Tagebuch Donnerstag, 5. März 2020 – Archiv und Bib, sorry, aufregender wird’s hier nicht mehr

Archiv war schon Mittwoch. Ich eruierte mit Google Maps und dem Raumfinder der TU, wo sich wohl das Architekturmuseum befinden könnte, erwischte in der Realität dann auch den richtigen Eingang am richtigen Gebäude – und irrte trotzdem fünf Minuten rum, bis mich die Archivarin ansprach, ob ich vielleicht ins Museum wolle. „Ich sag dauernd, wir brauchen hier ein Schild, das findet niemand!“ Ich möchte ergänzen: Drinnen wäre ein Schild „Ausgang“ auch super, diese schweren Holztüren sehen alle gleich aus.

Der Aufenthalt im Museum war leider auch nicht erfolgreicher. Der schriftliche Nachlass von Theo Lechner bestand aus zehn kopierten Seiten, die sich hauptsächlich um seine Berufung zum Prof 1940, wenn ich mir das richtig gemerkt habe, drehten. Immerhin eine Seite guckte ich länger an, denn da stand eine Art Lebenslauf mit den ganzen Projekten, die er betreute, und da schaute ich einfach, ob eins dabei war, bei dem ich auch Protzen verorten konnte. War’s nicht.

Die Archivarin gab mir noch den Tipp, es im TU-Archiv zu versuchen, aber die bewahren eher Personalakten auf, die brauche ich nicht. Und dann streckte sie mir zum Abschied die Hand entgegen und ich dachte erstmals in meinem Leben, oh Gott, Händeschütteln, dieser Leichtsinn!

So sieht’s aus, wenn man den Ausgang gefunden hat und auf dem Weg zum endgültigen Ausgang ist.

Abends sahen F. und ich uns nach gefühlt TAUSEND JAHREN endlich wieder; während ich in Berlin gewesen war, war er in London, dann war ich gefühlt erkältet, dann er, aber jetzt waren wir endlich wieder am selben Ort und trauten uns dazu auch noch in die gegenseitige Nähe. Das war schön.

Gestern war dann mal wieder ZI-Tag angesagt. Ich erwähnte vermutlich vor zwei Jahren mal meine ToDo-Liste, auf der ich notierte, was ich alles noch erledigen musste. Die ist inzwischen einer anderen ToDo-Liste gewichen, auf der ich nach Orten sortierte, was noch getan werden muss. Also was im ZI, was in der Stabi, was in welchem Archiv. Und die wird auch irgendwie nicht kürzer. Irgendwo hat mein Plan einen Haken.

Jedenfalls saß ich gestern von 9 bis 16 Uhr im Lesesaal, in den ich erstmal aus diversen Stockwerken Bücher und Zeitschriften schleppte. Ich behaupte, fünf Jahrgänge „Kunst dem Volk“ wiegen soviel wie eine Getränkekiste, Mistzeug. Immerhin ein prima Symbolbild für Nazischeiße gefunden.

(Josef Thorak. Bildquelle: „Kunst dem Volk“ Jan/Feb 1939, S. 27.)

Ich fand noch andere schöne Dinge, aber irgendwann verrannte ich mich mal wieder und fühlte mich irgendwann wie dieses gif, nach dem ich gestern abend auf Twitter fragte, wo es denn eigentlich herkäme:

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(Kommt aus It’s Always Sunny in Philadelphia, und jetzt muss ich die Serie wohl doch mal gucken.)

Jedenfalls spürte ich weiterhin der sinnlosen Frage nach, wen Protzen wohl kannte, damit er seinen ersten Autobahnjob antreten konnte, und verlor mich total in Ozeandampfern der Norddeutschen Lloyd, der Münchner Gobelin-Manufaktur, den Vereinigten Werkstätten und Fritz August Breuhaus de Groot. Versteht ihr alles, wenn ihr die Diss lest.

Halb verhungert, aber glücklich im Regen nach Hause geradelt, weil radeln und nach Hause. Dort gelernt: Auch wenn man sehr hungrig ist, nimmt man einen Löffel, um die letzten Maiskörner aus der Dose in die Salatschüssel zu kriegen und nicht die Finger. #aua #pflaster Auch gelernt: einhändig Rösti wenden ist sehr doof, wenn die andere Hand gerade damit beschäftigt ist, einen blutenden Zeigefinger hochzuhalten. War trotzdem lecker.

Tagebuch Mittwoch, 4. März 2020 – Omis Geburtstag

Meine Omi wäre gestern 100 Jahre alt geworden.

Das Foto ist von 1960, ich sah es in einem der Alben, die ich beim letzten Elternbesuch durchgeblättert hatte. Weil ein Foto von Omi auf Twitter mal so nette Kommentare zu ihrem Kleid erhalten hatte, fiel mir bei diesem Bild auf: Ich glaube, ich habe meine beiden Großmütter nie in Hosen gesehen. Auch nicht auf dem Fahrrad, bei der Gartenarbeit oder auf der Baustelle des Hauses meiner Eltern.

Direkt vor dieser Seite hatte meine Mutter, die im ehemaligen Ostpreußen geboren wurde, 1958 Aufnahmen aus dem Lager Friedland eingeklebt und mit einer Bildunterschrift versehen, über die ich stolperte: „Heimkehrerzug aus den zur Zeit unter polnischer Verwaltung stehenden deutschen Ostgebieten.“ Dass die Warschauer Verträge auch ein paar Jahrzehnte Entstehungszeit hinter sich hatten, war nicht mehr auf meinem Radar.

Wieder nur lausig mit dem iPhone abfotografiert. Ich muss beim nächsten Mal ein paar Alben auf den Scanner legen, hilft ja nichts. Viel zu spannend, um es im Wohnzimmerschrank verstauben zu lassen.

(Ich bloggte schon einmal über meine Großeltern.)

Tagebuch Dienstag, 3. März 2020 – Rumgraben

An der Diss gesessen, am Schlussteil gearbeitet, am Hauptteil weiter rumgegraben. Jetzt wo ich einmal durch das komplette Werkverzeichnis durch bin, alles eingeordnet habe, die für mich wichtigen Werke in einen Kontext gesetzt habe und um sie herum noch ein bisschen Zusatzinfo verfasst habe – alleine die wichtige Ausstellung „Die Straßen Adolf Hitlers in der Kunst“ hat 26 Seiten und dabei habe ich mich noch recht kurz gefasst –, kommt jetzt das Finetuning. Über 100 Werke im Verzeichnis sind als verkauft annotiert worden. Denen werde ich nicht komplett hinterherspüren, aber wo die 29 Bilder zur Reichsautobahn gelandet sind, würde ich doch gerne wissen. Momentan kann ich leider nur 13 wirklich sicher verorten, bei mindestens fünf gehe ich davon aus, dass sie zerstört wurden. Wo der Rest ist: keine Ahnung. Deswegen googelte und suchte ich gestern mal wieder, was ich schon öfter getan habe und schrieb ein paar Mails an Menschen, die vielleicht mehr wissen. Und das war dann schon mein ganzer langer Tag.

The Haunted California Idyll of German Writers in Exile

In diesem Artikel des New Yorker verbergen sich ungefähr fünf Bücher, in die ich jetzt dringend mal reingucken möchte. Es geht um die Künstler, Schriftsteller, Schauspieler etc. (m/w/d), die vor den Nationalsozialisten nach Kalifornien flohen und dort eine nicht immer unproblematische Gemeinschaft bildeten. Der Artikel ist auch als halbstündige Hörfassung auf der Site verlinkt.

„Nevertheless, even the most resourceful of the émigrés faced psychological turmoil. Whatever their opinion of L.A., they could not escape the universal condition of the refugee, in which images of the lost homeland intrude on any attempt to begin anew. They felt an excruciating dissonance between their idyllic circumstances and the horrors that were unfolding in Europe. Furthermore, they saw the all too familiar forces of intolerance and indifference lurking beneath America’s shining façades. To revisit exile literature against the trajectory of early-twentieth-century politics makes one wonder: What would it be like to flee one’s native country in terror or disgust, and start over in an unknown land? […]

At first, many of the exiles fled to France. Few of them believed that Hitler’s reign would last long, and a trip across the ocean seemed excessive. […] When, in 1940, Germany invaded France, Feuchtwanger was in dire danger of being captured by the Gestapo. His wife, Marta, helped arrange an elaborate escape, which required him to don a woman’s coat and shawl. That September, a motley group that included Franz Werfel, Alma Mahler, Heinrich Mann and his wife, Nelly, and Thomas Mann’s son Golo hiked across the Pyrenees, from France into Spain. Mahler carried a large bag containing several of her first husband’s manuscripts and the original score of Anton Bruckner’s Third Symphony. […]

Such doleful tales raise the question of why so many writers fled to L.A. Why not go to New York, where exiled visual artists gathered in droves? Ehrhard Bahr answers that the “lack of a cultural infrastructure” in L.A. was attractive: it allowed refugees to reconstitute the ideals of the Weimar Republic instead of competing with an extant literary scene. In addition, film work was an undeniable draw. Brecht’s anti-Hollywood invective hides the fact that he worked industriously to find a place as a screenwriter, and co-wrote Fritz Lang’s “Hangmen Also Die!” Even Thomas Mann flirted with Hollywood; there was talk of a film adaptation of “The Magic Mountain,” with Montgomery Clift as Hans Castorp and Greta Garbo as Clavdia Chauchat. […]

Franz Waxman fell into a career as a Hollywood composer after striking up a conversation with the director James Whale in Viertel’s living room. Brecht and Charles Laughton first met there. To be sure, not all of Viertel’s mediations panned out. She facilitated a legendarily unsuccessful meeting between Schoenberg and the studio head Irving Thalberg, who was seeking a composer for an adaptation of Pearl Buck’s “The Good Earth.” As Viertel relates in her memoir, Schoenberg told Thalberg that he would need complete creative control, and that the actors would have to conform to pitches and rhythms specified in his score.

