Tagebuch Samstag, 23. Mai 2020 – Nicht scharf, aber okay

Am Freitag sabberte ich wie an jedem Wochentag beim Masterchef-Australia-Gucken meinen Rechner voll. Manchmal versuche ich sofort, Dinge nachzukochen, meistens genügt mir das Zuschauen und Lernen. Dieses Mal wollte ich kochen. Das hier.


(Screenshot)

Das ist Nasi Lemak, eine traditionelle Speise aus Malaysia. Generell wird bei Masterchef Australia sehr gerne und viel aus ganz Asien gekocht, woran ich mich aber so gut wie nie versuche, weil mir diese Küche sehr fremd ist. Ich gehe kaum asiatisch essen, wenn man vom europäisierten China-Imbiss absieht. F. hat früher gerne was vom vietnamesischen Imbiss um die Ecke was mitgebracht, aber das war auch eher München als Mekongdelta. Malaysisch hatte ich noch nie gegessen und generell bin ich überhaupt kein Fan von Schärfe, aber das sah großartig aus. (Schlüsselreiz Gurke. Alles mit Gurke ist super.)

Also radelte ich Samstag gegen 10 zu einem Asiashop, in dem ich noch nie war, der mir aber von der Größe her vielversprechend aussah, wenn ich mal an ihm vorbeikam. Da ich so gut wie nie asiatisch koche, habe ich überhaupt keinen Überblick über die Zutaten und suchte gestern vermutlich etwas länger als die anderen Kunden. Aber ich fand alles, sogar die Pandanblätter, die den Kokosreis beduften sollten, aber nicht irre fehlen, wenn sie nicht dabei sind (sagten mehrere Rezepte, die ich im Internet querlas).

Vermutlich lag es auch an der Aufgabe, warum mir das Essen so sympathisch war: Die beiden Kontrahentinnen sollten ihr ganz persönliches Comfort Food zubereiten, und Poh erzählte, dass sie dieses Essen als Kind quasi jeden Tag in ihrer Schulpause aß und es deswegen eine elementare Kindheitserinnerung sei.

Ich orientierte mich am Rezept vom Foodfreak; von diesem Blog hatte ich schon öfter und immer erfolgreich etwas nachgekocht; mein Standard-Apfelkuchenrezept ist von dort. Zusätzlich freute ich mich an diesen beiden Rezepten und machte so ein Mittelding. Jedenfalls versuchte ich das, denn erstmal musste ich die Produkte verstehen, die ich da eingekauft hatte. Ich hatte noch nie mit Pandanblättern, Tamarindenpaste oder Belacan gekocht, und vermutlich hätte ich etwas aufmerksamer auf die Packungstexte gucken sollen. Aber das merkte ich erst beim Kochen.

Ich setzte den Kokosreis auf und legte ein verknotetes Pandanblatt hinein, was sich schon mal irre professionell anfühlte. Als ich nach dem Aufkochen den Deckel meines Topfs anhob (no Reiskocher here), duftete es herrlich, und vermutlich werde ich die Hälfte der Kokosmilchdose, die gestern übrig blieb, heute erneut mit Reis und Blatt ansetzen, weil es großartig geschmeckt hat.

Während der Reis vor sich hindämpfte, frittierte ich eine Handvoll getrocknete Anchovis (was es alles gibt!), danach hackte ich Schalotten und satte acht rote Chilis, warf die Krabbenpaste in Kokosöl, zerdrückte sie, staunte über den mir völlig unbekannten Duft (auch ein guter Corona-Check, dieses Essen), gab Schalotten und Chilis aus dem Blitzhacker dazu – und musste dringend mein T-Shirt vor die Nase ziehen, denn OMG SCHARF! Nächstes Mal gleich einen der schicken Mundschutze von der Türklinke nehmen, Hase. Das briet ein bisschen vor sich hin, und dann kam eine Mischung aus Wasser, Zucker, Salz und Tamarindenpaste dazu. Die hatte ich vorher angerührt, wobei ich etwas über die Paste verwirrt war. Eigentlich sollten vier Esslöffel in das Sambal. Aus der Masterchef-Sendung hatte ich das alles sehr feurig-rot in Erinnerung – aber diese Paste war tiefschwarz. Ich nahm nur drei Esslöffel und produzierte im Endeffekt einen sehr dunklen Schlotz, der aber verdammt gut roch, wenn auch ein bisschen sehr süßlich.

Zum Abschluss röstete ich ein paar Erdnüsse, noch ein paar Anchovis, denn die ersten kamen ins Sambal, briet ein Spiegelei (ich möchte nur selten gekochte Eier), stürzte mein Reisschüsselchen auf den Teller und gab ein winziges bisschen Sambal oben drauf, sehr ängstlich ob der Schärfe.

Die dann nicht da war. Wie ich inzwischen weiß, hatte ich aus den vier möglichen Versionen von Tamarindenpaste im Laden anscheinend ein Konzentrat erwischt, und mit drei Esslöffeln killte das wirklich alle Chilis. Gut zu wissen, aber: Das war nicht ganz das erhoffte Ergebnis. Es schmeckte trotzdem sehr gut und war ein prima Frühstück, und mein Mund zwirbelte auch noch ein paar Minütchen angenehm vor sich hin, aber das muss ich dringend mit weniger Tamarinde noch einmal machen. Ich hab ja jetzt auch alles im Haus!

Den Rest des Tages vor Serien verbracht, Diss in Ruhe gelassen, rumgelungert. Guter Samstag.

Abends top Sonnenuntergang, gerne wieder.

Tagebuch Mittwoch bis Freitag, 20. bis 22. Mai 2020 – Bürgerbüro, Deutsches Museum und NEW DISS ORDER

Seit ein, zwei Wochen gucke ich auf mein Inhaltsverzeichnis und hadere. Es kommt mir irre langweilig vor, und wenn ich nicht wüsste, was sich hinter den Kapiteln und Kapitelabschnitten verbirgt, würde ich denken, die Arbeit bestünde aus einer Aufzählung von Ausstellungen. Dass ich an so gut wie jede Ausstellung noch etwas angedockt habe – die NSV, die „Grille“, Mustersiedlung Ramersdorf – kapiert man erst bei Lesen. Außerdem hatte ich das Gefühl, dass der Punkt, den ich machen will – kann Protzen als typischer oder untypischer systemkonform arbeitender Künstler im NS gelten –, erst im letzten Kapitel überhaupt klar wird. Also wenn man nur das Inhaltsverzeichnis liest. Und da ich selbst schon in genug Dissertationen reingeguckt habe, um zu forschen, ob da was für mich und meine Arbeit drinsteckt, weiß ich, wie wichtig ein cleveres Inhaltsverzeichnis ist.

Mittwoch begann ich dann sehr grobschlächtig, die komplette Diss umzubauen. Jetzt wo ich einmal alles brav chronologisch runtergeschrieben habe und auch nur noch ein Abschnitt fehlt, für den ich in ein Archiv muss, habe ich einen guten Überblick darüber, was denn wirklich wichtig ist für meine Forschungsfrage. Natürlich wird beim Umbau einiges wegfallen, an dem ich lange gearbeitet habe, aber: Jetzt fliegt es erstmal raus. Wieder reinholen geht ja immer. Ich bastele derzeit also neue Sinneinheiten statt chronologischer Blöcke und verpasse allem aussagekräftigere Überschriften. An diesem Vorhaben tüftelte ich jetzt seit drei Tagen und bisher fühlt sich das ganz hervorragend an.

Am Mittwoch morgen radelte ich ins Bürgerbüro. Mein Perso ist seit Anfang April nicht mehr gültig, und auch wenn ich wegen Corona gerade keine gemeinen Bußgelder zahlen müsste, habe ich doch gerne ein gültiges Ausweisdokument. Außerdem brauche ich für die Abgabe der Diss ein polizeiliches Führungszeugnis, für das man nicht ins Bürgerbüro muss, das kann man selbst beantragen – aber man braucht ein gültiges Ausweisdokument. Also machte ich mich darauf gefasst, zum normalen Perso noch einen vorläufigen zu beantragen, damit ich nicht auf den neuen warten musste, denn wenn ich das tue, wird die Zeit für das Führungszeugnis zu knapp. (Es ist kompliziert.)

Vor dem Bürgerbüro steht jetzt jemand, der kontrolliert, ob man einen Termin hat, den man online vereinbaren kann, was auch schon vor Corona möglich war. Man wird auch gebeten, nicht ewig früher im Warteraum zu sein, sondern vielleicht einfach hier vor der Tür an der frischen Luft zu warten. Wenn man reingeht, muss man allerdings die Türen selbst öffnen, und einen Desinfektionsspender habe ich auch nicht gesehen, aber gut.

