Tagebuch Samstag, 4. April 2020 – Der einzige Termin im Kalender

Um 5.30 Uhr wachgewesen, am Handy rumgespielt, nochmal umgedreht und erst gegen 9 aufgewacht. Dann voller Tatendrang die Wohnung geputzt, falls heute das Gesundheitsamt klingelt.

Den Rest des Tages im Internet rumgehangen, zwischendurch meine übliche „Pfanne mit allem Gemüse, was weg muss plus Rostbratwürstchen“ zu mir genommen, Tee getrunken.

Um 19 Uhr wie immer Herrn Levit zugehört, der unter anderem die Klavierversion der Rhapsody in Blue darbot. Dabei fiel mir auf, dass diese halbe Stunde Musik derzeit mein einziger fester Termin ist. Es ist völlig egal, auch unter der Woche, wann ich aufstehe und was ich mache, aber um 19 Uhr höre ich Klaviermusik. Soviel zu meinem tollen Home-Office- bzw. Quarantäne-Tipp „Schafft euch Strukturen.“ Ich habe momentan nur diese.

Weiterhin vielen Dank für eure Zuwendungen, ich weiß das sehr zu schätzen.

Apropos Kultur im Internet. (Ganz hervorragende Überleitung, Gröner, da merkt man den Profi.)

Auf Nachtkritik.de sprechen Nicolas Stemann und Benjamin von Blomberg, die Intendanten des Schauspielhaus Zürich, darüber, ob ihr Haus streamt oder nicht und wenn nein, warum nicht. In Zürich ist noch alles bis zum 30. April geschlossen, die beiden scheinen aber eher damit zu rechnen, erst zur nächsten Spielzeit wieder öffnen zu können.

Ich mochte die Überlegung, die dahinter stand, erst einmal nicht zu streamen:

„Wir hatten uns eine zweiwöchige Karenzzeit verordnet: zwei Wochen keinen Output. Ich bin extrem froh, dass wir nicht sofort mit etwas aufgewartet sind. Ich hatte das Gefühl, dass ein richtiger Druck entstanden ist auf die Theater, sofort zu reagieren – nicht von der Weltöffentlichkeit, die hatte sicher anderes zu tun, aber von der Theateröffentlichkeit. Und dann wurde Zeugs rausgehauen, überall rauscht es. In Wirklichkeit aber wurde etwas übersprungen. Künstler*innen sind auch Menschen, und sie waren mit der Situation genauso überfordert wie alle anderen. Zudem – Kunst braucht Zeit. Eben für Fragen wie: Was bedeutet es für eine Kunstform, die so sehr vom Moment der leiblichen Ko-Präsenz und dem Live-Moment zwischen Menschen ausgeht, wenn die Orte der Austragung dafür zusperren und sich stattdessen alles online und virtuell ereignen soll? Dafür braucht es in jedem Fall spezifische Formen.“

Ich bin für jedes Theater und jedes Opernhaus dankbar, das spontan gesagt hat, hier sind unsere Streams, guckt euch was an, ihr braucht jetzt Zerstreuung. Aber ich merke auch: Ich kann gar nicht alles sehen, was geboten wird und ich will es auch nicht mehr. Die wenigen Theater-Streams, die ich gesehen habe, waren qualitativ nicht das, was ich sehen möchte, weil die Aufzeichnungen nicht für mich als Publikum gemacht wurden, sondern für interne Zwecke. Das fällt für mich unter die angesprochenen „spezifischen Formen“, die noch gefunden werden müssen.

Eine dieser neuen Formen sind die Hauskonzerte von Levit. Er braucht kein Ensemble, kein Orchester und er verzichtet bewusst auf tolle Mikrofone, wie er im Zeit-Podcast erzählte. Das macht es für mich zu etwas anderem als perfekt eingestellte Mitschnitte aus der Elbphilharmonie, denn das sollen seine Hauskonzerte gar nicht sein. Ihm geht es, wenn ich das mal paraphrasieren darf, um das Teilen. Er möchte spielen, aber eben nur mit Publikum. Und wenn wir als eben dieses Publikum dabei zuhören wollen, wunderbar. Es geht, wie bei jedem Konzert, darum, etwas gemeinsam zu erleben. Dass wir gerade nicht alle in der Elphi sitzen, ist schade, aber Levit öffnet sein Wohnzimmer für uns, überträgt live und wir können an diesem Ereignis teilnehmen. An den Zahlen während der Live-Übertragung, die man auf Insta oder Twitter sehen kann, wird ersichtlich, dass es durchaus einige Menschen gibt, die genau dieses Gemeinschaftserlebnis mögen. Schaut man einen Tag später auf den Stream, sind aus den 2000 Zuhörern, die um 19 Uhr dabei waren, gerne 80.000 geworden. Ich persönlich mag das Live-Erlebnis, ich mag aber auch die Möglichkeit, das Konzert zeitversetzt zu sehen. Der Unterschied ist aber immer noch, dass ich auch das Live-Konzert hätte mitnehmen können, und genau das können die großen Häuser gerade leider nicht bieten, weil kein Orchester so viel Abstand halten kann und kein Schauspielensemble so auf eine Bühne passt.

Ich fand den Hinweis auf die „leibliche Ko-Präsenz“ im Interview auch sehr gut und wichtig. Ja, das Internet ermöglicht vieles, aber eben nicht alles. Das kann man ewig bedauern – oder als zwei Paar Schuhe sehen. In der FAZ stand vor einigen Tagen mal wieder einer dieser Artikel, die nicht verstehen wollen, dass Museen im Internet nicht den Besuch im Haus ersetzen wollen, und gerade gestern meinte der Direktor der Met, dass Opern als Stream ja auch was ganz anderes wären als das Erlebnis vor Ort. Ach was. Echt jetzt? Dafür braucht ihr noch 100 Zeilen? Darum geht es doch gar nicht.

Museen nutzen das Internet als Verlängerung ihres Tuns, als eine andere, vielleicht niedrigschwelligere Herangehensweise an Kunst. (Oder ballern uns mit irren Produktionen voll, bin immer noch nicht ganz fertig mit der Seite.) Und Opern- und Konzerthäuser gönnen uns Einblicke hinter die Kulissen, teasern uns an mit Trailern ihrer Produktionen. So lange wir nicht selbst vor Bildern stehen oder im Publikum sitzen können, bieten Streams immerhin eine Ergänzung. Eine Ergänzung, keinen Ersatz. Natürlich kann nichts, auch nicht die stets verfügbaren, hochauflösenden Googlefotos, den eigenen, persönlichen Eindruck ersetzen, den man hat, wenn man vor einem Kunstwerk steht, das einen begeistert. Weil es schlicht etwas anderes ist, in einem Raum zu stehen, vielleicht seine Füße zu spüren, auf denen man schon stundenlang durch die Säle gelaufen ist, die leisen Stimmen zu hören, den knarzenden Fußboden, die komische trockene Museumsluft zu atmen, und dann ist da plötzlich ein Werk, das dich die Füße und die Luft vergessen lässt, und du spürst körperlich, dass du gerade etwas Besonderes siehst. Genauso im Theater oder der Oper. Klar kann ich auch zuhause auf dem Sofa anfangen zu heulen, wenn mich Musik ergreift, aber ich bin ihr längst nicht so ausgeliefert wie in einem dunklen Raum inmitten einer Menschenmenge. Die körperliche Überwältigung ist eine andere.

Das vermisse ich, aber ich bin trotzdem dankbar für die Ergänzung. Und für den einzigen Termin, den ich derzeit jeden Abend habe.

Außerdem möchte ich diese Tapete von 1913 haben.

Tagebuch Freitag, 3. April 2020 – Makerspace

Vorgestern ging ich wie beschrieben zum Rossmann, gestern waren dann die Supermärkte für den wöchentlichen Einkauf dran. Dieses Mal sollte es nicht zum Edeka nebenan gehen, sondern zunächst zum Feinkostuntergeschoss im Karstadt bei mir um die Ecke, weil ich dort auf meinen geliebten Büntingtee hoffte sowie auf Dijonnaise und Kandis. Die ersten beiden Dinge hat mein Edeka eh nie, den Kandis neuerdings auch nicht, daher war die Entscheidung, die Einkäufe auf zwei Läden zu verteilen, gefallen, wenn auch ungern. Ich möchte im Moment den Kontakt zu Menschen soweit wie möglich komplett vermeiden, und daher hätte ich einen Supermarkt bevorzugt. Da der olle Karstadt aber eher Mondpreise aufruft, kaufe ich da nur das, was ich sonst nicht bekomme und hole Obst, Gemüse und Jogurt woanders.

Die zwei Atemmasken, die F. mir mitgebracht hatte, waren beide jetzt einmal benutzt, die wollte ich nicht nochmal tragen. Ich fand beide auch eher unangenehm, Geruch, Sitz, Durchfeuchtung beim Atmen, das war alles eher doof. Ich wickelte mir probehalber ungefähr 15 Schals, Tücher und ernsthaft Stoffservietten irgendwie vor Mund und Nase, was alles nicht hielt, bis ich beschloss, fuck it, du gehst jetzt ohne Maske und nachmittags nähst du dir was Passendes.

Aufs Fahrrad gesetzt, weil auf dem Fahrrad besser Abstand zu halten ist zu allem anderen. Im Karstadt keinen Tee gefunden, war ja klar, aber dafür Kandis, Majoschlotz und, noch toller, Schrobenhausener Spargel. Und Weizenvollkornmehl! Sofort mitgenommen.

Dann nach nebenan zum Lidl geradelt, der mir deutlich zu voll war. An der Kasse hörte ich, dass das für Freitage anscheinend normal sei – „was meinst du, wie’s hier morgen aussieht?“ –, was mich zu dem Entschluss brachte, nächste Woche am Montag oder Dienstag nochmal einzukaufen und dann erst wieder weit nach Ostern. Hefe vergessen, sonst alles gekriegt.

Zuhause abgeschlossen, Schüssel und Schloss mit Desinfektionszeug besprüht, Einkäufe erstmal am Eingang stehengelassen und sofort Hände gewaschen. Ich singe den Refrain von Totos Africa, der geht gut 20 Sekunden. Dann Jacke und Schuhe ausgezogen, Einkäufe verräumt, nochmal Hände gewaschen. The things you do for ich weiß schon gar nicht mehr for what es ist so absurd.

Ich setzte mich an meinen schönen aufgeräumten, fast leeren Schreibtisch und begann, nach Anleitungen für Mundschutze zu googeln. In den sozialen Medien hatten schon diverse meiner von mir Verfolgten ihre schicken selbstgenähten Masken vorgezeigt, daher wusste ich: Ich will nicht die, mit der man wie ein Pinguin aussieht, sondern eine mit gebügelten Falten (hier die zweite Variante). Wie das geht, hatte ich aus inzwischen vier komplett geschauten Staffeln „Project Runway“ theoretisch total drauf. Problem: Ich habe keine Nähmaschine. Lösung: total egal, wir haben Pandemie, wir nähen von Hand, auch wenn’s scheiße aussieht. In Omas Nähkästchen lag sogar Gummiband, was ich gar nicht mehr wusste, so selten habe ich da reingeguckt. Ich habe auch keine Stecknadeln, aber wie ich gestern feststellte, Büroklammern gehen für kurze Zeit auch. Ebenfalls gelernt: ein Königreich für einen Fingerhut.


