor der Abgabe eingefallen. In ihm sind alle Ausstellungen mit den gezeigten Werken aufgeführt, die mehrfach gezeigten sind gefettet, so dass man sofort sehen kann, welche Werke Protzen selbst am wichtigsten waren. Eine dieser Erkenntnisse, auf der ich auch im Text rumreite: Das von ihm heute auf jeder NS-Wanderausstellung gezeigte „Straßen des Führers“ wurde gerade ein einziges Mal in der Zeit des „Dritten Reichs“ gezeigt, nämlich auf der GDK 1940 und dort auch erst als Nachhängung, also nicht gleich von Beginn der Ausstellung an. Die GDK dauerten anfangs von Juli bis Oktober des jeweiligen Jahres, von 1941 bis 1944 hieß es im Katalog „bis auf weiteres“, aber schon seit 1939 liefen die Schauen bis ins nächste Jahr; die GDK 1939 dauerte bis Februar 1940. Die letzte Verkaufsbescheinigung der GDK 1944, die ich in den Akten fand, wurde am 24. April 1945 ausgestellt.

„Straßen des Führers“ wurde vermutlich im Oktober 1940 gehängt und laut Werkverzeichnis im Dezember an die Reichskanzlei verkauft. Es gelangte aber nie nach Berlin, sondern wurde in den Depots des Hauses der Deutschen Kunst aufbewahrt, laut der Archivalien bis zum 28. Oktober 1943, als es in Altaussee in Österreich eingelagert wurde, um vor den Bombenangriffen der Alliierten geschützt zu sein. (Das ist für meinen Kopf immer seltsam nachzuvollziehen, dass die Ankäufe der NS-Machthaber in ähnlichen Stollen rumlagen wie die aus ganz Europa zusammengestohlenen Kunstschätze, die einen deutlich höheren kunsthistorischen Wert hatten und haben.) Der Mittelteil von „Straßen des Führers“ (es ist ein Triptychon und nur der Mittelteil wurde ausgestellt) wurde zunächst in Salzburg registriert; am 8. November 1946 findet sich das Werk auf einer Bestandsliste der United States Forces Austria. Es wurde am 20. November 1946 unter der Mü-Nr. 40499 Salzburg 112 registriert. Am 1. April 1949 wurde das Werk an den bayerischen Staat übergeben und gehört heute dem Deutschen Historischen Museum in Berlin. Die „Mü-Nr.“ ist die Münchner Nummerierung der im Central Collecting Point eingelieferten Werke, hier steht auf S. 4 dazu etwas mehr.

Oh, ich bin etwas abgeschweift. Ich finde das immer noch alles sehr spannend, da müsst ihr jetzt durch.

So, Anhang 2. In dem waren wie gesagt bisher nur die Ausstellungen und die Werke verzeichnet. Um vorne im Textteil haufenweise Absätze zu sparen, legte ich eine neue Spalte an und und verzeichnete dort gestern meine Quellen. Denn das war eine meiner selbstgestellten Hauptaufgaben gewesen: erstmal rauszufinden, wann und wo der Herr überhaupt was gezeigt hatte. Dafür las ich hunderte von alten Lokalnachrichten durch, um anhand der Rezensionen Rückschlüsse auf die Werke ziehen zu können, wo es keinen arbeitsarmen Katalog gab, in dem ich einfach die Titel nachschauen konnte – wenn ich denn wusste, wo Protzen überhaupt was gezeigt hatte. Dafür las ich sein Werkverzeichnis sehr aufmerksam durch.

Manchmal waren die Werke aus den Rezensionen nicht eindeutig zu bestimmen – bei Angaben wie „dunkeltonige Landschaften“ konnte ich nur raten. Diese Denkprozesse verkürzte ich und trug sie ebenfalls in die Tabelle ein. Das dauerte, wie ich selbst überrascht feststellen musste, den ganzen Tag. F. riet mir ab Mittags zu einem Schläfchen, aber ich wollte das fertigkriegen, was ich auch tat.

Zum Mittag gab’s eine Restekartoffel von der Date Night, dazu warf ich eine Mohrrübe, eine Zwiebel, eine Paprika und den Rest Speck, der noch im Kühlschrank war, in die Pfanne. Sport waren gestern die Bauchmuskelübungen, die ich inzwischen nicht mehr ganz so mache, wie das Programm es möchte. Das Schöne an diesem Anfängerinnending ist, dass die Übungen aufeinander aufbauen: Wir machen also nicht gleich die knallharte Plank am Boden, wo man sich bis eben vielleicht überhaupt nicht bewegt hatte, sondern in den ersten Einheiten nahmen wir dazu einen Stuhl zu Hilfe. Genau wie bei Liegestützen oder ähnlichem. Das habe ich beim ersten Durchgang auch brav gemacht, anders hätte ich das auch gar nicht hingekriegt, ich Couchkartoffel, aber jetzt, wo ich das Programm schon einmal ganz durchgeturnt hatte, ließ ich die Zwischenschritte weg und erledigte alles in der Version der Übungen, die eigentlich erst am Schluss kamen. Das strengte dann auch deutlich mehr an, aber ich konnte alles mitturnen, was mich sehr freute.

Danach war ich total aufgewärmt zum Putzen, denn heute werden die Heizungen und die Rauchmelder abgelesen – meine FFP2-Maske liegt bereit –, und deswegen war gestern das traditionelle Entstauben der Heizkörperrippen dran, das ich genau einmal im Jahr erledige.

Gestern in den Storys von DefunctFashion gesehen und gleich ergoogelt, hier die Bildquelle.

I Recommend Eating Chips

Ein wunderbarer Artikel zum Thema … weiß ich gar nicht. Pandemie, Soul Food, Selbstbeobachtung. Das hat mir sehr gefallen, den gestern zu lesen.

„Oh, hello, nice to see you, have a seat — let’s stress-eat some chips together. Let’s turn ourselves, briefly, into dusty-​fingered junk-food receptacles. This will force us to stop looking, for a few minutes, at the bramble of tabs we’ve had open on our internet browsers for all these awful months: the articles we’ve been too frazzled to read about the TV shows we’ve been meaning to watch; the useless products we keep almost impulse-​buying; the sports highlights and classic films that we digest in 12-second bursts every four days; that little cartoon diagram of how to best lay out your fruit orchards in Animal Crossing. Eating these chips will rescue us, above all, from the very worst things on our screens, the cursed news of the outside world — escalating numbers, civic decay, gangs of elderly men behaving like children.

Please, sit down. I’ve got a whole bag of Cool Ranch Doritos here: electric blue, plump as a winter seed, bursting with imminent joy. I found it up in the cupboard over the fridge, where by some miracle my family had yet to discover it — it had slipped sideways behind the protein powder, back near the leftover Halloween candy — so now I’m sitting here all alone at the kitchen counter, about to sail off into the salty seas of decadent gluttony. The next few minutes of my life, at least, are going to be great.“

Ich mochte die subtile Anspielung auf die plums in the icebox sehr.

„Join me. Grab whatever you’ve got. Open the bag. Pinch it on its crinkly edges and pull apart the seams. Now we’re in business: We have broken the seal. The inside of the bag is silver and shining, a marvel of engineering — strong and flexible and reflective, like an astronaut suit. Lean in, inhale that unmistakable bouquet: toasted corn, dopamine, America, grief! […] These chemicals are transcendent, Proustian, as powerful as any drug: They trigger nodes of memory that stretch back years, decades, back to old Super Bowls and family reunions, back to the outside world that I am trying to forget. Another chip. Another chip. […]

For nearly a year now, many of us have been locked in a controlled environment, a closed lab of selfhood: the Quarantine Institute of Applied Subjectivity. Our homes have become biodomes designed to study the fragile ecosystems of Us. All our neuroses and addictions and habits are under the microscope. Willpower, productivity, resilience, despair. We have turned into scientists of ourselves. And so I watch myself eating chips.“

Ich würde den gerne komplett zitieren, er ist so toll.

