Tagebuch Freitag, 8. Januar 2021 – Der Baum ist weg

Mein Weihnachtsbaum hatte die letzten Tage abgeschmückt auf dem Balkon verbracht, weil ich ihn nicht mehr in der Bibliothek haben wollte, Weihnachten ist lange vorbei. Gefühlt eine Ewigkeit. Seit dem 7. Januar hätte ich ihn auf einen der Sammelplätze bringen können, mein nächster ist netterweise nur wenige hundert Meter von der Haustür entfernt. Am Donnerstag konnte ich mich nicht dazu aufraffen, aber gestern war das mein erster Tagesordnungspunkt. F. hatte eine große Plane mit Kabelbindern vorbeigebracht, damit ich den Baum nadelfrei durchs Treppenhaus kriegen könnte, aber, wie ich interessiert feststellte, nadelte das gute Ding so gut wie gar nicht, als ich es brachial vom Balkon ins Arbeitszimmer zog. Daher verzichtete ich auf die Plane, trug ihn durchs Treppenhaus und zur Sammelstelle und musste danach nur wenige Minuten in der Wohnung staubsaugen. Mach’s gut, Bäumchen, schön, dass du da warst.

Im letzten Jahr war ich übrigens eine der ersten gewesen, die den Baum ablegten, gestern quollen mir schon die Bäume bis auf den Gehweg entgegen. Ich nehme das als Zeichen dafür, dass viele Menschen Weihnachten zuhause geblieben sind und sich vielleicht mal ein Baum gelohnt hat. Oder es war Zufall, aber ich möchte mal wieder an das Gute im Menschen glauben.

F. hat auch wieder etwas Hoffnung. Wenn auch weniger auf die Menschen.

Meine Diss ist zerhackt, die Biografie Protzens neu geschrieben, die neue Struktur funktioniert bis jetzt. Ein Tipp vom Lektorgirl war, beim Umschreiben an die Leserin zu denken, und ich musste mir eingestehen, dass ich die ernsthaft vergessen hatte. Stattdessen hatte ich die Prüfungskommission im Kopf, der ich zeigen wollte, in wievielen tollen Archiven ich irre viel gelesen hatte. Darüber ärgere ich mich jetzt wieder wochenlang, dass ich als Werberin meine Zielgruppe verfehlt habe. Aber gut, dann denke ich daran eben jetzt.

Zwischendurch aus dem Roggensauerteig ein Mischbrot gebacken, das die Nacht im neuen Gärkörbchen verbringen durfte. Das sah dementsprechend hübscher aus als alles, was ich bisher produziert hatte. Leider war es innen, ähnlich wie mein erstes reines Roggenbrot, viel zu dicht und klietschig, schmeckte aber trotzdem gut.

Ich buk trotzdem abends noch ein schnelles Toastbrot, weil ich Lust auf ein unkompliziertes Brot hatte. Dafür griff ich zum Buch, aus dem ich das Rezept hatte, anstatt meine Abschrift nachzulesen und stellte wieder fest, dass der Teig viel zu flüssig war. Habe jetzt gnadenlos im Buch notiert, dass ich erstmal ein Ei statt zweien in den Teig werfe. F. panisch: „NIMM DOCH EIN POST-IT!“ Ich bockig: „In meine Bücher darf ich so viel reinmalen wie ich will.“

Nachmittags ein schönes Zoom-Gespräch gehabt und mich als Kunsthistorikerin ernstgenommen gefühlt, das ist immer noch neu für mich.

Abends war wieder unsere wöchentliche Date Night. Wir besprachen die Situation in den USA, aber bevor wir endgültig schlechte Laune bekamen, zogen wir wieder Karten mit Gesprächsthemen.

Ich erfuhr entsetzt, dass F. den Klassiker „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“ noch nicht gelesen hatte und drängte ihm sofort mein Exemplar auf, das weniger Unterstreichungen aufwies als ich dachte. Ich musste mich fragen lassen, was ich im Louvre anschauen wollte, wenn wir denn endlich mal wieder hinkämen, denn, peinlich, ich weiß, aber egal, ich mach ja nix mit Kunstgeschichte, ich war noch nie im Louvre. Dabei fiel mir auf, dass ich eigentlich nur zwei Werke wirklich sehen wollte: die Nike von Samothrake sowie das angeblich einzige Reiterstandbild aus karolingischer Zeit, von dem uns ein Dozent im, keine Ahnung, dritten Semester mal erzählt hatte. Auch die Mona Lisa würde ich gerne sehen, aber die kann man ja gar nicht vernünftig anschauen, und dann isses auch egal. In diesem Zusammenhang fiel mir auf, wie toll das war, dem Milchmädchen im Rijksmuseum so nahe gekommen zu sein, und wir vermissten kurz gemeinsam Amsterdam. F. wies zu Recht auf die Freiheit, die das Volk anführt hin, ja, klar, guck ich mir an. Und eben beim Googeln sah ich, dass auch Ingres’ Odaliske da hängt, die nehme ich auch noch mit. Und den ganzen italienischen Flügel. Aber eigentlich möchte ich mehr das Gebäude ansehen und mal die langen Gänge runterbummeln.

Über Tim & Struppi und Hellboy gesprochen (meine Lieblingscomics), Bone und Asterix (F.s Lieblingscomics), Calvin & Hobbes (außer Konkurrenz), Alan Moore, klassische amerikanische Filme, Kinoerlebnisse und bestimmt noch mehr.

Gemeinsam eingeschlafen.

Tagebuch Donnerstag, 7. Januar 2021 – Grobes Zerhacken

Den ganzen Tag am Schreibtisch gesessen und meine Diss in Einzelteile zerlegt. Wo ich in den letzten Tagen vorsichtig hin- und herschob, wurde mir gestern klar, dass doch eher gröbere Werkzeuge eingesetzt werden müssen. Ich nahm die einzelnen Dokumente, in die ich bisher sehr großflächig, aber eben neu angeordnet, alte Teile der Diss kopiert hatte und kürzte sehr brachial. Erst abends wurde mir klar, dass ich vermutlich vieles neu schreiben müsste, weil die einzelnen Brocken sich jetzt eher seltsam lesen.

Als mir das klar wurde, aß ich Schokolade und ging aufs Sofa, wo ich viel zu spät Cobra Kai für mich entdeckte. Ich habe Karate Kid nie gesehen und weiß auch, dass Filme aus den 80ern, gerade aus feministischer Perspektive, meist sehr schlecht altern, daher werde ich das nicht nachholen. Aber Cobra Kai fand ich größtenteils sehr hübsch und unterhaltsam.

Was schön war, Sonntag bis Mittwoch, 3. bis 6. Januar 2021 – Bis 19 Uhr am Mittwoch war’s okay

Beim Sauerteigauffrischen am Samstag war ich dusselig gegen meine Schüssel mit Wasser gekommen, in der ich das nächste Glas und den Löffel, mit dem ich das Mehl aus der Tüte schöpfe, abkoche, es ergoss sich über meine flache Digitalwaage, ich dachte mir nichts dabei, trocknete das Ding oberflächlich ab und stellte es wie immer hochkant in die Fensterlaibung, wo es hingehört.

Am Sonntagmorgen wollte ich mein erstes Roggensauerteigbrot ansetzen – ich hatte noch nie mit Roggen gearbeitet, mit Weizensauerteig im vergangenen April, Mai, keine Ahnung, das letzte Jahr verschwimmt total, ich weiß nur, wann ich die Diss abgegeben und verteidigt habe und wann ich im Norden war, alles dazwischen ist egal. Ich wusste also nicht, wie das Brot aussehen musste, aber zunächst wollte ich alle Zutaten abwiegen, wobei meine Waage mir nicht meine übliche „0“ anzeigte, sondern irgendwelche kryptischen Zeichen. Ich erinnerte mich ungut an das Wasser, drückte auf alle Knöpfe, die da waren, aber es blieben kryptische Zeichen. Ich versuchte einen Batteriewechsel, der nichts brachte, aber bei dem ich merkte, dass die alte Batterie feucht zu sein schien. Ich schraubte die Waage auf, was nur an drei Ecken möglich war, trocknete das Innere so gut es ging mit Papiertüchern ab, schraubte sie wieder zusammen – und bekam nun „Error“ angezeigt. Fluchend holte ich Mütterchens uralte Analogwaage aus dem Schrank, die ich genau für solche Fälle aufgehoben habe – oder solche, wo ich vergessen haben könnte, Batterien nachzukaufen, was mir nur einmal passiert ist und dann, genau deshalb, nie wieder, jede, die Sonntags spontan Kuchen ohne Waage backen wollte, weiß was ich meine. Mit dieser Waage schätzte ich mehr als dass ich vernünftig abwog, die Zutaten für das Roggenbrot, vergewisserte mich auf Twitter, dass der Teig sich wirklich wie Fensterkitt anfühlen müsse und nicht wie mein gelieber Weizenteig, und ließ das Brot stehen.

Montag morgen wurde es gebacken – und es war schon ziemlich nah dran an dem, was ich erhofft hatte. Es war vermutlich etwas zu kurz im Ofen, von außen sah es top aus, innen am Boden war es etwas zu klietschig und generell etwas zu fest, aber geschmacklich war es herrlich.

Ach, und die Waage ging nach ein paar Stunden auch wieder, yay!

Montag abend kam F. vorbei. Wir merken seit einigen Wochen, dass uns die Gesprächsthemen ausgehen, weil uns Impulse von außen fehlen, die Arbeit so vor sich hinbummelt, die Diss-Umarbeitung noch etwas stockt, und irgendwann kann man sich auch nicht mehr über die Pandemie oder Trump unterhalten. Also schlug ich vor, eine Taktik von Monty Python anzuwenden. Ich weiß nicht mehr, in welchem Film oder in welcher Flying-Circus-Episode es vorkam, aber irgendwann werden Gästen in einem Restaurant Gesprächskarten angeboten für die Konversation. Also holte ich meine alten, leeren Vokabelkarten aus dem Bürocontainer, wir schrieben wild Zeug darauf und zogen unsere Themen.

In meinem Insta-Stream und auf Twitter sehe ich dauern Leute Brettspiele spielen, was ich jahrelang gern gemacht habe (Inkognito! Risiko! Monopoly!) und nun überhaupt nicht mehr tue, weil die Gelegenheit fehlt. Vom letzten Besuch im Norden brachte ich Jenga mit, Abalone und eine dieser unvermeidlichen „400 SPIELE IN EINEM“-Sammlungen, die ich mal für den Ex-Kerl und mich angeschafft hatte; da waren sogar noch Spielfiguren und Würfel eingeschweißt. So viel zum Thema Spielen mit dem Kerl. Wir sprachen über Kindheitserinnerungen und welche Spiele wir sonst noch mochten und verabredeten uns für Trivial Pursuit.

Auf Proust kamen wir durch einen kurzen Artikel im Tagesspiegel, den ich retweetet hatte, in Rom waren bei beide schon mal, aber noch nicht gemeinsam (noch einmal in die Vatikanischen Museen ohne Gruppenzwang!), und beim Thema Cocktails erinnerte ich mich daran, dass ich schon lange keinen French 75 mehr getrunken hatte, einen meiner Lieblinge, während F. eher Sours zuspricht. Das Thema Ausstellungen war eher bittersüß, wir vermissen Museen sehr. Ein Lerneffekt dieses Abends: Sobald es geht, rennen wir ins Haus der Kunst und schießen uns danach gepflegt in der Goldenen Bar ab. (Vielleicht bringe ich Jenga mit.)

