Tagebuch Weihnachten 2020 – Neue Bilder

Da ist man jahrelang quengelig, wenn man Weihnachten durch die Gegend fahren und im alten Kinderzimmer übernachten muss, anstatt zuhause zu sein und in Ruhe für sich zu kochen, aber in diesem Jahr hätte ich ersteres gerne gemacht. Aufgrund DER SITUATION blieb ich aber brav in München und bat meine Schwester, sich doch per Video von meinen Eltern aus zu melden, damit ich sie wenigstens sehe. Das Väterchen war seit dem 22. wieder zuhause; er hatte drei Wochen in der Kurzzeitpflege verbracht, damit das Mütterchen, die seit über anderthalb Jahren 24 Stunden am Tag für meinen Vater da ist, mal schlafen kann. Stattdessen hat sie Kekse gebacken und geputzt, aber die Prioritäten muss jede*r selbst setzen.

Ich war Ende November nochmal im Norden gewesen, um sie zu unterstützen, Infiziertenzahlen hin oder her. Muttern, Schwester und ich hatten natürlich schon länger über die Möglichkeit gesprochen, Papa kurz in andere Hände zu geben, damit sie zur Ruhe kommen kann. Einen Platz in einem Pflegeheim zu finden, ist aber nicht ganz einfach, wie wir erfahren mussten, und als einen Freitag der Anruf kam, dass Papa ab dem Montag darauf einen Platz hätte, hatte meine Mutter das total überfordert. Man wünscht sich diese Option sehr, aber als sie dann plötzlich greifbar war, fiel es ihr doch sehr schwer, sich zu entscheiden. DIE SITUATION machte das ganze nicht einfacher, denn natürlich haben wir ewig diskutiert, ob man gerade jetzt einen Platz im Heim wahrnehmen sollte. Die Alternative wäre vermutlich ein Zusammenbruch vom Mütterchen gewesen, die schlicht nicht mehr konnte, wer will es ihr verdenken. Also packte ich einen Tag nach meiner Verteidigung überraschend den Koffer und konnte meinen Titel nicht ganz so entspannt genießen wie gedacht, aber es gibt Wichtigeres. In der Woche übernahm ich den Job, Vaddern im Heim, das wir nie so genannt haben, abzuliefern; er musste per Krankentransport kommen. Ich gab Auskunft über medizinische Dinge, erklärte den Tagesablauf zuhause, was sein Lieblingsessen ist und was er so sein Leben lang gemacht hat, damit die Pflegenden ein paar Themen hatten, auf die sie ihn ansprechen konnten. Meine Mutter war seelisch nicht in der Lage, das zu tun, und so doof das alles war, so sehr hat es mich gefreut, eine wirkliche Hilfe sein zu können. Papa weiß nicht mehr, wo er ist, ihm gefiel es da gut, das Essen war prima (davon konnte ich mich mehrere Tage überzeugen), das Haus war gut gepflegt, soweit ich das beurteilen kann, und er hatte zwei Bekannte dort, die ihn aber erst nach 14 Tagen besuchen durften, davor war er natürlich in Quarantäne. Solange ich noch da war, fuhr ich täglich hin, danach übernahmen wieder SchwesterSchwager und nach ein paar Tagen auch Mama, der das wirklich schwer fiel. Ich habe sie noch nie so erschüttert gesehen wie in den Tagen, an denen ihr klar wurde, dass sie keine Kraft mehr hat, so sehr sie sich auch anstrengt, und dass sie nicht die ganze Welt alleine stemmen kann.

Nochmal zu den Prioritäten: An meinem ersten Abend im Norden sammelte das Mütterlein gerade Kerzen und Laternen aus dem ganzen Haus zusammen, um sie an verschiedenen Fenstern aufzustellen, als ich ankam; das war eine Idee im Dorf gewesen – damit nicht alle am Totensonntag auf den Friedhof rennen, sollten alle Kerzen in ihre Fenster stellen. Schöne Idee, aber natürlich eine irre Arbeit, wenn man, wie Mama, nicht nur eine Kerze, sondern unbedingt achthundert anzünden will. Als ich etwas irritiert davon war, dass sie sich Extraarbeit zu der vielen macht, die sie eh schon hat, meinte sie: „Ich will nicht immer nur das machen, was ich muss, sondern auch mal, was ich möchte.“ Daraufhin habe ich meine Klappe gehalten und am nächsten Tag stillschweigend die ganzen rußigen Mistviecher wieder eingesammelt, geputzt und die Kerzenreste rausgekratzt, was ihr erst ein paar Tage später aufgefallen ist, als sie das erledigen wollte.

Seit dem 22. Dezember war Papa wieder zuhause, was für ihn aber keinen großen Unterschied mehr macht. Ich hatte in den letzten Monaten schon das Gefühl, dass sein Gehirn noch mehr runterfährt, dass er teilweise retardiert in alltäglichen Dingen, dass er sich auf einfache Laute oder Gesten fokussiert, wie ein Kind, das gelernt hat, dass man sich um es kümmert, wenn es „Aua“ sagt. Ich trug natürlich immer Mundschutz, und meist hat er mich nicht erkannt. Auch deshalb wäre ich Weihnachten gerne im Norden gewesen, bevor er gar nicht mehr weiß, wer ich bin.

Ich war seit dem 22. Dezember mit Vorbereitungen für das Menü von F. und mir beschäftigt. F. hatte sich netterweise dafür entschieden, den Heiligen Abend mit mir zu verbringen, was mich sehr gefreut hat. Daher hatte ich eigentlich zu viel zu tun, um traurig zu werden, aber am 24. erwischte es mich dann doch. So sehr es mich freute, mal wieder mehrere Gänge zu kochen und die große Tischdecke zu bügeln, die sonst nur im Schrank liegt, so memmig war ich auf einmal drauf.

Dagegen half Essen in Gesellschaft ein bisschen, und gerade, als wir mit dem Hauptgang fertig waren und verdauen mussten, um noch Mousse nachschieben zu können, meldete sich der Norden per Video. Vaddern war schon von der Pflege ins Bett gebracht worden, der Rest der Familie wuselte um ihn herum, der Schwager hielt das Tablet, ich reichte mein Handy irgendwann an F. weiter, als mein Arm lahm wurde. Wir zeigten uns gegenseitig die geschmückten Bäume, plauderten nur sehr wenig, auch weil Papa nicht mehr ganz versteht, warum ich da auf diesem kleinen Fernseher zu sehen bin, aber für ein „Fröhliche Weihnachten und bis bald“ hat es noch gereicht. Wenige Minuten später schickte mir meine Schwester noch ein kleines Video. Ich hatte ihr ein paar Baumornamente in Form von goldenen und roten Hörnern geschickt. Unsere Omi hatte jahrelang Hörner in allen Farben an ihrem Baum, die machten sogar Geräusche, und natürlich spielten meine Schwester und ich sie im Laufe der Jahre kaputt. Meine Schwester hat immer noch ein letztes stummes Horn im Baum als Andenken, aber als ich irgendwann mal zufällig im Interweb auf trötenden Baumschmuck stieß, bestellte ich den sofort. Ich wollte ihn eigentlich in diesem Jahr mitbringen und heimlich in die Bäume hängen, aber nun wurde er verschickt. Im Video von meiner Schwester tröten Papa und Mama auf den Hörnern herum, und man hört Papa noch skeptisch „Was für ein …“ sagen, bevor das Video abbricht, worüber ich sehr lachen musste.

Ich holte für unser gemeinsames Essen nicht nur die gute Decke aus dem Schrank, sondern schminkte mich auch, gefühlt das dritte Mal in diesem Jahr, und zog die guten Klamotten an. Endlich mal wieder Ohrringe, auf die verzichte ich wegen der Maskenbänder zurzeit immer.

F. hatte seine Kamera dabei, die folgenden Fotos sind von ihm. Ich hätte ihm vielleicht vorher sagen sollen, dass ich im Blog lausige 500 Pixel an Bildbreite habe, weil ich mich immer noch nicht darum gekümmert habe, die Bilder größer zu kriegen (bitte keine Tipps, es ist gerade sehr egal). Er ahnt, dass ich ihn jetzt immer herzitieren werde, sobald ich ein Spiegelei gebraten habe, und bedauert es schon sehr, die Kamera mitgebracht zu haben. Ich hingegen freue mich über lauschige Bilder, die deutlich besser aussehen als die, die ich mit dem iPhone von denselben Motiven hindilettierte.





Wir starteten mit confiertem Thunfisch mit einer milden Peperoni und einer Olive. Eher rustikal als festlich, aber man schmeckt die Orangenschale, mit der das Öl aromatisiert wurde, sehr schön durch. In allen Gängen war irgendeine Zitrusfrucht, daher überlegte ich am Morgen des Heiligen Abends ernsthaft noch, Orangenscheiben im Ofen zu trocknen für die Tischdeko, bis mir einfiel, dass ich keine Einrichtungszeitschrift bin.

Mir fiel erst abends am 23. auf, dass ich direkt nach dem kalten Thunfisch noch eine weitere kalte Vorspeise geplant hatte, was doof ist. Also kochte ich schnell ein winziges Erbsensüppchen, weil ich dazu alles im Haus hatte; es war Ingwer drin und Koriander und oben drauf gab’s Croutons mit frischer Zitronenschale.

Die Terrine aus roter Bete und Meerrettich hatten wir vor ein paar Wochen im Broeding-Außer-Haus-Menü gehabt, die fand ich so toll, dass ich sie nachkochen wollte. Beim Googeln nach einem Rezept stellte ich fest, dass die anscheinend zwischen 2015 und 2017 durch sämtliche Kochblogs gegangen war, hatte ich nicht mitgekriegt.

Der Hauptgang stammt aus dem Winter-Kochbuch von Katharina Seiser. Er sieht bei mir alles andere als toll aus, die Entenbrust hatte nicht lang genug geruht, die Grießklößchen waren offensichtlich von einer Vierjährigen geformt worden, der Ras-el-Hanout-Schaum war nur ein Sößchen, die eigentliche Portweinsauce auch, weil ich sie nicht lange genug eingekocht hatte, aber meine Güte, waren die Aromen toll! Das werde ich dringend nochmal zubereiten und ihr solltet das auch. Das ganze Buch ist gut, aber das wisst ihr ja vermutlich.