That story is often cited for comic effect, to illustrate the irreconcilability of European values with those of Hollywood. When Thalberg complimented Schoenberg on his “lovely music”—one of the composer’s less challenging scores had recently been played on the radio—Schoenberg snapped, “I don’t write lovely music.”“

Tagebuch Montag, 2. März 2020 – Magic Monday

Morgens wieder fit gefühlt nach quasi zwei Tagen Rumdösen und Ausruhen, das war schön. Dann mit dem Rad zur Post gefahren, das war auch schön. Dort eine Zahlungserinnerung an einen Kunden per Einschreiben geschickt, das war nicht so schön. Das ist mir in zwölf Jahren Selbständigkeit auch noch nicht passiert, dass ich so ewig meinem Geld hinterherrennen muss. Aber da ich die Rechnung schon Anfang Dezember losgeschickt habe, würde ich jetzt doch ganz gerne allmählich bezahlt werden.

Tee gekocht, in die Thermoskanne umgefüllt und an den Schreibtisch gesetzt. Mir blutet zwar immer ein bisschen das Herz, Omis Teetasse und Sahnekännchen und Kandisdose neben zu mir haben und dann die olle Thermoskanne, aber die hält den Tee dann doch besser und unbitterer warm als Omis Teekanne auf einem Stövchen.

Dann gnadenlos bis ungefähr 19 Uhr ohne Pause durchgearbeitet. Wobei ich um halb vier den ersten Meilenstein auf Twitter verkünden konnte: Ich beendete die erste Textfassung des zweiten Teils meiner dreiteiligen Diss. Also den Teil, der am Ende vermutlich ungefähr 4/5 der Gesamttextmenge ausmachen wird. Erste Textfassung heißt, jetzt kommen noch die üblichen Gröner’schen 38 Korrekturschleifen, aber ich möchte das doch nochmal festhalten: Erste Textfassung des Brockens steht. Alle 570 Einträge im Werkverzeichnis angeguckt und in einen Kontext gesetzt, alle noch vorhandenen Fotos der insgesamt 678 Werke des Künstlers betrachtet, teilweise beschrieben, ebenfalls Kontext geschaffen. Sehr, sehr, sehr, sehr viele Ortsnamen gegoogelt, die unter Protzens Landschaftsbildern stehen, die ich alle nicht kannte und bei denen ich nie wusste, sind die jetzt in Österreich oder dem heutigen Polen? Ach, Italien. Ja gut dann. Dazu 1000 Ausstellungsrezensionen gelesen und teilweise zitiert, zwei wichtige Ausstellungen zum Thema Autobahnmalerei meiner Meinung nach sehr ordentlich nachvollzogen, erläutert, den Forschungsstand da deutlich erweitert und noch viel mehr Kram erledigt, der mir jetzt schon gar nicht mehr einfällt, weil er 250 Seiten her ist.

Während ich die externe Festplatte zur Sicherung anschloss, schwankte ich gefühlsmäßig zwischen „FUCK YEAH“ und „OMG was mach ich denn jetzt“, bis mir die 38 Korrekturschleifen einfielen. Puh, noch was zu tun.

Und weil ich gerade so schön im Flow war, begann ich gleich mit der ersten Schleife. Als ich dann um 19 Uhr das nächste Back-up machte, war ich noch zufriedener als ein paar Stunden vorher. Der erste Teil steht bis auf die Einleitung, also: Einleitung (kommt zum Schluss), Forschungsstand (NS-Kunst, Protzen, Autobahnmalerei), Quellen und als Abschluss des ersten Teils und Überleitung in den Hauptteil „10 Dinge, die Sie schon immer über die Reichsautobahn wissen wollten.“ Dann kommt der dicke Teil, den ich gestern vorerst abschließen konnte – und dann der dritte Teil, mit dem ich gestern morgen noch sehr gehadert hatte. In den mussten noch mehrere Dinge rein, bei denen ich selbst noch nicht wusste, wie genau und warum überhaupt, und dann gab es da einen Textteil, den ich ernsthaft schon vorne im Forschungsstand hatte, dann in den Quellen, dann in der theoretischen Einleitung und jetzt ist er ganz hinten und da bleibt er vermutlich auch, denn auch das fiel mir gestern ein: wie ich um den herum sinnvoll den Schluss aufbauen kann. Gleich mal stichwortartig notiert, aber damit fange ich dann erst heute an.

Jetzt glaube ich endgültig daran, dass das Ding fertig wird. Endlich getraut, das Titelblatt des Ganzen anzulegen: „‚Ziehet die Bahn durch deutsches Land.‘ Gemälde zur Reichsautobahn von Carl Theodor Protzen (1887–1956) im Kontext seines Gesamtwerks. Inauguraldissertation zur Erlangung des Doktorgrades der Philosophie an der Ludwig-Maximilians‐Universität München.“ Vorgelegt von DEM KLEINEN SECHZEHNTSEMESTER!

Den Rest des Tages eigentlich nur noch debil, aber sehr zufrieden vor mich hingeatmet. Und Salat gegessen. Und Ben & Jerry’s Peanut Butter Cups.

Tagebuch Sonntag, 1. März 2020 – Matschtag

Vormittags ging’s mir gut, ich setzte mich frohgemut an die Diss – aber je länger der Tag dauerte, desto matschiger und kurzatmiger wurde ich wieder. Ab aufs Sofa zum Rumdösen, von da fast übergangslos einfach ins Bett gegangen.

Tagebuch Samstag, 29. Februar 2020 – Fiebermessen

Wie meinte Leo Fischer es auf Twitter so schön: „Genau was jetzt gefehlt hat: ein Extra-Tag 2020.“

Ich traue es mich ja kaum zu sagen, aber seit Freitag morgen fühlte ich mich etwas angeschlagen, eine kleine Erkältung schien in mir rumzuwabern. ODER ETWA NICHT? Ich mache zwar auch die ganze Zeit Corona-Witze, aber ich muss zugeben, gestern dann doch das Fieberthermometer gezückt zu haben. Wenn ich dem 40 Jahre alten Quecksilberding trauen kann: kein Fieber. Wohl brav uninfiziert. (Memo to me: endlich mal ein neues Thermometer kaufen. Vielleicht nicht gerade jetzt, wo alle durchdrehen.)

Morgens eingekauft, dann in warme Decken gehüllt, viel Tee getrunken, viel Obst gegessen und ansonsten den Tag komplett auf dem Sofa verdöst. Augsburg hatte gestern Heimspiel, aber für einen Stadionbesuch fühlte ich mich nicht kräftig genug, also sah ich die 2:3-Niederlage auf dem Laptop. Hat auch gereicht.

Außerdem bekam ich durch Twitter das lächerliche Spiel zwischen Bayern und Hoffenheim mit, das vermutlich inzwischen auch Menschen erreicht hat, denen Fußball total egal ist. Eine gute Einordnung zur Vorgeschichte der Kritik von Fans an Dietmar Hopp und umgekehrt bietet Andrej Reisin in seinem Thread.

Den zitiert auch die Wortpiratin in ihrem Blogeintrag: Spielunterbrechung: Mit zweierlei Maß.

„Spielabbruch? Wegen wiederholter Beleidigungen gegen den Hoffenheimer Mäzen? Interessanter Schachzug in Zeiten, in denen antiziganistische, antisemitische, rassistische und ableistische Entgleisungen in Stadien wieder zugenommen haben und achselzuckend hingenommen werden. Sexismus hat ja schon in der Vergangenheit nie wirklich irgendjemanden gestört, geschweige denn zum Handeln gebracht.

Da muss man gar nicht so weit gehen und die Würdigung des verstorbenen Nazis Tommy Haller im Heimstadion des Chemnitzer FC auszupacken, die als eine gefährliche politische Positionierung der Kurve und von Teilen des Vereins gewertet werden muss (klick), die der Verband eigentlich an Ort und Stelle hätte sanktionieren müssen. Man muss sich auch nicht in die Niederungen der Ligen begeben und zum wiederholten Male die Partie zwischen dem SV Babelsberg und Energie Cottbus ausgraben, bei der Beschimpfungen wie „Zecken, Zigeuner und Juden“ oder der Hitlergruß nicht zu einem Spielabbruch führten (klick).