Dienstag morgen saß ich früh am Schreibtisch, um mich endlich dazu zu überwinden, die Diss komplett auseinanderzupflücken und neu zusammenzusetzen. F. schlief aus, er hat noch Urlaub, und weil sein Warmwasser am Montag nur lauwarm war, blieb er länger hier und duschte gleich noch. Das passiert sehr selten, dass einer von uns beim anderen duscht oder sogar frühstückt, meistens trennen wir uns gleich nach dem Aufstehen und jeder beginnt seinen Tag für sich. Das fiel mir irgendwann im Norden auf, als das Mütterchen vor einem Besuch von F. fragte, was er denn frühstücke, was ich gar nicht so genau wusste, weil wir eigentlich nur im Urlaub in Hotels gemeinsam morgens am Tisch sitzen. Das war schön, ihn etwas länger hier zu haben, es hat sich fast wie Zusammenwohnen angefühlt. Hier den üblichen Eintrag zu Wohnungen für Paare in München einfügen und dass wir schon gar nicht mehr suchen, auch weil wir nicht an den Stadtrand ziehen wollen, und deswegen wohnen wir halt weiter getrennt. An manchen Tagen finde ich das mehr schade als an anderen, und deswegen freue ich mich immer, wenn sich die räumliche Trennung kurz nicht mehr so anfühlt.

Der Diss-Umbau dauerte den ganzen Tag und fiel mir ungewohnt schwer. Eigentlich kann ich ganz gut Darlings killen, und ich habe inzwischen auch genug Abstand von der Diss, um zu sehen, welche Teile wirklich verzichtbar sind, aber es zog und zog und zog sich. Zwischendurch schrieb ich eine Hilfemail an das Lektorgirl, ob sie Tipps habe, was ein bisschen half. Ich weiß immer noch nicht, ob das der richtige Weg ist, aber ich wollte es einmal konsequent durchspielen. Verwerfen kann ich es immer noch. Gestern war ich der Meinung, es ist top, heute denke ich, ach, ich lass alles so, wie es ist.

Abends las ich 1979 von Kracht in zwei Stunden durch, den ich vorher aus der Packstation geholt hatte, und fing gleich mit Faserland noch einmal an. Das beendete ich gestern. Das Ding ist überraschend gut gealtert, mir gefällt es sogar jetzt, als eine Art Zeitkapsel, deutlich besser als direkt nach Erscheinen.

Gestern morgen wachte ich bereits um 4.30 Uhr auf und war nervigerweise hellwach. Zwei Stunden las ich das Internet leer, bis ich aufstand. Mein Gehirn war allerdings eher Matsch, aber da gestern in Bayern Feiertag war, nahm ich mir den einfach, aß Roggenbrot und zwei aufgetaute Croissants und ein paar Stücke dieser tollen Schokolade von François Pralus (immer noch nicht alle, an der knabbere ich seit zwei Wochen, das gab’s noch nie). Ich freute mich über den ersten Schnee im Jahr und das Licht, das in dieser Wohnung liegt, wenn draußen alles weiß ist.

Um 19 Uhr schaltete ich C-SPAN ein, um mir anzuschauen, wie die Electoral Votes vom Senat ratifiziert wurden, aber dann kam erst einmal alles anders. Hamburg rief an, als ich gerade panisch CNN online suchte, was ich während der Wahl problemlos schauen konnte, aber jetzt nicht mehr (auf dieser Seite geht’s), und wir sahen dem Idiotenaufstand 30 Minuten lang gemeinsam fassungslos zu.

Dieses Bild blieb bei mir länger hängen, es stammt von Mike Theiler/Reuters.

Um Mitternacht war ich für diesen Hinweis sehr dankbar und ging, sehr ernüchtert und aufgewühlt, schlafen.

Ein fangirliges Dankeschön …

… an Thomas, der mich mit Christian Krachts 1979 überraschte. Das Buch war der letzte Roman, der mir in der Kracht-Reihe im eigenen Regal noch fehlte. Und weil er nur 182 Seiten lang ist, fing ich gestern spontan an zu lesen. Zwei Stunden später hatte ich das Büchlein durch, insofern ist diese Danksagung auch gleich eine Kurzrezension: hat mir sehr gefallen, aber mir gefällt ja alles von Kracht.

So schön im Schwung zog ich gleich noch seinen Erstling Faserland aus dem Regal, den hatte ich laut Stempel im Buch 2002 erworben und vermutlich gleich gelesen. (Erneut ein Dankeschön an den ersten Ex-Freund, der Stempel ist immer noch eines der besten Geburtstagsgeschenke ever.)

Dort musste ich auf Seite 35 kurz mit den Augen rollen, weil ich nicht mal in meiner Freizeit vor meinem Diss-Thema sicher bin. Dort schreibt Kracht nämlich, faktisch falsch, aber wir sind hier schließlich in einem Roman mit einer bräsigen Hauptfigur: „Das ist nämlich so: In Deutschland gibt es eine Art Abkürzungswahn, der von den Nazis erfunden worden ist. Gestapo und Schupo und Kripo, das ist ja klar, was das heißt. Aber es gab auch zum Beispiel die Hafraba, und das wissen, glaube ich, nur wenige, das heißt Hamburg-Frankfurt-Basel, und das war die Abkürzung für die Hitler-Autobahn.“

Vielen Dank für das Geschenk, ich habe mich offensichtlich sehr gefreut.

Ein kulturelles Dankeschön …

an Andreas, der mich mit Jörg Osterlohs »Ausschaltung der Juden und des jüdischen Geistes«: Nationalsozialistische Kulturpolitik 1920–1945 überraschte. Auf das Buch wurde ich durch einen Tweet des Fritz-Bauer-Instituts aufmerksam gemacht – generell ein sehr folgenswerter Account, wenn man sich nicht nur mit der Geschichte zwischen 1933 und 1945 beschäftigt, sondern auch mit den Nachwirkungen, vor allem in der Bundesrepublik. Über die Website des Instituts fand ich zum Beispiel auch folgenden Aufsatz von Jens-Christian Wagner: „Arbeit und Vernichtung im Nationalsozialismus. Ökonomische Sachzwänge und das ideologische Projekt des Massenmords“, in: Einsicht. Bulletin des Fritz-Bauer-Instituts: Arbeiten für das Reich: Ehre, Ausbeutung, Vernichtung 12 (2014), S. 20–27, das hier abrufbar ist. Darin fand ich noch Details zur Zwangsarbeit an den Reichsautobahnen, die ich in der Diss zitieren konnte.

Vielen Dank für das Geschenk, ich habe mich sehr gefreut – und im Buch gleich nach weiterer Literatur für die Druckfassung der Diss gestöbert.

Blaubeermuffins

Ich bin gerade beim Projekt „Tiefkühlfächer leeressen“. Dort fand sich beim Abtauen noch ein Rest TK-Blaubeeren, der am Wochenende in Muffins wanderte. Leider hatte ich die unglaublich bescheuerte Idee, blaue Speisefarbe in Schokoladenbuttercreme zu tropfen, weswegen das hübsche Häubchen auf dem Backwerk die Farbe von Baby Yoda hat. Fazit: Die Muffins waren super, weswegen ich mir das Rezept merken möchte, die Creme schmeckte auch, aber das Foto zum Rezept ist wirklich grauenhaft. Entschuldigung. Wird ersetzt, sobald ich wieder Blaubeeren habe – die dann zwei Jahre im Tiefkühler liegen.

Für ca. 12 Stück – ich habe die Menge unten gedrittelt und fünf ordentliche Muffins herausbekommen. Auch praktisch: Wir brauchen kaum Geschirr, ein nicht zu kleiner Topf sowie das Muffinblech, mit Papierförmchen ausgelegt, reichen schon.

250 g TK-Blaubeeren auftauen und abtropfen lassen, die Beeren mit ein wenig Mehl bestäuben. Bei frischen Blaubeeren entfällt dieser Schritt.

125 g Butter im Topf schmelzen. Mit einem Schneebesen
135 g Kristallzucker,
1/2 TL Vanillezucker einrühren, danach
125 ml Milch und
2 Eier.

Zu diesen Zutaten nun
350 g Mehl, Type 405,
2 TL Backpulver und
eine gute Prise Salz geben und vorsichtig verrühren. Abschließend die bemehlten Blaubeeren genauso vorsichtig unterheben.

Die Muffinförmchen zu gut zwei Dritteln füllen und im auf 190° (Ober- und Unterhitze) vorgeheizten Ofen für ca. 18 Minuten backen, Stäbchenprobe machen, bei mir kamen 18 genau hin.

Ich fand die Muffins nicht zu süß, schön locker, mit genau der richtigen Menge Frucht darin, und wenn ich nicht die seltsame Idee mit der Buttercreme gehabt hätte, aber egal. Und die restliche Weihnachtskuvertüre ist nicht mal alle geworden, verdammt. Wir merken uns: Speisefarbe nur in Macarons.


(Bildquelle)

Fotorückblick 2020

Die Idee stammt von Joel, die Kaltmamsell erinnerte mich vorgestern in ihrem Blog daran. Hier sind die Spielregeln – kurz gesagt: 24 Bilder, möglichst zwei Bilder pro Monat, selbst erstellt –, unter Joels Rückblick werden alle Einträge gesammelt.

Wie praktisch, dass WordPress einen die Monate einzeln anwählen lässt, so hatte ich einen guten Überblick über die Bilder, die ich im Blog hatte – und konnte wenig überrascht sehen, dass ich hauptsächlich meine Mahlzeiten fotografiere. Instagram und Twitter habe ich nicht durchsucht, das dürftet ihr aber laut Spielregeln.

Januar


2019 bereits erworben, 2020 endlich aufgehängt: ein Foto von Christian. Leider immer noch nicht hinter vernünftigem entspiegeltem Glas, das ist gerade finanziell nicht drin.


Das erste Mal Genius bei der Spelling Bee der NYT. Dass die Biene dann einen Doktorhut kriegt, war durchaus ein Ansporn. Inzwischen weiß ich, dass nach der vermeintlich höchsten Spielstufe Genius noch die Queen Bee kommt; für die muss man alle Worte erraten, die es gibt, es wird aber nirgends angezeigt, wieviele das sein könnten. Dazu fehlt mir grundsätzlich der Ehrgeiz, das habe ich noch nie geschafft.

Februar


Papa übt seine Unterschrift.


Zum ersten Mal in der Bibliothek des Deutschen Museums gewesen. Auf die Idee hätte ich, die ein technisches Thema in der Diss hat, auch mal früher kommen können.

März


Der für einige Zeit letzte Archivbesuch, hier das der Technischen Universität München, wo ich erfolglos in Personalakten blätterte.


Ausnahmsweise drei Bilder pro Monat, die Grippeimpfung wollte ich festhalten, auch weil die im November wegen fehlendem Impfstoff nicht geklappt hat.


Erstmals richtig gute Croissants hingekriegt, danke, Aurélie.