Wir hatten mit Rosé-Champagner begonnen, weil man mich damit immer glücklich macht, dann tranken wir einen gnadenlos lieblichen Gewürztraminer zu den Vorspeisen, aber jetzt kam endlich der Rotwein auf den Tisch. F. erzählte, dass er den zum Bachelor-Abschluss in Philadelphia getrunken hatte, schon 1000 Jahre her, aber ich fand das sehr passend in diesem Jahr.

Wir vermissen schmerzlich den Jamai-Käse; da F.s Mutter derzeit selten nach Kempten fährt, von wo sie uns immer kiloweise Käse mitbringt, musste ich gucken, was ich bei Amazon Fresh fand. Der Kräuterkäse aus dem Allgäu war in Ordnung, aber gegen Jamai stinkt halt alles andere kläglich ab. Das Quittenchutney dazu war von F.s Mutter, das mag ich sehr gerne, muss endlich nach dem Rezept fragen.

Das Dessert war wieder aus dem Winter-Kochbuch: Lebkuchenmousse in schicken Zartbitterkugelhüllen. Endlich konnte ich mal die Silikonformen ausprobieren, die ich mir vor Jahren in irgendeinem Masterchef-Kaufrausch mal zugelegt, aber noch nie erfolgreich benutzt hatte. Auch dieses Rezept kommt auf die Gerne-wieder-Liste.

Ich war gegen 22 Uhr schlagartig müde. Es reichte noch dazu, den Geschirrspüler zu füllen und das meiste an Abwasch zu erledigen, denn das erledige ich immer, das ist wie Abschminken, das macht man abends, basta. Danach fiel ich komatös ins Bett. Ich hatte mich noch auf stundenlanges Rumsitzen und Weinleeren mit F. am Küchentisch gefreut, aber dafür reichte leider die Kraft nicht mehr.

Am 25. wachten wir immer noch gemeinsam auf, bevor sich unsere Wege wieder trennten; F. ging zu Fuß zu seinen Eltern, ich spülte die letzten Gläser ab, aß ein paar Reste und verdämmerte so ziemlich den ganzen Tag auf dem Sofa.

Außerdem lud ich meine Kamera mal wieder auf, die schönen Fotos von F. hatten mich meine iPhone-Fotos aus Faulheit stark überdenken lassen. Ich googelte den Begriff „Tiefenschärfe“ sowie die Bedienungsanleitung meiner Kamera, die sich irritierenderweise nicht in meiner großen Tüte mit allen Bedienungsanleitungen aller Dinge, die ich besitze, befand. Beim Durchwühlen der Tüte fand ich eine Anleitung für eine Kaffeemaschine, die ich längst weggeschmissen habe, sowie die für mein erstes Rad in München, das mir geklaut wurde. Beide Anleitungen ins Altpapier geworfen. Das war mein Tagwerk.

Am 26. wachte ich wieder zur gewohnten Arbeitstagszeit auf, das war in Ordnung. Ich stellte die Espressomaschine zum Vorheizen an, öffnete ein paar Fenster und lungerte noch im Bett rum, das fühlt sich immer so schön nach Zauberberg an unter der warmen Decke, während es um mich herum kalt wird. Tagsüber: Lesen, Kekse backen, mit der Kamera (und dem iPhone) Kekse fotografieren, dabei alle lustigen Einstellungen ausprobieren, die die Kamera hergibt. Abends kam F., der mir ein bisschen mehr über seine Einstellungen erzählte, wir machten ein paar Probefotos, und dann tranken wir die letzte Flasche Wein, die ich aus Hamburg mitgebracht hatte, das war’s jetzt mit dieser Stadt.

Ich dachte gestern länger über die Fotos von F. nach, deren Motive ich ja auch fotografiert hatte, allerdings aus anderen Perspektiven und mit anderem Fokus. Mir fiel auf, dass ich seit Jahren mein Leben abbilde, hier im Blog, drüben auf Insta, und dass ich dabei – natürlich – immer einen persönlichen Blickwinkel habe. Das ist jetzt kein irre tiefer Gedanke, aber es war schlicht ungewohnt, mein Leben – meine Küche, mein Besteck, meine Mahlzeiten – von jemandem anders abgelichtet zu sehen.

Ich ahne, dass F. über andere Dinge nachdachte, als er meine Gerätschaften fotografierte als ich, wenn ich das tue. Ich achte auf Dinge im Hintergrund, die ich nicht herzeigen will, räume das Essen auch gerne an andere Plätze in der Wohnung, damit das Bild besser aussieht (Lichtstimmung, Untergrund etc.). Ich will nicht alles zeigen, genau wie ich nicht alles erzähle. Mir fiel wieder die Diskrepanz zwischen meinem normalen Dasein und dem winzigen Ausschnitt auf, den ich im Blog anbiete. Natürlich weiß ich, dass die allermeisten von uns sich so im Internet bewegen, dass wir alle auswählen und dass alle Insta-Posts von den ganzen Einrichtungsblogs, denen ich folge oder die mir über den Hashtag #interors oder ähnlich in die Timeline gespült werden, ebenso nur ein Ausschnitt sind, aber mir wurde mal wieder deutlich klar, wie inszeniert ich inzwischen vieles wahrnehme. Und dass es eben nicht „das Leben“ ist, sondern nur ein Abbild eines Ausschnitts, der bewusst und nicht spontan gewählt wurde.

Sue twitterte am 25., dass sie es schön fände, dass wir alle am Handy oder am Rechner hingen und dass so niemand wirklich alleine sei: „Das war nie ein Ersatz für Irgendwas hier, sondern immer Digitale Heimat. Wenn ich heim will, kann ich also auch hier her kommen.“ Diesen Gedanken hatte ich auch schon öfter: Wenn alles den Bach runtergeht, habe ich immer noch das Internet, meine Leser*innen, meine Blogs und Accounts, denen ich folge. Aber momentan fühlt es sich – für mich – nicht mehr danach an. Es ist nicht mehr das kleine Lagerfeuer, um das wir mal gestanden und uns Storys aus der Jugend erzählten, es ist stattdessen ein sorgfältig kuratiertes Feuerwerk geworden. Damit will ich nicht den üblichen Verfall von Dingen beklagen, die mal Insiderwissen waren und nun vom Mainstream besetzt sind, sondern nur für mich festhalten, dass das Internet eben nicht das Leben ist, die Menschen darin zum allergrößten Teil nicht meine Freunde, und dass Accounts einen in sehr vielen Fällen nicht trösten können, wenn einen der eigene Vater nicht mehr erkennt.

„In jener Zeit erließ Kaiser Augustus den Befehl an alle Bewohner seines Weltreichs, sich in Steuerlisten eintragen zu lassen. Es war das erste Mal, dass solch eine Erhebung durchgeführt wurde; damals war Quirinius Gouverneur von Syrien. So ging jeder in die Stadt, aus der er stammte, um sich dort eintragen zu lassen.

Auch Josef machte sich auf den Weg. Er gehörte zum Haus und zur Nachkommenschaft Davids und begab sich deshalb von seinem Wohnort Nazaret in Galiläa hinauf nach Betlehem in Judäa, der Stadt Davids, um sich dort zusammen mit Maria, seiner Verlobten, eintragen zu lassen. Maria war schwanger. Während sie nun in Betlehem waren, kam für Maria die Zeit der Entbindung. Sie brachte ihr erstes Kind, einen Sohn, zur Welt, wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Futterkrippe; denn sie hatten keinen Platz in der Unterkunft bekommen.

In der Umgebung von Betlehem waren Hirten, die mit ihrer Herde draußen auf dem Feld lebten. Als sie in jener Nacht bei ihren Tieren Wache hielten, stand auf einmal ein Engel des Herrn vor ihnen, und die Herrlichkeit des Herrn umgab sie mit ihrem Glanz. Sie erschraken sehr, aber der Engel sagte zu ihnen: „Ihr braucht euch nicht zu fürchten! Ich bringe euch eine gute Nachricht, über die im ganzen Volk große Freude herrschen wird. Heute ist euch in der Stadt Davids ein Retter geboren worden; es ist der Messias, der Herr. An folgendem Zeichen werdet ihr das Kind erkennen: Es ist in Windeln gewickelt und liegt in einer Futterkrippe.“ Mit einem Mal waren bei dem Engel große Scharen des himmlischen Heeres; sie priesen Gott und riefen: „Ehre und Herrlichkeit Gott in der Höhe, und Frieden auf der Erde für die Menschen, auf denen sein Wohlgefallen ruht.“

(Neue Genfer Übersetzung)

Ich wünsche euch allen ein friedliches, fröhliches, besinnliches, schönes, gesegnetes Weihnachtsfest. Danke fürs Lesen – und bleibt hoffentlich gesund.

Tagebuch Dienstag, 22. Dezember 2020 – Confiri, confira und ein Brecht-Gedicht

Gestern stand der Einkauf für die Weihnachtstage auf dem Programm. Ich war kurz nach Öffnung des Ladens im Edeka, nachdem mir F. erzählt hatte, nee, der macht schon um 7 auf, nicht erst um 8, wie ich immer dachte, und da ich eh seit 5 wach war, keine Ahnung warum, konnte ich entspannt um 7.15 Uhr einkaufen gehen. Außer mir waren noch zwei oder drei Kunden im Laden, an der Kasse war ich alleine, der Kassierer trug netterweise auch mal Maske, und nach zehn Minuten war ich wieder draußen. Alles bekommen bis auf den lausigen Thymian, den ich auf dem Balkon hatte vertrocknen und erfrieren lassen. Also ging ich um kurz nach 12 noch auf den Markt, kaufte zwei Kräutertöpfe – wenn schon Basilikum da rumsteht, nehme ich halt einen mit – und war mit allem fertig.

Kurz danach klingelte die Post und stellte das Weihnachtspäckchen meiner Schwester unten in den Flur. Diese Art der Lieferung sollten sie beibehalten: „Hallo, Paket für Sie, ich stelle es an den Briefkasten.“ Die armen Menschen müssen nicht treppensteigen oder den langsamsten Fahrstuhl der Welt suchen, und wir ersparen uns einen Kontakt.

Das Päckchen war übrigens perfekt auf dieses Jahr abgestimmt.

Meine Schwester erzählte noch per WhatsApp, dass sie dem Ex-Kerl auch Kekse geschickt hatte, ich erwähnte meinen Stollen, der den Weg nach Hamburg gefunden hatte und meinte dazu, dass ich das nett fände, dass die Gröners ihn weiter hochkalorisch abfüttern. Ich hoffe, er sieht das auch so.