Das finde ich bei den ganzen Anleitungen zum Selbermachen auch immer lustig: „Ihr nehmt einfach ein Stück Stoff und dann …“ Ein Stück Stoff? Wer von den Menschen, die nicht eh ab und zu nähen, hat denn bitte einfach mal so zwei Meter Baumwolle rumliegen? Hatte ich nicht, aber: einen angeklecksten weißen Tischläufer, der unbenutzt im Schrank rumlag, aus Baumwolle war und durch den ich auch doppellagig gut atmen kann. Der wurde jetzt zum Prototyp verarbeitet, bevor ich mich an die bunten Stoffservietten als Rohmaterial wagte.

Ich hatte in der, keine Ahnung, sechsten, siebten, achten Klasse? mal Handarbeitsunterricht, und wir haben genau einmal eine Nähmaschine benutzt. Ansonsten kann ich mich nur noch daran erinnern, dass wir gebatikt haben, das war super. In den darauffolgenden 35 Jahren habe ich noch ein paar Knöpfe angenäht und Hosensäume gekürzt, aber das war’s im Prinzip. Daher wollte ich auf jeden Fall einen Prototyp basteln, der vermutlich drei Stunden dauern und fürchterlich aussehen würde.

Ging dann aber doch besser als ich dachte. Ja, die Stellen, wo ich das Gummiband angenäht habe, sehen aus, als wüsste ich nicht, was Ästhetik ist, aber das Thema des heutigen Eintrags ist „Fuck it, wir haben Pandemie“. Daher war ich schon nach einer Stunde ziemlich zufrieden; auch darüber, dass ich mir irgendwo mal gemerkt hatte, dass man das flache Blechteil aus Aktenheftern einnähen kann, damit man eine Art Nasenbügel hat. Gerade für uns Brillenträger*innen unschätzbar wichtig, sonst ist nach zwei Minuten die Brille beschlagen. Sehen Sie die kleine Kurve am oberen Rand? Metallbügel!

Und so nähte ich lustig weiter vor mich hin und hatte nach drei Stunden drei Masken, die ich auswaschen kann. Theoretisch kann ich in die zwei grünen sogar noch ein Vlies einlegen, zum Beispiel aus einem Staubsaugerbeutel, aber ich bin mir noch nicht sicher, wie gerne ich ein Staubsaugerbeutelstück direkt vor Mund und Nase haben möchte. Der Mundschutz ist, wie wir ja inzwischen alle gelernt habe, eher für die anderen da, die nicht von uns angehustet werden, als für uns, die ihn tragen. Passt so.

Bei der nächsten Pandemie kämme ich mich vorher und leg ein bisschen Lidschatten auf. Aber für jetzt gilt Sie wissen schon.

Danach musste dringend der Schreibtisch wieder in den akademischen Zustand zurückversetzt werden OMG.

Inzwischen war es nach 14 Uhr und ich hatte immer noch nichts gefrühstückt, nicht mal einen Kaffee oder so, ich wollte morgens das Einkaufen schnellstmöglich hinter mich bringen. Daher drängte es mich jetzt in die Küche und ich bereitete mir ein Festessen zu.

Wenn man seit ungefähr 18 Stunden nichts gegessen hat, kommt so ein kleines Weinchen übrigens noch besser.

Ich schrieb ein paar DMs an F., las ein bisschen, freute mich über die Sonne draußen und das schöne Licht in meiner Wohnung und war in einer sehr ruhigen Stimmung. Und dann war es 19 Uhr und Herr Levit lud zum Hauskonzert, das gestern auch genau dieser Stimmung entsprach. Wie immer danke dafür, man kann gar nicht oft genug danke sagen.

Mich berührt es immer, dass Levit selten nach dem Spiel einfach so aufsteht, sondern meist noch eine kleine Geste ausführt, die Faust ballt und sich damit auf den Oberschenkel klopft oder, so wie gestern, kurz die Hände vor dem Gesicht zusammenschlägt, als ob er ein Kapitel beendet, seine eben für uns geöffnete Welt wieder schließt. Einer seiner letzten Sätze im langen Zeit-Podcast war sinngemäß: „Ich kann nicht abstrakt Musik machen, das macht ja was mit mir.“ Achtung, totaler Allgemeinplatz: Vermutlich kann niemand abstrakt Musik hören. Das macht auch was mit einem. Das Hauskonzert war ein sehr schöner Abschluss des Tages, und ich dachte, als ich mich zum Bloggen an den Rechner setzte, das schreib ich jetzt so auf, das war ein schöner Tag.

Ich klickte auf unsere Klassikplaylist und wählte „The people united will never be defeated“, das wir in einer Einspielung von Levit in der Liste haben und begann mit den ersten Tönen aus heiterem Himmel an zu weinen. Dann heulte ich das Stück durch, dann bloggte ich diesen Eintrag, jetzt läuft Mendelssohn und ich esse gleich noch ein paar Schokoladen-Ostereier.

Das war ein schöner (ich habe genäht!), seltsamer (Mundschutzmasken!) und emotional mal wieder völlig überwältigender Tag. So wie alle in letzter Zeit.

Tagebuch Donnerstag, 2. April 2020 – Passivtag

Na fast. Morgens eine halbe Stunde länger im Bett rumgelungert, dann aufgestanden, ein bisschen Saft getrunken, gebloggt, im Internet rumgelesen und dann mutig straßenfein gemacht, den Mundschutz aus dem Baumarkt aufgesetzt und zu Fuß zum nächsten Rossmann gegangen. A) Bewegung, B) ich brauchte WIRKLICH Klopapier.

Der erste junge Mann – nennen wir ihn doch „Arschloch“ –, der mir auf dem Gehweg begegnete, hustete dann auch ernsthaft bewusst mit offenem Mund in meine Richtung. Ich zückte den Mittelfinger, den ich sonst immer gerne Autofahrenden hinterhergestreckt hatte, die mir auf dem Fahrrad die Vorfahrt genommen hatten, aber mehr konnte ich nicht machen. Außer mich den ganzen Tag innerlich darüber aufzuregen und jetzt darüber zu bloggen und mich nochmal aufzuregen, DU ARSCHLOCH! Danke, dass das alles wegen Pennern wie dir noch länger dauert als es eh schon dauern wird. (Lange. Link via alle gestern auf Twitter.)

Ansonsten sah ich noch ein paar wenige weitere Masken und ebenso einige wenige Tücher oder Schals, die Leute vor Mund und Nase gebunden hatten auf meinem Weg. Beim Rossmann war alles sehr leer, es gab Klopapier und ich ging wieder halbwegs entspannt nach Hause.

Den Rest des Tages verbrachte ich damit, den Alles-gesagt-Podcast der ZEIT zu hören, genauer gesagt, irrwitzige fünfeinhalb Stunden, in denen ich mir von Igor Levit was erzählen ließ. Zwischendrin kochte ich Late Lunch (Kartoffelpüree, Röstzwiebeln, ein paar Rostbratwürstchen) und Tee (muss heute Grünpack nachkaufen OMG), daddelte während der Aufnahme ein bisschen Candy Crush, weil man da diese Woche ohne Zeitbegrenzung daddeln kann, lag aber ansonsten nur auf dem Sofa rum und hörte zu. Das war sehr schön.

Ich fand die Stellen besonders interessant, wo man ein bisschen hinter die Kulissen gucken konnte. Also: Ist der Mann nervös, bevor er auf die Bühne geht? Liest er Kritiken? Was passiert, wenn er die Noten vergisst? Und generell: Was bedeutet Musik für ihn? Ich muss mich gerade sehr zusammenreißen, um nicht komplett zum Lauschgroupie zu werden.

Und dann schickte der andere Schnuffi auch noch seinen Newsletter rum, was mich eigentlich auch immer freut. Da hat Herr Radnor allerdings schon bessere abgeliefert. Ich schieb’s auf die Pandemie, dass da gestern eher Allgemeinplätze und eben keine persönlichen Einsichten wie bei Levit rumkamen.

F. postete ein paar Fotos von sich auf Instagram und ich behaupte ja, dass er das nur macht, damit ich mich nicht so alleine fühle. Per DM habe ich noch einen Nachschlag bekommen. Das war auch schön. Noch schöner wäre es, ihn mal wieder anfassen zu können, ich war gestern doch ein bisschen mürbe von den fehlenden körperlichen Zuneigungsbezeugungen. Vielleicht wollt ihr bei der Frage von @ruhepuls anlegen, ihr Menschen, die auch nicht mit euren Partner*innen zusammenlebt? Wie macht ihr das?

Zum Thema „Witze, die man vor zwei Wochen noch nicht kapiert hätte.“

Von den Symphonic Minutes von Ernst von Dohnányi hatte Gabriel das Rondo in unsere Klassikliste geworfen, und gestern hörte ich zum ersten Mal das ganze kleine viertelstündige Werk. Gefällt sehr.

Abends, als Podcast und Klassik verklungen war, wurde ich dann doch wieder ängstlich und verzagt, wo ich das über fünfeinhalb Stunden gut hatte ignorieren können. Das oben verlinkte YouTube-Video macht deutlich, dass wir uns noch auf Monate dieses Ausnahmezustands einstellen müssen. So irgendwie war mir das auch klar, aber ich hatte noch nie bewusst darüber nachgedacht, sondern mich lieber mit vagen Hoffnungen über Wasser gehalten, klar, Mama, im Juni kommen wir zu deinem Geburtstag, logisch geb ich im Oktober meine Diss ab.

Gestern abend wagte es mein Kopf aber mal, pessimistischer zu denken. Ich hatte in diesem Jahr drei mögliche Abgabetermine für die Dissertation. Der März war von vornherein nicht zu schaffen, also peilte ich den Oktober an. In den letzten Wochen vor den Ausgangsbeschränkungen kam ich aber sehr gut voran, vor allem mit den zentralen Kapiteln meiner Diss, so dass ich gaaaanz vorsichtig an den Juni dachte, für den ich eventuell auch schon fertig sein könnte. Das schlug ich mir in den vergangenen Wochen brav aus dem Kopf und konzentrierte mich dann einfach auf Oktober. Oktober ist nicht so nah dran am Jetzt und nicht so weit weg vom Später, das geht, bis dahin wird ja wohl irgendwas wieder geöffnet sein, wo ich lesen und arbeiten kann. Aber gestern gestand ich meinem Kopf zu, von schlimmeren Verläufen der Pandemie auszugehen und von zu vielen Arschlöchern, die lustig in der Gegend rumhusten. Das machte mich sehr mutlos und traurig.

