Tagebuch Samstag, 14. November 2020 – Schreibtischtag

Die Diss fertig gelesen, viele Notizen gemacht. Einiges auf Karteikarten übertragen, die ich jetzt auswendig lerne. Das meiste weiß ich eh, aber dann habe ich das Gefühl, mich anständig vorzubereiten. Das Skript für den Vortrag präzisiert und gekürzt, die Präsentation finalisiert.

In meiner Diss zitiere ich den aus Österreich stammenden Komponisten Ernst Krenek (1900–1991), der 1938 in die USA emigrierte, mit folgendem Satz von 1935: „Man könne mit dem Nationalsozialismus nicht teilweise sympathisieren, denn er strebe danach, ein allumfassendes totalitäres System zu sein, und er sei es auch schon.“ Das wird auch in der Dauerausstellung des NS-Dokumentationszentrums hier in München sehr deutlich, wenn es wieder geöffnet hat, empfehle ich immer einen Besuch.

Gestern musste ich an diesen Satz denken, als ich folgenden Artikel las:

Wie die Nazis ein Kochbuch stahlen

„Im Sommer 1949, elf Jahre nach ihrer Flucht vor den Nazis, kehrte die jüdische Wienerin Alice Urbach erstmals in ihre Heimatstadt zurück. Sie streifte durch Wiens Gassen, stand weinend vor einem Haus, das einst eine Synagoge gewesen war, in der sie viele Jahre zuvor Hochzeiten gefeiert hatte, und kam irgendwann an einem Buchladen vorbei. Im Schaufenster lag ein Buch: „So kocht man in Wien!“ Es sprang ihr sofort ins Auge. Der Grund: Sie hatte das Buch verfasst. Doch auf dem Umschlag stand ein anderer Name: Rudolf Rösch. Wie konnte das sein?

Diese Frage stellte sich die Köchin bis zu ihrem Tod im Jahr 1983. Und noch heute fragt es sich ihre Enkelin Karina Urbach. Die Historikerin forscht in Princeton und lehrt in London, im Streit um das Vermögen der Hohenzollern förderte sie wichtige Quellen zutage. Nun hat sie die Geschichte ihrer Großmutter aufgeschrieben. Dafür durchforstete sie alte Tagebücher und Briefe, und in Archiven in Wien, London und Washington fand sie längst verloren geglaubte Schriften, Tonbänder und Filme. Aus den Recherchen ergibt sich das Bild einer Frau, die es ihr Leben lang nicht übers Herz brachte, über das Schicksal ihrer drei Schwestern zu sprechen, die im Getto von Lodz und im Konzentrationslager von Treblinka ermordet wurden, aber bis ins hohe Alter immer wieder ihr Kochbuch zurückforderte. „Dahinter steckte wohl die Hoffnung, wieder Kontrolle über ihr Leben zu erlangen“, sagt Karina Urbach, „als eine Art Wiedergutmachung.“ Alice Urbach war diese Kompensation Zeit ihres Lebens nicht gegönnt. Ihre Enkelin hat sie nun doch noch erreicht, fast 40 Jahre später.“

Tagebuch Donnerstag/Freitag, 12./13. November 2020 – Lesen, schwitzen, lesen und ein kleiner Schokobär

Donnerstag wühlte ich mich durch die längsten Kapitel meiner Diss, notierte lauter schicke Dinge und wurde wieder etwas besser gelaunt, weil die Arbeit stimmiger wurde und mir weitaus weniger Fehler oder Ungenauigkeiten auffielen.

Nach neun Stunden am Schreibtisch (minus einer Mittagspause mit Brokkoli im Backteig) wollte ich, für mich sehr ungewohnt, nicht aufs Sofa, sondern mich dringend bewegen. Im Programm war erneut Shotokan vorgesehen, also das weniger schweißtreibende, wenn auch angenehme Halten von Positionen. Das erledigte ich brav und konzentriert und klickte dann irgendein neues Workout an, das nach Cardio und Schweiß aussah. Das war es dann auch, ich schwitzte nach dieser halben Stunde an Stellen, an denen ich noch nie geschwitzt hatte. Die hyperaktive Trainerin hatte ihren Ehemann dabei, der alles mitturnte und netterweise danach genauso fertig aussah wie ich. Ich sehe das gern, dass austrainierte, schlanke Menschen genauso schwitzen wie ich.

Die einfache Methode dieser Einheit: Wir machen eine Übung eine Minute lang, dann kurz Pause, dann dieselbe Übung nochmal und ohne Pause eine weitere hintendran, dann Pause, dann alles von vorne und noch eine dritte Übung hinterher und so weiter. Das waren insgesamt fünf Übungen, also eigentlich nur fünfzehn Minuten richtige Arbeit, aber die reichten dann auch. Eine der Übungen war, schnell auf der Stelle zu joggen (eigentlich auf der Stelle zu hüpfen, aber das kann ich mit meinem Matschfuß nicht) und dabei in ordentlichem Tempo mit beiden Armen nach vorne zu boxen. Die fitte Animierdame musste sich also fünfmal Dinge überlegen, die sie dir zur Anfeuerung durch den Rechner ruft, und sie begann mit dem üblichen „mal alle Agressionen rauslassen“ und ähnlichem, was mich eher nervt, denn ich will ja gar keine Aggressionen abbauen, sondern gut gelaunt schwitzen. Irgendwann schwenkte sie um auf „Stellt euch vor, vor euch hängt eine Piñata, die ihr zertrümmern müsst“ und das fand ich gut. Schon taten die Ärmchen nicht mehr weh.

Geschlafen wie ein Stein. Ein zufriedener, durchgeschwitzter Stein.

Gestern radelte ich morgens mal wieder ins ZI. Im Laufe des Neu-Lesens kamen mir doch noch ein paar Fragen, von denen einige möglicherweise auch nächste Woche an mich gerichtet werden könnten, weswegen ich noch ein bisschen Literatur auffrischen wollte. Ich zog die üblichen Kataloge und Tagungsbände aus den Regalen, las und las und las und merkte irgendwann, dass ich bei den meisten Texten innerlich dauernd dachte „weiß ich, weiß ich, weiß ich auch“. Das war ziemlich schön zu merken, dass man anscheinend doch was gelernt hat bei diesem Studierendingsda.

Die meisten Bibliotheken schließen, soweit ich das sehe, nicht mehr über die Mittagszeit, Schmierinfektionen scheinen also eher kein Thema mehr zu sein, so dass man durcharbeiten kann. Das ZI nicht, da ist um 13 Uhr Schluss, aber so lange brauchte ich eh nicht für meinen Stapel.

Ich holte mir ein schönes Päckchen aus der Packstation, danke, Rowohlt! und freue mich sehr auf Lesen. Rezension gefällig?

Gestern guckte ich nur kurz rein und weiß jetzt, dass Wagner an seinem Todestag einen rosafarbenen Morgenrock trug. Das bringe ich in der nächsten „Wagner und die maskulinen Hypernazis“-Diskussion sofort an.

Abends war Date Night. Seit dem neuerlichen Runterfahren des öffentlichen Lebens halten auch F. und ich wieder mehr Abstand und treffen uns meist nur einmal die Woche und zwar Freitagabend zur Date Night. Ich koche, der Herr bringt Wein und es wird meist lang und schön.

Gestern brachte der Herr noch einen kleinen Lindt-Schokoteddy mit, der mich verzweifeln ließ, weil ich schon einen großen Lindt-Schokoteddy vom letzten Jahr hier rumstehen habe, den ich partout nicht essen kann.

„Ich dachte, den kannst du nicht essen, weil du den Pulli so schön findest? Der kleine hat nämlich keinen.“
„Ich kann den nicht essen, weil er ein Teddybär ist. Jetzt kann ich ZWEI nicht essen!“

Gut, dass der Mann mir noch eine von diesen kleinen Eulen mitbrachte, die kann ich prima essen.