Vor dem Warteraum hatte ich etwas Bedenken, denn der ist recht groß und immer voll. Nicht dieses Mal. Von den sonst geschätzt zehn Stuhlreihen wurden fünf entfernt, und bei diesen fünf war pro Reihe nur ein Platz frei, auf dem Rest lagen Absperrbänder. Auf die könnte man sich notfalls draufsetzen, Schilder wiesen auf den bitte einzuhaltenden Abstand hin. Außerdem wurden offensichtlich weitaus weniger Termine als sonst vergeben, so dass es gar nicht zu vielen Wartenden kam. Ich teilte mir den Raum mit vier weiteren Menschen, wartete zehn Minuten und durfte dann in ein Büro eintreten.

Dort saßen Mitarbeitende mit Mundschutz, und man saß ihnen nicht mehr direkt am Schreibtisch gegenüber, sondern quasi an der Längsseite, also etwas weiter entfernt. Dort wartete ein Tablet, auf dem man Dinge nachlesen, abnicken oder unterzeichnen konnte. Einzig meine Unterschrift für den neuen Perso musste ich auf Papier erledigen, das mir die freundliche Beamtin mit langem Arm hinlegte. Freundlich wie immer, möchte ich mal erwähnen, bis auf eine zugeknöpfte Standesbeamtin (Forschung! Nichts anderes!) habe ich hier immer nur nette und geduldige Ansprechpartner gehabt. So auch Mittwoch: Auf meine Frage, ob ich einen vorläufigen Ausweis fürs Führungszeugnis bräuchte, meinte die Dame, ach, das beantrage ich gleich für Sie mit. So einfach kann’s sein. Normalerweise muss man die Gebühren in einem anderen Raum bezahlen und kommt dann mit dem Beleg wieder, aber das wurde anscheinend umgestellt: „Das sehe ich hier auf meinem Rechner, ob Sie bezahlt haben. Schönen Tag!“

Nach Hause geradelt und dabei bewusst, wie schon auf der Hinfahrt, über den Königsplatz gefahren. Denn wenn irgendwas seit acht Jahren, die ich jetzt fast in München bin, immer gleich ist, dann: Es geht mir immer besser, wenn ich über den Königsplatz radele.

Beim Radeln gemerkt: Abstand halten ist auf den engen Radwegen nicht möglich und beim Warten an der Ampel stellt sich *immer* jemand neben dich. Oder fährt in die Lücke rein, die du zum Vordermensch gelassen hast. Den Hinweg zum Bürgerbüro fuhr ich ohne Mundschutz, den Rückweg dann mit. Ist vermutlich egal, ich fühle mich aber besser mit.

Zuhause erstmal Frühstück.

Donnerstag war Diss-Umbau-Tag. Sonst nix gemacht. Als Pausenfutter weiter Orphan Black geguckt, die Serie kannte ich wirklich noch nicht. Ist damals irgendwie an mir vorbeigegangen.

Gestern hatte ich vormittags einen Slot in der Bibliothek des Deutschen Museums. Dort muss man sich nun vor dem Besuch anmelden und die Bestätigung an der Pforte vorzeigen, auf der schon eine Platznummer steht. Ich hatte die 12, und wenn ich richtig im Lesesaal geguckt habe, dürften es nur noch so um die 20 Plätze sein.

Man kann nicht mehr einfach ein Schließfach wählen, um Jacke und Zeug einzuschließen, sondern bekommt einen Schlüssel, mit dem man sein Fach öffnet (wie im Bundesarchiv, wie ich gerührt bemerkte). Im Fach steht schon ein Korb, und ich ahne, dass mit dieser simplen Methode nachvollzogen werden kann, welche Fächer, Körbe und Schlüssel man mittags desinfizieren muss. Es gibt draußen am Gebäude und innen Bodenbeschriftungen, wo man bitte rein- und rausgehen sollte, und alle Mitarbeitenden in der Bib sitzen hinter Plastikscheiben. Deswegen kann man seine Bücher auch nicht mehr in einem schönen Stapel abgeben, sondern schiebt sie einzeln unter der Scheibe durch.

Ich beschäftigte mich gestern mit einigen Jahrgängen Zeitschriften, einmal Die Straße, in der ich ein paar Ausstellungen nachvollziehen konnte, die mir in der Sekundärliteratur nur launig und ohne Beleg vor die Füße geworfen wurden. Dann Deutsche Technik, in der ich weitere Belege erhoffte und auch fand. Im Bundesarchiv hatte ich eine Vorlage für eine Pressemitteilung zur Ausstellung „Die Straße“ (München 1934) gefunden, auf der ein Verteiler abgedruckt wurde – lauter lustige Titel, die die Bibliothek des Deutschen Museums natürlich alle hat, die Gute! Dafür hatte ich gestern keine Zeit, aber ich wurde auch so ein bisschen fündig. Irre viel Neues gab es nicht, halt eher Belege, und so hatte ich Zeit, Anzeigen zu vertwittern, aus denen ich blöderweise keinen Thread gemacht habe. (1, 2, 3, 4. Und eine neue, deprimierende Rubrik, die Ende 1940 in der Straße auftauchte.)

Nach Hause geradelt. Dabei eine andere Brücke gewählt, über die die Fahrt begann. Das war schön. (Das Deutsche Museum IST GROSS.)

Nachmittags weiter die Diss umgebaut. Schwesterchen schickte ein Foto des neuen Hochbeets im Garten der Eltern, woraufhin ich mit meinen Tomaten auf der Fensterbank und dem Salat im Blumenkasten konterte. Ich habe noch nie irgendwas ausgesät und bin völlig hingerissen von den kleinen Pflänzchen. Vermutlich werden die Vögel mir den Salat klauen und aus den Fenstertöpfen kommen zwei Cherrytomaten, aber die werden super.


Abends mit F. auf dem Balkon ein bisschen Weißwein genossen. Gemeinsam eingeschlafen. Darüber freue ich mich derzeit noch mehr als sonst, weil ich es wochenlang nicht hatte. Überhaupt fallen mir Dinge auf, über oder auf die ich mich freue, die ich ewig als selbstverständlich hingenommen habe, weil ich nie auf die Idee gekommen wäre, dass sie irgendwann einmal nicht möglich sein könnten. So was wie ein Bierchen in der Lieblingskneipe zu trinken. Leuten ohne Mundschutz gegenüberstehen. In eine Kirche gehen (den Impuls hatte ich recht früh, traue mich aber gerade gar nicht, wegen des Singens, ausgerechnet). Ein Konzerterlebnis teilen. Den eigenen Lebensgefährten küssen. Gemeinsam einschlafen.

Tagebuch Dienstag, 19. Mai 2020 – Vor einem Jahr

Gestern morgen wollte ich beim Karstadt um die Ecke biometrische Passbilder machen lassen – das war der nächste Fotofix, den mir das Internet verriet, zu dem ich radeln konnte, ohne verschwitzt zu sein. Dort war allerdings der Fotodrucker im Eimer. Ich radelte wieder nach Hause und guckte mir die anderen Möglichkeiten an, denn die hatte ich mir natürlich nicht gemerkt.

Fahrrad wieder aus dem Keller gezerrt, in das ich es zehn Minuten zuvor geistesabwesend abgestellt hatte, zum nächstgelegenen dm geradelt, bei dem man sich angeblich von freundlichen Angestellten fotografieren lassen kann. Den Service kannte ich gar nicht. Auf der dm-Website stand, dass es durch Corona eventuell zu lokalen Änderungen kommen könnte und so war es dann auch. Die wirklich freundliche Angestellte meinte, sie könnten derzeit den Mindestabstand nicht gewährleisten, daher keine Fotos.

Dieses Mal hatte ich mir netterweise noch ein paar Alternativen gemerkt und radelte weiter zum Stachus, wo ich in der Nähe des S-Bahn-Eingangs einen Fotoautomaten fand und sogar halbwegs unverschwitzte Bildchen bekam, wofür ich allerdings minutenlang mit den Augen rollen musste, weil man die blöde Sprachführung nicht vorklicken konnte und ihr hilflos ausgeliefert war. (Beinahe vergessen, den Mundschutz abzunehmen.) Gut, dass München so ein Dorf ist, man kommt überall mit dem Rad schnell hin.

Danach den halben Tag weiter Kleinkram erledigt, gestern war irgendwie ungeplant „Getting the little stuff done“-Tag. Hefeteig aufgefrischt, Wäsche gewaschen, Bürokram weggeheftet, oberflächlich geputzt (also eher kosmetisch und für das eigene Gefühl, es erledigt zu haben, mir gerade egal), eingekauft, damit ich das nicht am Tag vor dem Feiertag machen muss.

Gestern trudelten außerdem einige Zusagen ein: Am Freitag darf ich in die Bibliothek des Deutschen Museums, am Montag ins Hauptstaatsarchiv. Alles immer nur einen halben Tag lang, dann wird durchgefeudelt wie im ZI oder was auch immer die Leute da machen, wenn das Publikum weg ist. Heute habe ich einen Termin beim Bürgerbüro, um den Personalausweis zu beantragen. Es ist komisch: Da hat man sich acht Wochen lang daran gewöhnt, keine Termine mehr zu haben, und jetzt fühle ich mich total gehetzt. Ja, ist Quatsch, weiß ich. Ich schlafe seit Tagen aber etwas schlechter, weil ich nachts daran denken muss, tagsüber nicht mehr alleine zu sein, sondern wieder unter Menschen, wenn auch mit (hoffentlich) Abstand und Mundschutz. Ich hatte gestern kurz überlegt, nach dem Fototermin noch in die Pinakothek der Moderne zu radeln, um Herrn Protzen mal wieder anzugucken, aber irgendwie wollte ich nur schnell wieder in die unansteckende Wohnung.