Ich habe durch die Jobflaute der letzten Monate (weswegen ich mich auch nicht glaubhaft um staatliche Unterstützung bemühen kann) eh sehr wenig anderes zu tun gehabt als die Diss. Und die bröselt auch so langsam vor mir weg, selbst wenn ich mich noch ein paar Wochen an Korrekturen aufhalten kann. Aber was mache ich dann? Was passiert, wenn das Semester einfach so rum ist, was mein letztes wäre? Wie verlängere ich das, wo ich nirgends hin kann? Wie lange schaffe ich es, sinnlos Serien zu bingen, ohne irre zu werden, weil ich schlicht nichts habe, was mein Kopf sonst machen könnte? (Kommt mir jetzt nicht mit Sprachen lernen.) Wo kriege ich auf einmal virtuell Jobs her, für die es schon nicht virtuell schwierig genug für mich wird, an sie ranzukommen, wenn sie irgendwann mal wieder da sind?

Tagebuch Mittwoch, 1. April 2020 – Zurücktreten, bitte

Eher mies in den Tag gekommen. Ich träume seit einigen Nächten sehr viel und sehr wild und in der Nacht zu gestern dann auch zum ersten Mal von Krankenstationen, die in Tiefgaragen eingerichtet wurden, während draußen fußballgroße quietschbunte Viren auf Menschenjagd gehen. Davon wachte ich gegen 5.30 Uhr auf, daddelte eine Stunde am Handy herum, schaltete dann den eigentlich um 7 Uhr klingelnden Wecker aus und schlief bis 8 durch, denn wenn gerade irgendwas egal ist, dann ist es mein Wecker.

Trotzdem merkte ich wieder, dass ich um 7 Uhr aufstehen muss, um das Gefühl zu haben, der Tag sei noch nicht halb rum, denn so fühlt es sich um 8 blödsinnigerweise für mich an. Also blieb ich zum Frühstück gleich auf dem Sofa, weil der Tag ja schon halb rum war, versank in meiner derzeitigen Sinnlosbeschäftigung, alle 18 Staffeln von Project Runway nachzuholen und blieb bis Mittag hirntot vor dem Laptop (meine Abspielstation für Serien). In mir kroch auch etwas hoch, was sich wie eine Erkältung anfühlte, ich schniefte ein wenig vor mich hin, war matschig und kopfschmerzig und behauptete auch, erhöhte Temperatur zu fühlen, aber mein Thermometer beruhigte mich wieder. Für eine kurze Zeit dachte ich aber, na supi, seit Wochen von allen Leuten ferngehalten und trotzdem ne Erkältung abgekriegt. Im Laufe des Tages ging es mir aber besser und ich setzte mich vernünftig angezogen an den Schreibtisch.

Dort werkelte ich weiterhin am Jahr 1935 herum und ich bin immer noch nicht damit fertig. Erstens war ich sehr davon überrascht, was ich alles geschrieben hatte; gerade im Berliner Bundesarchiv hatte ich einiges gefunden und besinnungslos in die Fußnoten gekloppt, und das hatte ich alles schon wieder vergessen. Und zweitens fielen mir beim Korrekturlesen noch ein paar Dinge auf und ein, die ich auch noch notieren konnte.

Das ist dann auch das bisher einzig Gute an der Ausgangsbeschränkung: Ich bin gezwungen, einen Schritt zurückzugehen und von außen neu auf meine Diss zu gucken. Bisher rannte ich atemlos von Bibliothek zu Archiv und zurück und ballerte immer mehr Stoff in den Text, aber jetzt habe ich Zeit, durchzuatmen und mich verdammt nochmal mit dem zu beschäftigen, was schon alles da ist, anstatt noch mehr anzulegen. Das tut dem Text sehr gut – und mir ehrlich gesagt auch. Auch wenn es gestern nur drei oder vier Stunden waren, die ich an der Diss gesessen habe, so habe ich doch ein gutes Zwischenfazit ziehen und noch einige Erkenntnisse gewinnen können, die mir jetzt erst möglich waren – eben weil ich die Zeit und die Ruhe hatte, im Schritttempo durch den Text zu gehen und komplette Kapitel zu lesen, anstatt nur den Absatz, den ich gerade mit Archivdetails anfüttere.

Nichts gekocht, nichts gebacken, nur Brot mit Zeug drauf gegessen und Schokolade und zwei Liter Tee getrunken. Nichts gelesen, keine Musik gehört, außer am eigenen Text an nichts anderem schlauer geworden, keine Selbstoptimierung betrieben. Sobald ich merkte, bei der Diss nicht mehr konzentriert zu sein, speicherte ich alles in fünffacher Ausführung und ging wieder aufs Sofa, wo meine Bettdecke noch von vormittags auf mich wartete. Abends noch ein bisschen mit F. per Facetime gesprochen und deutlich besser gelaunt als morgens ins Bett gegangen.

Tagebuch Dienstag, 31. März 2020 – Schaddoneh statt Semesterticket

Eigentlich hätte ich gestern mein neues – letztes, wimmer – Semesterticket gekauft. Eigentlich wäre ich zur Uni gefahren und hätte meine LMU-Card fürs nächste – letzte, wimmer – Semester aktualisiert. Eigentlich wäre ich vermutlich in irgendeinem Archiv ohne Mundschutz gewesen, zu dem ich gut gelaunt geradelt wäre, aber ach.

Ich weiß gar nicht, ob ich das Semesterticket überhaupt brauchen werde. Vor Ende April, vermutlich eher Ende Mai wird hier vermutlich nichts gehen, und im Sommer fahre ich eh dauernd Fahrrad. Ich hatte mir zwar vorgenommen, nach acht Jahren Uni endlich mal für lau zum Tegernsee zu gondeln, wenn ich das schon darf, aber ihr wisst ja. Dass meine LMU-Card nicht aktuell ist, ist auch irgendwie wurst, denn im Moment muss ich sie ja nicht in Bibliotheken zum Ausleihen verwenden. Die Termine bleiben trotzdem im Kalender stehen, weil es das letzte Mal ist, dass ich es erledigt hätte. (Und jetzt heule ich ein bisschen beim Tippen. Gleich mal für das nächste Orchideenfach immatrikulieren.)

Statt draußen rumzulaufen, saß ich also wieder brav am Schreibtisch, lauschte der Bibliothek in Oxford und kämpfte mich durch meinen eigenen Text über die Jahre 1934 und 1935. Das hatte ich vorgestern zunächst falsch im Blogeintrag notiert und im Laufe des Tages korrigiert – ich war mit 1934 noch nicht fertig, das erledigte ich vormittags, und nachmittags kam dann 1935. Damit wurde ich aber auch wieder nicht fertig, weil da auch der Brocken am Ende des Jahres kommt. Meine Güte, habe ich viel geschrieben.

Late Lunch: Spätzle aus der Tüte, Röstzwiebeln frisch aus der Pfanne und ein paar Schinken- und Käserestchen, die noch wegmussten. Immer wenn ich Zwiebeln für dieses Gericht schneide, denke ich „viel zu viele Zwiebeln“, und immer, wenn ich sie dann goldbraun in die Auflaufform fülle, denke ich „viel zu wenig Zwiebeln“.

Abends dann, total aufregend, mein erster Google Hangout und zwar mit den beiden Hamburger Damen. Meine komplette Twitter-Timeline scheint nur noch in virtuellen Konferenzschaltungen rumzuhängen, wobei ich nie mitreden konnte und alle Memes nicht verstanden habe, aber jetzt bin ich im Thema! Unser Hangout war allerdings kein Arbeitstermin, sondern Weinchentrinken und Witzemachen und das tat sehr gut. Memo to me: nächstes Mal ruhig eine ganze Flasche Wein an den Rechner stellen und nicht nur die restliche halbe, die seit einer Woche im Kühlschrank rumstand.

Auch im Hangout gab es gute Tipps, wie mit Corona umzugehen sei. Einfach auf alte Hamburger hören, die über Grippe reden. Vor allem auf die Dame am Schluss.

Mich nachts vom RIAS Kammerchor in den Schlaf singen lassen.

This Is Not the Apocalypse You Were Looking For

Laurie Penny mäandert sehr lesenswert um das Thema Ende der Welt vs. Ende des Kapitalismus herum und warum ersteres für viele eher vorstellbar ist.

„Covid-19 changed everything. Suddenly, the immense and frightening upheaval, the cataclysm that means nothing can go back to normal, is here, and it’s so different from what we imagined. I was expecting Half-Life. I was expecting World War Z. I’ve been dressing like I’m in The Matrix since 2003. I was not expecting to be facing this sort of thing in snuggly socks and a dressing gown, thousands of miles from home, trying not to panic and craving a proper cup of tea. This apocalypse is less Danny Boyle and more Douglas Adams. […]

Pop culture catastrophism didn’t prepare us for this. “Look, this isn’t a movie,” as one furious Italian mayor, broadcasting from his front room, put it last week. “You are not Will Smith in I Am Legend.” For one thing, it’s so relentlessly social. Most of our collective postapocalyptic visions have in common the fantasy of the world becoming smaller. Our heroes—usually white, straight men with traditional nuclear families to protect—are cut off from the rest of the world; the daydream is of finally shaking off the chains of civilization and becoming the valiant protector and/or tribal warrior they were made to be. And part of that catastrophe fantasy is relief—marauding biker gangs in bondage gear might want to murder you for half a tank of diesel and a sandwich, but at least you don’t have to worry about your credit history anymore. Or your college debt. Or your neighbors.

Instead, the world feels larger, not smaller. Right now, with over a third of the world on some sort of lockdown, with the entire world going through some version of the same crisis at once, we are suddenly frantic to touch one another. It seems more important to reconnect with friends. It seems more important than ever to be sweet and silly. We all know someone who’s stuck in a house by themselves, trying not to go bonkers. We all know someone who’s stuck in a house with someone awful, trying to survive the hotboxing of an already toxic relationship. And many of us, by now, know someone who’s sick.“

(via Vorspeisenplatte)

Tagebuch Montag, 30. März 2020 – Konzentriert in Oxford

Am Wochenende warf mir schon jemand einen Stream in die Twitter-Replys, den ich zwar wahrnahm, aber nicht anklickte. Das erledigte ich erst gestern, als ich ihn noch einmal als Reply hatte, weil ich mich dann doch darüber gefreut habe, dass Leute wissen, was mir gerade fehlt: das Gefühl, in einer Bibliothek zu sitzen. Der Stream ist, unglaublicherweise, eine Tonaufnahme der Bodleian-Bibliothek in Oxford. Man kann zwischen vier Lesesälen wählen, deren Geräuschen man dann gefühlt stundenlang zuhört. Ich bin mir sicher, dass sich dieser eine Huster und dieser andere Handyton da irgendwann wiederholt haben, aber es war mir egal. Ich klickte den Stream morgens an, als ich die Diss geöffnet hatte und saß dann in einem eher halligen Riesenraum oder einem gedämpfteren kleineren Saal und hörte diesen Orten gnadenlos bis zum Feierabend zu. Das transportierte mich so dermaßen in den Flow, dass ich sogar Igor und sein Hauskonzert vergessen habe.