Man kann es sich viel einfacher machen und beispielsweise auf das Pokalspiel zwischen Hertha BSC und Schalke 04 in diesem Monat schauen, bei dem Herthas Jordan Torunarigha von den Rängen rassistisch beleidigt wurde (klick). Konsequenzen gab es keine, obwohl der Schiedsrichter Harm Osmers darüber informiert wurde, dass Torunarigha Affenlaute von den Rängen gehört hatte. Oder wie war es vor zwei Jahren, als Schiedsrichterin Bibiana Steinhaus von Fans deutlich vernehmbar als Hure beschimpft wurde (klick)? Natürlich gab es im Nachhinein Entschuldigungen, das Spiel lief zuvor aber davon unbeeindruckt weiter.“

Zwischen den Nachmittagsspielen und dem Aktuellen Sportstudio, das ich ungefähr 20 Minuten durchhielt, bevor ich mit Dingen werfen wollte, sah ich die erste Folge von Queen Sono, der ersten afrikanischen Serie, die für Netflix produziert wurde. Das war ein für mich recht ungewohntes Sehvergnügen, angefangen von den sehr wenigen Weißen im Bild, zweitens wegen der Schauplätze, zum Beispiel Südafrika, und drittens wegen der unterschiedlichen Sprachen, in denen konversiert wurde, zum Beispiel isiZulu, was einem die Untertitel netterweise mitteilen. Die Handlung selbst hat mich nicht umgehauen, aber ich werde die Serie weiterschauen, weil es mir genauso ging wie die Review der NY Times andeutet: „That “Queen Sono” is unremarkable as an action and crime drama doesn’t cancel the excitement of seeing something new (if it’s indeed new to you).“

Am 20. September 1944 erklärte die NY Times ihren Leser*innen, was Pizza ist. Hier ein pdf des Original-Artikels, leider nur für Abonnent*innen lesbar. Via @smittenkitchen, die diesen Tweet retweetet hat, in dem sich auch ein für alle lesbarer Screenshot befindet.

Und wieder ab unter die Decken. Fühle mich aber etwas besser. War vielleicht einfach nur eine anstrengende Woche.

Tagebuch Freitag, 28. Februar 2020 – Reisetag (total doppelbödige Überschrift, merkt ihr im vorletzten Absatz)

Ich war bereits am Donnerstag mit allen Akten durch. Mist, doch zu wenige bestellt. Wie man’s macht, mache ich’s verkehrt – im Kunstarchiv Nürnberg hatte ich letztes Mal nicht alles geschafft, im Hauptstaatsarchiv München dauerte auch alles länger als gedacht, im Staatsarchiv der Freien und Hansestadt Hamburg brauchte ich für zwei Ordner zwei Tage, aber jetzt, im ehrwürdig runtergerockten Bundesarchiv war ich am Donnerstagnachmittag mit meinen 26 Archiveinheiten durch. Wenn man online ordert, soll man fünf Tage Vorlaufzeit einkalkulieren, daher ahnte ich, dass eine spontane Nachbestellung eher aussichtslos wäre, aber die freundliche Auskunft sagte mir, och, wenn man schon hier vor Ort ist, dann geht das auch innerhalb eines Tages, das wäre dann aber erst Freitag ab 14 Uhr da. Da das Archiv Freitags aber schon um 16 Uhr schließt, dachte ich mir, nee, das ist albern und verzichtete.

Also spazierte ich ein letztes Mal zurück ins Hotel und überlegte die ganze Zeit: Freitag noch Sightseeing machen oder wenigstens ein bisschen Kunst gucken und den gebuchten Flug um 20 Uhr zurück nach München? Flug umbuchen? Lieber einfach in den nächsten Zug steigen? Aber ich habe ja noch eine Nacht im Hotel, die bezahlt ist? Alles sehr kompliziert.

Im Hotel angekommen war dann gar nichts mehr kompliziert. Ich wollte nach Hause, aber nicht für irre viel Geld mehr als ich eh schon in dieser Woche (immerhin sinnvoll) ausgegeben habe, und ich wollte nichts mehr angucken, sondern nur noch den Kopf ausmachen. Ich ahne, dass die Tränchen am Donnerstag ein dezenter Hinweis darauf gewesen sein könnten, dass ich mal eine Pause brauche von det Janze. Also entschieden: ab ins Bett, Netflix and Chill, und dann Freitag möglichst früh wieder nach Hause. Den Flug umzubuchen wäre lächerlich teuer gewesen, also ließ ich den einfach verfallen und buchte mir eine Zugfahrt nach 9 Uhr morgens, damit ich mit dem Köfferchen nicht in den Berufsverkehr musste, da stehen Leute bestimmt total drauf, die schnell ins Büro müssen, wenn ich da im Weg rumirre.

Gebucht, einen entspannten Abend mit ein paar Serienfolgen verbracht, fürs Abendbrot ein letztes Mal bei REWE an der Salatbar bedient, weil das so einen schönen Agenturflashback gab. Bei der letzten Buchung, die ich vor Ort in einer Agentur bestritten habe, war ich nicht in meiner Stadt und konnte daher nichts für die Mittagspause vorkochen oder mitbringen. Also ging es in den Supermarkt. Ich mag die Salatbar wirklich, aber ich habe belustigt festgestellt, dass ich für die Mengen, die ich hungrig in Berlin vertilgte, in Hamburg das Doppelte bezahlt hätte. Ich wohne echt immer in den falschen Städten.

Am letzten Morgen gab es keine Buletten mehr in der Rühreiwarmhaltekiste des Frühstücksbuffets. Berlin machte mir den Abschied leichter. (Okay, es gab ganz hervorragendes Zucchini-Paprika-Gemüse.) Ich twitterte diesen Umstand und meinte auch, dass ich ab heute wieder Frikadellen sagen würde, woraufhin mir noch das Wort „Fleischpflanzerl“ angereicht wurde, das ich schon wieder verdrängt hatte. Ich weigere mich, dieses Wort zu benutzen, weil es so bescheuert ist. Und weil ich bescheuert klinge, wenn ich versuche, es auszusprechen. Als Hannoveranerin mache ich mich mit jedem Dialekt zum Affen, aber mit Bairisch ganz besonders. Frikadellen for life!

Auf Anhieb den Weg zum Südkreuz gefunden, nicht verirrt, ein bisschen am Bahnhof rumgefroren, weil ich sehr viel Puffer eingeplant hatte und eh nutzloserweise ab 4.30 Uhr wach war. Klappte nicht ganz so gut mit dem Kopfausmachen.

Leider war im Zug kein Platz mehr im Ruheabteil freigewesen, und ich stellte in gut vier Stunden zwischen Südkreuz und München interessiert fest, dass Kinder mit iPads und Kopfhörern super umgehen können, während Erwachsene echt dringend und echt laut die ganze Zeit quatschen müssen oder nicht wissen, wie sie ihr Handy stumm schalten können. Ich dankte dem Herrgott erneut für meine Noise-Cancelling-Dinger, war aber etwas missmutig ob des Sitzplatzes. Der Wagen war schon ziemlich ausreserviert gewesen, als ich das Ticket gebucht hatte, daher nahm ich den letzten einzelnen Sitz, der noch da war (ja, 1. Klasse. Alles über zwei Stunden ist 1. Klasse). Der war, wie ich befürchtet hatte, einer dieser Mistsitze, bei denen man nur ein Stück Plastikwand anguckt und kein Fenster neben sich hat. Aus den schmalen Streifen links und rechts vom Plastik konnte ich aber immerhin zwischen Erfurt und Bamberg den total verschneiten Thüringer Wald genießen, falls das noch der Thüringer Wald war. Jedenfalls waren da viele Nadelbäume mit unberührtem Schnee drauf, perfekt wie ein Architekturmodell. Das war schön.

Außerdem saß ich ganz vorne im Zug, hatte es also in München nicht mehr weit bis zur U-Bahn. Und ich hatte wieder Gelegenheit, eine neue Folge vom Podcast „32 x Beethoven“ mit Igor Levit zu hören. Da kamen sogar kurz mal die Walküren vorbei (bei 00.19 min, macht aber im Gesamtzusammenhang mehr Spaß). Das war auch schön.

Zuhause taute ich mir eine Tüte Franzbrötchen vom letzten Wochenende auf und freute mich über einen Brief des Stadtarchivs Leipzig, das mir für 20 Euro verraten hatte, wohin die eine Schwester Protzens irgendwann mal gezogen ist. Ich konnte sie in Leipziger Adressbüchern nur bis Ende der 1940 Jahre finden, und jetzt weiß ich auch warum: weil sie 1938 geheiratet und einen neuen Namen hatte. Ich nehme an, in Kriegszeiten und während der Umbrüche nach 1945 war nicht so recht Zeit für eine ordnungsgemäße Ummeldung, weswegen ich sie noch länger unter ihrem Namen gefunden hatte. 1968 übersiedelte sie mit ihrem Mann in den Westen. Seit 1964 durften Rentner*innen in der DDR für vier Wochen im Jahr Verwandte in der Bundesrepublik besuchen. Wenn ich dieser Statistik trauen kann, wurden in diesem Jahr überdurchschnittlich viele Ausreiseanträge genehmigt; die Zahl ging aber wieder zurück. Vielleicht dachte sich das Ehepaar 1968, dass die Tür sich wieder schließen würde. Christa Protzen war zu dieser Zeit 70 Jahre alt, vielleicht gab auch das den Ausschlag. Sie zogen allerdings nicht nach München; Protzen und seine Ehefrau waren zu dieser Zeit bereits verstorben. Protzens jüngere Schwester verstarb bereits 1959, auch sie hatte ich irgendwann nicht mehr gefunden, wobei sie in Leipzig geblieben war. Noch ein Stückchen deutsche Geschichte, auf das ich anhand dieses Malers gestoßen werde.

