Tagebuch Freitag, 20. März 2020 – Mehllieferung

Keinen Handschlag an der Diss getan, nichts gelesen, nichts Kulturelles gehört oder gesehen. Levits Konzert verpasst, weil ich erneut bei „Project Runway“ versackt bin. Das lenkt gerade ganz hervorragend ab. Vor allem, weil ich gerade gnadenlos die ganzen alten Staffeln gucke, bei denen selbst ich Fashion-Noob sagen kann: „Das sieht aber schon arg altbacken aus.“

Ein bisschen war ich vor der Tür, bevor Herr Söder eine Ausgangsbeschränkung für die nächsten zwei Wochen für ganz Bayern verkündete. Für mich hat sich nach der Ankündigung nichts geändert: Ich kann weiterhin einkaufen und woanders muss ich grad eh nicht hin, weil nichts von dem geöffnet ist, was ich brauche. Obwohl: Die Schließung der Baumärkte und Gartencenter hat mich jetzt doch etwas getroffen, weil ich mich darauf gefreut habe, demnächst wieder Blümchen auf dem Balkon anzupflanzen. Aber vermutlich ist es dafür eh noch zwei Wochen zu früh, und dann passt das wieder. Habe mir nach einem Telefonat vorgestern aber mal aus dem Supermarkt Samen für Salat und Tomaten mitgebracht.

Ich ging zum nächstgelegenen Briefkasten, um meinen Wahlzettel für die Stichwahl zum Münchner Oberbürgermeister einzuwerfen (ich gendere bewusst nicht, ich gehe von einem Bürgermeister aus). Wo ich schon mal vor der Tür war, dachte ich, guckste doch mal beim Lidl rein, da soll es ja angeblich noch Hefe geben, wie mir auf Twitter verraten worden war. Die Leute dort hielten fast alle brav Abstand bis auf ein Damendoppel, das sehr dicht beieinander und sehr langsam vor mir herschlich, bis ich einfach stehenblieb und es ziehen ließ, weil es mir zu doof war, dauernd meine Geschwindigkeit anzupassen. Hefe war bergeweise vorhanden, Mehl überhaupt nicht und leider auch keine Eier, die ich vorgestern beim Einkaufen vergessen hatte. Egal, ich hatte Hefe, was super ist, weil mein Sauerteigansatz ja anscheinend was wird und mir außerdem F. per DM berichtet hatte, dass er aus seinem Edeka drei Packungen 550er Mehl für mich mitgenommen hatte, yay!

Beim Lidl stand übrigens ein Wachmensch an den beiden geöffneten Kassen. Ich fand es etwas dusselig, von den drei Kassen, die theoretisch da wären, genau die zwei zu öffnen, die nebeneinander sind anstatt die beiden äußeren, aber okay. Alle hielten Abstand, und zwischen den Einkaufenden und der Kassiererin war eine hohe Plastikscheibe. Ein Zettel bat um Kartenzahlung, was ich brav erledigte, obwohl ich gefühlt 40 Euro in Münzen mit mir rumschleppte.

Wieder zuhause piepste mein Handy und zeigte mir ein Päckchen in der Packstation an. Vielen Dank an Gudrun, die mich mit Anna Seghers Transit überraschte. Das hat mich natürlich sehr gefreut, es hat mich aber auch daran erinnert, dass ich den Wunschzettel ändern musste. Der war so eingestellt, dass alles darauf in die Packstation kommt, weil ich ja tagsüber normalerweise zu Postaustragzeiten eher nicht zuhause bin bzw. einfach nicht gerne Päckchen fürs ganze Haus entgegennehme, wenn ich denn mal zuhause bin. Die Packstation ist (oder eher: war) für mich auch eine Gelegenheit, aus dem Haus raus zu müssen; in Zeiten, wo ich nur am Schreibtisch hocke, eine willkommene Abwechslung und eine Möglichkeit für einen Spaziergang. Das ändere ich jetzt, wobei ich den Wunschzettel einfach mal ganz auf privat statt auf öffentlich stelle (jetzt gerade kann ich ernsthaft Geld etwas besser brauchen, zugegebenermaßen). Aber nochmal: Vielen Dank, auch für die Widmung.

Auf dem Weg zur Packstation ist bei mir ein Netto, auch dort ging ich noch schnell hinein, um Eier zu kaufen. Ich habe nicht darauf geachtet, was hier gerade nicht oder besonders häufig vorrätig war. Ich gehe davon aus, dass sich das in den nächsten Tagen und Wochen alles wieder einspielen wird und dass wir dann alle erneut besinnungslos Mehl und Klopapier kaufen können. (Und Hefe!)

Pizza zum Abendessen. Fenchelsalami, Zwiebeln, Gouda, weil ich natürlich nicht an Mozzarella gedacht hatte. Meine Methode, sehr spontan und nach momentaner Lust zu kochen, beißt sich noch etwas mit der jetzt angesagten Vorratshaltung.

Gegen 20 Uhr kam F. vorbei. Ich habe in meinem Leben schon ein paar seltsame Dinge gemacht, aber in meiner eigenen Wohnung von meinem eigenen Lebensgefährten zwei Meter Abstand zu halten, ist schon ziemlich weit oben auf der Liste. Wir hatten uns seit Montag vor einer Woche nicht mehr persönlich gesehen und seitdem ein paar Möglichkeiten für Infektionen gehabt (einkaufen, Öffis fahren), und wenn ich gewusst hätte, was kommt, hätte ich ihn viel länger im Arm behalten. Ich kann mich schon gar nicht mehr daran erinnern, wie wir uns verabschiedet haben. Ich glaube, er ist wie immer eine Station vor mir aus der U-Bahn gestiegen, und weil wir beide nicht so große Fans von üppigen Zuneigungsbezeugungen in der Öffentlichkeit sind, haben wir uns vermutlich bloß keusch zugewunken. Das werde ich in Zukunft ändern. Ich werde demnächst wild rumknutschen, sobald ich es wieder darf. So.

Gestern gab ich aber per Handy die Anweisung durch: „Bitte selbst reinlassen und gleich Hände waschen“, wo ich ihm normalerweise die Tür öffne und ihm erstmal um den Hals falle. Das tat er auch brav, während ich meterweise von ihm weg im Flur rumlungerte und aus der Entfernung darum bat, dass er sein mitgebrachtes Mehl auf dem Herd abstellt. Dann ging ich in die Bibliothek, er hielt Abstand und kam hinterher, er nahm auf dem Sessel Platz, ich zwei Meter weiter auf der Couch. Alles sehr viktorianisch.

Wir sprachen auch über die Ausgangsbeschränkungen und die Grundrechte, die wir gerade so locker abgeben. Dabei waren wir uns einig, dass Grundrechte auch Grundpflichten beinhalten; eine Gemeinschaft, eine Gesellschaft funktioniert nur, wenn sich alle an gewisse Spielregeln halten, gerade bei Dingen, bei denen es um Leben und Tod geht, und das geht es hier nun einmal. Ich frage mich eh, wie man noch zusammen im (geschlossenen) Biergarten sitzen kann, aber gut. Wir sind alle irgendwo Idioten. Nur jetzt gerade ist Idiotie nicht nur nervig, sondern tödlich. Also bleibt gefälligst zuhause – oder geht nur alleine vor die Tür, was wir ja glücklicherweise noch dürfen. Ich gebe es weiterhin sehr ungern zu, aber ich glaube, Herr Söder bzw. die bayerische Regierung hat die richtigen Maßnahmen getroffen. Ich habe mir vorgenommen, bis nächsten Freitag nicht wieder vor die Tür zu gehen, denn ich kann jetzt jeden Tag Brot und Pfannkuchen machen. Und Franzbrötchen! Alles wird gut.

Tagebuch Donnerstag, 19. März 2020 – Okay bis zum Nachmittag

Aufgewacht, geduscht, Flat White gemacht, gebloggt, aufs Sofa gesetzt mit dem festen Vorsatz, die Diss nicht anzufassen, denn das bringt ja eh nichts.

Nach 20 Minuten an den Rechner gegangen und die Diss geöffnet. Reverse psychology works, people.

Korrigiert, Textblöcke verschoben und einen total sinnvollen Vorschlag für alle Akademiker*innen entwickelt:

Irgendwann eine gute Idee für das Kapitel gehabt, mit dem ich die letzten Tage gehadert habe, weil mir Bibliotheken und die Milliarden von Infos fehlen, die ich in ihnen finde. Die Idee ansatzweise umgesetzt, dann Hunger bekommen und erstmal Mittag gemacht. Der Nudelteig von vorgestern ist jetzt aufgebraucht.

Apropos Bibliotheken: Einige von ihnen erleichtern gerade die Zugangsmöglichkeiten zu ihren digitalen Angeboten. Ich bekam auf Twitter die Münchner Stabi (Erleichterung bei der Ausweisbeantragung) und die Kölner Stadtbibliothek mit, aber vielleicht schaut ihr mal, wie es bei euren Haus- und Hofbibs aussieht, ich ahne, dass die auch gerade ihre Angebote niedrigschwelliger machen. Meine obskuren Bücher zu meinen obskuren Malern gibt es zwar dennoch nicht digital, aber ich finde es gut, dass Dinge sich anscheinend irre schnell ändern können, wenn es nur dringend genug ist. Wäre nett, wenn es für die weitere Digitalisierung nicht das nächste Virus bräuchte.

Noch in meiner späten Mittagspause erreichte mich die Nachricht von F., dass die Passionsspiele in Oberammergau, die nur alle zehn Jahre stattfinden, auf 2022 verschoben wurden. Wir hatten Karten für Ende Mai gehabt und uns schon sehr gefreut (ich auch über einen bisher in diesem Blog einzigartigen Eintrag), aber nun gut. F. meinte vor ein paar Tagen noch so: „Die Spiele gibt’s doch nur, weil Gott das Dorf von der Pest verschont hat – da wird so ein blödes Virus ja wohl auch einen Bogen drumrum machen.“ Tja. Virus 1, Gott 0.