Anfangs verglich ich noch mit den Geräuschen, die ich in meinem liebsten Lesesaal im ZI so höre: allen voran die sich öffnende und schließende Fahrstuhltür, denn aus diesem Lesesaal kommt man in die anderen vier Stockwerke voller Bücher. Der Saal hat zwei Ausgänge, beide mit recht schweren Türen, das hört man auch, dass die nicht ganz gleichmäßig und federleicht aufgehen. Manchmal klappen die zwei weiteren Türen, die zu den Wendeltreppen in den fünften Stock führen, dessen eine Wand sich in den Lesesaal im vierten Stock öffnet, in dem ich so gerne sitze. Da hört man ab und zu Menschen langsam vor den Regalen umhergehen, teilweise einmal um den ganzen Lesesaal herum, bis sie ihr Buch gefunden haben, so wie ich immer, ich weiß da oben nie, wo was ist. Manchmal zieht jemand mit einem leise scharrenden Geräusch die Tritthocker ans Regal, um ans obere Brett zu gelangen. Man hört ab und zu die Starttöne von Macs und PCs, und man hört die fiesen Tastaturen der stationären Rechner, mit denen man auf die arschteuren kunsthistorischen Datenbanken zugreifen kann, für die das ZI eine Lizenz hat. Wenn jemand mittig durch den Lesesaal geht, klingt das anders als wenn er oder sie außen an den Tischen vorbeigeht, denn in der Mitte liegt Teppich, der ein bisschen wie Sisal knirscht. Auf dem Holzfußboden hört man die Schritte nur, wenn jemand Sneaker trägt, weil die gerne quietschen. (Erneut: ich.) Ab und zu fällt vorne an der Tür zum Ausgang ein Buch in den Regalen um, in die man die gelesenen Werke ablegen soll; das ist gerne ein besonders dicker und unhandlicher Ausstellungskatalog, der so richtig Krach macht, wenn er umfällt. Eins meiner liebsten Geräusche ist das zwanzigfache Sisaltrapsen der Erstsemester, die eine Bibliotheksführung kriegen und meist stumm im Gänsemarsch jemandem hinterhereilen. Man hört selten ein Stühleschieben, weil alle stundenlang bleiben, und eigentlich nie das Anknipsen der Leselampen, denn die verfügen über einen herrlich filigranen Drahtbügel, den man quasi nur anhauchen muss, bis das Licht angeht.

*seufz*

Sobald ich wieder ins ZI komme, werde ich mein iPhone einfach eine Stunde lang Atmo aufnehmen lassen, man weiß ja nie. Aber bis dahin habe ich jetzt einen guten Ersatz gefunden. Danke an die Hinweisgeberinnen, ich hatte gestern wirklich einen hervorragenden Arbeitstag. Ich fand es sehr lustig, dass mein Gehirn sich anscheinend in den letzten acht Jahren antrainiert hat, bei Bibliotheksgeräuschen einfach konzentriert vor sich hinzudenken. Guter Klumpen.

Mein Tagwerk bestand im Korrekturlesen der Jahre 1929 bis 1934. Das habe ich fast geschafft, 1934 endet in meinem Dokument mit einem recht dicken Textbrocken, den habe ich mir für heute aufgehoben.

Und weil ich in einer Bibliothek saß und nicht zuhause beim Werbetexten, habe ich nicht um 12.30 Mittag gemacht wie im Agenturtakt, sondern wie sonst im ZI: erst dann, als mein Magenknurren lauter war als die Umgebungsgeräusche. Das war, glaube ich, so gegen 15 Uhr, als ich eine Runde Champignons in Mehl, Eier und Panko warf und sie frittierte. Reis dazu, fertig.

Der wurde nach dem Foto noch in hässlichem, aber sehr wohlschmeckendem Ketjap Manis ertränkt. Aber eben erst nach dem Foto.

Astrophysicist gets magnets stuck up nose while inventing coronavirus device

Den Artikel schickte mir F. morgens und ich habe fast meinen Tee über den Rechern gespuckt vor Lachen. Mein Lieblingssatz: “At this point I ran out of magnets.”

„“I had a part that detects magnetic fields. I thought that if I built a circuit that could detect the magnetic field, and we wore magnets on our wrists, then it could set off an alarm if you brought it too close to your face. A bit of boredom in isolation made me think of that.”

However, the academic realised the electronic part he had did the opposite – and would only complete a circuit when there was no magnetic field present.

“I accidentally invented a necklace that buzzes continuously unless you move your hand close to your face,” he said.

“After scrapping that idea, I was still a bit bored, playing with the magnets. It’s the same logic as clipping pegs to your ears – I clipped them to my earlobes and then clipped them to my nostril and things went downhill pretty quickly when I clipped the magnets to my other nostril.”

Reardon said he placed two magnets inside his nostrils, and two on the outside. When he removed the magnets from the outside of his nose, the two inside stuck together. Unfortunately, the researcher then attempted to use his remaining magnets to remove them.“

Und wenn man in kunsthistorischen Datenbanken rumhängt, findet man ja immer was. Hier also noch eine Diss zum Irgendwannlesen: Bierpaläste. Zur Geschichte eines Bautyps.

Tagebuch Sonntag, 29. März 2020 –
„Der Osten“

„Die Stadt kriecht von allen Seiten heran. Im Haus ist es still und kühl wie früher, aber aus der Ferne nähert sich schon der Lärm. Auch sie hört ihn. Durch die Mauern, durch die Reste der Wäldchen, durch die Luft. Sie sucht die früheren, vereinzelten Geräusche, die sie noch in Erinnerung hat. Jedes deutete damals auf etwas Bekanntes hin. Die heutigen bedeuten nichts mehr. Deshalb schaltet sie gleich nach dem Aufwachen ihre Radios an. Eines hat sie am Bett, das zweite in der Küche. Radio Maria, Radio Joseph, Radio Alle Heiligen. Sie steht auf und trippelt zwischen ihren Sendern hin und her. Das ist besser als der nicht zu benennende Lärm der Welt. Auch zivile Programme hört sie. Ich komme zu Besuch, und sie sagt mir, wo was über mich gesendet wurde. Manchmal habe ich den Eindruck, sie hört alles. Sie erzählt mir, was die Linken sagen, was die Rechten. Darüber will ich nicht reden, und sie macht ein enttäuschtes Gesicht. Ich sage: Mama, bitte. Aber sie hat ein gutes Herz und lässt diese zwielichten Gestalten ins Haus. Einen Zigeuner würde sie nicht hereinlassen, einen Asiaten auch nicht, aber die lässt sie. Immer wenn sie davon anfängt, sage ich: Mama, bitte. Ich möchte, dass sie von früher erzählt. Mit der Gegenwart werde ich alleine fertig. […] Mama, du bist eine kluge Frau, erlaube deinem Sohn bitte, dorthin zu reisen, wo sein Instinkt und sein Herz ihn hinführen. Seine Welt hat keine Himmelsrichtungen. Weißt du noch, als ich sechs Jahre alt war, ging ich aufs Geratewohl aus dem Haus, ich irrte durch die Sümpfe und kam schmutzig und glücklich zurück. Überlass die Himmelsrichtungen den Zicken von den Zeitungen. Sie müssen in der Tyrannei der Himmelsrichtungen leben. In der Angst vor dem Osten und im Verlangen nach dem Westen. Sie wissen nur, was sie irgendwo gelesen haben, Mama, oder was ihnen jemand gesagt hat. Ich bin nur selten hier, und du kommst mir mit dem Westen. Der westlichste Ort, an dem du je gewesen bist, ist Płoty in Westpommern, weil ich dort im Gefängnis saß. Hast du nicht genug von diesem Westen? Bei deinem Besuch hast du selbst gesagt, dass alle Wächter wie Gestapomänner aussehen. Du hast gewusst, was du sagst. Aber ich möchte dich daran erinnern, dass die Gestapo aus dem Westen zu uns kam und deine Mutter, meine Großmutter, erschießen wollte, an der Holzwand des Hauses. Nur hat sie es sich gnädigerweise anders überlegt und die P38 aus unerfindlichen Gründen wieder weggesteckt. Aus dem Osten dagegen kamen russische Soldaten in gestreiften Unterhemden über den Bug und haben mit deinem Vater, meinem Großvater, Geschäfte gemacht, mit Zucker und Selbstgebranntem, und bei der Gelegenheit Hühner geklaut. So unterhalten wir uns, wenn ich wieder einmal unterwegs dort vorbeikomme, wenn ich umsteige, kurz Halt mache auf der Durchreise und ihr zuschaue, wie sie am Herd rumtrippelt, bei ihren Töpfen und Pfannen, in denen sie seit Jahren das Gleiche brutzelt; es genügt, dass ich einen Bissen schmecke und schon bin ich um Jahrzehnte zurückversetzt, versinke in der Erinnerung, kehre zu den Anfängen zurück, kehre in den Osten zurück, obwohl ich ihn nie verlassen habe, denn nur Dummköpfe können glauben, das wahre Leben sei anderswo.“

Andrzej Stasiuk (Renate Schmidgall, Übers.), Der Osten, Berlin 2016,
S. 53/54.

Ansonsten zwei Filme mit dem derzeitigen Schnucki des Tages geguckt (einer fürchterlich, der andere so naja), nichts an der Diss gemacht (war schließlich Sonntag), für Dienstag zu einem weinseligen Hangout mit den Hamburger Damen verabredet (yay!) und ein bisschen scharfen Tofu nach Ottolenghi zubereitet, der gerne eher miese Tage rettet.

Tat er dann auch.

F. schrieb, dass er sein Bücherregal gerade neu ordnete und ich war spontan erneut verknallt.

Abends beim Abtippen des obenstehenden Textes ein bisschen den Parsifal der Bayerischen Staatsoper laufen lassen, der seit vorgestern und noch bis zum 11. April abrufbar ist. Ich mag Jonas Kaufmann zwar nicht so wirklich in Wagner-Rollen, aber ich fand Inszenierung und Bühnenbild überraschend gut, als ich die Aufführung vor fast genau einem Jahr live sehen durfte (mit einem Ersatz-Parsifal). Missing Petrenko. Missing generell alle Konzerte und Kneipen und alles, was einem so normal und selbstverständlich vorkam. Ich kann mir noch gar nicht vorstellen, wie gut das erste Bier in der Stammkneipe um die Ecke wieder schmecken und wie irre der erste Stadionbesuch „danach“ sein wird.

Zum Tagesabschluss vor dem eigenen Sauerteigansatz zum Affen gemacht. Als ich zur Nacht die Küche aufräumte und Zeug in den Kühlschrank stellte, ging der Blick, wie seit einigen Tagen automatisch, zum Glas mit dem Sauerteig, der gestern wirklich ganz hervorragend aussah. Mir entfleuchte ein verliebtes „Ooooh, was hast du heute für tolle Blasen!“, bis mir klar wurde, dass ich mich jetzt nie wieder am Kühlschrank sehen lassen kann. Was soll bloß die Butter von mir denken.