Das war eine gute Woche. Viel gelesen, viel gelernt, nicht ganz so viel im Diss-Dokument bzw. den vielen Einzelkapiteln Dinge notiert wie ich gehofft hatte, aber ich weiß ja inzwischen, auch von den Mit-Doktorand*innen, dass wir alle quasi Lückentexte produzieren. Gefühlt steht auf jeder zweiten Seite bei mir „vermutlich“, „wahrscheinlich“, „es besteht die Möglichkeit“, weil mir schlicht die Quellen fehlen. Aber da die auch allen anderen fehlen, lesen sich alle Biografien über NS-Künstler, die nicht die ganz großen Fische waren, so oder ähnlich.

Tagebuch Donnerstag, 27. Februar 2020 – Bundestränchen

Am vorletzten Tag meines Bundesarchiv-Aufenthalts wartete der Feind: die Mikroformate. So war es mir jedenfalls auf der Bestellbestätigung vom Archiv mitgeteilt worden, nicht alles, was ich haben wollte, gab es auf schönem, übersichtlichen Papier.

Todesmutig stapfte ich in den Ausgaberaum, wo mir sechs Umschläge mit Mikrofiches in die Hand gedrückt wurden. Interessiert stellte ich fest, dass die Lesegeräte nicht ganz so altmodisch waren wie die, die ich aus der Münchner Stabi kenne, wo man eines der Plastikblättchen auf die dafür vorgesehene Glasplatte legt, sie unter das Objektiv (?) schiebt und hofft, dass man alles richtig herum reingedengelt hat. Das war’s. Hier war das Lesegerät digital, das heißt, man konnte per Mausklick die Ansicht ändern, wenn man das Blatt, wie erwartet, verkehrt eingelegt hatte. Außerdem konnte man an Kontrast und Helligkeit rumspielen, zoomen (okay, das geht analog auch) und ich meine auch ausdrucken. Und: Man liest nicht die ganze Zeit weißen Text auf schwarzem Grund, was ich hasse, sondern schwarz auf weiß. Wie eingescannte Blätter halt.

Das wäre alles total toll, wenn es das Leseerlebnis verbessern würde. Schwarz auf weiß ist prima, danke, meine Augen haben sich sehr gefreut. Aber: Vieles war schlicht nicht lesbar, weil die Schrift zu hell war. Das war mir schon bei vielen Akten in den letzten Tagen aufgefallen, dass keine Originale erhalten waren, sondern der vierte Durchschlag des Originals. Auf Papier ging das noch, als Scan/Foto war es teilweise komplett unbenutzbar. Aber hey, es waren ja nur die Akten der Reichskanzlei, da stand bestimmt nichts wichtiges drin.

Ich fand immerhin das meiste von dem, was ich zu finden gehofft hatte, anderes fand ich nicht mal ansatzweise und ich weiß jetzt auch nicht mehr, wo ich noch danach suchen könnte. Bleibt das halt eine Lücke in der Diss. Die werde nur ich sehen, aber ich werde mich die nächsten 20 Jahre darüber ärgern, keine Quelle dafür gefunden zu haben.

Ich stolperte außerdem über einen Fall, von dem ich im Rosenheim-Seminar schon mal gehört hatte; das fand ich sehr spannend, den Sachverhalt anhand der Originalquellen nachvollziehen zu können.

Und dann stolperte ich noch über die ersten Entwürfe zur staatlich legitimierten „Einziehung von Erzeugnissen entarteter Kunst“, also dem Raubzug durch deutsche Museen der heute so genannten Klassischen Moderne. Darauf war ich überhaupt nicht vorbereitet gewesen; ich hatte mich doch gerade nur durch Briefwechsel von einzelnen Künstlern oder Künstlergruppen gewühlt, die irgendwelche Nachlässe, Werke oder Kompositionen dem „verehrten Führer und Reichskanzler“ überlassen wollten, woraufhin die Kanzlei meist sehr höflich formulierte, dass Herr Hitler gerade echt was Besseres zu tun hätte. Allerdings nicht immer: Gerade die Münchner Künstler konnten sehr häufig auf persönliche Unterstützung oder finanzielle Hilfen hoffen. Auch deswegen wollte ich in diesen Beständen rumwühlen; die Sekundärliteratur war da gerne etwas blumig-vage geblieben, aber jetzt konnte ich einzelne Schreiben zitieren und Vorgänge nachvollziehen. Und so war ich im Kopf bei Bettelbriefen und Huldsbezeugungen und dann kamen auf dem Monitor plötzlich die ersten Unterlagen darüber, wie man am besten deutsche Kunst einzieht, aber die Ausländer nicht verprellt, die diesen Kram ja so mögen. Es fiel auch der Begriff „nicht unbeachtliche Vermögensobjekte“; den Deppen war durchaus klar, was sie da an den Wänden hatten, sie wollten es bloß nicht anschauen oder sich damit auseinandersetzen, dass es mehr als ihre beschissen eng gefasste Weltsicht gibt, sondern lieber banalste Genreszenen aus dem 19. Jahrhundert wieder aufleben lassen, weil’s da ja so schön war.

Zuerst war ich pissig und dann sehr nah am Wasser, was mich selbst überraschte. Ich weiß ja so gaaanz langsam, mit was ich mich da seit Jahren befasse, aber manchmal überwältigt es mich dann doch noch. Diese Engstirnigkeit, dieser Hass, dieser Wille zur Macht auf der einen und zur Vernichtung auf der anderen Seite. Die Sprache, das Bürokratische, die ständig neuen Regeln, die gefühlt willkürlich gemacht wurden, weil sie es konnten. Manchmal ist es zu viel und dann heult man kurz im Bundesarchiv. Weil es eben nicht nur um ein paar bunte Bilder ging. Ich bin nicht hart genug für die Kunstgeschichte.

Tagebuch Mittwoch, 26. Februar 2020 – Fundsachen

Archivtag, alles toll für mich, weniger toll für euch, weil ihr euch vermutlich weniger über Halbsätze in Briefen freuen könnt wie ich, die sich über jeden Fitzel freut, den sie zu bestimmten Sachverhalten findet.

So war ich gestern glücklich über einen kleinen Fund, für den ich 19 Aktenpakete hatte durchblättern müssen, aber im 20. war er dann. Ich kann jetzt ungefähr sagen, wieviel Protzen für sein erstes Werk zu den Reichsautobahnen an Geld bekommen hat, was für mich ein wichtiges Indiz dafür ist, dass er einen finanziellen Ansporn hatte, mit dem Thema weiterzumachen. Und zwar keinen ganz kleinen. Anhand der verzeichneten Einkünfte in Werkverzeichnis und Spruchkammerbogen (letzte Quelle ist natürlich mit Vorsicht zu genießen) kann ich seine Einkommensverhältnisse immerhin annähernd erkennen, und da war diese Summe nicht ganz unwichtig. Sie versteckte sich in einem Brief des Ausstellungsleiters Theo Lechner von 1934, der sich bei Eduard Schönleben, die rechte Hand von Fritz Todt, über einen Berliner Grafiker beschwerte, der seiner Meinung nach viel zu viel abrechnen wollte – im Gegensatz zu seinen braven Münchner Kollegen. „Meine Meinung von dem Berliner Geist und dem Berliner Tempo ist neu bestätigt worden.“ (BArch R/4601/1306)

Und wie gestern ist eben beim Aufschreiben fürs Blog was Nettes passiert: Ich guckte nach Herrn Lechner im Interweb und weiß nun, dass sein Nachlass in der TU München liegt. Ich mache gerade geistig einen Termin aus. Ich wusste bis eben nicht, dass da NOCH EINE STELLE ist, an der ich rumwühlen kann. Harhar.

Außerdem freute ich mich über einen kurzen Schriftwechsel über ein anzukaufendes Werk für die Autobahnraststätte in Mährisch Trübau (Moravská Třebová); darin fanden sich Vergleiche zu anderen Malern – wenn Ingenieure über Kunst reden -, berechtigtes Gemeckere über die zu hohen GDK-Preise und, für mich nebenbei interessant, die Bezeichung „Beauftragter für die Durchgangsautobahn“, was den Stellenwert des heutigen Tschechien im Gesamtraumplan der Nationalsozialisten recht deutlich macht.

