Nach der Abgabe der Masterarbeit vor drei Jahren gönnten F. und ich uns einen Besuch im Tantris, um dieses Ereignis gebührend zu feiern. Damals war ich von allem überfordert, gleichzeitig schwerstens beeindruckt und meinte, dass ich erst nach der Abgabe der Dissertation dort wieder hingehen würde. Und so habe ich es auch gemacht.
Küchenchef Hans Haas geht Ende 2020 in Rente, danach wird das Haus saniert und beginnt unter einem neuen Küchenchef eine weitere Ära in seiner Geschichte. Auch das war ein Grund dafür, dort noch einmal hingehen zu wollen. Wir hatten eigentlich eine Reservierung im März zu meinem Geburtstag, weil wir ahnten, dass es zum Ende des Jahres – wenn alle nochmal bei Haas essen wollen – vielleicht schwieriger werden würde mit der Buchung. Meine Abgabe war da noch für Oktober geplant, ich wusste aber schon, dass es klappen würde mit der Einreichung, also zogen wir die Diss-Feier vor. Bis der Lockdown kam, alles schließen musste und wir die Reservierung verschoben – auf Ende Oktober, jetzt sogar perfekt nach der Abgabe, und im Oktober wäre ja möglicherweise schon das Schlimmste an der Pandemie vorbei. Nun ja.
Ich verbrachte die letzten zwei Wochen, nachdem die Infektionszahlen durch die Decke gingen, damit, jeden Tag zu gucken, wie die Ansagen für die Gastro gerade waren. Ende letzter Woche war klar, dass die Restaurants noch geöffnet blieben, die Sperrstunde aber auf 21 Uhr vorgezogen wurde, was bedeutete, dass wir uns vom geplanten 7-Gang-Menü verabschieden mussten. Es war uns aber beiden ganz recht, dass uns diese Überlegung abgenommen wurde: Wir mussten nicht mehr auf Zahlen und Zeiten gucken, sondern wussten: 18 bis 21 Uhr, vier Gänge, fertig.
Wobei ich bis gestern nachmittag noch haderte, überhaupt hingehen zu wollen. Ja, Diss-Abgabe feiern, ja, noch einmal von Haas bekocht werden, ja, schon klar. Aber: [Hier alle Gegenargumente für Restaurantbesuche einsetzen, die ich alle kenne und an die ich mich seit März halte. Ich war einmal im Broeding und ansonsten dreimal in Gaststätten, allerdings draußen, und zweimal im Biergarten.] Ich las eine Studie nach der anderen, die im Prinzip nur das aussagte, was wir vermutlich alle inzwischen verinnerlicht haben: In ungelüfteten Innenräumen ist das Infektionsrisiko höher als draußen. Das half nicht so recht weiter.
Ein Punkt in meinen Überlegungen waren die Infiziertenzahlen in München: Derzeit sind ungefähr 0,3 Prozent der Bevölkerung erkrankt. Das schien mir ein halbwegs überschaubares Risiko zu sein in einem nicht turnhallengroßen Sternerestaurant mit funktionierender Klimaanlage.
Was den Ausschlag gegeben hat, mich ohne Maske drei Stunden lang in einen Gastraum zu setzen, und das hat mich selbst überrascht, war Instagram. Erst vor wenigen Tagen, als der Lockdown beschlossene Sache war, fiel mir auf, dass viele meiner Foodies, denen ich folge, in den letzten Monaten weiter essen gegangen waren, Gerichte posteten und sich anscheinend weniger Sorgen gemacht hatten als ich. Gleichzeitig waren sie auf Twitter unterwegs, posteten Bilder von sich mit Maske, unterstützten die Ansagen der Regierungen und waren generell vernünftige Menschen. Das überzeugte mich, warum auch immer, davon, dass man möglicherweise halbwegs gefahrlos essen gehen konnte, wenn man sich die richtigen Läden dafür aussuchte. Also ging ich essen.