April


Erste selbstgenähte Maske, dazu zerschnitt ich eine Stoffserviette, die ich noch nie benutzt hatte. Die Maske trug ich einmal fürs Foto und einmal draußen, danach nähte ich bessere, die ich aber sehr schnell durch die blauen OP-Masken und irgendwann FFP2 austauschte.


Der erste Spargel.


Das letzte Mal, dass ich im Historicum in der Bibliothek saß – nicht nur für die erste Welle, sondern bis heute. Das wusste ich aber zu diesem Zeitpunkt noch nicht, sonst hätte ich emotionale Übersprungshandlungen ausgeführt. Die Historicums-Bib ist eine meiner liebsten im Studium gewesen, direkt hinter der im Zentralinstitut für Kunstgeschichte.

Mai


Das erste Mal im Asiashop groß eingekauft.

Juni


Der erste Kneipenbesuch seit Ewigkeiten. Kein Bier schmeckte je besser.


Das wichtigste Bild des Jahres: vier Exemplare der ausgedruckten Dissertation, drei bekam die Uni per Post, eins trug ich dem Mütterlein in den Norden – nur um es ein paar Monate später als Vorbereitung für die Verteidigung wieder mitzunehmen. Liegt immer noch hier, Mama kriegt dieses Jahr die Buchversion.

Juli


Ich besitze nun eine Nähmaschine.


Einer von zwei Biergartenbesuchen im letzten Jahr.

August


Beim Besuch im Norden an das uralte Gericht der Apfelklößchen erinnert worden, die hatte ich seit meiner Kindheit nicht mehr gegessen. Rezept von Mama: Pro Person ein Ei, dann Mehl, „bis der Teig gut aussieht“ und Stückchen von geschälten Äpfeln. Der Teig sollte sehr zäh sein, so dass man halbwegs Nocken abstechen kann. In kochendes Wasser geben, bis sie fest sind (dauert nicht lange), dann in Butter anbraten und mit Zimt und Zucker servieren.

September


Ein Mitbringsel vom Besuch: das altes Beilchen von Omi. Verstanden, warum Hackfleisch Hackfleisch heißt. Hier im Bild Ente, daraus wurde ein hervorragender thailändischer Salat.


F. war und ist mein knuffelcontact und so ziemlich meine ganze Blase im letzten Jahr. Die einzigen Menschen, die ich sonst regelmäßig traf, waren die Kassierer:innen im Supermarkt und meine Eltern im Norden. Hier fotografiert mein Herzblatt gerade Bienen im Garten seiner Tante.

Oktober


F. fotografierte ein paar großformatige Protzens, die ich professionell gerade hielt.


Ein Besuch im Tantris. Entschuldigung, dass ich das Restaurant auf seine Damentoilette reduziere, aber sie ist so großartig.

November


Die Dissertation erfolgreich per Zoom verteidigt und mit F. drei Flaschen Champagner darauf geleert. Wann wenn nicht jetzt, wann wenn nicht in diesem Jahr.


Meine Schwester bastelte mir einen Doktorhut.

Dezember


Wieder im Norden gewesen, Papa für drei Wochen in die Kurzzeitpflege gebracht, weil meine Mutter das nicht konnte.


Den Weihnachtsbaum schon am 9. Dezember aufgestellt und geschmückt, weil ich Weihnachtsbäume so gerne mag. Er ist aber bereits abgeschmückt, das passiert spätestens am 28. Dezember, wie ich das aus dem protestantischen Norden gewöhnt bin, der lungert hier nicht noch bei Dreikönigstag rum. Das alte Jahr ist durch, weg damit.

Sieht jetzt im Rückblick aber doch ganz gut aus, danke für die Idee!

Tagebuch Samstag, 2. Januar 2021 – Someone, something, yourself

Die NY Times beginnt gerade eine siebentägige Serie, in der sie uns dazu auffordert, gute Eigenschaften, die wir uns während der Pandemie (bzw., ich ergänze, ihrer Anfangszeit, wir sind ja noch mittendrin) angewöhnt haben, beizubehalten. Der erste Tipp war: Dankbarkeit zeigen.

Das ist für mich kein ganz neuer Gedanke. Als es mir vor Jahren schlechter ging, Umzug, Trennung, was weiß ich noch, begann ich hier im Blog die Rubrik „Was schön war“, um mich selbst daran zu erinnern, dass ich zwar gerade in einem Loch sitze, mich da aber auch wieder herausbuddeln kann anstatt immer tiefer einzugraben. Vorsicht, traurig sein ist etwas anderes als depressiv zu sein, daher stolperte ich auch über einige Formulierungen im Artikel zur Serie, in dem stand: „Numerous studies show that people who have a daily gratitude practice, in which they consciously count their blessings, tend to be happier, have lower stress levels, sleep better and are less likely to experience depression.“ Ich bin mir nicht sicher, ob Bloggen über gute Dinge wirklich davor bewahrt, depressive Schübe zu haben, aber schaden kann es sehr sicher nicht.

Der Artikel schlägt verschiedene Taktiken vor: Mails oder Briefe an Menschen schreiben, denen man für irgendwas dankbar ist – die muss man nicht abschicken, aber man sollte seine Gedanken verschriftlichen. Das kann das Mütterlein sein, das einen finanziell unterstützt (ich habe diese Dankbarkeit auf einer Weihnachtskarte notiert, die ich auch abgeschickte) oder die Verkäuferin beim Bäcker, die heute besonders freundlich war, oder der Mensch auf Twitter, der einen durch ein niedliche-Tiere-Video kurz hat lächeln lassen, was auch immer.

Eine Idee war, sich gleich auf drei Items zu konzentrieren, denen man dankbar ist: Someone, something, yourself. Denn das vergessen manche von uns auch gerne: sich selbst für etwas zu danken, auf sich selbst stolz zu sein, froh darüber zu sein, dass man sich hat. Musste ich auch erst lernen.

Ich möchte nicht wieder jeden Blogeintrag mit „Was schön war“ übertiteln, aber gestern passte das gut, weil ich gefühlt gar nichts gemacht habe, aber dann doch so viel, was schön war. Also: Was schön war, Sonntag, 2. Januar 2021, was gleichzeitig eine Übung in Dankbarkeit ist.

Zum ersten Mal ein neues Jahresdatum getippt. F. hatte gestern einen guten Gedanken: Er meinte, auch wenn alle sagen, 2021 ist erstmal wie 2020, die Grundsitation hat sich ja nicht geändert, hätte es für ihn doch einen psychologischen Effekt, eine neue Jahreszahl zu schreiben. 2020 war ein Jahr, in dem er konstant daran erinnert wurde, was gerade NICHT geht oder ging: die letzten vier Beethoven-Sinfonien der Wiener Philharmoniker, die im März abgesagt wurden. Wir hatten Karten für die Fußball-EM der Männer, er wäre in Budapest und Dublin gewesen, nach Dublin wäre ich mitgekommen, wir wollten am Bloomsday dort sein. Er hatte sich auf Wacken und Rage against the machine in Wien gefreut, auch nach Wien wäre ich mitgekommen, wobei mein Plan statt Musik eher rumliegen und Torte essen gewesen wäre, das geht in Wien ganz hervorragend. 2021 ist noch ein unbeschriebenes Blatt. Wir haben noch keine Termine, keinen gebuchten Urlaub, einzig eine Konzertkarte für Igor Levit im April liegt hier rum, aber wir gehen jetzt schon davon aus, dass das Konzert verschoben wird. 2021 ist anders anstrengend als 2020 und vielleicht ein bisschen weniger, ich zitiere seine DM: „Die Leere fühlt sich nicht mehr wie ein Verlust an, sie ist halt einfach.“

Ich bin dankbar dafür, einen schlauen Herrn an meiner Seite zu haben.

Einen Roggensauerteig in die Welt gesetzt. Heute ist erstmals Backtag mit dem neuen Wunderwerk. Als F. unser Silvestermenü aus der Innenstadt abholte, brachte er mir gleichzeitig aus der Hofbräuhaus-Kunstmühle sieben Kilo Mehl mit, ich habe nun erstmals Roggenvollkornmehl im Haus und noch drei andere Sorten, die ich vorher nicht besaß. Daraus wächst seit Tagen ein Sauerteig vor sich hin, und heute werde ich erstmals ein Roggenbrot ansetzen. Der Teig heißt Rosinante, wei Roggenbrot, RO, gell? Für den Weizensauerteig, den ich auch noch ansetze, fiel mir als erstes der Name Wehner ein, warum auch immer, also wird er so heißen.

Ich bin dankbar dafür, dass mir Blogleser:innen Bücher schenken, unter anderem eins über Sauerteig.

Lieblings-Frühlingszwiebelfladen gemacht. Beim letzten Einkauf clevererweise an Frühlingszwiebeln gedacht, daraus wird immer einmal Ottolenghis scharfer Tofu und einmal die Fladen. Ich glaube, das sind meine am häufigsten zubereiteten Gerichte, die schmecken einfach immer und immer wieder.

Ich bin immer noch und jeden Tag und wirklich wirklich wirklich dankbar für mein Foodcoaching im Jahr 2009 und meine nicht aufhörende Neugier auf Essen und Kochen, was jahrzehntelang für mich ein Trauerspiel, mit Angst besetzt und ein Weg zum Körperhass war. Es ist so großartig, einfach essen zu können. Deswegen gab es abends noch ein paar kleine Blueberry-Pancakes, ich esse gerade meine Gefrierfächer leer. (TK-Blaubeeren, Rest kommt heute ins Müsli. Oder mir fällt noch ein Kuchen ein, der dringend gebacken werden muss.)

Sport gemacht. Gestern war wieder die Cardio-Einheit dran, die ernsthaft anstrengt, weil sie viele Bewegungen erfordert, die mein Wackelfüßchen sowie meine Puddingärmchen nicht so gern mögen. Es ist die einzige Übungseinheit, bei der ich schon zwei, drei Stunden später spüre, dass ich was getan habe, es zieht hinten in den Oberarmen und hinten an den Oberschenkeln. Und genau das mag ich so gerne: meinen Körper als etwas Aktives zu spüren, als etwas, das etwas geleistet, geschafft hat. Wie eben schon angedeutet, war ich jahrzehntelang damit beschäftigt, meinen Körper zu hassen und ihn zu beschimpfen, weil er nicht dieser einen, winzigen akzeptierten Norm entspricht, die ich nicht mal selbst definiert habe, was für ein Scheiß! Dass ich meinen Körper inzwischen als etwas wahrnehme, das mir gefällt, das kräftig ist (im Rahmen meiner dieses Mal selbst gesetzten Maßstäbe), dass er mich trägt und schützt und er ein tolles Gehirn hat, das Doktortitel ausbrüten kann, dafür bin ich ähnlich dankbar wie für die Lust am Essen, denn damit hatte ich schlicht nicht mehr gerechnet.

Weiteres Tagwerk: Ein schlaues Buch weitergelesen und dankbar für den Input gewesen. Wieder mit der ersten Staffel des „Mandalorians“ angefangen, weil Baby Yoda großartig und niedlich und lustig ist; dankbar für hervorragendes Timing und gute Skripte von irgendwas, wo „Star Wars“ draufsteht, gewesen, das ist keine Selbstverständlichkeit. Dankbar für Sofa, Tee, mein Bett und ein Dach über dem Kopf gewesen.