Mit dem Thymian konnte ich nun endlich den ersten Gang zubereiten, mit dem F. und ich Donnerstag unser Menü starten: confierter Thunfisch, ein Rezept aus einem baskischen Kochbuch, das er mir mal aus einem seiner Urlaube mitgebracht hatte. Ich habe noch nicht probiert, aber ein Rezept, das mit diesen hübschen Zutaten anfängt, kann nur gut werden.

Der Rest des Tages bestand aus herzhaftem Rumgammeln, beim Seriengucken einschlafen, beim Fußballgucken einschlafen und schließlich im Bett beim Lesen einschlafen. Ich komme anscheinend in Weihnachtsstimmung.

Ich las das wirklich empfehlenswerte Büchlein über die Weimarer Republik durch. Vorgestern musste ich beim Lesen laut lachen, denn es wurde ein Brecht-Gedicht erwähnt, das den wunderschönen Titel 700 Intellektuelle beten einen Öltank an trug (1929) und das ich zugegebenermaßen noch nicht kannte. Es wird im Buch in Ausschnitten zitiert, hier in Gänze:

„Ohne Einladung
Sind wir gekommen
Siebenhundert (und viele sind noch unterwegs)
Überall her
Wo kein Wind mehr weht
Von den Mühlen, die langsam mahlen, und
Von den Öfen, hinter denen es heißt
Daß kein Hund mehr vorkommt.

Und haben Dich gesehen
Plötzlich in der Nacht
Öltank.

Gestern warst Du noch nicht da,
Aber heute
Bist nur Du mehr.

Eilet herbei, alle
Die ihr absägt den Ast, auf dem ihr sitzet
Werktätige!
Gott ist wiedergekommen
In Gestalt eines Öltanks.

Du Häßlicher
Du bist der Schönste!
Tue uns Gewalt an
Du Sachlicher!

Lösche aus unser Ich!
Mache uns kollektiv!
Denn nicht wie wir wollen
Sondern wie Du willst.

Und bist du nicht gemacht aus Elfenbein und Ebenholz,
sondern aus
Eisen.
Herrlich, herrlich, herrlich!
Du Unscheinbarer!

Du bist kein Unsichtbarer
Nicht unendlich bist Du!
Sondern sieben Meter hoch.
In Dir ist kein Geheimnis
Sondern Öl.
Und Du verfährst mit uns
Nicht nach Gutdünken, noch unerforschlich
Sondern nach Berechnung.

Was ist für Dich ein Gras?
Du sitzest darauf.
Wo ehedem ein Gras war
Da sitzest jetzt Du, Öltank!
Und vor Dir ist ein Gefühl
Nichts.

Darum erhöre uns
Und erlöse uns von dem Übel des Geistes.
Im Namen der Elektrifizierung
Der Ratio und der Statistik!“

(Die Gedichte von Bertolt Brecht in einem Band, hrsg. von Elisabeth Hauptmann, Frankfurt am Main 1981, S. 316/317.)

Da war der Dichter wohl etwas schlecht gelaunt. Das Buch fährt fort:

„Zur gleichen Zeit schrieb Gottfried Benn:

‚Es gibt eine Gruppe von Dichtern, die glauben, sie hätten ein Gedicht verfaßt, indem sie „manhattan“ schreiben … Die ganze deutsche Literatur seit 1918 arbeitet mit dem Schlagwort Tempo, Jazz, Kino, Übersee, technische Aktivität, bei betonter Ablehnung aller seelischen Probleme. […] Ich persönlich bin gegen Amerikanismus. Ich bin der Meinung, daß die Philosophie des rein utilitaristischen Denkens, des Optimismus a tout prix, des „keep smiling“, des dauernden Grinsens auf den Zähnen, dem abendländischen Menschen und seiner Geschichte nicht gemäß ist.‘

Zwar unterschieden sich die Fluchtpunkte dieser Kritik, die sich bei Brecht auf die technisch-‚sachliche‘ Kaschierung von Herrschaftsverhältnissen, bei Benn auf den Gegensatz von optimistischem Utilitarismus und der seelischen Tiefe des ‚geistigen Menschen‘ richtete. Aber beide Kritiker beklagten den Verlust von Natur, Kultur und Gefühl im Ansturm technischer Nützlichkeitsansprüche. Modernisierungskritik, die selber auf dem Boden der Moderne stand und deren widersprüchliche Gegenwart und problematische Zukunft kritisch antizipierte, machte eine Grundstömung der deutschen Geistesgeschichte seit der Jahrhundertwende aus.“

(Detlev Peukert: Die Weimarer Republik. Krisenjahre der klassischen Moderne, Frankfurt am Main 1987, S. 185/186.)

Die angebliche seelische Tiefe, die gerade die Deutschen besäßen, findet man auch schon in den 1920er-Jahren in den Texten der Rechten, ab 1933 sowieso; in der Kunst erwuchs aus der Neuen Sachlichkeit die kleine Strömung der Neuen deutschen Romantik, die, wie ich gerade interessiert feststelle, im Internet anscheinend noch nicht vorkommt. Muss ich mich wohl doch mal an die Wikipedia wagen. In der Ausstellung „Die deutsche Neuromantik in der Malerei der Gegenwart“ (Frankfurt am Main 1931) hingen z. B. Werner Peiner, Georg Schrimpf, Wilhelm Heise, Carlo Mense und Franz Radziwill; diese Strömung der in Anklängen neusachlichen, magisch-realistischen Malerei lehnte sich in ihrer Ausdrucksweise an eine gleichnamige Literaturströmung an, die sich vom zivilisationskritischen Naturalismus abwandte. Nach einigen weiteren Ausstellungen mit hauptsächlich Landschaften und Stillleben folgte 1933 in der Kestner-Gesellschaft Hannover die bekannteste dieser Ausstellungen, „Neue Deutsche Romantik“, womit diese Strömung ihren Höhepunkt erreichte. Hier hingen erneut unter anderem Peiner, Heise, Radziwill oder Franz Lenk, der auch auf der Biennale Venedig 1934 vertreten war. (Die letzten Sätze sind mal wieder aus meiner Diss.)

Beim Stichwort „Öltank“ hatte ich natürlich nur meinen Liebling Grossberg im Kopf, der eben diese 1930 gemalt hatte, der gute Mann. Hier ein gescanntes Bild, das nicht beim ausstellenden Museum auf der Website zu sehen sein darf, bitte den üblichen Urheberrechte-Rant selbständig einfügen, den Sie seit Jahren von mir kennen, danke, ICHREGMICHSONSTWIEDERAUF!


(Carl Grossberg: Weiße Tanks (Harburger Ölwerke), 1930, Öl auf Leinwand, 90 x 70 cm, Sammlung Familie Olcese. Bildquelle: Kat. Ausst. Glanz und Elend in der Weimarer Republik, Schirn Kunsthalle Frankfurt 2017/18, München 2017, S. 268.)

Ich habe übrigens erst durch den Blogeintrag erfahren, dass dieser bestimmte Grossberg seit diesem Jahr vor meiner Nase in der Pinakothek der Moderne hängt (ich hatte ihn in Frankfurt gesehen). Ich wäre gerne kurz in den Saal 12 gehuscht (das ist ein Saal vor den Protzens), um das Gemälde anzuhimmeln, aber das geht ja gerade nicht. Als ich F. davon wimmernd per DM erzählte, meinte er: „701 Intellektuelle beten einen Öltank an.“ Aww!

Nochmal zum Buch: Ja, die Berliner Republik ist nicht die Weimarer, aber bei manchen Sätzen stockt man dann doch kurz und ist sinnloserweise erstaunt über die historische Vergesslichkeit mancher Akteure, ich sage nur CDU/FDP vs. AfD mit ihrer Diskursverschiebung nach rechts – aber dem großen Unterschied, dass sich die Bundesrepublik in den letzten Jahren eben nicht in einer Wirtschaftskrise befand, so dass der Protest der AfD sich selbst als wohlstandssatte Katastrophensehnsucht entlarvt.

„Der Einflussverlust der bürgerlichen liberalen wie konservativen Parteihonoratioren in der Provinz, die Radikalisierung der mittelständischen Interessenvertretungen und das Aufsaugen des provinziellen Potenzials an Sozialprotest und Mobilität durch die nationalsozialistische Bewegung stellten entscheidende Faktoren in der Gesamtkrise der Weimarer Republik dar. Die ‚Panik im Mittelstand‘ und der faschisierte Sozialprotest der ländlichen Unterschicht markierten den schmerzlichen Durchbruch der Modernisierung in der Provinz weg von Lokalismus und Honoratiorentum, hin zur nationalen Interessenvertretung und dynamischen Sammlungsbewegung. Dass dieser umstürzlerische Aufbruch sich mit besonders empathisch vorgetragenem antiquierten Vokabular schmückte, lag nahe, wurde doch damit den bisherigen honorigen Repräsentanten das Integrationsvokabular entwendet und so radikalisiert, dass die neuen Bewegungen als die einzig glaubwürdigen und konsequenten Vertreter der auch von den Alten als legitim vertretenen Positionen erschienen. Dieser Mechanismus wird bei der Verdrängung der DNVP durch die NSDAP besonders deutlich: Je mehr sich die Konservativen radikalisierten, desto mehr Argumente schufen sie, gleich auf die Seite der jüngeren, dynamischeren und noch radikaleren Alternative überzugehen.“

(Peukert: Die Weimarer Republik, S. 230.)

Tagebuch Montag, 21. Dezember 2020 – Runterfahren

Den vorletzten Tag vor Weihnachten noch Orgakram erledigt, heute geht es zum wöchentlichen Einkauf, der etwas größer ausfällt, weil ich Heiligabend etwas ausgefallener kochen werde. Falls ich irgendetwas nicht bekomme, wird der betreffende Gang schlicht ausfallen oder durch schnöden Salat ersetzt, ich mag nicht in die Innenstadt mit ihren Feinkostgeschäften. Supermarkt und Wochenmarkt unter der FFP2-Maske, das war’s, dann mummele ich mich hier ein und gehe in den Winterschlaf.

