Tagebuch Dienstag, 18. Februar 2020 – Neues achievement unlocked

Geschlafen wie ein Stein, vom Wecker aus tiefen Träumen gerissen worden. Es ging ums Kinderkriegen, das weiß ich noch. Ich glaube, mein Uterus möchte mir auf den letzten Metern noch was mitgeben.

Den halben Vormittag mit Büro- und Orgakram am Schreibtisch verbracht, bis ich um 11 einer spontanen Eingebung folgte und ins Deutsche Museum fuhr, genauer gesagt, in die dortige Bibliothek. Mich interessierten erstmal nur die Jahresbände von Die Straße, einer Zeitschrift, die den Autobahnbau begleitete. In einigen der Bände hatte ich schon in der Stabi gewühlt, wobei ich da eher zielgerichtet Quellen nachgeschlagen hatte, die mir in Sekundärliteratur-Fußnoten aufgefallen waren. Nun wollte ich einfach alles mal durchblättern, auch um zu sehen, ob irgendwann Gemälde von Protzen als Illustration benutzt wurden.

An der Tramhaltestelle „Deutsches Museum“ steuerte ich auf den Haupteingang zu, von dem mir ein Wegweiser aber wegwies (ja, ich kann über derart billige Wortspiele lachen) und mich an der Seite des Riesengebäudes langlotste. Ein Schild zeigte mir den Eingang der Bibliothek an und nachdem mir eine freundliche Dame den Türöffner gezeigt hatte, als ich kläglich an der schweren Tür scheiterte, fand ich die Schließfächer und staunte danach mit dem Laptop im Arm erstmal über die heiligen Hallen.

Da ich noch nie in dieser Bibliothek gewesen war, nahm ich professionell meinen Personalausweis und einen Zehner mit in den Lesesaal, weil ich nicht nachgeschaut hatte, ob der Ausweis was kostet (tut er nicht). Mir wurde sehr freundlich weitergeholfen, und ich konnte sofort bestellen und meinen Kram vor allen Dingen 30 Minuten später in den Händen halten; deswegen wollte ich in diese Bibliothek und nicht in die Stabi, wo ich mindestens drei Tage auf Zeug warte.

Ich suchte einen Platz mit Steckdose und sah sofort, dass diese eine Tischecke, die vollständig mit Menschen belegt war, was mich beim ersten Vorbeigehen gewundert hatte, der Saal war doch fast leer?, die einzige Ecke war, die Steckdosen hatte. Aber ich wollte ja bloß bestellen und blättern, die paar Stündchen müsste mein Akku durchhalten. Der mitgegebene Flyer sagte mir, dass ich mich einfach ins Museum-WLAN einloggen könne, was aber nicht funktionierte. Ich testete stattdessen den eduroam-Zugang an und der ging.

In diesem Augenblick fiel mir wieder ein, was ich neben dem Semesterticket ab Oktober, wenn das Studium wirklich echt jetzt unwideruflich zu Ende ist, noch vermissen werde: eben diesen Zugang. Ich nutze ihn in jeder Uni-Bibliothek, weil das Uni-WLAN irre langsam ist, ich nutze ihn in der Stabi und sogar im ZI, obwohl dort ein WLAN ist, für das ich aber bis heute noch nicht das Passwort erfragt habe, wozu denn, ich hab ja meinen eduroam-Zugang. Du wirst mir fehlen, Schatz! (In Archiven funktioniert er, meine ich, nicht, da sitze ich meist herrlich ungestört von der Welt. Auch schön. Zum mal eben was Nachgucken allerdings sehr doof; da zücke ich meist ernsthaft mein Handy.)

Und so blätterte und blätterte ich und fand ein paar Dinge, die für mich neu und spannend waren. Nichts direkt zu Protzen, aber Kontext: So fand ich mehrere Anzeigen einer Firma, die 1937 ein Werk von ihm gekauft hatte, und ab 1936 bebilderte sie ihre Anzeigen auch mit einem Foto jener Brücke, von der Protzen ein Bild gemalt hatte. Ich kann nun also belegt behaupten, dass diese Firma an dieser Brücke beteiligt war und sein Werk – eine Kopie eines anderen – vermutlich eine Auftragsarbeit. Für derartigen Kleinkram blättert man halt Zeug durch anstatt nur das zu lesen, was die anderen vor einem schon gelesen haben.


(Anzeige von 1934, war in mehreren Heften drin.)

Als mein Rechner fast leer war, war ich mit den drei Jahrgängen fertig, die ich mir hatte ausheben lassen. Inzwischen waren die Steckdosenplätze wieder frei. Mal sehen, ob ich heute einen abkriege, wenn ich die nächsten drei Jahre durchschaue.

Tagebuch Montag, 17. Februar 2020 – Stabitag

Den Tag in der Bibliothek verbracht. Zuerst fünf thematisch unterschiedliche Bücher aus dem Lesesaalfach geholt und mich mit den eroberten Ostgebieten nach 1939 beschäftigt, dann mit dem Weimarer Bilderstreit, dann mit Ernst Vollbehrs Autobahngemälden von 1934, dann mit einer Ausstellung von 1942 in München, dann mit Hitlers Itinerar, um ein paar Diss-Lücken zu füllen bzw. nachzuschlagen, auch weil das Buch so viele Abbildungen hat, nach denen ich bisher in Archiven ergebnislos gewühlt hatte. Innenaufnahmen der Autobahnraststätte am Chiemsee zum Beispiel, in der theoretisch drei Protzens hingen. Auch hier leider nicht gefunden.

Im Kartenlesesaal noch ein Buch von Vollbehr aus dem Giftschrank geholt, zwei Sachen nachgeschlagen, wieder zurückgegeben.

Hungrig am späten Nachmittag nach Hause gefahren, Käsebrot mit Salat.

Dann längere Pause gemacht, um die neue Folge von Kitchen Impossible nachzuholen. Es hat mich sehr gefreut, Gerichte zu sehen, die erstmal nachkochbar aussehen: Franz Keller durfte Bœuf bourguignon machen, Tim Mälzer Poularde in der Salzkruste mit Frühlingsgemüse und Lauchkram unter der Blätterteighaube. Keller gönnte sich äußerst entspannt während der langen Schmorzeit des Fleisches eine Weinprobe nebenan, während Mälzer, der sich so gefreut hatte, endlich mal was „Normales“ kochen zu können, irgendwann wieder an sich selbst und seiner Bockigkeit scheiterte. Das fand ich sehr schade; ich mag es, wenn in der Sendung weniger Pimmelfechten und Kraftausdrücke vorkommen, sondern die schlichte Freude an gutem Essen und dem eigenen Handwerk vorherrschen. Ich sehe es zwar auch gerne, wenn man Zutaten, Zubereitungsarten oder Gerichte kennenlernt, von denen ich noch nie gehört hatte, aber ehrlich gesagt ist sowas wie Bœuf bourguignon und sieben Gläser Wein für den Koch dann doch eher mein Ding als Zuschauerin.

Mir ist auch aufgefallen, wie sehr ich es vermisse, mit F. ein, zwei Gläser abends zu trinken. Der Herr lebt gerade auf begrenzte Zeit alkoholfrei, was mich bis gestern überhaupt nicht gestört hatte, aber nach der Kochsendung hätte ich doch gerne einen Rotwein geteilt.

Zum Abendessen drei kleine Pfannkuchen gemacht, und weil sie klein waren, konnte ich sie per Hochwerfen wenden. Total professionell gefühlt.

Abends mit neuer Lektüre ins Bett. Ich lese gerade nach der Empfehlung von Marguerite Joly Late in the Day von Tessa Hadley, gefällt mir nach 50 Seiten sehr gut.

Tagebuch Samstag/Sonntag, 15./16. Februar 2020 – Freiburg, Irschenberg, Frauenwörth

Der FCA spielte am Samstag zuhause gegen Freiburg, das Spiel war fürchterlich, das Publikum irgendwann fassungslos, dann pissig, es ging unentschieden aus, und ich habe alles schon wieder vergessen. Aber die Zugfahrt war nett und die Stadionwurst wie immer ausgezeichnet.

Als ich am Freitag im Zug zurück nach München saß, erreichte mich eine DM von F. Sein Mütterchen weilte außer Landes, daher hätten wir den Wagen zur Verfügung. Ob wir einen Ausflug zum Chiemsee machen wollten? Ich so: „Yay!“ Er so: „Dann fahren wir auch über deinen depperten Irschenberg.“ Ich so: „IRSCHENBERG FTW!“

Der Irschenberg bzw. die Autobahn darüber gehört zu den Motiven, die so ziemlich jede*r Autobahnmaler*in um 1936 mal gemalt hat. Hier eine meiner liebsten Ansichten von Wolf Panizza, ich schrieb schon einmal darüber:

Auch Herr Protzen hat das Ding mal gepinselt. Anscheinend haben sich die Herren bei den Bergen im Hintergrund eine gewisse künstlerische Freiheit genommen, so sei es. Jedenfalls mag ich den Irschenberg total, aber F. kann das nicht mehr hören, weil man da angeblich immer im Stau steht.