Tischlein roll dich. Ein Artikel in der SZ über den neuen, alten Trend Teewägen. Ich kann euch leider gerade keinen Absatz daraus kopieren, weil ich mein wöchentliches Kontingent an Umsonst-Artikeln erreicht habe, aber das las ich gestern gern. Manchmal dankbar für Paywalls, bei denen ich selten auf Abonnieren klicke, sondern achselzuckend denke, dann eben nicht.

Salted Chocolate Chunk Shortbread Cookies

Ein Rezept aus der NYTimes, das bei mir sofort zum Lieblingsrezept wurde. Schnell, einfach, gut.

Für ein Blech mit elf bis zwölf Keksen, die jeweils knapp handtellergroß sind.

In einer Schüssel
125 g zimmerwarme Butter mit
50 g Kristallzucker sowie
25 g braunem Zucker vermixen. Die Masse soll gleichmäßig weich sein, also ruhig ein paar Minuten dafür aufwenden, die NYT möchte mindestens 6 bis 8 Minuten bei einem Handmixer. Ich habe mein Mixen noch nie gestoppt, es sind bis jetzt aber immer prima Kekse dabei rumgekommen.

Dazu noch
160 g Mehl, Type 405, sowie
85 g Schokoladenstückchen, am besten zartbitter, geben. Nur kurz unterrühren, bis kein Mehl mehr zu sehen ist, das muss nicht ewig dauern. Bei mir auf dem Foto sind auch Vollmilch- und weiße Schokostücke zu sehen. Die Bröckchen sollten wirklich Bröckchen sein, das sind grobschlächtige Cookies, nicht zu fein werden.

Nach dem Vermixen habe ich den Teig noch per Hand kurz durchgeknetet, damit sich alles vernünftig vermischt. Den Brocken nun zu einer Rolle formen, circa fünf Zentimeter dick. In Klarsichtfolie einhüllen und für ungefähr zwei Stunden im Kühlschrank parken, bis sie wirklich fest geworden ist. Bei meinem Superkühlschrank dauert das netterweise nur eine Stunde, guckt einfach, wie lange ihr auf die Köstlichkeit warten müsst.

Den Ofen auf 180° Ober- und Unterhitze vorheizen, ein Blech mit Backpapier belegen.
1 Ei verschlagen.
2–3 EL Demararazucker (bei mir Muscovado) bereitstellen.

Die Teigrolle aus der Folie holen und mit dem Ei bestreichen. Ich habe sie dazu auf der ausgerollten Folie liegengelassen. Auf diese Folie (oder eine Platte, einen flachen Teller, was auch immer) den dunklen Zucker geben und die Teigrolle drüberrollen; der Teig sollte jetzt an möglichst vielen Stellen eine Zuckerhülle haben, aus der im Ofen eine herrliche Karamellkruste wird. Auch hier wieder: Das muss nicht perfekt sein.

Aus der Rolle Kekse schneiden, circa einen knappen Zentimeter dick; die NYT möchte ein Sägemesser haben, bei mir hat ein glattes besser funktioniert.

Alle Kekse aufs Backblech umsieden, dabei ein paar Zentimeter Platz zwischen ihnen lassen; sie laufen aber kaum auseinander. Vor dem Backen, ganz wichtig, die Kekse mit
Meersalz in Flocken bestreuen. Wenn du denkst, es ist zu viel Salz, ist es genau richtig. Im Originalrezept wird im ersten Schritt nach gesalzener Butter verlangt; da die bei mir nie im Haus ist, habe ich ungesalzene genommen, daher die vielen Flöckchen. Beim Backen mit gesalzener Butter sollte man vermutlich etwas vorsichtiger mit dem Meersalz sein.

Die Kekse auf dem Blech für 12 bis 15 Minuten backen; die Ränder sollten braun bis dunkelbraun karamellisiert sein. Etwas abkühlen lassen und dann genießen.

Tagebuch Donnerstag, 31. Dezember 2020 – Sterneküche to go

Ewig ausgeschlafen, im Kopf die Diss umformuliert, weitergeschlafen. Mal sehen, was davon im Wachzustand übrig bleiben wird.

Die Wohnung im Sportoutfit geputzt, das kann durchgeschwitzt werden. Danach gleich Sport gemacht, total clever. Als ich gerade beim Cooldown war, klingelte das Handy, ich meldete mich außer Atem: „Hab ich dich von der Matte geholt?“ Mit Hamburg Neujahrswünsche ausgetauscht und, wie immer derzeit, über das Virus gejammert. Reicht jetzt allen, denke ich.

Dann die Küche auf den großen Abend vorbereitet: Tischdecke, Servietten, Platzsets gebügelt, das Silber geputzt (aka Alufolie und Salz und kochendes Wasser das Putzen erledigen lassen), endlich mal wieder das Fischbesteck eingedeckt. F. hatte die Zutaten zur Soirée Rouge schon am Mittwoch vorbeigebracht; ich las die Kochanweisungen durch und stellte die entsprechenden Gerätschaften bereit. Und weil das Ding „rouge“ im Namen hatte, dekorierte ich etwas nölig in Rot, was ich eigentlich nicht mehr sehen kann und auch nicht mehr in der Wohnung habe (außer einem kleinen Gemälde von Leo von Welden).

Im Bild links die Hot Sauce, mit der wir den Enteneintopf würzten, im Salat vergaß ich es. Rechts im weißen Töpfchen das Schnittlauchöl, mit dem man F. so glücklich machen kann.


Wir starteten mit Rosé-Champagner vom Dallmayr und knabberten und dippten vor uns hin. Es gab frisch aufgebackenes Brot mit japanischer Kräuterbutter, Curry-Kroepoekchips, Pane Carasau, zu dem ein Tofudipp mitgeschickt wurde, Ponzu Mixed Pickles; vor allem die Butter und die Mixed Pickles überraschten mich mit ihrer Frische.

Für den ersten Gang schob ich ein Stück Saiblingsfilet in den Ofen und streute nach dem Temperieren noch knusprigen Crunch darüber. Es hört sich vermutlich albern an, aber ich war ein bisschen davon beeindruckt, dass in meinem ollen Ofen ein Stück Fisch glasig wurde, das ein Sterneteam vorbereitet hatte.

Die Gerichte kamen in einem gewissen zeitlichen Abstand auf den Tisch; wir hatten bereits um 18 Uhr mit allem begonnen und als wir den Nachtisch verzehrten, war es nach 23 Uhr. Das wäre auch schneller gegangen, aber wir fanden es schön, uns Zeit zu lassen. Die meisten Einztelteile sollten erst Zimmertemperatur annehmen, bevor sie weiterverarbeitet wurden, was gut funktionierte. Der Wagyu-Beef-Salad wurde mit einer Soja-Limettenvinaigrette beträufelt und war großartig. Ich staunte über schmackhafte Salatherzen und freute mich sehr über das Fleisch, logisch.

Der Kabeljau wurde en papillote aufs Blech geschoben. Im Päckchen waren noch Rosenkohlblüten (nie gehört, nie gegessen, sehr gut) und Topinamburstampf. Dazu kochte ich die mitgelieferte Sake Beurre blanc auf und tropfte ein bisschen Kräuteröl in die Butter. Dafür hatte ich extra meine Spritzflasche aus dem Schrank geholt. Ich ahne, dass man das Öl auch einfach aus dem eingeschweißten Päckchen in die Sauce hätte gießen können, aber so konnte ich niedliche Punkte machen.

Zum ersten Mal Gamberoni in der Hand gehabt. Die kamen mit Butter gefüllt direkt aus dem Kühlschrank unter den irre heißen Grill und waren in drei Minuten fertig. F. pulte die Reste aus den Schalen, die ich Krustentieranfängerin übersehen hatte.

Der herzhafte Abschluss war ein Miso-Enteneintopf, wohlig-warm. Ich fand alles sehr ausbalanciert und harmonisch – fast so, als hätten wir bei Nakamurah im Laden gesessen.

Als Überraschung hatte F. noch einen Rotwein vom Salon Rouge mitgebracht, mit dem wir sehr viel Freude hatten. Fast buttrig-vanillig, aber nicht so unangenehm barriquig, was einem den Mund zukleistert. Wie alles am Abend: tolles Zeug.


Zum Rotwein knabberten wir Schokolade, bevor ich mich endlich traute, das kleine Matchatörtchen anzuschneiden, das ich zwei Tage lang bewundert hatte. Jedesmal, wenn ich für irgendwas an den Kühlschrank musste, hatte ich die kleine Pappschachtel geöffnet, das Backwerk bestaunt und ehrfürchtig wieder zurückgestellt. Und wenn ich nicht so auf Süßes stehen würde, hätte ich es in Kunstharz gegossen und als Briefbeschwerer behalten, aber mei, jetzt ist es in meinem Magen. Es hatte ein gutes Leben und wurde sehr gewürdigt.

Die Fotos sind wieder von F., ich war mit Kochen beschäftigt, versuchte zwar zwischendurch auch mal, nicht mit dem iPhone, sondern mit der Kamera etwas zu produzieren, aber das wurde leider alles Murks. Dafür knipste ich heute morgen noch die Reste unserer Mitternachtsbeschäftigung:

Wir gingen um 12 auf den Balkon, wie immer, und zündeten Wunderkerzen an. Einige Nachbarbalkone sahen genauso aus, man wünschte sich ein Gutes neues Jahr, und irgendwer hatte die Balkontür weit geöffnet, so dass „An der schönen blauen Donau“ zu hören war.

Der Champagner war ausgetrunken, wir stiegen – passend zum Brexit Day – auf einen englischen Sekt um, den mir Frau Kaltmamsell und Gatte 2019 zum Geburtstag geschenkt hatten. Guter Stoff. Damit ist mein Weinregal fast leer; ich habe im letzten Jahr nur für den Podcast neue Weine gekauft und auch dann nicht die übliche Kiste irgendwas, sondern nur genau die Flasche, die ich brauchte. Ich habe keinen Rotwein und kein Bubbly mehr, weswegen ich jetzt doch eine Kiste orderte und zwar beim Broeding, wo ich noch keinen schlechten Wein getrunken habe. Ich betrachte das als aktive Nachbarschaftshilfe.

F. hat meiner Meinung nach einen sehr guten Neujahrsgruß verfasst, und ich persönlich freute mich sehr über die Nachricht seines alten Studienkollegen aus den USA, den ich kennengelernt hatte, als er F. besuchte und wir zusammen in Augsburg Fußball geschaut hatten.

Okay, 2021. Mach es bitte besser als 2020, year of the gutterball. Wobei F. doch noch etwas Positives zu sagen hatte: „The Mandalorian“ hätte ihn quasi gerettet; das wurde auf Disney+ im März ausgestrahlt, und die zweite Staffel auch noch in diesem Jahr. „Baby Yoda carried many of us through all of this. Not bad for such a little guy.“ (Ja, F. und ich sprechen manchmal Englisch miteinander.)

Wer sich doch noch über 2020 aufregen will, dem sei dieser lange, lange, lange Artikel ans Herz gelegt, den ich eigentlich gar nicht lesen wollte, weil ich dachte, es ginge eh nur um Trump. Es geht aber um viel mehr, und ich habe viel gelernt.