(Im Bild neben den zwei Schokobären der Bruegelbär aus dem Kunsthistorischen Museum in Wien und der Mandelblütenbär aus dem Van-Gogh-Museum in Amsterdam.)

Tagebuch Mittwoch, 11. November 2020 – 1000 doofe Fehler und 4 Eier

Je länger ich in meiner Diss lese, desto mehr Fehler und leider auch gedankliche Trugschlüsse fallen mir auf, was sehr schlechte Laune macht. Da war noch nichts dabei, was die grundsätzlichen Punkte meiner Arbeit kaputtmacht, aber da ist mir doch einiges durchgerutscht trotz 80 Korrekturgängen. Fuck. Meine innere Notenskala geht immer weiter runter.

Ich überlegte gestern, ob ich doch am ursprünglichen Plan hätte festhalten sollen – Abgabe im Oktober, Verteidigung im Februar 2021. Also quasi zum erstmöglichen Zeitpunkt im Juni fertigwerden, was ich ja auch geschafft habe, aber dann nicht abgeben, alles mindestens vier Wochen rumliegen lassen und nicht anfassen, und dann nochmal anständig über alles rübergehen. Netter Plan, aber ich ahne, dass ich das nicht umgesetzt hätte. Ich neige sehr dazu, in noch ein Archiv zu gehen und noch einen Text unterzubringen, und daher meine ich immer noch, dass es in Ordnung war, die Arbeit im Juni abgegeben zu haben, denn inhaltlich habe ich alles gesagt, was ich sagen wollte. Nur diese ganze Flüchtigkeitsscheiße macht mich jetzt wirklich irre. Meine Prüfungsordnung gesteht mir zu, die Arbeit zu korrigieren, bevor ich sie in die Welt entlasse – erst dann darf ich den hoffentlich errungenen Titel tragen –, aber Herr Doktorvater muss dann nochmal drüberlesen. Sorry, Vati!

Einzige Ablenkung gestern waren zwei Versuche, dieses irre Omelette zu reproduzieren, was dazu führte, dass ich sowohl als Mittag- auch auch als Abendessen Omelette aß. Leider nicht so schick aufgetürmt.

Beim ersten Versuch merkte ich, dass ich zuviel Öl und vermutlich auch zuviel Ei in der Pfanne hatte (2 Stück, hübsch verquirlt und gewürzt). Das Ei stockte erwartungsgemäß und ich konnte es auch mit den Stäbchen etwas verzerren, aber es war bereits zu dick, um so eingezwirbelt zu werden wie im Video.

Beim zweiten Versuch mit weniger Öl, aber derselben Menge Ei – ich hatte Angst, es würde sonst reißen – merkte ich, dass ich die Stäbchen nicht weit genug drehen konnte, um den Wirbeleffekt zu erzielen – das Ei in der Pfanne drehte sich mit den Stäbchen. Ich meine inzwischen im Video gesehen zu haben, dass die Pfanne in die entgegengesetzte Richtung gedreht wird, aber das habe ich noch nicht ausprobiert. Vier Eier haben gestern gereicht. Ich übe weiter.

Die @Wortpiratin podcastet jetzt auf Sport1: „Es geht um Menschen mit einer besonderen Fußballvita, einer besonderen Geschichte – und einer eigenen Botschaft. Zu Gast sind Aktivist*innen, Podcaster*innen, Blogger*innen und Spielerinnen, die ungewöhnliche und spannende Geschichten erzählen können und wollen.“ Gleich mal die erste Folge mit Frau @rudelbildung anhören.

Tagebuch Dienstag, 10. November 2020 – Bauch und Brokkoli

Schreibtischtag, das wird hier die nächsten Tage nicht interessanter. Also für mich schon, weil ich einerseits feststelle, dass ich eine schöne Diss geschrieben habe, die ich gerade sehr … sehr … langsam noch einmal durchlese. Andererseits auch nicht, weil mir Flüchtigkeits-, Bezugs- und Rechtschreibfehler auffallen. Memo to me: bei der nächsten Diss Geld für ein Lektorat in die Hand nehmen.

Mittags stand ich vor dem Kühlschrank und wusste nicht so recht, was ich machen soll, bis mir einfiel, dass ich beim letzten Asiamarkt-Besuch eine Tüte Kichererbsenmehl mitgebracht hatte. Daraus wurde Pakorateig mit Kurkuma und Chili, durch den ich Brokkoliröschen zog. Dazu gab’s kein Raita, wie sich’s gehört, sondern gnadenlos Tsatsiki, weil ich Lust auf Knoblauch hatte. Hauptsache Jogurt und Gurke.

Das abendliche Sportprogramm war gestern mal wieder die Bauch- und Rückenmuskeleinheit, auf die ich immer am wenigsten Lust habe, aber gestern konnte ich zum ersten Mal die komplette geforderte Zeit meine olle Plank halten, was mich motivierte, mich beim Restprogramm ähnlich fies anzustrengen, weswegen ich danach sehr erschöpft auf dem Sofa rumlag. Um die hart angegriffenen Energiereserven wieder aufzufüllen, kochte ich eine kleine Portion Milchreis. Nun sind die Kirschen, die ich neulich für den Plunderversuch brauchte, auch fast alle.

F. schickte mir gestern einen Artikel, nach dessen Lektüre ich gleichzeitig Fernweg und Hunger hatte. Also klickt den am besten gar nicht an, vielleicht so im Juli 2021, wenn wir wieder reisen können, ganz eventuell?

Auch F.: „Friedhofshonig … mehr Wien geht echt nicht.“

Schnitzel, Schnecken, Schanigarten: Die Wiener und ihr Essen

„Das Schnitzel ist so etwas wie das Logo der Wiener Küche. Jeder Wiener weiß, wo es das ultimativ beste gibt, ob Kalb oder Schwein, ob mit Erdäpfelsalat oder Pedasü-Erdäpfeln, ob mit oder ohne Preiselbeer. Das Wiener Saftgulasch ist das zweite Standbein der klassischen Wiener Fleischgerichte, dann kommt noch der Tafelspitz, dann kommt lange nix. Um halb eins in der Früh vielleicht noch eine Käsekrainer am Würstelstand oder ein Paarl Frankfurter. Die überall sonst auf der Welt “Wiener” heißen, wohlgemerkt.

Fleisch ist im kulinarischen Bewusstsein der Wiener immer noch “die Hauptspeis”: Wohl weil gerade die klassischen Fleischgerichte lange ein Privileg der Reichen waren, erst in den letzten Jahrzehnten ist Fleisch leistbar, sogar billig geworden.

Auf wessen Kosten, steht auf einem anderen Kaszettl: Billiges Fleisch bedeutet Tierleid und Ausbeutung – und ist der guten Wiener Küche nicht würdig. Die wenigen verbliebenen Wiener Fleischhauer sind sich der Verantwortung bewusst – allen voran die Fleischerei Leopold Hödl in Liesing, der letzte Wiener Fleischer, der noch selbst schlachtet. […]

Wien ist, man sagt es gerne, weltweit eine der Großstädte mit dem höchsten Grünlandanteil. Für Milchwirtschaft oder Getreideproduktion reicht das zwar immer noch nicht, aber es ist faszinierend, wie viele landwirtschaftliche Produkte innerhalb der Wiener Stadtgrenzen hergestellt werden. […]

“Kaum eine Millionenstadt hat so viele Umbrüche und Neustarts erlebt wie Wien, und doch gilt sie heute als lebenswerteste Stadt der Welt”, meint die Wiener Foodbloggerin Alexandra Palla. Das lässt sich auch schmecken: “Es gibt hier moderne Landwirtschaft, kreative Lebensmittelproduzenten und innovative Konzepte.”