Wir setzten uns also gestern ins Auto, ich packte sogar meine anständige Kamera ein, wir fuhren, ich knipste – und stellte entsetzt fest, dass alles total überbelichtet war, obwohl ich nie an der Auto-Einstellung herumfummele, die ist eigentlich idiotensicher. Ich jammerte, dass ich zwar kurz das herrlich föhnig-klare Panorama hatte genießen können, aber nun nichts fürs Blog hätte – pics or it didn’t happen –, woraufhin der beste aller Freunde die nächste Abfahrt nahm, fünf Kilometer zurückfuhr und mich noch einmal über den Irschenberg schipperte.

War aber egal, denn die Kamera zickte erneut, was ich aber erst zuhause bemerkte, weswegen ich mein iPhone auch deutlich zu spät zückte, um den herrlichen Aufwärtsschwung zu knipsen. Egal, war toll. Und: kein Stau. Guter, alter Irschenberg!

Dann fuhren wir weiter in Richtung Chiemsee. Ich las meine Hausarbeit von 2014 zum Frauenkloster noch einmal durch und wurde von F. daran erinnert, dass ich der seligen Irmengard noch eine Kerze anzünden wollte. Verdammte Bloggerei, alles merkt sich irgendwer, nur ich nicht. (War aber niedlich, meinen damaligen Eintrag erneut zu lesen, wo ich noch der Meinung war, meine kunsthistorische Zukunft läge in der Digitalen Kunstgeschichte und der Architektur. Unschuldige Zeiten.)

Wir setzten zur Fraueninsel über und ich dudelte wieder meinen selbstgebauten Ohrwurm im Kopf herum, den ich damals schon bei der Hausarbeit immer hatte: „Oooh, ich hab solche Sehnsucht / Du hast mich so sehr betört / Ich will wieder an den Chiemsee / Ich will zurück nach Frauenwörth.“

Spazierengegangen, die Mitte Februar noch sehr leere Insel genossen, dauernd aufs Wasser geschaut, ab und zu ein Foto davon gemacht. Dann gingen wir ins Münster, das zum Kloster gehörte, ich konnte mein im Auto wiederangeeignetes Wissen erneut anbringen, ließ einen Euro in die Sammelbüche fallen und entzündete eine Kerze. Im Hintergrund der Schädel von irgendwem (eventuell sogar die Irmengard, aber ich glaube nicht) im Reliqienschreinchen.

Mehr Wasser.

Mit der Pflanzenbestimm-App Flora Incognita gelernt, dass Efeu dicke Früchte hat. Nie bemerkt. Wir kleinen Deppen hatten zuerst auf Brombeeren getippt.

Mehr Wasser.

Beim Inselwirt eingekehrt, Spezi und Saibling für den Herrn, ein Helles und Schweinemedaillons für mich, die ich vor allem wegen der Beilage Spätzle mit Röstzwiebeln haben wollte, aber letztere waren gefriergetrocknet-ungenießbar, die habe nicht mal ich gegessen und ich esse alles, was irgendwie nach Zwiebel aussieht.

Nach der Rückfahrt nach Gstadt noch einmal das Fraueninselchen fotografiert. Ach, Schnuffi.

Auf der Rückfahrt gaaanz kurz auf dem Irschenberg in etwas dichterem Verkehr gewesen. Das war niemals ein Stau! Das würde mir der Irschenberg nicht antun.

Nebenbei über die Innbrücke gefahren, die Herr Protzen 1934 gemalt hatte, aber die konnte ich nicht genießen, weil wir ja drüberfuhren und ich sie nicht gesehen habe. Außerdem über die Mangfallbrücke gefahren, die auch alle mal gemalt haben. Protzen allerdings nicht, der hatte sich wohl an eine Notiz der Ausstellungsleitung erinnert, die zur Vorbereitung einer Schau zu den geeigneten Motiven meinte: „Mangfallbrücke (schon oft gemalt).“

Tagebuch Montag bis Freitag, 10. bis 14. Februar 2020 – Auto statt Aussteuer

Man gewöhnt sich vermutlich nie so richtig daran, wenn das Gehirn einer geliebten Person auf einmal anders funktioniert als vorher, aber die Woche war weniger stressig als die letzten Male, als ich daheim war, um meine Mutter bei der Pflege meines Vaters zu unterstützen. Für ihn werde ich immer in Hamburg wohnen, aber das ist okay. Gestern morgen verabschiedete ich mich bis zum nächsten Mal und er meinte wie immer, ich hätte es ja nicht so weit.

Der ganze bürokratische Aufwand, der mit einer zu pflegenden Person einhergeht, lässt allmählich nach. Trotzdem hat meine Mutter noch genug zu tun, muss noch immer dauernd irgendwo anrufen und Dinge erfragen, aber es wird. Die Pflegenden sind alle toll, Papa kommt mit allen klar – mit einigen besser, mit anderen weniger, aber das wäre auch nicht anders, wenn sein Kopf noch wie vor dem Schlaganfall wäre.

Dieses Mal konnte ich abends mit dem Mütterchen, wenn wir darauf warteten, dass Väterchen einschläft, ein bisschen mehr über anderen Kram klönen als Orgazeug. Sein Einschlafen zieht sich manchmal etwas; er nickt gerne weg, wacht dann wieder auf, ist orientierungslos, ruft nach irgendjemanden, an den er sich erinnert, und dann geht man halt zwei-, drei-, viermal in sein Zimmer, beruhigt ihn, bringt irgendwann ein Stück Schokolade mit und versucht rauszufinden, was ihn jetzt gerade davon abhält, einzuschlafen. Vorgestern dachte er, er müsste mir noch ein Kissen geben, einen Abend davor verstand er nicht, wieso er nicht im oberen Stockwerk schlafen könne wie wir, weil er vergessen hatte, dass er gerade nicht gehen kann. Manchmal denke ich, mein Kopf ist nicht viel anders, der grübelt abends auch über Quatsch, den er nicht ändern kann oder nicht versteht.

Die Vormittage konnte ich teilweise länger an der Diss sitzen; meine Mutter konnte ausschlafen, ich machte Papa Frühstück, ließ die Pflegekräfte ins Haus, danach schläft Papa gerne noch ein bisschen, weil das anstrengend ist, und weil das Mütterchen die außerhäusigen Termine in die Woche legt, in der ich da bin, konnte ich in Ruhe am Küchentisch am Laptop sitzen.

Am Mittwoch habe ich ein kleines Meilensteinchen gefeiert, indem ich die NS-Zeit der Diss so gut wie abschließen konnte. Alle Ausstellungen, die ich finden konnte, bis 1945 aufgelistet, alle Werke aufgezählt, die wichtigen beschrieben, Verkäufe notiert und vor allem Kontext gegeben. Wenn ein Herr Löbsack als Käufer im Werkverzeichnis auftaucht, sollte man erwähnen, wer das so war, wenn ein Bild „Hartmannswillerkopf“ heißt, auch, wenn ein Gemälde nach Litzmannstadt verkauft wird usw. Das hat alles wenig Spaß gemacht und ich war pissig auf Protzen, aber mei, das habe ich mir ja selbst ausgesucht.

Als ich dann am Mittwoch das Jahr 1945 vorerst abschließen konnte, war ich zunächst erleichtert, dass ich den Nazischeiß endlich hinter mir hatte, aber das dauerte nur wenige Stunden, denn dann war mir klar: Ich bin wirklich fast fertig. Die Zielgerade, die der Doktorvater und F. vor einigen Wochen schon sahen, sah ich plötzlich auch sehr deutlich vor mir. Das war einerseits toll und andererseits vermisse ich es jetzt schon, sie nicht mehr zu sehen.

Aber: Feste feiern, wie sie fallen, abends mit Mama Sekt aufgemacht und auf Meilensteine angestoßen. Dabei fragte ich sie etwas nach der jungen Bundesrepublik aus, denn ich hatte tagsüber natürlich gleich brav mit 1946 weitergemacht, bis 1956 muss ich noch. Sie ist Jahrgang 1940 und konnte sich daher nicht an Dinge wie die Währungreform erinnern, die mich gerade interessieren, weil das Vermögen der Protzens nach 1945 nicht unsubstanziell war, wenn man ihre Spruchkammerbögen als wahrheitsgemäße Quelle ansehen will. Deren Summen konnte ich mit dem Werkverzeichnis abgleichen, bei dem ich davon ausgehe, dass die Zahlen dort stimmen. Einige konnte ich anhand der Archivalien vom Haus der (Deutschen) Kunst bestätigen, daher gehe ich davon aus, dass auch der Rest meist passt.