Tagebuch Sonntag, 17. Januar 2021 – Lesetag

Endlich Hedwig Richters Demokratie: Eine deutsche Affäre ausgelesen. Das begann ich kurz vor dem Jahreswechsel, dann kam wieder Kram dazwischen, aber immer wenn ich mich für längere Zeit an das Buch setzte, las ich gleich zwei Stunden lang. So wie auch Samstag Abend, als ich nur noch so drei, vier Seiten zum Einschlafen überfliegen wollte und dann war es plötzlich zwei Uhr morgens.

Ich erspare mir eine lange Rezension, das haben andere schon erledigt; beim Perlentaucher sieht man ganz gut die Spanne an Besprechungen, die von „Finger weg“ zu „Find ich gut“ reichen. (Hier ausführlich.) Ich mochte den gut lesbaren Schreibstil und dass oft genug darauf hingewiesen wird, dass vieles erst einmal für weiße Männer gilt und dann lange nichts kam, bis sich Dinge eben ändern. Dass genau das in einigen Kritiken bemängelt wird, kann ich nachvollziehen, aber nachdem ich hundert Bücher gelesen habe, in denen mit „Menschen“ immer „Männer“ gemeint sind, fand ich die Abwechslung sehr angenehm.

Mit dem Kapitel zum „Dritten Reich“ hadere ich etwas, weil es – natürlich – in einem Buch, das die Demokratie als eine in Deutschland längst etablierte Regierungsform feiert, ein fieser Stopper ist und sich auch eher auf Nebenschauplätzen verliert. Ein roter Faden durch das Buch ist der Fokus auf den menschlichen Körper – auch hier gerne wieder auf den weiblichen, der jahrhundertelang eher mies wegkam. Dementsprechend geht es in diesem Kapitel eher um Tod und Vernichtung, was sich ein bisschen wie eine, ganz vorsichtig formuliert, Verlegenheitslösung anfühlt, weil die nicht vorhandene Demokratiegeschichte zur NS-Zeit nur eine halbe Seite brauchen würde.

Ich wurde immerhin daran erinnert, dass auch die NS-Machthaber weiter Wahlen abhielten, auch wenn diese ihren Namen nicht verdienten, und dass auch der Reichstag vorerst weiter bestand und als Legitimation diente, obwohl er längst eine Attrappe war. Das hatte ich schon wieder vergessen. Die DDR-Volkskammerwahlen wurden mir dann etwas zu sehr in diese Nähe gerückt, und generell war mir der immer durchscheinende Antikommunismus ab und zu ein bisschen zu viel, während der Erfolg der Demokratie sehr oft mit dem Erfolg des Kapitalismus gleichgesetzt wird. So liest man zu den 1960er-, 1970er-Jahren etwas flapsig formuliert: „Glück bedeutete für viele Menschen ein Leben mit Zentralheizung, Wurst und Italienurlaub.“ (S. 288)

An generell dem Schreibstil arbeitet sich Franziska Augstein in der SZ ab. Hier ein Zitat aus ihrer Rezension, auch unter obigem Link zu finden, das mit einem Zitat aus dem Buch beginnt: „‚Demokratiegeschichte – das ist die dritte These dieses Buches – ist wesentlich eine Geschichte des Körpers, seiner Misshandlung, seiner Pflege, seines Darbens – und seiner Würde.‘ Historiker sind nicht genötigt, gut zu schreiben. Freilich, diese Wörter sind so miserabel zusammengesucht, dass sie wehtun. Knochentrockene Sätze, wofür deutsche Historiker früher bekannt waren, sind eiernder Expressivität bei Weitem vorzuziehen.“ Das sehe ich sehr anders. Erstens lese ich hier kein Rumeiern, sondern den Versuch, eben nicht knochentrocken zu schreiben – oder so, wie es englischsprachigen Historiker:innen zugestanden wird. Zweitens, denn das kam auch in der Rezension nicht gut weg, mochte ich die Idee, eine historische Entwicklung auch als Körpergeschichte zu formulieren. Mit dieser theoretischen Richtung hatte ich mich gerade erst für einen Abstract für einen Vortrag erstmals ausführlicher beschäftigt und finde es daher noch sehr spannend, aus einer amorphen Masse Mensch, der historisch irgendwas zustößt, einzelne Menschen, einzelne Körper zu machen, über die sie immer mehr selbst verfügen können. Klar, wenn man davon schon 20 Bücher gelesen hat, mag es nichts Neues mehr sein. Ich ahne aber, dass die Masse an Leser:innen – denn für die Masse ist es geschrieben – vermutlich eher zu diesem Buch greifen wird, um einen sehr knappen Überblick über 200 Jahre Demokratie in Deutschland zu erhalten, anstatt sich in fachspezifischen Diskussionen zu ergehen.

Das einzige, was ich wirklich zu bemängeln habe, ist der Titel: „Eine deutsche Affäre“? Das hat sich mir bis zum Ausblick im Buch nicht erschlossen. Auch „Angelegenheit“ als Ersatz für dieses doch eher sexualisierte Wort passt nicht so recht, weil „Deutschland zumeist ein recht gewöhnlicher Fall der Demokratiegeschichte war“ (S. 325). Also ist Demokratie eher eine Welt-Affäre? Was noch seltsamer klingt.

Fazit: Ich mochte es, habe es gern gelesen und doch einiges gelernt bzw. wurde an einige Details wieder erinnert. Daher von mir eine Empfehlung.

Danach begann ich ein Buch, das vermutlich weitaus weniger gute Laune machen wird: Jörg Osterlohs »Ausschaltung der Juden und des jüdischen Geistes«: Nationalsozialistische Kulturpolitik 1920–1945. Gestern schaffte ich nur die Einleitung, aber die reichte schon für fünf angekreuzte Bücher im Literaturverzeichnis, die ich für die Diss-Überarbeitung konsultieren möchte. Oder generell aus Interesse. Ich merkte allerdings schon da, dass der Forschungsschwerpunkt natürlich ein sehr anderer als mein eigener ist, was sich auch in ein paar Allgemeinplätzen zeigte, die bildende Kunst betreffend, die hier nur eine kulturelle Richtung unter vielen ist (Radio, Presse, Theater, Musik). Ich dachte wieder über Forschung über Täter und Opfer nach und fragte mich, wie so oft in den letzten Jahren, ob ich mir die falsche Seite ausgesucht hatte, über die ich mehr wissen will.

F. und ich zogen am Freitag zur Date Night wieder Gesprächskarten, das macht Spaß, sich Themen zuzuwerfen. Dieses Mal wollte die Karte „3 gute Romane“ von uns wissen. F. fing an und nannte Prousts Auf der Suche nach der verlorenen Zeit und Joyces Ulysses, was mich beides null überraschte. Die beiden hätte ich auch genannt, einfach weil sie für mich beide einmalige Leseerlebnisse waren (Proust, Joyce). Seine dritte Wahl war Hermann Brochs Tod des Vergil, an den ich mich noch nicht herangetraut habe.

Gegen diese drei Werke konnten meine nur abstinken, aber ich entschied mich als erstes für Jeffrey Eugenides’ Middlesex, denn mit Familiengeschichten kriegt man mich immer. Danach nannte ich Alex Garlands The Beach, ja, schon gut, aber das ist das einzige Buch, das ich durchlas – und sofort noch einmal von vorne begann, weil ich es nicht aus der Hand legen wollte. Mein drittes Werk war ein Feuchtwanger, der musste in die Liste; ich entschied mich für Exil, weil ich das von den drei Werken der Wartesaal-Trilogie am besten fand. Am anstrengendsten und schmerzhaftesten, aber eben auch am besten.

Erst als ich wieder vor dem Bücherregal stand, fiel mir noch Donna Tartt ein, deren Secret History ich seit 20 Jahren nochmal lesen will, aber dann doch nicht. Oder Douglas Coupland, von dem ich bis auf einen alle Romane besitze, aber ich ahne, dass seine Werke eher Zeitkapseln sind, die sind vermutlich nicht wirklich gut gealtert.