Je mehr das Wiener Schnitzel zum ultraflachen Touristikkonzept verbraten wird, desto mehr regionale Produzenten sorgen für einen Relaunch der Wiener kulinarischen Identität von innen. […]

Apropos Kaffee: Das Grundnahrungsmittel der Wiener Identität gibt’s natürlich auch aus lokaler Produktion. Der Meinl und der Naber sind wohl die bekanntesten, Aficionados pilgern lieber zur Kaffeerösterei Alt Wien in die Schleifmühlgasse, zur Kaffeefabrik oder zu den Hipstern von Jonas Reindl. Der Nostalgiker mag das als “Bobo-Schas” bezeichnen – aber genau so wird Kaffeekultur am Leben gehalten. Denn so schön das Kaffeehaussitzen, das es nirgendwo sonst in dieser Ausführlichkeit gibt, auch ist: Ohne an gscheidn Kaffee geht das halt net.

Der Wiener ist prinzipiell Experte für eh alles: Fußball, Kindererziehung, Hundehaltung oder kulinarisches Fachwissen. Deshalb gibts in Wien u. a. das beste Brot (Gragger vs. Joseph Brot, das ist Brutalität!), den besten Schinken (vom Thum), den besten Essig (vom Gegenbauer), die beste Marmalad (vom Staud), den besten Senf (vom Ramsa), den lustigsten Honig (der Friedhofshonig von der Bestattung Wien) … und, natürlich, das beste Sauerkraut.

“Noch vor 50 Jahren gab’s in Wien über 70 Sauerkrautproduzenten!”, erzählt Naschmarkt-Grandseigneur Leo Strmiska, besser bekannt als “Gurkerl-Leo”. Heute gibts nur noch zwei. Leo selbst ist schon in Pension, sein Stand am Naschmarkt wird aber weitergeführt, das legendäre Champagnerkraut und die Salzgurken (Katerwundermittel!) gibt’s nach wie vor in bewährter Qualität, da ist Leo selbst dahinter.“

Tagebuch Montag, 9. November 2020 – Slurry and slurp

Morgens in die Stabi geradelt, um einen Stapel Bücher abzugeben und einen kleineren Stapel wieder zum Rad zu schleppen. Mich mal wieder über diese herrliche Einrichtung gefreut, die mir umsonst Lesestoff gibt, so oft ich will. Vergessen, die gestrige FAZ über den Bibliothekszugang zu lesen, wie ich das in der vergangenen Woche gemacht habe, aber das kann ich ja nachholen. Auch das umsonst. Große Freude.

Es war erneut Schreibtischtag angesetzt wie immer bis nächste Woche, wo eifrig verteidigt wird. Mein Skript steht (vorerst), die Präsentation ist schnell gebastelt (mache ich heute), und ich bin gerade dabei, meine eigene Diss noch mal brav Satz für Satz von vorne nach hinten durchzulesen und mir die Hauptstichpunkte, die wichtigste Literatur, die cleversten Einfälle zu notieren und die als Nebenbei-Skript auswendig zu lernen. Das weiß ich zwar im Prinzip alles, ich habe das schließlich selbst aufgeschrieben, aber von meinen 1000 tollen Fakten habe ich garantiert 500 schon wieder in den Hinterkopf geschoben, von wo ich sie jetzt hervorschaufele.

Beim erneuten Nachdenken über das Thema ist mir aufgefallen, dass ein Schluss, den ich in der Diss zog, auch genau gegenteilig gezogen werden könnte. Ich überlege seitdem, ob das total oder nur ein bisschen bescheuert ist, das bei der Verteidigung anzubringen. Momentane Taktik: Klappe halten und gucken, ob es wer anspricht. Ich kann meinen Schluss hervorragend verargumentieren (siehe Diss), aber seit gestern fallen mir blöderweise auch Argumente für die Gegenseite ein. Stupid Wissenschaft, nie ist irgendwas fix und final.

In einer langen Mittagspause die ersten zwei Folgen der neuen Staffel der Baby-Yoda-Show angeguckt. Anscheinend haben die Macher:innen gemerkt, wie toll wir alle den Säugling finden und lassen ihn jetzt deutlich mehr rumfiepsen und niedlich sein. Mir fehlt noch ein bisschen der Beeindruckungseffekt, den die kleine Knutschkugel in der ersten Staffel hatte; im Moment ist The Child nur lustig oder knuffig. Bisschen dünn. Aber über die letzte Szene der zweiten Folge – slurp –, lache ich immer noch. (Das ist nicht die letzte Szene, das wäre ja ein fieser Spoiler.)

Apropos Essen: Ich ließ mir außerdem in der Mittagspause von der NYT erklären, wie man Ofenkartoffeln macht. Ja-haa! Die mache ich zwar seit Jahrhunderten, aber ich werde die Zubereitung jetzt leicht abwandeln.

Bisher lautete meine Vorgehensweise: Kartoffeln schälen oder auch nicht, die mundgerechten Stücke in Öl mit Gewürzen wälzen, roh aufs Blech, Stunde backen, fertig. Gestern probierte ich aber die Idee, die Kartoffeln vorher zu kochen bzw. immerhin anzukochen, wozu ich ein bisschen Natron ins Wasser gab. Während alles kochte, erwärmte ich einen Zweig Rosmarin, einen Zweig Thymian und drei gepresste Knoblauchzehen in Olivenöl, goss es ab und hob die leicht gebräunten Knoblauchkrümel auf. Als die Kartoffeln latent gekocht waren, goß ich das Wasser ab, gab das Öl in den Topf und schüttelte alles sehr kräftig zwei-, dreimal durch. Die Kartoffeln brachen an der Oberfläche etwas auf, es sah ein bisschen wie Kartoffelbrei aus – slurry eben, so nannte es das Rezept der Times, die auch noch Parmesan wollte, aber den habe ich mir gespart. Dann kam alles aufs Blech wie gewohnt und briet eine gute halbe Stunde vor sich hin. Zum Servieren gab’s die Knoblauchkrümel, ein bisschen frische Petersilie und einen kleinen Jogurtdip. Toll. Die Oberfläche ist knuspriger und das Innere flauschiger aka alles ist zehnmal besser als roh aufs Blech. Wieder was gelernt.

Tagebuch Sonntag, 8. November 2020 – Always online

Gemeinsam aufgewacht, aber für meinen Geschmack natürlich viel zu kurz noch rumgelungert. F. wollte zu Fuß zu seinen Eltern in einem Vorort gehen, was so um die vier Stunden dauert, weswegen er sich irgendwann auf den Weg machen musste, um nicht erst in der Dämmerung dort anzukommen.

Ich puschelte in der Wohnung rum, guckte eine Serienfolge, hing aber dann doch eher wieder den ganzen Tag auf Twitter rum, um bloß kein Meme zu verpassen. Twitter fühlt sich seit zwei Tagen deutlich besser gelaunt als vorher. Wenn man alle Tweets zur Leipziger Idiotendemo ignoriert. Mpf.

Nachmittags saß ich wieder am Schreibtisch und korrigierte meinen First Draft zur Verteidigung, der mir ziemlich gut gefiel. Mal sehen, wie er sich spricht.

United States presidential pets

Aus der Wikipedia-Liste zu präsidialen Haustieren lernte ich, dass „Fido“ heute ein gebräuchlicher Hundename ist, weil der Hund von Abraham Lincoln so geheißen hatte. Generell fand ich den historischen Kontext wie immer spannend: dass George Washington und Ulysses S. Grant sowie weitere Präsidenten ihre Pferde behielten, mit denen sie in den Unabhängigkeits- bzw. den Bürgerkrieg gezogen waren. Dass First Lady Louisa Adams Seidenraupen besaß, um selbst Seide zu spinnen. Dass Rutherford B. Hayes die erste Siamkatze der USA besaß. Dass William Howard Taft seiner Tochter einen Hund schenkte, den er von Enrico Caruso bekam, die aber anscheinend lieber mit Kühen gespielt hätte. Dass die Wolle der Schafe auf dem Rasen des Weißen Hauses von Woodrow Wilson verkauft und der Erlös dem Roten Kreuz gespendet wurde.