Flat White, Müsli mit Erdbeeren und Weintrauben, abends gnadenlos eine Riesenzwiebel zu Ringen frittiert. Eine halbe Augustiner-Flasche landete im Bierteig, die andere in mir. Home-Biergarten sozusagen.

Seinen Geburtstag vor einem Jahr verbrachte Papa im Krankenhaus. Ich konnte ihm gestern nur telefonisch gratulieren, weil ich gerade Angst vor Zugfahrten habe und natürlich meine Eltern nicht gefährden möchte, wenn ich aus diesem Seuchennest hier im Süden angereist komme. Darüber war ich sehr traurig. Eigentlich sollte gestern auch mein Mütterchen hier in München ankommen, damit wir morgen in Oberammergau die Passionspiele anschauen könnten, aber ach. Ich bin seit Wochen nicht mehr im Norden gewesen, um sie zu entlasten, und das hat mich auch traurig gemacht. Papa fragte, warum ich nicht persönlich gratuliere, woraufhin ich meinte, ich sei doch in München. Was ich da denn mache, wollte er wissen, und: Das ist ja nicht so weit, da kannst du doch kurz rumkommen. Dass F. in München wohnt, weiß er, und er weiß auch, dass wir zusammen in Augsburg Fußball gucken, aber dass auch ich in München wohne und wie weit es weg ist, kann sein Gehirn sich nicht mehr merken.

Tagebuch Freitag bis Montag, 15. bis 18. Mai 2020 – Kurz mal sehr müde

Ich brauchte ein bisschen Pause vom großen Internet (so nenne ich mein Blog, obwohl das weniger Leute lesen als meinen Twitter-Feed) und trieb mich nur beim blauen Vögelchen und Instagram rum. Jetzt geht’s grad wieder. Hello peeps!

Freitag und Samstag knüppelte ich das verdammte Abbildungsverzeichnis nieder. Ich habe jetzt eine schöne Liste mit schönen Quellen, alles brav ausformuliert und keine kryptischen Gröner-Kürzel mehr, und dazu habe ich jetzt einen dicken Ordner mit jpgs. Alles ist nummeriert, aber da ich ahne, dass ich noch fünf bis fünfzehn Bilder finden werde, die ich doch noch irgendwie reindengeln möchte und im Gegenzug sieben andere rauswerfen werde, fasse ich das InDesign-Dok noch nicht an, in das irgendwann Texte und Bilder reinkopiert werden. Aber ich könnte jetzt.

Um 18.32 Uhr am Samstag vertwitterte ich, dass dieses Werk natürlich mit Absicht die letzte Abbildung im Verzeichnis ist.

Sind aber dann doch noch zwei hinterhergekommen. Mist.

Die samstägliche Arbeit wurde durch – Fußballgucken unterbrochen, unglaublich! Die Bundesliga spielt wieder.

Mein Kopf sagt: Das ist total unverantwortlich, die Saison weiterspielen zu lassen. Angeblich hat der Fußball eine irre Vorbildfunktion. Die kann ich aber wirklich nicht erkennen: Wo wir in Biergärten jetzt zwei Meter Abstand halten müssen, eingeschweißtes Besteck bekommen und die Kellner nicht an die Tische gehen dürfen, machen wir ab jetzt jede Woche Gruppenkuscheln mit 22 Kerlen vor Kameras? Das erste Spiel wegen eines Covid-19-Verdachts in einer Mannschaft wurde schon abgesagt, und ich gebe dem Ganzen nicht mehr als zwei oder drei Spieltage. Die ganzen schlimmen, SCHLIMMEN Ultra-Gruppierungen haben von Anfang an gesagt, Weiterspielen sei Mist, es gab keine Fanansammlungen vor den Stadien, mit denen auch nur diejenigen gerechnet hatten, die Ultragruppen für GANZ SCHLIMM halten, und soweit ich weiß, gab es auch keine Partys, auf denen gemeinsam Sky angeworfen wurde. Alle waren vernünftig, nur die DFL nicht. Ich sollte das nicht unterstützen.

Mein Bauch sagt: FUPPES GUCKEN, WO-HOO!

Im Vorfeld wurde wild über die fehlende Stimmung bei Geisterspielen geschrieben, aber ganz ehrlich: Bei Altona 93 oder den Bayern-Damen hört sich das nicht viel anders an. Dreißig- bis siebzigtausend Leute sind halt lauter als 500 oder die momentan in Stadien zugelassenen 300 Leute. Ich fand das eigentlich ganz nett ohne Publikum: Die Herren unterließen jede dramatische Schauspieleinlage nach Schübserchen, keiner pöbelte den Schiedsrichter an, Pfiffe wurden hingenommen und es wurde, soweit ich das beim Spiel Augsburg gegen Wolfsburg mitbekommen habe, nicht diskutiert, nicht gemeckert, alle spielten halt einfach nur Fußball, und ich habe das durchaus gern gesehen.

Noch schöner ist es allerdings im Stadion, und dazu gehören dann anscheinend die ganzen publikumswirksamen Aktionen, auf die gerade verzichtet wird. Man kann nicht alles haben.

Die NY Times kommentierte einerseits pathetisch, zum Beispiel zu den Fans, die nun alleine oder in Kleinstgrüppchen zugucken: „[A]tomized and all but alone, a tribe still bound by its colors but unable to gather under its standard“, meinte aber auch sehr schön zur individuellen Verpflegung: „At least there was wurst.“

Sonntag verordnete ich mir Diss-Pause. Spaßeshalber guckte ich nochmal auf unserer Website nach, ob sich irgendwelche Termine geändert hatten. Hatten sie! Eigentlich wäre Ende Juni der nächstmögliche Termin zur Abgabe (Disputatio im November), dann Oktober, den ich vorsichtshalber angepeilt hatte (Disputatio im Februar 2021). Nun bin ich aber schon irre weit und stellte gestern erfreut fest, dass man sich zwar immer noch Ende Juni zur Abgabe anmelden, das fertige Ding aber erst im August ins Prüfungsamt schleppen muss – quasi als Ausgleich für die acht Wochen, in denen wir nicht in Bibliotheken arbeiten konnten. Das müsste ich jetzt wirklich schaffen. Wenn ich es vorher hinkriege, mir einen Personalausweis ausstellen zu lassen, der im April ablief, denn den brauche ich für das blöde Führungszeugnis, das eine anständige bayerische Hochschule von ihren zukünftigen Doctores sehen will, bevor sie den Titel kriegen. (Augenrollendes Emoji.) Aber wenn alle Götter sich jetzt mal mit mir zusammenreißen, dann könnte das mit dem Doktorhütchen noch in diesem Jahr klappen. Fände ich einen total fairen Ausgleich zu dem ganzen restlichen Rotz, den uns das Jahr 2020 gerade aufbürdet.

Außer meine Arbeit ist totaler Schrott, aber ich gehe mal davon aus, dass dem nicht so ist. Ich bin nun allerdings nach dem zweiten Korrekturdurchgang und dem dritten flüchtigen, bei dem ich eher auf die Bilder geachtet habe, in der Phase, in der ich alles hinterfrage: doch nochmal über die Gesamtstruktur nachdenken? Vielleicht andere Blöcke basteln? Sinnzusammenhänge größer machen? Den kompletten Teil zur Gebrauchsgrafik rauswerfen? Doch erst im Oktober abgeben?

Alberne Story, lustige Bilder: The Nelson-Atkins Museum Is Still Closed for Humans, But Three Sophisticated Penguins Just Got a Private Tour (and the Photos Are Adorable).

Foto: Gabe Hopkins.

Ansonsten verbrachte ich den Sonntag auf dem Sofa oder am Nähtisch, wie ich meinen Schreibtisch nenne, wenn ich ihn mit Fäden vollfussele. Mal wieder einen Mundschutz genäht, dieses Mal mit eingeschlagenen Seitenteilen, so dass ich keine fransigen Abschlüsse habe. Ist mit Abstand die ordentlichste Maske, die ich bisher gemacht habe, aber ich trage, warum auch immer, mein erste unordentliche hellblaue mit den Blümchen am liebsten.

Das war eine sehr schöne, fast meditative Arbeit, die mir viel Freude gemacht hat. Danach wollte ich dringend mal etwas anderes nähen.