Noch ein bisschen für die Diss-Korrektur gelesen, aber nicht ernsthaft. Kleinkram erledigt, der schlicht liegengeblieben war. Richtig schön durchgeschwitzt beim Sport gewesen. Mich wie immer in den letzten Wochen über den bunten Weihnachtsbaum gefreut.

Auf Twitter von einigen Infektionen mitbekommen, die mich zusammenzucken ließen – alles richtig gemacht und trotzdem positiv. Innere Hoffnungslosigkeit durch Hefeteigkneten bezwungen. Was man sich halt so an seltsamen Strategien zurechtlegt.

In diesem Zusammenhang fand ich den Beitrag bei den Krautreportern sehr schön: mein Klassikkumpel Gabriel schreibt dort gerade in Serie übers Backen, hier der vierte Teil, der gerade noch frei lesbar ist: Niemandem sind Kekse egal.

„Die Ernährungstherapeutin Julie Ohana sagt, dass gerade unter Pandemiebedingungen die Konzentration auf eine konkrete und machbare Aufgabe auch auf gesunde Menschen stressabbauend wirkt. Backen vermittelt ein Gefühl von Kontrolle in einem Leben, das wir nicht unter Kontrolle haben. Man muss keine großen Entscheidungen fällen. Was zu tun ist, steht im Rezept. Der Teig darf nicht zu flüssig sein oder nicht zu trocken, die Butter nicht zu kalt oder nicht zu warm, die Sahne gerade steif genug geschlagen, aber nicht zu steif. All dies richtet die Aufmerksamkeit auf das Hier und Jetzt, es ist schlicht keine Zeit, sich eine Grube zu grübeln. Backen ist eine Tätigkeit, die im besten Sinne ablenkt, es fordert vom Ungeübten volle Aufmerksamkeit, für die Erfahrene hingegen ist es die reine Meditation. Beides hilft. Und wenn mit etwas Übung die Ergebnisse immer besser werden, hilft auch das. Laut einer Studie der Uni Konstanz empfinden viele Menschen es als stressabbauend, in einer Sache Meisterschaft zu entwickeln, neben dem Gefühl, wieder etwas Kontrolle über eine Situation zu haben.“

(Fallingwater-Haus auf Wiki.)

Abends kam F. vorbei, ich atmete zunächst flach und war dann von mir selbst genervt. Gemeinsam eingeschlafen, das war schön.

Tagebuch Sonntag, 20. Dezember 2020 – Kopf gewaschen bekommen im Internet, völlig zu Recht

Ausgeschlafen, rumgelungert, Filterkaffee, Ostfriesentee, Kühlschrankreste. Bisschen Sport, bisschen lesen, aber größtenteils das eigene Blog nachgelesen.

Mittendrin pingte eine Mail auf, in der ein Erstsemester in Kunstgeschichte mich um meine Hausarbeit zu einem uralten Thema bat. Den Blogeintrag hatte der Verfasser gefunden, jetzt bat er um die ausformulierte Fassung – und das erwischte mich auf dem total falschen Fuss. Dämlichste Übersprungshandlung, die mir einfiel: auf Twitter rumpöbeln.

Die beste Antwort auf diesen egozentrischen Scheiß hatte Sue:

Ich fühlte mich, als ob mir jemand einen Eimer Wasser über dem Kopf ausgeschüttet hätte, was vermutlich auch angebracht gewesen wäre. Gut, dass gerade niemand einen zur Hand hatte. Trocken und reumütig befolgte ich die guten Tipps des Interwebs, ich zitiere den Rest des Threads: „Literaturliste statt Hausarbeit verschickt und viel Spaß beim Studium gewünscht.“ Die Reaktion per Mail kam prompt und auch sie wurde vertwittert: „Antwort: „Super, danke vielmals für Ihre Unterstützung, als Anfänger bin ich für jede Hilfe sehr sehr dankbar !!“ (Nochmal danke für eure Antworten auf meinen bescheuerten Meckertweet.)“

Ich hatte kurz vergessen, dass Erstsemester derzeit vermutlich noch keine Uni von innen gesehen haben. Ich hatte vergessen, wie wenig ich als Anfängerin wusste und wie selten ich mich getraut habe, nach Hilfe zu fragen, weil ich dachte, das müsste ich auch irgendwie alles alleine hinkriegen, ich bin ja schon groß. Ich hatte vergessen, dass wir alle acht Monate Pandemie in den Knochen haben und einfach nur irgendwie durch unsere Tage kommen wollen. Und ich hatte meine eigenen Vorsätze vergessen, nett sein zu wollen, hilfsbereit und freundlich und um Gottes willen nicht mehr auf Twitter rumzumeckern.

Danke fürs Kopfwaschen, Internet, war anscheinend nötig. Wie toll, dass ich über Anfänger*innenprobleme an der Uni sogar mal gebloggt hatte. Anscheinend kann sich mein Kopf gerade nur noch drei Dinge merken und eins davon ist immer die nächste Mahlzeit.

Tagebuch Samstag, 19. Dezember 2020 – Fresh, aber müde

Sehr lange geschlafen, ebenfalls sehr lange noch gemeinsam im Bett mit F. und zwei Smartphones rumgelungert, erst gegen 12 den Tag begonnen. Mich im Nachhinein über die Erfindung der Geschirrspülmaschine gefreut, muss man ja auch mal festhalten, wie praktisch die Dinger sind. Für mich alleine werfe ich sie eher selten an, außer nach langen Keks- und Kuchenbackschlachten, aber sobald wir zu zweit am Tisch sitzen, lohnt es sich schon, das schmale Maschinchen zu füllen. Danke, Erfinder*innengeist!

Für die Zeit zwischen 14 und 16 Uhr hatte sich bei mir erstmals eine Amazon-Fresh-Lieferung angekündigt; ich versuche derzeit alles, um nicht aus dem Haus zu müssen. Ab ca. 14.30 konnte ich das Lieferfahrzeug auf einer animierten Karte verfolgen und mir wurde angezeigt, wieviele Stopps noch vor mir dran waren, mit sowas kriegt man mich ja immer. Als ich sah, wie nah der Fahrer meiner Haustür war, lehnte ich mich wie eine Rentnerin aus dem Fenster, um von der Karte auf dem Screen zum Realbild umzuschalten, und schaute dem Fahrzeug zu, wie es in meine Straße einbog. Der Fahrer trug eine Maske – ganz im Gegensatz zum Auslieferer von DPD vorgestern –, ich auch, alles prima, keine Minute Kontakt mit halbwegs Abstand im Treppenhaus.

Augsburg bei einer Niederlage gegen Frankfurt zugeschaut, immerhin ein ansehnliches Spiel. Es sah äußerst ungemütlich im Stadion aus, ich freute mich ein ganz winziges bisschen darüber, unter einer Kuscheldecke auf dem Sofa zu sitzen und nicht unter eben dieser Decke in der Arena zu pöbeln. F. und ich diskutierten schon öfter die Auswirkungen von Corona auf den Live-Sport: Selbst die härtesten Stadiongänger*innen gewöhnen sich gerade notgedrungen an den Fernsehsport – wieviele von ihnen kommen wieder in die Kurven? Andererseits freuen wir beide uns genau schon darauf: eben endlich wieder live dabei zu sein. Vielleicht nicht gerade bei minus 1 Grad im Dezember, aber das gehört dann halt dazu. Es bleibt kompliziert.

Den Rest des Tages verbrachte ich damit, meine Liste mit den Favorite Entrys dieses Jahres zu aktualisieren und kam abends bis Ende März. Ich wurde durch meine eigenen Blogeinträge daran erinnert, wieviel Arbeit, Archivsuche und Rumpuzzelei in der Diss gesteckt hatte – das hatte ich ernsthaft schon wieder alles vergessen, diese Freude über einen Halbsatz in einem Dokument, der eine Theorie belegt, oder der Frust über einen, der eine andere ruiniert. Ich meinte gestern auf Twitter, dass in viel zu vielen dieser Einträge noch Zeug steht, das ich seitdem widerlegen konnte, und überlegte laut, ob ich diese Einträge lieber löschen sollte. Es kam daraufhin ein Tipp für eine Erweiterung, zum Beispiel fürs Impressum, in der ich darauf hinweise, dass meine Einträge meine Kenntnisse zu jenem Zeitpunkt darstellen und dass diese danach möglicherweise komplett widerlegt werden. Ich erweiterte mein Impressum dahingehend – und stellte jetzt beim Aufschreiben fest, als ich den Link dazu suchte, dass ich im Blog gar kein Impressum mehr habe, sondern nur noch auf der Startseite für alles. Upsi. Eben den Text ins neue Impressum kopiert.

Ich wurde durch diese Einträge auch wieder an den Beginn der Corona-Zeit in Deutschland erinnert und wie hysterisch wir (ich) damals Handys und Wohnungsschlüssel desinfiziert haben, während heute bei weitaus höheren Infektionszahlen lustiges Adventsshoppen angesagt ist. Ich verzweifelte wieder kurz an allem und merkte, dass die Entscheidung, Weihnachten nicht zu den Eltern zu fahren, die richtige war. Bin trotzdem traurig. Und wütend. Vermutlich wie alle, die irgendwie kurz über alles nachdenken. (Gestern auf Twitter die Formulierung „Leerdenker“ gelesen, fand ich gut.)

Beim Bayern-Spiel um 18.30 Uhr weggedöst, auch beim Lesen danach und bei einer Serienfolge, also schon um 22 Uhr im Bett gewesen. Komatös bis heute um 9 geschlafen. Ich war und bin sehr müde.

Dafür heute morgen ein spannendes Kalenderblatt beim Deutschlandfunk gehört – es ging um die „Besetzung“ Helgolands 1950 von zwei Studenten. Dadurch lernte ich, dass Helgoland nach dem Zweiten Weltkrieg noch als Bombentrainingsgelände der Royal Air Force diente, wusste ich nicht. Ich wusste auch nicht, dass die Insel erst seit 1890 zum deutschen Staatsgebiet gehörte; die ältere, emotionale Bindung wird auch im Beitrag erwähnt, mehr zur Geschichte in der Wikipedia.

Ich musste sofort ein an bekanntes Werk der NS-Kunst denken: „Die Wacht“ (1940), das zwei Seeadler zeigt, die vor Helgoland kreisen. Der Link zu GDK-Research, wo das Bild natürlich zu sehen ist, ist hier noch aus einem zweiten Grund interessant: Auf der Rahmenrückseite ist noch das Rücksendeetikett der GDK an den Käufer zu sehen. Wie bei vielen anderen Werken auch machte man sich mit Adresse und Namen hier nicht viel Mühe. Dort steht schlicht: „Der Führer“.