Ich rief pseudo-gut-gelaunt das Mütterlein an, das wir hatten mitnehmen wollen und meinte, dass wir dann eben erst 2022 gehen würden. Woraufhin sie den Spruch brachte, den alle älteren und alten Leute vermutlich irgendwann bringen: „Ach, wer weiß, ob ich dann noch lebe.“

Ich habe wie üblich die zuversichtlichen „Ihr seid doch unverwüstlich“-Sätze von mir gegeben und mit ihr geklönt. Dabei merkte ich, wie gut die Rede von Angela Merkel am Mittwochabend gewesen war. Seit Tagen versuchen meine Schwester und ich, das Mütterlein davon abzuhalten, einkaufen zu gehen. Das hat bisher auch geklappt, aber so richtig ernst genommen hat sie das Ganze nicht. Am Telefon meinte sie nun aber: „Frau Merkel hat ja auch gesagt, dass es jetzt ernst ist.“ Der hat sie nämlich geglaubt. #DankeMerkel

Das vertwitterte ich auch, woraufhin einige Reaktionen kamen; die hier fand ich besonders schön: „Bei meiner Mutter war es die Aussage der in London lebenden Nichte, dass die Queen auch alle Termine abgesagt hat.“ (Habe den Tweet komplett gecopypastet, dabei wurde aus dem Emoji am Tweetende dieser Text: „Gesicht mit Freudentränen“. Cool, wieder was gelernt.)

Zurück zu meiner Mutter: Die Pflegekräfte für meinen Vater kommen natürlich weiterhin ins Haus, die Physiotherapie aber nur noch auf Wunsch; die hat Mama erstmal abbestellt. Sie hält auch brav zu den Pflegekräften Abstand, und auch meine Schwester klingelt, geht dann ein paar Meter zurück, bis Mama die Tür öffnet und die Einkäufe von der Türschwelle nimmt. Typisch Mütterchen: „Ja, aber [Schwester] muss doch den ganzen Tag arbeiten, da muss sie doch nicht noch für mich einkaufen.“ Und vergisst natürlich völlig, dass sie seit Monaten rund um die Uhr für unseren Vater da ist. Eigentlich sollte ich in ein paar Wochen mal wieder für eine Zeitlang in den Norden kommen, aber das haben wir erstmal vorsichtig auf Eis gelegt und gucken, wie dann die Gegebenheiten so sind und ob ich mich in einen Zug setzen sollte. Meine ewige großkotzige Ansage, dass man in einer Großstadt kein Auto braucht, beißt mich gerade sehr in den Hintern.

Als wir das Gespräch beendet hatten, kam der Satz „Ach, wer weiß, ob ich dann noch lebe“ leider wieder hoch. Denn zum ersten Mal fühlt es sich so an, als ob an ihm etwas Wahres dran sein könnte. Mir ist schon klar, dass wir nicht ewig leben, auch meine Eltern nicht, obwohl ich es mir gar nicht anders vorstellen kann, dass sie irgendwann nicht mehr da sind, denn sie sind schließlich schon immer da gewesen. Aber jetzt, wo sich um uns herum etwas Unsichtbares, Bedrohliches an uns ranschleicht, fühlt es sich auf einmal real an. Damit war der Tag dann eher gelaufen.

Immerhin konnte ich wieder Igor Levit zuhören und dann in die Kammerspiele gucken und abends theoretisch Saša Stanišić bei einer Lesung zuhören, wofür ich aber zu traurig war. Ich kriege gerade mehr Kultur mit als zu der Zeit, als ich noch vor die Tür hätte gehen können, um sie mir persönlich abzuholen. Ich vermisse allerdings schon die Museen, denn kein virtueller Rundgang kommt auch nur annähernd an das Erlebnis heran, vor einem Kunstwerk zu stehen.

Immerhin ein Erfolgserlebnis: Der vorgestern angesetzte Sauerteig ist ernsthaft von Nichts auf Riesig angewachsen und sogar aus seinem Glas geklettert und hat meine FCA-Fleecedecke eingesaut, in die ich ihn eingewickelt hatte. Aber da ich die Decke gerade eh nicht brauche (kein Fußball, kein Stadion), ist das egal. Ich habe einen Sauerteigansatz! OMG!

Tagebuch Mittwoch, 18. März 2020 – Einkaufen gehen

Seit Tagen habe ich mir keinen Wecker gestellt und werde immer früher wach als noch zu den Zeiten, als man noch in Bibliotheken gehen konnte (aka vor einer Woche). Das ist einerseits nett, weil ich mehr vom Tag habe, das ist andererseits doof, weil ich mehr vom Tag habe, der im Moment nicht mit dem gefüllt werden kann, mit dem ich ihn gerne füllen würde.

Was ich nach lächerlichen fünf Tagen Selbstisolierung zuhause schon merke: wie sehr es mich anfrisst, kaum noch etwas für mich selbst entscheiden zu können. Letzte Woche war es noch unklar, ob ich die zwei vereinbarten Archivtermine sowie mein Geburtstagsessen im Lieblingsrestaurant wahrnehmen werde können. Den Restaurantbesuch hatte F. auf meine Bitte hin abgesagt, die eine Archivarin hatte mir abgesagt, aber die Bibliotheken und das zweite Archiv wären theoretisch noch eine Möglichkeit gewesen. Es fühlt sich irritierenderweise anders an, wenn man selbst auf etwas verzichtet als wenn die Entscheidung für einen gefällt wird und man keine Chance hat, daran etwas zu ändern.

Als ich Montag (Montag! Fühlt sich schon ewig her an) noch lustige Tipps fürs Home Office gab, war mir noch nicht klar, wie wenig ich selbst davon umsetzen kann. Denn im Moment brauche ich gerade kein Home Office, ich brauche Orte wie Bibliotheken und Archive. Und ab und zu ein Bierchen bei der Kneipe um die Ecke, wie ich gestern bei den ersten guten Temperaturen für Biergärten wimmernd merkte.

Apropos wimmern: Das Österreichische Staatsarchiv streamte gestern einfach mal eine geöffnete Kiste. Das reichte schon, um mich traurig zu machen und mir meine derzeitige Hilflosigkeit dem akademischen Schreiben gegenüber zu verdeutlichen.

Ich habe es gar nicht erst mit der Diss versucht, sondern stattdessen die Wohnung geputzt. Das lag vermutlich auch an einem Tweet, den ich gerade nicht wiederfinde, aber er hatte ein gif von Monica Geller und dem Text: „Not just clean – Monica clean.“ Das ist meine Wohnung nicht, aber jetzt immerhin wieder staubfrei.

Wäsche gewaschen. Mich darüber gefreut, dass es warm genug dafür ist, die Wäsche wieder auf dem Balkon trocknen zu können.

Einen Sauerteig angesetzt. Da ich gerade kein Instrument im Haus habe, das ich lernen könnte, und ich es versäumt habe, mir eine billige Nähmaschine auf Ebay zu schießen – danach hatte ich letzte Woche geguckt –, um mich mal am Nähen zu versuchen, lerne ich jetzt halt, Sauerteigbrot zu backen.

Eine DM von F. bekommen, der meinte, dass die meisten sich anscheinend an die halbe Ausgangssperre halten: weniger Leute unterwegs, Menschen halten Abstand beim Einkaufen. Bis auf die „laut eigener Aussage 92-jährige Dame hinter mir an der Kasse, die ganz normal aufgeschlossen hat und als erstes mal zwei Flaschen Augustiner aufs Band gepackt hat. Good on her.“

Daraufhin traute ich mich auch nach draußen. Ich radelte zum Karstadt, in dessen Lebensmittelabteilung ich noch auf 550er Mehl hoffte, das mein oller Nachbar-Edeka auch zu normalen Zeiten eher selten im Regal hat. Die Türen des Kaufhauses waren weit geöffnet, so dass man keine Griffe berühren musste, aber alles war mit Absperrbändern gesichert, man konnte nur direkt vom Eingang die Rolltreppe hinunter in die Lebensmittelabteilung gehen. Darauf wies auch ein Schild hin, wobei ich nicht auf die Öffnungszeiten geachtet habe, die hier in Bayern ja jetzt auch auf Sonntag ausgedehnt wurden. Neben den Flatterbändern stand eine Dame als Wachpersonal, die ich erstmal freundlich grüßte, als ich mit großem Abstand an ihr vorbeiging.

Es waren wirklich deutlich weniger Menschen unterwegs, und ich war nicht die einzige, die mit Einweghandschuhen rumlief. Die habe ich übrigens nicht erst vor drei Tagen armen Pflegebedürftigen weggekauft; der 100er-Pack ist bereits zweimal mit mir umgezogen, mit den Dingern schneide ich normalerweise Chili oder Rote Bete. Und weil ich den Kram anscheinend irre selten verwende bzw. bei Chili inzwischen weniger memmig bin, habe ich noch ein paar in der Küche rumliegen. Wie ich gestern feststellte, ist es gar nicht so einfach, sich damit Einkaufszettel und Schüsselbund aus den Hosentaschen zu friemeln. Oder den Reißverschluss am Rucksack aufzumachen, daran bin ich gleich zweimal hängengeblieben.

Ein Kilo meines Lieblingsbrots gekauft, das ich zuhause, wie immer, in Einzelteilen eingefroren habe. Pastrami und Fenchelsalami besorgt, weil ich Lust darauf hatte, obwohl sie in meinem finanziellen Rahmen derzeit eigentlich nicht vorgesehen sind (sonst eher Lidl statt Feinkost). Und dann nach Mehl und Hefe geguckt, die komplett leergeräumt waren. Nicht mal das olle 405er war noch da. Mit Abstand an der Kasse angestellt, mit Karte bezahlt – auch die Kassiererin trug Handschuhe, wenn ich mich richtig erinnere – und zum Edeka geradelt. Auch dort weder Mehl noch Hefe, aber jetzt hatte ich ja einen Berg Brot. Viel frisches Obst und Gemüse gekauft, frische Milch, die ich literweise verbrauche, Spülmittel und Schokolade. Wundert mich, dass die keiner hamstert. Auch beim Edeka: sehr wenig los, Menschen halten Abstand, keinen Mundschutz gesehen.