Mama wusste noch, dass sie mal ein Sparbuch mit 500 D-Mark darauf gehabt hatte, was ihre Mutter mit „Davon kaufst du die Aussteuer“ kommentierte. Sie war mit 14 von der Schule abgegangen, weil meine Omi das Schulgeld für die höhere Schule nicht bezahlen konnte; eine Tante hätte gesagt, sie sei klug und könne gut rechnen: „Du gehst ins Büro.“ Also wurde sie Fremdsprachenkorrespondentin, absolvierte Wettbewerbe in Steno und Schreibmaschine und lernte als dann schon Vorstandssekretärin meinen Vater kennen, der Exportkaufmann war. (Sie verdiente damals mehr als er, was ich super fand.)

Die beiden verlobten sich 1965, und wie das so ist in Beziehungen, zofften sie sich irgendwann. Er ließ dann wohl den fiesen Satz fallen: „Vielleicht will ich dich ja gar nicht heiraten!“ Woraufhin Mütterchen, von der ich anscheinend mehr geerbt habe als ich dachte, zum Beispiel totale Übersprungshandlungen mit finanziellen Folgen, siehe die vier Absätze vor diesem, zu sich selbst sagte: „Wenn ich nicht heirate, brauche ich auch keine Aussteuer. Ich kauf mir lieber ein Auto.“

Da steht das gute Stück vor dem Haus, das die beiden gemeinsam bauten, inzwischen verheiratet (und ich war gerade unterwegs). Der Käfer endete Anfang der 1970er Jahre an einer Leitplanke in Hamburg-Maschen, meine Eltern gottlob nicht. Alle Autos danach wurden auf Papas Namen zugelassen. Aber das erste, das sie gemeinsam fuhren, gehörte Mama.

Gestern erzählte sie mir noch, dass sie in der Fahrschule nur mit zwei weiteren jungen Frauen saß, um sie herum 20 Männer. Auch bei der theoretischen Prüfung war das Verhältnis nicht gerade ausgewogen. Das war 1965 anscheinend etwas Besonders für eine 25-jährige Frau, ein Auto zu haben, und das auch noch selbstbezahlt.

Hier ist die Dame von damals. Ich kann mich nicht erinnern, dass mir das Foto vor vorgestern aufgefallen wäre, was mich irre macht. Ich finde es nämlich ganz großartig, und wenn ich mir die Twitter-Likes anschaue, bin ich nicht alleine. Das Foto hatte 1965 eine Arbeitskollegin von Mama gemacht, Ruth Schäfer, Jahrgang 1925. „Wir hatten einen 36er-Film, den haben wir im Büro mal verknipst.“

Wenn das ein Ölgemälde wäre und Kleidung und Haarfrisur etwas anders, würde ich es gnadenlos in die Neue Sachlichkeit datieren und an der Wand haben wollen. Ich glaube, ich werde mir das als Poster anfertigen lassen.

Das Haus da oben hatte übrigens die tollste Eingangstür der Welt, hier die Ansicht von innen. Ich hatte ja ernsthaft über Glasbausteine als Diss-Thema nachgedacht, weil ich die so toll finde und es erschreckend wenig Literatur über sie gibt.

Und hier die zukünftige Frau Doktor beim Wiederaufbau einer gotischen Kathedrale.

PS: Die Fotos sehen so mies aus, weil sie nur mit dem iPhone abfotografiert wurden, ich hatte keine Lust, mich bei Elterns an den Scanner zu setzen.

Tagebuch Sonntag, 9. Februar 2020 – Unterschrift und Käsekuchen

Mama durfte endlich mal wieder ausschlafen, ich war fürs Frühstück zuständig und dafür, die Morgenpflege ins Haus zu lassen. Danach ist Papa immer erschöpft und schläft. Das Mütterchen wollte auch nicht aufstehen, weswegen ich herrliche drei Stunden ungestört an der Diss sitzen konnte.

Danach machte ich Mittag für Papa und mich, während das Mütterchen sich den Frühstückstee kochte. Nachmittags kamen Schwester und Schwager mit zehn Kilo Torte vorbei. Draußen wurde aus dem üblich-norddeutschen „Büschn windig, hm?“ eine ausgewachsene Sabine. Schwager entschied sich, vielleicht doch schon früher mit dem Zug gen Süden aufzubrechen und erwischte den letzten ICE, der noch aus Hamburg kam.

Vor dem Abendbrot musste Papa noch ein paar Dokumente für die gemeinsamen Konten meiner Eltern unterzeichnen. Die dortigen Hansel erkennen die Vollmacht meiner Mutter nicht an, warum auch immer. Dann kriegen sie jetzt halt Papas neue Unterschrift, die er erstmal ein bisschen üben musste.

Abends nochmal dissertiert und das Jahr 1941 fast abgeschlossen, noch nicht ganz, weil: Bücher liegen zuhause, und wenn man schon mal das Handy zum Tethern nimmt, kann man ja auch gleich in der Stabi noch was bestellen, das liegt dann da auch noch und will gelesen werden.

Gegen 11 sehr müde ins Bett gefallen.

Tagebuch Freitag/Samstag, 7./8. Februar 2020 – Stress und Snooze

Freitag am eigenen Schreibtisch gearbeitet, wollte nicht mehr raus, sondern den letzten Tag noch alleine in Ruhe verbringen, bevor ich wieder eine Woche lang kaum eine Minute für mich habe.

Gefühlt den halben Tag lang stressgegessen.

Am Samstag ereignislose, angenehme, pünktliche Zugfahrt. Das bravste Kleinkind aller Zeiten im Sitz schräg vor mir gehabt. Zwei Stunden lang die Folge von Joseph Arthurs Podcast „Come to where I’m from“ mit Josh Radnor gehört und bis auf wenige Minuten sehr interessiert gewesen. Einen Satz von Lou Reed gemerkt: „Alles, was mehr als drei Akkorde hat, ist Jazz.“ Und einen von angeblich Flaubert (der ihn vermutlich nicht auf Englisch und für Inspo-Bildchen geschrieben hat, wenn überhaupt:) „Be regular and orderly in your life, so that you may be violent and original in your work.“

Der Herr Radnor liest anscheinend viel. Bin mal wieder celebrity crushed. Er hat auch einen Newsletter.

Papa geht’s gut.

Beim Kochen bei meinen Eltern fühle ich mich immer wie eine Kandidatin in MasterChef: „Du hast 10 Kilo Kartoffeln, drei Dutzend Gläser Marmelade, Essig, mit dem man Badezimmer putzt und Gewürze, die zu deiner Geburt schon abgelaufen waren – drei Gänge bitte.“

Bei mir gab’s Feldsalat, Eisbergsalat, Käse und Croutons aus ziemlich supererem Vollkornbrot. Dressing aus Olivenöl (nach ewigem Quengeln angeschafft), körnigem Senf (hatte ich mal gekauft) und Holunderessig (hatte eine Nachbarin als Geschenk dagelassen).

Außerdem gelernt, dass der ehemalige Heizöllieferant meiner Eltern auch eine Metzgerei hatte. Oder umgekehrt.

„Die Firma gibt’s leider nicht mehr. Jetzt kriegen wir das Öl von woanders, aber die haben keine Wurst.“

Tagebuch Donnerstag, 6. Februar 2020 – Spaß im Prüfungsamt

Über den Mittwoch möchte ich nicht reden, vor allem nicht über die Farce im Thüringer Landtag. Ich sage nur so viel: Ich kam gegen 16 Uhr nach Hause und habe mir ein Bier aufgemacht. Half aber auch nichts.

(emilyscartoons)

Gestern ließ ich mich von der S-Bahn nach Dachau schaukeln, um in der dortigen Gemäldegalerie im Nachlass eines Malers zu stöbern. Ich fand leider nicht viel, aber doch ein bisschen, wenn auch nur über Bande zu Protzen selbst, eher zum Umfeld. Erstmal aufgeschrieben, wie bisher immer, wenn ich irgendwo saß und Quellen vor der Nase hatte, man weiß ja nie, was man damit noch anfangen kann.

Ich bin dann jetzt bei ungefähr 240 Seiten, habe seit zwei Wochen nicht mehr gezählt.

Nachmittags war ich im Prüfungsamt, um dort persönlich eine wichtige Frage loszuwerden, weil ich telefonisch nie durchkam.