The Trump Presidency Is Ending. So Is Maggie Haberman’s Wild Ride.

Habermans Name ist einer der wenigen, die ich von der NYT kenne, weil sie gefühlt täglich in ihr veröffentlicht. Sie kam eher zufällig zu diesem Job: Sie begann bereits 2001, über Trump zu schreiben, lange bevor er Kandidat wurde. Nach der Wahl 2016 brieften sie und ihre Kollegin das eher ungläubige Washingtoner Büro der Times über das, was ihnen nun mindestens vier Jahre bevorstehen sollte.

„Ms. Haberman has been, for the last four years, the source of a remarkably large share of what we know about Donald Trump and his White House, from the Mueller investigation to his personal battle with the coronavirus to his refusal to accept defeat. She’s done more than a story a day, on average, and stories with her byline have accounted for hundreds of millions of page views this year alone. That’s more than anyone else at The Times. She has consistently painted a portrait of a man who is both smarter and less competent than his enemies believe […]

I learned to report from Maggie — and to fear her — in City Hall in New York, where she was a reporter for The New York Post, and where she first covered Donald Trump. […] Ms. Haberman and I finally got to work together at Politico, where she threw me a byline on a 2011 story about Mr. Trump, in which she got at what would become a familiar theme: “The widespread assumption that Trump’s flirtation with the presidency is a publicity stunt is no doubt at least partly true. But that’s merely the point of departure for a man for whom almost every public move over the past 30 years has been a publicity stunt.” […]

She arrived at The Times in February 2015, the sort of midsenior hire who can easily get lost at a big institution, with the nominal mandate of writing a newsletter. […] Everyone wanted to cover the likely Republican nominee, Mr. Bush, and journalists at the time had “this impulse to just not cover” Mr. Trump, she recalled, which she thought was a mistake. So she became the Trump reporter more or less by default, and covered both the campaign’s rolling leadership crisis and the candidate’s divisive words.

When Mr. Trump stunned the country by winning, The Times’s Washington bureau chief, Elisabeth Bumiller, invited Ms. Haberman and another reporter on the Trump beat, Ashley Parker, to brief the Washington bureau on what was to come. In a meeting that has become Times lore, they told a room full of seasoned journalists what to expect. “Always assume you’re being recorded, assume anything you put in an email is going to be tweeted about by him or read aloud, that his aides lie to each other,” she recalled saying.

Ms. Bumiller and much of her team were skeptical. “I remember thinking that the president-elect she was describing — impulsive, unaware of the workings of government, with no real ideology — was exaggerated, and that the office would change him,” Ms. Bumiller said. “I was completely wrong and Maggie was completely right.”

Tagebuch Samstag, 7. November 2020 – Ausgezählt (halbwegs)

Seit Tagen läuft CNN bei mir irgendwo im Hintergrund auf dem Rechner am Schreibtisch, aber als endlich Biden als 46. Präsident der USA verkündet wurde, war ich dabei, den Geschirrspüler auszuräumen und habe es dementsprechend verpasst.

Lange gemeinsam im Bett rumgelungert (aka ausgenüchtert), dann den Resttag getrennt voneinander verbracht. Ich machte Sport und rollte wie immer mit den Augen bei der Anzeige der verbrauchten Kalorien weil mir egal. Aber die gestern verschwitzten 203 konnte ich gleich wieder mit frisch gebackenem Marmorkuchen auffüllen.

Zwei Serienfolgen, einen neuen Roman angefangen neben den ganzen Sachbüchern, die sich durch die Wohnung verteilen, Augsburg beim Verlieren zugeguckt, beim Sieg der Bayern irgendwie eingeschlafen, abends kam F. vorbei und lenkte mich davon ab, meine gesamte Twitter-Timeline zu retweeten, denn alle freuten sich darüber, dass Trumps Tage gezählt sind.

In diesem Zusammenhang verlinkte ich einen Artikel, der beim New Yorker vermutlich seit Dienstag in der Schublade gelegen hatte.

American democracy has survived Donald J. Trump. The Biden Era Begins

Ich fand den leicht veränderten Tonfall spannend. Der New Yorker war von Anfang an kritisch mit Trump umgegangen, aber jetzt wurde auch verbal keine Rücksicht mehr auf irgendein Präsidentenamt genommen. Pure Verachtung.

„Joe Biden, the victor in the popular vote by a margin so far of more than four million, has won the Electoral College and will become the forty-sixth President of the United States. Senator Kamala Harris, the daughter of a Black father and an Indian-American mother, will make history as Biden’s Vice-President. Donald Trump, who will finish out his term as the most cynical character ever to occupy the Oval Office, was mendacious to the last, claiming victory before the ballots were counted and accusing an unknown “they” of trying to steal the election from him. He is sure to pursue his case, however misbegotten, in the courts and in the right-wing media. It would also come as no shock if he provoked civil unrest on his own behalf. If four years have proved anything about Trump, it’s that he is capable of nearly anything.

The unhinged, if predictable, spectacle of Trump’s press conference early Wednesday morning at the White House was outrageous even to some of his closest allies: here was an unstable authoritarian trying his best, on live television, to undermine one of the oldest democratic systems in existence. “This is a fraud on the American public,” he complained. “This is an embarrassment to our country.” As far as he was concerned, citing no evidence, “we have already won it.” Trump was willing, as always, to imperil the interests and the stability of the country to satisfy his ego and protect his power. On Thursday evening, Trump reprised this malign and pathetic performance, as he took to the White House pressroom to claim, again without proof, that he was being “cheated” by a “corrupt system.” Reading from a prepared text, he said that his vote was being “whittled down” as ballots were being counted. He spun a baseless conspiracy theory about dishonorable election officials, a burst pipe, and “large pieces of cardboard.” His words were at once embittered and deranged; his voice betrayed defeat. There has never been a more dangerous speech by an American President, and it remained to be seen if his party’s leadership would, at last, abandon him.“

Das Lenbachhaus geblückt (Tippfehler, lasse ich so) mich gerade täglich (!) mit einem Newsletter, bis das Haus hoffentlich im Dezember wieder öffnen kann. Auch anmelden? Hier zur Einstimmung der von heute.

Tagebuch Freitag, 6. November 2020 – First Draft

Ab morgens lief CNN, ich saß am Schreibtisch und haderte mit dem ersten Textentwurf für meine Verteidigung. Aber wie schon beim Skript fürs Doktorandenkolloquium: Das tagelange Rumdenken hatte geholfen, ich stellte CNN auf stumm und schrieb, klickte nach jedem Absatz rüber, ob Biden inzwischen Präsident war, nee, noch nicht, okay, dann schreibe ich noch einen Absatz, und so ging das weiter, bis am frühen Nachmittag der erste Textentwurf stand und ich endlich mal frühstücken konnte. Ich gucke heute gespannt weiter CNN und lese Korrektur. Oder schmeiße alles um, wir werden sehen. Las sich gestern aber erstmal gut.

Abends kam F. vorbei, ich kochte Carbonara, wir öffneten ein Weinchen und dann noch einen kleinen Schaumwein, der war halt da, wir hatten uns seit Sonntag brav nicht mehr gesehen wegen der Infektionszahlen, jetzt sah man sich wieder und das wurde gefeiert. Sein Gastgeschenk war mein geliebter Adventskalender von Xocolat. Wenn wir nicht nach Wien können, muss Wien halt hierher kommen.

Biden war immer noch kein Präsident, als wir sehr spät ins Bett fielen.

Der Münchner Künstler Michael Grossmann veranstaltet gerade per Stream Lesungen und Aufführungen unter dem Titel Fire a 1000 Poems. Vorgestern war Wolfgang Ullrich zu Gast, von dem ich Siegerkunst gelesen hatte, hier eine Rezension; genau darüber wurde auch gesprochen.