Zuhause festgestellt, dass man unglaublich schwitzt unter den blöden Handschuhen. Noch mehr Respekt für Pflegekräfte bekommen.

Ich hatte gestern in der NYT gelesen, dass Handschuhe eher egal sind. Mag sein, aber für mich sind sie eine simple Erinnerung daran, mir nicht im Gesicht rumzuwuscheln.

Pastateig vom Dienstag in formschönere Tortellinis verwandelt und eingefroren, denn aus meinem eigentlichen Abendessenplan (Pasta) wurde Spargel, der beim Karstadt überraschenderweise schon aus Deutschland vorrätig war. Der tat gut. Wenn ich schon nicht vernünftig arbeiten kann, möchte ich mir wenigstens so etwas Gutes tun. Sonst tut mir meine Arbeit immer sehr gut, wie ich mal wieder merkte. Auch deswegen fühle ich mich gerade ein bisschen verzagt.

Den Rest des Tages Serien geguckt und Tee getrunken. Mache ich halt notgedrungen ein bisschen Urlaub. Mich weiterhin über die Osterglocken der Nachbarin vom Montag gefreut; ich habe sie auf drei Zimmer verteilt und freue mich immer, wenn ich sie sehe. Momentan trotz finanzieller Lage auch sehr glücklich über die größere Wohnung. In meiner alten 1-Zimmer-Butze würde ich vermutlich schlechter mit der Situation umgehen können.

Ich traue uns noch nicht so recht zu, aus der Pandemie so viel zu lernen, dass die Gesellschaft Pflegende besser bezahlt und wir allesamt netter zueinander sind (auch wenn ich die Sprach- und Themenlosigkeit der AfD-Deppen gerade sehr genieße), aber so ganz will ich die Hoffnung noch nicht aufgeben. Georg Diez auch nicht:

Corona und die Kommunikations-Revolution

Im Text geht es auch um Igor Levit und Christian Drosten, aber vor allem um das schöne Wort der Zugewandtheit.

„Igor Levit zeigt damit, wie diese Krise genutzt werden kann, alte Mechanismen etwa der Kommunikation oder der Information zu verändern und zum Teil radikal neu zu denken. Er wendet sich direkt an die Menschen, ohne mediale Vermittlung, und die Menschen danken es ihm. So entsteht eine Verbundenheit, eine Intimität fast, eine Offenheit und Authentizität, die nur auf scheinbar widersprüchliche Weise technologisch hergestellt ist. Tatsächlich zeigt Levits Beispiel, wie sehr die Digitalität, richtig angewendet, zu mehr Empathie und echtem Trost führen kann. […]

Die neuen Kommunikationsmöglichkeiten, das zeigt diese Krise, bieten eine viel umfassendere Möglichkeit, sich zu informieren, und zwar auf eine Art und Weise, die an Tiefe, Kontinuität und Genauigkeit in keinem Vergleich steht zu dem, was die traditionellen Medien in gefiltertem Maß tun; wobei der Filter genau das Problem ist, denn zwischen Absender und Adressat schaltet sich jemand, der oder die im Zweifelsfall deutlich weniger weiß als etwa Christian Drosten, Professor an der Berliner Charité und für viele die Stimme der Vernunft, ein Leuchtturm in diesen viralen Zeiten.

Auch Drosten kommuniziert sehr viel und sehr effektiv über Twitter, die Zahl seiner Follower ist explodiert, und für alle, die sich über den aktuellen Stand der Corona-Situation in Deutschland informieren wollen, macht es absolut keinen Sinn, darauf zu warten, was Journalist*innen vermelden, wenn sie sich direkt und dauernd bei Drosten den neusten Nachrichtenstand holen können. Bei ihm ist eine Verlässlichkeit und ein Vertrauen gegeben, das den traditionellen Medien, manchmal aus gutem Grund, inzwischen abgeht.“

Tagebuch Dienstag, 17. März 2020 – Tortellini-ähnliches

Kein guter Tag. Ich konnte mich nicht wirklich konzentrieren, hüpfte im Diss-Dokument von vorne nach hinten, ergänzte, korrigierte, aber so recht war ich nicht bei der Sache. Auch weil mir bei so ziemlich jedem Kapitel klar wurde, dass ich ohne Bibliotheken dort nicht weiterkomme bzw. sie nicht finalisieren kann.

Das ZI instagrammte die drei leeren Lesesäle – ich sitze am liebsten im großen –, ich vertwitterte das Geisterhaus, und eine Minute später sah ich diese Erwähnung, die mich freute und traurig machte.

Um mich abzulenken, ging ich in die Küche, immer der beste Ort für Ablenkung. Dort bastelte ich Pastateig aus Mehl (ich habe noch Mehl!) und zwei Eiern, ließ ihn ruhen und rollte ihn anschließend schön dünn aus (Pastamaschine FTW!). Ravioli mache ich recht gern, aber an Tortellini hatte ich mich noch nie versucht. Wann, wenn nicht jetzt? Ich guckte mir auf YouTube ein paar Tutorials an, wie man die kleinen Racker formt und bastelte fröhlich nach. Sie sahen eher aus wie kleine Papstmützen, weil ich mir nie merken konnte, wo jetzt die lustige Spitze eigentlich hinsoll, bevor man sie eindreht, keine Ahnung, warum ich bei manchen mechanischen Bewegungen zur absoluten Idiotin verkomme. Macht nichts, mit Frischkäse-Schnittlauch-Parmesan gefüllt waren sie ratzfatz fertig, ich kam kaum damit hinterher, noch schnell ein Weißwein-Sahnesößchen zu zaubern. Sah alles völlig unfotogen aus, schmeckte aber immerhin hervorragend. Und da ich nicht den ganzen Teig verarbeitet habe, mache ich das heute einfach nochmal. Vorher noch ein paar Tutorials gucken.

Mein Lieblingsweingut bietet ein #StayAtHome-Paket an. Wenn ich gerade keine Panik vor Liefermenschen hätte, würde ich es sofort ordern.

Das 5. Akademiekonzert der Bayerischen Staatsoper ist für zwei Wochen online abrufbar. Herr Levit musste ja sein gewohntes Hauskonzert aus Berlin ausfallen lassen, um in einem fast völlig leeren Saal in München zu spielen. Falls ihr ihn also mal in guter Tonqualität und mehreren Kameraperspektiven erleben wollte: bitteschön. (Danke an alle Kulturschaffenden für alles gerade. Sowieso immer.)

Die SZ schrieb gestern schön über Levit: Chaconne in Turnschuhen.

„Seit vier Tagen spielt der Pianist jeden Abend, pünktlich um 19 Uhr, kurz nach Einbruch der Dunkelheit ein “Hauskonzert”. Mal aus seinem Wohnzimmer. Mal aus einem Münchner Bühnenraum. Mal strumpfsockig, mal in klobigen Sneakers, Pulli und Jeans. Jedes mal eine Komposition. Live auf Twitter. […]

Ja, und jetzt würde normalerweise irgendwas Geschmäcklerisches kommen über die Interpretation oder den Klang. Der ist tatsächlich eher so mittel, das Ganze wird ja in irgendeinem vollgekruschten Probenraum mit dem Iphone aufgenommen, und man selbst hört am Schreibtisch zu, am Rechner, was am Ende streckenweise zu einem Klang führt, als würde einem einer durch ein mehrfach gebogenes Ofenrohr vorspielen.

Aber das ist egal. Worauf es ankommt, ist, dass da einer Kunst macht, um zu trösten. […] Am Ende steht Igor Levit jeweils auf, ein fast schüchternes Lächeln im Gesicht und verschwindet seitwärts aus dem Bild. Es bleiben ein leerer Stuhl und Stille. Aber die ist so viel besser zu ertragen als noch eine halbe Stunde zuvor.“

Fill your ears with art: the top culture podcasts to listen to during the coronavirus lockdown

Alle noch nicht durchgehört, geb ich einfach mal weiter.

Eventuell fange ich mit „The Way I See It“ an, einem Podcast, in dem Menschen sich ein Bild aus dem MoMA aussuchen und darüber sprechen. Das wäre für mich eine gute Ergänzung für die Bitte von Frau @novemberregen, die sich gerne was über Kunst erzählen lassen möchte. Ich denke seit Tagen über Margarethe von Anselm Kiefer nach, über das ich vermutlich irgendwann was schreiben werde, aber momentan bin ich noch zu traurig für dieses Bild.

Ich komme nicht darüber weg, wie ordentlich ausgerechnet Spahn und Söder gerade ihre Jobs machen, bin aber sehr dankbar dafür. Seit gestern ist der bayerische Soforthilfefonds für Betriebe und Freiberufler verfügbar. (via Manuel Braun)

Lebensmittel-Logistik in der Corona-Krise: Warum es manchmal etwas dauert, bis die Regale im Supermarkt wieder aufgefüllt sind

„Für jede Filiale wird eine individuelle Abverkaufsprognose errechnet, die berücksichtigen soll, wie Kund:innen wahrscheinlich in den nächsten Tagen einkaufen. Danach richtet sich die Marktbestellung. Eine Direktbelieferung von Produzenten an die Märkte ist inzwischen eher selten; stattdessen wird die Ware über Regional- und Zentrallager verteilt. Je nach Marktgröße und Entfernung zum Lager gibt es pro Filiale einen definierten Belieferungsrhythmus.

Ein – stark vereinfachtes – Beispiel: In Filiale X kaufen pro Tag üblicherweise drei Kund:innen eine Dose Kidneybohnen, das macht bei sechs Öffnungstagen (Mo bis Sa) 18 Dosen in der Woche. Um mindestens einen möglichen Ausfall einer Lieferung zu kompensieren, werden im Lager 36 Dosen bestellt. Wenn aber statt drei plötzlich dreißig Dosen am Tag verkauft werden, ist das, was sonst für zwei Wochen gereicht hätte, im Markt nach einem Tag schon wieder weg. Genau das ist zuletzt passiert.