Ich fühle mich jetzt gewappnet für den dreiteiligen Hosenanzug, in dem ich meine Disputatio halten werde. #lifegoals

Und gestern, gestern war ich dann endlich wieder im Bällebad. Die Bibliothek des ZI hatte bereits vor einer Woche geöffnet, aber ich saß ja noch am Abbildungsverrrrrrzeichnisssgrrr. Mistding. Kunstgeschichte wäre viel toller ohne diese ganzen doofen Bilder. Aber ich schweife ab. Bällebad!

Man kann fünf der noch 24 zur Verfügung stehenden Plätze online reservieren, aber die waren alle schon vergeben. Mir egal, hingeradelt. Mit dem neuen Hygienekonzept geht man nicht mehr einfach grüßend an der Gebäudepforte vorbei, sondern der Name wird eingetragen und man bekommt eine Nummer. Oben an der Bibliothekspforte, wo die jeweilige Besetzung nun hinter einer Plastikscheibe sitzt, wurde sonst nur der Ausweis angeschaut und der Name notiert, nun muss man den Ausweis abgeben, damit man mitzählen kann – genau wie unten –, wieviele Menschlein gerade in den Bibliotheksräumen sind.

Mein geliebter Lesesaal (von insgesamt drei) hat normalerweise 36 Plätze, jetzt hat er nur noch zwölf, ausgewiesen durch zwölf Stühle. Man muss überall einen Mundschutz tragen, außer wenn man an seinem Platz sitzt und die Nase in Bücher steckt. Ich fand das alles äußerst erträglich, habe mich aber durchaus dabei erwischt, nervös die Luft anzuhalten, als jemand hustete. Neulich habe ich im Hausfahrstuhl versucht, die ganze Fahrt nicht zu atmen und dabei festgestellt, dass unser Fahrstuhl a) eine Viertelstunde für fünf Stockwerke braucht und b) ich die Lunge eines ungeborenen Kindes besitze. Ich würde bei jeder Dschungelprüfung ertrinken, sobald man irgendwo tauchen müsste.

Ebenfalls neu: Zwischen 13 und 14 Uhr müssen alle aus der Bibliothek verschwinden, dann wird irgendwas großflächig desinfiziert und danach darf man wieder rein, muss sich aber eine neue Nummer holen. Ich hatte mir zuhause schon alle Buchsignaturen in mein Notizbuch geschrieben, das ich immer mit mir herumschleppe, wenn ich durch fünf Stockwerke Bücher irre, so dass ich gleich um Punkt 9 anfangen konnte zu arbeiten. (Wurde dann aus Gründen 9.08 Uhr. Ts.) Auch deswegen ist das Foto nicht so irre aussagekräftig, ich wollte nur meinen glücklichen Status auf Insta vermelden, aber keine Zeit verlieren, denn ich hatte ja keine Zeit, ich hatte ja nur vier Stunden BZW. NUR DREI UND ZWEIUNDFÜNFZIG MINUTEN OMG also hetzte ich durch die Säle und die Bücher … und war um 12.15 Uhr mit der Arbeit fertig. Mpf. Eigentlich toll, aber um etwas Neues anzufangen, war die Zeit zu kurz.

Also Feierabend vor Ort und Neustart am heimischen Schreibtisch. Vorher noch ein Buch in die UB zurückgebracht. Dabei festgestellt, dass mein Lieblingseingang derzeit nicht zugänglich ist. Es ist alles anders, aber so ein ganz winziges bisschen fühlte sich das in den letzten Tagen mit Fußball und ZI und Radeln mit einem Ziel wieder nach sehr viel mehr Normalität an als noch die ganze letzte Woche.

Traue mich trotzdem noch nicht in einen Biergarten, obwohl wir seit gestern dürften.

Der Community-Cast veranstaltete gestern ein Table Read, um Spenden zu sammeln. Das hat deutlich mehr Spaß gemacht als ich dachte. Der Testamentsvollstrecker wurde leider nicht von Walt Goggins gelesen wie in der Serie, aber der Ersatz war auch prima, denn der kannte die Story anscheinend vor dem Lesen nicht und verlor mehrfach die Fassung.

Schauen Sie doch mal bei Christian vorbei: In diesem Eintrag steckt eins meiner Lieblingsfotos des Herrn, der sehr viele schöne Fotos produziert, aber das hier fand ich ganz besonders schön.

Tagebuch Donnerstag, 14. Mai 2020 – Abbildungsverzeichnis Teil 2

Von morgens bis abends Bildchen gesucht, zurechtgeschnitten und sortiert abgelegt. Dazu das Abbildungsverzeichnis in Word vernünftig formuliert. Wenn das alles fertig ist, muss ich die Bildchen ins InDesign-Dok werfen und die Texte copypasten. Totale Vorfreude. Ich weiß schon, warum ich in der Werbung immer das Art-Department bedauert habe, das dauert alles so. irre. lange. und. dann. noch. länger. (Zzzzz.)

Aber nette Post vom Hauptschulblues, vielen Dank! Und es hat geregnet, das war auch schön. Ach, und ich habe eingekauft. Mein einziger wöchentlicher Ausgang.

Bin müde.

Tagebuch Mittwoch, 13. Mai 2020 – Abbildungsverzeichnis

Eine Schablone in InDesign gebastelt, die ich jetzt 100 Mal kopieren werde.

Anfangen, aus meinen diversen Ordnern, in denen ich diverse Bilder abgelegt habe, einen zu machen bzw. Bilder wild zu kopieren, umzubenennen und Dinge zu tun, damit ich die Schablone befüllen kann und sehe, wo noch Bilder fehlen. Mich selbst dafür gehasst, mir drei Jahre lang in jeder Bibliothek gesagt zu haben, nee, das Bild scannst du jetzt nicht ein, wer weiß, ob du es brauchst, das machst du nachher, wenn der Text steht. Für die nächste Diss merke ich mir: SOBALD ICH EIN BILD SEHE, WIRD ES GESCANNT. Nervscheiß.

Frustessen aufgetaute Zitronenschnecken. Immerhin.

Und abends schaute F. vorbei und blieb gleich da. Das war dann auch das beste am Tag.

Calvin and Hobbes and quarantine

Wir spielen gerade alle Calvinball.

„In Calvinball, Hobbes is often again the provider of order — but only the slightest veneer of it, a gentle ladling of rules. The rules change often, but there are still rules. Again, the feeling of our current peculiar moment echoes here: We have new rules, yes, but those rules feel like a crass facade, like draping a tea towel over a howling maelstrom. Sure, we still have work to do, homework to monitor, meetings to attend, but at least half the time we’re standing there like Calvin, holding in our sneezes to see if we can blow our shoes off. We’re all in a game of Calvinball, knowing that there are rules, but they are not the old rules, and they’re probably not even yesterday’s rules, because every day feels both somehow exactly the same (the game itself) and entirely different (for the rules have changed).“

Der Artbot für Public-Domain-Fotografien aus dem Met spülte mir diese Dame in die Timeline. Möchte ihre Jacke haben.

Tagebuch Dienstag, 12. Mai 2020 – Zweiter Korrekturgang und Smashed Potatoes

Zum zweiten Mal am Ende der Diss angekommen und dann doch zufrieden gewesen. Wie ich gestern schon schrieb: Hinten raus wird sie besser. Mpf. Okay, nochmal von vorn. Aber vorher werde ich den Abbildungsteil so weit wie möglich erstellen, um den Kopf wieder vom Text auszuklopfen. Beim zweiten Durchgang notierte ich nämlich endlich das Abbildungsverzeichnis. Beim Schreiben hatte ich hinter jedem Gemälde, bei dem es mir sinnvoll erschien, (Abb. x) eingefügt, ohne es aber irgendwo gesammelt zu notieren; wenn ich schreibe, dann schreibe ich, dann will ich nicht dauernd absetzen. Auch ein Grund, warum ich mich gegen ein Abfassen der Diss in LaTeX entschieden habe; das machte mich doch etwas irre, ständig Formatierungen im Text zu sehen.

Beim ersten Korrekturgang ging es mir schlicht darum zu merken, ob das alles Sinn ergibt und sich gut liest, beim zweiten sammelte ich nun die ganzen (Abb. x)-Anmerkungen und schrieb sie ins Abbildungsverzeichnis, weiterhin unnummeriert, weil ich nun auf einen Blick sehen konnte, ob alle annotierten Gemälde sinnvoll sind oder nicht. Sind sie leider, womit ich bei ungefähr 200 Bilddateien bin. Die muss ich netterweise nicht mitten in den Text einfügen – damit würde ich bei Word wahnsinnig werden, weil dieses Mistprogramm selten kapiert, wo Text und wo Bild hinsollen. Stattdessen kommt das alles schön nach hinten, jeweils zwei Bilder auf eine Seite, dicke Bildunterschrift, die ich schon fürs Verzeichnis notierte und die jetzt gecopypastet werden.