Mein Plan ist es, im Oktober die Diss abzugeben. Wir dürfen in diesem Jahr im März, im Juni und im Oktober abgeben. März ist illusorisch, Juni fühlt sich zu knapp an, aber Oktober sollte wirklich drin sein, mit meinen üblichen 25 Korrekturschleifen und der noch anzufragenden Leistung einer meiner schnuffigen Art-Direktorinnen, ob von denen eine zum Freundschaftspreis 300 Seiten layouten möchte plus ein Abbildungsverzeichnis aus der Hölle. Das machen die bestimmt alle total gern!

Jedenfalls mailte ich vor ein paar Tagen die gewünschte Zweitgutachterin an, ob Oktober für sie okay wäre, denn nach der Abgabe kommt ja noch die Disputatio und die ist auf Februar 2021 festgelegt. Da kann die Dame aber leider nicht, wie sie mir mailte, ob wir die Disputatio auch im Januar machen könnten? Den Doktorvater angemailt, ob der das Gutachten bis Januar schafft, er meinte ja, aber ich müsste im Prüfungsamt nachfragen, ob die Disputatio-Verschiebung okay wäre. Ich also ins Prüfungsamt, wo anscheinend gerade Abgabe der Masterarbeiten von ein paar Fachbereichen ist, denn es war ungewöhnlich voll und alle hatten Papierstapel im Arm. Ich ging entspannt zur Tür für die Promovierenden und trug mein Begehr vor.

Antwort: Verschiebung ja, ungern, aber ja. Ob ich dazu auch noch eine Verlängerung meines Betreuungsverhältnisses bräuchte?

Ich so: Äh … ich bin bis September eingeschrieben, kann aber ja erst im Oktober abgeben.

Sie so: *zückt den Ordner, wo ich mit meinen ganzen tollen damals eingereichten Dokumenten drin bin inklusive des Führungszeugnisses, das ich zur Abgabe nochmal anfertigen muss, Bayern, du Schnuffel* Ihr Betreuungsverhältnis hat nichts mit der Immatrikulation zu tun. Das wurde im September 2017 begonnen, gucken Sie, das heißt, das ist im September 2020 beendet. Wenn Sie erst im Oktober abgeben, müssen Sie das Betreuungsverhältnis um ein Jahr verlängern, sonst können Sie nicht abgeben.

Ich so: *mind-blown emoji* Gut zu wissen. Gibt’s da Vordrucke oder so zum Download?

Sie so: Da reicht ein formloses Schreiben, muss Ihr Doktorvater halt unterzeichnen. Für die Verlegung der Disputatio reicht auch ein formloses Schreiben. Am besten vorbeibringen. Ach ja, und Sie brauchen auch noch einen Drittprüfer für die Disputatio, den müssten Sie uns auch mitteilen. Da könnte es im September online was geben, weiß ich aber noch nicht.

Ich so: *schreibe hektisch alles auf und nehme mir vor, es zu verbloggen, dann finde ich die Infos auf jeden Fall besser wieder als in meinem Moleskine*

Hiermit erledigt. Gut, dass wir darüber gesprochen haben!

(Ich schreib jetzt bis April durch und geb im Juni ab, was soll der Quatsch.)

Ich reichte die Infos an Doktorvater und Zweitgutachterin weiter. Letztere fragte nach dem Umfang meiner Arbeit und nachdem ich ihr die jetzige Seitenzahl und meine persönliche Schmerzgrenze von ca. 300 Seiten mitgeteilt hatte, meinte sie: Ihre Doktorand*innen bekämen immer den Richtwert 220 Seiten plusminus zehn Prozent. Das behalte ich gern im Hinterkopf.

Es beißt sich allerdings etwas mit dem, was mir mein Doktorvater im letzten Gespräch mitteilte, als ich fragte, ob dieses und jenes aus dem Nachlass auch noch in die Arbeit müsse. O-Ton: „Frau Gröner, Sie sind die erste, die sich ausführlich mit Protzen beschäftigt, und, seien wir ehrlich – vermutlich vorerst auch die letzte. Es ist also Ihre Pflicht, der wissenschaftlichen Community zumindest zu sagen, was alles noch im Nachlass liegt, auch wenn Sie es nicht groß verarbeiten.“

Ich sehe eine sehr lange Fußnote und mindestens zwei leerkorrigierte Rotstifte vor mir. F. hatte gestern abend aber einen sehr guten Tipp, als ich jammerte, was ich alles Schönes rausgefunden hätte, was ich aber streichen werde, weil es eher Infos zu Zeitumständen sind, die nicht direkt auf meine Fragestellung einzahlen: „Das kannste alles ins Buch packen.“ Wir haben einen Plan.

Tagebuch Dienstag, 4. Februar 2020 – Tippeditipp

Den ganzen Tag am Schreibtisch gesessen. Bis morgen!

Na gut.

Ich muss ein Buch wieder in die Bibliothek bringen, deswegen sollte ich mir vielleicht endlich mal den Aufsatz durchlesen, wegen dem ich das Ding überhaupt nach Hause geschleppt habe. Wobei: Es war immerhin nicht schwer. In einem Essayband von Altmeister Nipperdey hatte ich etwas zur Moderne im NS-Staat gefunden und konnte ein bisschen zitieren. Denn auch darüber habe ich natürlich nachgedacht: Wieso ein Staat so viel Wert auf die Abbildung von bäuerlichen Szenen legte (rassistisch und antisemitisch mit Blut und Boden konnotiert), aber gleichzeitig über eine so hochentwickelte Industrie verfügt, die den Holocaust technisch möglich machen konnte.

Dann las ich das Kapitel für das Jahr 1936 Korrektur und war sehr zufrieden mit den ganzen schönen Quellen, die ich zur Ausstellung „Die Straßen Adolf Hitlers in der Kunst“ gefunden und in einen hübschen Sinnzusammenhang gebracht hatte.

Anschließend beendete ich vorerst die Jahre 1939 und 1940 und verlor mich dann äußerst schlecht gelaunt im Kapitel für 1941, wo der Generalplan Ost und der „Reichsgau Danzig-Westpreußen“ wichtig werden. Wie ich gestern schon auf Twitter schrieb, brummelte ich alle 20 Minuten „Diese verdammte Nazi-Rotze“ vor mich hin und erinnerte mich daran, mir nach Abgabe der Diss selbst irgendwas mit Eichenlaub und Schwertern zu verleihen.

Gefühlt viel zu lange in Archivsuchmasken rumgehangen. Das ist teilweise aber auch unkomfortabel, was da gebaut wurde.

Kochfaules Abendessen Halloumi mit Paprika und Tomaten. Der Käse schmeckte, als ob ich direkt vor ihm eine Waffel mit Puderzucker in der Pfanne gehabt hätte, und obwohl das sehr seltsam war, fand ich das super. Werde nächstes Mal Zucker auf den Käse streuen. (Und ihn damit vermutlich total ruinieren. Hey, Stoff fürs Blog!)

Vor meinem Küchenfenster entsteht am mit Grünzeug umrankten Außenfahrstuhl ein Vogelnest und ich bin sehr gespannt darauf, wer da wohl einziehen wird. Mit den Immobilien von Frau Nessy kann ich leider nicht mithalten.

Auf dem Sofa die digitale Farm bestellt, während F. auf dem iPhone DFB-Pokal guckte. Im Bett gelesen, er eine Biografie, ich immer noch den Adel auf dem Weg zum „Führer“. Gemeinsam eingeschlafen. Mit dem Tag zufrieden gewesen.

Tagebuch Montag, 3. Februar 2020 – Don’t stop dancing til the curtains fall

Eigentlich wollte ich ins ZI, wo ich mir letzte Woche mal wieder einen kleinen Handapparat gebastelt hatte. Aber ebenso eigentlich regnete es den ganzen Tag, was für die innere Anke bedeutet: Tee! Gemütlichkeit! Indirekte Beleuchtung! Immerhin die ersten beiden Dinge konnte ich abhaken, denn ich machte es mir mit der üblichen Kanne Tee aus Omis Teeservice am Schreibtisch bequem und dissertierte vor mich hin.