Tagebuch Donnerstag, 5. November 2020 – ARGH

Ich hätte nicht gedacht, wie sehr es an mir zehrt, nicht endlich ein Endergebnis aus den USA zu erfahren. 253 vs. 213 (beim New Yorker 264 vs. 214, why) gefühlt seit Monaten. Musste mich heute morgen daran erinnern, dass das Tantris erst eine Woche her ist und nicht schon drei.

Sehr unkonzentriert gearbeitet, davon sehr genervt gewesen, noch unkonzentrierter geworden, noch genervter geworden. Anruf vom Mütterchen, der nichts besser gemacht hat.

Zwischendurch eine Runde Sport, wenigstens das hat gut getan. Ich mag anscheinend Cardio-Kickboxing, warum auch immer, man lernt nie aus. Könnte an den 8 Millionen Kilo Aggression liegen, die ich gerade mit mir rumtrage, Corona, Arbeitsmarkt, unkonzentrierte Prüfungsvorbereitung, Zukunftsaussichten, Kontostand.

Immerhin gut gegessen, es gab Nudeln und Tofu mit Sesamsauce, das Rezept korrigiere ich gleich nochmal, das ist so fürchterlich formuliert, dass ich davon gestern auch genervt war. (Edit: erledigt.)

Tagebuch Mittwoch, 4. November 2020 – Unkonzentriert und nölig, aber mit Milchreis

Nach nur gut dreieinhalb Stunden Schlaf war ich wieder wach, also wach in Anführungszeichen, kochte die übliche Kanne Tee (letzte Grünpack-Packung angebrochen, muss wieder nachordern) und setzte mich an den Schreibtisch.

Ich las den ganzen Tag in einer anderen Dissertation bzw. in der üblichen Sekundärliteratur, was mich gerne an meinen eigenen Fähigkeiten zweifeln lässt, weil andere viel schlauer sind. Dr. F. so per DM: „Lässt das Imposter Syndrome nach einer erfolgreichen Verteidigung nach?“ Ich so: „Keine Ahnung, sag du’s mir.“

Ich bejammerte mal wieder die möglicherweise fehlende Theorie in meiner Diss. Ich erwähnte es vermutlich schon mal, aber je länger ich mich mit Kunstgeschichte beschäftige, desto mehr erkenne ich, dass ich mich eher als Historikerin denn als Kunstwissenschaftlerin sehe. Das ganze theoretische Geblubber, das auch gerne in musealen Wandtexten zu finden ist, geht mir des Öfteren sehr auf die Nerven. Ich arbeite zehnmal lieber in Archiven mit Originalquellen als mit den bedeutungsschwangeren Sekundärtexten. Gerade bei der Auseinandersetzung mit NS-Kunstwerken geht es – meiner Forschungsmeinung nach – grundsätzlich um eine eher persönliche Deutungshoheit, indem man eine Autobahnbrücke entweder als bedrohlich, beeindruckend oder langweilig beschreibt. Je nach eigener Auslegung des Begriffs „Kunst“, über den Enzyklopädien geschrieben wurden, kann man den Werken, die zwischen 1933 und 1945 an Museumswänden gehangen haben, jede gewünschte Bedeutung einschreiben oder genau diese verneinen. Vermutlich klingt meine Diss an manchen Stellen ähnlich bockig wie dieser Blogeintrag.

Auch deshalb fand ich das Doktorandenkolloquium so nett, weil man mal nicht darüber diskutieren muss, ob das, womit wir uns beschäftigen, nun Kunst ist. Größtenteils keine besonders gute Kunst, aber halt Kunst. Was mir auch geholfen hat, waren die vielen Fragen, die an die Vortragenden, auch an mich, gerichtet wurden. Für meine Verteidigung versuche ich natürlich schon im Vorfeld zu überlegen, wo Nachfragen kommen könnten, und ich fand es sehr überraschend, auf was ich im Kolloquium antworten musste. Alles, was ich mir vorher überlegt hatte, war egal, es kamen ganz andere Fragen. Die haben mich immerhin auf ein paar Ideen für die Verteidigung gebracht.

Das Lernen für die Disputation ist ungewohnt, weil ich größtenteils meinen eigenen Kram auswendig lerne. Ich habe ein miserables Namensgedächtnis, immer, wenn ich Maler oder Malerinnen der GDK erwähne, blubbere ich was von „der Maler dieses dreiteiligen Werks mit Bauer, Soldat und Arbeiter“ anstatt Hans Schmitz-Wiedenbrück zu sagen, weil mir der Name halt nie einfällt. (Indem ich ihn aufschreibe, merke ich ihn mir vielleicht endlich mal.) Die Maler, die ich etwas länger in der Diss erwähne, habe ich drauf, alle Maler*innen und ihre Werke aus meinen knapp 1900 Fußnoten muss ich auswendig lernen. Was gestern etwas schwer fiel, weil ich einen Hauch müde und unkonzentriert war.

Zum Mittag Kartoffelbrot mit den üblichen Belägen (Senf, Salat, Gurke, Käse, dieses Mal noch Fenchelsalami), dazu eine Runde Gemüse zum Wegknabbern und eine der letzten Folgen Gilmore Girls. Ist der Re-Watch auch wieder durch.

Abends war ich kurz davor, noch was zu backen, weil ich was Nettes machen wollte, als mir Herr Hirngabel seinen Milchreis in die Timeline spülte. Milchreis! Eine völlig unterschätzte und glücklich machende Köstlichkeit. Gleich angesetzt, und während er vor sich hinblubberte, rührte ich schnell noch Florentiner zusammen, für die ich überraschenderweise alles im Haus hatte (eine Zitrone statt einer Orange reingerieben). Damit ging der Tag wenigstens entspannt und satt zuende UND ich habe heute Kekse zum Frühstück.

Gegen eins vor CNN weggedöst, was anscheinend gut war, die US-Wahl ist auch heute noch nicht durch.

Tagebuch Dienstag, 3. November 2020 – Eine von fünfzehn

Schreibtischtag, ich bastele weiter an der Verteidigung meiner Diss. Gestern sah ich auf der Uni-Website endlich die Kandidat:innen und ihre Themen, die in unserer Fakultät für Geschichts- und Kunstwissenschaften an diesem, meinem, Termin verteidigen. Uns standen drei Termine für 2020 zur Auswahl, zwei sind schon vorbei, der dritte ist jetzt im November. Im letzten Termin verteidigten gerade zwei Doktorand:innen, dieses Mal stehen 15 Namen online, und einer davon ist meiner. Ein kleiner stolzer Moment.

Alle Verteidigungen finden per Zoom statt. Wir hätten die Möglichkeit gehabt, auch in den Räumen der Uni, des Zentralinstituts für Kunstgeschichte oder des Instituts für Zeitgeschichte zu sprechen, aber dafür hätten Hygienekonzepte entwickelt werden müssen, wofür vermutlich niemand von uns so recht einen Kopf hat, ich jedenfalls nicht.

Leider habe ich zu spät auf die Seite geschaut: Der erste mögliche Disputationstermin wäre der 2. November gewesen und den hatten sich auch gleich einige gesichert. Vor meiner eigenen würde ich mir gerne eine andere Verteidigung anschauen, und ausgerechnet gestern wäre eine gewesen, die mich thematisch interessiert hätte. Die nächste ist erst einen Tag vor meiner eigenen, aber dann nehme ich die halt mit. Vermutlich ist es egal, ich werde eh nervös sein.

Mittags mal wieder Ottolenghis scharfen Tofu zubereitet, und weil ich mich allmählich an scharf rangegessen habe, war er auch erstmals scharf und nicht nur so latent würzig.