Nun stellt sich die Frage, mit welchem Programm ich diesen Abschnitt anfertige. Word hat mich gestern schon nach drei Bildern irre gemacht, wie zu erwarten gewesen war. In jeder bisherigen Arbeit hatte ich das Abbildungsverzeichnis halbwegs geschickt gemacht, indem ich nur ein Bild pro Seite nahm und dann einen gnadenlosen Seitenumbruch einfügte. Nicht dass Word das klaglos macht, aber bei, weiß ich nicht, 30 Bildern in der Masterarbeit ging das, ohne massenmordend durch die Maxvorstadt zu ziehen. Bei 200 geht das nicht, basta.

Ich hatte vor gut einem Jahr schon mal in LaTeX rumgefrickelt, weiß aber noch nicht, ob das ich das Dokument wiederbeleben möchte. Gucke ich mir heute in Ruhe an, gestern hatte ich dazu keine Lust. Da ich aber auch mit Pages und Keynote gestern wahnsinnig geworden bin und noch nicht ganz von InDesign überzeugt bin, weil ich das ähnlich selten nutze wie LaTeX, könnte es dann doch auf letzteres rauslaufen. Wir werden sehen. Da das Enddokument eh ein PDF wird, das an meine beiden Prüfer*innen geht, ist es wurscht, wie ich die Einzelteile erstelle.

Im eben verlinkten Blogeintrag steht übrigens noch was von einem Kapitel, das sich mit der Autobahnmalerei beschäftigt. Was habe ich beim Wiederlesen gelacht. Was ich aber schön fand: Der erste Satz im Exposé, der im dort verlinkten Twitterthread lesbar ist, ist jetzt der erste der Diss. Der war anscheinend von Anfang an gut.

Mittags gab’s Smashed Potatoes mit Schnittlauchöl und einer halbierten Knoblauchknolle aus dem Ofen. Die wollte ich weich braten und beim Essen rauslöffeln, aber diese Zubereitungsart ist vermutlich eher für jungen Knoblauch geeignet. So frickelte ich den Matsch in ein Schälchen und gab noch einen Klecks Butter dazu, auch gut.

Abends noch zwei Folgen The Last Dance. Beim abendlichen Fertigmachen im Bad im Deutschlandfunk den Komponisten Ingolf Dahl kennengelernt und mir das Buch seines Schwiegersohns, The Lives of Ingolf Dahl, gemerkt. Als Tagesabschluss riet ich noch ein Bild auf Twitter richtig. Gut studiert!

Tagebuch Montag, 11. Mai 2020 – Sinnkrise

Dusche, Flat White, Masterchef Australia.

Am Schreibtisch erstmal eine Dissertation einer Kommilitonin gelesen, in der zwei Ausstellungen vorkamen, mit denen ich mich auch beschäftigt habe. Die Diss hatte einen anderen Forschungsschwerpunkt, aber natürlich hat sie mich trotzdem in eine kleine Sinnkrise geschmissen. Ich habe im Bundesarchiv anscheinend ein oder zwei Akten übersehen, die vielleicht interessant gewesen wären, aber jetzt komme ich gerade nicht hin, um sie mir auszuheben zu lassen. Und die Sprache der Diss klang für mich so viel besser als meine eigene. Immerhin vom zweiten Punkt konnte ich mich selbst entkriseln, indem ich mir stundenlang vorsagte: „In jedem Feedback auf jede wissenschaftliche Arbeit, die du in den letzten acht Jahren eingereicht hast, wurde deine Sprache gelobt. Scheint okay zu sein, verständlich zu schreiben.“

Aus dem zweiten Punkt konnte mich F. abends per Pep-Talk-DM holen: „Research never ends, it is never finished.“ Nicht alles, was irgendwo in Archiven rumliegt, muss in eine Arbeit. Ich habe genug, um meinen Punkt zu machen, und das weiß ich auch. Und ich weiß auch, dass ich Dinge gefunden habe, die in der von mir gelesenen Diss als „habe ich nicht finden können“ bezeichnet wurden (akademischer formuliert).

Beim Rausschmeißer von F. musste ich sehr lachen, weil ich gerne Witze darüber mache, dass ich eigentlich bei allen Dingen, die ich in der Diss anreiße, einen Aufsatz vom Doktorvater hätte zitieren können, weil der halt alles weiß und überall war: „Forschung ergänzt sich auf einem Gebiet. Wenn eine Person alles alleine rausfinden könnte, hätte euch [Doktorvater] nichts mehr übrig gelassen.“

Innere Danksagung wird immer länger.

Ansonsten emsig die Kapitel 1940 bis 1944 zum zweiten Mal korrigiert und im Abbildungsverzeichnis 100 Bilder ergänzt (grob geschätzt). Je weiter ich nach hinten in die Arbeit komme, desto besser gefällt sie mir. Ich ahne, dass ich im vorderen Teil nochmal den Rotstift ansetzen muss, wobei das Gefühl auch an der Sinnkrise gelegen haben könnte. Bin ansonsten doch recht zufrieden mit dem Brocken.

Zu essen gab es gestern in Etappen Püree aus weißen Bohnen und Karotten, die ich mit einem Berg Harissa und Knoblauch im Ofen weichgeschmort hatte. Dann wurde alles mit ein bisschen Minze, Olivenöl und Zitronensaft püriert. Harissa war super, vom Rest habe ich quasi nichts geschmeckt außer ab und zu ein bisschen frische Zitrone. Fürs nächste Mal merken: von allem mehr reinhauen oder gleich weglassen. Und immer mehr Salz als angegeben. Mehr mehr.

Igor Levit Is Like No Other Pianist

Wer den langen ZEIT-Podcast gehört hat, für den ist wenig neues Biografisches über Igor Levit dabei, aber für die Beschreibungen der musikalischen Entwicklung lohnt sich dieses Porträt aus dem New Yorker sehr. Ich fand an den Hauskonzerten sehr schön, dass Levit ein paar Sätze zur Einführung sprach, was meine innere musikalische Bibliothek sehr erweitern konnte. Alleine für The People United Will Never Be Defeated werde ich ihm noch länger dankbar sein.

Was ich auch durch die Hauskonzerte gelernt habe: dass ich mit Soloklavier was anfangen kann. Eigentlich bin ich mehr der Mensch für das 80-köpfige Wagner-Orchester, je mehr Klangfarbe, desto besser. Aber so auf Melodie und Begleitung und dem Verwischen von beiden zurückgeworfen zu werden wie es eben nur ein Soloinstrument wie das Klavier kann, war für mich sehr bereichernd. Daher auch hier: Danke.

„One day, Levit sent me a text saying, “Maybe for the first time do I understand what it means to speak of music as something life-keeping. It really keeps me alive. . . . I don’t care if it’s wrong or right, whatever B.S. that means, just as long as I can actually press down the black and white keys. I’ve never, never been freer than now. Never. And I am in tears half the day. Very, very dark. And yet. The existential must of music-making really becomes bigger and bigger by the minute.”

Concert pianists are often stereotyped as remote souls, apt to lose themselves in the palaces of sound they summon at the keyboard. Levit is emphatically not a loner. He has a global network of friends, and transmits countless e-mails, texts, emojis, and gifs every day. He is a cultural omnivore who is as likely to quote from Kendrick Lamar or “Simpsons” episodes as from Kafka or James Baldwin. Outfitted in a hoodie, a T-shirt, and jeans, he blends in easily with other guys on the streets of Berlin. His moderately hip image arouses suspicion in conservative corners of the classical-music world. “Just shut up and play,” he has heard people say, in several languages. From a more radical perch, the Berlin-based online magazine van has suggested that Levit is excessively self-dramatizing: “In the race for attention, Levit is a bit like Usain Bolt: he always seems effortlessly ahead.” […]

Levit introduced himself to the international public in an ostensibly conventional manner, with a recording of Beethoven. The Sony Classical label signed him in 2012, after he had attracted notice as a member of the BBC’s young-artist program. His first Sony project was nonetheless bold in concept, even brazen: where other début pianists might have stuck to the “Moonlight,” the “Appassionata,” or the “Waldstein,” Levit offered a two-disk set of Beethoven’s final five piano sonatas, including the titanic “Hammerklavier.”

To some, the gesture smacked of arrogance. He told me, “I know there is this attitude that you are supposed to wait until you are sixty-five and have seen life and the world and suffering before you approach late Beethoven. But I know thirteen-year-olds who know a level of suffering that these full-of-themselves, elegant mid-sixties artists have absolutely no fucking idea about. Give me a break! Anyway, that’s where I started, with late Beethoven. Matti really helped give me that attitude. He would say, ‘Just go do it. Just be a pianist. I will help you not to be an idiot.’”

Tagebuch Sonntag, 10. Mai 2020 – 1938/1939

Die Kapitel zu den Jahren 1938 und 1939 korrigiert und das Abbildungsverzeichnis dementsprechend aufgefüllt. Die Menge an Gemälden wird mir allmählich unheimlich, aber da muss ich jetzt erstmal durch. Und dann erledige ich zeitgleich mit dem dritten Korrekturgang der Diss den ersten dieses Verzeichnisses, in dem ich mich dann endgültig entscheide, was ich abbilde und was nicht. Ich ringe immer noch mit der Idee, im Juni abgeben zu können, aber ich ahne, dass das nichts wird. Auch weil ich dazu vermutlich einen gültigen Personalausweis brauche, der im April abgelaufen ist, aber momentan reizt mich wirklich überhaupt nichts daran, mich in die kleinen, ungelüfteten Warteräume des Einwohnermeldeamts zu begeben, in denen immer zu viele Menschen warten.