Endlich mal die Bestände im Bundesarchiv angefordert, die seit zwei Wochen als PDF rumliegen, Hotel und Flug hatte ich schon letzte Woche gebucht. (Ja, Flug, ich habe keine Zeit.) Zwischendurch Steuer gemacht, ist ja Monatsanfang. Weiter am Werkverzeichnis des Künstlers entlanggehangelt, das Kapitel bis 1925 Korrektur gelesen und zufrieden gewesen, und den Tag damit beschlossen, das letzte von Protzens 29 Gemälden zur Reichsautobahn (von denen ich weiß) zu beschreiben. Das ist für mich das Nervigste an meinem Fach, so albern es klingen mag, aber bei Werkbeschreibungen kommt bei mir immer die Werberin durch, die den Lesenden sagen möchte: „Da ist doch ne Abbildung, was muss ich das denn noch beschreiben?!“ Denn schließlich habe ich mein Gehirn jahrelang darauf trainiert, Dinge zu zeigen, die man nicht erklären muss, so ein Fernsehspot ist ja nur 30 Sekunden lang bzw. für eine Printanzeige nehmen sich Leute nur 7 Sekunden Zeit (meine ich mal gelesen zu haben). Das war ein ziemlicher Umdenkprozess für mich, haarklein zu beschreiben, was ich sehe. Aber weil es für die Autobahnmalerei noch kein Überblickswerk gibt, sondern alle bisherige Literatur ähnlich arbeitet wie ich – einen Künstler aufarbeiten und daran sein Werk erklären –, ist jede Beschreibung wichtig, denn mit ihr kann man vergleichen. Und das ist der Job.

Eigentlich wollte ich gestern nur das Jahr 1940 abschließen und dann Feierabend machen, aber Protzen malte als erstes Bild im Jahr 1941 noch eine letzte Autobahn, und die beschrieb ich dann eben auch noch. Das war mal wieder ein kleines Meilensteinchen, aber ich war trotz allem Stolz ein bisschen traurig.

Auf der Website des Prüfungsamts mal die Abgabetermine für die Arbeit angeguckt. Ich dürfte in diesem Jahr im März, im Juni und im Oktober abgeben. Team Oktober! Die Disputation wäre dann allerdings erst im Februar, was mich etwas irritiert hat. Bis dahin habe ich doch alles wieder vergessen, was derzeit ganz vorne im Kopf liegt, damit ich gut rankomme.

Abendessen nach nur Flat White und Tee den Tag über, man kommt ja zu nix, dringend nötig: Oriecchiette mit Speck, Zwiebeln und Erbsen.

Die letzten Folgen BoJack Horseman geguckt und auch hier ein bisschen traurig gewesen. Seltsamer Tag. (Don’t stop dancing til the curtains fall.)

Tagebuch Sonntag, 2. Februar 2020 – Mist, schickes Datum verpasst!

2.2.2020. Nicht mitgekriegt, weil ich gerade kein Dokument mit einem Datum versehen musste.

Ausgeschlafen. Also im Prinzip. Ich war um 5.30 Uhr wach, wollte aber noch nicht aufstehen, las, daddelte am Handy und döste vermutlich so gegen 7 nochmal weg, bis mich eine DM von F. um kurz vor 10 weckte. Tee gekocht, Saturday Night Live geschaut.

Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, den Kopf am Wochenende auszumachen, der arbeitet ja derzeit auch nachts und lässt mich nicht schlafen. Es juckte mich gestern dann aber doch gegen Mittag in den Fingern, an den Schreibtisch zu gehen. Bis 20 Uhr durchgearbeitet, Korrektur gelesen, Bilder beschrieben, Fußnoten aufgeräumt, über Dinge nachgedacht, To-Do-Liste verlängert, wie immer.

Bevor F. zum Superbowl-Gucken nach Giesing aufbrach, schaute er kurz vorbei, was mich sehr gefreut hat. Danach noch zwei Folgen Bojack Horsemann geguckt und zeitig ins Bett gegangen. Guter Tag.

Es ist kalt da draussen, Grossbritannien

Constantin Seibt in der Republik über britische Handelsabkommen – oder der Wunsch danach – nach dem Brexit. Man kann das durchaus schadenfroh lesen, auch wenn’s weh tut.

„Indien. Die am schnellsten wachsende Wirtschaft der Welt. Die Brexit-Befürworter versicherten: Die ehemalige Kolonie werde sich bestens an die Zeit mit England erinnern. Das tut sie tatsächlich. Nur viel zu gut. Es ist eine politische Notwendigkeit für jeden indischen Premier, die verhasste ehemalige Kolonial­macht möglichst stark zu demütigen.

Indiens wichtigstes Ziel für einen Freihandels­vertrag sind die zwei Dinge, bei denen Indien die einstigen Kolonisten noch für kompetent hält: Studien- und Arbeitsplätze. Das Problem für die verhandelnden Briten: Die scharfe Kontrolle der Grenzen war der wichtigste Grund, warum die knappe Mehrheit für den Brexit stimmte.

Die Frage ist, ob es wirklich der Wunsch der britischen Wähler war, aus der EU auszusteigen, um in Indien einzusteigen – womit zukünftig mehr Inder einwandern, nicht mehr Europäer.

Und die andere Frage ist: Wenn ein Freihandels­abkommen mit Indien möglich ist – dann wann? Die Verhandlungen Indiens mit der EU ziehen sich ohne absehbares Ende bereits seit zehn Jahren in die Länge.

Allerdings könnten sie bald an Schwung gewinnen. Schliesslich fällt das grösste Hindernis aufseiten der EU nun weg – die Briten. Die hatten gebremst, und da schliesst sich der Kreis, weil sie keine zusätzlichen Inder auf der Insel wollten.“

Tagebuch Samstag, 1. Februar 2020 – Studenten, die alles gendern

Ich weiß nicht, wie ich meinem Kopf beibringen kann, dass „Ausschlafen“ nicht „zwei Minuten vor dem Alltagswecker aufwachen“ bedeutet.

Den Vormittag komplett auf dem Sofa bei einer Kanne Tee verdaddelt. Das war schön. Die Wohnung ist ungeputzt, aber ich war entspannt.

Dann allmählich ins Stadion aufgemacht. Die schwierige Frage war die der Klamottenwahl. Vor zwei Wochen war klar: Alles, was ich tragen kann, wird mitgenommen, auch die Decke. Gestern waren es in München aber teilweise 15 Grad, was eigentlich mein geliebtes Frühling- und Herbsthoodie bedeutet. Es war allerdings Regen angesagt, und ich weiß auch, dass es dann doch irgendwann kühl wird, wenn man nur rumsitzt, selbst wenn man ab und zu das Glück haben sollte, wegen Torjubels aufspringen zu können. Also entschloss ich mich für einen Kompromiss: Jeans ja, aber keine Thermotights drunter, Winterjacke ja, aber nur Thermo-Longsleeve und Shirt drüber, nicht noch der dicke Pulli, Sneakers statt Winterstiefel, keine Mütze, keine Decke, aber vielleicht mal die Handschuhe in den Jackentaschen lassen. Und, ta-daa, es hat ungefähr gepasst.

Wenn mir jemand vor diesem ganzen Dauerkartengelump gesagt hätte, dass ich so viel Hirnschmalz auf meine Bekleidung aufwenden müsste, hätte ich das gelassen. Schließlich verwende ich im Alltag ungefähr eine Sekunde auf meine Bekleidung: Ist es sauber? Passt es? Dann ziehe ich es an.

PS: F. war im Bandshirt und Bandlongsleeve unter der Übergangsjacke ein bisschen zu kalt gekleidet. Aber dafür sah er top aus!

Zum Spiel selbst ist nur zu sagen, dass ich kein Foto gemacht habe. In der ersten Halbzeit sah ich die Jungs meist von hinten, weil sie auf das Tor von mir weg spielten, und in der zweiten Halbzeit wollte ich die Hände nicht aus den Handschuhen nehmen. Es war seit längerem mal wieder ein richtiger mies anzusehender Grottenkick, aber netterweise hat Bremen noch grottiger gespielt, und Augsburg gewann 2:1.

Auf der Tramfahrt vom Stadion zum Bahnhof lernte ich interessantes über die Stadt des gestrigen Gegners. Jetzt wo die Staumeldungen vom Deutschlandfunk Geschichte sind, muss ich mir die Infos über den Rest von Deutschland halt woanders herholen. In der Tram meinte ein Werder-Fan: „Ich komme aus Mannheim, das ist eine Arbeiterstadt, da wird noch ordentlich mit den Händen geschafft, nicht so wie Bremen, wo nur Studenten wohnen, die alles gendern!“ Ich wusste nicht, wie sehr das Ändern von Wortendungen Auskunft über Norddeutschland geben konnte und war einerseits fasziniert von dieser Aussage, kam aber gleichzeitig aus dem Augenrollen kaum noch raus. Kann auch daran gelegen haben, dass der Herr nicht müde wurde, das ortsansässig Bier zu preisen: „Riegele! Echt jetzt, Augsburg ist GESEGNET mit diesem Bier, echt jetzt!“

Den Restabend wollten F. und ich eigentlich gemeinsam verbringen, aber wie das so ist, wenn jeder erstmal zu sich in die Wohnung geht und man dann zum Aufwärmen unter der Decke liegt … getrennt geschlafen. War auch okay, mit mir ist nach Fußballspielen meist nicht mehr viel anzufangen.

