Gemeinsam aufgewacht. Bzw. vom Terror-iPhone-Klingeln von F. geweckt worden, der gerne vergisst, seine rabiate Lautstärke an meine zarten Ohren anzupassen. Eben lungerte ich noch mit George Clooney an einer Bar rum und zack! brach gefühlt Krieg aus. Ich werde fieserweise von seinem Weckton auch nicht wirklich wach, ich erschrecke mich nur, verfluche ihn und döse dann wieder weg, denn: Das ist ja nicht mein Klingelton. Der kommt erst in zehn Minuten.
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Ein paar Stündchen im Archiv gesessen. Dieses Mal dauerte das Ausheben ungeplant lange, aber es ist ja nicht so, dass ich mich mit meiner Diss nicht auch ohne weitere Quellen beschäftigen kann, nein, nein. Es sind ja nur noch ungefähr acht Millionen Baustellen offen, an denen ich rumbuddeln kann. *wimmer*
Als dann eine Runde Quellen vor mir lag, las ich unter anderem latent nölig einen Berg Zeitungsartikel bzw. Besprechungen von Ausstellungen. Ab Ende 1936 gab es keine Rezensionen oder Kunstkritiken mehr, die ihren Namen verdienten. Sie wurden ersetzt durch die „Kunstberichterstattung“. Und dementsprechend liest sich dann auch alles: banales beschreibendes Aneinanderreihen von Dingen, die so vermutlich nicht mal passiert sind. Der Stil ist einschläfernd, aber man muss trotzdem immer wach bleiben, um den ganzen Lügen und Auslassungen nicht auf den Leim zu gehen bzw. um bei manchen Zeitungen noch zwischen den Zeilen lesen zu können. Bei den ganzen rechtsnationalen nicht, da gibt’s keine zweite Ebene, die kann ich augenrollend querlesen. Daher dauerte meine Arbeit deutlich länger als gedacht, und ich schaffte nicht alle Akten, die ich mir hatte ausheben lassen.
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Ich fand zu meinem Thema nur Weniges, aber: Ich las zum ersten Mal direkt etwas über den Umgang der Nationalsozialisten mit unerwünschter Kunst. Generell ist mir das Konzept der sogenannten, immer schön in Anführungszeichen, auch beim Sprechen, damit sich dieses Dreckswort nicht einschleicht, „entarteten“ Kunst klar, aber gestern stolperte ich über ein paar Artikel, die mir die Arbeit des Systems – und die Berichterstattung darüber – verdeutlichten.
Protzen war im Mai/Juni 1935 in einer Ausstellung von Münchner Künstlern in Berlin vertreten; wenige Wochen zuvor hatten Berliner Künstler in München ausgestellt. Die beiden dortigen Ausstellungsleitungen hatten zusammen gearbeitet, die Künstler wurden allerdings getrennt voneinander ausgewählt. Ich hatte schon gelesen, dass vor der Eröffnung der Münchner Ausstellung von Gauleiter Adolf Wagner 26 Bilder abgehängt worden waren, wusste aber nicht genau, um welche es sich handelte. Er konnte auch in Berlin durchsetzen, ein paar der Münchner Werke zu entfernen. Es ist für meine Arbeit auch, so fies das klingt, nicht ganz so wichtig, weil Protzen davon nicht betroffen war, aber gestern las ich dann doch alles durch, was zufällig vor mir lag. Ich zitiere mich mal wieder selbst, hallo, Plagiatsprüfungsprogamm der Uni:
„Die Münchner Zeitung schrieb fast hämisch vor der Eröffnung der Ausstellung in München: „Übrigens darf auch festgestellt werden, daß eine ganze Reihe der vordem recht ungebärdigten wilden Männer der linken Seite auffallend zahm geworden sind; sie bewiesen damit – vielleicht nicht ganz freiwillig –, daß es auch so geht. Ohne Nolde, Schmidt-Rottluff, Hofer, Beckmann, Pechstein, Werner Scholz, Heckel wäre eine Berliner Ausstellung allerdings auch mehr als lückenhaft.“ [1] Die Münchener Neuesten Nachrichten meldeten: „Von etwa 108 Künstlern sind zirka 389 Werke ausgestellt. Vertreten sind auch Künstler, die in der letzten Zeit vielfach bekämpft worden sind. Die Werke, welche wir von ihnen zeigen, können wir mit unserem künstlerischen Gewissen verantworten.“ [2]“
Zur Erinnerung: Bis zu dieser Zeit 1935 hatten sich die kulturpolitischen Kräfte im NS noch nicht entschieden, ob zum Beispiel der Expressionismus „deutsche Kunst“ und damit genehm sei. Erst Ende des Jahres galt er als verfemt, und damit war auch Nationalsozialist Emil Nolde nicht mehr erwünscht.
Ich las auch einen Artikel, in dem genauer erwähnt wurde, welche Bilder entfernt wurden, und auf einmal fühlte sich alles sehr real an. Ich ahne, dass das total beknackt klingt, denn mit diesem Thema befasse ich mich schließlich seit Jahren, aber bisher hatte ich, gerade zum Umgang mit unerwünschter Kunst, nur Sekundärliteratur gelesen, nur Ausstellungskataloge, die 80 Jahre später geschrieben wurden. Jetzt war ich quasi dabei und fand es äußerst unangenehm. Ich haderte mal wieder mit meiner Entscheidung, mich mit einem systemkonformen Maler zu befassen, aber ich weiß natürlich auch, dass diese Entscheidung richtig war, denn irgendwer muss ja mal durch diesen Sumpf waten. (Und ja, es macht Spaß, auch wenn ich dauernd hadere.)