Unter regulären Bedingungen halten Händler Bestände für ein bis drei Wochen in ihren Lagern vor, ohne dass Nachlieferungen vom Lieferanten nötig sind, sagt ein Mitarbeiter einer großen Handelskette. […]

In der Branche heißt der Effekt, der sich jetzt ergibt, „Bullwhip“- bzw. Peitscheneffekt: Kund:innen kaufen viel mehr als gedacht, Märkte bestellen mehr (als sie evtl. benötigen), Lager laufen leer und merken: der Bedarf ist riesig, sie bestellen mehr beim Lieferanten – und der kriegt diese unerwarteten Mehrbestellungen plötzlich von allen Händlern gleichzeitig.

Welche Herausforderungen müssen die Hersteller noch bewerkstelligen? Sie müssen die Ware so verteilen, dass nicht in den Lagern in Berlin das ganze Toilettenpapier steht, während die in München leer ausgehen. Deshalb unterstützen Händler gerade vor allem kleinere Lieferanten bei der Koordination.“

Münchner Kammerspiele on demand

Die Kammerspiele stellen ab heute, 18 Uhr, jeweils eine Inszenierung für 24 Stunden online. Heute geht’s mit „No Sex“ los, das mir live ganz gut gefallen hatte.

Tagebuch Montag, 16. März 2020 – Happy birthday to me

Ich hatte gestern Geburtstag und habe ihn komplett alleine verbracht.

Als ersten Gratulanten hatte ich morgens Papa am Ohr; er rief aus seinem Hirn die üblichen Floskeln für Geburtstage ab, die er in seinem Leben schon tausendmal verwendet hatte („Ehrentag“, „gutes Wetter“, „hab einen schönen Tag“, „Gesundheit ist das Wichtigste“) und fragte mich viermal, wie es mir geht, weil er vergessen hatte, dass er mich das schon dreimal gefragt hatte. Er beendete das Gespräch mit der Floskel, mit der er schon vor dem Schlaganfall unsere Gespräche beendete: „Ich geb dir mal Mama.“

Das Mütterchen habe ich hoffentlich davon abgehalten, heute zum Friseur zu gehen. „Aber wenn ich als erste morgens hingehe? Da ist doch das Virus noch nirgends.“ – „Du musst doch grad eh nicht raus, da ist es auch egal, wie deine Haare aussehen.“ – „Aber einkaufen geht doch? Wenn ich Mundschutz und Handschuhe mitnehme?“ – „Das können doch auch andere für dich übernehmen. Aber ja, wenn du unbedingt selbst für ein Brot rauswillst, dann nimm Mundschutz und Handschuhe mit und halte Abstand zu allen Leuten.“

Zehn Minuten später rief Schwesterherz an: „DU HAST MAMA GESAGT, SIE KANN EINKAUFEN GEHEN?!?“

Seufz. Eine paar interne Kommunikationen später meldete sich Schwesterherz wieder per WhatsApp: „Ich darf für sie einkaufen. Happy Birthday!“ Dazu schickte sie mir ein Arrangement aus ihren ganzen auf Ebay ersteigerten Mainzelmännchen mit einer Glückwunschkarte. (Mein Det war ein Geschenk von ihr.)

Mama noch so beim morgendlichen Telefonat, als ich meinte, dass ich F. nicht sehe und nicht im Lieblingsrestaurant Crémant trinken werde: „Aber das ist immerhin ein Geburtstag, den du deinen Lebtag nicht vergessen wirst.“

Pep Talks von Menschen, die Weltkriege überstanden haben, sind in US-Katastrophenfilmen irgendwie immer besser.

Zur Mittagspausenzeit – wir sind ja schließlich alle brav im Home Office – F. wenigstens per Facetime gesehen. Das war schön. Doof, aber schön.

Die Nachbarin legte Osterglocken vor meine Tür, das war auch schön. Habe vergessen, mir die Hände zu waschen, nachdem ich das Einwickelpapier entfernt hatte und bin seitdem panisch.

Apropos Home Office. Auf Insta sah ich gestern sehr viele neue zeitweilige Büros meiner Timeline, viele Küchen- und Esstische, auf denen plötzlich ein Laptop stand. Hier ein paar Tipps von jemandem, die ihr Studium bis zur Masterarbeit und ihren Brotberuf jahrelang vom Küchentisch aus erledigen musste.

1.) Zieht euch was Anständiges an. Büro ist Büro, ganz egal, ob ihr im Großraum oder in eurem Schlafzimmer hockt. Setzt euch so an den häuslichen Schreibtisch, wie ihr auch an eurer normalen Arbeitsstelle auflaufen würdet. Anke-Tipp: Die Leggings statt der Jeans tun’s aber auch.

2.) Steht zu euren gewohnten Zeiten auf. Jedenfalls ungefähr. Wenn euer Arbeitsweg von 30 Minuten jetzt wegfällt – yay! 30 Minuten länger schlafen. Seid ab dem Zeitpunkt am Schreibtisch, an dem ihr sonst auch im Büro anfangen würdet zu arbeiten. Strukturen sind wichtig. Anke-Tipp: Endlich aus dem guten Kaffeeservice trinken und nicht aus der ollen Bürotasse.

3.) Macht Mittagspause zu den gewohnten Zeiten. Erneut und immer wieder: Strukturen sind wichtig. Und da eure Kolleg*innen vermutlich auch alle irgendwann Mittag machen, macht das halt auch. Nebenbei am Rechner was wegzufuttern, ist albern. Nehmt euch eine Stunde Pause. Anke-Tipp: In der Mittagspause zuhause kochen ist super und man kann nebenbei eine Serienfolge gucken, zu der man sonst erst abends gekommen wäre.

4.) Schafft euch einen echten Arbeitsplatz. Und wenn der Esstisch eben auch weiterhin Esstisch sein muss, dann funktioniert ihn tagsüber wirklich richtig um und nicht so halbherzig. Alles wegräumen, was nichts mit Arbeit zu tun hat, denn das ist jetzt euer Büro. Abends alles wegräumen, was nichts mit Freizeit zu tun hat, denn jetzt habt ihr Feierabend. Trennt beruflich verbrachte Zeit und Freizeit soweit wie möglich. Anke-Tipp: Am Esstisch eine Tischseite für Freizeit und eine für Beruf benutzen, hilft auch. Klingt erstmal bescheuert, aber der Kopf gewöhnt sich nach ein paar Tagen daran: Wenn ich auf dieser Seite sitze, bin ich im Büro, wenn ich auf dieser Seite sitze, bin ich zuhause.

5.) Blumen auf dem Tisch machen gute Laune. Ein Mainzelmännchen geht auch.

(Edit: Christian und Thomas geben ähnliche Tipps. Wir alte Homeworker-Bande, wir.)

Nachmittags meldete sich auch das Lektorgirl aus dem Home Office und las mir ihr Yogi-Tee-Etikett vor, das meine Geburtstagsbotschaft sein sollte: „Du bist schön, voller Gaben und Seligkeit.“ Und mies gelaunt, weil ich nicht in die Bibliothek kann! „Das hätten wir dir auch vorher sagen können.“ Mich überrascht das schon, WIE genervt ich davon bin, gerade nirgendwo hingehen zu können, um Bücher aus Regalen zu ziehen.

Weiter im eigenen Home Office (sieht aus wie immer) an der Diss gepuschelt, soweit das eben gerade ohne externe Bücher geht. Geht so mittel. Das ist für mich ebenfalls etwas überraschend: zu sehen, wie weit ich schon mit dem Text bin. Ich brauche jetzt dooferweise noch ein paar Archive und eben das ZI, um die letzten Lücken zu füllen und meinen Maler vernünftig einordnen zu können, aber ohne die kann ich gerade wirklich nichts machen außer Korrektur zu lesen.

Ich bin allerdings dankbar für die vielen Datenbanken und digitalisierten Bücher, die mir zwar gerade nur bedingt weiterhelfen, aber immerhin. Ach, hey, falls jemand von der Süddeutschen mitliest: Wieso sehe ich mit meinem tollen Uni-Zugang auf alle Ausgaben die Vorschau auf den Nachruf des Herrn Protzen vom 15. September 1956 (Seite 7), kann sie aber nicht anklicken? Falls irgendjemand mir davon ein pdf schicken könnte, wäre ich sehr dankbar. Dafür wollte ich eigentlich in die Stabi, die alle Zeitungen vor Ort hat, aber das geht momentan ja leider nicht.

Nicht mehr ganz so alleine gefühlt wie Sonntag, obwohl ich es genauso war. Doch abends bedauert, dass ich zu faul gewesen war, mir selber einen Geburtstagskuchen zu backen. Dafür habe ich Geburtstagsbrot gebacken und wollte danach natürlich viel lieber eine Brezn vom Bäcker, der ich aber tapfer widerstanden habe.

Werde mir jetzt nachträglichen Apfelkuchen machen. Kuchen im Home Office ist auch immer ein Motivationsschub.

Tagebuch Sonntag, 15. März 2020 – „Normalität“

Sonntag ist Hefeteigtag, wie immer. Also probierte ich ein Franzbrötchen-Rezept aus, das ich schon einmal gemacht hatte; mein normales Rezept ging nicht, weil ich Samstag keine Lust gehabt hatte, den Vorteig anzusetzen, ich faule Nuss. Also buk ich irgendwas, was ohne Vorbereitung ging. Ich tourierte gefühlt zweimal zuviel, den Teig dünn auszurollen, dauerte ewig und brachte mich wirklich ins Schwitzen. Ergebnis war zufriedenstellend. Die Brötchen sahen nicht so toll aus wie beim letzten Mal und waren trockener, aber hey, es waren immer noch Franzbrötchen. Passt schon.