Tagebuch Samstag, 16. Januar 2021 – Ausgeschlafen

Vielleicht ist es doch ganz gut, dass wir nicht zusammenwohnen und öfter gemeinsam einschlafen. Ich wache dann nämlich sehr selten bis nie zu meinen gewohnten Zeiten auf, sondern erst gegen 9 oder noch später und dann ist der halbe Tag schon rum schockschwerenot protestantische arbeitsethik etc.

Zum Karma-Ausgleich erstmal den Backofen geputzt. Und danach gleich den restlichen Pâte-Sablée-Teig von vorgestern aufgebraucht, mit dem ich weitere Tarteletteförmchen auskleidete. Das war sehr meditativ. Als das Backwerk fertig war, übte ich dramatische Belichtungen mit der Kamera, war aber leider recht schnell gelangweilt. Ich gucke mir Fotos weiterhin lieber an als sie selbst zu machen. Oder esse, was in ihnen abgebildet ist.


Hier spiele ich an der Blendenöffnung rum und habe auf irgendwas scharfgestellt. Normalerweise würde ich natürlich fürs Blog den Bildausschnitt verkleinern, aber ich lasse das mal so. Dass das Tartelette zu weit oben auf dem Teller liegt, macht mich weiterhin wahnsinnig. Es ist faszinierend, was ich alles nicht mehr sehe, wenn ich durch ein Objektiv gucke bzw. bei meiner Kamera auf ein Display.

Die Hamburger Kunsthalle hat das Werkverzeichnis – oder wie wir cool kids sagen, den Catalogue raisonneé – der Gemälde von Max Beckmann online gestellt. Darin habe ich mich gestern erstmal etwas länger verloren und bin ziemlich begeistert. Das einzige, was einen Hauch nervt, ist das Wasserzeichen auf den Abbildungen. Beckmanns Werke sind seit diesem Jahr gemeinfrei, weswegen sie überhaupt im Internet gezeigt werden dürfen, aber ich ahne, dass es trotzdem schwierig wäre, alle Bilder in downloadfähiger Größe und Qualität anzubieten. Einzelne Institutionen kriegen das hin, siehe das Rijksmuseum oder der Prado, aber das alles zusammenzusammeln, wäre vielleicht doch zuviel Extraarbeit gewesen.

Man kann nach verschiedenen Kriterien suchen bzw. einfach blättern; ich habe mich nochmal durch die Stillleben geklickt, von denen ich einige 2014 in der Kunsthalle sehen konnte. (Hatte ich nicht gesondert verbloggt, stelle ich gerade missmutig fest.) Wenn man wissen will, welche Bilder im Exil in Amsterdam entstanden ist, geht das auch, man kann sich eine bestimmte Zeitspanne auswählen oder auch nach Bildinhalten suchen. Unter jedem Bild sind die wissenschaftlichen Angaben zu finden: Was haben wir denn da überhaupt vor der Nase, wo war das Werk ausgestellt (auch die Preisentwicklung fand ich spannend), wie ist die Provenienz, und, danke für diese Arbeit: in welchen Briefen, Katalogen, Archivalien wird das Werk erwähnt. Dabei habe ich gelernt, was mir ein bisschen peinlich ist, dass sich das Beckmann-Archiv hier vor meiner Nase befindet. Ich habe mich mit Beckmann im Studium nie befasst, bis auf eine Stunde in einer Vorlesung des Doktorvaters, daher musste ich noch nie nach etwas suchen. Ich mag Beckmanns Arbeiten aber sehr gerne und freue mich immer, sie zu sehen.

Wie ich vor wenigen Tagen in einem Thread wieder merkte, ist es manchmal ganz nett, nichts Genaueres über die Person hinter den Werken zu wissen, damit einem die Werke nicht madig gemacht werden können. Die Tragödie um Ana Mendieta kannte ich schon, aber ich mag Carl Andres Kunst (leider?) trotzdem.

Aus dem Newsletter Phoneurie lernte ich, dass man sich beim Smithonian nicht nur Abbildungen runterladen kann, sondern sogar 3D-Druckvorlagen.

Auch Theresa Bücker verschickt nun einen Newsletter.

Als Rausschmeißer mal wieder Tom Gauld, den ich sehr mag.

Tagebuch Mittwoch bis Freitag, 13. bis 15. Januar – Traurig, aber mit Kuchen

Am Mittwoch kam Wehner, mein Weizensauerteig, zum ersten Mal zum Einsatz. Aus ihm wurde ein helles Weizenbrot, das ich zu flach produzierte, weil mir das Gärkörbchen einen Hauch aus der Hand rutschte, als ich den Inhalt in den brüllheißen Gusseisentopf kippen wollte. Daher musste ich noch ein bisschen am Topf ruckeln, um das Brot vom Rand wegzukriegen, womit ich vermutlich jede Luft aus ihm rausdrosch. Es schmeckt aber sehr gut. Noch nicht ganz so, wie ich es haben möchte, aber es war nicht klietschig und hatte eine schöne Porung.

Mittwoch und Donnerstag waren aber ansonsten eher unproduktive Tage, weil mich ein bisschen Traurigkeit ereilte und die Coronapanik wieder hochkroch. Und weil alle Bibliotheken geschlossen sind, konnte ich nirgends hin als auf mein Sofa oder mal für einen kleinen Spaziergang vor die Tür, aber das half beides nicht so richtig. Also tat ich das, was ich auf Twitter gelernt hatte in den letzten Monaten: Sei nicht so hart zu dir, die Zeiten sind beschissen, nimm dir nen Keks. Das war in meinem Fall Schokolade, immerhin die funktioniert.

Gestern brachte F. zur Date Night eine kleine Selektion eines Münchner Betriebs vorbei: Truly Craft Chocolate nutzt nur Kakaobohnen und Zucker für ihre Köstlichkeiten. Wir probierten jeder ein Stück von vier Tafeln und das war alles hervorragend. Mein Favorit, was mich etwas überraschte, war ausgerechnet die Tafel mit dem höchsten Kakaogehalt: Sie schmolz ewig vor sich hin, beeindruckte mich zuerst mit einem tiefen Kakaogeschmack wie vom entölten Backkakao, den ich in Marmorkuchen werfe, aber ohne so fies staubig zu sein. Es ist etwas albern zu sagen, dass man den Kakao deutlich schmecken konnte, aber ich habe schon genug Vollmilchmassenschokolade gegessen, um zu wissen, dass der eben manchmal nicht durchkommt, sondern die Tafel einfach nur süß und angenehm schmeckt. Was für mich sehr lange okay war, aber eben nicht so, wie Schokolade eigentlich schmecken kann.

Gestern heiterte mich auch ein bisschen Backen auf. Ich schleiche seit Jahren um das Blog La Pâticesse herum, von dem ich noch nie etwas nachgebacken habe, weil sowohl Fotos als auch die ganzen Arbeitsschritte mich Hobbybäckerin total einschüchtern. Ich ahne, dass es wieder eine alte Masterchef-Folge war, die bei mir den dringenden Wunsch erzeugte, mich mal an Frangipane zu versuchen, auch um meine neuen Tarteletteförmchen einzuweihen. Beim wilden Rumgoogeln stieß ich auf diverse Rezepte, die alle supersimpel klangen – und wunderte mich, dass zum Beispiel dieses hier bei La Pâticesse deutlich mehr Aufwand wollte. Gestern war aber ein Tag, an dem ich Lust auf mehr Aufwand hatte, und so fertigte ich erstmals keinen simplen Mürbeteig, sondern total schick klingenden Pâte sablée an und danach eine Crème pâtissière sowie eine Crème d’amande, aus denen zusammen dann Frangipane wurde.

Für unsere Date Night hatte ich mir Soul Food gewünscht, also gab es Buttermilk Fried Chicken und Ofenkartoffel mit Sour Cream – und danach auf dem Goldrandtellchen mit der Silbergabel jeweils ein Tartelett mit Frangipane und Apfelspalten. Dazu Bier. Stay classy!