Wie schon beim letzten Blogeintrag stehen auch hier wieder keine Fotos der Gerichte; dieses Mal knipste ich zwar, aber ich behalte das trotzdem für mich.
Wie F. gestern schon sagte: „Man geht nur einmal das erste Mal ins Tantris“, und damit hatte er sehr recht. Ich kannte nun die Qualität der Speisen, die aufgetragen wurden, und war daher nicht mehr ganz so umgehauen wie beim ersten Mal. Was mich dieses Mal fertig gemacht hat, waren die Weine. Wir – also F., denn ich wurde großzügigerweise eingeladen – entschieden uns für die Premium-Weinbegleitung, die hier aus der Hüfte fotografiert lesbar ist. Den Preis habe ich mal abgeschnitten.
Wo ich beim ersten Besuch notiert hatte, dass ich fast beim Lammgang geheult hätte, weil er so toll gewesen war, erledigte mich dieses Mal ein Chardonnay, und ich bin nicht mal großer Chardonnay-Trinkerin. Ich hatte im letzten halben Jahr, wo ich gefühlt von allem gestresst und überfordert war und die kleinen Futterinseln, die mir andere bauen, größtenteils ausgelassen hatte wegen DER GESAMTSITUATION, anscheinend vergessen, wie glücklich mich hervorragendes Essen und noch bessere Weine machen können. Die gestrigen drei Stunden begannen für mich etwas angespannt, aber nach dem Champagner zum Reinkommen, dem Gruß aus der Küche und dem tollen ersten Gang fühlte sich alles gleichzeitig nach Urlaub und, Achtung, das böse Wort in diesem Jahr, endlich mal wieder irgendwie normal an. Bei mir lösten sich anscheinend siebzehn Blockaden gleichzeitig und so verheulte ich die konfierte Seezunge mit Blumenkohlpüree und Sepiagnocchi total, weil ich nach jedem Schluck Tränen trocken musste, mich wieder zusammenriss, einen Bissen nahm, einen Schluck trank – und wieder weinte. Gut, dass die Tische schon in Nicht-Pandemie-Zeiten hier so schön weit auseinanderstehen und jetzt erst recht – vermutlich hat das niemand mitbekommen außer F., und der kennt mich Heulsuse ja.
Was auch schön war: Wir hatten endlich mal andere Gesprächsthemen als den derzeit üblichen Deprikram, weil wir, wie immer bei Restaurantbesuchen, jeden Krümel auf dem Teller ausdiskutieren und alle zwei Minuten neue Noten in den Weinen entdecken. Das ging bis zum Digestif so weiter, den wir gleich zweimal nahmen. F.: „Haben wir noch Zeit?“ – Kellner: „Noch zehn Minuten.“ – F.: „Dann noch eine Runde.“ So genoss der Herr zweimal einen Bierbrand (noch nie gehört) und ich sprach selig einem Tonkabohnengeist zu.
Nach vier Gängen waren wir längst nicht so abgefüllt wie nach dem letzten Mal, wo wir uns ein wenig erschlagen zur U-Bahn schleppten. Gestern spazierten wir zu einer Bushaltestelle auf ungefähr einem Drittel des Wegs, ich ließ mich nach Hause chauffieren, F. zu sich, wonach er zu Fuß zu mir kam. Es war seltsam, den Abend schon gegen 22 Uhr zu beenden, da hätten wir normalerweise gerade beim Dessert gesessen und danach noch eine Etagere Petit-fours leergemampft, aber das war okay. Ich habe mich sehr gefreut, dieses Erlebnis noch mitnehmen zu können, bevor wir alle vier Wochen lang zuhause sitzen. Ich fühle mich jetzt auch etwas besser gerüstet für den langen Winter. (Vielleicht doch noch auf Önologie umsatteln?)
Die Damentoilette, immer wieder ein Erlebnis.