Tagebuch Samstag, 28. März 2020 – Huch, schon so spät?

Klassischer Samstag ohne Bundesligaverpflichtung: komplett auf dem Sofa vergammelt, als wenn draußen nicht Pandemie wäre. Das hat sich ganz nett normal angefühlt, aber als es dunkel wurde, fragte ich mich schon, wie zur Hölle ich gerade so viel Zeit mit Nichtstun hatte verschwenden können. Bis mir einfiel, dass ich gerade eh kaum was anderes mache.

Nichtstun = kochen, Serien gucken, am Handy rumdaddeln, Twitter lesen, mehrfach Tee aufsetzen, ab und zu backen. Gestern nicht. Und es gab nur Salat und Kinderriegel, aber immerhin Kekse zum Frühstück.

Zum ersten Mal Fußball vermisst. Also nicht TV-Fußball, davon gibt’s sogar ein bisschen was, meine Timeline reicht gerne TV-Tipps rum für Re-Live-Fußballspiele, aber die will ich nicht gucken. Ich weiß ja, wie’s ausgeht, und, wie ich interessiert festgestellt habe, das ist dann doch mein Hauptgrund, mich mit dem Kram zu beschäftigen. Klar kann ich die Schönheit des Spiels würdigen, tolle Tore, schicke Spielzüge, jaja, aber nach Abpfiff ist mir dann doch der ganze Zirkus recht egal. Ich habe auch noch nie einen Fußballpodcast komplett durchgehört, selbst den nicht, bei dem F. ab und zu mitmacht.

Gestern wäre ich aber gerne mal wieder im Zirkus gewesen, schön bei 15 Grad nach Augsburg zuckeln, zum Stadion spazieren, eine gute Wurst essen, mir von F. in der Pause ein Getränk ausgeben lassen – „Ich geh aufs Klo, brauchst du was?“ – „Eigentlich nicht, aber wenn du an einer Apfelschorle vorbeikommst …?“ –, danach gemeinsam über das Spiel und den vollen Zug zurück nach München aufregen, im guten Fall einen Sieg genießen und dann auch eindeutig ungenervter zwischen lauter Menschen stehen, zuhause aufs Sofa fallen und ziemlich schnell einschlafen, denn Apfelschorle und Aufregen ist echt anstrengend. Das hat mir doch gefehlt. Okay, Sofa hatte ich, yay, slow clap.

Auf Twitter fragte Hedwig Richter nach dem Roman zum Kaiserreich. Ungefähr 30 Mal wurde Heinrich Manns „Der Untertan“ genannt, ach was, Kinder, lest euch doch die Antworten durch, die schon dastehen, es waren keine 300. Fontane wurde natürlich auch mit diversen Werken aufgeführt, logisch. Ich komme mit dem Mann nicht klar. In der Schule waren es „Irrungen, Wirrungen“ und ich kann mich an nichts erinnern. Danach versuchte ich noch „Effi Briest“, mehrfach, und scheiterte mehrfach. Im Thread kam gestern noch „Der Stechlin“, vielleicht geb ich dem noch eine Chance.

Von Gustav Freytag wurde „Soll und Haben“ erwähnt, den habe ich sogar als E-Book da und wollte ihn selbstverständlich lesen, aber auf Zugfahrten zu Fußballspielen war ich meist zu unkonzentriert für bürgerlichen Realismus aus dem 19. Jahrhundert. Sonst habe ich noch nicht reingeguckt. Außerdem auch als E-Book vorhanden: Fanny zu Reventlows „Herrn Dames Aufzeichnungen oder Begebenheiten aus einem merkwürdigen Stadtteil“. Noch nicht mal angefangen, wollte ich wegen München-Bezug schon ewig machen. Könnte ich ja jetzt mal. (Oder Sofa.)

Ich erwähnte Hermann Hesses „Unterm Rad“, ist aber schon ewig her, dass ich das in der Schule lesen musste. Vielleicht wäre „Mädchen in Uniform“ von Christa Winsloe, das auch genannt wurde und mir bisher nur als Romy-Schneider-Film ein Begriff war, eine gute Ergänzung. Über Winsloe wurde auch eine Biografie empfohlen, die klingt auch gut. Ebenfalls empfohlen, wenn auch eher retrospektiv: „Effingers“ von Gabriele Tergit, das 2019 neu aufgelegt wurde.

Ich habe mir den „Radetzkymarsch“ von Joseph Roth mal wieder nach oben auf den Bücherstapel gelegt, erstmal bin ich seit vorgestern mit „Der Osten“ von Andrzej Stasiuk beschäftigt, der sehr wahrscheinlich so gar nichts mit dem deutschen Kaiserreich zu tun hat. Höchstens mit den historischen Nachwirkungen wie die deutsche Teilung.

Für alle weiteren Tipps guckt ihr bitte selbst den Thread durch. Mann einfach immer überspringen.

Interessiert las ich auch den Tweet von Manuel, der sich über die Abfilmungen von Theaterstücken bzw. deren Qualität beklagte. Das ist mir leider auch bei den beiden Streams aus den Kammerspielen aufgefallen, die ich euch hier im Blog ans Herz gelegt hatte; man merkt ihnen leider an, dass sie für interne Zwecke gemacht wurden. Mich haben unvermittelte Schnitte und Schwenks auf unbeteiligt Rumstehende irritiert, die für die interne Arbeit vermutlich sinnvoll waren, für mich als unbedarfte Zuschauerin aber eher gar nicht. Der Ton ist auch meist eher mau, aber das hätte ich noch mitgenommen. Ich persönlich könnte hervorragend mit einer statischen Kamera im Zuschauerraum leben, denn die vermittelt mir am ehesten ein Theatererlebnis. Genau wie die Stadioncam beim Fuppes, so nebenbei.

Jammern auf hohem Niveau, ich weiß. Toll, dass das Angebot da ist, aber so richtig toll ist es dann eben auch nicht. Dann vielleicht doch lieber ein Buch.

Mein Sauerteigbrot ist immer noch super.

Tagebuch Freitag, 27. März 2020 – 1887 bis 1929

Eindeutig ein besserer Tag als die letzten. Ich glaube, es wurde besser, nachdem ich Mittwoch nacht im Bett diesen Cartoon von Liz Climo gesehen hatte, der ich auf Instagram und Twitter folge.

Ich war Freitag vergangener Woche einkaufen und hatte mir vorgenommen, eine Woche in der Wohnung zu bleiben. Bis auf den kleinen Lagerkollerspaziergang habe ich das auch brav durchgehalten. Nun stand also Einkaufen auf dem Plan. Ich hätte es vermutlich noch ein paar Tage ausgehalten, aber meine Himbeermarmelade ging sehr zur Neige, und ich bin nicht entspannt, wenn ich keine Himbeermarmelade im Haus habe.

Ich setzte mir meine Maske auf und ging in den Edeka nebenan, in dem so gut wie niemand unterwegs war und von denen trug niemand eine Maske. Pfandflaschen abgegeben, als ob es ein normaler Einkauf wäre, Dinge brav auf dem Einkaufszettel abgearbeitet. Keine Hefe, kein Mehl (brauchte ich nicht, fand ich aber interessant, dass es immer noch nicht wieder da war – oder schon wieder weg), keine Flüssigseife bis auf eine arme kleine Sprotzflasche mit schlimmem Duft ganz hinten unten im Regal, wo keiner rankommt. Brauchte ich auch nicht. Ansonsten alles gekriegt, schnell bezahlt – aus Gewohnheit einen Schein gezückt anstatt die Karte, der auch angenommen wurde von der Kassiererin mit Handschuhen – und schnell wieder nach Hause. Ich behaupte, ich atme neuerdings flacher, wenn ich draußen vor der Tür bin, weil ich allmählich und vermutlich sehr übertrieben Angst vor Luft habe, die nicht in meiner eigenen Wohnung ist.

Den Rest des Tages habe ich am Schreibtisch verbracht und das auch endlich mal wieder konzentriert und motiviert. Die Einleitung das dritte Mal Korrektur gelesen und jetzt erstmal für so okay befunden, dass ich sie ein paar Tage in Ruhe lasse. Dann das erste Kapitel korrigiert, das die Jahre 1887 bis 1925 umfasst, also Schul- und Ausbildungszeit meines Malers, Zivilinternierung auf Korsika während des Ersten Weltkriegs, Rückkehr nach Deutschland, Studium an der Akademie in München, Heirat, erste Ausstellungen, erste Verkäufe. Das hatte ich schon einmal Korrektur gelesen, weil es als eines der ersten fertig gewesen war, ich kürzte ein bisschen, war aber sonst zufrieden.

Anschließend begann ich das dritte Kapitel, das die Jahre 1926 bis Ende 1933 umfasst, da bin ich bis Ende 1929 gekommen. Jetzt geht die Karriere des Herrn nämlich allmählich los, es gibt mehr Ausstellungen, über die ich schreiben konnte und das auch getan habe, die Werke werden spannender, das heißt, ich muss die stilistische und motivische Entwicklung nachzeichnen. Auch das Engagement in verschiedenen Münchner Künstlervereinigungen habe ich ganz hübsch aufbereitet, wobei ich mich da auf die zwei größten, die Münchner Künstlergenossenschaft sowie den (Feldgrauen) Künstlerbund konzentrierte. Als ich 1929 abschloss, war es 19.30 Uhr und ich machte Feierabend.

Ich konnte nicht so sehr viel kürzen, weil das alles neu war, was ich in Archiven und Nachlässen ausgebuddelt hatte und ich es daher für sinnvoll halte, es zu veröffentlichen. Meine Zweitprüferin wird mich hassen; sie hatte mir die Richtlinie für ihre Doktorand*innen „220 Seiten plusminus zehn Prozent“ mit auf den Weg gegeben. Wie erwähnt starte ich bei 337, und da sind noch nicht mal alle Archive drin, in ein paar muss ich ja noch, irgendwann.

Ich möchte aber erwähnen, dass mein sogenanntes Reste-Dokument, also das, wo ich schon geschriebene Absätze aufhebe, die ich doch nicht in der Diss haben möchte, bereits 37 Seiten hat. Es ist nicht so, dass ich besinnungslos alles aufschreibe! Es wird aber anscheinend doch schwieriger zu kürzen als ich dachte, denn jetzt kommt ja erst die für meine Forschungsfrage wichtige Zeit.

Aus kleiner Rausschmeißer für diesen Absatz: Ich nutze die Wikipedia gern, um Geburts- und Sterbedaten für die ganzen Maler und sehr wenigen Malerinnen zu notieren, die in meiner Diss auftauchen. Dabei überfliege ich natürlich die Einträge und muss immer wieder feststellen, dass dort sehr gerne die Jahre zwischen 1933 und 1945 fehlen oder irgendwie in einem Halbsatz erwähnt werden, weil schlicht der Forschungsstand fehlt. Damit habe ich eine Aufgabe, wenn die Diss abgegeben ist. Ha!