Abends döste ich gerne vor Netflix weg, denn ich hatte mich auf eine lange Nacht eingestellt. Ab 1 Uhr lief CNN und ich klickte abwechselnd bei der NY Times und dem New Yorker rum, aber gegen 3 war ich doch zu müde und ehrlich gesagt ein bisschen mutloser geworden. Ich hatte auf ein deutlicheres Ergebnis für Florida gehofft und auf überhaupt irgendeins für Georgia. Momentan (9.50 Uhr am Mittwochmorgen) gehört Florida Trump und auch Georgia neigt sich sehr in seine Richtung. Überhaupt neigt sich viel zu viel für meinen Geschmack in seine Richtung, obwohl ich natürlich auch weiß, dass die Briefwahlstimmen teilweise noch ausgezählt werden, es ist noch nichts entschieden, ja, schon gut. Aber: Die letzten vier Jahre Trump waren für viele Menschen offensichtlich kein Grund, ihm ihre Stimme zu verweigern; stattdessen haben sich sogar noch mehr für ihn entschieden: 2016 lag er bei knapp 63 Millionen Stimmen, jetzt, noch vor dem Abschluss des Zählvorgangs, sind es bereits über 65 Millionen für ihn. What the hell? (Clinton 2016 knapp 66 Mio, Biden derzeit knapp 67.)

Ich kann es schlicht nicht mehr nachvollziehen. Wo ich mich 2016 zähneknirschend damit abgefunden hatte, dass Clinton anscheinend deutlich unbeliebter war als ich dachte, und ich den Trump-Wähler:innen zugestanden habe, einfach mal ein bisschen zündeln zu wollen, um zu gucken, was passiert, fällt mir jetzt wirklich kein Grund mehr ein. Außer: Sie wollen wirklich alles brennen sehen, weil’s bisher ja so schön gebrannt hat. So wie ich damit klarkommen muss, dass hierzulande Menschen die AfD nicht trotz, sondern wegen ihrer extremistischen Positionen wählen, was mir auch schlicht nicht in den Kopf will.

Ich geh jetzt wieder Nazikram lesen, passt grad gut in die Zeit.

Tagebuch Montag, 2. November 2020 – Am Schreibtisch

Viel über die Weimarer Republik gelesen, dann Zeug erledigt, das nicht ins Blog gehört, weiter gelesen, geschrieben. Zwischendurch Kartoffelbrot mit Zeug drauf, eine Kanne Ostfriesentee, abends noch einen Chai Latte und ein Müsli. Es gibt gerade nichts zu erzählen.

Heute wird in den USA endlich gewählt. Susan B. Glasser vom New Yorker begleitete 45 auf seinen letzten Kampagnenstops. Ich bin so froh, wenn das endlich (hoffentlich) vorbei ist.

Donald Trump’s 2020 Superspreader Campaign: A Diary

„To watch in full, and not just a highlight reel, is to be reminded of Trump’s verbal diarrhea, his absolute inability to connect two thoughts in a way that makes sense—not even with a week to go in the election and his Presidency dependent on the outcome. Trump can and will ramble on until the very end, convinced that the audience is there for whatever he chooses to give it and that, just like their President, they don’t give a shit about the particulars. But the digressions are far more numerous and confusing than in the 2016 original. This time, the rallies are like a TV show that is too many seasons along to attract new viewers; it’s for superfans only at this point. […]

Around 1 p.m. local time, Air Force One pulled up on the tarmac in Bullhead City, Arizona. “Macho Man” was playing as the crowd waited for Trump. For four years, his insistence on a playlist heavy on the Village People has simply been one of those ridiculous things about a Trump rally. The man knows no irony. The song may have originated as a gay anthem, but to Trump it is just a celebration of his alpha-maleness. “You’re so lucky I’m your President!” Trump said, after a long rant about Biden’s flaws. Then there was a riff on his own hair, and how it’s his real hair, and how it was so windy out, and then Trump took a red “Make America Great Again” hat from someone and put it on. Is this what passes for macho among his supporters? […]

On Thursday night, Trump’s son Donald, Jr., was on Fox News with Laura Ingraham, one of the Trumps’ favorite prime-time hosts. He told Ingraham that, in fact, coronavirus deaths had dwindled to “almost nothing,” on a day when the U.S. once again hit a record for new cases and more than a thousand Americans died of the virus. Ingraham did not challenge him. […]

No question that Trump is worried. Turns out he can’t sleep, either. He is doomscrolling and anxiety-tweeting overnight, just like the rest of the country. At 2:34 a.m., he tweeted, “make america great again. vote!” At 2:37 a.m., he tweeted, “#Bidencrimefamily.” At 2:40 a.m., he tweeted, “Biden will destroy the United States Supreme Court.” Soon after that, he was ranting about a Biden plan for the Supreme Court so diabolical that it would apparently involve not only a packed court but a “revolving court,” whatever that is. The time stamp on the tweet was 2:57 a.m. I guess it’s sort of comforting to know that he, too, is having nightmares about the election. […]

Yet the crowd invariably loved it when Trump mocked the mask-wearers. They hooted and applauded when he called Biden stupid and a crook. They booed on cue when Trump brought up dangerous terrorist refugees and those un-American young women in Congress. It was the same wherever Trump went. I remember one of my Russian teachers telling me what it was like to grow up in the Soviet Union, to be a Young Pioneer and to want so much to believe that one was part of the crowd, to go along with the crowd no matter what. But, after a week of immersion in the final days of Trump’s campaign, the rational explanations for this phenomenon don’t do justice to what it is like to be confronted with it in rally after rally. The President’s glee in slinging hate is equalled by the discomfiting spectacle of thousands cheering him on as he does it.“

Tagebuch Sonntag, 1. November 2020 – Museumsbesuch

Ich hatte in der letzten Woche mehrere Menschen in meiner Twitter-Timeline, die sich über andere aufregten, die jetzt nochmal schnell irgendwas machen, bevor es ab heute für mindestens vier Wochen nicht mehr möglich ist. Beim Tantris habe ich mich entschuldigt gefühlt, der Termin stand seit März; beim gestrigen Museumsbesuch muss ich aber gestehen: Ja, das war einer von den Dinge, die man vermutlich hätte sein lassen können. Andererseits weiß ich auch, dass die Villa Stuck äußerst selten überlaufen ist, und deswegen trafen F. und ich uns dort um 11 Uhr, um einmal das ganze Haus abzuarbeiten. Der Herr ging zu Fuß, ich radelte, womit wir immerhin den ÖPNV umgehen konnten.

Die Ausstellung, wegen der wir ins Museum wollten, war Margret Eichers „Lob der Malkunst“. Die Künstlerin verarbeitet auf ihren Wandteppichen (ja, genau) popkulturelle Motive und setzt sie in Beziehung zu gelernten, klassischen Motiven. Mein Favorit war ein Teppich, dessen zentrales Bildfeld eine Computerspielszene mit einem Soldaten und seinem Gewehr zeigte. Ich kenne mich in Ballerspielen nicht genug aus, um zu wissen, welches Spiel hier referenziert wurde, aber ich nahm das als generische Abbildung hin. Das Spannende war die Verbindung zu alten Motiven: Das Werk hieß „Das große Rasenstück“ und verwies damit natürlich auf Albrecht Dürers gleichnamiges Aquarell, das auch optisch in Ausschnitten zu sehen war. Im Hintergrund des Soldaten, der sich quasi aus Dürers Wiese erhebt, waren Apfelbäume zu sehen, sie verweisen auf das Paradies und erinnerten mich ebenfalls an ein Dürer-Werk.

Die restlichen Werke fand ich spannend bis egal; die Technik, Motive als Teppich zu zitieren und nicht als Collage oder ähnliches, ist für zwei, drei Räume interessant – und dann beliebig, leider.

Auch die Teppiche von Beate Passow konnten mich nur kurz fesseln, auch hier herrschte bei mir Bewunderung für die Mühe vor anstatt Begeisterung für Motive und Ideen.