Natürlich beim Knipsen aus der Hüfte ausgerechnet den nicht ganz perfekten Rand nach vorne gedreht, ist klar. Der Teig war feiner als mein üblicher Keksteig, die Franginape mild und zart und überhaupt bin ich schwer begeistert. Alleine so seltsame Dinge zu tun, wie mit dem Teigschaber Butter weicher zu kriegen, aka sie zu Beurre pommade zu verarbeiten, hat mir sehr viel Freude gemacht. Lenkte halt auch gut ab.

Nachmittags war ich als Gast zu einem Podcast eingeladen, der noch nicht online ist. Also noch keine einzige Folge, daher kann ich hier nichts verlinken. Das war aber ein sehr schönes Gespräch, auch weil es mir einige Dinge klarmachte, über die ich gar nicht mehr nachdenke. Es ging um meine Entscheidung, in etwas gesetzterem Alter (ok boomer) noch einmal zu studieren. Momentan hadere ich an schlechten Tagen mal wieder mit dieser Entscheidung, muss mir aber immer wieder eingestehen, dass die letzten acht Jahre, trotz aller Schmerzen und Widrigkeiten mit die besten meines Lebens waren. Auf Trennung, Umzug und finanzielle Schwierigkeiten hätte ich gerne verzichtet, aber andererseits habe ich so viel mitgenommen aus der Zeit an der Uni bzw. während der Promotion und generell der Zeit in München, was immer überwiegt.

Im Gespräch wurde mir klar, dass ich schon einmal einen großen Sprung ins Ungewisse gewagt hatte, der im Prinzip gut gegangen ist – warum sollte das nicht noch einmal klappen? Und: Ich habe nun Fähigkeiten, die ich vor acht Jahren noch nicht hatte (und drei Uniabschlüsse), das kann ja wohl verdammt nochmal nichts Schlechtes sein. Es kam auch die Frage auf, wie ich mich zu diesem Sprung entschieden habe, ob ich ewig abgewogen oder Pro-Contra-Listen geschrieben hätte. Dabei wurde mir klar, dass ich eigentlich nur zwischen „Never touch a running system“ und „Ach, fuck it“ abgewogen hatte, und das fand ich im Nachhinein ganz spannend zu sehen – dass die ganzen möglichen Zwischentöne in meinem Kopf gar nicht da waren. Ich weiß noch nicht, was ich mit dieser Erkenntnis mache, aber vielleicht rettet sie mich an kommenden miesen Tagen, an denen ich mal über Zwischentöne nachdenken sollte und nicht über entweder „Ich werde unter einer Brücke schlafen müssen“ oder „Ich revolutioniere die Kunstgeschichtsschreibung, haue ein populärwissenschaftliches Werk nach dem anderen raus und wohne in einer Villa“.

Apropos Podcast: Holgi erzählt bei Wrint eine gute halbe Stunde lang, wie es ihm mit seiner Corona-Infektion ging, von der er immer noch nicht weiß, wo er sie sich eingefangen haben könnte.

Trump’s last days and the echo of one specific Hitler analogy

Die Washington Post fragt sich, ob man den Sturm aufs Kapitol mit dem Hitlerputsch 1923 vergleich kann. Pointe: Man sollte zumindest das ganze rechte Potenzial in der Bevölkerung im Auge behalten. Weil das ja in Deutschland auch so super geklappt hat und bis heute super klappt. Gnarf.

„The Beer Hall Putsch, as the episode would be remembered, was a failure. Hitler did not receive the local backing from politicians and security forces he expected. Sixteen Nazis were gunned down in the streets in clashes with police officers, four of whom were killed. Hitler slunk out of town and was later arrested and tried for treason. But his punishment ended up being lenient — he spent a few months in prison before being released with a pardon — and he emerged from the botched putsch as a more popular national figure. Within a decade, he would install the Third Reich.

Some observers of what happened this past week in Washington note potential echoes of the Beer Hall Putsch — not in the risk that Trump is about to turn into a genocidal monster, but in that there may not be meaningful consequences for the lies and subversion of democratic order that Trump appears to have encouraged.“

Die beim Putsch getöteten Nazis wurden übrigens zur Zeit des „Dritten Reichs“ in die sogenannten, neu erbauten Ehrentempel am Königsplatz überführt. Die wurden 1947 von der US-Armee gesprengt, jedenfalls die Bauten auf den Sockeln. Diese waren schlicht zu massiv und die Armee hatte noch was Anderes zu tun. Sie stehen bis heute, direkt vor dem NS-Dokuzentrum sowie dem ehemaligen NS-Verwaltungsgebäude, in dem sich das Zentralinstitut für Kunstgeschichte befindet. Dieser Sockel ist weiterhin von Grün überwuchert, der vor dem Dokuzentrum wurde für die Eröffnung desselben halbwegs wieder sichtbar gemacht. Ein, wie ich finde, sehr eindrucksvolles Relikt, gerade in seinen unterschiedlichen Zuständen.

Die Toten wurden erneut umgebettet, kann man bei Interesse ergoogeln, auf welchen Friedhöfen die alten Nazis liegen.

Das ist jetzt ein very Munich Schluss für diesen Blogeintrag.

Crêpes Suzette

Meine Orangen mussten weg. Wie praktisch, dass ich gerade bei einer alten Masterchef-Folge Crêpes Suzette gesehen und darauf totale Lust hatte. Das Rezept kommt, wie so ziemlich alle französischen Klassiker, von Aurélie. Aus dem Blog habe ich, soweit ich mich erinnere, noch nie was Schlechtes nachgekocht. Merci!


(Ja, das Foto ist mies, ich weiß. Wenn ich koche, will ich danach essen, nicht knipsen. Jedes gute Foto hier im Blog ist ein Glücksfall.)

Für drei Crêpes, also eine Portion. Ähem.

80 g Mehl, Type 405, mit
1 TL Vanillezucker und
1 Prise Salz mischen.
1 Ei sowie
130 bis 150 ml Vollmilch dazugeben und mit einem Schneebesen zu einem glatten, eher dünnflüssigen Teig rühren. Den Teig für eine kurze Zeit stehen lassen, ich lasse ihn nur so lange in Ruhe, bis die Sauce auf dem Herd ist. Die kommt jetzt.

1 Orange ein wenig abreiben, danach filetieren, die Filets mit den Zesten zur Seite stellen.
2 weitere Orangen auspressen, den Saft aufheben.

In einer Pfanne
1 EL Butter schmelzen,
5 EL Zucker dazugeben sowie den Orangensaft. Alles aufkochen und sirupartig eindicken lassen.

Währenddessen in einer beschichteten Pfanne in wenig Butter die drei Crêpes ausbacken. Zu Vierteln zusammenklappen, kurz in der Siruppfanne durchschwenken.

5 EL Grand Marnier oder Cointreau dazugeben und flambieren, so dass der Alkohol verkocht. Die Filets mit den Zesten nur kurz vor Schluss dazugeben, sie sollten nicht kochen, sonst zerfallen sie.

Nun die Herrlichkeit auf einen (oder na gut, zwei) vorgewärmte/n Teller geben und schmecken lassen. Wer will, kann auch jetzt noch eine Runde flambieren, ich mache das lieber früher in der Pfanne.

Rote-Bete-Meerrettich-Terrine

Das Rezept will ich seit Wochen aufschreiben; wir hatten es im Rahmen des Menüs am Heiligabend und ich habe die Reste noch tagelang auf Brot gegessen. Das Rezept stammt aus der essen & trinken, ich habe es ein wenig vereinfacht und vor allem halbiert, weil wir nur zu zweit waren. Das sind die Mengen, die unten stehen. Wer für eine größere Runde kocht und unbedingt noch mit Pumpernickel rumspielen will, klickt bitte rüber.

Für eine Springform mit 18 bis 20 Zentimeter Durchmesser, die Terrine im Bild wurde in einer 18-Zentimeter-Form zubereitet. Diese leicht anfeuchten und dann mit Klarsichtfolie auslegen.