PS: Wenn die obskuren Herrschaften nicht in der Wiki sind, sind sie meist in der Deutschen Biographie. Manchmal versuche ich noch die Nachlassdatenbank, um sie zu finden, aber die ist eher unerfolgreich. AKL, klar, und natürlich die Suchmaske vom Deutschen Kunstarchiv. Manche finde ich aber schlicht nirgends, was mir immerhin ihren Stellenwert seit 1945 anzeigt.

Mitten in meiner Schreibtischarbeit bekam ich eine WhatsApp meiner Nachbarin, der ein paar Gramm Mehl für eine Bechamel fehlten, ob ich ihr was geben könnte? Einfach vor die Tür stellen. Ich wog das Mehl ab, gab es in ein Glasschälchen und stellte es einen Meter vor meine Wohnung, in die ich mich mit geöffneter Tür zurückzog, während meine Nachbarin todesmutig und mit gebührendem Abstand von mir das Schälchen mit bloßen Händen anfasste. Sie platzierte ein Glas Marmelade als Dankeschön vor meiner Tür, dem ich mich erst näherte, als sie schon die halbe Treppe wieder nach oben gegangen war und das ich nur mit einem Küchentuch aufhob und transportiere und das Tuch kam dann gleich in die Wäsche. Danach wurden die Hände gewaschen. Vermutlich ist das ebenso bescheuert wie Angst vor Luft zu haben, aber ich bin jetzt gerade übervorsichtig. Ich hoffe, wir lachen in einem halben Jahr darüber, wie umständlich wir uns angestellt haben, jetzt wo alle wieder Jobs und Geld haben und geimpft sind und Kranken- und Altenpflegende vernünftig bezahlt werden. (I have a dream.)

Spargel zum Abendessen, die Hollandaise ist mir geronnen, aber Butter tut’s als Sauce ja auch, danach noch zwei Serienfolgen, und dann war ich platt und ging mit Buch ins Bett.

Apropos Buch: Bevor ich mich um 10 Uhr morgens in den Supermarkt getraut hatte, las ich endlich Late in the Day von Tessa Hadley aus, das mir sehr gut gefallen hatte. Es geht grob um zwei Ehepaare in vermutlich meinem Alter und das fand ich sehr schön zu lesen. Recht schlichte Sprache, kein Schnickschnack, genau meins. Von der Dame möchte ich noch mehr lesen. Aber erstmal arbeite ich den Stapel auf Nachttisch und Bibliotheksregal ab, dann erst gibt’s was Neues für das iPad.

Tagebuch Donnerstag, 26. März 2020 – Eichhörnchenmodus

Vom Wecker geweckt worden, aufgestanden, Flat White gemacht yadayadayada, the usual. Aber das ist okay, the usual ist gerade sehr okay, weil kaum noch was usual ist. An den Schreibtisch gesetzt und an der Diss rumkorrigiert. Dabei relativ schnell gemerkt, dass mein Kopf im Eichhörnchenmodus ist: Es liest einen Satz, denkt sich was Schlaues, dann will es auf Twitter rumlungern, dann auf der digitalen Farm, dann muss ich mir dringend Tee kochen, dann lese ich wieder einen Satz, dann höre ich die 5. von Beethoven because why not und plötzlich ist es Mittag und ich habe nichts geschafft. Egal. Mit meinem Eichhörnchen aufs Sofa gegangen und den Tag verdaddelt, weil egal halt. Ich ahne, dass die Bibliotheken am 20. April nicht wieder öffnen und selbst wenn, würde ich mich gerade nicht so recht in sie reintrauen, weil mein Gehirn und ich mitten in der Pandemie wohnen, wenn ich mir die bekannten – bekannten! – Infiziertenfälle in München so anschaue. (Kann man die Tabelle direkt verlinken? Und: Ich hätte doch nach Augsburg ziehen sollen.)

Das war dann auch die einzige Erkenntnis, die ich gestern wirklich hatte: Ich kann gerade Leute verstehen, denen ihr Fitnessstudio fehlt, ihr Buchclub, ihre Skatrunde, der Fußballstammtisch. Wenn ich irgendwas gelernt habe in den letzten Jahren, dann, dass ich den miesen Mittwoch hätte verhindern können, indem ich ins ZI oder in eine Bibliothek fahre. Denn: Wenn ich nicht weiß, wohin mit mir, ist ein Lesesaal immer der Happy Place. Oder das Bällebad, wie ich gerne sage. Und genau da komme ich gerade nicht hin. Wo anderen Leuten vielleicht die Menschen fehlen, die Partymeile oder das Schwimmbad, fehlt mir gerade ein großer Raum mit vielen Büchern, in dem alle die Klappe halten und in dem ich nichts machen kann außer auch die Klappe zu halten und konzentriert zu lesen. Ein Paradies. Und genau das ist mir gerade versperrt, weswegen ich mit Eichhörnchenschädel zuhause sitze und irre werde.

Ein paar Links, damit ich nicht ständig selbst danach googeln muss: Wie bastelt man sich eine Atemschutzmaske, mit der man mal kurz einkaufen gehen kann, aus einem Stück Stoff, zwei Gummis und einem Tacker (Thread). Und ja, ein Stück altes T-Shirt ist besser als nichts.

Am Geschwister-Scholl-Institut der LMU fand gestern die erste Online-Disputatio erfolgreich statt, Glückwunsch. Die Historikerin Karoline Döring schreibt einen Thread über digitale Lehre an Universitäten und ihre Schwierigkeiten. Aus Studierendensicht kann ich gerade den Teil über Eigenmotivation sehr abnicken.

Über 15 Mio. Abrufe: Der gewaltige Erfolg des “Coronavirus Update” mit Professor Christian Drosten. Wie ist der Podcast entstanden, wie wird er heute gemacht? Ich las gestern auf Twitter die Anmerkung, dass es ziemlich blöd ist, dass der Journalismus gerade seinen Job als Informationsvermittler nicht gebacken kriegt bzw. dass man jetzt immer ne halbe Vorlesung anhören muss, um informiert zu sein. Ganz ehrlich: Wenn ich mir das Niveau der durchschnittlichen Tageszeitung oder den hektischen Online-Redaktionen anschaue, wenn es um derart lebenswichtige und sich täglich ändernde Informationen wie in der derzeitigen Pandemie geht, höre ich lieber dem oder der Experten*in selbst zu, wenn er oder sie sich schon die Zeit dafür nimmt.

Mit Niveau meine ich dabei nicht, dass in Redaktionen nur faule Trottel sitzen, aber sehr wahrscheinlich hat kaum jemand von den dort Arbeitenden die Ahnung, die Herr Drosten hat. Ich bin seit Jahren, seit ich mal angefangen habe, über das Feld nachzudenken, von jedem Gesundheitsartikel angepisst, der eine winzige These aus einer winzigen Studie als bahnbrechende Headline verkauft: ROTWEIN HEILT KREBS. KAFFEE GEGEN ÜBERGEWICHT. Ist klar. So funktionieren Überschriften, weiß ich, so funktioniert Journalismus im Kapitalismus, weiß ich, aber gerade jetzt würde ich auf diese Ebene der angeblichen Information verzichten wollen. Case in point: Sein „Stern“-Interview, vom dem sich Drosten per Tweet in Teilen distanzierte.

Aus Spaß mal den Zufallsartikel in der Wikipedia angeklickt (Eichhörnchengehirn halt). Ich habe jetzt einen Namen für meinen Sauerteig im Kühlschrank. Willkommen in der Maxvorstadt, Humberta.

Tagebuch Mittwoch, 25. März 2020 – Dreckstag

Vielleicht hätte ich den Tag nicht damit beginnen sollen, This is Us zu gucken. Oder mir vom Mütterchen am Telefon erzählen lassen, dass sie es gerne mal vergisst, draußen Abstand zu den Leuten zu halten, „das ist halt so drin.“ „MAMA!!!“ Und dann kam noch eine Mail vom hessischen Wirtschaftsarchiv, an das ich eine Frage zu einem Gemäldeverkauf von Protzen gerichtet hatte; auf die Antwort hätte ich auch gerne verzichtet, wieder ne schöne Theorie im Eimer und ein Eintrag im Werkverzeichnis mehr, den ich mir nicht erklären kann.

Da half auch keine Tannhäuser-Ouvertüre. Ich versuche die nächstbeste Strategie – Keksebacken –, aber die Dinger waren auch eher so naja, ich weiß echt nicht, wie ich dieses simple Rezept verkacken konnte, aber hey, Dreckstag halt. Selbst eine schöne selbstgemachte Pizza konnte mich nicht aufheitern, und mal ehrlich, wenn mich NICHT MAL PIZZA AUFHEITERN KANN HERRGOTTNOCHMAL.

Irgendwann ging ich mir selbst auf die Nerven, zog meine Sneakers an, steckte eine Atemschutzmaske ein und ging eine Runde über den Friedhof in meiner Nähe. Die Maske hatte F. mir letzte Woche vorbeigebracht, die hatte er sich mal für Wacken gekauft, um bei sehr trockenem Wetter in der Moshpit nicht an Staub zu ersticken. Hatte er aber nicht gebraucht, jetzt habe ich eine und er hat auch noch eine. Ich werde sie wohl zum Einkaufen morgen gleich ab Haustür aufsetzen, denn ich ahne, dass man sich im Supermarkt nicht so wirklich richtig aus dem Weg gehen kann.

Das ging aber auch auf dem Weg zum Friedhof und auf diesem selbst auch nicht so recht, nur wenige Menschen auf dem Gehweg gingen bewusst einen Schritt nach rechts, wenn ich das tat, damit wir möglichst weit voneinander entfernt aneinander vorbeikamen. Irgendwann ging ich auf der Straße, weil mir das alles zu blöd wurde. Der Friedhof war fest in der Hand von Joggenden und Walkenden, auch da schaffte ich nicht mal eine Runde, ohne dauernd ins Gestrüpp steigen zu müssen, bevor ich ihn wieder verließ. Trotz allem fühlte ich mich besser, als ich wieder nach Hause kam, und merke mir für die nächsten Wochen: lieber radeln statt gehen. Das dürfte jetzt sogar auf der Leopoldstraße funktionieren, yay!

Nach dem Nachhausekommen natürlich als allererstes Hände gewaschen, dann zum ersten Mal in meinem Leben meinen eigenen Schlüsselbund mit Sagrotan besprüht, das garantiert nicht gegen Coronaviren hilft, aber es hat sich angefühlt wie ein bisschen Kontrolle über IRGENDWAS zu haben. Daher bin ich auch immer noch begeistert vom Drosten-Podcast: weil er mir jeden Tag vermittelt, dass geforscht und weitergedacht wird. Mir persönlich hat es zum Beispiel geholfen, mal über die Studie mehr zu erfahren, in der nachgewiesen wurde, dass das Virus auf unbelebten Oberflächen weiter existiert. Zu hören, dass die Konzentration des Virus dramatisch nachlässt, hat meine eigene Panik vor Türklinken und Einkaufswagengriffen deutlich verringert. (Im Skript auf Seite 2 nachzulesen.)