Apropos Staumeldungen:

Sag zum Abschied leise Kamener Kreuz

„Und mehrmals täglich bändigten die bundesweiten Verkehrsmeldungen jene föderalistischen Zentrifugalkräfte, die in der Republik kulturelle Gräben zwischen Schwerin und München oder Dresden und Düsseldorf aufreißen. Wenn im Radio fortlaufend das deutsche Straßennetz ausgeworfen wurde, war das nicht nur immer eine gegenseitige Lektion in höherer Regionalkunde. Indem klar wurde, dass Menschen in Sachsen, Nordrhein-Westfalen und Bayern gleichzeitig im Stau stehen, vollzog sich auch die deutsche Einheit in ihrer vielleicht deutschesten Variante: geteiltes Bewusstsein in Form von geteilter Genervtheit.“

Der DLF hat aber ein Tondokument gegen die Entzugserscheinungen.

I Asked 1,000+ People About Crying at Work and the Answers Are… Emotional

Hand hoch, wer noch nie auf der Arbeit geflennt hat. Ich war beim letzten regelmäßigen Arbeitgeber dankbar für die Einzelkabine auf dem Damenklo, da hatte man seine Ruhe. Als das Weinen regelmäßiger wurde, war mir allerdings auch klar, dass es wohl Zeit für die Kündigung wäre.

In der Uni habe ich nur einmal geheult: als mein Bachelorprüfer vor dem versammelten Kolloquium meine Idee verriss. Zu Recht, aber da ging kurzfristig nicht mehr viel. Da saß ich dann zwischen den ganzen Zwanzigjährigen und ließ die Tränen laufen.

„I’ve been thinking a lot about this image over the last week, because it’s been repeating in my mind in various iterations since I started researching the phenomenon of crying at work—an experience nearly as universal as crying itself, according to my unscientific polls.

As responses poured in about people weeping in their office bathrooms, holding back tears in meetings with their managers, and running to parking lots for good car cries, I couldn’t help but picture the entire Earth-bound workforce sniffling at the same time. And just like on the train, the result was strangely endearing and unspecifically distressing, but on a global scale. What I quickly learned is that crying at work is almost its own emotion—with distinct rules, norms, and idiosyncrasies. Below I’ve organized my research for your perusal. It covers where people are crying, from freezers to classrooms; who is crying—do men cry as much as women?; why we’re crying; and interestingly, how to cry at work with more panache (a skill I now possess).“

(via Chestnut and Sage)

Thread eines Kurators über die Schwierigkeiten, digitale Kunst zu konservieren. Mit Appellen an Künstler*innen, wie sie Kurator*innen Hilfestellung geben könnten.

Ich erspare mir jetzt eine Abhandlung darüber, dass digitale Kunst vielleicht gar nicht für die Ewigkeit gemacht sein soll, sondern ein sehr spezifisches Zeitdokument ist, dessen Zeit dann eben irgendwann gekommen ist.

(via @wortfeld)

Tagebuch Donnerstag/Freitag, 30./31. Januar 2020 – Archiv und ZI

Der letzte Archivtag im Januar war eher nervig als erfolgreich, Schwamm drüber.

Wenigstens gut zum späten Mittag gegessen.

Und quasi als Ausgleich Post vom Sächsischen Staatsarchiv bekommen, die wieder etwas bessere Laune machte.

Abends eigentlich zu einem Konzert verabredet gewesen, aber nach zwei Nächten, in denen ich ab morgens um 4 wach war und meinen Kopf nicht mehr ausmachen konnte, der auf 800 noch zu bearbeitenden Diss-Lücken beschäftigt war, war ich so müde, dass ich in der Pause ging. Schade, denn das zweite Stück des Abends hatte mir sehr gut gefallen, das erst ging an mir unkonzentriertem Wusel eher vorbei.

Wie ein Stein geschlafen, aber gestern morgen irgendwie traurig aufgewacht, so ein Mittelding zwischen Überarbeitung und Zukunftspanik, tolle Kombi. Eine Stunde unentschlossen im Bett rumgewälzt und dann zum Allheilmittel gegriffen: in die Bibliothek fahren. Am besten ins Zentralinstitut für Kunstgeschichte, denn irgendwas steht da immer im Regal, was bessere Laune macht.

War dann eher nicht so, weil ich den Forschungsstand zur Kunst im NS finalisierte und mal wieder feststellen durfte, wie wenig vorhanden war. Dazu kam die Tatsache, dass mein Doktorvater, der ein Big Player in dem Bereich ist, quasi in jedem Ausstellungskatalog vertreten ist, den ich heranziehe, und ich ihn deswegen dauernd zitieren müsste. Was ich versuche zu vermeiden, weil das albern ist. Trotzdem fragte ich spaßeshalber auf Twitter, ab wievielen Nennungen im Literaturverzeichnis es komisch werden würde, woraufhin Herr @mediumflow die beste aller Antworten gab: „Als Doktorvater empfehle ich meinen Promovend*innen sachliche Distanz & Zurückhaltung beim Zitieren des Doktorvaters. Andernfalls rollen die Leser*innen nur die Augen & nehmen den Zitiergrund nicht ernst. Das größte Kompliment für den Doktorvater ist halt eine brillante Thesis.“


(Da wir immer noch kein finales Urteil zur Kunst im NS haben, ist alles zwischen Dings und Anpassung möglich.)

Ich puschelte weiter, als mein Handy stumm klingelte, was ich natürlich wegdrückte, Nummer aus München, keine Ahnung. Kurze Zeit später schlug eine Mail meines Doktorvaters auf, der mich anscheinend angerufen hatte, er hätte da ein paar Fragen, die er mir gleich in der Mail mitschickte, woraufhin meine Laune sehr viel besser wurde.

Ich habe da nämlich vor einiger Zeit eine Entdeckung gemacht, die für meine kleine Ecke der Kunstgeschichte nicht ganz unwichtig sein könnte. Über was ich per Zufall gestolpert bin, ist noch nirgends in der Forschungsliteratur verzeichnet, würde sie aber durchaus sinnvoll erweitern. Davon erzählte ich Vati im letzten Gespräch, und er war interessiert, aber nicht so enthusiastisch wie ich es gewesen war. Das hatte mich etwas enttäuscht, aber innerlich dachte ich, okay, der Mann weiß zehnmillionenmal mehr als du, dann war die Entdeckung wohl doch nicht so irre.

Und dann kam gestern die Mail mit sehr vielen Fragen. Ich beantwortete sie, schickte aber gleich noch eine hinterher: „Ich sitze gerade 50 Meter von Ihnen entfernt in der Bibliothek, soll ich kurz rumkommen?“ Was ich dann mit meinem Laptop tat, ein Kollege, der in der Mail auch CC gewesen war, guckte sich das ebenfalls gespannt an, ich zeigte Dokumente und Fotos, wir diskutierten, und ich fühlte mich wie eine richtige erwachsene Kunsthistorikerin. Das war schön.

Dieses Mal hatte ich auch brav einen Jogurt mit ins ZI genommen, damit ich nicht beim ersten Hunger nach Hause fahren müsste, was sonst immer mein Arbeitsmodus ist. Daher blieb ich bis gegen 17 Uhr, ließ mich dann nach Hause shutteln, obwohl gestern herrliches Fahrradwetter war, aber ich morgens noch zu bräsig für dieses Verkehrsmittel gewesen war, machte mir ein Käsebrot an Gemüseberg und verheulte das Finale von The Good Place. Wenn ihr auf der Suche nach einer perfekten Serie seid – nehmt diese hier.

Tagebuch Mittwoch, 29. Januar 2020 – Hausaufgaben

Vormittags in der Stabi mein Netzteil fallengelassen, weil ich nicht gleichzeitig fünf Zeitschriftenbände, einen Laptop, ein externes Trackpad, mein Notizbuch UND das Netzteil tragen kann. Als ich das Ding am Arbeitsplatz einstöpseln wollte, merkte ich, dass sich der eine Stift beim Fall verbogen hatte. Netterweise reichte der Akku, während ich die fünf Bände durchblätterte – und feststellte, dass genau die zwei Seiten, die ich im Nachlass als Kopie gefunden hatte und für die ich jetzt eine anständige Quellenangabe suchte, rausgerissen wurden. (Augenroll-Emoji.)

Danach las ich noch einen Aufsatz von 1960, kam mir aber doof dabei vor, den zu zitieren, weil alt. Mal sehen.