250 g rote Bete in Salzwasser weichkochen, pellen, in Stücke schneiden und warm weiter verarbeiten. Ich habe gleich vorgekochte Bete genommen und sie kalt verarbeitet.

Eine Marinade herstellen aus
3 EL Weißweinessig,
2 EL Zitronensaft,
3 EL Haselnussöl, mit
Salz, Zucker und Cayennepfeffer kräftig abschmecken. Die Beten-Stücke für mindestens 20 Minuten marinieren lassen. Danach mit der Marinade (!) im Mixer sehr fein pürieren.

2 Blatt weiße Gelatine in kaltem Wasser für einige Minuten einweichen.
1 EL Portwein lauwarm erwärmen und die ausgedrückte Gelatine darin unter Rühren auflösen. Gelatine unter die rote Bete mixen, in die Form gießen und mindestens 2 Stunden kalt stellen, bis alles geliert ist.

Für die Meerrettich-Mousse
3 EL scharfen Meerrettich aus dem Glas mit
75 g Crème fraîche und
75 g saurer Sahne verrühren.

100 ml Sahne steif schlagen.

3 Blatt weiße Gelatine für einige Minuten in kaltem Wasser einweichen,
1 EL Portwein lauwarm erwärmen und die ausgedrückte Gelatine darin unter Rühren auflösen. Sofort mit einem Schneebesen unter die Meerrettichmasse rühren, dann mit einem Teigschaber die Sahne unterheben.

Meerrettich-Mousse auf die gelierte Rote-Bete-Mousse geben und die Oberfläche glatt streichen. Mindestens 4 Stunden kalt stellen. Aus der Form heben bzw. den Ring der Form entfernen und die Terrine in sechs bis acht Stücke teilen.

Bei uns gab es noch Blattsalat mit einem Senfdressing dazu sowie angeröstete Kürbiskerne. Und wie gesagt, nach dem Festessen ist das ganze ein hervorragender Brotaufstrich. Man kann die Terrine schon einen Tag im Voraus zubereiten, dann kriecht das Rot der Bete langsam in die Meerrettichschicht. Je länger die Terrine steht, desto pinkfarbener wird sie.

Tagebuch Dienstag, 12. Januar 2021 – War ja klar

Ich blogge nie wieder triumphierend darüber, wie lange meine Tage schon nicht mehr da waren.

Tage sind da. Immerhin weiß ich jetzt, warum ich in der letzten Woche gefühlt eine Kuh hätte essen wollen, aus der dann Fenchelsalami und Wacholderschinken vom Lieblingsmetzger wurden. Der Eisenverlust, Sie wissen schon.

Schreibtischtag, wie vermutlich den ganzen Januar, das ist jedenfalls meine innere Deadline. Der Doktorvater hätte gerne Februar, März die überarbeitete Fassung, ich will das Ding schon früher vom Tisch haben, jedenfalls den Text, auch um bei Verlagen Angebote für den Druck einholen zu können. Für einige Bilder müsste ich nochmal nach Nürnberg, aber wann das Kunstarchiv wieder öffnet, steht in den Sternen. Ins Staatsarchiv Nürnberg würde ich auch gerne mal, da war ich noch nicht, das wurde bis September 2020 umgebaut und bis dahin hatte ich die Diss abgegeben. Da liegen aber noch Unterlagen zur Bundesautobahn, für die Protzen auch gearbeitet hat, und darüber weiß ich außer einem einzigen Schreiben in seinem Nachlass nichts. Deshalb würde ich da gerne mal wühlen; momentan suche ich noch online in den Findmitteln rum, aber es hat nicht oberste Priorität.

Biografie und Werkübersicht gefielen nach einer Nacht, in der die Texte rumliegen durften, ich kürzte noch ein wenig, da geht aber vermutlich noch was. Gestern saß ich an den Kapiteln zu den Künstlergenossenschaften und -vereinen sowie dem Beginn des langen, laaaangen Autobahnkapitels. Die neue Struktur scheint zu funktionieren, aber so ganz traue ich der Sache immer noch nicht. Wir basteln weiter.

Abends saß ich vor dem Rechner und sah Prof. Dr. Monika Betzler bei ihrem Vortrag im Rahmen der Corona Lectures der LMU zu, sie sprach über „Fake News“ und Verschwörungstheorien in Zeiten von COVID-19. Der Vortrag ist in einigen Tagen online. So lange könnt ihr bei Armin Nassehi reinschauen, der vor einigen Wochen sprach.

Ich lese weiterhin alles, was zum Sturm aufs Kapitol zu lesen ist, auch wenn es sehr schlechte Laune macht. Bei der NYT steht eine minutengenaue Rekonstruktion der Ereignisse, die ich sehr erhellend fand, auch weil sie einige Fotos und Videos einordnet, die seit Tagen durch die Timelines geistern.

Tagebuch Montag, 11. Januar 2021 – Mit der kleinen Machete

Schreibtischtag. Die neue Anordnung der Diss steht und funktioniert bis jetzt gut. Anstatt wie bisher chronologisch vorzugehen, gibt es jetzt Themenblöcke – das war auch die Anordnung, mit der ich den Schreibprozess begann, bis ich der Meinung war, dass ich chronologisch mehr aufarbeiten könne. Mit dem nötigen Abstand zu Arbeit und Subjekt ahne ich aber nun, dass vieles von dem, was ich äußerst spannend fand, sehr wahrscheinlich nur für mich, die Suchende, spannend war und nicht für diejenige, die später mal mein Buch aus dem Bibliotheksregal ziehen soll. Das Inhaltsverzeichnis, was quasi aus einer Ausstellung nach der anderen bestand, hat mich bis zum Schluss genervt in seiner Aussagelosigkeit, aber mir fiel schlicht nichts Besseres ein. Jetzt schon, weil ich inzwischen gewillt bin, von einem Großteil meiner Arbeit wieder Abschied zu nehmen, es hilft ja nichts.

Daher ging ich gestern weiter mit der kleinen Machete durch meine Zeilen (die große kommt noch), schrieb einen biografischen Teil und eine Werkübersicht und werde daran heute weiterarbeiten, mal sehen, wie die beiden die Nacht überstanden haben in ihrem Buchstabenbiwak.

Zum Mittag gab’s mal wieder Pasta. Durch das Leeressen der Tiefkühlfächer fiel mir dauernd die Tüte mit den TK-Erbsen in die Hand, die nie alle werden darf, und daher warf ich gestern Speck in die Pfanne (aka Bacon), machte aus den Erbsen Püree und gönnte mir die guten Orecchiette (hier genauer notiert).

Abends Sport gemacht, gelesen, „Cobra Kai“ geguckt, das übliche. Beim Crossword erst zwei Worte vor Schluss den Autocheck angemacht, mit dem man bei der Eingabe sieht, ob der Buchstabe stimmt. Das hat noch nie geklappt, dass ich das ganze Rätsel ohne Autocheck löse, aber so kurz vor Schluss war eine Premiere. Dafür gnadenlos bei der Spelling Bee versagt, nicht mal das Pangram gefunden (das ist das Wort, in dem alle angebotenen Buchstaben vorkommen). Ach, und die Arte-Sendung über Entnazifizierung geschaut, die ich gestern schon im Blog empfohlen hatte. Mir wurde der DDR-Sozialismus viel zu sehr in die Ecke der Nationalsozialisten gerückt und natürlich bleibt die Sendung sehr an der Oberfläche, aber ich fand sie trotzdem sehenswert.

Ein moralisches Komplettversagen – Über die Rezeption von Leni Riefenstahl

Christina Dongowski rezensiert auf 54books Nina Gladitz’ Monografie über Leni Riefenstahl, Leni Riefenstahl: Karriere einer Täterin, und beschwert sich zu Recht über die sehr milde Berichterstattung der Bundesrepublik über die Regisseurin. Ich hatte schon mehrere Rezensionen über das Buch gelesen und bin mir immer noch nicht sicher, ob ich es dringend lesen möchte, weil mir schon die Leseprobe zu wenig Distanz zum Subjekt hat. Aber vielleicht ist sie genau deshalb lesenswert.