Viel Tee getrunken. Reste gegessen: eine aufgetaute Zitronenschnecke, die halbe gefüllte Paprika von vorgestern, eine Riesenschüssel Salat dazu.

Vor der Arbeit Saturday Night Live vom Samstag nachgeholt, dessen Akteur*innen darauf hoffen, dass das die letzte Ausgabe „from home“ gewesen ist. Ich drücke uns allen die Daumen, dass es im September, wenn die neuen Staffeln in den USA turnusgemäß anlaufen sollten, alle wieder gemeinsam arbeiten können. Gestern twitterte jemand, dass wir bitte aufhören sollten, Panik zu verbreiten (die ich durchaus in mir spüre), denn wir hätten genauso wenig Ahnung wie die ganzen Leute, die jetzt eng umschlungen draußen rumlaufen und über die wir uns aufregen. Es kann auch alles gut ausgehen. Ich möchte hoffen. Dieser Artikel hat mir allerdings wenig Hoffnung machen, mir aber immerhin die Angst vor Bibliotheken und Archiven etwas nehmen können, denn in denen sitzt man zwar in Räumen ohne große Lüftung zusammen, aber es halten alle die Klappe (heißt: keiner sprüht Viren in der Gegend rum).

Und SNL hat mir einen Satz mitgegeben, der mich den ganzen Tag lang erfreuen konnte. Es ging um die Vorwürfe von Tara Reade an Joe Biden: „This is a really good argument for a female president. You’ll never hear about Angela Merkel just grabbing some dude’s crotch. And if she did it would be with consent at a BDSM club in Düsseldorf.“

Nach der Arbeit die letzte Staffel Community im Schnelldurchlauf erledigt. Die war schlicht fürchterlich, und es ist wirklich herzzerreißend zu sehen, was aus den ersten drei genialen Staffeln schlussendlich wurde. Wir hätten alle mit Troy das sinkende Schiff verlassen sollen.

Aber immerhin gab es gute Musik in der letzten Folge, wenn man da auch den Text und das Video ignorieren sollte. Erstaunlich, dass noch Songs geschrieben werden, in denen der stoisch-schweigsame Männe sich aufmacht, um die Welt zu entdecken und dafür vom armen Mädel Abschied nehmen muss. Good riddance, Pappnase.

Den Abend damit gerettet, zwei weitere Folgen von The Last Dance zu gucken und erstaunt den spontanen Berufswunsch der Sportdokumentarfilmerin in mir entdeckt. Der Trailer gibt in seiner üblichen Vorschauhektik nicht das gute Tempo der Serie wieder. Ich verstehe 20 Jahre zu spät die Großartigkeit von Michael Jordan. Aber immerhin.

Was schön war, Samstag, 9. Mai 2020 – Regen, Tee, Wein

Morgens vom Regen aufgewacht. Ewig lange geschlafen, so dass ich meine Balkonpflanzen noch nicht hatte gießen können. Das übernahm dann der Regen. Perfekte Arbeitsteilung.

Mir selbst erneut auf die Schulter geklopft, damals beim Einzug das Bett nicht an die dafür vorgesehene Wand geschoben zu haben, sondern an die gegenüberliegende. Denn so sieht man vom Bett aus immer ins Grüne. Solange draußen irgendwas grün ist.

Ein Päckchen Tee aka ein Kilo aus der Packstation geholt. Meine geliebte Droge ist wieder im Haus.

Gleich die erste Kanne gekocht und mit ihr erfolgreich am Schreibtisch die Jahre 1936 und 1937 korrigiert. 1936 wird mich noch einige Stunden im ZI kosten, aber da kann ich ja jetzt wieder hin.

Ein bisschen gekocht und das Ergebnis gerne verspeist.

Abends kam F. vorbei, wir saßen zum ersten Mal in diesem Jahr gemeinsam auf dem Balkon, die Lichterkette leuchtete, und nach ungefähr neun Wochen schliefen wir erstmals wieder gemeinsam ein.

Merksatz von Sue Reindke: „Whoever brings you the most peace, should get the most of your time.“

Roy Horn, Who Dazzled Audiences as Half of Siegfried & Roy, Dies at 75

Die Entstehungsgeschichte des Duos war mir nicht bekannt. Und wie erfolgreich die Herren waren, auch nicht.

„Roy Uwe Ludwig Horn was born on Oct. 3, 1944, in Nordenham, Germany, near Bremen. Like Mr. Fischbacher, who was five years older and raised in Rosenheim, a village in Bavaria, Mr. Horn grew up in the turmoil of wartime and postwar Germany. While Mr. Fischbacher was drawn to magic, Mr. Horn was taken with animals, including his wolfdog Hexe, and a cheetah, Chico, at a zoo in Bremen where the boy took an after-school job feeding animals and cleaning cages.

It was a chance meeting in 1957, when both were working on a German cruise ship, that led to their partnership. Mr. Fischbacher, a steward, was entertaining passengers with magic tricks, and Mr. Horn, a cabin boy, caught his act.

“I told Siegfried if he could make rabbits come out of a hat, why couldn’t he make cheetahs appear?” Mr. Horn recalled. He said he smuggled Chico out of the zoo and aboard the ship in a laundry bag. The new trick, he said, was a hit with passengers.

They formed a partnership in 1959. By 1964, Mr. Horn and Mr. Fischbacher, still with Chico, were on the road, performing in cabarets and theaters in Germany and Switzerland. The results were mixed — Chico ate steak, the men potatoes — until Princess Grace of Monaco saw them at a 1966 charity benefit in Monte Carlo and gave them a rave notice.“

Tagebuch Freitag, 8. Mai 2020 – Hefemonster

Morgens den wöchentlichen Einkauf erledigt. Dazu zuerst zum Karstadt geradelt, weil ich dort auf Tofu hoffen konnte, den mein Nebenan-Edeka immer nur in ungeraden Wochen in ungeraden Jahren und dann auch nur Dienstags hat. Beim Karstadt wollte ich auch Granny-Smith-Äpfel kaufen, die mein Nebenan-Edeka Sie wissen schon. Tofu war da, Großmütterchen Schmidt nicht. Dann halt Golden Delicious genommen, ich kann nach Wochen keine roten Äpfel mehr sehen und wollte endlich wieder grüne. (My brain works in mysterious ways.)

Danach zum Edeka geradelt, um die restlichen Einkäufe abzuarbeiten, die ich nicht so weit tragen wollte, auch nicht auf einem Gepäckträger. Gleich neben den Zitronen, die ich erwarb, lagen natürlich acht Millionen Granny-Smith-Äpfel. Ich verkniff mir einen Spontankauf, weil ich den schon im Zeitschriftenladen im Karstadt ausgereizt und mir die neue Vogue gegönnt hatte. Ewig nicht mehr gelesen, darauf hatte ich Lust. Nach der Lektüre weiß ich: Die Überschriften-Wortspiele sind auf ähnlich fürchterlichem Niveau wie in der Auto, Motor, Sport.

Schwer bepackt das Rad nach Hause geschoben (bei Klopapier am Lenker fahre ich nicht, sondern schiebe), alle Einkäufe verstaut, mir meinen Frühstücks-Flat-White gemacht und mich auf den Balkon gesetzt, so lange die blöde Sonne da noch nicht war. Ach ja, zum Einkaufen, also der fünfminütigen Radfahrt, so dick eingecremt wie für einen Acht-Stunden-Strand-Aufenthalt. So stelle ich mir jedenfalls lange Zeiten am Strand vor, ich habe das noch nie gemacht. Spaziergänge im November am Meer, ja bitte. Rumliegen bei 30 Grad – niemals!

Ich warf spontan, denn der Edeka hatte Hefe, einen Teig für Zitronenschnecken zusammen, wo ich dusseligerweise die Menge von Trocken- zu Frischhefe nicht wirklich überdacht hatte. Ein Tütchen, ein Würfel, wo ist der Unterschied? Da ist er:

Schon nach dem ersten Aufgehen des Teigs musste ich feststellen, dass er über die Teigschüssel hinausgeklettert war bzw. mein abdeckendes Handtuch nach oben gewölbt hatte. Auf die Idee, daraus zu lernen und vielleicht den Teig in zwei Portionen zu teilen und zweimal zu backen, kam ich natürlich nicht. Dementsprechende Monster produzierte dann auch die Backform, unter der ich im Ofen noch ein Blech einschieben musste, ehe noch mehr Teig auf den Ofenboden platschte. Meine Gefrierfächer sind jetzt bis zum Bersten gefüllt, aber ich hatte immerhin einen sehr schmackhaften Late Lunch.