Daran muss ich mich manchmal selbst erinnern, in welchen Dokumenten ich hier rumwühle. Das ist zwar alles spannend und für mich aufregend und es fühlt sich wie ein sinnvoller Tag an, den ich damit verbringe, aber manchmal muss ich mir selbst deutlich klarmachen, dass auch eine so schicke Ausstellung wie „Die Straße“ eben nicht nur darüber informieren wollte, wie toll deutsche Baumaschinen sind, sondern auch, wie ideologisch selbst Dinge wie die Darstellung einer Landstraße aufgeladen werden kann („Die Straße frei den braunen Bataillonen“). Gestern stieß ich auf einen Schriftwechsel, in dem jemand der Baubehörde einen Bildhauer empfahl, dessen Arbeit aber überhaupt nicht auf Zustimmung stieß. Da hieß es sinngemäß, dass diese Kunst nicht „deutsch“ genug aussehe und dass man den Mann vielleicht mal nach Russland empfehlen sollte. Und schon wird aus dem gespannten, gut gelaunten Archivlesen die Erinnerung an alles, was dieses Regime angerichtet hat.

Auch deswegen war ich, Achtung, Themawechsel, auch so auf Hunters pissig: weil es der Serie nicht gereicht hat, den Holocaust in seiner Grausamkeit darzustellen, nein, sie haben sich total unterhaltsame Gewalttaten ausgedacht, damit es noch fürchterlicher wird. (Habe mich auf sehr seltsame Weise verstanden gefühlt, weil die Gedenkstätte Auschwitz das ähnlich sieht.)

Jeden Abend beim letzten Händewaschen im Archiv denke ich naiverweise, dass es so schön wäre, den ganzen Nazidreck da draußen genauso abspülen zu können wie ich gerade den Staub der Dokumente, die ich stundenlang in den Händen hatte.

Tagebuch Dienstag, 25. Februar 2020 – Babykram

Vor dem Wecker wachgewesen, die Archivvorfreude, Sie wissen schon.

Das erste Mal dem Hotelfrühstück begegnet. Rührei war da, wenn auch mit Feta drin (WARUM), es gab frische Tomaten, Gurken und Paprika, aber weil das hier nur 3 Sterne sind und nicht 4, musste man sich das selber kleinsäbeln. Kann ich. Kaffee war okay, Brotauswahl gut, bergeweise Müsli und Obst, ich war zufrieden und satt. Wo ich zuhause nur einen Flat White trinke, frühstücke ich auswärts immer anständig, weil ich dafür mittags sehr wenig und abends auch nicht irre viel esse. Zuhause kann ich ja theoretisch stundenlang kochen, wenn es mir beliebt. Hotelzimmer haben dooferweise immer noch keine Mikrowellen oder Puppenherde oder sowas.

Beim Bäcker ein Käsebrötchen gekauft, in den Rucksack gepackt, wo schon ein Liter Wasser und ein Apfel lagen. Gab’s später zum Mittach.

Im Archiv acht Stunden durchgearbeitet mit zehn Minuten Brötchen-Apfel-Unterbrechung. Ich wühlte weiterhin in den Beständen der Reichsautobahndirektion bzw. den vielen Akten zur Ausstellung „Die Straße“ von 1934. Für diese Ausstellung malte Protzen mit sieben anderen Malern acht Gemälde, die in der sogenannten Ehrenhalle am Beginn der Ausstellung gezeigt wurden, hier ein Blick in diese Halle.

Bildquelle: Das deutsche Malerblatt 21 (1934), S. 373.

Ihr erkennt in der Mitte das Münchner Kindle (Tippfehler, lass ich so) über den Türen; daneben hingen noch diverse andere Stadtwappen oder Pseudowappen mit Sehenswürdigkeiten. Ich habe ein Schreiben eines Verwaltungsbeamten aus Kassel gefunden, der freundlich anmerkte, dass das abgebildete Wahrzeichen nicht so dringend als Wahrzeichen wahrgenommen werde, eher was anderes, hier ist das Beispiel, ob man das für die Neuauflage der Ausstellung in Berlin 1935 vielleicht verbessern könne, hier ist unser Geld. (Kann mich nicht daran erinnern, was es war, Kassel ist mir gerade wurst, sorry, Kassel, aber anscheinend habe ich mir den Sachverhalt doch halbwegs gemerkt.)

Und jetzt beim Schreiben dieses Blogeintrags ist was Tolles passiert. Ich googelte – anscheinend zum ersten Mal – „straße münchen 1934 ausstellung“ oder so ähnlich, damit ihr wisst, wovon ich rede, und stieß auf diese Seite des Deutschen Museums, das ab 1938 eine Autobahnschau hatte. Und wenn ihr mal im zweiten Bild die riesige Landkarte mit den Brücken anguckt, dann freut euch einfach für mich mit, denn genau davon liegt im Nachlass Protzens ein Foto und ich wusste nie, für was oder wann er diese Arbeit ausgeführt hat. Ha! Bloggen! So super!

Das Archiv des Deutschen Museums steht auch noch auf meiner Liste; vermutlich finde ich da Unterlagen zu dieser Arbeit, aber wenn nicht, habe ich jetzt schon einen Beleg. Yay!

Ich weiß nicht mehr, was ich eigentlich über meinen Archivtag schreiben wollte, aber das ist jetzt auch egal. Ich hatte wie immer viel Spaß und verspürte danach diese angenehme Matschigkeit im Kopf, wenn man viel gelesen, viel gelernt und viel notiert hatte.

Von meinen angefragten 25 Archiveinheiten habe ich jetzt zehn durch, ich hoffe, ich schaffe alles bis Freitag.

Oh, mir ist doch noch was eingefallen vom Archivtag, das ich ausplaudern kann, denn ich habe die Heuer-Ampel kennengelernt. Was man halt so mitkriegt, wenn man sich durch Aktenberge zur Vorbereitung für eine Straßenbau-Ausstellung wühlt.

Abends totalen Schmacht auf Salat gehabt, aber keine Lust, irgendwo hinzugehen. Ich meinte, bei Aldi gestern welchen gesehen zu haben, aber mir fiel ein, dass ich meine üblichen Reiseutensilien Gabel und Löffel zuhause vergessen hatte. Da ich aber WIRKLICH Schmacht auf Salat hatte, ging ich vor dem Supermarkt noch schnell bei dm rein und besitze jetzt ein formschönes Babybesteck mit Dinosauriern drauf. Während ich blogge, esse ich damit übrigens Möhrensalat.

Abends beim Chelsea-Bayern-Spiel schon in der ersten Halbzeit weggenickt, aber noch rechtzeitig zu den drei Toren wieder aufgewacht. Dann aber ohne Buch ins Bett.

Haben alle in meiner Blogblase schon empfohlen, ich jetzt auch: Auf der Suche nach dem Winter aka Andrea Diener war für die FAZ in Sibieren. Hier mein Lieblingsabsatz:

„Galina kochte uns den unvermeidlichen Omul, den endemischen Baikalfisch, den man hier in allen Aggregatszuständen bekommt: Als Suppe, als Fischfrikadelle, geräuchert, gefüllt, gegrillt, mit und ohne Haut. Dazu schenkte sie uns Schnaps aus einer Teekanne in kleine Gläser mit Stiel und Goldrand. Wir waren sauber, es war warm, wir waren satt und hatten diverse Schnäpse intus, die wir, immer gerne genommen, auf die deutsch-russische Druschba tranken, die Völkerfreundschaft, dann tranken wir, inspiriert von den werktätigen Sowjetfrauen im Fernsehen, auf die Liebe, auf den Baikal und was uns sonst noch einfiel. Glücklich und zufrieden wankten wir nach solchen Abenden mit unseren Handtüchern und Seifendosen die Straße zurück in unser Haus und fielen um. Russische Wellness ist nicht sehr glamourös, aber sie wirkt.“

Tagebuch Montag, 24. Februar 2020 – Berlin, Berlin, wir denken in Berlin

Früh wachgewesen, früh zum Flughafen aufgemacht, von wo ich nach Berlin-Tegel wollte. So sehr ich mich auf die Woche im Bundesarchiv vorfreute, so genervt war ich von vornherein, weil das Archiv in Berlin ist. Es ist zwar schon länger her, dass ich hier gelebt habe, aber ich habe für mich gemerkt, dass ich zu alt für diese Stadt bin. Und sie ist mir zu groß und Dinge sind anstrengend. Berlin ist für mich immer das Beispiel für „klappt selten“, während Hamburg mein Beispiel ist für „klappt oft“ und München für „klappt fast immer“. Sowas Simples wie Rolltreppen in U-Bahnen zum Beispiel. Und weil ich so fies zu Berlin war und so großkotzig-münchnerisch, fuhr schon am Münchner Hauptbahnhof nicht die Rolltreppe zum S-Bahnsteig und, noch fieser, auch die Rolltreppe zum Terminal am Flughafen war kapott. AM FLUGHAFEN! WO ALLE KOFFER HABEN! Ich dachte noch so, Berlin kann dieses Mal eigentlich nur gewinnen.