Ab nach Hause, das zweite Netzteil angestöpselt und die Hausaufgaben erledigt, die mir mein Doktorvater gestern aufgetragen hatte: „Machense doch mal nen Forschungsstand zur NS-Kunst.“ Erledigt und dabei wie immer sinnlos darüber aufgeregt, dass wir seit 40 Jahren nicht so recht weiterkommen, weil es viel zu wenige Wissenschaftler*innen gibt, die sich dieses Schmuddelthemas annehmen und wir deshalb dauernd die gleichen Diskussionen führen, nur zehn Jahre später oder zwanzig und mit neuen Kombattanten. (Augenroll-Emoji.)

Wenigstens gut gegessen: die klassische Alles-muss-raus-Pfanne. Nur echt mit dem Superdipp aus Jogurt, Majo und Ketchup.

Abends kam F. vorbei, der mich gebeten hatte, bitte nicht selbst mit meiner Rohrzange am Netzteil rumzubiegen. Er bog professionell, der Stift sah wieder gut aus, dann stöpselte er das Ding in eine Steckdose, aber ich wollte partout nicht meinen Rechner daran anschließen, denn da ist ja die Diss drauf, und obwohl ich zwei externe Festplatten habe, eine Dropbox, die Cloud und einen Stick, habe ich immer Angst um die viele Arbeit, die da drauf ist.

Tolle Idee: Ich schließe erstmal einen von meinen alten Laptops an, um das gebogene Netzteil auszuprobieren. Das alte Macbook von 2011 oder so rausgeholt, das natürlich noch einen anderen Netzteilanschluss hat, ist klar, Apple, du Nervladen. (Augenroll-Emoji.) Aber: Als ich die Schublade aufzog, um zu gucken, ob ich überhaupt noch ein passendes Netzteil hätte, fiel mir auf: Ich habe ja nicht den Stift des langen Kabels am Netzteil verbogen, sondern nur das kleine Aufsteckteil (da links im Bild), das ich immer nutze, wenn ich den Rechner mit mir rumschleppe und kein ewig langes Kabel brauche. Und dessen Design hat sich netterweise nicht zu den neueren Netzteilen geändert. Nupsi von einem alten Netzteil abgezogen, auf mein neues Netzteil gedengelt, eingestöpselt, läuft.

Noch ein bisschen Zeit in meiner derzeitigen Privatlektüre verbracht, die ich hier schon mal erwähnt hatte. In „Vom König zum Führer“ geht es um das Verhältnis des deutschen Adels zu den politischen Veränderungen während der Weimarer Republik und das liest sich alles sehr unerfreulich (aber schön geschrieben). Ich lese nicht mit Bleistift, weil ich sonst alles unterstreichen müsste, aber ab und zu male ich dann doch im Buch rum. In den letzten Tagen erfuhr ich viel über die Flucht des Kaisers 1918 nach Holland, über die ich auch noch nie so recht nachgedacht hatte.

„Gerade im Adel war die Kaiserflucht schließlich eine Voraussetzung für die Entstehung jenes symbolischen und politischen Vakuums, in dem verschiedene Führersehnsüchte und die Anerkennung von Hitlers Rollenwechsel ‚vom Trommler zum Führer‘ gedeihen konnten. […]

Zur Vorstellung, dem Kaiser hätte noch im November 1918 eine gangbare Alternative zum Rückzug offengestanden, gehörten zwei unterschiedliche Erklärungen der Zerstörung dieser vermeintlichen Alternative. Eine (schrumpfende) Gruppe von älteren, zumeist adligen Offizieren, Beamten und Flügeladjutanten und ihre publizistischen Hilfstruppen arbeiteten, meist in jahrelanger Kleinarbeit und z. T. gegen besseres Wissen, an der Legende des Führer-Kaisers, der von schwächlichen und unfähigen Beratern umgeben und verraten wurde, die schließlich seine ‚Reise nach Holland‘ durchsetzten. […] Auf der anderen Seite stand eine (wachsende) Gruppe v. a. jüngerer Adliger, die das Verhalten des letzten Kaisers als ‚Flucht‘ oder gar ‚Desertation‘ bezeichneten, in der die bereits in den Vorkriegsjahren offen kritisierte ‚Führungsschwäche‘ des Monarchen ihren dramatischen Endpunkt gefunden hatte. Dass sich die Vorstellung einer nicht genutzte Alternative als Illusion widerlegen lässt, schmälert ihre zeitgenössische Bedeutung nicht; innerhalb des Adels tauchte sie frühzeitig auf und blieb weit über das Ende des zweiten Weltkrieges hinaus Gegenstand erregter Debatten und Schuldzuweisungen. […]

Nur zwischen den Zeilen lässt sich aus dem Protokoll schließlich eine dritte Option hinauslesen, die in Berlin und Spa jedoch ins Gespräch gebracht und v. a. innerhalb des Adels zu einer noch nach Jahrzehnten nicht beendeten Debatte wurde: das Königsopfer, der inszenierte Tod des Kaisers auf dem Schlachtfeld.

Inhalt, Intensität und Langlebigkeit der Debatte um den Heldentod des Kaisers auf dem Schlachtfeld lassen sich unschwer nachzeichnen, unklar bleibt, ob sie Wilhelm II. offen als Forderung zugetragen wurde, was Groener als einer der Hauptbeschuldigten des Protokolls nachdrücklich behauptet hat. Nach seiner eigenen Darstellung hatte Groener in Spa die Auffassung vertreten, ‚dass der Kaiser unverzüglich sich auf das Gefechtsfeld begeben müsse, um dort den Tod zu suchen. Ein heroisches Ende des Kaisers würde die gesamte politische Lage mit einem Schlag verändern und selbst wenn er nur verwundet würde, so sei bei der Psyche des Deutschen Volkes ein Umschwung in der öffentlichen Meinung zugunsten des Kaisers sehr wahrscheinlich.‘ […]

Tatsächlich scheinen Groener und der Chef der Operationsabteilung des Generalstabes, Joachim v. Stülpnagel, handfeste Vorbereitung für eine Operation Königstod getroffen zu haben: Ein geeigneter Ort für eine vom Kaiser geführte finale Attacke wurde in den Schützengräben sondiert, Freiwillige für den ‚kleinen Spezialangriff‘ gesucht und gefunden. Parallel dazu entwickelten Offiziere der Seekriegsleitung den Plan, den Kaiser bei einem Angriff an Bord des Flaggschiffes der deutschen Flotte zu versenken – eine Variante, die den zu Lande unsicher erscheinenden Soldatentod mit größerer Sicherheit gewährleistet hätte.“

Stephan Malinowski: Vom König zum Führer: Deutscher Adel und Nationalsozialismus, Frankfurt am Main 2014, S. 229/230 sowie 235/236.

Eigentlich wollte ich nur die folgenden Sätze zitieren, weil ich sie so passend für die 1920er Jahre fand, allerdings dachte ich dann, dass die keiner ohne vorherige Einordnung kapiert. Aber jetzt seid ihr ja jetzt vorbereitet. Aus den Erinnerungen von Ottfried Graf v. Finckenstein:

„Der Monarchie trauerten nur noch die Walzertänzer nach, die mit einem Jazz nichts anzufangen wussten. Für uns hatte sie sich mit der Flucht des Kaisers selbst gerichtet.“

Tagebuch Montag/Dienstag, 27./28. Januar 2020 – Zielgerade

Montag war ich, Achtung, totale Überraschung, in einem Archiv, es ist so irre! *seufz*

Dabei hatte ich wieder Akten aus dem ehemaligen Haus der Deutschen Kunst in der Hand, die nach 1945 bis Ende 1949 nun den Absender „Abwicklungsstelle Haus der Deutschen Kunst (Neuer Glaspalast)“ trugen. Ich blätterte diverse Korrespondenzen durch, wobei ich nicht auf Protzen stieß, aber dafür auf Verwaltungsvorgänge, die ich persönlich spannend fand.