The Plague Year

„For three weeks, the U.S. had been trying unsuccessfully to send medical experts to China. The public-health contingent didn’t want to make decisions about quarantines or travel bans without definitive intelligence, but the Chinese wouldn’t supply it. When Pottinger presented a proposal to curtail travel from China, the economic advisers derided it as overkill. Travel bans upended trade—a serious consideration with China, which, in addition to P.P.E., manufactured much of the vital medicine that the U.S. relied on. Predictably, the public-health representatives were resistant, too: travel bans slowed down emergency assistance, and viruses found ways to propagate no matter what. Moreover, at least fourteen thousand passengers from China were arriving in the U.S. every day: there was no way to quarantine them all. These arguments would join other public-health verities that were eventually overturned by the pandemic. Countries that imposed travel bans with strict quarantines, such as Vietnam and New Zealand, kept the contagion at a manageable level.

The State Department’s evacuation of Americans, particularly diplomatic staff in Wuhan, outraged the Chinese; Tedros Adhanom Ghebreyesus, the director-general of the W.H.O., said that the U.S. was overreacting. In part to placate the Chinese, the 747s that were sent to collect Americans were filled with eighteen tons of P.P.E., including masks, gowns, and gauze. It was a decision that many came to regret—especially when inferior substitutes were later sold back to the U.S., at colossal markups. […]

By January 20th, ten days after the Chinese posted the genetic sequence of sars-CoV-2, the C.D.C. had created a diagnostic test for it. Secretary Azar reportedly boasted to Trump that it was “the fastest we’ve ever created a test” and promised to have more than a million tests ready within weeks. (Azar denies this.) But the F.D.A. couldn’t authorize it until February 4th. And then everything really went to pieces.

The testing fiasco marked the second failed opportunity America had to control the contagion. The C.D.C. decided to manufacture test kits and distribute them to public-health labs, under the Food and Drug Administration’s Emergency Use Authorization provision. According to Redfield, the C.D.C. published the blueprint for its test, and encouraged the labs to ask the F.D.A. for permission to create their own tests. But Scott Becker, the C.E.O. of the Association of Public Health Laboratories, told me that the labs weren’t made aware of any change in protocol. They kept waiting for the C.D.C. to supply tests, as it had done previously.

At a Coronavirus Task Force meeting, Redfield announced that the C.D.C. would send a limited number of test kits to five “sentinel cities.” Pottinger was stunned: why not send them everywhere? He learned that the C.D.C. makes tests, but not at scale. For that, you have to go to a company like Roche or Abbott—molecular-testing powerhouses that have the experience and the capacity to manufacture millions of tests a month. The C.D.C., Pottinger realized, was “like a microbrewery—they’re not Anheuser-Busch.” […]

Without the test kits, contact tracing was stymied; without contact tracing, there was no obstacle in the contagion’s path. America never once had enough reliable tests distributed across the nation, with results available within two days. By contrast, South Korea, thanks to universal public insurance and lessons learned from a 2015 outbreak of mers, provided free, rapid testing and invested heavily in contact tracing, which was instrumental in shutting down chains of infection. The country has recorded some fifty thousand cases of covid. The U.S. now reports more than four times that number per day.“

2020 revisited

(2019, 2018, 2017, 2016, 2015, 2014, 2013, 2012, 2011, 2010, 2009, 2008, 2007, 2006, 2005, 2004, 2003.)

1. Der hirnrissigste Plan?

Eine Dissertation zu beenden, obwohl meine Ersparnisse aufgebraucht sind und Jobs für mich, die sich seit Beginn des Studiums ein bisschen aus der Werbung zurückgezogen hat, seit Corona noch spärlicher gesät sind als eh schon.

2. Die gefährlichste Unternehmung?

Während einer globalen Pandemie Zug zu fahren. Glaube ich jedenfalls. Laut aller Studien, die auf Twitter rumgehen und die ich alle wissbegierig und voller confirmation bias lese, steckt man sich ja quasi nirgends an. Wissen wir irgendwas?

3. Die teuerste Anschaffung?

Eine Nähmaschine für 150 Euro sowie diverse Zugtickets in den Norden, aber die wurden vom Mütterlein gesponsert. Eigentlich war meine Miete die teuerste Anschaffung, aber seit mein Konto leer ist, wird auch die vom Mütterlein in diesem Drecksjahr gesponsert sowie von Leihgaben von Freund und Ex-Freund. Hey, wenn man schon im letzten Jahr eher mies verdient hat, aber dachte, ach, das wird 2020 alles besser, aber es dann nicht eintraf, dann kann man in München auch nicht mal eben in eine günstigere Wohnung umziehen, weil sich die Vermieter*innen hier die Leute mit guten Gehaltszetteln aussuchen können. Ich war in diesem Jahr nicht so richtig gut auf diese Stadt zu sprechen – und konnte sie mir nicht mal auf dem Oktoberfest schöntrinken!

Nebenbei: nochmal danke für alle eure Spenden, die werden gerade nicht für Quatsch ausgegeben. Okay, ein Schokoladenpaket aus Wien habe ich mir gegönnt, aber das musste wirklich sein.

4. Das leckerste Essen?

Wir hatten Ende Oktober noch einen Tisch im Tantris, der eigentlich für März reserviert war. Wie wir inzwischen wissen, war das der vorletzte Abend, an dem noch Hans Haas für die Küche verantwortlich war, der zum Jahresende in den Ruhestand gehen wollte und nun seit November nicht mehr kochen durfte. Das war schön, dort noch einmal sehr klassisch essen gehen zu können, auch wenn es zwei Gläser Wein gekostet hat, bis ich nicht mehr flach atmete und mir dauernd die Maske aufsetzen wollte.

Nach der Diss-Abgabe trauten wir uns im Juli ins Broeding, und ein paar Mal nutzten wir zum Jahresende das Menü, das man sich für zuhause abholen konnte. Wie immer sehr gut; ich hoffe, der Laden übersteht diese Scheiße, er würde mir sehr fehlen. (Die Auswärtsmahlzeiten wurden und werden derzeit komplett von F. übernommen, danke dafür!)

Heute abend werden wir nochmal groß tafeln, denn einer unserer Lieblingsköche, Tohru Nakamura, für den wir zwei vergebliche Reservierungen hatten, bietet ebenfalls ein Außer-Haus-Menü an. Es kommt zu spät für diesen Fragebogen, aber ich ahne, dass die diversen Einzelteile und der Glüh-Sake episch werden, gleich nochmal die Zubereitungstipps anschauen.

Für meine Heimkoch-Ambitionen entdeckte ich in diesem Jahr die schärfere und genauer die thailändische Küche, die mich verlässlich sehr glücklich macht.

5. Das beeindruckendste Buch?

Sachbuch:
Kurz vor Jahresschluss beendet: Die Weimarer Republik: Krisenjahre der Klassischen Moderne von Detlev Peukert. Über jeden Absatz in diesem Buch kann man zehn weitere schreiben, aber für einen Überblick ist das kleine Büchlein erstaunlich gründlich.

Ebenfalls toll, weil quasi reine Quellenkunde: Vom König zum Führer: Deutscher Adel und Nationalsozialismus von Stephan Malinowski. Liest sich eher nicht nebenbei weg, habe ich trotzdem verschlungen.

Halbherzig empfehle ich Das Buch Alice: Wie die Nazis das Kochbuch meiner Großmutter raubten von Karina Urbach weiter – das war teilweise für mich perfekt, teilweise waren es mir zuviele Nebenschauplätze. Trotzdem: mit Gewinn gelesen.

Ich bin irgendwann in der Mitte von Ron Chernows Biografie von Alexander Hamilton hängengeblieben, aber bis dahin war sie sehr gut lesbar und aufschlussreich. Jetzt gerade möchte ich andere Dinge lesen. Zum Beispiel Demokratie: Eine deutsche Affäre von Hedwig Richter; das habe ich erst vorgestern angefangen, daher schaffe ich es nicht mehr zum Jahresende, aber auf den ersten 100 Seiten konnte ich schon wild mit dem Bleistift interessante Dinge anstreichen.

Fiktion:
Ganz weit vorne ein Klassiker: Radetzkymarsch von Joseph Roth. Eine herrliche Sprache, die allerdings fiese Wien-Sehnsucht erzeugte.

Neu entdeckt habe ich Tessa Hadley, deren Late in the Day (auf Deutsch Zwei und zwei) mir ebenfalls wegen der unaufgeregten Sprache und der distanzierten Erzählerinnenstimme sehr gefallen hat.

In zwei Tagen durchgelesen, muss mir also gefallen haben: The Queen’s Gambit von Walter Trevis. Und beim Kracht-Groupie müssen natürlich auch Die Toten auf die Liste.

6. Der ergreifendste Film?

Ich schaue kaum noch Filme, hänge dafür aber ewig vor Serien rum. Baby Yoda aka „The Mandalorian“ hat mich überraschenderweise gekriegt, aber das war vermutlich nicht die beste Serie. Ich kann mich gerade an nichts erinnern, alles verschwimmt, es ist egal, es laufen meist Folgen im Hintergrund rum, die ich schon zwanzigmal gesehen habe, Friends, How I Met Your Mother, Gilmore Girls, alles, was nett ist und mich nicht aufregt. Ich habe allerdings interessiert Star Trek: Discovery entdeckt. Nach Voyager kam aus der Star-Trek-Ecke nichts mehr, was mich fesseln konnte, aber die Serie gefällt mir trotz ihrer überfrachteten – und teilweise bescheuerten – Storylines gut. Endlich hat mal jemand Geld für anständige Special Effects in die Hand genommen.

7. Die beste CD? Der beste Download?

Nach dem Beethoven-Podcast mit Igor Levit höre ich nach jeder Folge seine Einspielung der besprochenen Klaviersonate durch, aber ich bin noch nicht fertig, weil ich den Podcast nur im Zug höre. Ich bin weiterhin großer Fan der Spotify-Klassiklisten von Gabriel Yoran. Heißt: Ich zahle für Spotify Premium, habe in diesem Jahr aber sonst nichts käuflich erworben, was Musik angeht.

8. Das schönste Konzert?

Die ersten drei Beethoven-Sinfonien mit den Wiener Philharmonikern im Gasteig im März. Eigentlich sollten alle neun gespielt werden; ich hatte nur eine Karte für den ersten Abend, F. für alle vier Tage, aber die letzten beiden Abende bzw. die Sinfonien 6 bis 9 wurden wegen der Pandemie nicht mehr aufgeführt. F. trauert darüber heute noch, vermutlich sehr zu recht.

Weitere wichtige und schöne Konzerte: alle auf Twitter von Igor Levit, durch den ich „The People United Will Never Be Defeated“ kennengelernt habe. Jede Aufführung war ein großes Geschenk, für das ich sehr dankbar war und bin.

9. Die tollste Ausstellung?

Gleich zwei: die Gobelin-Ausstellung „Fäden der Moderne“ in der Kunsthalle sowie „Innenleben“ von Henrike Naumann im Haus der Kunst. Praktischerweise beide im selben Podcast besprochen bzw. verbloggt. Durch die Ausstellung im Haus der Kunst lernte ich auch Njideka Akunyili Crosby kennen, von der ich gerne etwas an der Wand hätte.