Michael Mathias Kiefer war eigenlich Tier- und Landschaftsmaler, das sieht man ganz gut an seinen weiteren Einreichungen auf den GDK. Soweit ich weiß, war „Die Wacht“ sein einziges Werk, in dem er die üblichen Viecher mit einer eindeutig ideologischen Aussage verknüpfte, eine Taktik, die vieler Maler*innen anwandten, um ihren meist banalen Bildinhalten eine gewisse Weihe mitzugeben. Siehe Protzens Autobahnbild, das „Straßen des Führers“ heißt. Oder zwei Hafenszenen von Walter Hemming, die den Titel „Die Heimat schafft“ tragen. (Bei „Die Heimat schafft I“ wird sogar der Artikel auf dem Rücksendeetikett weggelassen, hier steht nur „Führer“. Bei Protzen steht als Käufer „Reichskanzlei“.)

Dass die Adler vor Helgoland nicht nur die Reichsgrenze symbolisieren, sondern dass diese noch recht neu ist, habe ich erst heute morgen verstanden.

Tagebuch Freitag, 18. Dezember 2020 – Date Night mit Glühwein

Um kurz nach Ladenöffnung den Wocheneinkauf erledigt, dabei auch schon vieles fürs Menü am Heiligabend kaufen können, leider nicht alles. Für den Rest testete ich erstmals Amazon Fresh an, das heute kommen soll. So vermeide ich den engen Dallmayr oder das Frischeparadies, in dem ich immer noch nicht war, unfassbar, und in dem ich dementsprechend lange für ein paar wenige Zutaten suchen müsste, was ich nicht will.

Direkt danach spazierte ich zum Lieblingsbäcker und erwarb für abends vier Semmeln, denn die Date Night dieser Woche sollte ein nachgestellter Weihnachtsmarkt werden.

Ich freute mich über einige Paypal-Spenden und überlege eine Danksagung in der gedruckten Diss. Wenn ich ein Stipendium für den Druckkostenzuschuss bekomme, lege ich euer Geld in Schokolade an, ich hoffe, das ist in Ordnung. Oder die Miete oder sowas.

Meine Schwester per WhatsApp: „DHL hat mir ein Päckchen angekündigt, hast du was losgeschickt?“ Ich so: „Grinse-Emoji.“ (Wir schenken uns eigentlich seit Jahren nichts, aber irgendwie landet dann doch immer eine Kleinigkeit beim anderen.) Schwester: „Wir schicken erst morgen was los!“ Gegenseitige Lach-Emojis.

Mein Tagwerk bestand hauptsächlich darin, meine Favorite-Entrys-Liste im Blog zu aktualisieren. Ich habe 2019 abgeschlossen und lachweine seit gestern über den sinngemäßen Satz im Jahresrückblick, dass 2020 ja nur besser werden könne.

Für die Date Night gab’s Bosna und Glühwein: Ich warf Bratwurst in die Pfanne und dünstete ein paar Zwiebeln an; die Bosna auf dem Augsburger Weihnachtsmarkt macht mich immer fertig mit eiskalten Zwiebeln, das wollte ich nicht. Dazu verrührte ich mittelscharfen mit Dijon-Senf und gab ordentlich Curry-Pulver dazu. Alles auf eine Semmel streichen, Bratwurst drauf, Zwiebeln und frischen Koriander drüber, fertig war das Festmahl. Ich wärmte Glühwein aus Weißwein und O-Saft auf, F. brachte eine Flasche roten Glühwein mit, der vom letzten Jahr noch übriggeblieben war, und wir genossen alles am Tisch in der warmen Küche und stellten uns nicht, wie für eine Sekunde überlegt, auf den kalten Balkon damit.

Im Gespräch die Differenzen vom Mittwoch ausgeräumt, wieder vertragen.

Endlich mal wieder (nach einer gefühlt sehr langen Woche) gemeinsam eingeschlafen.

Tagebuch Donnerstag, 17. Dezember 2020 – Post aus Wien

Ein Nachtrag zum Besuch im ZI: Dorthin bin ich geradelt, wie immer. Dafür musste ich zunächst mein Rad aus dem Keller schieben, und dabei fielen mir wieder nette körperliche Veränderungen auf, über die ich mich zurzeit sehr freue. #wasschönwar

Ich habe seit Ewigkeiten ab und zu ein Stechen in den Knien, meist im linken, was ich mir dadurch erkläre, dass ich a) viel wiege, b) keine 20 mehr bin und c) durch meinen rechten Fuß, der nicht ganz so funktioniert wie er geplant war, meine linke Körperhälfte unangemessen belaste und das halt dauernd. Das Stechen merke ich besonders auf Treppen und wenn ich in die Knie gehen muss, zum Beispiel, um an die Geschirrspültabs zu kommen, die ganz unten im Schrank stehen etc.

Neuerdings mache ich ja diesen lustigen Interweb-Sportkurs und der will ab und zu Kniebeugen von mir, er nennt es „deep squats“, „can you go a little deeper?“, ja, jetzt schon, Justin, nach mehreren Wochen, toll, oder? Das fiel mir neulich schon beim Staubsaugen oder ähnlichem Kram auf, den man gedankenlos erledigt: keine Knieschmerzen mehr. Die ersten Kniebeugen im Kurs waren eher doof, aber ohne dass ich es groß mitbekommen habe, tun sie nicht mehr weh. Und als ich vorgestern mein Rad die enge, steile Kellertreppe hochschob, tat es auch nicht weh, was es sonst eigentlich immer tut, wenn ich zu lange am Schreibtisch gesessen habe.

Wieder mal gemerkt: Man muss keine Halbmarathons laufen oder von 1000 Kalorien am Tag leben, um sich körperlich besser zu fühlen. In meinem Fall reichen auch 20 bis 50 Kniebeugen pro Woche. (Edit, weil sich das mit ein bisschen Bedenkzeit vielleicht doch seltsam anhört: Wenn du Halbmarathons laufen und von 1000 Kalorien leben willst, dann mach das bitte. Ich persönlich bin bei 1000 Kalorien sehr unkonzentriert und sehr unausstehlich.)

Gut geschlafen, zu lange im Bett rumgelungert, der Termin beim Doktorvater war der letzte in diesem Jahr, jetzt ist quasi Urlaub. Daher schlenderte ich erst gegen 11 in Richtung Uni-Bibliothek. Die ist, wie alles, seit Mittwoch im Winterschlaf, aber man konnte bestellte Bücher noch bis heute abholen, und da ich im Tran und ohne nachzudenken Montag noch zwei geordert hatte, holte ich sie natürlich ab. Zu Fuß, nicht per Rad, ich wollte mal wieder ein bisschen gehen, immer ein guter Check, wie es mir so geht. Mir geht es anscheinend gut, das war schön zu merken. Danach noch beim Lieblingsbäcker zwei Semmeln geholt; das Walnussbrot war leider gerade nicht vorhanden – „in zwei Stunden wieder, am besten online vorbestellen.“ Zwei Stunden später wollte ich nicht mehr vor die Tür, nächstes Mal.

Spontan ein Rezept von Arthurs Tochter in Teilen nachgebastelt: Karottenflan, dort drüben mit grünem Spargel, bei mir mit Brokkoli. Machte nicht ganz so satt wie erhofft, aber ich hatte ja noch eine Semmel.

Und dazu ein paar Stückchen Schokolade: Mein „Wir haben 2020 fast überstanden“-Paket aus Wien kam endlich an. Seit Tagen verfolge ich die Sendung bei DPD, die derzeit kein Lieferfahrzeug und ein Haus einblendet (für Paket und Empfänger), sondern ein Rentier und ein Lebkuchenhaus, wenn ich das richtig erkannt habe.

Ich testete zwei Stückchen der Nougat-Zartbitterschokolade an, bei der ich eine gefüllte Tafel erwartet hatte. War sie aber nicht, der Nougat war in die Schokomasse gerührt worden, so dass ich zartschmelzende nussige Bitterschokolade genoss. Tolles Zeug.

Danke an die Spender*innen per Paypal und Patreon, die vor allem meinen Sportkurs finanzieren, aber ich finde, ab und zu sollte auch Schokolade drin sein. Wenn Sie sich an den Druckkosten der Diss beteiligen wollen, geht das natürlich auch.

Tagebuch Mittwoch, 16. Dezember 2020 – Korrekturexemplar und Privilegien

Den Vormittag verbrachte ich mit Kochbüchern und dem Internet; das Menü für den Heiligen Abend steht einigermaßen. Ich werde doch auf wilde Experimente verzichten und muss bis jetzt nur für ein oder zwei Zutaten in Geschäfte, in die ich sonst eher selten gehe, was meine Verweildauer in geschlossenen Räumen und das wilde Suchen in den dortigen Regalen deutlich verringern sollte.

Nachmittags hatte ich einen Termin mit dem Doktorvater. Das ZI ist seit gestern für den Besucherverkehr geschlossen, meine geliebte Bibliothek für mich nicht mehr zugänglich, aber Vati wusste selbst nicht, ob ich nun überhaupt nicht mehr ins Gebäude und damit in sein Arbeitszimmer käme oder doch. Wir verabredeten uns also im Foyer und wollten uns notfalls auf eine Bank auf dem Königsplatz setzen. Daher trug ich unter der radfahrkompatiblen Schnuffeljacke noch einen dicken Pulli, wie ich das aus diversen Stadionaufenthalten gelernt hatte. Auf die Thermotights verzichtete ich.

Ich gammelte kurz im Foyer herum, bis mich die freundliche Dame an der Pforte fragte, ob sie helfen könne. Ich schilderte den Sachverhalt und unsere Unsicherheit, woraufhin sie meinte, als Arbeitstermin dürfte ich natürlich rein, nur die Massen an Bibliotheksbesucher*innen müssten halt leider draußen bleiben. (Masse = 36 Menschen in drei Lesesälen.)