Abends sehr den körperlichen Kontakt zu Menschen vermisst. Okay, eigentlich nur zu einem.

Was den Tag ein bisschen rettete, waren nette Mails, ein sehr überraschender Brief (endlich mal wieder am Briefkasten gewesen) und ein paar Tweets bzw. Insta-Storys, in denen Menschen sich über unsere Klassik-Playlist gefreut haben. Das war schön. Gabriel schreibt übrigens noch eine Runde über Klassik in der Krise beim Krautreporter.

Und mein Sauerteigbrot ist was geworden! Es ist nicht ganz so aufgegangen wie gehofft, aber mein Ansatz war auch noch im Säuglingsstadium; ich habe ein winziges bisschen Hefe zum Teig gegeben. Geschmacklich finde ich es sehr gut. Next step, wenn ich mich wieder traue, Pakete zu empfangen: Roggensauerteig. Roggenmehl habe ich nämlich noch nie im Haus gehabt, das muss ich bestellen oder in irgendeinem Biomarkt finden.

Tagebuch Dienstag, 24. März 2020 – Euphorie und Crash & Burn

Vom Wecker geweckt worden, brav aufgestanden, noch vor dem Kaffee an den Rechner gegangen, um unsere Klassik-Playliste zu finalisieren, an der wir bis Mitternacht gebastelt hatten. Wir, also Manuel, Gabriel und ich, schoben bergeweise Musik, die wir mögen, auf Spotify rum, besprachen den Namen, Manuel sortierte, und gestern vormittag machten wir das Ding dann öffentlich. Bitteschön, elf Stunden Musik: Meine Nerven! Klassik für (und gegen) die Krise.

Ich persönlich freue mich darüber, ein Lied aus dem Weißen Rössl in die Liste gekriegt zu haben sowie diverse zeitgenössische Tracks – sehr viele davon habe ich in den letzten Jahren in München live gehört. Und das war dann auch der kleine Wermutstropfen: Ich finde die Liste toll, aber der Wunsch nach einem Liveerlebnis wird dadurch nicht kleiner, ganz im Gegenteil. Gerade vor lausigen zwei Wochen saß ich noch im Gasteig, durfte Beethoven hören und habe dort mal wieder gemerkt, wie anders das Erlebnis ist, wenn du in einer großen Gruppe in einem dunklen Saal vor einem Orchester sitzt anstatt zuhause alleine vor YouTube.

Gabriel hat übrigens noch weitere Klassik-Playlists, die ich alle abonniert habe und sehr gerne höre, weil sie deutlich weniger mainstreamig sind als unsere gemeinsame. Hier ist sein Spotify-Profil, falls Sie da auch mal reinhören wollen.

Das hat sehr gut getan, an etwas anderes zu denken als das Virus, und es hat ebenfalls gut getan, sich auf Dinge zu konzentrieren, von denen ich weiß, dass sie mir – genau – gut tun. Welche Stücke trösten mich, welche machen mir gute Laune, welche bringen mich in positivem Sinne zum Weinen. Dass mein liebstes Volkslied „In einem kühlen Grunde“ und eine meiner liebsten Operettenmelodien „Reich mir zum Abschied noch einmal die Hände“ vom Titel her gerade einen sehr falschen Eindruck machen, ist mir zu spät aufgefallen. Ich empfinde die Lieder als sehr zärtlich und zugewandt, mal mir selbst, mal einem anderen, daher sind sie jetzt eben auch in der Liste.

Vom Basteln und Online-Stellen sehr positiv gestimmt gewesen, energiegeladen an die Diss gesetzt und die Korrektur von vorgestern korrekturgelesen, was ich halt so mache, jeder Text liest sich nach einer Nacht Rumliegen anders.

Der kompletter Einleitungsteil steht jetzt. Ich habe das Inhaltsverzeichnis begonnen, noch ohne auf Schickizität zu achten. Ja, ich mache das händisch, don’t @ me. Ich mag diese Handarbeit, ich finde Software-Automatismen an meinen Textinhalten doof, ich habe das Gefühl, durch diese Beschäftigung einen gewissen Überblick zu behalten. Ich tippe auch brav jeden einzelnen Literaturtitel ins Verzeichnis anstatt mit einer Literaturverwaltung zu arbeiten. Die haben sich mir nie erschlossen, mehrfach versucht. Still: Don’t @ me. Ich bin fast fertig mit meinem akademischen Schreiben, ich fang jetzt nix Neues mehr an. Oma Gröner over and out.

Haha, gerade beim Bloggen gemerkt, dass ich das Inhaltsverzeichnis doch nochmal ändern werde. Immer gut, Dinge in einem anderen Medium zu sehen. Aus 2 wird 2.1 und das ganze Kapitel kriegt den Titel „Die Reichsautobahnen“.

Gegen 14.30 Uhr gedacht, dass ich mal Mittag machen könnte. Das wurde dann eine schnöde Tiefkühlpackung Fischfilet Bordelaise, die’s mal im Angebot gegeben hatte. Zwei Folgen Masterchef UK nachgeguckt, ein bisschen traurig geworden, weil ich nicht gleich rausrennen und Gemüse kaufen konnte. Irgendwann eingenickt. Auch nach dem Schläfchen traurig gewesen und zum ersten Mal seit der selbstgewählten Fast-Quarantäne ein bisschen in meinen Teddy geheult. Danach natürlich peinlich berührt gewesen, in Stofftiere weinen zu müssen, aber andererseits verhandeln wir gefühlt gerade sehr viel neu. Vielleicht ist das demnächst wieder en vogue, seine Gefühle an Teddybären weitergeben zu dürfen, weil gerade niemand anders da ist. Ihr habt Kinder und Katzen, ich habe Teddy.

Daraufhin habe ich mir die Traurigkeit gegönnt, hey, wir haben Pandemie, da darf man auch mal unproduktiv sein. Aber selbst diesen Satz musste ich mehrfach vor mir selbst rechtfertigen, verdammte protestantische Arbeitsethik. Ich hatte abends nicht mal Lust, Igor zuzuhören. Kurz in Manuels Mozartarbeit von 2017 reingeguckt, aber Mozart-Opern werden bei mir anscheinend nie funktionieren. Keine 20 Minuten durchgehalten.

Dann die brillante Idee gehabt, unsere eigene Playlist anzuklicken, und meine Damen und Herren, ich weiß schon, warum ich die Tannhäuser-Overtüre reingenommen habe. Etwas bessere Laune bekommen.

Abends mit F. per Facetime gesprochen. Das hat auch gut getan. Wir haben festgestellt, dass man sich dann doch an die seltsamen Umstände gewöhnt. Letzte Woche hatte ich ernsthaft Entzugserscheinungen nach meinen geliebten Lesesälen, diese Woche kann ich damit schon resigniert umgehen, ist dann jetzt so, machste halt vorerst mit dem weiter, was dein Bücherregal und das Internet hergeben.

Zu diesem seltsamen Achterbahngefühl noch einen Artikel im Bett gelesen, den ich sehr nachvollziehbar fand: That Discomfort You’re Feeling Is Grief.

Das Gespräch der Harvard Business Review mit David Kessler bringt ganz gut auf den Punkt, was wir eventuell alle fühlen: Wir durchschreiten gerade die fünf Stufen der Trauer Ungläubigkeit, Wut, Verhandeln, Traurigkeit und Akzeptanz. Kessler plädiert für eine sechste: Bedeutung. Was bedeutet das alles, wie verändert sich die Welt gerade, was kann ich persönlich dafür tun, dass Dinge danach besser sind?

„What do you say to someone who’s read all this and is still feeling overwhelmed with grief?

Keep trying. There is something powerful about naming this as grief. It helps us feel what’s inside of us. So many have told me in the past week, “I’m telling my coworkers I’m having a hard time,” or “I cried last night.” When you name it, you feel it and it moves through you. Emotions need motion. It’s important we acknowledge what we go through. One unfortunate byproduct of the self-help movement is we’re the first generation to have feelings about our feelings. We tell ourselves things like, I feel sad, but I shouldn’t feel that; other people have it worse. We can — we should — stop at the first feeling. I feel sad. Let me go for five minutes to feel sad. Your work is to feel your sadness and fear and anger whether or not someone else is feeling something. Fighting it doesn’t help because your body is producing the feeling. If we allow the feelings to happen, they’ll happen in an orderly way, and it empowers us. Then we’re not victims.

In an orderly way?

Yes. Sometimes we try not to feel what we’re feeling because we have this image of a “gang of feelings.” If I feel sad and let that in, it’ll never go away. The gang of bad feelings will overrun me. The truth is a feeling moves through us. We feel it and it goes and then we go to the next feeling. There’s no gang out to get us. It’s absurd to think we shouldn’t feel grief right now. Let yourself feel the grief and keep going.“

Abends den morgens gefütterten Ansatz aus dem Kühlschrank geholt, mich über den frischen Geruch gefreut und einen Sauerteig gebastelt, mit dem ich heute backen möchte. Vor dem Bloggen schon zu einem Teig verwandelt. Mal sehen, ob’s was wird.

Tagebuch Montag, 23. März 2020 – Stop! Rotstift-Time!

Jetzt kommt einer dieser Blogeinträge, vor denen ich mich gefürchtet habe seit den Ausgangsbeschränkungen bzw. seitdem die Bibliotheken dicht sind. Das war mein Tag:

Am Schreibtisch gesessen und Korrektur gelesen. Das war’s.

Erste Seite von derzeit 337 (ohne wissenschaftlichen Apparat). Schlussteil ist noch nicht vollständig ausformuliert, und im Mittelteil fehlt noch die Ausbeute aus dem Archiv des Deutschen Museums, in das ich noch nicht gehen konnte. Das ist viel zu lang, da werde ich eine Menge Darlings killen müssen. Gestern war ich in der Einleitung noch zu großherzig, aber das ist nur der erste Korrekturgang, es kommen ja noch fünfunddreißig weitere, so wie ich mich kenne.

Ich lese immer auf Papier Korrektur, ich verliere sonst den Überblick, vor allem bei diesem Monstertext, durch den ich jetzt durchmuss. Weil ich aber dafür nicht mein kostbares neues unberührtes weißes Druckerpapier hergeben will, sammele ich seit Jahren Papier, dessen Vorderseite ich nicht mehr brauche. Nur für den allerletzten Korrekturgang rücke ich manchmal das gute Papier raus, so als kleine Bepuschelung meiner Bleiwüste. Daher stellte ich gestern belustigt fest, dass ich gerade die Einleitung meiner Diss auf einigen Rückseiten meiner Masterarbeit ausdruckte. Circle of life, eh?