Für Maya Schweizers Videokunst hatten wir dann leider beide nicht die innere Ruhe. Wir blieben beide nur gut 15 Minuten vor einem oder mehreren, kürzeren Werken, konnten uns aber nicht so recht konzentrieren. (Vielleicht DIE GESAMTSITUATION?) Daher verließen wir auch diese Räume eher schnell.

Vielleicht hätten wir doch die klassische Moderne, die auf zeitgenössische Kunst aus der Sammlung Goetz trifft, in der Pinakothek nehmen sollen, aber die ist Sonntags wegen des herrlich geringen Eintritts von einem Euro gerne mal etwas voller, und so brav waren wir dann doch, dass wir uns bewusst ein leereres Haus aussuchten.

Ich radelte im Regen nach Hause, wo ich zunächst mein vorgestern angesetztes Kartoffelbrot nach Lutz Geißler buk. Es ging nicht so gut auf wie erwartet, war aber trotzdem äußerst schmackhaft – und vor allem sehr saftig.

Seit Freitag ist die erste Folge der neuen Staffel des Mandalorian online. Ich bin der Serie, die bei Kenner:innen wie F. nur „Baby Yoda Show“ heißt, bisher weiträumig ausgewichen, weil ich froh bin, nie wieder Star Wars gucken zu müssen. Gestern warf mir Giardino aber einen YouTube-Clip in die Timeline, der mich interessierte: „The Tradegy of Droids in Star Wars“, der die eigentümliche Beziehung zwischen Humanoiden und Robotern in diesem Teil des Universums untersuchte. Das Ding war voller Mandalorian-Clips und -Spoiler, und nachdem ich mich seit einem Jahr über ein Meme freue, das aus der Serie stammt …

… gab ich nach und guckte gestern alle acht Folgen der ersten Staffel. Und war überrascht: Das machte größtenteils sehr viel Spaß, weil Star Wars aufhörte, große Weltenzusammenhänge zu erklären, sondern einfach nur unterhalten wollte. Hätte ich gewusst, dass das Ding von Jon Favreau stammt, hätte ich es früher geguckt, aber ich war halt bockig. (Dass F. seit Monaten „I am Star Wars now“ zitiert, half auch ein bisschen.)


(Reddit)

Tagebuch Samstag, 31. Oktober 2020 – Ein typischer Samstag

Gemeinsam aufgewacht. Morgens länger Zeit miteinander verbringen zu können, freut mich immer.

Den vorletzten Bagel des letzten Backschwungs vertilgt, neuen Brotteig angesetzt.

Mein Fahrrad aufgepumpt, dessen Vorderreifen am Freitagabend überraschend total platt war, weswegen ich den Bus zum Tantris genommen hatte. Im Nachhinein frage ich mich, ob es überhaupt einen Fahrradständer am Sternetempel gegeben hätte. Vielleicht irgendwo verschämt um die Ecke.

In die Sportklamotten geworfen und nur so halb motiviert mitgeturnt. Gestern waren wieder lustige Bauch- und Rückenmuskelsachen dran, weswegen man größtenteils auf der Yogamatte lag. Dort blieb ich auch die Hälfte der Übungen einfach liegen, nahm mir Auszeiten und atmete tief in mich rein anstatt noch 30 Sekunden zu planken. War auch mal nett.

Eh angeschwitzt schnappte ich mir den Staubsauger und hübschte die Wohnung oberflächlich auf. Ich vermisse den Hamburger Staubsaugerroboter schon sehr.

Fußball geguckt, auf dem Sofa rumgelegen, abends Pizzateig angesetzt und mit F. gemeinsam verspeist, dazu ein Bierchen. Was man halt so nach einem Tantris-Besuch essen mag.

Gemeinsam eingeschlafen, beide angenehm entstresst und sehr müde.

Ich bin auf einen der vielen Twitter-Posts des DFB reingefallen, der „50 Jahre Frauenfußball“ feiern wollte. Natürlich feiert der DFB das Ende seines eigenen Verbots von Frauenfußball, wie Mara Pfeiffer (@wortpiratin) klug ausführt.

Frauenfußball: Das falsche Jubiläum

„Der Deutsche Fußball-Bund feiert am 31. Oktober 50 Jahre Frauenfußball – und das sagt viel aus darüber, was man in Sachen Verband und dessen Verhältnis zu dem Thema wissen muss. Denn natürlich spielen Frauen auch in Deutschland viel länger Fußball als 50 Jahre. Was 1970 endete, war das 15-jährige Verbot, sie in Vereinen spielen zu lassen, die im DFB organisiert sind. Der Jahrestag wäre ein guter Anlass gewesen, mit dem falschen Wording aufzuräumen. Der DFB hat die Chance, wie vieles im Frauenfußball, achtlos am Spielfeldrand liegenlassen.

Lange schien hierzulande gewiss, dass Frauen 1930 begannen, in Teams organisiert Fußball zu spielen. Damals gründet die 18-Jährige Lotte Specht aus Frankfurt den 1. Deutschen Damenfußballclub. Zuvor hat sie über eine Annonce Gleichgesinnte gesucht. Etwa 40 Rückmeldungen erhält die Tochter einer Metzgerfamilie, 35 der Frauen gründen Anfang 1930 in der Gastwirtschaft “Steinernes Haus” nahe des Römers den 1. DDFC.

Die Spielerinnen, kurzzeitig trainiert von einem Mann, kicken meist gegeneinander, seltener gegen Männerteams. Dabei begegnen ihnen Häme und Spott und auch unter dem Druck der Eltern geben sie ihr Hobby bald auf: Bereits im Herbst 1931 wird der Verein aufgelöst. Wer heute “Lotte Specht” als Suchbegriff auf der Homepage des DFB eingibt, erhält null Treffer für die Pionierin, selbiges gilt für ihren Klub. Der erste Männerverein BFC Germania 1888 und seine Gründer, die vier Jestram-Brüder, sind selbstverständlich zu finden. […]

Zur Zeit der Nationalsozialist*innen verschärft sich die Haltung gegenüber fußballspielenden Frauen, ohne dass ein konkretes Verbot erlassen wird. Der “männliche Kampfcharakter” widerspreche “dem Wesen der Frau”. Auch dem im Juli 1949 wiedergegründeten Deutschen Fußball-Bund sind spielende Frauen nicht recht. Der Sport wird als “unweiblich” und “nicht frauengemäß” gesehen und der Verband schafft auf seinem Bundestag am 30. Juli 1955 in Berlin Fakten: Er verbietet Frauenfußball in seinen Reihen. Im Detail heißt das, die im DFB organisierten Vereine dürfen weder Abteilungen führen oder gründen, noch Frauenteams ihre Plätze überlassen. Schieds- und Linienrichtern wird verboten, Frauenspiele zu leiten.

Die Begründungen sind kurios: “Im Kampf um den Ball verschwindet die weibliche Anmut, Körper und Seele erleiden unweigerlich Schaden und das Zurschaustellen des Körpers verletzt Schicklichkeit und Anstand.” Auch Auswirkungen auf die Fortpflanzung werden diskutiert. Verbieten kann der DFB nur Aktivitäten unter seinem Dach – weder das Spiel, noch dessen Ausbreitung auch bei Frauen. Die kicken und gründen munter weiter. […]

Beim DFB ringt man sich im Herbst 1969 durch, das Thema wieder auf die Agenda zu heben. Gesellschaftlich hat es durch die neue Frauenbewegung abermals Schwung bekommen, die Forderungen nach Gleichberechtigung werden lauter. […]

Beim DFB-Bundestag am 31. Oktober 1970 hebt der Verband sein Verbot auf. Es geht ihm darum, die Deutungshoheit zurückzugewinnen: zu den Auflagen gehören eine monatelange Winterpause, ein spezieller Ball, das Verbot von Stollenschuhen und eine verkürzte Spielzeit.