Mit meiner FFP2-Maske ausgestattet durfte ich also die heiligen Hallen betreten und besprach dann mit Vati eine gute Stunde die Überarbeitung meiner Diss. Ich lernte viel über Aussagen in Gutachten, wir klönten noch ein bisschen über die Autobahnbeilage (hier länger verbloggt), die er mir auf Papier aufgehoben hatte und die nun auch ein weiteres Argument für mich bildet. Denn das war unter anderem eine Frage der Zweitgutachterin: Wieso muss man sich mit jemandem beschäftigen, den die Kunstgeschichte 80 Jahre lang ignoriert hat? Bisher waren meine Argumente, unwissenschaftlich formuliert: weil ich’s kann, weil er da ist, eben weil es noch nichts über ihn gibt. Wichtiger: weil die Autobahnen und damit ihre Gemälde das einzige neue Motiv sind, das die NS-Kunst etablieren konnte. Und mein persönliches Lieblingsargument: weil die deutsche Kunstgeschichte (West und Ost) sich bewusst um die NS-Zeit gedrückt hat, um nicht „über den ‚Sündenfall‘ von bürgerlicher Kunst überhaupt nachdenken zu müssen“. (Zitat: Anja Hesse: Malerei im Nationalsozialismus: Der Maler Werner Peiner (1897–1984), Hildesheim 1995, S. 6.) Die Autobahnbeilage gibt mir nun noch ein Argument an die Hand, warum wir uns vielleicht mit diesem Maler beschäftigen sollten: damit nicht staatliche Behörden Argumente nachplappern, die Hitler schon super fand.

Wir sprachen auch über die Veröffentlichung. Ich plane, und ich hoffe, ich finde einen Verlag, der das mitmacht, eine gleichzeitige Publikation als Buch und als eBook bzw. PDF auf dem Uniserver oder ähnliches. Ich möchte etwas haben, das im Regal stehen kann, möchte aber gleichzeitig einen barrierefreien und kostenlosen Zugriff für alle ermöglichen, damit dieses Thema nicht weiter in seiner Nische bleibt. Ich weiß noch nicht, ob das in der Schriftenreihe meines Doktorvaters möglich ist – er bot mir gestern an, dort zu veröffentlichen, was mich natürlich äußert freuen würde. Die Reihe heißt Brüche und Kontinuitäten: Forschungen zu Kunst und Kunstgeschichte im Nationalsozialismus, und der Verlag stand sowieso auf meiner Wunschliste.

Zum Veröffentlichen gehört leider auch ein Batzen Geld, denn wissenschaftliche Werke kosten den Verlag eher als dass sie damit etwas verdienen. Promovierende sparen also gerne auf den sogenannten Druckkostenzuschuss, der sich für mein Werk, wenn ich mir Seitenzahlen und Abbildungen so angucke, wohl um die 10.000 Euro belaufen wird. Die habe ich überhaupt nicht rumliegen, daher werde ich mich um Stipendien kümmern. Falls daraus nichts wird, hat sich mein Mütterlein schon erboten, den Betrag zu übernehmen, weil sie auch ein Buch haben möchte. Ich fühle mich seitdem äußerst privilegiert. Die Diskussion um Privilegien und wie wenige Nicht-Akademikerinnen-Kinder einen Doktortitel erringen (1 Prozent) ist mir durchaus bewusst, und gerade jetzt spüre ich sie erstmals sehr deutlich.

Nachmittags mit F. in die Wolle gekriegt, musste auch mal sein. Wir sind alle durch mit diesem Jahr und dieser Pandemie. Ich jedenfalls.

Abends las ich die korrigierte bzw. mit Anmerkungen versehene Diss durch, die mir mein Doktorvater mitgegeben hat. Diese Seite ist bisher meine liebste.

Ich kenne seine Abneigung gegen mein „ich“ in der Arbeit, was ich mir aber in acht Uni-Jahre nicht abgewöhnt habe, weil ich Passivkonstruktionen hasse. Das ist meine Arbeit, da steht mein Name drauf, daher darf ICH mit Fug und Recht Dinge schreiben wie „In dieser Arbeit werde ich zeigen, dass …“ und nicht „Diese Arbeit wird zeigen, dass …“ Dass er nun ein „ich“ reinkorrigieren musste, hat wahrscheinlich sehr weh getan. Sorry!

Wobei ich zugeben muss, dass sich das auf dieser Seite sehr häuft, das werde ich etwas entschärfen. (Wobei sich das zugegebenermaßen auf dieser Seite sehr häuft, das lässt sich entschärfen.)

Tagebuch Dienstag, 15. Dezember 2020 – Weihnachtspost

Besser geschlafen, das scheint im Moment notierungswürdig zu sein.

Vormittags mit einer alten Werbekollegin telefoniert, teils wegen eines Jobs, teils wegen „Wie geht’s uns denn beiden so mit Corona, in unserem Alter, in dieser Branche, in dieser Welt.“ Das war schön.

Sehr spätes Mittagessen, kochfaul gewesen, einfach Brokkoli in Kichererbsenmehl frittiert, schmeckt immer.

Länger in Kochbüchern geblättert. Ich habe mich für mein Weihnachten für ein Festmenü entschieden – jedenfalls war das der Plan, bis mir einfiel, dass ich dafür in diverse Fachgeschäfte müsste, um Dinge einzukaufen, die ich selten bis nie im Haus habe, was ich momentan wirklich vermeiden will. Überlege daher gerade wieder, vielleicht doch eher die Schränke leerzukochen, aber jetzt habe ich natürlich tolle, neue, total drängelnde Rezepte im Hinterkopf. (Noch nie einen Markknochen gegrillt, das muss man ja auch mal ausprobieren.)

Geturnt, geschwitzt, wieder zwei Stunden Heizung anmachen gespart.

Die erste Weihnachtspost erledigt. Eigentlich wollte ich Schwester und Mütterlein eine Kleinigkeit mitbringen, aber durch meine Absage muss ich das jetzt verschicken. Zwei Karten geschrieben, beide mit Papas Füller, den er leider nicht mehr braucht. Im Etui aus den 60er-Jahren (?) liegt noch ein handgeschriebener Zettel von ihm, auf dem er notiert hat, dass er den Füller am 26. Dezember 2017 entleert sowie Tintenreste entfernt hat. Außerdem steht auf dem Zettel, dass die „Rückseite […] gangbar“ ist, was ein guter Hinweis ist, denn ich habe mich zuerst nicht getraut, den arg stockenden Füller mit einem Hauch Gewalt aufzudrehen.

Abends lauschte ich einem Vortrag der Corona Lectures, die die LMU gerade durchführt. Per Zoom hörte ich Armin Nassehi zu, der über die sozialen Auswirkungen der Krise referierte, wenn man das überhaupt schon sagen kann, wir sind ja noch mittendrin.

Notiert habe ich mir seine Schlussfolgerung, dass die Krise wie „ein Freilandversuch für die Selbstwahrnehmung als funktional differenzierte Gesellschaft mit erheblichen Steuerungsproblemen“ wirke. Der Vortrag wird in wenigen Tagen online sein, ich weise dann noch einmal darauf hin.

Zuhören macht hungrig, schnell ein Blech gebrannte Mandeln hergestellt, dessen Rezept von „Schöner Tag noch“ gestern in meiner Twitter-Timeline landete.

Außerdem landete dort Blob Opera (via weißichnichtmehr), mit dem ich dann ewig rumspielen musste. Die Optik ist natürlich geklaut von (oder eine Hommage an) Purple and Brown, aber das ist in Ordnung.

Tagebuch Montag, 14. Dezember 2020 – Hefeteig und Weihnachtsabsage

Nicht gut geschlafen. Brav abends im Bett nicht mit dem Smartphone geendet, sondern noch was aus Papier vor die Nase gehalten, aber vielleicht war das Suhrkamp-Büchlein zur Weimarer Republik nicht unbedingt eine gute Einschlafhilfe. Mein Kopf beschäftigte sich noch bis 3 Uhr morgens mit der Diss bzw. ihrer Überarbeitung für den Druck, bis ich endlich wegdöste.

Den Wecker verflucht, trotzdem aufgestanden, wir wollen hier ja nichts einreißen lassen, das machen wir erst zwischen den Jahren, für die ich „ausschlafen, rumliegen, gar nichts tun“ geplant habe, aber mal sehen, was dann passiert.

Den Tag am Schreibtisch verbracht und geguckt, welche der Gedanken, die mir morgens um 2 kamen, ich wirklich umsetzen kann (bin immer noch unschlüssig). In neuen Büchern aus der Uni-Bibliothek gelesen und Dinge im Manuskript ergänzt. Nebenbei die übliche Kanne Ostfriesentee geext, neuerdings ohne Zucker oder Süßstoff und mit Milch statt Sahne.

In der Mittagspause auf die Matte gegangen. Mein Interweb-Sportkurs bietet sogenannte Programme an, die aus einzelnen Übungseinheiten bestehen. Ich hatte sinnvollerweise einen Anfängerkurs gewählt, der aus 56 Einheiten aufgebaut ist. Die habe ich in den vergangenen Wochen alle durchgeturnt und wartete daher auf ein Fleißbienchen oder digitales Konfetti oder irgendwas – aber nichts. Erst dann kapierte ich, dass ich das Programm aktiv anwählen muss anstatt einfach nur die Einheiten anzuklicken, um das Konfetti zu kriegen – oder immerhin ein „Completed Programs = 1“ am oberen Bildschirmrand. Da es mir für die innere Ausgewogenheit total wichtig ist, Fleißbienchen zu bekommen, hatte ich letzte Woche das Programm noch einmal von vorne begonnen. Das war eh der Plan gewesen, weil es mir Spaß macht und mich fordert. Bei den ersten beiden Einheiten dachte ich noch gut gelaunt, hey, das regelmäßige Training hat geholfen, die Übungen für Stabilität und Mobilität bringen mich nicht mehr so ins Schwitzen, und auch die Bauchmuskeleinheiten gingen deutlich besser. Gestern gelernt: Das gilt alles nicht für Cardio. Genauso außer Atem gewesen wie noch vor zwei, drei Monaten, als ich mit dem Kram angefangen habe.

Kleines Nebenbeiprojekt: neue Croissants für den Tiefkühler backen. Wie praktisch, dass Hefeteig dauernd gehen muss, das ging quasi nebenbei. Leckere Fleißbienchen.