Während der Teig ruhte oder im Ofen zu Gebäck wurde, arbeitete ich weiter am Kapitel zu 1936, das mir ausnehmend gut gefällt. Muss ich zwischendurch ja auch mal loswerden. So sehr ich noch mit einigen Kapitelabschnitten hadere, in denen meine Diss eventuell ein bisschen in eine Aufzählung von Ausstellungen und Werken abrutscht, was aber meiner Meinung nach sein muss beim ersten und vermutlich letzten Buch über diesen Herrn, so sehr mag ich die Kapitel zu 1934 und 1936, wo ich mich mit den großen Ausstellungen zur Autobahn beschäftige. Die lesen sich auch atmosphärisch dichter, weil ich schlicht mehr Archivgut zur Verfügung hatte, aus dem ich eine Erzählung basteln konnte.

Ich bin trotzdem nicht mit 1936 fertiggeworden. Schaffe ich hoffentlich heute.

Abends wäre eigentlich Date Night mit Herrn F. gewesen, aber die fiel aus Gründen leider aus. Ich tröstete mich mit den ersten beiden Folgen von The Last Dance, über dessen hymnische Besprechungen ich zwar schon gestolpert war, aber mich interessiert Basketball halt so null. F. hatte sich dafür sogar einen Probemonat Netflix gegönnt, obwohl ich ihm – natürlich – meinen Zugang angeboten hatte. (Muss ich da irgendwas reinlesen, Dr. Sommer?) Vorgestern schwärmte er mir wieder davon vor, und so knickte ich ein – und blieb natürlich hängen. Wie ich schon bei der Lektüre von Gentlemen, wir leben am Abgrund feststellen durfte: Bereite mir irgendwas gut auf, dann interessiert mich auch alles.

Tagebuch Donnerstag, 7. Mai 2020 – Fried Chicken und rote Haut

Sehr unkonzentriert gearbeitet, nicht mal mit 1936 fertiggeworden, wobei das auch das dickste Kapitel ist und jetzt so langsam die ganzen Autobahngemälde kommen. Trotzdem erfreulich wenige Korrekturen gemacht, es ist inzwischen mehr ein kritisches Überprüfen von jedem Satz, jedem Absatz und jedem Unterkapitel und dem Check, ob auch alle Erkenntnisse in den drei Zwischenfaziten erwähnt werden oder wenn nicht, warum nicht. Wenn es nicht wichtig genug für das Fazit ist, kann ich dann vorne kürzen? Und so weiter. Der Textbrocken bleibt ein Textbrocken und ich weiß überhaupt nicht mehr, wie ich jemals so viel schreiben konnte, obwohl ich das Ding ja erst vor zwei Wochen vorerst beendet hatte. Mein Reste-Dokument, also das, in das ich alle gekürzten Dinge reinwerfe, ist inzwischen 39 Seiten lang.

Dann wollte ich eine Mail an ein städtisches Archiv schicken und musste mich kurz über die blöden Kontaktformulare auf der Website aufregen, weil ich persönlich lieber mit dem eigenen Mailprogramm arbeite – auch weil ich Mails gerne in bestimmte Ordner lege, um sie wiederzufinden bzw. einen Überblick zu haben, wen ich denn jetzt schon mit wilden Fragen belästigt habe. Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, gefühlt zum hundertsten Mal, nicht mehr auf Twitter rumzumeckern, sondern dort nur noch nette Dinge zu schreiben, aber natürlich meckerte ich auf Twitter. Und bekam dafür sehr schlaue Antworten, warum Website-Formulare durchaus Vorteile haben. Sogar die angemeckerte Stadt meldete sich, obwohl ich den betreffenden Nachfolgetweet nach ungefähr einer Minute wieder gelöscht hatte. Nach den Antworten streute ich brav Asche auf mein meckerndes Haupt und nehme mir zum gefühlten einhundertersten Mal vor, nicht mehr auf Twitter zu meckern.

Gestern hätten F. und ich einen Tisch im Werneckhof gehabt, weil es dort vor einem Jahr so nett gewesen war, aber das Restaurant ist natürlich noch geschlossen. Der dortige Koch hatte sich vor ein paar Wochen aber einen lustigen Imbiss überlegt, mit dem er sich und sein Personal beschäftigen kann, und so schmachteten F. und ich schon länger auf Fried Chicken aus einem Schwabinger Hinterhof. Gestern schien mir ein guter Tag zu sein, um endlich mal eine Portion für uns zu holen. Ich musste eh in die Stabi, also setzte ich mich auf mein Fahrrad, brachte zwei Bücher weg und holte zwei neue. Inzwischen sitzt vorne am Eingang jemand mit Klickzähler, dann noch jemand an der Ausleihe und einer an der Rückgabe. Alles ist mit Absperrbändern und Hinweisschildern versehen und es fühlt sich immer noch creepy an, vermutlich weil es so irre leer ist. Ich halte die Maßnahmen immer noch für sinnvoll und trug auch gestern meinen Mundschutz; nicht nur im Gebäude und beim Imbiss, sondern, ein bisschen aus Faulheit, ein bisschen aus Angst, gleich ab der eigenen Haustür. Bei diesen Temperaturen beschlägt die Brille auch nicht mehr und ich kann okay atmen.

Beim Imbiss hatte ich mich auf etwas längere Wartezeit eingestellt, auch weil gerade vorgestern das ZDF berichtet hatte, wie Nakamura in seinen Insta-Storys verriet, aber 16.30 Uhr war anscheinend eine perfekte Zeit: Der Mittagspausenrush war durch, der Abendessenrush noch nicht da, und so stand kein einziges Menschlein vor mir. Familybox geordert, auf dem Gepäckträger verstaut und zu F. geradelt.

Der Autoverkehr in München scheint wieder beim Stand vor den Ausgangsbeschränkungen angekommen zu sein, die herrliche Zeit, in der man angstfrei radeln konnte, ist vorbei. Alles war voll, alle waren genervt, aber ich hatte immerhin Fried Chicken, das ich genussvoll mit F. auf dessen Balkon verspeiste. Das wurde natürlich auf Insta gepostet – und Nakamura kommentierte, woraufhin ich ein einziges Herzchenaugen-Emoji wurde, ich Huhn.

Die ungefähr 30 Minuten Radfahrt bei 20 Grad, von denen ich zehn noch mit Jacke bestritt, sorgten dann auch unfassbarerweise für den ersten Sonnenbrand des Jahres. Ich weiß ja, dass meine Haut Sonne doof findet, aber nach sechs Wochen zuhause mit Ausnahme des kurzen wöchentlichen Einkaufstrips hat sie anscheinend völlig verlernt, mit diesem Feuerball umzugehen. Ich tippe diese Zeilen mit Wund- und Heilsalbe auf Armen und Nacken und freue mich im Nachhinein über den Mundschutz, denn meine Wangen, sonst auch gerne feuerrot, sind top und schmerzfrei.

Tagebuch Mittwoch, 6. Mai 2020 – Zweiter Korrekturgang, 1933 bis 1935

Was die Überschrift sagt. Wieso dauert das denn immer noch so laaaange? Mpf.

Aber: Die staatlichen Archive öffnen auch so langsam ihre Türchen wieder. Ab nächste Woche kann man mit Voranmeldung (also wie früher) vorbeikommen, man kriegt nur keine Bleistifte mehr von der Aufsicht und die bestellten Akten liegen schon am Platz. Ist mir recht. Wenn jetzt noch das Archiv des Deutschen Museums … pretty please? Habe Mundschutz, bin vorsichtig.

Zum Mittagessen Pseudo-Spaghetti-Carbonara, weil noch Schinken im Kühlschrank lag, der wegmusste. Vergessen zu fotografieren. Ärgerlich, Carbonara geht bei Insta immer.

Abends ein Angebot für Werbetexte per Mail verschickt und zwei Sekunden nach „Senden“ panisch gecheckt, ob ich auch brav „Euro“ statt „Reichsmark“ geschrieben habe. Verdammtes Korrekturlesen.