Und das tat es dann auch großflächig, verdammte Axt. Tegel ist ja bekanntlich winzig; sobald man aus dem Flugzeug fällt, steht man schon am Gepäckband, und zack, ist man draußen. Da wartete schon genau mein Bus auf mich, ich fuhr nur zwei Stationen weit, aber die dauerten schon zehn Minuten. F. neulich so: „Berlin = deutsche Los Angeles. Egal von wo du losfährst, egal wo du hinwillst – es dauert immer ne Stunde.“

Der Bus brachte mich zur S-Bahn, wo die Rolltreppe funktionierte und ich nur eine Minute warten musste. An der Zielhaltestelle angekommen, ging ich zur U-Bahn, die uns Umsteigenden vor der Nase wegfuhr. Eine Dame meckerte deswegen, denn die nächste kam erst … IN DREI MINUTEN. Ich wimmerte leise in mich hinein und dachte an die großzügigen Münchner Taktungen. Und wenn ich dann am Rathaus Steglitz nicht zehn Minuten von einer Bushaltestelle zur nächsten geirrt wäre, um die zu finden, an der mein Bus fuhr, wäre ich in unter einer Stunde von Tegel einmal quer durch die Stadt nach Lichterfelde gekommen. Also in ungefähr der Zeit, die ich im Flieger gesessen hatte. So musste ich unfassbare vier Minuten warten, schaukelte im Bus durch Lichterfelde und merkte: Es gibt in Berlin Stadtviertel, für die ich noch nicht zu alt bin. Das fühlt sich hier an wie auf dem Dorf. Oder schon wie Brandenburg. (Oder wie München.)

Mein Hotelzimmer war schon fertig, ich konnte kurz was essen und vor allem meinen Koffer loswerden, und dann stapfte ich ins Bundesarchiv. Ich war schon ein bisschen vom Bundesadler am Tor eingeschüchtert, der guckt ja doch eher grimmig. Trotzdem tapfer den Besucherausweis geholt und, interessiert festgestellt, dazu auch noch gleich einen Schrankschlüssel und eine durchsichtige Tüte bekommen, damit man Zeug rumschleppen kann. Mit Bundesarchiv-Aufdruck! Kommt zuhause neben meine Stabi-Tüte, die ich auch nie benutze, weil ich meinen kostbaren Rechner lieber in der Hand trage als mich auf ein dünnes Tütchen zu verlassen.

Der halbe Tag war schon rum, aber weil ich ab 4 Uhr 30 wachgewesen war, war mir das gar nicht so unrecht, dass ich nur noch fünf Stunden denken musste/durfte und keine acht. Ich gab auch nach viereinhalb auf, weil ich nur noch dicke Akten auf dem Rollwägelchen hatte, die ich eh nicht mehr geschafft hätte. Herrn Protzen selbst hatte ich nicht gefunden, aber schönen Kontext, auf den ich gehofft hatte. Und vor allem Kram zur zweiten Ausstellung, auf der Autobahnbilder hingen und für die ich in München nur rudimentär was hatte finden können.

Beim Rausgehen meinen für diese Woche gültigen Ausweis abgeholt, damit ich nicht jeden Morgen erklären muss, dass ich hier sein darf, dann Schlüssel und den anderen Ausweis wieder an der Pforte abgegeben. Mich von Google Maps zum nächsten Supermarkt lotsen lassen, um Getränke zu kaufen und ein bisschen Schokolade. Es wurde ein Aldi Nord, das war schön. (Wegen Nord, ihr wisst schon.)

Den Feierabend mit Brezn (gingen sogar), Hummus und Cherrytomaten im Hotelzimmer verbracht, zwei Serienfolgen guckt, die FAZ der Lufthansa gelesen und ziemlich zufrieden ins Bett gefallen. Ich konnte mir sogar eins aussuchen, denn in meinem Zimmer stehen drei.

Franzbrötchen nach Lutz Geißler

Ich habe diverse Rezepte für mein Lieblingsgebäck ausprobiert, aber nur mit diesem von Lutz Geißler aus dem Plötzblog bin ich rundum zufrieden. Die meisten Franzbrötchen, die ich in der Vergangenheit produzierte, waren zu trocken, sahen nicht ganz so sexy aus und schmeckten generell eher wie verunglückte Zimtschnecken. Mit diesem Rezept wurden sie innen halbwegs klietschig, so wie ich es mag, außen blieben sie knusprig und sie sehen toll aus, weil sie so viele wunderschöne Knusperschichten haben. Dauert ein bisschen, lohnt sich aber.

Am Vortag den Vorteig ansetzen. Auch das Mehlstück kann schon angesetzt werden, laut der Kommentare im Plötzblog, und ich habe das auch gemacht.

Für den Vorteig

100 g Weizenmehl, Type 550 mit
100 g Vollmilch und
0,1 g Frischhefe verrühren. Das ist ein ca. reiskorngroßes Stück. Abdecken und für ungefähr 20 Stunden bei Raumtemperatur reifen lassen. (Plötzblog: „18 bis 22 Grad.“)

Für das Mehlkochstück

25 g Weizenmehl, Type 550,
125 g Milch und
5 g Salz unter ständigem Rühren erhitzen. Sobald die Masse einzudicken beginnt, vom Herd nehmen und noch ein bis zwei Minuten weiterrühren. Ich habe solange gerührt, bis die Masse klümpchenfrei war. Beim ersten Backen habe ich das Plötzblog beim Wort genommen und brav ein Thermometer in den Topf gehängt, um bis auf 65 Grad zu erhitzen. Bei mir dickte die Masse aber schon früher ein, also habe ich diese Angabe beim zweiten Backen ignoriert.

Das Mehlkochstück abkühlen lassen und mindestens vier Stunden im Kühlschrank parken. Oder ihr macht das genau wie den Vorteig am Tag vorher und lasst es dann einfach im Kühlschrank. So habe ich es gemacht. Das Kochstück soll den Teig länger frischhalten. Ob es daran lag oder einfach am guten Rezept: Meine Franzbrötchen waren auch am Tag nach dem Backen so knusprig wie am Tag davor und sogar noch etwas klebriger, also perfekt.

Am Backtag Vorteig und Mehlkochstück mit

375 g Weizenmehl, Type 550,
30 g Vollmilch,
100 g Ei (ca. 2 Stück) und
8 g Frischhefe

in der Küchenmaschine vermischen. Ich habe keine, der Handmixer tut’s auch. Wenn alles gut vermischt ist, nach und nach

60 g weiche Butter und zum Schluss
60 g Zucker unterrühren. Der Teig sollte nun „elastisch und locker“ sein; ich habe darauf geachtet, dass er nicht zu klebig ist und sich wie ein guter Hefeteig anfühlt. Den Teig nun abgedeckt für 90 Minuten im Kühlschrank parken.

In dieser Zeit die Butterplatte vorbereiten, denn die wird in den Teig eingearbeitet. Dafür
250 g kalte Butter
auf ca. 20 x 25 cm ausrollen. Ich habe dazu einfach 12 flache Butterstücke abgeschnitten und auf einem Stück Backpapier nebeneinander gelegt, das ist schon fast die Größe, die wir haben wollen. Ein weiteres Stück Backpapier oben drauf, und schon kann man die Butter halbwegs gut ausrollen. Die Butterplatte ebenfalls in den Kühlschrank legen.

Nach der Ruhezeit den Teig auf 30 x 25 cm Größe ausrollen, die Butterplatte darauf legen – deren lange Seite an die kurze des Teigs – und den noch freien Teig über die Butter schlagen. Nun das andere Drittel (Teig und Butter) über das erste Drittel klappen, wie ein zweimal nach innen gefalteter Geschäftsbrief. (In diesem Interweb mal nach Videos mit dem Stichwort „tourieren“ suchen, dann versteht ihr, was ich meine.)

Den Teig nun auf 30 x 50 cm ausrollen und nochmals wie einen Brief falten: Erst das linke oder rechte Drittel nach innen klappen, dann das andere darüber. Man kann den Teig auch noch weitere ein oder zwei Mal ausrollen und falten (tourieren), dann gibt es noch mehr Teig- und Butterschichten. Ich habe beim ersten Mal viermal gefaltet, gestern nur zweimal und keinen großen Unterschied festgestellt. Aber ich falte sehr gerne, insofern: tourieren FTW!

Den teigigen Geschäftsbrief erneut für 60 Minuten im Kühlschrank parken.

Nach der Ruhezeit den Teig auf 40 x 60 cm ausrollen, ca. einen halben Zentimeter dick, gerne auch dünner, ein wenig mit Wasser einpinseln und großzügig mit einer Mischung aus
ca. 100 g Zucker (mehr geht immer) und
ca. 4 EL Zimt (mehr geht immer) bestreuen. Dann den Teig straff (!) aufrollen und aus der entstandenen Rolle ca. vier Zentimeter dicke Scheiben abschneiden. Diese mit einem Kochlöffelstiel längs mittig eindrücken; so entsteht die Schmetterlingsform der Brötchen. Wer mag, drückt die Teiglinge noch mit der Hand etwas flach (ich mag).

Die Teiglinge auf zwei bis drei Bleche verteilen und dabei nicht zu eng legen, die gehen noch gut auf. Ich habe sechs auf ein Blech gepackt und sie schräg zueinander angeordnet. Abdecken und für weitere 60 Minuten bei 24 Grad gehen lassen. In meiner Wohnung waren es vermutlich keine 24 Grad, sondern weniger, aber das war egal, im Ofen sind die Brötchen noch hervorragend aufgegangen.

Den Ofen auf 200 Grad Ober- und Unterhitze vorheizen und unten eine Fettpfanne oder ähnliches hineinstellen (bei mir einfach eine Kuchenform). Das erste Blech einschieben und ca. 100 ml Wasser in die Fettpfanne gießen, um Dampf zu erzeugen. Ingesamt 20 Minuten backen, nach 10 Minuten die Tür kurz öffnen, um den Dampf entweichen zu lassen. Damit trocknet das Gebäck nicht so stark aus.