Da war zum Beispiel ein Schreiben an Gottfried Rasp vom 16. August 1949:

„Wir empfingen Ihr Schreiben vom 31. Juli 1949 und teilen Ihnen dazu mit, daß sämtliche im Haus der Kunst befindlichen Kunstwerke bei Kriegsschluß von der hiesigen Militärregierung beschlagnahmt und nach dem Central Collecting Point Munich verbracht wurden, wo sie auch jetzt noch lagern. Die Freigabe dieser Arbeiten wird seitens der Militärregierung von einer Vorlage einer beglaubigten Abschrift eines Spruchkammerbescheides abhängig gemacht, weshalb wir Sie mit unserem Schreiben vom 12. Juli 1949 um Einsendung dieser Unterlage baten, damit Sie wieder in den Besitz Ihres Bildes gelangen können.“

Rasp findet sich nicht in der Datenbank zur GDK; vermutlich hatte er Bilder eingereicht, die aber nicht ausgestellt wurden und sie aus welchen Gründen auch immer bis Mai 1945 nicht abgeholt. Die GDK 1944 fand eigentlich vom 29. Juli bis zum 26. November 1944 statt, blieb aber weiterhin temporär geöffnet, wie alle GDK seit 1941. Der letzte Kauf dieser Ausstellung wurde Ende April 1945 getätigt. Wie im Schreiben steht, blieben danach alle Bilder erstmal im Museum und wurden erst nach Erhalt des Spruchkammerbogens aka Entnazifizierungsbescheids ausgehändigt. Bis auf die mit eindeutig ideologischem Inhalt, diese und tausende weitere waren zu der Zeit längst in Washington (deutlich kürzere Erklärung zur German War Art Collection hier).

Wer sich nicht selbst ans Haus der (Deutschen) Kunst wandte, bekam auch Post, wie Edeltraut Quade, die zwei Zeichnungen auf der GDK 1944 hatte, vom 12. Juli 1949:

„In unserem Gewahrsam befinden sich noch zwei von Ihnen zur „Großen Deutschen Kunstausstellung 1944“ eingesandte Arbeiten. Wir bitten Sie um baldigstmögliche Einsendung einer beglaubigten Abschrift Ihres Spruchkammerbescheides, damit wir die Freigabe dieser Bilder beantragen können. Da unsere Abwicklungsstelle demnächst aufgelöst werden soll, wären wir für schnelle Erledigung dankbar.“

Aber selbst wenn alles in Ordnung war, gab es im Jahr 1949 manchmal Umständlichkeiten, wie das Schreiben an Otto Polus zeigt, der drei Zeichnungen ausgestellt hatte. Ich habe mir blöderweise das genaue Datum nicht notiert, kaum schreibt man was nur fürs Blog auf, wird man nachlässig, schlimm:

„Wir empfingen Ihr Schreiben vom 28. Januar 1949 und teilen Ihnen mit, daß auf Grund der von Ihnen eingesandten Bescheinigungen die Freigabe Ihrer hier befindlichen Arbeiten in Kürze erfolgen dürfte. Inzwischen bitten wir Sie um eine Bekanntgabe einer Anschrift in der Westzone, an die wir Ihre Bilder zum Versand bringen lassen können, da eine Zusendung nach Berlin z. Zt. leider nicht möglich ist.“

In einigen Briefen wird nach einer Kontoverbindung gefragt, da Bilder 1944 verkauft wurden, das Geld aber 1949 immer noch nirgends hingeschickt werden konnte. Andere Künstler schrieben, dass sie keinen Wert auf die Rücksendung ihrer Werke legten, die könnten vernichtet werden, wie zum Beispiel Paul Wynand, der sich am 25. Januar 1949 dementsprechend äußerte.

Wieder viel gelernt. Nicht für die Diss, aber fürs Leben. Und dafür machen wir diesen Kram ja schließlich.

(Alle Zitate BayHStA, Haus der Deutschen Kunst 33.)

Gestern saß ich dann im Zentralinstitut für Kunstgeschichte, wo mich der Herr Doktorvater empfing. Er war mit meinem bisherigen Stand sehr zufrieden, nur die generelle Forschungsfrage war ihm inzwischen etwas zu klein geworden. So ging es mir auch, aber ich kam nicht mehr auf den großen Bogen des Werks, weil ich mich in den letzten Monaten dermaßen in Detailfragen verloren hatte, dass ich zwar noch wusste, wo ich hinwollte, aber nicht mehr, warum eigentlich. Das erarbeiteten wir gestern gemeinsam und ich ging sehr beschwingt nach Hause. Auf dem Aufgabenzettel: die gewünschte Zweitprüferin anmailen, ob sie Zeitprüferin sein möchte und dann zur Abgabe der Diss anmelden. Vielleicht vorher noch fertigschreiben.

Im Gespräch kamen wir auf Forschungsliteratur zur NS-Kunst. Die hatte ich bewusst aus meinem Forschungsstand rausgelassen und nur die äußerst spärliche zur Autobahnmalerei aufgeführt, aber Vati hätte doch gerne noch eine etwas weiter gefasste Einordnung – „nicht lang, drei, vier Seiten. Das geht ja schnell, gibt ja nicht viel.“ ICH WEISS! Wir tauschten die Titel aus, die wir kannten, bis er ein Buch von Joseph Wulf nannte, das mir erstmal nichts sagte. Als er es aus dem Regal zog, wusste ich aber, dass ich das auch schon mal in der Hand gehabt und mich über sein frühes Entstehungsdatum gewundert hatte: Die bildenden Künste im Dritten Reich war bereits 1963 erschienen, und aus der Zeit kennt man eigentlich immer nur Hildegard Brenners Standardwerk Die Kunstpolitik des Nationalsozialismus. Auch auf Wulf war ich eher durch Zufall, Umwege und eine mitteilungsfreudige Suchmaschine im ZI gestoßen. Nach Brenner nennt man dann Berthold Hinz, dessen Die Malerei des deutschen Faschismus: Kunst und Konterrevolution (1974) die nächste größere Auseinandersetzung mit dieser Kunst war (ich stehe etwas auf Kriegsfuß mit dem Ding). Aber wie gesagt, Wulf ist mir eher selten bis vermutlich gar nicht untergekommen, bis ich ihn selbst zitieren konnte.

Die Lebensgeschichte von Wulf lest ihr bitte in der Wikipedia nach. Das war am Tag nach dem 27. Januar genau die falsche, über die ich was erfahren wollte. Mein Doktorvater gab sie in Kürze wider, und ich war erneut kurz davor, alles hinschmeißen zu wollen. Der Mann überlebte Auschwitz und verzweifelte an der Bundesrepublik. Manchmal möchte ich wirklich sehr viel anzünden.

Preiselbeertorte mit Eierlikör

Dieses Rezept steht vermutlich in Abwandlungen auf jeder Eierlikörflasche, aber da ich lieber mein Blog lese als Flaschenrückseiten, tippe ich es mal ab. Wobei ich es von einem Handyfoto einer Rezeptkarte meines Mütterchens abtippe, wo das Ding „Jägertorte“ heißt, keine Ahnung warum. Diese Köstlichkeit dürfte schon mehrere Jahrzehnte auf dem Buckel haben und war vermutlich einer der ersten Kontakte meinerseits mit der herrlichen Droge Alkohol. Das haben wir jetzt davon.

Für eine 26er-Springform.

3 Eiweiß zu Eischnee schlagen.

125 g weiche Butter mit
100 g Zucker verrühren, nach und nach
3 Eigelb unterrühren.

Anschließend
125 g gemahlene Haselnüsse,
2 EL dunkles Kakaopulver,
1 TL Espresso- oder Kaffeepulver sowie
2 TL Backpulver unterrühren. Zum Schluss den Eischnee unterheben.

Die Springform fetten und mit Backpapier auslegen, den Teig einfüllen und glattstreichen. Muss nicht perfekt werden, die noch obere Seite kommt nachher nach unten. Im auf 190 Grad Umluft (!) vorgeheizten Ofen für ungefähr 25 Minuten backen oder bis die Stäbchenprobe einen trockenen Teig anzeigt.

Den Kuchen möglichst schnell auf ein Kuchengitter stürzen, das Backpapier abziehen und vollständig auskühlen lassen. (Danke, offenes Küchenfenster im Winter, zehn Minuten haben gereicht.)

Ca. 400 g Preiselbeeren aus dem Glas auf den Boden streichen. Mein Glas hatte 400 Gramm Inhalt, wahrscheinlich tun es auch 300, macht, was ich wollt. Nochmal für ungefähr ein Stündchen im Kühlschrank parken, damit die Preiselbeerschicht etwas fester werden kann.

Ca. 200 g Sahne sehr steif schlagen. Wer mag, nutzt noch Sahnesteif. Auch hier gilt: Wenn in eurem Sahnebecher 250 g drin sind, kann man die auch locker auf den Kuchen geben. Die Sahne möglichst glatt verstreichen.

Ich kippe den Eierlikör nach Augenmaß einfach auf die Sahneschicht, verstreiche ihn vorsichtig und verziere mit ein paar Sahnetupfen. Man kann das Stöffchen auch gleich unter die feste Sahne heben. Oder ihr malt Muster damit. Wer dann noch nicht genug hat, kann das ganze noch mit Schokostreuseln bewerfen, aber das lasse ich weg.