Normalerweise illustriere ich den Fragebogen mit mehreren Fotos, die eine Auswahl meiner Eintrittskarten zeigen, die ich über das Jahr sammele. Dieses Mal reicht ein Foto, wobei die Karte vom Gasteig fehlt, warum auch immer. Ich war noch in einem weiteren Konzert, wo ich allerdings in der Pause gehen musste, weil ich sonst eingeschlafen wäre, was nicht an der Musik lag, sondern am stickigen Raum und meiner persönlichen Befindlichkeit. Ansonsten fehlen die üblichen Fußballtickets, die Oktoberfestbändchen und ein paar Museen außerhalb von München. Das fiel dieses Jahr alles flach. Wie so vieles, daher außer Konkurrenz und ohne dass danach gefragt wurde mein Lieblingstweet des Jahres:

10. Die meiste Zeit verbracht mit …?

Wie letztes Jahr: der Dissertation (plus, neu in diesem Jahr, der Verteidigung derselben), am Schreibtisch, in Archiven, in Bibliotheken. Neu dazugekommen: Job- und Zukunftspanik.

11. Die schönste Zeit verbracht mit …?

Wie letztes Jahr: der Dissertation, am Schreibtisch, in Archiven, in Bibliotheken.

Gleichauf damit: jede Zeit mit F., egal wo, egal wie. In diesem Jahr nur in Deutschland und bis auf einen gemeinsamen Ausflug in den Norden zu meinen Eltern nur in München.

12. Vorherrschendes Gefühl 2020?

WHAT THE FUCK, WELT?

13. 2020 zum ersten Mal getan?

Eine Dissertation eingereicht. Eine Dissertation verteidigt. Theoretisch einen Doktortitel bekommen; ich darf ihn erst tragen, wenn die Diss veröffentlicht ist, was 2021 passieren wird, gleich mal für den betreffenden Jahresendeintrag vormerken.

Monatelang in einer globalen Pandemie gelebt. Mund-Nasen-Schutze genäht. Zwei Kleidungsstücke genäht. Nur noch mit Maske vor die Tür gegangen. Einen Internetsportkurs abonniert. Salat vom Balkon geerntet. Zwei Sauerteige angesetzt. Eine Software namens Zoom kennengelernt. Einen Test auf ein Virus gemacht, zweimal durch die Nase. Dabei festgestellt, wie anders es sich anfühlt, wenn ein Hals-Nasen-Ohren-Arzt das Stäbchen führt.

14. 2020 nach langer Zeit wieder getan?

Ein Vorstellungsgespräch gehabt, aus dem aber leider kein Job als Kunsthistorikerin wurde. Tagelang CNN geguckt. An einer Nähmaschine gesessen. Regelmäßig Sport gemacht. Die Eltern nicht zu Weihnachten gesehen – das könnte sogar eine Premiere gewesen sein, ich weiß es selbst nicht.

15. Drei Dinge, auf die ich gut hätte verzichten können?

Eine globale Pandemie. (ACH WAS?) Papas verschlechterter Zustand zum Jahresende. Job- und Zukunftspanik.

16. Die wichtigste Sache, von der ich jemanden überzeugen wollte?

Papa davon, mir nachzusprechen: „Herzlichen Glückwunsch zum Doktortitel.“ Hat nicht funktioniert, ich probiere es nächstes Jahr wieder. Ich bin die erste in unserer Familie mit Doktortitel, dazu musste er vermutlich noch niemandem gratulieren, wahrscheinlich wusste er gar nicht, was ich von ihm wollte.

Andere Überzeugungssache: nicht immer zu heulen, wenn ich von Papa blogge. Wobei: Vielleicht muss das so.

17. Das schönste Geschenk, das ich jemandem gemacht habe?

Zeit zu haben, monatlich in den Norden zu fahren und meiner Mutter wenigstens ein bisschen Arbeit abnehmen zu können. Mit einem Aussetzer von April bis Juli zur, wie ich dachte, Hoch-Zeit der Pandemie, die dann aber sogar die Talsohle war. Im September saß ich bei deutlich höheren Zahlen wieder im Zug. Im November konnte ich ihr einige emotional schwere Gänge abnehmen, dafür hat sie sich sehr oft bedankt, was mir schon fast peinlich war, weil sie mir in diesem Jahr ebenfalls viel geholfen hat. Auch deswegen bin ich traurig darüber, dass ich Weihnachten nicht bei ihr und Papa und SchwesterSchwager sein konnte. Ich bin sehr froh darüber, dass auch sie Mama sehr unterstützen, was für sie ein bisschen einfacher ist, weil sie nur einen Kilometer von ihr wegwohnen und nicht wie ich, danke, Google Maps, 648.

18. Das schönste Geschenk, das mir jemand gemacht hat?

Ewiges, geduldiges Zureden, dass ich nicht doof bin, sondern eine hervorragend ausgebildete Kunsthistorikerin und dazu eine nur zeitweilig unterbeschäftigte Texterin. Ein Adventskalender aus der Lieblingsstadt. Ein Essen im Tantris. Und jede Paypal-Spende von den Leser*innen, das ist wie dauernd Weihnachten, wenn die Benachrichtigung aufpingt.

19. Der schönste Satz, den jemand zu mir gesagt hat?

„Frau Gröner, Sie haben bestanden.“

20. Der schönste Satz, den ich zu jemandem gesagt habe?

„Danke.“

21. 2020 war mit einem Wort …?

Anstrengend.

What Anke Ate in 2020






























Tagebuch Montag, 28. Dezember 2020 – „Werk ohne Autor“

Tagsüber gelesen und weiterhin Weihnachtsurlaub gemacht. Mich seelisch darauf vorbereitet, abends eher schlechte Laune zu kriegen, weil ich es mir nicht verkneifen konnte, Florian Henckel von Donnersmarcks „Werk ohne Autor“ anzuschauen. Ich hatte die Entstehungsgeschichte und den Inhalt des Films 2018 am Rande mitbekommen und kurz erwägt, den Film im Kino zu sehen, konnte mich dann aber doch nicht aufraffen. Das war im Nachhinein die richtige Entscheidung, denn so konnte ich gestern auf dem Sofa nebenbei Twitter lesen und Candy Crush spielen, denn die vielen, vielen, vielen Dialoge erzählten mir alles, was ich theoretisch sehen würde, also musste ich nicht dauernd hingucken.

Immerhin hatte ich gleich in der ersten Szene des Films eine Frage. Man sieht den kleinen Kurt, der eigentlich der kleine Gerhard Richter ist, mit seiner Tante in der Dresdener Ausgabe der Femeschau „Entartete Kunst“ 1937. Da musste ich schon überlegen, ob diese überhaupt schon 1937 dort gezeigt wurde – sie wurde im Juli in München eröffnet, wo sie bis November lief – oder erst später, wobei mir erst heute einfiel, dass es sich auch um die seit 1933 tourende Schau handeln könnte. Wirklich erkennen konnte ich im Film nur Franz Marcs „Turm der blauen Pferde“ – von dem ich nicht weiß, ob es in Dresden zu sehen gewesen war –, bei einigen Werken von Grosz weiß ich schlicht nicht, welche hinter dem Bilderklärer zu sehen waren. Auch dieser ließ mich rätseln: Gab es Führungen durch die Ausstellung? Ich meine ja, war mir aber nicht sicher, ich konnte mich an kein bestimmtes Foto oder eine Quelle erinnern. (Frau Diener fand eine, danke!) Ich überlegte generell, wann die Museumspädagogik begonnen hatte, wobei ich diese Schau nicht in eine Reihe stellen möchte mit anderen Ausstellungen und die NS-Kunstpolitik nicht mit den Bildungsideen der Bundesrepublik, über die ich nachdachte; ich musste an dieses Buch denken, das sich mit der Situation von Museen in den verschiedenen Besatzungszonen direkt nach dem Krieg beschäftigte. Generell fiel mir erneut unangenehm auf, dass ich mich bei meinen Forschungen sehr um die systemkonforme Kunst des NS kümmere und die sogenannte „entartete“ sehr außen vorlasse. Positiv daran: Die Ausführungen des Bilderklärers kamen mir bekannt vor, darin waren einige Punkte enthalten, die ich aus Hitlers Rede zur Eröffnung des Hauses der Deutschen Kunst kannte.

Während ich vor mich hingrübelte und mich daran störte, dass Kurts Tante ein arg ausgeschnittenes Kleid trug und offene Haare hatte, erzählte mir der Film wieder Dinge, die ich auch sehen konnte. Mich ärgerten die banalen Bilder der hysterischen BDM-Mädchen, als der Herr Führer seinen Blumenstrauß kriegte, sowie der versammelten SS-Männer mit ihren gleichförmig aufgeschlagenen Unterlagen und den Bleikristallgläsern in artiger Reihung vor sich auf dem Tisch, alles ein ordentlich inszeniertes Klischee. Gut fand ich hingegen die Erwähnung von Elfriede Lohse-Wächtler, allerdings nur in Form ihres aufgebrachten Vaters, der nach ihr in der Klinik sucht, in der auch Kurts Tante Elisabeth wegen angeblicher Schizophrenie verwahrt wird. Es wundert mich, dass der Film dort das Wissen der Zuschauerin voraussetzt, die hoffentlich mit dem Namen Lohse-Wächtler irgendetwas anfangen kann, aber dann trotzdem jeden beknackten Handschlag auf der Leinwand erklärt.

Ich erspare es mir, mein Entsetzen über die Gaskammerszene zu notieren, das hat Johanna Adorján schon übernommen, die bei diesen Bildern das Kino verließ. Irritierenderweise gefiel mir Sebastian Koch in seiner Rolle des Holzschnittsnazis Seeband, weil er mich an die vielen anderen Holzschnittsnazis der Nachkriegsfilme erinnerte, die ich im Hinterkopf hatte. Kurts späterer Schwiegervater ist von der ersten bis zur fast letzten Filmminute einzig banal-böse und unreflektiert; erst in seiner letzten Szene wird er kurz erschüttert und das ausgerechnet durch die mies nachgemalten Werke Kurt Barnerts (Richter). Was mich an dieser Figur allerdings sehr störte, war seine Protektion durch einen Offizier der Sowjetarmee, dessen Frau Seeband bei einer komplizierten Geburt hilft. Seeband kann es sich dadurch trotz seiner Verbrechen während der NS-Zeit in der DDR gemütlich machen. Generell interessiert sich der Film weniger für die Entnazifizierungen in West und Ost, aber alleine durch diesen Erzählstrang blieb bei mir der Eindruck hängen, dass die DDR es weniger ernst genommen habe als der Westen, den Faschismus aufzuarbeiten. Soweit ich weiß, entnazifierte die DDR hingegen – zumindest auf dem Papier – etwas gründlicher als die Bundesrepublik. Ein weiterer Erzählstrang berichtet von Kurts Vater, der angeblich nicht in die NSDAP eintreten wollte, es aus Bequemlichkeit dann doch tat, weswegen er nach 1945 nicht mehr lehren durfte, sondern als Hausmeister arbeiten musste, was ihn anscheinend so erschütterte, dass er sich das Leben nahm. Möglicherweise sollte das eine Anspielung auf die Legende „Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen“ sein, es passt für mich aber eher in die andere Legende, dass die Deutschen nach 1945 unmäßig leiden mussten unter dieser dummen Sache, diesen zwölf Jahren, die da irgendwie passiert sind.