Nach dem Backen ruhig auf dem Blech auskühlen lassen, dann bekommen die Brötchen diese herrlich klebrig-knusprigen Karamellfüßchen, die ich so mag.

Tagebuch Freitag/Samstag, 21./22. Februar 2020 – Interview und Franzbrötchen

Am Freitagvormittag war ich zu einem Gespräch im Café in der Alten Pinakothek verabredet. Mein Gesprächspartner war der ehemalige Leiter des Lenbachhauses, der anscheinend vorher nochmal durchs Haus gegangen war, er trug jedenfalls noch das Tagesbändchen der Pinakothek am Handgelenk. Helmut Friedel war 1976 für den einzigen etwas längeren Text zu Protzen verantwortlich gewesen – immerhin zweieinhalb Seiten –, der als Katalogersatz in der einzigen Ausstellung auslag, die Protzen jemals bekommen hat.

Protzen starb 1956, seine Frau Henny Protzen-Kundmüller 1967 und laut der Testamentsverfügung erhielten die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen und das Lenbachhaus ungefähr gleich viele Werke der beiden; der Rest ihres Oeuvres ging an Freunde und Verwandte – das ist die Formulierung, die mir durch Archivalien bekannt ist und die mich wahnsinnig macht, weil ich keine Namen habe, nach denen ich suchen könnte, um noch Werke aufzutreiben, die ich noch nicht lokalisieren konnte. Aber gut. Die Listen von Pinakothek und Lenbachhaus habe ich natürlich seit Ewigkeiten und durch die Archivsuche im Lenbachhaus auch den Text von Friedel. Die Ausstellung von 1976 war quasi die Gegenleistung der beiden Häuser für die Annahme des Erbes: Sie mussten dem Ehepaar eine Gedächtnisausstellung ausrichten und laut der wenigen erhaltenen Unterlagen hatte darauf niemand so recht Lust. Auch Friedel antwortete auf meine Anfrage-Mail nach einem Gespräch, dass es seltsam sei, an seine „Jugendsünden“ erinnert zu werden und er wisse nicht, ob ihm überhaupt noch etwas einfiele.

Tat es aber. Wir hatten eine gute halbe Stunde, mehr gab’s zu dem Herrn Kunstmaler nicht zu sagen, aber ich fand es spannend, etwas mehr über die kuratorische Arbeit in den 1970er zu erfahren, gerade im Bereich der NS-Kunst. Auch mal zu hören, was überhaupt als Wissensstand noch da war, wie man an Werke kam oder ob Protzen noch ein Name war, den man kannte. Ein paar Dinge kann ich auf jeden Fall in der Diss unterbringen, und ansonsten fand ich es einfach nett, mit jemandem zu reden, der neben mir vermutlich der einzige lebende Mensch auf diesem Planeten ist, der sich mal länger als fünf Minuten mit diesem Künstler befasst hat.

Abends ging es mit F. auf eine kleine Feier, für die ich für mich etwas überraschend eingeladen wurde, was mich aber sehr gefreut hat. Ich sah ein Modell für eine Skulptur, das mir sehr gefiel, und hörte einiges über die Wege vom Gedanken zu fertigen Werken bzw. zu künstlerischen und kunsthistorischen Arbeitsprozessen. Nebenbei aß ich sehr gut und freute mich mal wieder über Rotwein.

Seit dem Abend neu im Gesprächsrepertoire: „That’s between the Sultan and Allah.“ Werde ich jetzt überall anbringen, wenn doofe Fragen kommen. „UND WAS MACHST DU NACH DEM STUDIUM?“ „Das bleibt zwischen mir und dem Fliegenden Spaghettimonster.“

Den Samstag verbrachte ich fast komplett mit Backen und Serien. Ich hatte Freitag nach dem Rezept aus dem Ploetzblog schon einen Vorteig angesetzt, um Samstag backen zu können, dabei aber einen Flüchtigkeitsfehler gemacht. Daher griff ich noch zu einem zweiten Rezept, welches das Ploetzrezept variierte, kombinierte beide und das Ergebnis war ziemlich gut. Trotzdem setzte ich erneut einen Vorteig an, dieses Mal ohne Fehler, und werde heute nochmal backen. Weil ich aber vorher nicht wusste, ob es klappt, testete ich noch ein drittes Rezept an, das weniger Vorbereitungszeit brauchte, und das war erwartungsgemäß nicht ganz so, wie ich es haben wollte. Gut, aber nicht meins.

Eigentlich dachte ich, dass Augsburg gestern in Leverkusen spielte, tun sie aber erst heute. Also sah ich Serien statt Fußball. Die zweite Staffel von GLOW gefällt mir bisher besser als die erste, und die ganzen 80er-Jahre-Songs machen mich fertig mit Erinnerungsflashbacks.

Dann versuchte ich, Hunters zu mögen, weil Celebrity Crush Josh Radnor mitspielt. Den Piloten hielt ich sehr nölig durch, die zweite Folge dann schon nicht mehr. Was für ein Scheiß. Wer eine längere Einschätzung braucht, lese bitte beim Spiegel („Auf geschmacklosere Weise ist der ­Holocaust noch nicht zu Unterhaltungsware verwurstet worden.“) oder der FAZ („Jahrzehnte an Aufarbeitung des Faschismus werden der Unterhaltung willen schmutziger Gewaltpornographie geopfert. Was uns Amazon präsentiert, ist eine Zumutung.“).

Tagebuch Donnerstag, 20. Februar 2020 – Vier statt fünf

Archiveinheiten, that is. Ich saß den halben Tag im Stadtarchiv, nachdem ich meinen Frühsport erledigt hatte: acht Kilo Bücher in Uni-Bibliothek und Stabi zurückschleppen. Ach, vermutlich waren es 20 KILO! *ächz*

Die eine fehlende Einheit betraf einen Nachlass, und ich weiß schon nicht mehr, warum ich sie haben wollte, aber ich bestelle sie einfach nochmal. Gestern las ich zunächst Zeitungsartikel über die Münchner Künstlergenossenschaft zwischen 1930 und 1950. Die hatte ich vor ungefähr einem Jahr schon mal in der Hand und habe als totale Diss-Anfängerin etwas schlampig notiert. Daher musste ich den ganzen Stapel nochmal durchblättern, um vernünftige Fußnoten zu haben.

Danach las ich Zeitungsartikel über die Münchner Künstlergenossenschaft zwischen 1950 und 1986, weiter ging die Sammlung nicht. Da war deutlich weniger drin als ich es erwartet hatte, da muss ich wohl nochmal nach anderen Stichworten suchen. Oder ich mache es mir selbst bequem und husche die letzten Lebensjahre Protzens nur noch so runter, die Autobahnbilder sind ja seit 1941 durch.

Die letzten beiden Sammlungen waren wieder Zeitungsartikel, einmal zum Haus der Kunst nach 45, einmal zur zweiten Münchner Künstlergenossenschaft: Die war nämlich mit allen anderen Künstlervereinigungen 1938 gezwungenermaßen in die sogenannte Kameradschaft der Künstler eingegliedert worden, mitsamt ihrem Vermögen und ihrer Kunstsammlung. Nach 1945 gründeten sich gleich zwei MKGs neu: eine unter Herrn Protzen und eine unter Herrn Gerhardinger und beide fanden sich so richtig scheiße. 1952 gewann Gerhardinger einen Prozess um den Namen und durfte seinen Laden jetzt „Münchner Künstlergenossenschaft königlich privilegiert 1868“ nennen, Protzen sein Häuflein „Neue Münchner Künstlergenossenschaft“. Die beiden gibt’s heute noch (MKG, NM). Aber auch in diesen beiden Sammlungen fand ich quasi nichts zu Herrn Protzen. Hm.

Beim Lesen Hanau verdängt, dann bei den jüngeren Zeitungsartikeln plötzlich wieder im Kopf gehabt. Diese verdammte Egal-Haltung, diese verdammte Nichtaufarbeitung, dieses verdammte Aussitzen.

Dass die angebliche Stunde Null 1945 nie stattgefunden hatte, sollten inzwischen alle verstanden haben. Alte Seilschaften funktionierten weiter, kaum jemand schwärzte seinen Nachbarn an, weil der mal den rechten Arm gehoben hatte, weil der den Ankläger vermutlich genauso anklagen konnte. Und so blieb sehr vieles beim Alten, und das zieht sich bis heute durch.

Auch in der Kunst gab es auf lokaler Ebene, genauer gesagt in München, nur teilweise Umbrüche. Während recht früh die ehemals Verfemten wieder gezeigt wurden (Buchtipp, Inhaltsverzeichnis), schufen viele vom NS-System begünstigte Künstler einfach weiter das, was sie bis 1945 auch schon produziert hatten. Die Große Deutsche Kunstausstellung 1944 im Haus der Deutschen Kunst blieb bis ins Jahr 1945 geöffnet, der letzte Verkauf wurde im April 1945 getätigt. Danach schloss das Haus vorerst als Museum, um im September 1949 als Haus der Kunst neu zu öffnen. Die Münchner Künstlervereinigungen, die sich früher auch an der GDK beteiligt hatten, stellten wieder aus – und bis auf wenige Ausnahmen vorerst stilistisch und inhaltlich dieselben Bilder wie früher. Bereits 1947 hatte in der Städtischen Galerie im Lenbachhaus die erste größere Münchner Kunstausstellung stattgefunden; Protzen zeigte, soweit ich das bisher beurteilen kann, dort fast nur Werke, die vor 1933 entstanden waren (eins war von 1934).