Abends länger mit dem Mütterchen telefoniert und schweren Herzens den Weihnachtsbesuch in der alten Heimat abgesagt. Zugfahren steht derzeit nicht auf meinem Plan, aber meine Schwester hatte allen Ernstes angeboten, mich aus München mit dem Auto abzuholen, damit ich nur eine lange Fahrt, die zurück, übernehmen müsse, dann eben per Mietwagen aus Hannover. Ich hatte wirklich darüber nachgedacht, und drei Haushalte (Eltern, SchwesterSchwager, ich) sind auch erlaubt, aber vielleicht ist es jetzt gerade sinnvoller, die Regeln nicht auszureizen, sondern sie noch enger zu fassen. Ich bleibe hier, wo mir nichts passieren kann und wo ich auch niemanden anstecke. Wie F. feiert, steht noch nicht fest, eventuell sitze ich hier am 24. alleine vor einem Racletteset, mit einem Käsebrot oder auch mit fünf Gängen nur für mich, ich weiß selber noch nicht, worauf ich eigentlich Lust habe. Aber meinen Geburtstag im März habe ich auch alleine überstanden, das wird schon okay sein. Bis dahin ist eventuell auch mein hochwertiges Schokoladenpaket aus Wien eingetroffen, das ich mir gegönnt habe, damit nicht alles so fürchterlich ist wie es sich gerade anfühlt.

Um mal wieder was Positives für mich festzuhalten: super Croissants! Sport gemacht und Spaß dabei gehabt! Eine warme Wohnung voller Bücher und mit einem bunten Weihnachtsbaum. Und gesund bin ich auch.

Tagebuch Samstag/Sonntag, 12./13. Dezember 2020 – Ausnüchtern

Der Freitagabend war von ein paar mehr Weingläsern durchzogen, als F. und ich das geplant hatten, aber man soll ja Feste feiern usw. Daher begann mein Samstag auch erst mittags, als F. sich wieder auf den Weg nach Hause begab und ich endlich den Abwasch machte, den ich normalerweise immer noch abends erledige, bevor ich ins Bett gehe. Wir genossen Freitag den jährlich im Dezember georderten norwegischen geräucherten Lachs, ich machte Kartoffelgratin dazu und es gab ein, zwei Gläser (Flaschen) Weißwein aus aller Herren Länder.

Meine einzige Tagesbeschäftigung neben Tee trinken, Stollen essen und Corona-Panik schieben war ein Gang zum Altglascontainer (ach was) sowie einer zur Packstation. Ja, ich ordere gerade Kram online, für den ich sonst in die Innenstadt geradelt wäre, aber jetzt gerade ist es mir lieber, Herrn Bezos noch reicher zu machen als mich mit tausenden Menschen in Kaufhäusern zu bewegen. Auch Etsy bekam ein bisschen Geld von mir, und damit war der Tag dann rum.

Ich erfreue mich weiterhin am modischen Account von Carole Tanenbaum. Neu entdeckt: die Fotografin Kathrin Koschitzki und deren neuesten Ableger Brot und Boden – Menschen bei der Arbeit.

Auch gestern blieb ich ewig im Bett, warum auch immer. Ich war um halb sieben wach, öffnete Jalousien und Gardinen, kroch dann aber wieder mit dem Handy unter die Bettdecke – und blieb dort bis halb zwölf.

Nachmittags gab’s Fußball, der aber überhaupt keinen Spaß machte. Nach zehn Minuten trafen sich der Augsburger Felix Uduokhai und der Schalker Mark Uth in der Luft so ungünstig, dass Uth sofort bewusstlos wurde, fiel und zehn Minuten lang auf dem Spielfeld behandelt werden musste, bevor er ins Krankenhaus transportiert wurde. Die Regie zeigte den Zusammenstoß nur einmal in Zeitlupe, danach konzentrierte man sich auf die umstehenden Spieler und zeigte die Behandlung, wenn überhaupt, nur aus der Totalen. Ein Schalker hielt eine Infusion, einige Spieler beteten. F. schaltete das Spiel ab, ich schaute weiter und war ausnahmsweise sehr froh, nicht im Stadion zu sein.

Ein paar Stündchen saß ich am Schreibtisch, um mich der Dissertations-Überarbeitung zu widmen, aber so richtig kann ich damit erst am Mittwoch anfangen, wenn ich mir vom Doktorvater sein korrigiertes Exemplar meiner Arbeit abhole und mit ihm die Veröffentlichung bespreche. Ich freue mich jetzt schon darauf, Bildrechte für 189 Abbildungen einzuholen. (Oder ich kürze einfach alles raus, was Arbeit macht, haha.)

Abends erneut Kartoffelgratin, weil lecker. Dabei am Ofen verbrannt und mich über den klugen Einkauf von Brandsalbe gefreut. Tolles Zeug.

Tagebuch Donnerstag/Freitag, 10./11. Dezember 2020 – Lesetage

Ich erwähne mal wieder Das Buch Alice, das ich jetzt fast durchgelesen habe. Es irritiert mich immer noch, weil es ständig hin- und herschwankt zwischen wissenschaftlicher Aufarbeitung und populärwissenschaftlicher Schreibe, ich habe immer noch kein System für die Endnoten erkannt (wann wird eine Quelle angegeben, wann nicht), aber inzwischen kann ich damit leben, denn ein Kapitel hat mir gereicht, um das Buch jetzt doch großflächig zu empfehlen. Das Kapitel „Bücherdiebe“ beginnt auf Seite 150 und hier geht es endlich um den Punkt, den das Buch machen möchte bzw. der im Untertitel steht: „Wie die Nazis das Kochbuch meiner Großmutter raubten.“

Ich zitiere im Folgenden sehr ausführlich, weil ich das korrekt wiedergeben möchte.

„Seit 1901 beliefen sich in Deutschland die Fristen für den Urheberschutz auf 30 Jahre. Ein Jahr nach der Machtübernahme ließ Hitler diese Fristen auf 50 Jahre erhöhen. Das neue Urheberrechtsgesetz, das noch bis 1966 galt, machte zwischen ‚arischen‘ und ‚nichtarischen‘ Autoren keinen Unterschied. Theoretisch hätte der Schutz des Urheberrechts also auch einer jüdischen Sachbuchautorin wie Alice zugutekommen können. Ihr Buch wurde 1935, ein Jahr nach Inkrafttreten des Gesetzes, in München vom Ernst Reinhardt Verlag publiziert. Trotzdem würde sie nach der Vorstellung der Nationalsozialisten nie von dem Gesetz profitieren, denn für diese waren Autoren ‚Treuhänder des Werks für die Volksgemeinschaft‘. Da Juden aus rassischen Gründen nicht Teil der ‚Volksgemeinschaft‘ sein durften, konnten ihre Werke keinen Wert haben und keinen rechtlichen Schutz genießen.“ (S. 151)

Ich meine, „Machtübergabe“ statt „Machtübernahme“ ist derzeit der gebräuchlichste Begriff, aber das nur nebenbei. In diesem Absatz begann bei mir die große Aufmerksamkeit, weil ich mich wieder an die vielen irrsinnigen Gesetze erinnerte, die ich im Studium kennengelernt hatte. Zum Beispiel die Legalisierung der Ausplünderung der jüdischen Menschen, falls diese in die Konzentrationslager im Osten deportiert wurden: Auschwitz galt zwar als erobert, aber nicht als reichsdeutsch, weswegen die Juden deutschen Boden verlassen hatten, weswegen ihr Hab und Gut im „Altreich“ nun eben diesem zufiel. (Elfte Verordnung zum Reichsbürgergesetz, 25.11.1941)

Die Ausplünderung betraf nicht nur materiellen, sondern auch geistigen Besitz wie eben Urheberrechte.

„Bis heute ist die ‚Arisierung‘ [Anführungszeichen von mir] von Büchern nicht untersucht worden. Es gibt nicht einmal eine einheitliche Bezeichnung für den Vorgang. Der Begriff ‚arisierte Bücher‘ wird bisher für ein anderes Verbrechen der Nationalsozialisten benutzt – man beschreibt damit die Plünderung jüdischer Bibliotheken. [1] Mit dem – sehr viel schwerer wiegenden – geistigen Diebstahl von Leistungen jüdischer Autoren und Herausgeber hat sich niemand beschäftigt. Es existiert noch keine Statistik über die ungefähre Zahl der Betroffenen. Das Thema kommt in der Forschung einfach nicht vor.“ (S. 151/152)

Auf den folgenden Seiten bespricht die Autorin die unterschiedlichen Möglichkeiten der Verlage, sich dem NS-System anzudienen, irgendwie um es herumzulavieren oder sich oppositionell zu positionieren, was eher selten vorkam. Genau diese Möglichkeiten sind mir auch in der Aufarbeitung von Teilbereichen des Betriebssystems Kunst im NS schon aufgefallen: Die Reichskulturkammer hatte zwar auf dem Papier große Macht, aber auch hier stritten sich verschiedene Unterorganisationen um Zuständigkeiten, weswegen es durchaus möglich war, durch die Maschen des Systems zu schlüpfen. Bei meiner Bearbeitung des Künstlers Leo von Welden stellte ich die These auf, dass dessen RKK-Mitgliedsnummer, die sich auf Bildrückseiten und Anmeldeformularen für Ausstellungen fand, schlicht ausgedacht war, weil er als Nicht-Deutscher bzw. Staatenloser gar nicht Mitglied dieser Kammer werden konnte. Im Zuge meiner Dissertation stieß ich im Hauptstaatsarchiv München in den Unterlagen zur Großen Deutschen Kunstausstellung 1944 auf diverse Anmeldeformulare, auf denen keine Mitgliedschaft angegeben wurde sowie Bitten um Ausnahmeregelungen, deren Gewährung teilweise als Telegramm oder Brief erhalten sind (auf der GDK durften nur Kammermitglieder ausstellen). Es gab also anscheinend Künstler und Künstlerinnen, die es bis 1944 nicht für nötig gehalten hatten, in die RKK einzutreten.

Urbach zitiert diverse Studien und Monografien, die ich alle auf meine „Lese ich irgendwann“-Liste gepackt habe, zum Beispiel Verlage im Dritten Reich von Klaus G. Saur (Hrsg., Frankfurt am Main 2013) oder Walter de Gruyter. Ein Wissenschaftsverlag im Nationalsozialismus von Angelika Königseder, Tübingen 2016. Schon etwas älter, aber vermutlich ebenso wichtig: Heinz Sarkowskis Der Springer-Verlag: Stationen seiner Geschichte Teil 1: 1842–1945, Berlin 1992. (Julius Springer, nicht Axel.) Oder auch Volker Dahm, Das jüdische Buch im Dritten Reich, München 1993.