Endgültig geistig abschalten musste ich bei den wiederholten Nacktszenen, die nur die weiblichen Schauspieler betrafen. Ja, Paula Beer hat echt schöne Brüste, danke, Florian, das wusste ich schon nach einer Einstellung, ich brauchte keine 15. Und die Kamerafahrt von den Füßen hoch über den ganzen Körper kannst du auch in den 80ern lassen. Ich konnte allerdings einem sehr speziellen Interesse von mir nachgehen: Achselbehaarung bei Frauen in historischen Filmen. Die Damen hier trugen alle ordentliches Schamhaar, das war auch oft genug im Bild, nerv, aber hatten dazu unpassend rasierte Achseln. Ich weise gerne auf eine Szene in „Sissi“ hin, in der Romy Schneider ihrem neuen österreichen Volk zuwinkt und man deutlich ihre nicht rasierten Achseln sieht.

Als Fake-Günther Uecker an der Düsseldorfer Akademie dem armen unwissenden Zoni Fake-Richter die Kunstwelt erklärt, kam ich endgültig aus dem Augenrollen nicht mehr aus; auch das hat netterweise schon jemand ausführlich aufgeschrieben, danke, Daniel Kothenschulte. Die Faszination für die weibliche Oberweite kommt in „Ueckers“ Monolog auch gleich mehrfach vor: erst wird das Blau von Yves Klein erläutert, das man auf Brüste schmieren könnte, dann über eine Kommilitonin der Krachersatz gesagt: „Lucio Fontana schlitzt Leinwände seit sechs Jahren auf, aber Katrin hat schöne feste Brüste, also lassen wir sie.“ Ein Kommentar zum Sexismus in der Kunstbranche sieht auch irgendwie anders aus, aber ich ahne, dass es Henckel von Donnersmarck nicht darum ging.

Ab da war ich raus, mehr kann ich zu dem Ding nicht mehr sagen. Ich amüsierte mich über die miesen nachgemalten Versuche von Tante Marianne und Herr Heyde, fand es aber schön, dass ich die Bilder gestern auf Twitter nicht von Richters Website verlinken konnte, die war nämlich in die Knie gegangen. Hat es der Film immerhin geschafft, dass sich mehr Leute für das Frühwerk interessieren (hoffe ich). Dass die beiden Werke nicht zusammen mit Onkel Rudi, das auch nachgemalt zu sehen war, in einer Ausstellung 1966 hingen – geschenkt, es ist egal, der ganze Film ist egal.

Ich weiß immer noch nicht, was mir der Film eigentlich sagen wollte, ja ich weiß nicht mal, was er überhaupt für ein Film sein wollte. Für ein Biopic geht er zu nachlässig mit Fakten um, auch wenn mir die filmisch-erzählerische Freiheit natürlich ein Begriff ist. Für eine Story, die von drei politischen Systemen in Deutschland erzählen will, kommen mir die drei Systeme zu kurz bzw. ihre Auswirkungen werden mir zu sehr simplifiziert. Für eine schlichte Liebesgeschichte war mir das Ding einfach zu lang und langweilig, wobei ich es mir kaum vorstellen kann, nur eine Love Story erzählen zu wollen und sich dann so erkennbar eng an einer echten Figur zu orientieren. Bei mir bleibt nur Ärger übrig. Und ein Blogeintrag, immerhin.

Tagebuch Weihnachten 2020 – Neue Bilder

Da ist man jahrelang quengelig, wenn man Weihnachten durch die Gegend fahren und im alten Kinderzimmer übernachten muss, anstatt zuhause zu sein und in Ruhe für sich zu kochen, aber in diesem Jahr hätte ich ersteres gerne gemacht. Aufgrund DER SITUATION blieb ich aber brav in München und bat meine Schwester, sich doch per Video von meinen Eltern aus zu melden, damit ich sie wenigstens sehe. Das Väterchen war seit dem 22. wieder zuhause; er hatte drei Wochen in der Kurzzeitpflege verbracht, damit das Mütterchen, die seit über anderthalb Jahren 24 Stunden am Tag für meinen Vater da ist, mal schlafen kann. Stattdessen hat sie Kekse gebacken und geputzt, aber die Prioritäten muss jede*r selbst setzen.

Ich war Ende November nochmal im Norden gewesen, um sie zu unterstützen, Infiziertenzahlen hin oder her. Muttern, Schwester und ich hatten natürlich schon länger über die Möglichkeit gesprochen, Papa kurz in andere Hände zu geben, damit sie zur Ruhe kommen kann. Einen Platz in einem Pflegeheim zu finden, ist aber nicht ganz einfach, wie wir erfahren mussten, und als einen Freitag der Anruf kam, dass Papa ab dem Montag darauf einen Platz hätte, hatte meine Mutter das total überfordert. Man wünscht sich diese Option sehr, aber als sie dann plötzlich greifbar war, fiel es ihr doch sehr schwer, sich zu entscheiden. DIE SITUATION machte das ganze nicht einfacher, denn natürlich haben wir ewig diskutiert, ob man gerade jetzt einen Platz im Heim wahrnehmen sollte. Die Alternative wäre vermutlich ein Zusammenbruch vom Mütterchen gewesen, die schlicht nicht mehr konnte, wer will es ihr verdenken. Also packte ich einen Tag nach meiner Verteidigung überraschend den Koffer und konnte meinen Titel nicht ganz so entspannt genießen wie gedacht, aber es gibt Wichtigeres. In der Woche übernahm ich den Job, Vaddern im Heim, das wir nie so genannt haben, abzuliefern; er musste per Krankentransport kommen. Ich gab Auskunft über medizinische Dinge, erklärte den Tagesablauf zuhause, was sein Lieblingsessen ist und was er so sein Leben lang gemacht hat, damit die Pflegenden ein paar Themen hatten, auf die sie ihn ansprechen konnten. Meine Mutter war seelisch nicht in der Lage, das zu tun, und so doof das alles war, so sehr hat es mich gefreut, eine wirkliche Hilfe sein zu können. Papa weiß nicht mehr, wo er ist, ihm gefiel es da gut, das Essen war prima (davon konnte ich mich mehrere Tage überzeugen), das Haus war gut gepflegt, soweit ich das beurteilen kann, und er hatte zwei Bekannte dort, die ihn aber erst nach 14 Tagen besuchen durften, davor war er natürlich in Quarantäne. Solange ich noch da war, fuhr ich täglich hin, danach übernahmen wieder SchwesterSchwager und nach ein paar Tagen auch Mama, der das wirklich schwer fiel. Ich habe sie noch nie so erschüttert gesehen wie in den Tagen, an denen ihr klar wurde, dass sie keine Kraft mehr hat, so sehr sie sich auch anstrengt, und dass sie nicht die ganze Welt alleine stemmen kann.

Nochmal zu den Prioritäten: An meinem ersten Abend im Norden sammelte das Mütterlein gerade Kerzen und Laternen aus dem ganzen Haus zusammen, um sie an verschiedenen Fenstern aufzustellen, als ich ankam; das war eine Idee im Dorf gewesen – damit nicht alle am Totensonntag auf den Friedhof rennen, sollten alle Kerzen in ihre Fenster stellen. Schöne Idee, aber natürlich eine irre Arbeit, wenn man, wie Mama, nicht nur eine Kerze, sondern unbedingt achthundert anzünden will. Als ich etwas irritiert davon war, dass sie sich Extraarbeit zu der vielen macht, die sie eh schon hat, meinte sie: „Ich will nicht immer nur das machen, was ich muss, sondern auch mal, was ich möchte.“ Daraufhin habe ich meine Klappe gehalten und am nächsten Tag stillschweigend die ganzen rußigen Mistviecher wieder eingesammelt, geputzt und die Kerzenreste rausgekratzt, was ihr erst ein paar Tage später aufgefallen ist, als sie das erledigen wollte.

Seit dem 22. Dezember war Papa wieder zuhause, was für ihn aber keinen großen Unterschied mehr macht. Ich hatte in den letzten Monaten schon das Gefühl, dass sein Gehirn noch mehr runterfährt, dass er teilweise retardiert in alltäglichen Dingen, dass er sich auf einfache Laute oder Gesten fokussiert, wie ein Kind, das gelernt hat, dass man sich um es kümmert, wenn es „Aua“ sagt. Ich trug natürlich immer Mundschutz, und meist hat er mich nicht erkannt. Auch deshalb wäre ich Weihnachten gerne im Norden gewesen, bevor er gar nicht mehr weiß, wer ich bin.

Ich war seit dem 22. Dezember mit Vorbereitungen für das Menü von F. und mir beschäftigt. F. hatte sich netterweise dafür entschieden, den Heiligen Abend mit mir zu verbringen, was mich sehr gefreut hat. Daher hatte ich eigentlich zu viel zu tun, um traurig zu werden, aber am 24. erwischte es mich dann doch. So sehr es mich freute, mal wieder mehrere Gänge zu kochen und die große Tischdecke zu bügeln, die sonst nur im Schrank liegt, so memmig war ich auf einmal drauf.

Dagegen half Essen in Gesellschaft ein bisschen, und gerade, als wir mit dem Hauptgang fertig waren und verdauen mussten, um noch Mousse nachschieben zu können, meldete sich der Norden per Video. Vaddern war schon von der Pflege ins Bett gebracht worden, der Rest der Familie wuselte um ihn herum, der Schwager hielt das Tablet, ich reichte mein Handy irgendwann an F. weiter, als mein Arm lahm wurde. Wir zeigten uns gegenseitig die geschmückten Bäume, plauderten nur sehr wenig, auch weil Papa nicht mehr ganz versteht, warum ich da auf diesem kleinen Fernseher zu sehen bin, aber für ein „Fröhliche Weihnachten und bis bald“ hat es noch gereicht. Wenige Minuten später schickte mir meine Schwester noch ein kleines Video. Ich hatte ihr ein paar Baumornamente in Form von goldenen und roten Hörnern geschickt. Unsere Omi hatte jahrelang Hörner in allen Farben an ihrem Baum, die machten sogar Geräusche, und natürlich spielten meine Schwester und ich sie im Laufe der Jahre kaputt. Meine Schwester hat immer noch ein letztes stummes Horn im Baum als Andenken, aber als ich irgendwann mal zufällig im Interweb auf trötenden Baumschmuck stieß, bestellte ich den sofort. Ich wollte ihn eigentlich in diesem Jahr mitbringen und heimlich in die Bäume hängen, aber nun wurde er verschickt. Im Video von meiner Schwester tröten Papa und Mama auf den Hörnern herum, und man hört Papa noch skeptisch „Was für ein …“ sagen, bevor das Video abbricht, worüber ich sehr lachen musste.

Ich holte für unser gemeinsames Essen nicht nur die gute Decke aus dem Schrank, sondern schminkte mich auch, gefühlt das dritte Mal in diesem Jahr, und zog die guten Klamotten an. Endlich mal wieder Ohrringe, auf die verzichte ich wegen der Maskenbänder zurzeit immer.