„Kurz vor der Ausstellungseröffnung wurden allerdings auf Anweisung von Gauleiter Wagner 26 Werke entfernt, darunter alle Gemälde Beckmanns sowie einige von Otto-Andreas Schreiber, Ernst Nolde, Max Pechstein und Lyonel Feiniger.“ [3] Wagner rechtfertigte diese Abhängung damit, dass „in jedem Handwerk […] ein Stück Künstlertum stecken [muss]. Man müsse aber darauf achten, daß in der Kunst überwunden werde, was hinter uns liegt.“ [4] Die Zeitung Germania meinte befriedigt: „Das Geschmacksniveau erhält damit nicht unwesentliche Retouchen; etliche Namen sind in der Stille wieder nach Berlin gereist, ohne in eine schärfere und vielleicht nicht absehbare Erörterung hineingezogen worden zu sein.“ [5] Die Rheinisch-Westfälische Zeitung aus Essen ließ zwischen den Zeilen erahnen, wie die Ausstellungseröffnung verlief: „Lebhafter Protest nach der Eröffnungsfeier seitens der Unzufriedenen und Geschädigten wurde nur durch das kluge Verhalten Oswald Poetzelbergers, des Leiters der Landesstelle Bayern der Reichskammer der Bildenden Künste, im Keime unterbunden. Walter von Ruckteschell, Vorsitzender der Ausstellungsleitung München, trat mit bewußtem Stolz und gütigem Verstehen für die bildenden Künstler in allgemeinen Grundsätzen ein, der Künstler muß voraussetzungslos arbeiten ,ohne zu fragen, wie er gefalle.“ [6] Die Basler Nachrichten wurden deutlicher; laut ihr hielt von Ruckteschell „eine tapfere Rede, […] in der er sich in gemäßigtem Tone, aber mit großer Bestimmung gegen die kurz vor der Eröffnung erfolgte Herausnahme von 26 Kunstwerken wandte.“ [7]
Der Völkische Beobachter hatte weit weniger Verständnis und forderte, „diejenigen, die vor allem dafür verantwortlich sind, daß sich die vom Führer in seiner Rede bezeichneten Kreaturen der Verfallszeit doch wieder ans Tageslicht trauten, zur Rechenschaft zu ziehen bzw. vom Einfluß in Dingen der Kunstverwaltung auszuschließen. Alle diejenigen ‚Künstler‘, die in den Zeiten des Verfalls durch Juden und Judengenossen zu Ruhm und Ehren gelangten, haben das Recht verwirkt, ihre Machwerke der Öffentlichkeit vorzuführen.“ [8]“
Poetzelberger und von Ruckteschell wurden wenige Wochen später von ihren Posten entbunden, konnten aber trotzdem weiter arbeiten.
[1] BayHStA, Haus der Deutschen Kunst 81, GJW: „Berliner Kunst in München (Vorbericht)“, in: Münchner Zeitung, 15.3.1935.
[2] BayHStA, Haus der Deutschen Kunst 81, Heilmeyer, Alexander: „Berliner Kunst in München. Ausstellung in der Neuen Pinakothek“, in: Münchener Neueste Nachrichten, 15.3.1935.
[3] BayHStA, Haus der Deutschen Kunst 81, Schnell, Hugo: „Berliner Kunst in der Neuen Pinakothek“, in: Neues Münchener Tagblatt, 21.3.1935.
[4] BayHStA, Haus der Deutschen Kunst 81, unbezeichneter Artikel: „Bilderbeschlagnahme in München“, in: 8-Uhr-Blatt, 19.3.1935.
[5] BayHStA, Haus der Deutschen Kunst 81, H.H.: „Berliner Kunst auswärts. In der Neuen Pinakothek“, in: Germania, 20.3.1935.
[6] BayHStA, Haus der Deutschen Kunst 81, Scharrer, Eduard: „Berliner Kunst in München“, in: Rheinisch-Westfälische Zeitung Essen, 18.3.1935.
[7| Unbezeichneter und undatierter Artikel der Basler Nachrichten, 1934, aus dem Nachlass Walter von Ruckteschells, zitiert bei Unger-Richter, Birgitta: „Walter von Ruckteschell (1882–1941)“, in: Kat. Ausst. Walter von Ruckteschell, Zweckverband Dachauer Galerien und Museen, 18.11.1993–15.1.1994, Dachau 1993, S. 9–74, hier S. 62 sowie 73.
[8] BayHStA, Haus der Deutschen Kunst 81, Buch, Walter: „Gegen Entartung, für nationalsozialistische Kunst. Soll und Haben“, in: Völkischer Beobachter, 20.3.1935.
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Feierabend gegen 15 Uhr, weil der Flat White vom Frühstück jetzt alle Energie an mich abgegeben hatte. Frisches Brot gekauft und mit Salami bzw. Lauchfrischkäse (from the Allgäu!) genussvoll verspeist. (Essen gegen Nazischeiß.)
Davor an dem Platz vorbeigegangen, an dem ich gestern mein kleines Bäumchen abgelegt hatte. Er war ungefähr der fünfte Baum oder so. Und da stand noch kein Schild. Aber gut, dass da jetzt eins steht, wir wüssten ja sonst nicht, was das ist OMG!
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Abends noch ein bisschen an den Schreibtisch gegangen, Baustellenbuddeln. Schweren Herzens mein Hauptkapitel – Arbeitstitel „1934 bis 1941 – Die Zeit der Gemälde zur Reichsautobahn“ – in einzelne Jahre gehackt, denn dieses eine Kapitel ist jetzt 81 Seiten lang, und ich werde langsam wahnsinnig, ständig 50 Seiten scrollen zu müssen, um irgendwo noch eine Ergänzung unterzubringen, auf die ich im Archiv stoße.
Außerdem zum letzten Promotionssemester zurückgemeldet.
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Ich lass das mal so stehen. *weiterhin wimmernd ab*