Mir hat an der Rezension gefallen, dass sich Dongowski generell mit der Auseinandersetzung mit NS-Täter:innen befasst, was für mich selbst auch nicht ganz unwichtig ist. Ich musste mir jedenfalls im Text des Öfteren an die Nase fassen.

„Gladitz macht die Funktion etlicher, scheinbar rein ästhetischer Argumente für die Verwischung und Normalisierung von Täterschaft im Kulturbetrieb der Nazi-Zeit und danach explizit zu einem der zentralen Themen des Buches. Diskutiert wurde die Biographie in den Feuilletons so aber nicht. Die Reaktion auf das Buch war trotzdem in gewissem Sinne einschlägig, hat es doch zu erstaunlichen (sozial)medialen Erkenntnisschüben geführt: Die Lieblingsregisseurin Adolf Hitlers und Regisseurin der wichtigsten und erfolgreichsten NSDAP-Propagandafilme war eine Nazi-Täterin. No shit, Sherlock! könnte man meinen. Bloß gehört die schlichte Erkenntnis, dass Leute, die freiwillig Nazi-Kunst machen, auch Nazis sind, eben noch immer nicht zu den Basics deutscher Debatten. Genauso wenig verbreitet ist das Wissen, dass man Menschen in Lager sperren und sie dort ermorden (lassen) und gleichzeitig Künstler:innen oder unglaublich belesen und gebildet sein kann. Mit dem Kunst-Bonus kommt der Persilschein. Immer noch. […]

Für die Karriere Riefenstahls als Lieblingskulturnazi des BRD- und später gesamtdeutschen Feuilletons war das Bekanntwerden ihres persönlichen Beitrags zum Porajmos, nun auch gerichtsfest, komplett folgenlos. Ihre 1987 bei Knaus erschienenen Memoiren wurden ein Bestseller und sind eine Meisterleistung des Herumdoktorns an der eigenen und der kollektiven Erinnerung und an der historischen Wahrheit. Auch international: Liberale und konservative französische, amerikanische und britische Kulturbetriebsmitglieder konnten ihre Faszination für den Faschismus und für seine elitäre, alles Gewöhnliche, Normale, Alltägliche, Kleinteilige, Hinfällige und Diffuse verachtende und ausmerzende Ästhetik ausleben. In verschämt-intellektuellen Essays wurde über die doch irgendwie Avantgarde-gewesen-seiende Riefenstahlsche Kamera- und Schnitttechnik geschrieben und sich dafür auf Walter Benjamin und Susan Sontag berufen. In Grafik, Photographie und Kunst wurde sich Riefenstahls Ästhetik bis hin zu konkreten Bildfindungen für die eigenen werblichen oder popkulturellen Bemühungen einfach direkt angeeignet. Peter Savilles Cover für Flesh + Blood von Roxy Music, bereits 1980 erschienen, kann wenigstens für sich in Anspruch nehmen, ein echtes Zeichen der Zeit gewesen zu sein: Der Canary in the Coal Mine, der anzeigt, dass die queeren, gender-fluiden, kollektiv-ekstatischen 70er vorbei sind und ab jetzt das Kraft durch Freude-gestählte, sich permanent selbst-optimierende Individuum der kapitalistische Leistungsgesellschaft gefragt sein wird. Die Endmoränen dieser Verpoppung der Ästhetik für einen Staat von Massenmörder:innen lassen sich in der Klamauk-Version der Blut-Boden-Brauchtum-Sitte-Ästhetik bewundern, mit denen heute Rammstein und andere Maskulinitäts-Performance-Künstler und Deutsch-Humor-Künstler:innen Fans und Feuilleton regalieren. Aber, natürlich!, „ironisch“!“

Six hours of paralysis: Inside Trump’s failure to act after a mob stormed the Capitol

Keine Einleitung nötig. (Evtl. €)

„Hiding from the rioters in a secret location away from the Capitol, House Minority Leader Kevin McCarthy (R-Calif.) appealed to Jared Kushner, President Trump’s son-in-law and senior adviser. Sen. Lindsey O. Graham (R-S.C.) phoned Ivanka Trump, the president’s daughter. And Kellyanne Conway, a longtime Trump confidante and former White House senior adviser, called an aide who she knew was standing at the president’s side.

But as senators and House members trapped inside the U.S. Capitol on Wednesday begged for immediate help during the siege, they struggled to get through to the president, who — safely ensconced in the West Wing — was too busy watching fiery TV images of the crisis unfolding around them to act or even bother to hear their pleas.

“He was hard to reach, and you know why? Because it was live TV,” said one close Trump adviser. “If it’s TiVo, he just hits pause and takes the calls. If it’s live TV, he watches it, and he was just watching it all unfold.”“

The Attack on the Capitol Was Even Worse Than It Looked

Der TV-Kritiker der NYT über den Sturm auf das Kapitol, zu dem immer mehr Videos auftauchen. (Evtl. €) Aus bildwissenschaftlicher Sicht nicht uninteressant, dass eben nicht die ersten, unmittelbaren Bilder die bleiben, an die wir uns möglicherweise noch länger erinnern, sondern die, die erst später auftauchen.

„Wednesday’s insurrection was one of the rare live-TV atrocities that grew only more sickening, more terrifying, more infuriating as more days passed. What we remember of the 9/11 attacks, for instance, is largely what we saw in the first few hours: the planes hitting, the towers collapsing, the pedestrians fleeing. Terror attacks, mass shootings — the shock hits us up front, and then we process it.

But last Wednesday seemed to last for days. New smartphone videos of violence came out one by one. The horror came in waves, the attack revealed with every image as more bloodthirsty and deplorable.

Watching the stunning coverage on Wednesday, I kept noticing all the flags waving in the crowd. In a video that aired on CNN this weekend, the flag becomes a weapon. An assailant outside an entrance beats a prostrate police officer with the pole of an American flag while others hurl them at defenders like javelins, the kind of too-perfect metaphor that only reality can get away with.“

Tagebuch Samstag/Sonntag, 9./10. Januar 2021 – Häuslichkeit und Sportlichkeit

Ich pendelte das Wochenende zwischen Schreibtisch, Sofa, Küche und Yogamatte hin und her, wobei der Schreibtisch nur ein kleines Zeitfenster bekam, die Konzentration wollte nicht so recht. Das neue Jahr hat angefangen, hier in Bayern ist quasi ab heute die erste richtige Arbeitswoche ohne Feiertag, und so hatte sich auch mein Gehirn darauf eingestellt, erst ab heute so richtig zu arbeiten. Als ob ich sonst eher unrichtig arbeite, aber gut, kleiner Klumpen, wenn du meinst. Daher war Wochenende eben Wochenende.

Ich las, löste das Crossword der NYT und die Spelling Bee, was ich halt so täglich mache, guckte ein paar Folgen „Cobra Kai“, las alles, was ich zum Thema Sturm aufs Capitol lesen konnte, aß zwischendurch weiter Reste aus der Tiefkühltruhe, was zu launigen Kombis wie Leipziger Allerlei mit Nürnberger Rostbratwürstchen führte, aber jetzt ist alles weg, was noch an Herzhaftem und Selbstgekochtem angebrochen oder in Kleinteilen eingefroren war. Nun bevölkern nur noch Eiswürfel, ein paar Stückchen Kuchen, die stets vorhandene Packung TK-Erbsen, tütenweise selbstgebackene Burger Buns und Croissants, ein paar Magnum Pfefferminz und die Notfall-Gustavo-Gusto-Pizza für Tage, an denen selbst eine Stunde Hefeteig gehen zu lassen, zu lange dauern würde, meine Kühlfächer. Und das Tütchen eingefrorener Ingwer in portionsgroßen Stückchen, die ich in Dinge reinreibe.