Mehr als 15 Jahre hat man den Frauen Steine in den Weg gelegt. Weil sie auch nach 1970 nicht geleichwertig behandelt werden, hat der Sport diese Zeit nie wirklich aufgeholt.“

Was schön war, Freitag, 30. Oktober 2020 – Zum zweiten Mal Tantris

Nach der Abgabe der Masterarbeit vor drei Jahren gönnten F. und ich uns einen Besuch im Tantris, um dieses Ereignis gebührend zu feiern. Damals war ich von allem überfordert, gleichzeitig schwerstens beeindruckt und meinte, dass ich erst nach der Abgabe der Dissertation dort wieder hingehen würde. Und so habe ich es auch gemacht.

Küchenchef Hans Haas geht Ende 2020 in Rente, danach wird das Haus saniert und beginnt unter einem neuen Küchenchef eine weitere Ära in seiner Geschichte. Auch das war ein Grund dafür, dort noch einmal hingehen zu wollen. Wir hatten eigentlich eine Reservierung im März zu meinem Geburtstag, weil wir ahnten, dass es zum Ende des Jahres – wenn alle nochmal bei Haas essen wollen – vielleicht schwieriger werden würde mit der Buchung. Meine Abgabe war da noch für Oktober geplant, ich wusste aber schon, dass es klappen würde mit der Einreichung, also zogen wir die Diss-Feier vor. Bis der Lockdown kam, alles schließen musste und wir die Reservierung verschoben – auf Ende Oktober, jetzt sogar perfekt nach der Abgabe, und im Oktober wäre ja möglicherweise schon das Schlimmste an der Pandemie vorbei. Nun ja.

Ich verbrachte die letzten zwei Wochen, nachdem die Infektionszahlen durch die Decke gingen, damit, jeden Tag zu gucken, wie die Ansagen für die Gastro gerade waren. Ende letzter Woche war klar, dass die Restaurants noch geöffnet blieben, die Sperrstunde aber auf 21 Uhr vorgezogen wurde, was bedeutete, dass wir uns vom geplanten 7-Gang-Menü verabschieden mussten. Es war uns aber beiden ganz recht, dass uns diese Überlegung abgenommen wurde: Wir mussten nicht mehr auf Zahlen und Zeiten gucken, sondern wussten: 18 bis 21 Uhr, vier Gänge, fertig.

Wobei ich bis gestern nachmittag noch haderte, überhaupt hingehen zu wollen. Ja, Diss-Abgabe feiern, ja, noch einmal von Haas bekocht werden, ja, schon klar. Aber: [Hier alle Gegenargumente für Restaurantbesuche einsetzen, die ich alle kenne und an die ich mich seit März halte. Ich war einmal im Broeding und ansonsten dreimal in Gaststätten, allerdings draußen, und zweimal im Biergarten.] Ich las eine Studie nach der anderen, die im Prinzip nur das aussagte, was wir vermutlich alle inzwischen verinnerlicht haben: In ungelüfteten Innenräumen ist das Infektionsrisiko höher als draußen. Das half nicht so recht weiter.

Ein Punkt in meinen Überlegungen waren die Infiziertenzahlen in München: Derzeit sind ungefähr 0,3 Prozent der Bevölkerung erkrankt. Das schien mir ein halbwegs überschaubares Risiko zu sein in einem nicht turnhallengroßen Sternerestaurant mit funktionierender Klimaanlage.

Was den Ausschlag gegeben hat, mich ohne Maske drei Stunden lang in einen Gastraum zu setzen, und das hat mich selbst überrascht, war Instagram. Erst vor wenigen Tagen, als der Lockdown beschlossene Sache war, fiel mir auf, dass viele meiner Foodies, denen ich folge, in den letzten Monaten weiter essen gegangen waren, Gerichte posteten und sich anscheinend weniger Sorgen gemacht hatten als ich. Gleichzeitig waren sie auf Twitter unterwegs, posteten Bilder von sich mit Maske, unterstützten die Ansagen der Regierungen und waren generell vernünftige Menschen. Das überzeugte mich, warum auch immer, davon, dass man möglicherweise halbwegs gefahrlos essen gehen konnte, wenn man sich die richtigen Läden dafür aussuchte. Also ging ich essen.

Wie schon beim letzten Blogeintrag stehen auch hier wieder keine Fotos der Gerichte; dieses Mal knipste ich zwar, aber ich behalte das trotzdem für mich.

Wie F. gestern schon sagte: „Man geht nur einmal das erste Mal ins Tantris“, und damit hatte er sehr recht. Ich kannte nun die Qualität der Speisen, die aufgetragen wurden, und war daher nicht mehr ganz so umgehauen wie beim ersten Mal. Was mich dieses Mal fertig gemacht hat, waren die Weine. Wir – also F., denn ich wurde großzügigerweise eingeladen – entschieden uns für die Premium-Weinbegleitung, die hier aus der Hüfte fotografiert lesbar ist. Den Preis habe ich mal abgeschnitten.

Wo ich beim ersten Besuch notiert hatte, dass ich fast beim Lammgang geheult hätte, weil er so toll gewesen war, erledigte mich dieses Mal ein Chardonnay, und ich bin nicht mal großer Chardonnay-Trinkerin. Ich hatte im letzten halben Jahr, wo ich gefühlt von allem gestresst und überfordert war und die kleinen Futterinseln, die mir andere bauen, größtenteils ausgelassen hatte wegen DER GESAMTSITUATION, anscheinend vergessen, wie glücklich mich hervorragendes Essen und noch bessere Weine machen können. Die gestrigen drei Stunden begannen für mich etwas angespannt, aber nach dem Champagner zum Reinkommen, dem Gruß aus der Küche und dem tollen ersten Gang fühlte sich alles gleichzeitig nach Urlaub und, Achtung, das böse Wort in diesem Jahr, endlich mal wieder irgendwie normal an. Bei mir lösten sich anscheinend siebzehn Blockaden gleichzeitig und so verheulte ich die konfierte Seezunge mit Blumenkohlpüree und Sepiagnocchi total, weil ich nach jedem Schluck Tränen trocken musste, mich wieder zusammenriss, einen Bissen nahm, einen Schluck trank – und wieder weinte. Gut, dass die Tische schon in Nicht-Pandemie-Zeiten hier so schön weit auseinanderstehen und jetzt erst recht – vermutlich hat das niemand mitbekommen außer F., und der kennt mich Heulsuse ja.

Was auch schön war: Wir hatten endlich mal andere Gesprächsthemen als den derzeit üblichen Deprikram, weil wir, wie immer bei Restaurantbesuchen, jeden Krümel auf dem Teller ausdiskutieren und alle zwei Minuten neue Noten in den Weinen entdecken. Das ging bis zum Digestif so weiter, den wir gleich zweimal nahmen. F.: „Haben wir noch Zeit?“ – Kellner: „Noch zehn Minuten.“ – F.: „Dann noch eine Runde.“ So genoss der Herr zweimal einen Bierbrand (noch nie gehört) und ich sprach selig einem Tonkabohnengeist zu.

Nach vier Gängen waren wir längst nicht so abgefüllt wie nach dem letzten Mal, wo wir uns ein wenig erschlagen zur U-Bahn schleppten. Gestern spazierten wir zu einer Bushaltestelle auf ungefähr einem Drittel des Wegs, ich ließ mich nach Hause chauffieren, F. zu sich, wonach er zu Fuß zu mir kam. Es war seltsam, den Abend schon gegen 22 Uhr zu beenden, da hätten wir normalerweise gerade beim Dessert gesessen und danach noch eine Etagere Petit-fours leergemampft, aber das war okay. Ich habe mich sehr gefreut, dieses Erlebnis noch mitnehmen zu können, bevor wir alle vier Wochen lang zuhause sitzen. Ich fühle mich jetzt auch etwas besser gerüstet für den langen Winter. (Vielleicht doch noch auf Önologie umsatteln?)

Die Damentoilette, immer wieder ein Erlebnis.