Außerdem Brotteig angesetzt. Möchte so wenig wie möglich vor die Tür gehen müssen, habe aber jetzt schon das Gefühl, dass Skorbut in mir hochklettert, weil ich nicht mehr viel frisches Gemüse zuhause habe. Obst geht noch. Freitag hatte ich total im Tran eingekauft, wie immer, ich kaufe grundsätzlich nur für zwei, drei Tage ein und dann wieder Frischkram nach. Ich hatt echt nicht darüber nachgedacht, dass das momentan kein guter Plan ist.

Beim Kneten ließ ich mich mal wieder von Bohuslav Martinů begleiten, das tat gut. Abends lauschte ich wieder Igor Levit bei seinem Hauskonzert – dieses Mal gab’s die Appassionata – und retweete diese Worte, die für mich seine Aktion sehr gut zusammenfassen: „Lieber Herr Levit, was Sie hier Abend für Abend für uns tun ist der beste und schönste Beitrag zum #BeethovenJahr überhaupt. Menschen in schweren Zeiten mit Musik zu verbinden und in Beethovens Musik so viel auszudrücken, was sich kaum sagen lässt. Danke, tausend mal Danke!“

Gestern fanden in Bayern Kommunalwahlen statt. Ich hatte praktischerweise per Brief gewählt, deswegen musste ich mir keinen Kopf darum machen, einen eigenen Stift mitzunehmen und meterweise Abstand zu den Wahlhelfenden zu halten. Ehrlich gesagt, hatte ich die Wahl schon vergessen, weil es gerade Wichtigeres gab. Der SPD-Bürgermeister von München muss in die Stichwahl mit der CSU-Kandidatin, die allerdings nicht mal die Hälfte der Anzahl seiner Stimmen bekam, der Stadtrat wird erst heute ausgezählt. Auch deswegen hatte ich ausnahmsweise per Brief gewählt: Man hatte insgesamt 80 Stimmen auf drei Zetteln, und die wollte ich dann doch lieber am Küchentisch in Ruhe ausfüllen.

Eben im Radio gehört, dass Bayern den Katastrophenfall ausgerufen hat, um 10 gibt Söder eine Pressekonferenz. Ab morgen sind Bars, Kinos, Spielhallen etc. zu, ab Mittwoch vermutlich Restaurants und Geschäfte. Supermärkte, Apotheken, Tankstellen und Banken bleiben geöffnet.

Tagebuch Samstag, 14. März 2020 – Runway

Morgens beim Bloggen dem zweiten Hauskonzert von Igor Levit zugehört. The People United Will Never Be Defeated! kannte ich noch nicht, hat mir aber sehr gefallen. Passte auch schön zum Anlass einer Pandemie.

Überhaupt erstaunlich, wie wichtig Kunst auf einmal geworden ist, jedenfalls für mich. Künstler*innen musizieren auf Twitter (Yo-Yo Ma zum Beispiel), Autor*innen stellen ihre Bücher online (okay, habe erst eins gesehen, aber das hatte ich letzte Woche noch im Historicum in der Hand), als ob sie wüssten, wie dringend man gerade Ablenkung braucht.

Einerseits fühlt es sich wie eine Bestätigung des guten alten Spruchs „EARTH without ART is just EH“ an, andererseits: Doof, dass erst ein Virus kommen muss, um den Stellenwert von Kunst zu verdeutlichen.

Im Kopf war ich nicht so recht bei der Diss, wollte aber auch nicht den ganzen Tag Katastrophentwitter lesen und bin daher im Kaninchenloch von „Project Runway“ versackt. Keine Ahnung, warum mich Mode auf einmal interessieren kann, aber wahrscheinlich nimmt mein Gehirn gerade alles, was rumliegt, um sich abzulenken. Wenn ich statt diese Serie zu gucken Blogs übers Töpfern gelesen hätte, wäre meinem Kopf das vermutlich auch recht gewesen.

Sehr unproduktiver Tag. Ein bisschen ängstlich gewesen. Mich alleine gefühlt, auch weil F. und ich gerade Abstand voneinander halten. Froh über Anruf einer Freundin und WhatsApp der Schwester gewesen.

Abends beim Deutschlandfunk hängengeblieben und eine lehrreiche Sendung über den Pianisten Swjatoslaw Richter gehört, der mir vorher unbekannt war. Gleich mal seine Autobiografie auf den Merkzettel packen, aus der großflächig zitiert wurde.

Tagebuch Freitag, 13. März 2020 – Frisch geimpft

Seit dem Podcast vom Dienstag überlegte ich, die Grippe-Impfung nachzuholen, die ich im letzten Herbst verschnarcht hatte, gab ja Wichtigeres. (Gab es nicht, wie ich jetzt weiß.) Hier ist das Skript; auf den Seiten 3 und 4 geht es um die Impfung gegen Grippe, obwohl die jetzige Saison jetzt gerade ausläuft, und Pneumokokken, von denen ich bis Dienstag nicht mal wusste, dass es sie gibt. Kurz und laienhaft zusammengefasst: Die Grippe-Impfung lohnt sich noch, weil die nächste Saison kommen wird, und beide Impfungen lohnen sich, damit der Körper bei einer Corona-Infektion nur damit zu tun hat und sich nicht auch noch um die beiden anderen Dinge kümmern muss, die auch die Lunge belasten: „Aber die nächste Influenza-Saison kommt auch, die Pandemie wird auch in der nächsten Influenza-Saison immer noch da sein. Und deswegen lohnt es sich auch jetzt noch mal, eine Grippeschutzimpfung mitzunehmen und sie insbesondere dann aber im nächsten Herbst aufzufrischen. Denn dann hat man von jetzt und nächsten Herbst zusammen einen ganz besonders guten Influenzaschutz in der dann kommenden, gleichzeitigen Influenza und SARS-II-Infektionswelle nächstes Jahr um diese Zeit.“ Die Pneumokokken-Impfung wird eher für die ältere Generation empfohlen, aber schaden kann sie vermutlich nicht, und so ganz jung bin ich ja auch nicht mehr.

Außerdem ging ein weiteres Medikament zur Neige, das ich täglich nehme, also musste ich eh in die Praxis meiner Hausärztin. Dort hingen schon unten an der Haustür Hinweiszettel, dass man bitte bloß nicht reinkommen sollte, wenn man symptomatisch wäre, ab nach Hause und telefonisch melden. Ich war nicht angesprochen, ging also hoch, fasste alles nur mit Handschuhen an und bekam mein Rezept ausgestellt. Dann wollte ich mir einen Termin für die Impfung geben lassen – telefonisch ging vorher gar nichts, sonst hätte ich das natürlich gemacht –, als man mir sagte, das ginge gleich jetzt. Pneumokokken-Impfung kostet übrigens 70 Euro, Grippe ging anscheinend aufs Haus, wenn ich die Rechnung richtig interpretiere. Und den Impfpass gab’s für einen Euro, denn meinen alten habe ich beim letzten Umzug irgendwie verschlampt.

Mit zwei Pflastern auf den Oberarmen fuhr ich wieder nach Hause und plante die nächste Woche geistig vor. Unser gemeinsames Abendessen auswärts sagten F. und ich ab, mir ist derzeit nicht so wohl dabei, eng in kleinen Restaurants aufeinander zu hocken. Auch über meine zwei geplanten Archivbesuche dachte ich nach, wobei ich ja weiß, dass sich in Archiven eher keine Menschenmassen bewegen. Die Entscheidung über die Besuche wurde mir aber im Laufe des Tages abgenommen: Das Deutsche Museum schließt ab heute seine Pforten, wovon sehr wahrscheinlich auch Bibliothek und Archiv betroffen sind, obwohl das nicht explizit auf der Website erwähnt wird. Die Leiterin des Archivs der Akademie der bildenden Künste informierte mich persönlich per Mail davon, dass sie derzeit alle Besuche absagte, und ich schrieb zurück, dass ich das richtig fände und mich schon auf den Nachholtermin freute.

Und dann kamen nachmittags die Meldungen rein, dass auch die Bibliotheken schließen, ich sah zuerst die Stabi, dann mein geliebtes Zentralinstitut, und jetzt beim Schreiben dieses Eintrags sehe ich, dass auch die Uni-Bibliotheken alle dicht machen. Hätte ich mal gestern noch diese Fernleihe im Lesesaal eingesehen, die seit vorgestern dort für mich liegt. Mist.

Ich schwankte und schwanke seit gestern hin und her zwischen „Dann lese ich jetzt halt anständig Korrektur“ und „Ich werde bis Juni wohl doch nicht mehr fertig mit der Diss“. F. schrieb per DM, dass es doch okay sein, wenn ich den Kopf mal ausmache, und heute morgen sah ich einen Tweet, der das Dilemma, neben dem gesundheitlichen Aspekt, gut zusammenfasst: „Is anyone else’s brain so broken that you’re beating yourself up for not being productive enough about work during an unprecedented global pandemic?“

Als introvertierter Mensch, der andere Menschen eh gerne meidet, mache ich seit Tagen Witze darüber, wie super ich darauf vorbereitet bin, alleine zuhause zu sein und vor mich hinzupuscheln, aber, totale Überraschung, auf einmal fühlt sich das alles nicht mehr so super an.

Ein paar Tipps für den Lagerkoller:

– das zweite Hauskonzert von Igor Levit nachhören (habe ich gestern live verpasst, läuft gerade nebenbei)

– Die Bayerische Staatsoper streamt ausgewählte Vorstellungen kostenlos

– Die Wiener Staatsoper streamt ab sofort täglich

– Die digitale Plattform der Berliner Philharmoniker ist für 30 Tage kostenlos

– noch mehr Streams werden hier zusammengefasst

– In Bayern sind auch alle Museen dicht, ich folge diversen ArtBots von Andrei Taraschuk auf Twitter. Unsere nächste Fehlfarben-Ausgabe war übrigens für April geplant, die wird dementsprechend verschoben. Auch weil unser dritter Mitspieler gerade sehr weit weg ist und von dort seit gestern alle Flüge nach Deutschland gestrichen sind.