Die Sporteinheit vom Samstag waren die üblichen Bauchmuskelübungen, die ich dieses Mal anscheinend weniger hektisch erledigte, sondern langsam und aufmerksamer. Ich kam mir danach vor, als hätte ich Yoga gemacht, wenn ich wüsste, wie sich Yoga anfühlt; die wenigen Male, die ich es vor YouTube oder anderen Websites ausprobiert habe, dürften nicht ganz so zählen, weil ich eher damit beschäftigt war, Körperteile zu sortieren als mich tief zu versenken. Aber so fühlte es sich Samstag an, das war schön.

Gestern merkte ich, dass ich meinen Arm immer länger machen muss, um mit Brille Bücher lesen zu können, was mich extrem nervt. Ich erwarb ja im vorletzten Jahr nach über 15 Jahren eine neue Brille und damals hatte die Optikerin mir schon gesagt, eine Gleitsichtbrille wäre überlegenswert, was ich Jungspund natürlich weit von mir gewiesen hatte. (Gleichzeitig gucke ich Jungspund auf meine Zyklus-App und freue mich über inzwischen 160 Tage ohne das verdammte Rumgeblute, ich innerliche 25-Jährige, ich.) Also suchte ich gestern meine alte Brille, um zu überprüfen, ob ich mit der noch lesen könnte ohne Armschmerzen zu bekommen – fand sie aber nicht an dem Platz, an dem ich sie vermutete. Da lag immerhin meine vorletzte Brille, die ich natürlich auch gleich mal aufsetzte, um festzustellen, dass die noch ziemlich gut funktionierte. Seltsam.

Danach verbrachte ich eine knappe Stunde damit, meine Brille zu suchen, dachte mir dann, ach, egal, back halt Kuchen, der macht gute Laune und du kannst innerlich weiter darüber grübeln, wo du das Etui wohl hingetan haben könntest. Ich testete ein neues Rezept, das mir das Internet als „the best ever“ angepriesen hatte – und fluchte vermutlich selten so bei einem simplen Rührteig wie hier, weil sich der Teig in Einzelschritten und Verarbeitungsqualität als total nervig entpuppte. Extrem pissig warf ich die gefüllte Form in den Ofen und zog mir die Sportklamotten an, um meine Aggressionen loszuwerden. Gestern war die fiese Cardio-Einheit dran, bei der ich nach fünf Minuten nach Luft schnappe, aber das war genau das richtige. Als ich kurz vor dem Cooldown an meinen Therabändern zerrte und meine Oberarme wimmerten wie schon der Rest des Körpers, fiel mir noch eine abwegige Stelle ein, an der das Etui sein könnte; die nicht-abwegigen Stellen hatte ich natürlich alle abgeklappert.

Als ich im Sommer an der Nähmaschine saß, fiel mir auch dort schon auf, dass es mir mit der neuen Brille schwer fällt, einen Faden durch eine Nadel zu bekommen, das ging ohne Brille am besten. Der Wechsel zwischen Brille und keiner Brille nervte mich so sehr, dass ich meine alte Brille wieder hervorkramte, mit der das noch ging. Und daher legte ich das Etui in mein Nähkästchen, damit ich sie dort immer griffbereit hatte, wo ich sie gestern auch fand. Jetzt liegt das Etui wieder neben dem mit meiner vorletzten Brille. Falls ich es wieder vergesse, kann ich jetzt das Internet fragen.

Und dann war der Kuchen auch nur so halb okay, aber das war egal, ich war ausgepowert und hatte Netflix.

Entnazifizierung. Eine Geschichte vom Scheitern

50 Minuten auf arte, habe ich selbst noch nicht gesehen, aber ich lasse das mal hier.

The Nazi art dealer who supplied Hermann Göring and operated in a shadowy art underworld after the war

Ein neues Buch über Bruno Lohse. In der Rezension wird die Problematik erwähnt, über Täter der NS-Zeit zu schreiben, was für mich nicht ganz uninteressant war.

Don’t be fooled by the aesthetics

Eine meiner Lieblingskünstlerinnen, Henrike Naumann, schreibt auf Instagram über die lächerlichen Outfits und Verkleidungen der rechten Szene – siehe den Herrn mit den Hörnern auf dem Kopf im Senat. Ich zitiere: „What I have realized is that it is difficult to convince people of the danger of people and movements, when their looks and self-staging seem weird, funny and laughable.“

Hier noch ein, zwei weitere Installationsansichten.

Links am Sonntag, 10. Januar 2021

Zwei längere Artikel aus der Times und der Post, die ich beide abonniert habe; sie könnten hinter einer Paywall sein. Trotzdem Empfehlungen.

Die Post schreibt genauer über die Ereignisse im Kapitol, wie und wo genau die viel zu wenigen Polizeikräfte überrannt wurden und wie knapp einige Menschen dem Mob entgingen – es waren teilweise nur Sekunden. Der Artikel setzt die Attacke in den Kontext der Ereignisse, die diesem Tag vorausgingen.

Inside the Capitol siege: How barricaded lawmakers and aides sounded urgent pleas for help as police lost control

„The growing crowds outside the Capitol on Wednesday afternoon sounded menacing but at bay as senators began to debate challenges to the electoral college vote. A top adviser to Majority Leader Mitch McConnell stepped out of the ornate chamber for a short break. Alone in the Capitol’s marble halls, just outside the chamber’s bronze doors, it was suddenly apparent that the citadel of U.S. democracy was falling to the mob incited by President Trump.

A cacophony of screaming, shouting and banging echoed from the floor below. McConnell’s security detail rushed past and into the chamber. The adviser began walking toward the Rotunda and came face to face with a U.S. Capitol Police officer sprinting in the opposite direction. The two made eye contact and the officer forced out a single word: “Run!” […]

House Democrats were also concerned. At a House Caucus meeting before Christmas, Rep. Maxine Waters of California asked where Capitol police would allow people to gather, and if they would be allowed on the Capitol plaza, the brick and paved area immediately around the building that leads to walking paths to the offices of lawmakers.

In the back of Waters’s mind was a 2010 incident when protesters had gathered against a vote on Obama’s health-care plan. Some surrounded and followed then Rep. John Lewis (D-Ga.) back toward his office, hurling racial epithets. One even spit on him.

In an hour-long conversation on New Year’s Eve, Waters said Sund told her he had a plan for keeping protesters far from the building. They would be corralled beyond the plaza, in a grassy area east of the Capitol, she recalled. If counterprotesters showed up, his officers would form a line between the two groups, and as a precaution for lawmakers, Capitol security would direct all members of Congress and their staffers to travel by the network of underground tunnels that connect the Capitol with House and Senate office buildings.

Waters recalled asking Sund what intelligence the force had about how big the gathering would be. Sund, she said, didn’t have a clear answer. She hung up the phone at her home in D.C. thinking, “They don’t know who’s coming. They don’t know whether any of these are violent groups.” […]

On the morning of the rally, lawmakers and their aides on their way to work passed a smattering of protesters around the Capitol. Many held or wore blue and red Trump 2020 flags and yellow-and-green “Don’t Tread on Me” banners. Homemade signs with QAnon symbols dotted the Mall. Most protesters were walking west toward the White House, near where Trump planned to address the crowd.

Inside their offices, lawmakers prepared for Republicans to force a marathon day — perhaps 12 hours or more of floor debate — before formalizing Biden’s victory. By around 1 p.m., as the joint session began, the mood in the crowd outside began to shift. Trump had just given a one-hour speech to thousands of supporters amassed on the Ellipse near the White House, excoriating his enemies and reiterating his baseless claims of fraud. GOP lawmakers, he emphasized, needed to take a stand.

“We’re going to the Capitol,” he said. “We’re going to try and give them the kind of pride and boldness that they need to take back our country.” The president added: “If you don’t fight like hell, you’re not going to have a country anymore.”

Trump returned to the White House; he did not go to Capitol Hill. But his supporters began streaming east along Pennsylvania Avenue.