In einer Rezension von 1951 schrieb die Abendzeitung über die Ausstellung im Haus der Kunst: „Auch die sogenannte „Gerhardinger-Gruppe“ stellte im Haus der Kunst aus; zu ihr gehörten unter anderem Sepp Hilz, Fritz Bayerlein, Claus Bergen sowie Josef Thorak, „der sich, umständehalber, auf bürgerliche Formate zurückgezogen“ hatte. „Bekannt wie die Namen sind Stil, Auffassung und Motive der Kunstwerke. Seit 1937 hat sich hier nichts geändert. Paul Padua, Arno Breker und Werner Peiner sind allerdings nicht vertreten.“ (Abendzeitung, 20.10.1951)

1953 wurde der Ton etwas schärfer, anscheinend reichte es einigen Rezensenten jetzt wirklich, den alten Kram immer wieder großflächig an der Wand zu sehen: „Es muss einmal gesagt werden: Solche Veranstaltungen sind einfach im Haus der Kunst nicht mehr zu verantworten. Man darf diesen Konservativismus nicht als Bewegung sich selbst überlassen; man müßte ihn in die großen Ausstellungen aufnehmen, in denen er höchstens zwei Räume beanspruchen könnte.“ (Unbezeichnete Zeitung, 1953)

Allmählich änderte sich der Tonfall aber wieder; diese Kunst wurde nicht mehr verdammt, sondern eher nölig ertragen. 1963 meinte Reinhard Müller-Mehlis in der Abendzeitung, dass diese „überholte Salonkunst“ nicht an ihrer Rückständigkeit zugrunde gehen würde, „sondern am Überhandnehmen schierer Niveaulosigkeit.“ Und Müller-Mehlis selbst schien es spätestens 1986 dann auch eher egal zu sein, dass Künstler wie Arno Breker wieder im Haus der Kunst zu sehen waren, er war ihm keine besondere Erwähnung wert, sondern er zählte ihn und seine Werke schlicht auf wie die restlichen von ihm rezensierten Künstler. (Münchner Merkur, 17.3.1986.)

(Einschub: Der Wiki-Artikel zu Müller-Mehlis könnte auch mal dringend überarbeitet werden, der ist ja eine einzige Lobhudelei.)

Nach der Archivarbeit eingekauft, Lieblingsbrot besorgt und frische Hefe. Da ich außer zwei Tweets keinerlei Reaktion auf mein Flehen um Franzbrötchenrezepte bekommen habe, gehe ich davon aus, dass ihr die auch alle nicht backen könnt. Das beruhigt mich etwas. Ich übe weiter.

Zwei Folgen GLOW geguckt. Ich bin immer noch nicht ganz von der Serie überzeugt, weil ich Wrestling fürchterlich albern finde, liebe aber den 80er-Jahre-Soundtrack sehr. Und die Abspannmusik aus Exodus, die am Ende der 7. Folge läuft. Hier die Schmachtversion mit meinem Liebling Andy Williams, hier das Instrumental von Ernest Gold.

Die Buchvorlage von Leon Uris stand bei meinen Eltern im Bücherschrank. Es war dick, es war da, also habe ich es gelesen. Ich kann mich kaum an etwas erinnern und werde auch vieles nicht verstanden haben, aber: gelesen. Check!

Wegen Hanau Twitter recht weiträumig umschifft. #fcknzs #fckafd

Tagebuch Mittwoch, 19. Februar 2020 – 😮😡😍

Früh aufgestanden, früh in U-Bahn und Tram gesetzt, um früh im Lesesaal der Bibliothek des Deutschen Museums zu sein, um einen Platz an den Tischen zu kriegen, die Steckdosen haben. Alles geschafft – aber mein Netzteil zuhause liegen gelassen. Very, very slow clap.

An einen anderen Tisch gesetzt, damit jemand anders die Steckdosen genießen kann, und weiter in Die Straße geblättert, dieses Mal die Jahrgänge 1936 bis 1938. Außerdem vor dem Losfahren von zuhause bestellt: Zwei Jahrgänge von Verkehrstechnik. Ich ahne, dass ich das in irgendeiner Fußnote gefunden hatte, denn in meinem Diss-Dok war eine genaue Datumsangabe dazu; ich habe keine Ahnung mehr, woher ich das habe, aber es war hervorragend, denn dort las ich den ersten anständigen Verriss über die Ausstellung „Die Straßen Adolf Hitlers in der Kunst“ (1936). Es gab zu dieser Zeit keine Rezensionen oder Kritiken mehr, sondern nur noch Kunstberichte, und so liest sich das leider auch: Ein Bild nach dem anderen wird aufgezählt, es kommen so wachsweiche Anmerkungen wie „tiefe Tonigkeit“ oder „stimmungsvolle Landschaft“ und das war’s. Auf 20 Seiten, wenn es um die GDK geht. Schnarch.

Der Verfasser des Artikels, den ich großflächig zitiere, schätzte die Autobahnmalerei ziemlich richtig ein; er fragte sich, und ich paraphrasiere, warum man riesige Ölgemälde dazu anfertigt, um einen flüchtigen Bauzustand festzuhalten – er nannte sie „farbige Baustellenberichte“. (Darüber hatte ich auch schon nachgedacht: die Baustelle in der Kunstgeschichte. Außer dem Turmbau zu Babel war da nicht viel. Nein, Ruinenbilder sind was anderes.) Und dann kommt der totale Burn gegen die gesamte angeblich neue deutsche Kunst und ich feierte den Herrn dafür gestern wirklich sehr: „Die Malerei wird sich, wenn sie allgemeine Bedeutung haben will, der künstlerischen Überhöhung allgemein bewegender Themen zuwenden, so wie es im Mittelalter die Darstellung des Heiligen und Großen war. Damit hat sie ein weites Feld. Wenn auf diesem Felde heute noch verhältnismäßig wenig geerntet wird, so mag es sein, daß wir noch eine Zeit der Reife brauchen. […] Die Autobahnen selbst können uns der beste Beweis sein. Diese kühnen Schöpfungen liegen uns näher als die Bilder, die über sie gemalt werden können, und die Arbeit, die hier geleistet wird, ergreift uns in ihrer ethischen und wirtschaftlichen Bedeutung so unmittelbar […] daß eine Übersetzung ins Künstlerische vorläufig weder möglich noch notwendig erscheint. Um zu einer solchen Überhöhung zu kommen, muß vielleicht noch einige Zeit hingehen, wie sich gewöhnlich die künstlerische Form nicht mit dem Erlebnis zugleich einstellt, sondern allmählich heranreift.“

(Quelle: Leitl, Alfons: „Die Reichsautobahnen und die Kunst. Zur Ausstellung ‚Die Straßen Adolf Hitlers in der Kunst‘“, in: Verkehrstechnik 22 (1936), S. 583/584.)

Ich weiß nicht genau, ob es sich um diesen Alfons Leitl handelt, könnte aber hinkommen.

Außerdem fand ich in Die Straße endlich mal Fotos der ganzen Brücken, die Protzen gemalt hatte und kann die jetzt mit den Werken vergleichen; die meisten stehen nämlich nicht mehr. Und dann fand ich noch raus, dass nicht nur die Bibliotheksnutzung im Deutschen Museum nichts kostet, sondern dass sie auch kein Geld für Scans haben wollen und feierte daher einfach weiter.

Den Nachmittag versaute ich mir dann selbst. Beschwingt heimgekommen dachte ich mir, backste doch mal wieder Franzbrötchen. Dafür habe ich zwar schon vier Rezepte oder so ausprobiert und keins war annähernd so, wie ich es haben möchte, aber gestern fühlte sich wie ein guter Tag an, um ein fünftes anzutesten. Ich mach’s kurz: Es war fürchterlich und ich danach stundenlang sehr mies gelaunt.

Ich verstehe es einfach nicht. Es ist doch nur Hefeteig mit Zimt und Zucker drauf. Ich kann doch auch Zimtschnecken, wieso keine Franzbrötchen? Ich habe sogar Croissants hingekriegt, ES SIND DOCH NUR FRANZBRÖTCHEN! Von denen, die ich bisher aus dem Ofen gezogen habe, war keines so, wie ich es haben will: innen fluffig und nicht zu trocken, außer knusprig. Ich will mehrere Schichten haben – sonst könnte ich ja Zimtschnecken backen – und die Dinger sollen flach sein und nicht aufgehen. Habe ich noch nie hingekriegt. Wenn hier jemand ein Anke-sicheres Rezept hat, BITTE SCHICKEN! Ich verzweifele an meinem Lieblingsgebäck!

Immerhin abends netten Besuch gehabt und gemeinsam eingeschlafen. Alles wieder gut.