Nebenbei: Bei der NY Times, der Washington Post und dem New Yorker sind die Artikel über Corona frei zugänglich. Wenn die Süddeutsche da vielleicht mal drüber nachdenken und ihr dämliches SZplus dafür abschalten könnte? So wie die Hinweise für die morgige Kommunalwahl? Bezahlschranke, echt jetzt?

Tagebuch Mittwoch/Donnerstag, 11./12. März 2020 – Home Office

Mittwoch wollte ich eigentlich brav komplett zuhause bleiben, musste aber noch ein Buch in die Uni-Bibliothek zurückbringen, was ich am Tag vorher völlig verschnarcht hatte. Also aufs Rad gestiegen, Buch abgegeben, danach gleich eingekauft und dann zwei Tage Home Office gemacht. Wobei: Die kleine Vitrinenausstellung zu Oskar Maria Graf in der UB habe ich mir gerne angeschaut. Und sehr über ein Foto von Graf und Brecht lachen müssen.

Erst durch die Bildunterschrift die Initialien OMG bemerkt. Nett.

Je mehr Bilder ich aus Italien sehe, desto mehr ahne ich, dass an der Selbstisolierung vermutlich sehr viel dran ist. Ehe hier Ärztinnen darüber entscheiden müssen, wer die würdigere Patientin fürs Beatmungsgerät ist, sollte ich vermutlich dringend zuhause bleiben, um mich nicht anzustecken und auch niemand anders anzustecken. Zur Info: Mir geht’s gut, keine Symptome, alles prima. Aber man weiß ja nie, wer vor ein paar Tagen neben mir im Archiv gesessen oder in der S-Bahn gestanden hat.

Das ist dann auch das Problem für nächste Woche: Da hätte ich eigentlich zwei Archivtermine und ein nettes Abendessen im Lieblingslokal geplant und ins ZI müsste ich auch dringend mal wieder. Vermutlich sollte ich das sein lassen. Seufz. So viel zum Thema: Vielleicht werde ich ja doch bis Juni mit der Diss fertig.

Bis gestern hatte ich ein schlechtes Gewissen, immer noch nicht mit der Präsentation fürs Doktorandenkolloquium nächste Woche angefangen zu haben, obwohl ich natürlich seit Wochen weiß, was ich erzählen will. Seit gestern weiß ich: Bis Mai muss ich mich um die Powerpoint nicht kümmern, denn das Kolloquium wurde verschoben. Keine Veranstaltungen mehr mit mehr als zehn Leuten an der LMU.

Das Stadtarchiv München hat Stühle aus dem eh schon kleinen Lesesaal entfernen lassen, damit man nicht so nah zusammensitzt. Bin gespannt, wie lange es noch geöffnet ist.

Dafür gab’s gestern ein Hauskonzert mit Igor Levit (und Stand jetzt 162.000 Zuschauer*innen), und wer noch nicht in den Mann verliebt ist, der müsste es spätestens jetzt sein, wenn man ihn auf Socken die Waldsteinsonate hat spielen sehen. Heute um 19 Uhr gibt’s wieder was Schönes. Wie toll, den Mann mal „live“ gesehen zu haben.

Ginger Chicken Curry

Das Rezept musste letzten Sonntag bei Herrn Mälzer in Kitchen Impossible gekocht werden und klang verdammt gut. Dank Google bin ich auf Lecker und Co. gestoßen, die dieses Rezept gepostet hat; gleich nachgemacht und schwer begeistert. Nebenan gibt’s übrigens auch fleischfreie Alternativen, Infos zu den Gewürzen und noch mehr Rezepte aus Kitchen Impossible, also mal rüberklicken, bitte.

Für zwei bis drei Portionen. Wir brauchen einen Berg kleingeschnittene Zutaten, eine Gewürzmischung und eine Zwiebelpaste. Die machen wir als erstes. Wer Reis dazu möchte, kann den auch schon mal aufsetzen. Drüben bei Lecker gibt’s Roti, aber für die war ich gestern zu faul.

100 g Schalotten (bei mir gelbe Zwiebeln) in
200 g Wasser für zehn Minuten kochen lassen. Danach alles pürieren und auf ungefähr 100 g einreduzieren. Habe ich per Augenmaß gemacht, Hauptsache, es ist eher Brei als flüssig.

Für die Currymischung
1 gestr. TL rotes Chilipulver,
2 gehäufte TL Kurkuma,
1 gestr. TL Salz,
1 gestr. TL schwarzer Pfeffer,
2 gehäufte TL Garam Masala und
1 EL Bockshornkleeblätter (Kasuri Methi) vermischen. Letztere hatte ich nicht, habe ich weggelassen, schmeckte auch.

Jetzt geht’s ans Schnippeln und dann werfen wir einfach alles zusammen.

350 g Hähnchenbrust in mundgerechte Stücke teilen. Bei mir waren es nur 250 g, hat auch gereicht.

250 g frische Tomaten vierteln und die Kerne entfernen. Häuten nicht nötig, hervorragendes Rezept.

75 g Ingwer in feine Streifen schneiden. Schälen nicht nötig, hervorragendes Rezept. Das nächste Mal werde ich auf 50 g reduzieren; so gerne ich Ingwer mag und der Name sagt ja schon, dass es ein Ingwerhuhn ist, aber das war mir ein Hauch zuviel Streifenkram im Mund. Kann natürlich auch sein, dass meine Juliennes eher Julias waren aka zu unfein geschnitten.

4 Knoblauchzehen fein hacken.

Je 1 rote und grüne Chili grob hacken. Ich habe die Kerne entfernt, wäre nicht nötig gewesen, nächstes Mal bleiben sie drin, das Rezept kann eindeutig mehr Schärfe vertragen als ich gestern produziert habe.

Los geht’s, tiefe Pfanne auf den Herd und
60 ml neutrales Öl erhitzen (bei mir Sonnenblume). Darin die Hähnchenbrust kurz anbraten, sie sollte nicht braun werden. Den Knoblauch dazugeben, kurz mitbraten, dann

75 g Butter dazugeben und schmelzen lassen. Den Ingwer dazugeben, alles kurz aufkochen lassen, dann

100 ml passierte Tomaten dazugeben, aufkochen lassen. Dann die Zwiebelpaste dazugeben, aufkochen lassen. (Ihr merkt, wie’s geht. Hervorragendes Rezept.)

150 g Jogurt (3,5%) und die Currymischung dazugeben, aufkochen lassen. Zum Schluss die Tomaten und die Chilis dazugeben, aufkochen und dann für drei bis fünf Minuten köcheln lassen, bis das Curry die Konsistenz hat, die ihr mögt. In der Zeit

1/2 Bund frischen Koriander abzupfen, Reis auf die Teller, Curry drüber, Koriander drüber, fertig.

Ich mag das Mummelige an Currys sehr gerne, aber hier sorgt der Ingwer für ständig frische Spitzen, das hat mir sehr gefallen. Ich fand auch die Grundkonsistenz sehr gelungen, also die Balance aus Zwiebelpaste, Jogurt und passierten Tomaten, sowohl was den Geschmack als auch das Mundgefühl angeht. Wirklich genau mein Ding. Gut, dass ich gleich das ganze Rezept gekocht habe und nicht wie üblich erstmal auf eine Person runterskaliert habe, denn deswegen kann ich es heute gleich noch einmal essen.

Tagebuch Dienstag, 10. März 2020 – Ein Sandkasten voller Nazis

(Der Titel stammt von F.)

Gestern verbrachte ich den Großteil des Tages im Hauptstaatsarchiv, wo ich mich recht lange durch Akten von 1947 bis 1952 kämpfte. In dieser Zeit gab es zwei Ausgaben der Münchner Künstlergenossenschaft, ich erwähnte es bereits mal; eine davon wurde von Protzen mitbegründet, aber im Endeffekt bekam sein Gegenspieler Constantin Gerhardinger in einem Zivilprozess das Recht zugesprochen, sich als legitimer Nachfolger der 1868 gegründeten Organisation zu fühlen, die 1938 zwangsweise in der Kameradschaft der Künstler Münchens aufgegangen war. Dann aber doch nicht so richtig, denn das war die Begründung des Gerichts, wenn ich das Urteil richtig verstanden habe: Die Auflösung 1938 war nicht rechtens, deswegen war auch eine Neugründung nach 1945 hinfällig. Und weil Gerhardinger den Laden als Verein mit dem alten Namen hatte eintragen lassen, durfte er seinen Sandkasten behalten.

Was mich an der ganzen Chose so irre gemacht hat, war der ewigseitige Schriftverkehr zwischen Anwälten, Beteiligten, dem bayerischen Ministerium für Unterricht und Kultus sowie launige Pressemitteilungen von beiden Seiten, die jeweils die andere Gruppierung als den aber echt jetzt mal noch schlimmeren Nazihaufen bezeichneten. Beide der Herren haben auf den GDK ausgestellt, Gerhardinger hat lustigerweise weitaus mehr daran verdient als Protzen (99.000 RM im Vergleich zu ca. 30.000), aber er konnte in einem Flugblatt das Killerargument bringen, dass Protzen „im nationalsozialistischen Brockhaus-Lexikon als ‚Maler der Autostrassen‘ namentlich aufgeführt ist, während der Name unseres Präsidenten Gerhardinger in einem Lexikon des Dritten Reiches nicht erscheint.“ (BayHStA MK 51591: Flugblatt der MKG (Gerhardinger), 24.10.1952.) Das muss ich, ehrlich gesagt, nachprüfen. War für das Urteil auch egal, das fiel bereits im Januar 1952, aber die Herren mussten sich noch weiter kabbeln. Und während ich so im Archiv saß und zwei Meter neben mir eine Dame sich nicht mal die Mühe gab, in Armbeuge oder von mir aus auch Hand zu husten und mir so dauernd meine eigene Sterblichkeit vor Augen führte, las ich diesen Kindergarten nach und dachte, Jungs, damit habt ihr Jahre eures Lebens vergeudet und heute kennt euch kein Mensch mehr. (Total deep, ich weiß.)