They first reached the west side of the building — several blocks away from the area that Sund had told lawmakers was the designated protest area. The crowd grew 10 deep, then 20 deep as the soon-to-be rioters spilled in along all sides of the Capitol. In many places, a line of waist-high, movable metal barriers was all that separated protesters from clumps of police and the building. […]

At 2:14 p.m., Rep. Paul A. Gosar (R-Ariz.) had begun his speech objecting to Arizona’s electoral college results. As he spoke, Pelosi’s protective detail agents hustled her away. Moments later, there was yelling in the gallery, as staff and security details started to move around with a heightened sense of alarm. […]

A video captured by Igor Bobic, a congressional reporter for HuffPost on the scene, shows the officer trying to hold back a few dozen rioters who push him back and up the steps leading almost directly to the chamber.

For almost a minute, the officer held them back — at the exact moment that, inside the Senate, police were frantically racing around the chamber trying to lock down more than a dozen doors leading to the chamber floor and the galleries above.

“Second floor!” the officer yelled into his radio, alerting other officers and command that the mob had reached the precipice of the Senate.

Had the rioters turned right, they would have been a few feet away from the main entrance into the chamber. On the other side of that door, had they made their way into the Senate, were at least a half-dozen armed officers, including one with a semiautomatic weapon in the middle of the floor scanning each entrance for intruders.

Instead, the group — all White men — followed the Black officer in the other direction and met a group of police in a back corridor outside the Senate. At 2:16 p.m., Bobic tweeted a photo of a half-dozen police confronting the protesters. According to the contemporaneous notes of a Washington Post reporter inside the chamber, it was mere seconds of a differential: “2:15 p.m., Senate sealed.”“

Der Historiker Timothy Snyder über „Trump, the mob and what comes next“. Es geht auch um das verlorene Vertrauen in staatliche und kommunale Institutionen, ein Phänomen, das auch in Deutschland um sich greift, siehe die Corona-Leugner:innen, die sich durch ihre irrationale Verbundenheit wieder stark fühlen, wo sie sonst gegenüber der komplexen Lebenswirklichkeit Schwäche spüren. Snyder geht auf die rassistische Geschichte der demokratischen Wahlen in den USA ein.

Ich musste dabei an Hedwig Richters Demokratie denken, das ich gerade lese. Bei jeder US-Wahl wundere ich mich über die 1000 Hindernisse, deren Wählende begegnen, aber das war von Anfang an so und hat sich anscheinend nicht groß geändert. Der folgende Absatz beginnt Anfang des 19. Jahrhunderts:

„Zum Aufbau eines effizienten Staates gehörte auch die Erfassung und Durchdringung des Raums. Das mit Grenzen klar definierte Territorium nivellierte die Unterschiede und formte Adlige und Bauern, Herren und Untertanen zu ‚Einwohnern‘. Der Staat hatte nicht mehr lediglich ein Territorium, sondern er war wesentlich Staatsgebiet. […] Auch hier erwiesen sich Wahlen als ein Teil des Veränderungsprozesses. Ein modernes Wahlrecht erforderte einen klar definierten Wohnsitz. Meistens kam eine Mindestdauer hinzu, die der Wähler am Ort der Wahl und zudem in dem größeren Staatsterritorium gelebt haben muss. Die Kontrolle des Wohnortes aber gilt als zentrales Instrument moderner Staatsmacht. […] Die Kontrolle der Wohnsitzregelung bedurfte einer modernen effizienten Bürokratie. Ein Land wie die USA mit nur rudimentärer Bürokratie besaß keine feste Wählerregistratur und verlangte zunehmend – häufig während großer Einwanderungswellen –, dass die Wähler selbst vor jeder Wahl ihre Wahlbefugnis bei einer Registratur nachweisen sollten. Die Unfähigkeit der Staatsmacht, den Wohnort der Wähler zu registrieren, eröffnete zahlreiche Möglichkeiten der Wahlfälschung.“

(Hedwig Richter: Demokratie: Eine deutsche Affäre, München 2020, S. 53/54.)

The American Abyss

„When Donald Trump stood before his followers on Jan. 6 and urged them to march on the United States Capitol, he was doing what he had always done. He never took electoral democracy seriously nor accepted the legitimacy of its American version.

Even when he won, in 2016, he insisted that the election was fraudulent — that millions of false votes were cast for his opponent. In 2020, in the knowledge that he was trailing Joseph R. Biden in the polls, he spent months claiming that the presidential election would be rigged and signaling that he would not accept the results if they did not favor him. […] People believed him, which is not at all surprising. It takes a tremendous amount of work to educate citizens to resist the powerful pull of believing what they already believe, or what others around them believe, or what would make sense of their own previous choices. Plato noted a particular risk for tyrants: that they would be surrounded in the end by yes-men and enablers. Aristotle worried that, in a democracy, a wealthy and talented demagogue could all too easily master the minds of the populace. […]

In this sense, the responsibility for Trump’s push to overturn an election must be shared by a very large number of Republican members of Congress. Rather than contradict Trump from the beginning, they allowed his electoral fiction to flourish. They had different reasons for doing so. One group of Republicans is concerned above all with gaming the system to maintain power, taking full advantage of constitutional obscurities, gerrymandering and dark money to win elections with a minority of motivated voters. […] Yet other Republicans saw the situation differently: They might actually break the system and have power without democracy. […] For some Republicans, the invasion of the Capitol must have been a shock, or even a lesson. For the breakers, however, it may have been a taste of the future. Afterward, eight senators and more than 100 representatives voted for the lie that had forced them to flee their chambers. […]

Post-truth is pre-fascism, and Trump has been our post-truth president. When we give up on truth, we concede power to those with the wealth and charisma to create spectacle in its place. Without agreement about some basic facts, citizens cannot form the civil society that would allow them to defend themselves. If we lose the institutions that produce facts that are pertinent to us, then we tend to wallow in attractive abstractions and fictions. Truth defends itself particularly poorly when there is not very much of it around, and the era of Trump — like the era of Vladimir Putin in Russia — is one of the decline of local news. Social media is no substitute: It supercharges the mental habits by which we seek emotional stimulation and comfort, which means losing the distinction between what feels true and what actually is true. […]

The force of a big lie resides in its demand that many other things must be believed or disbelieved. To make sense of a world in which the 2020 presidential election was stolen requires distrust not only of reporters and of experts but also of local, state and federal government institutions, from poll workers to elected officials, Homeland Security and all the way to the Supreme Court. It brings with it, of necessity, a conspiracy theory: Imagine all the people who must have been in on such a plot and all the people who would have had to work on the cover-up. […] On the surface, a conspiracy theory makes its victim look strong: It sees Trump as resisting the Democrats, the Republicans, the Deep State, the pedophiles, the Satanists. More profoundly, however, it inverts the position of the strong and the weak. […]

When Senator Ted Cruz announced his intention to challenge the Electoral College vote, he invoked the Compromise of 1877, which resolved the presidential election of 1876. Commentators pointed out that this was no relevant precedent, since back then there really were serious voter irregularities and there really was a stalemate in Congress. For African-Americans, however, the seemingly gratuitous reference led somewhere else. The Compromise of 1877 — in which Rutherford B. Hayes would have the presidency, provided that he withdrew federal power from the South — was the very arrangement whereby African-Americans were driven from voting booths for the better part of a century. It was effectively the end of Reconstruction, the beginning of segregation, legal discrimination and Jim Crow. It is the original sin of American history in the post-slavery era, our closest brush with fascism so far.

If the reference seemed distant when Ted Cruz and 10 senatorial colleagues released their statement on Jan. 2, it was brought very close four days later, when Confederate flags were paraded through the Capitol.“

Von all den Bildern, die ich vom 6. Januar gesehen habe, hat mich dieses auch mit am meisten verstört, weil es sehr viel mehr transportiert als eine spontane Entladung von Gewalt – es setzt diese Gewalt in einen historischen Kontext: Die Flagge der aufständischen Südstaaten hat es auch im Bürgerkrieg nie bis in das Herz Washingtons geschafft. Das schafften erst Trump und sein Mob.