Das vertwitterte ich, woraufhin jemand fragte, ob ich mich dabei nicht verzetteln würde. Äh. Nein. Jeder akademische Text, der älter ist als vier Wochen, ist mir schon peinlich in seiner Ungenauigkeit und seinem Unwissen. Die Masterarbeit ist hübsch, aber natürlich würde ich die heute ganz anders schreiben. Und ich weiß jetzt schon, wie mir die Diss peinlich sein wird, sobald ich sie abgegeben habe, weil mir garantiert quasi mit dem Türklapp im Prüfungsamt noch fünf Dinge einfallen werden, die echt noch total dringend reingemusst hätten.

Ins Internet schreiben ist einfacher, da kann man ständig korrigieren.

Okay, ein bisschen was anderes habe ich noch gemacht, aber das lief eher im Hintergrund. Manuel Braun, Gabriel Yoran und ich basteln gerade an einer Klassikliste auf Spotify, damit die Quarantäne nicht so nervig wird. Wir hoffen, in dieser Woche damit durchzusein.

Tagebuch Sonntag, 22. März 2020 – Einleitung

Ich will seit Tagen ins Blog schreiben, dass ich seltsamerweise sehr gut schlafen kann. Vielleicht weil mein Kopf nicht mehr darüber nachdenken muss, in welcher Bibliothek und in welchem Archiv ich als nächstes diese oder jene Bücher und Unterlagen einsehen muss. Aber wie es so ist, wenn man im Kopf schon Einträge vorformuliert – gestern wachte ich nicht wie sonst entspannt um kurz vor 7 auf, sondern schon um 5.30 Uhr. Immerhin auch entspannt. Weiterhin gut einge- und durchgeschlafen, nur jetzt eben für meine Verhältnisse irre früh wach. Eine Stunde am Handy verdaddelt, dann nochmal umgedreht und bis 9 durchgeschlafen.

Croissants zum Frühstück. Die sind mir wirklich ganz hervorragend gelungen; ich bin sehr über das Innenleben entzückt. Die waren gestern sogar noch besser als vorgestern nach dem Backen, weil sie etwas zäher geworden sind, ganz wie ich es mag. (Himbeermarmelade, kein Lippenstift.)

Ich werde die Bilder der letzten Tage mal ins Originalrezept einfügen und den Text dort entsprechend anpassen.

Die Folge von Kitchen Impossible vom letzten Sonntag nachgeholt, so spät dran bin ich sonst nicht, aber irgendwie konnte mein Kopf letzte Woche nicht auf solche Monstersendungen. Die Folge fand ich sehr gut, sowohl vom Kandidaten Martin Klein her als auch von den nachzukochenden Speisen. Nur bei den Bildern, wie Klein durchs sommerliche und belebte Rom schlendert, habe ich ein bisschen verzagt zugeschaut. Das sah aus wie aus einer sehr anderen Zeit. Schon als die beiden in Mälzers Bullerei gemeinsam am Tisch saßen, war mein erster Gedanke: „Ihr sitzt zu nah zusammen! Abstand halten!“ Es ist alles ein bisschen absurd.

Mittagsschläfchen. Ist ja schließlich Sonntag. Das war jedenfalls mein Gedanke, als ich wegdöste, bis mir beim Aufwachen einfiel: Wochentage haben jetzt gerade überhaupt keine Bedeutung mehr für mich. Außer wenn es darum geht, die täglichen Serien aus den USA nachzugucken. Haben die eigentlich alle ihre Staffelfinalsendungen schon abgedreht? Oder werden die fiesen Cliffhanger und Storylines jetzt um Monate verschoben? WAS DENN NOCH?

Nach dem Schläfchen spontan irre emsig geworden und mich an die Diss gesetzt. Ich musste noch am Schluss und an der Einleitung rumwerkeln, und für den Schluss fehlen mir wie bereits achthundertmal jammernd erwähnt gerade die Bibliotheken. Aber für die Einleitung nicht. Und wenn da was fehlt, kommt halt erstmal die übliche Gröner-Fußnote „BELEG?“ in neongelb ins Dokument.

Kurzfassung der gestrigen Sitzung: Einleitung steht. Forschungsstand, Quellenlage und eine lustige Einführung in das Thema „Was sind überhaupt diese Autobahnen und wieso hat die wer gemalt“ standen bereits einigermaßen, aber die richtige Einleitung fehlte halt noch, genau wie die Antwort auf die Frage, was diese Diss denn eigentlich soll. Darüber musste ich unangemessen lange nachdenken, weil ich in den letzten Jahren und vor allem in den letzten Monaten irre viel rausgefunden hatte. Ich habe mich erstmal auf etwas über die Person Protzen hinausgehende Dinge festgelegt wie den bestehenden Forschungsstand zur Kunst im NS sinnvoll zu erweitern sowie die Forschung zur Autobahnmalerei überhaupt erstmal anzufangen, zum Beispiel durch die bisher noch nicht stattgefundende Aufarbeitung der beiden wichtigen Ausstellungen „Die Straße“ (1934) sowie „Die Straßen Adolf Hitlers in der Kunst“ (1936), die ich beide archivalisch verdammt gut nachskizzieren konnte, wenn ich das mal so unbescheiden formulieren darf. Abschließend findet die Einordnung eines bisher noch überhaupt nicht aufgearbeiteten Œuvres eines Malers statt, das und der sinnbildlich für viele andere NS-Künstler und in einigen Punkten auch generell für bürgerliche Biografien eines Deutschen zur NS-Zeit bzw. zur Zeit der jungen Bundesrepublik stehen können.

Alles zusammen hat jetzt also einen anständigen Rahmen und kann ab jetzt vernünftig von vorne bis hinten korrekturgelesen werden. Bis ich mit dem Brocken durch bin, haben hoffentlich ausgewählte Lesesäle für einige wenige Glückliche wieder geöffnet. Vielleicht in gering personell besetzten Schichten, mit festgelegten Arbeitsfenstern von vier Stunden oder so. Jeder räumt seine Bücher selbst wieder weg, damit kein anderer die anfassen muss. Ginge da was?

Endlich mal wieder etwas produktiv gefühlt. Backen ist zwar auch toll, aber akademisch arbeiten ist toller.

Weiterhin und immer wieder: Dankeschön! Ihr seid toll und gerade sehr hilfreich. Hey, wenn irgendjemand gerade Werbetexte braucht, die kann ich auch!

Tagebuch Samstag, 21. März 2020 – Hefeteig weil Hefeteig

Wie ich in den letzten Wochen beim ewigen Rumdaddeln für das perfekte Franzbrötchenrezept mal wieder festgestellt habe: Es gibt kaum etwas, was mich so beruhigt, wie meine Hände im Hefeteig zu haben. Hefeteig zu kneten, ist einfach wunderbar, und auch wenn ich mich jetzt komplett zum Deppen machen, aber: Wenn er so fluffig vor mir liegt, dann wird er auch gerne mal kurz gestreichelt, bevor ich ihn in wilde Formen zwinge, weil er sich halt so herrlich anfühlt.

Morgens guckte ich nach meinem Sauerteigansatz im Kühlschrank und begrüßte ihn freundlich, wie man halt mit neuen Mitbewohnern so umgeht. Das hat mich wirklich gefreut, dass das so gut geklappt hat, auch wenn ich noch nicht mit ihm gebacken habe, weil mir die ganzen tollen Mehle fehlen und ich jetzt auch gerade nicht vor die Tür kann, um sie einzukaufen. Ich habe mich noch nicht entschieden, ob ich sie online bestelle; eigentlich will ich auch gerade keine Pakete bekommen.

Nebenbei, falls ihr den Ansatz auch ausprobieren wollt: Auf Twitter bekam ich den Tipp, nicht nur den Sauerteig in warme Decken zu hüllen, um ihn auf 30 Grad zu bekommen, sondern einfach ein Marmeladenglas mit warmem Wasser mit einzuwickeln. Ich glaube, das war auch ein Grund fürs Gelingen, dankeschön!

Nach dem ersten Rundgang durch die morgendliche Wohnung und dem Hochziehen aller Jalousien ging ich aber erst einmal wieder ins Bett. Es regnete, und ich liebe es, im Bett zu liegen und dem Regen zuzuhören. Das habe ich dann auch erstmal ausgiebig gemacht.

Das freitägliche Hauskonzert von Igor Levit nachgeholt. Noch nie so gespannt Schubert gehört. Was für ein Geschenk diese Konzerte sind!

Und dann war ich den halben Tag lang in der Küche, anrühren, ruhen lassen, tourieren, tourieren, tourieren, tourieren, formen, gehen lassen, in drei Schichten backen. Währenddessen liefen ein paar Serien, aber irgendwie war ich unkonzentriert und lungerte eher auf Twitter rum.

Am späten Nachmittag hatte ich dazu perfektes Backwerk. Beste Croissants, die ich je gebacken habe, und dieses Mal habe ich auch keine solchen Dinosaurier geformt wie im Rezeptlink, sondern kleine, damenhafte Hörnchen. Aus der Teigmenge sind bei mir 16 Croissants rausgekommen, von denen 12 gleich im Gefrierschrank landeten.

Die Antworten unter diesem Tweet belegen: Jede erste Satz verlangt nach Ausgangssperre!

In München hört man derzeit des Öfteren Durchsagen wie diese. Eben beim Bloggen zum ersten Mal auch auf Englisch unter meinem Fenster.

Das Netbit-Blog sammelt kostenlose Kulturangebote, Datenbankzugänge, gestreamte Gottesdienste und wie ich selbst überrascht gesehen habe, auch FC-Bayern-TV ist gerade kostenlos. FUPPES!

Ab heute um 18 Uhr zeigt der Kammerspiele-Stream Hamlet in der Inszenierung von Christopher Rüping, den ich sehr spannend fand. Der war vor Kurzem in den Kommentaren der Kaltmamsell (finde den Blogeintrag grad nicht) mein Beispiel für modernes Theater, dem gerne vorgeworfen wird, dass alle nackt sind und viel Blut spritzt. Genau das passiert hier auch, aber ich fand’s toll.

Auch die Schaubühne Berlin streamt.

Danke für eure Spenden, da kam nach dem gestrigen Eintrag ein bisschen was zusammen. Eigentlich war der Plan, die Diss mit so ziemlich den letzten Ersparnissen zusammen über die Ziellinie zu bringen und mir dann schnellstmöglich eine Festanstellung als irgendwas zu suchen, um das Konto wieder aufzufüllen. Diese Ziellinie hat sich jetzt leider etwas nach hinten ins Ungewisse verschoben, während meine Miete aber weiter abgebucht wird. (Immerhin gehe ich jetzt seltener einkaufen, haha.) Ich ahne auch, dass die Jobsuche in ein paar Monaten nicht ganz so locker werden wird wie ich das immer noch irrealerweise gehofft habe, so als Mittzwanzigerin, die keine acht Jahre in ihrem Job nur halbe Kraft gefahren ist und stattdessen schön studieren war.

Okay. Es wird schon irgendwie gehen, aber ich wusste das gestern sehr zu schätzen, vielen Dank!