Beim Feierabendmachen an den Schließfächern den Doktorvater getroffen und ihn nach dem Kolloquium nächste Woche gefragt. Stand jetzt findet es statt, E-Mail kommt noch. Sollte allmählich mal mit meiner Powerpoint anfangen, um meinen Peers was Hübsches erzählen zu können.

Zu genervt von Zeug gewesen, um anständig zu kochen, wurden Fertigpommes und ne Schüssel Salat. Die neue Folge „Better Call Saul“ genossen wie jede Folge dieser Serie. Vor allem das Auftauchen einer Figur in der letzten Woche hat mich sehr glücklich gemacht, von der konnte man in „Breaking Bad“ gar nicht so recht Abschied nehmen. (Ich hoffe, das ist jetzt echt nicht gespoilert.)

Von Twitter gleichzeitig gut informiert und in noch mehr Panik versetzt worden. Ich mache im Prinzip das, was ich jede Grippesaison mache, nämlich mit Handschuhen im Bus stehen oder gleich Fahrrad zu fahren, aber das fühlt sich gerade als nicht ausreichend an. Und ausgerechnet im letzten Herbst habe ich natürlich die jährliche Grippe-Impfung verschnarcht, weil Papa, Job und Diss mich anderweitig im Kopf beschäftigt hatten. Fuck.

Tagebuch Montag, 9. März 2020 – Heroisch

Viel zu früh wachgewesen (Archivvorfreude), gemütlich ins Hauptstaatsarchiv geradelt und dort vom freundlichen Pförtner, der gerade noch vor der Tür war, darauf hingewiesen worden, dass der Laden heute erst um 10 öffne und nicht um 8.30 Uhr. Am Samstag war ja der Tag der Archive, und da müsste jetzt wohl noch etwas aufgeräumt werden. Also ging ich nach nebenan in die Stabi und arbeitete dort.

Nachmittags guckte ich Tim Mälzer im Kampf mit Jan Hartwig zu, den bzw. dessen Atelier F. neuerdings so schätzt. Ich folge dem Herren auch auf Instagram und habe mich dort sogar einmal zu einem Kommentar hinreißen lassen, weil der Teller so hübsch aussah.

Abends verzichtete ich nölig aufs Fahrrad und begab mich in U- und S-Bahn, wo ich alles nur mit Handschuhen berührte, um zum Gasteig zu kommen. Dort warteten neben netter Begleitung die Wiener Philharmoniker unter Andris Nelsons auf mich, um mir die ersten drei Beethoven-Sinfonien vorzuspielen. Die übliche S-Bahn-Kapelle an der Haltestelle gab zur Einstimmung „Bella Ciao“, was ich noch ewig im Ohr hatte. Außerdem staunte ich über den Ständer mit Desinfektionsmittel, der im Foyer stand und auch noch eine Etage drüber (und vermutlich noch an weiteren Standorten im Haus). Der wurde auch brav benutzt, denn ich gebe zu, allmählich mache ich mir doch ein bisschen Sorgen. Dass ich mit Asthmavorerkrankung vorsichtig sein soll, ist mir klar, gestern lernte ich aber im Podcast, dass auch Menschen mit höherem Körperfettanteil eine Risikogruppe sind. Mist, ich hatte immer gedacht, wenn alles den Bach runter geht, habe ich wenigstens noch ein paar körperliche Reserven. Deswegen war ich auch nicht ganz so glücklich daüber, als Teile der gestrigen Begleitung locker meinten, sie kämen gerade aus Südtirol. Da aber beides Ärzt*innen sind, hoffe ich, dass sie mehr wissen als ich, die schienen jedenfalls nicht so irre besorgt zu sein. Wir unterhielten uns auch darüber, dass wir vermutlich Samstag nicht in Augsburg im Stadion sein werden, und F. bangte den ganzen Abend, ob die nächsten drei Abende mit den restlichen sechs Sinfonien überhaupt stattfänden. Stand jetzt scheinen sie stattzufinden. Leider ohne mich, ich hatte nur für gestern eine Karte.

Anfangs dachte ich auch, meh, vier Tage voller Beethoven, wird das nicht langweilig, aber nachdem die letzten Töne der 3. Sinfonie verklungen waren, wollte ich sofort die 4. hören. Muss ich das halt mit einem Glas Sekt auf dem Sofa machen, während F. das Live-Erlebnis genießen darf.

Ich glaube, die 1. und 2. Sinfonie hatte ich noch nie gehört. Während der 1. dachte ich die ganze Zeit, wann kommt denn jetzt eigentlich Beethoven, das hörte sich noch ein bisschen danach an, als ob Haydn ihm die ganze Zeit über die Schulter geguckt und gesagt hätte, nee, Junge, das schreibst du jetzt noch ein bisschen ordentlicher runter, gell? Gelernt: Der dritte Satz müsste der kürzeste sein, den ich je gehört habe. (Keine vier Minuten.)

Die 2. Sinfonie war dann schon eher das, was man erwartet, wenn man „Beethoven“ denkt. Spätestens im 2. Satz saß ich wieder mit offenem Mund da, weil schön. Trotzdem blieb auch hier noch Zeit, sich im Orchester umzugucken, was ich generell gerne bei klassischen Konzerten mache.

Bei den wenigen Damen (verdammter Jungsclub Wiener Phil) hatte ich bei ihrem Gang zu ihren Plätzen gemerkt, dass auch sie wie die Herren über einen Dresscode verfügen, schlichter schwarzer Hosenanzug. Bei den Schuhen gab es anscheinend nur zwei Wahlmöglichkeiten: entweder die gleichen flachen Lacktreter wie die Jungs oder Acht-Zentimeter-Stilettos. Das war wahrscheinlich der unbequeme Ausgleich dafür, dass die Herren in Fliege, Frack und Weste oder Kummerbund, wenn ich das richtig gesehen habe, rumsitzen müssen. Das stelle ich mir als Geiger oder Bratschist ja doch etwas nervig vor, diese blöde Fliege tragen zu müssen, aber was weiß denn ich. Ich starrte jedenfalls dauernd einer Dame in der 1. Geige auf die Füße; ich kann auf solchen Schühchen nicht mal stehen geschweige denn irre teure Instrumente über glatte Bühnenböden transportieren.

Ansonsten war ich mit den Jungs am Kontrabass beschäftigt. Da saßen zwei in der ersten Reihe, die beide Vollbart trugen. Der blonde Herr hätte auch preußischer Rittmeister werden können, aber einer der netten, der seine Töchter mehr lernen lässt als Klavier und Aquarellmalen; vermutlich dürften sie sogar Hosen tragen und Mädchen küssen. Der Herr neben ihm hatte eine Haartolle wie Till Lindemann, etwas kürzer, die er gerne mit eleganter Geste aus dem Gesicht strich, wenn er gerade nichts zu tun hatte, und danach machte er diese eine Handbewegung, um die ich Bartträger sehr beneide: mit Daumen und Zeigefinger gleichzeitig an beiden Seiten des Gesichts herunterstreichen, um sich unten am Kinn wiederzutreffen. Der Herr hatte seinen Bass auch fast vor sich liegen anstatt aufrecht hinter ihm zu stehen oder zu sitzen, weswegen er beim Seitenumblättern einen Riesenschritt nach vorne machen musste. Soviel zur 2. Sinfonie. Ähem.

Nach der Pause (Schnittchen, Roséschampus) gab’s die 3. Sinfonie. Die „Eroica“ kannte ich natürlich, und schon nach den ersten 40 Takten hatte ich das Gefühl, ah, jetzt isses Beethoven. Was ich so an ihm mag, ist, dass ich eben keine Zeit mehr für die Herren am Bass hatte, sondern dass die Musik mich dauernd vorne auf der Sesselkante hält. Bei den ersten beide Sinfonien konnte man noch entspannt rumsitzen und sich berieseln lassen, aber jetzt kam ständig was, was Aufpassen erforderte. Gerade war das Motiv da, ach schön, oh, geht schon weiter, aha, jetzt wird’s langsamer, okay then, Bartschnuffi angucken, oh wait, und jetzt piano, ach nee, doch schon wieder laut, wir waren doch gerade da und jetzt sind wir schon wieder ganz woanders und trotzdem hält alles zusammen und lässt mich atemlos werden. Im zweiten Satz flossen dann für mich etwas überraschend ein paar Tränchen, aber mei, ich bin halt auch ein leichtes Opfer.

Sehr viel Applaus und sehr viel Bedauern bei mir, die restlichen Sinfonien nicht auch live hören zu können. Zu teuer. Geht grad nicht. Vielleicht mache ich heute abend einfach YouTube an, da kann ich bestimmt auch in irgendein Orchester gucken.

Tagebuch Sonntag, 8. März 2020 – Schreibtischtag

Den ganzen Tag am Schlussteil der Diss gesessen. Zwischendurch Fußball und Saturday Night Live geguckt, Reste des samstäglichen Abendbrots vertilgt, diverse Mails an diverse Archive geschrieben, in denen ich noch rumwühlen will und schon war der Tag rum. Die Zielgerade der kompletten ersten Textfassung bis auf die geplant dreiseitige Einleitung ist da vorne, hinter diesem kleinen Hügel. Mal sehen, ob ich sie noch diese Woche erreiche.

Augsburg spielte in München, aber ich hatte mich nicht um eine Karte bemüht. Momentan reizen mich Veranstaltungen mit 75.000 Menschen um mich herum eher nicht so, aber ich ahne, dass meine Chance ähnlich groß ist, mich mit COVID-19 anzustecken, indem ich mit dem Bus ins Archiv fahre oder zwischen jugendlich-leichtsinnigen-sich-unsterblich-fühlenden Studis im Historicum sitze. Trotzdem gut, dass ich zuhause auf dem Sofa war, sonst hätte ich mich noch mehr aufgeregt. Während des Spiels kamen die üblichen „Scheiß-DFB“-Wechselgesänge zwischen den beiden Fankurven wie in so ziemlich jedem Stadion. Sobald sie beendet sind, wird geklatscht und weiter geht’s. Das Operettenpublikum in der Arena entschied sich lieber dafür, ein bisschen zu pfeifen. Und wie üblich war der halbe Unterrang in der 75. Minute schon leer, weil es wichtiger ist, zu den ersten 300 Autos zu gehören, die im Stau am Parkhausausgang stehen als zu gucken, ob aus dem wackeligen 1:0 der Heimmannschaft noch ein Unentschieden wird. (Wurde es leider nicht. Schwein gehabt, Pappnasen.)