F. hatte seine Kamera dabei, die folgenden Fotos sind von ihm. Ich hätte ihm vielleicht vorher sagen sollen, dass ich im Blog lausige 500 Pixel an Bildbreite habe, weil ich mich immer noch nicht darum gekümmert habe, die Bilder größer zu kriegen (bitte keine Tipps, es ist gerade sehr egal). Er ahnt, dass ich ihn jetzt immer herzitieren werde, sobald ich ein Spiegelei gebraten habe, und bedauert es schon sehr, die Kamera mitgebracht zu haben. Ich hingegen freue mich über lauschige Bilder, die deutlich besser aussehen als die, die ich mit dem iPhone von denselben Motiven hindilettierte.





Wir starteten mit confiertem Thunfisch mit einer milden Peperoni und einer Olive. Eher rustikal als festlich, aber man schmeckt die Orangenschale, mit der das Öl aromatisiert wurde, sehr schön durch. In allen Gängen war irgendeine Zitrusfrucht, daher überlegte ich am Morgen des Heiligen Abends ernsthaft noch, Orangenscheiben im Ofen zu trocknen für die Tischdeko, bis mir einfiel, dass ich keine Einrichtungszeitschrift bin.

Mir fiel erst abends am 23. auf, dass ich direkt nach dem kalten Thunfisch noch eine weitere kalte Vorspeise geplant hatte, was doof ist. Also kochte ich schnell ein winziges Erbsensüppchen, weil ich dazu alles im Haus hatte; es war Ingwer drin und Koriander und oben drauf gab’s Croutons mit frischer Zitronenschale.

Die Terrine aus roter Bete und Meerrettich hatten wir vor ein paar Wochen im Broeding-Außer-Haus-Menü gehabt, die fand ich so toll, dass ich sie nachkochen wollte. Beim Googeln nach einem Rezept stellte ich fest, dass die anscheinend zwischen 2015 und 2017 durch sämtliche Kochblogs gegangen war, hatte ich nicht mitgekriegt.

Der Hauptgang stammt aus dem Winter-Kochbuch von Katharina Seiser. Er sieht bei mir alles andere als toll aus, die Entenbrust hatte nicht lang genug geruht, die Grießklößchen waren offensichtlich von einer Vierjährigen geformt worden, der Ras-el-Hanout-Schaum war nur ein Sößchen, die eigentliche Portweinsauce auch, weil ich sie nicht lange genug eingekocht hatte, aber meine Güte, waren die Aromen toll! Das werde ich dringend nochmal zubereiten und ihr solltet das auch. Das ganze Buch ist gut, aber das wisst ihr ja vermutlich.

Wir hatten mit Rosé-Champagner begonnen, weil man mich damit immer glücklich macht, dann tranken wir einen gnadenlos lieblichen Gewürztraminer zu den Vorspeisen, aber jetzt kam endlich der Rotwein auf den Tisch. F. erzählte, dass er den zum Bachelor-Abschluss in Philadelphia getrunken hatte, schon 1000 Jahre her, aber ich fand das sehr passend in diesem Jahr.

Wir vermissen schmerzlich den Jamai-Käse; da F.s Mutter derzeit selten nach Kempten fährt, von wo sie uns immer kiloweise Käse mitbringt, musste ich gucken, was ich bei Amazon Fresh fand. Der Kräuterkäse aus dem Allgäu war in Ordnung, aber gegen Jamai stinkt halt alles andere kläglich ab. Das Quittenchutney dazu war von F.s Mutter, das mag ich sehr gerne, muss endlich nach dem Rezept fragen.

Das Dessert war wieder aus dem Winter-Kochbuch: Lebkuchenmousse in schicken Zartbitterkugelhüllen. Endlich konnte ich mal die Silikonformen ausprobieren, die ich mir vor Jahren in irgendeinem Masterchef-Kaufrausch mal zugelegt, aber noch nie erfolgreich benutzt hatte. Auch dieses Rezept kommt auf die Gerne-wieder-Liste.

Ich war gegen 22 Uhr schlagartig müde. Es reichte noch dazu, den Geschirrspüler zu füllen und das meiste an Abwasch zu erledigen, denn das erledige ich immer, das ist wie Abschminken, das macht man abends, basta. Danach fiel ich komatös ins Bett. Ich hatte mich noch auf stundenlanges Rumsitzen und Weinleeren mit F. am Küchentisch gefreut, aber dafür reichte leider die Kraft nicht mehr.

Am 25. wachten wir immer noch gemeinsam auf, bevor sich unsere Wege wieder trennten; F. ging zu Fuß zu seinen Eltern, ich spülte die letzten Gläser ab, aß ein paar Reste und verdämmerte so ziemlich den ganzen Tag auf dem Sofa.

Außerdem lud ich meine Kamera mal wieder auf, die schönen Fotos von F. hatten mich meine iPhone-Fotos aus Faulheit stark überdenken lassen. Ich googelte den Begriff „Tiefenschärfe“ sowie die Bedienungsanleitung meiner Kamera, die sich irritierenderweise nicht in meiner großen Tüte mit allen Bedienungsanleitungen aller Dinge, die ich besitze, befand. Beim Durchwühlen der Tüte fand ich eine Anleitung für eine Kaffeemaschine, die ich längst weggeschmissen habe, sowie die für mein erstes Rad in München, das mir geklaut wurde. Beide Anleitungen ins Altpapier geworfen. Das war mein Tagwerk.

Am 26. wachte ich wieder zur gewohnten Arbeitstagszeit auf, das war in Ordnung. Ich stellte die Espressomaschine zum Vorheizen an, öffnete ein paar Fenster und lungerte noch im Bett rum, das fühlt sich immer so schön nach Zauberberg an unter der warmen Decke, während es um mich herum kalt wird. Tagsüber: Lesen, Kekse backen, mit der Kamera (und dem iPhone) Kekse fotografieren, dabei alle lustigen Einstellungen ausprobieren, die die Kamera hergibt. Abends kam F., der mir ein bisschen mehr über seine Einstellungen erzählte, wir machten ein paar Probefotos, und dann tranken wir die letzte Flasche Wein, die ich aus Hamburg mitgebracht hatte, das war’s jetzt mit dieser Stadt.

Ich dachte gestern länger über die Fotos von F. nach, deren Motive ich ja auch fotografiert hatte, allerdings aus anderen Perspektiven und mit anderem Fokus. Mir fiel auf, dass ich seit Jahren mein Leben abbilde, hier im Blog, drüben auf Insta, und dass ich dabei – natürlich – immer einen persönlichen Blickwinkel habe. Das ist jetzt kein irre tiefer Gedanke, aber es war schlicht ungewohnt, mein Leben – meine Küche, mein Besteck, meine Mahlzeiten – von jemandem anders abgelichtet zu sehen.

Ich ahne, dass F. über andere Dinge nachdachte, als er meine Gerätschaften fotografierte als ich, wenn ich das tue. Ich achte auf Dinge im Hintergrund, die ich nicht herzeigen will, räume das Essen auch gerne an andere Plätze in der Wohnung, damit das Bild besser aussieht (Lichtstimmung, Untergrund etc.). Ich will nicht alles zeigen, genau wie ich nicht alles erzähle. Mir fiel wieder die Diskrepanz zwischen meinem normalen Dasein und dem winzigen Ausschnitt auf, den ich im Blog anbiete. Natürlich weiß ich, dass die allermeisten von uns sich so im Internet bewegen, dass wir alle auswählen und dass alle Insta-Posts von den ganzen Einrichtungsblogs, denen ich folge oder die mir über den Hashtag #interors oder ähnlich in die Timeline gespült werden, ebenso nur ein Ausschnitt sind, aber mir wurde mal wieder deutlich klar, wie inszeniert ich inzwischen vieles wahrnehme. Und dass es eben nicht „das Leben“ ist, sondern nur ein Abbild eines Ausschnitts, der bewusst und nicht spontan gewählt wurde.

Sue twitterte am 25., dass sie es schön fände, dass wir alle am Handy oder am Rechner hingen und dass so niemand wirklich alleine sei: „Das war nie ein Ersatz für Irgendwas hier, sondern immer Digitale Heimat. Wenn ich heim will, kann ich also auch hier her kommen.“ Diesen Gedanken hatte ich auch schon öfter: Wenn alles den Bach runtergeht, habe ich immer noch das Internet, meine Leser*innen, meine Blogs und Accounts, denen ich folge. Aber momentan fühlt es sich – für mich – nicht mehr danach an. Es ist nicht mehr das kleine Lagerfeuer, um das wir mal gestanden und uns Storys aus der Jugend erzählten, es ist stattdessen ein sorgfältig kuratiertes Feuerwerk geworden. Damit will ich nicht den üblichen Verfall von Dingen beklagen, die mal Insiderwissen waren und nun vom Mainstream besetzt sind, sondern nur für mich festhalten, dass das Internet eben nicht das Leben ist, die Menschen darin zum allergrößten Teil nicht meine Freunde, und dass Accounts einen in sehr vielen Fällen nicht trösten können, wenn einen der eigene Vater nicht mehr erkennt.

„In jener Zeit erließ Kaiser Augustus den Befehl an alle Bewohner seines Weltreichs, sich in Steuerlisten eintragen zu lassen. Es war das erste Mal, dass solch eine Erhebung durchgeführt wurde; damals war Quirinius Gouverneur von Syrien. So ging jeder in die Stadt, aus der er stammte, um sich dort eintragen zu lassen.

Auch Josef machte sich auf den Weg. Er gehörte zum Haus und zur Nachkommenschaft Davids und begab sich deshalb von seinem Wohnort Nazaret in Galiläa hinauf nach Betlehem in Judäa, der Stadt Davids, um sich dort zusammen mit Maria, seiner Verlobten, eintragen zu lassen. Maria war schwanger. Während sie nun in Betlehem waren, kam für Maria die Zeit der Entbindung. Sie brachte ihr erstes Kind, einen Sohn, zur Welt, wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Futterkrippe; denn sie hatten keinen Platz in der Unterkunft bekommen.

In der Umgebung von Betlehem waren Hirten, die mit ihrer Herde draußen auf dem Feld lebten. Als sie in jener Nacht bei ihren Tieren Wache hielten, stand auf einmal ein Engel des Herrn vor ihnen, und die Herrlichkeit des Herrn umgab sie mit ihrem Glanz. Sie erschraken sehr, aber der Engel sagte zu ihnen: „Ihr braucht euch nicht zu fürchten! Ich bringe euch eine gute Nachricht, über die im ganzen Volk große Freude herrschen wird. Heute ist euch in der Stadt Davids ein Retter geboren worden; es ist der Messias, der Herr. An folgendem Zeichen werdet ihr das Kind erkennen: Es ist in Windeln gewickelt und liegt in einer Futterkrippe.“ Mit einem Mal waren bei dem Engel große Scharen des himmlischen Heeres; sie priesen Gott und riefen: „Ehre und Herrlichkeit Gott in der Höhe, und Frieden auf der Erde für die Menschen, auf denen sein Wohlgefallen ruht.“

(Neue Genfer Übersetzung)

Ich wünsche euch allen ein friedliches, fröhliches, besinnliches, schönes, gesegnetes Weihnachtsfest. Danke fürs Lesen – und bleibt hoffentlich gesund.