Urbach gibt anschließend ihre erfolglose Bitte um Einblick in die Verlagunterlagen wider, das Buch ihrer Großmutter betreffend, das 1938 einen neuen Verfassernamen bekam und teilweise umgeschrieben wurde. Der Verlag behauptete, keine Akten mehr über diesen Vorgang und vor allem aus dieser Zeit zu besitzen. Urbach: „Um das einordnen zu können, muss man wissen, dass der Ernst Reinhardt Verlag 1974 und 1999 zwei Festschriften veröffentlichte, die auf Archivmaterial aus der Vorkriegs- und Kriegszeit beruhten.“ (S. 154)

Im Folgenden beschreibt Urbach, wie andere Verlage mit Anfragen umgingen und skizziert weitere „Arisierungen“ von jüdischem geistigen Besitz nach. Dieses Kapitel versöhnt mich sehr mit dem Rest des Buchs, das für meinen Geschmack zu oft und zu weit vom eigentlichen Kern wegführt. Ich mochte die nachvollziehbare Aufarbeitung des Vorgangs und seine historische und politische Einordnung sehr, denn es hat mein Wissen über die Kulturpolitik des NS sehr erweitert. Alleine dass es zu diesem Thema noch überhaupt keinen Forschungsstand gibt, war für mich sehr aufschlussreich.

[1] Jahn, Thomas: „Suche nach ‚arisierten‘ Büchern in den Beständen der Bayerischen Staatsbibliothek. Forschungsstand – Methode – Ergebnisse“, in: AKMB-news 11 (2005), Nr. 2, S. 7–12.

Tagebuch Dienstag/Mittwoch, 8./9. Dezember 2020 – Zoom mit Hamburch

Ich kopiere für Dienstag mal den Eintrag aus meinem Kontakttagebuch, das ein simples Word-Dokument auf meinem Desktop ist:

– ca. 12 Uhr Bäckerei Ziegler, keine Minute
– ca. 12.15 Weihnachtsbaumstand am Stadtarchiv, draußen, wir beide mit Maske
– 12.34 Busfahrt Nordbad bis Görresstraße, vier Minuten
(App 0)

„App 0“ bedeutet, ihr habt den Code vermutlich geknackt, dass die Corona-App gerade erfreulicherweise wieder mal 0 Kontakte anzeigt. Wie denn auch sonst, wenn ich nur einmal die Woche einkaufen gehe und sonst zuhause bleibe. Aber für Brot und Weihnachtsbäume muss ich eben unturnusmäßig für die Tür.

Ich verließ das Haus mit Maske, weil die Bäckerei ungefähr zwei Minuten Fußweg von mir weg ist, dann erspare ich mir dort das Rumzuppeln. Baguette gekauft (gerade backfaul), im Rucksack verstaut, zur Packstation gegangen, weil dort ein neuer Schwung FFP2-Masken auf mich wartete, hier bestellt. Dann zur Rückseite vom Stadtarchiv geschlendert, wo sich seit Jahren zur Weihnachtszeit ein Baumverkaufsstand befindet. Dort sehe ich auch jedes Jahr den gleichen Herrn, dessen Bairisch ich inzwischen scheinbar etwas besser verstehe. Ich guckte mir die Bäumchenauswahl an, nahm dann einen, der mir zwar etwas größer erschien als die aus den letzten Jahren, der aber gleich viel kostete. Er wurde in sein Transportnetz gehüllt, und dann trug ich ihn zur Bushaltestelle, von wo ich uns eine Kurzstreckenfahrt gönnte (ich vermisse mein Semesterticket ganz schrecklich). Die letzten Meter trug ich das Schmuckstück selbst, wir passten beide gerade so in den Fahrstuhl, und seit vorgestern abend steht er gnadenlos schon geschmückt und mit Lichterketten zugeballert in meiner Bibliothek. Normalerweise versuche ich eine Art Farbschema aus meinem ständig wachsenden Kugelvorrat zu erstellen, aber in diesem Jahr wollte ich es einfach bunt haben und so sieht es jetzt auch aus.

Ich hätte das Ding schon im Oktober aufstellen sollen; es ist erstaunlich, wie glücklich mich Kugeln und Lämpchen an Tannengrün machen.

Gestern morgen schnitt ich den Stollen an, den ich letzten Dienstag gebacken hatte: hervorragend geworden, vielleicht einen Hauch zu trocken, aber dafür hat Gott ja Butter erfunden. Ein Stück wurde zum Ostfriesentee verspeist, den zweiten Stollen verpackte ich mit allem Dämmmaterial, was in den letzten Monaten hier aufgelaufen ist, der geht zum Ex-Kerl nach Hamburg. Erneut zur Packstation gegangen, dieses Mal, um ein Paket aufzugeben.

F. und ich gehen sonst im Dezember gerne auf den Augsburger Weihnachtsmarkt, wo der Herr dem klassischen Glühwein zuspricht und ich mich überwinde, eine Köstlichkeit namens „Zirbelzauber“ zu bestellen: eine Art Fruchtpunsch mit Wein und möglicherweise mit Schuss.

(Gerade im eigenen Blog nachgeguckt, wann wir im letzten Jahr da waren: am 1. Dezember, hier das Foto von damals, weil’s schön ist.)

Da der Besuch in diesem Jahr ausfällt, wollten wir den Markt für unsere Date Night nachstellen: Ich ergoogelte mir lustige Rezepte für die dort immer genossene Bosna und für die beiden Glühweinspezialitäten und testete das meiste davon auch schon an. Den Pseudo-Zirbelzauber bereitete ich gestern für einen Zoom-Call mit den beiden Hamburger Damen zu, die beide das Rezept wollten:

Man erwärme
500 ml Weißwein und
300 ml frisch gepressten Orangensaft, in die man noch
1 Zimtstange,
3 Nelken,
1 Stück Orangenschale,
80 g weißen Kandis sowie
4 EL weißen Rum gibt.

Den Kandis habe ich mir gespart, der Rum war braun und bei mir lagen noch vier leicht angedrückte Kardamom-Kapseln im Sud. Sehr schmackhaft.

Wir klönten und quatschten, mein Internet wackelte wie immer (muss doch mal einen neuen Router anschaffen, glaube ich), das war alles sehr nett, und auch nachdem Lektorgirl todmüde aus dem Meeting plumpste, redeten wir Rest-Zwei noch ein bisschen weiter. Ich bin nun mit Buchtipps versorgt für die kommenden langen Winternächte und die Damen mit ein bisschen Gesöff. This is the way.

Lemon and Cream Cheese Cookies

Vorgestern, direkt nach dem Backen, nölte ich über die Kekse, dass sie eher nach Kuchen schmecken, aber nach einer Nacht Rumliegen in einer nicht ganz fest verschlossenen Dose sind sie etwas ausgehärtet, und jetzt lasse ich sie durchgehen.

Das Rezept aus der Washington Post (eventuell hinter einer Paywall für Nicht-Abonnentinnen) behauptet, dass die Kekse sich nur drei Tage halten. Ich werde das ausreizen. Drüben stehen auch die Mengen für angeblich 50 Kekse, aus der untenstehenden Menge sind bei mir 21 rausgekommen. Die waren allerdings handtellergroß, ich komme noch darauf zurück.

In einer Rührschüssel
125 g Kristallzucker mit
der abgeriebenen Schale von 2 Bio-Zitronen vermixen. Laut Rezept zwei Minuten, bis alles duftet. Tat es bei mir nicht mehr als vor dem Mixen, aber nun gut.

In dieselbe Schüssel nun
115 g zimmerwarme Butter,
55 g Frischkäse,
20 g braunen Zucker,
3/4 TL Speisestärke,
1/2 TL Salz sowie
1/2 TL Natron geben und alles bei mittlerer Geschwindigkeit gut vermixen.

1 Ei unterrühren, danach
190 g Mehl vorsichtig unterrühren oder -heben, nur so, dass keine Mehlnester mehr zu sehen sind. Wer mag, gibt noch gelbe Speisefarbe oder Zitronenextrakt zum Teig, ich habe mir das geschenkt.

Den Teig nun für eine halbe Stunde lang im Kühlschrank parken. Er ist sehr weich, kalt verarbeitet er sich besser.

Den Ofen auf 200° Ober- und Unterhitze vorheizen.
50–75 g Kristallzucker in einen tiefen Teller geben.

Aus dem Teig nun, laut Rezept, circa 20-g-Bällchen abstechen, das ist ein gut gehäufter Teelöffel. Mir waren die Kekse damit zu groß, ich würde beim nächsten Mal auf haselnusskleine Bällchen gehen. Die Teigbällchen schnell mit den Händen zu halbwegs kugeligen Kugeln formen und im Zucker im Teller wälzen. Auf ein mit Backpapier ausgelegtes Backblech geben und dabei mindestens 5 Zentimeter Platz zwischen den Kugeln lassen, die Kekse laufen sehr auseinander.

Bei 200 Grad für 8 bis 10 Minuten backen, bei mir sahen sie erst nach 12 so aus, wie ich sie haben wollte: breit auseinandergelaufen mit einer kleinen Haube in der Mitte, die Oberfläche darf aufreißen, die Ränder sind leicht gebräunt. Die Kekse aus dem Ofen nehmen und mit einem Cup-Maß oder einem Glas den Huckel auf der Oberfläche sanft eindrücken. Dann vollständig abkühlen lassen.

Falls ihr dieselben Bleche mehrfach verwendet, diese vorher wieder abkühlen lassen, bevor die nächsten Kekse aufgelegt werden (sagt die WaPo). Bei den weihnachtlichen Temperaturen reichten bei mir dafür genau die zehn Backminuten des zweiten Blechs, um das erste am offenen Küchenfenster wieder kalt zu kriegen.

Wenn die Kekse ausgekühlt sind, noch mit einem Guss versehen. Dazu
190 g Puderzucker mit
1 Prise Salz sowie
40 ml Zitronensaft anrühren, das war bei mir eine Zitrone. Ich fand die Gussmenge allerdings viel zu hoch; mischt erstmal die Hälfte davon an und guckt, ob es reicht. Dann lustig dippen, streichen oder kleckern, ich habe mich für Kleckern entschieden.