Letzten Samstag hatte sich Kai Dittmann als Kommentator völlig vorausgabt, indem er die Fanproteste in einen Topf mit gewissen „dunklen Zeiten“ geworfen hatte; dieses Mal kommentierte Wolff Fuss und war deutlich sachlicher. Die vielen Banner der Südkurve wurden, wenn ich richtig hingeguckt habe, nicht eingeblendet, aber Fuss berichtete von ihrem Vorhandensein und auch ihren Inhalten und meinte, das müsse der Verein aushalten, dass nicht alle glücklich sind über Deals mit fucking Katar, und dass es schon arg albern ist, dass sich die Spieler auf dem Rasen hinter das lächerliche „Rot gegen Rassismus“-Plakat stellen, während Tönnies weiter schön bei Schalke Geld verdient. Überrascht war ich außerdem von der CSU-Bürgermeister-Kandidatin Frank, die vor dem Spiel ein Interview gab. Sie stehe angeblich seit 25 Jahren mit einer Dauerkarte in der Südkurve und sie habe sich sehr über die einseitige Berichterstattung über angeblich hasserfüllte Fans der letzten Woche geärgert. Ich werde sie trotzdem nicht wählen, aber: well played.

Und jetzt höre ich die heutige Ausgabe vom wohltuend sachlichen Podcast mit Christian Drosten, dem Leiter der Virologie in der Berliner Charité und empfehle den Beitrag von Lars Fischer, warum Corona dann doch eine andere Hausnummer ist als Grippe.

Tagebuch Freitag/Samstag, 6./7. März 2020 – Rausgekehrt und heimgekommen

Freitag früh radelte ich ins Hauptstaatsarchiv, wo ich laut Mail auf diverse Akten aus dem Haus der Deutschen Kunst hoffen konnte; die ebenfalls vorbestellten aus dem Kultusministerium erwartete ich erst am Dienstag. Es kam genau anders herum und mir wurden Akten von nach 1945 in die Hand gedrückt, was mir aber auch recht war, mir ist in Archiven ja immer alles recht. Ich wühlte mich durch den Künstlerbund Isar, in dem Protzen Mitglied war und der sich nun neu gründen wollte (den gibt’s, glaube ich, nicht mehr), den Berufsverband Bildender Künstler, in dessen Akten ich viel über Wünsche von Künstlern 1948 erfuhr (Kohlen, Gips, Eisen, Werkzeuge und bittschön endlich den Telefonanschluss!) sowie die Kameradschaft der Künstler Münchens, zu der sich 1938 zwangweise alle Künstlervereinigungen zusammenschließen mussten. Das war eher persönliche Neugier als diss-relevant und so vertiefte ich mich in diverse Schreiben, als plötzlich die Ansage kam: „Bitte zum Schluss kommen, wir schließen gleich.“ Und ich noch so, mich können die nicht meinen, ich bin ja erst seit fünf Minuten (aka drei Stunden) hier. Ich war allerdings doch gemeint, denn der Lesesaal schließt freitags um 12, was ich total vergessen hatte. So wurde ich fies aus meiner Arbeit gerissen und stand danach völlig hilflos-verloren vor der Tür, umklammerte wimmernd meinen Laptop und wusste gar nicht, wohin mit mir. (Darstellung fürs Blog dramatisiert.)

Im Kopf waren noch Historicum und eventuell Stabi, bei der ich aber ahnte, dass die vorbestellten Dinge noch nicht da waren, und aufs Historicum hatte ich mittags keine Lust, weil da vermutlich eh alle Tische noch von der Vormittagsschicht belegt waren.

Also fuhr ich nach Hause, warf Spinat in die Pfanne, gönnte mir einen Mittagswein und läutete das Wochenende ein.

Ich hatte die letzten beiden Tage doofe Rückenschmerzen gehabt, was zunächst den Griff zur Wärmflasche und dann den zur Zyklus-App erzeugte. 16 Tage? Hm. Vielleicht doch wirklich Rücken und nicht nur mies ausstrahlender Uterus? Ab Donnerstab abend wusste ich aber: Uterus. Nach zwei herrlichen Zyklen von je 80 Tagen jetzt dann eben einen kürzeren. Das nervte zwar, beruhigte mich aber wieder, denn bei Rücken bin ich recht schnell panisch, denn er ist so ziemlich der einzige Körperteil, auf den ich wirklich aufpasse. Sobald ich aber weiß, es sind nur die Tage, geht’s mir besser. Dementsprechend holte mich Freitag dann auch die ebenfalls übliche Matschigkeit ein, die ich morgens noch mit Kaffee und Dusche und Archivvorfreude bekämpft hatte, der ich aber nun weinselig nachgeben konnte, weswegen ich den Nachmittag so ziemlich komplett mit der Wärmflasche auf dem Sofa verdöste.

Den Arbeitsnachmittag holte ich dann am Samstagvormittag nach, wo ich um fünf nach neun zur Öffnung der Bib im Historicum stand und mir ein paar Bücher an den Platz trug.

Wenn ich Punkt 9 dagewesen wäre, hätte ich vielleicht noch den Platz ganz vorne an der Fensterfront gekriegt, so saß ich drei Reihen dahinter und hatte ebenfalls einen schönen Ausblick und meine Ruhe.

Ich las viel über die direkte Nachkriegszeit und die Zeit bis zur Währungsreform. Mir fiel beim chronologischen Aufschreiben von Protzens Werken und den wenigen noch erhaltenen Einkunftsauskünften auf, dass ich schlicht nicht wusste, ob die ganzen schönen Reichsmärker, die er für seine Autobahnbilder bekommen hatte, überhaupt noch etwas wert waren und wenn ja, wieviel. Und zu welchem Kurs wurde eigentlich umgetauscht? Und durfte er alles umtauschen? Von den großen Fischen wie Hoffmann und Speer wusste ich, dass ihr Vermögen eingezogen worden war, bei meinem Maler war ich mir recht sicher, dass er ein kleiner Fisch war, aber belegen kann ich es, wie so oft, nicht.

In einem Buch blieb ich recht lange und fand diesen hervorragend formulierten Satz: „Wohl in kaum einem anderen Verwaltungsbereich standen die Amerikaner vor einem so deutlichen Dilemma zwischen Entnazifizierungszielen und den Zwängen einer raschen Krisenbewältigung wie in der Ernährungsbürokratie.“ (Quelle: Erker, Paul: „Ernährungskrise und Nachkriegsgesellschaft. Bauern und Arbeiterschaft in Bayern 1943–1953“, Stuttgart 1990, S. 38.) Ich habe nicht viel notiert, auch nicht fürs Blog, daher fasse ich aus dem Gedächnis zusammen: Lebensmittelkarten gab es seit 1938 (1939?), den Schwarzmarkt bereits seit 1942. Trotzdem verschlechterte sich die Lage der Bevölkerung, was die Versorgung mit Lebensmitteln anging, nach dem Kriegsende weiter. Die amerikanische Militärregierung übernahm daher fast komplett die Organisationsstruktur des Reichsnährstands, entfernte wenige Beamte oder offensichtliche Parteikader, ließ die meisten aber gewähren, damit die Leute was zu beißen hatten. Sie erkannten recht früh, dass man von einer Demokratie eher überzeugt ist, wenn der Bauch voll ist; am „Hungerwinter“ 1947/1948 konnten sie aber auch nichts ändern, wobei der vornehmlich das Ruhrgebiet betraf. (Totaler geistiger Schlenker, aber: Im Hungerwinter hatten die Menschen so um die 1000 Kalorien an Nahrung zum Verbrauch. Nur so als Gedanke, wenn euch die Influencerinnen mal wieder erzählen, wie locker und gut gelaunt man bei einer 1000-Kalorien-Diät drauf ist. Knurr.)

Das war schön, mal wieder bei den Historikerinnen zu sitzen. Auch hier hatte ich nach getaner Arbeit das Gefühl, huch, das ging viel zu schnell, ich bin doch erst vor fünf Minuten gekommen. (Aka drei Stunden.)

Geradelt, eingekauft, gelesen, Bürokram gemacht, zwei Folgen The Chef Show gesehen und mich a) über den Espresso einer Leserin gefreut, der seit gestern in meiner Mühle ist und b) über diesen Insta-Post.

Wird für zukünftige Bewerbungsschreiben vorgemerkt.

Abends endlich mal wieder mit F. gemeinsam gegessen und einen schönen Blaufränkisch genossen. Die scharfen Peperoni waren dazu eher eine dusselige Idee, wie wir beide feststellten. Ich musste sie trotzdem zwanghaft essen, waren lecker.

Ein doppeltes Dankeschön …

… an Jürgen, der mich mit zwei Büchern überraschte – und zwei Mails, in denen er sich auf meine Diss freut. Hey, ich mich auch!

Im Päckchen lag zunächst weiter leben: Eine Jugend von Ruth Klüger. Von der Dame hatte ich schon Frauen lesen anders gelesen, aber ich meine, ich bin durch die neulich schon und hiermit erneut empfohlene Sendung vom Deutschlandfunk über die Gedenkstätte Auschwitz wieder auf sie aufmerksam geworden.

Das zweite Buch war Der Osten von Andrzej Stasiuk, dessen Werk mir in Wien zuerst begegnete. (Der Urlaub Ende 2018 war toll, von dem zehre ich intellektuell immer noch.) Ich hatte danach noch Dojczland von ihm gelesen, was mir auch gefallen hatte.

Thematisch dichtes Paket, würde ich sagen. Vielen Dank für das Geschenk, ich habe mich sehr gefreut. Auch über die hervorragend gewählte Postkarte von Lotte Laserstein dazu.