Tagebuch Dienstag, 5. Mai 2020 – Zweiter Korrekturgang, 1926 bis 1932

Was die Überschrift sagt. Wobei ich kaum noch korrigieren muss, ich werfe nur Zeug raus oder in die Fußnoten. Außerdem entschlacke ich den Text, indem ich die ganzen Bildangaben auch in die Fußnoten verlagere. Ich freue mich jetzt schon darauf, diesen Absatz, der im Kapitel zu 1942 steht, zu entzerren:

„Protzen zeigte in der Ausstellung insgesamt 16 Ölgemälde aus seiner 1941 angefertigten Reihe „Deutscher Osten“: Ordensburg Golau (Gohlau/Gollub I, 1941, WV 390, 82 x 130 cm, Katalogpreis 2200 RM), Gollub (1941, WV 391, 82 x 130 cm, 2200 RM), Fischersiedlung bei Kulm (1941, WV 392, 82 x 130 cm, 2800 RM), Siedlung und Arbeitsdienst Kulm (1941, WV 393, 68 x 95 cm, 1200 RM), Kulm (1941, WV 394, 68 x 105 cm, 1500 RM), An der Drewenz (1941, WV 395, 80 x 110 cm, 1500 RM), In der Weichselniederung bei Kulm (1941, WV 396, 82 x 130 cm, 2200 RM), Weichsel bei Graudenz (1941, WV 398, 100 x 169 cm, 3500 RM), Danzig (1941, WV 402, 140 x 204 cm, 7000 RM), Krantor Danzig (1941, WV 403, 100 x 165 cm, 4000 RM), Danzig, am Fischmarkt (1941, WV 404, 140 x 204 cm, 6000 RM), Marienburg (1941, WV 405, 120 x 200 cm, 4000 RM), Marienwerder (1941, WV 406, 100 x 165 cm, 3000 RM), Marienburg im Winter (1942, WV 407, 100 x 165 cm, 3000 RM), Weichselniederung bei Graudenz (vermutlich Weichselniederung, 1941, WV 397, 82 x 130 cm, 2200 RM) sowie Kulm Marktplatz (1942, WV 408, 100 x 165 cm, 4000 RM), das im Katalog abgebildet wurde.“

Beim Schreiben war es einfacher, alles hintereinander wegzutippen, aber beim Lesen wird man irre. Die Bildtitel sind im Dokument kursiv, aber dafür bin ich im Blog zu faul.

Ansonsten bastelte ich am Abbildungsverzeichnis, jetzt, wo ich mich nicht mehr so stark auf den Text konzentrieren muss und bin jetzt schon bei 40 Abbildungen. Slow Clap.

Lustige Mailverkehre mit verschiedenen Bibliotheken gehabt, was Kopien von Ausstellungskatalogen angeht, die ich gerade als Fernleihe nicht bekommen kann wegen geschlossener Lesesäle. Gestern fragte ich in der Stabi Berlin nach einem Katalog, den ich mir Anfang März als Fernleihe hatte kommen lassen. Die UB München hatte mir am 17. März mitgeteilt, dass sie den Katalog wieder hätten zurückschicken müssen wegen Corona usw. Ich dachte also, der Katalog ist längst wieder in Berlin und fragte vor Ort nach. Dort sagte man mir lustigerweise, nee, der Katalog ist in München – ist das vielleicht sogar Ihre eigene Fernleihe? Ich also Mail an die UB mit Schilderung des Sachverhalts. Heute morgen Mail der UB: Katalog ist längst wieder in Berlin. Eventuell hat Corona jetzt eines der letzten Exemplare dieses Katalogs auf dem Gewissen, denn anscheinend weiß gerade niemand, wo er ist.

Immerhin ist er noch an zwei Standorten in Salzburg zu finden, frag ich halt da nach.

Eigentlich sollte er laut KVK sogar im ZI sein, aber da ist er nicht. Mein Bällebad ist seit heute wieder geöffnet, nur mit einem Drittel der Kapazität, aber immerhin. Und: Man kann nicht mehr durchgehend ab morgens im Lesesaal sitzen, es gibt zwischen 13 und 14 Uhr eine Zwangspause, in der irgendwas desinfiziert wird, und danach kommt man, wenn man vormittags da war, nicht mehr rein. Ich so: „NOOOOO!“ F. so: „Kriegste wenigstens mal ne zeitige Mittagspause.“

Mittags- aka Nachmittagsessen, WEIL ICH UM 13 UHR HALT NOCH KEINE PAUSE MACHEN WILL: Halloumi, Brokkoli und ne Runde Radieschen, die ich kurzerhand in ein Honigdressing warf, weil ich keine Lust auf diese ziepige Schärfe hatte. Abends hocherfreut festgestellt, dass der im Balkonkasten ausgesäte Salat zartgrün durch die Erde lugt. Und auch im Eierkarton auf dem Fensterbrett schaut eine einzige ausgesäte Tomate in Richtung Himmel. Wenn das hier alles wieder ohne Desinfektion und Mundschutz funktioniert, bin auch ich als Kinderlose wieder in den 1950er-Jahren angekommen mit meinem Sauerteig, meinem Minigärtchen und meinen Handarbeiten.

Das war’s. Sehr ruhiger, emsiger, schöner Tag. Bis auf den Ausstellungskatalog. (Vorletzte Hoffnung Uni Wuppertal. Ich zähle auf euch! Sonst: Servus, Salzburg, ihr Racker!)

Tagebuch Montag, 4. Mai 2020 – Mit Büchern arbeiten

Da konditioniert man sich wochenlang auf Datenbanken und PDFs und dann liegen da plötzlich wieder Bücher vor einem. Aus einer Bibliothek! Ich wusste gar nicht mehr, wie man mit denen umgehen soll.

Aber hey, ich fand mich doch recht schnell in dieses Medium hinein und ergänzte weiter lustig Dinge in der Diss, hauptsächlich in den Abschnitten, wo es um die Arbeiten von Protzen für das Deutsche Museum geht. Das Archiv ist leider immer noch geschlossen und auf der Website ist auch noch kein angepeilter Öffnungstermin zu erkennen. Aber auch durch Bücher – und ein paar Scans, die ich laut Dateiname im Januar 2018 vom Bestandskatalog des Deutschen Museums gemacht hatte – konnte ich ein bisschen was anlegen. Was mir allerdings erst gestern auffiel und mich seitdem wahnsinnig macht: Eins meiner liebsten Bilder des Herrn, über den ich eigentlich promovieren wollte, war eine Auftragsarbeit für das Deutsche Museum. Wusste ich nicht. Hätte ich wissen können. Hatte ich sogar schon mal im Original gesehen. Danke, Schirn.

Carl Grossberg: Der gelbe Kessel, 1933, Öl auf Holz, 94 x 74 cm, Von der Heydt-Museum Wuppertal.

(Quelle: WikiCommons. Das Bild ist in den USA bereits gemeinfrei, hier vermutlich nicht, mir gerade wurst. Bin immer noch auf die Erben stinkig.)

Am frühen Abend einen Doppelregenbogen gesehen, brav instagrammt und dabei gemerkt, dass gerade meine komplette Münchner Timeline Doppelregenbögen instagrammte. Like.

Abendbrot vom feinsten, dieses Mal nicht TK, aber mit Basilikum vom Balkon. #Was_schön_war

Will the Food Habits of Scallion Nation Outlast Quarantine?

Schöner Artikel über Dinge, die wir in seltsamen Zeiten tun. Im Artikel versteckt ist ein Twitter-Thread der Autorin, die ihre Leser*innen fragte, welche Angewohnheiten sie von Eltern und Großeltern übernommen hätten, mit denen man Geld sparen könnte. Interessante Antworten.

Ich bin in einem Haushalt groß geworden, in dem ich Kleidung meiner älteren Cousine auftrug und sie dann an meine jüngere Schwester weiterreichte. Bei uns wurde das Silberpapier von Schokoladentafeln aufgehoben, weil man damit noch Butterbrote einwickeln konnte, auf Briefumschlägen wurden Notizen gemacht, mein Vater schleppte altes Geschäftspapier – zum Beispiel mit veralteten Adressen oder Briefköpfen – kistenweise nach Hause, auf dem ich dann rummalte. Das Papier ist bis heute nicht aufgebraucht. Meine Mutter reicht mir heute noch Leinenhandtücher weiter, die sie aus Bettlaken meiner Großeltern genäht hat; es gibt keine besseren Geschirrtücher, ich habe in meinem ganzen Leben einmal Geschirrtücher gekauft, weil ich mal welche in bunt oder mit Mustern haben wollte, es aber danach gelassen, denn, wie erwähnt, es gibt keine besseren, fusselfreieren, schnelltrocknenden Geschirrtücher als diese. Gefrierbeutel wurden selbstverständlich ausgewaschen und mehrfach verwendet, und so herrliche Plastikbecher wie die Mövenpick-Eispackungen ersparten Tupperware. Ich habe es nach meinem Auszug von zuhause als absoluten Luxus empfunden, mir Tupperware (no name) zu kaufen, um endlich keine alten Eiscontainer mehr benutzen zu müssen, fange jetzt aber auch an, diese aufzuheben. Und seit bei mir das Geld nicht mehr ganz so locker ist, wasche ich Gefrierbeutel aus und benutze Backpapier mehrfach, solange es nicht völlig durchgefettet ist. Nahrungsmittel mit abgelaufenem Datum haben mich noch nie erschreckt, und ja, auch auf meinem Fensterbrett wachsen gerade Frühlingszwiebeln.

„Recently, the writer Jenny G. Zhang called the trend of growing scallions in jars “Victory Sills.” A perfect name, and a nod to the food gardens people were first encouraged to grow as their civic duty during World War I.

But liberty or victory gardens, fueled by wartime scarcity, were a relatively short-lived movement (though provision gardening has made a comeback recently). As soon as many Americans realized that gardens weren’t totally necessary, that all the extra work of maintaining them year round was, well, work, millions of gardens were abandoned.

The end of self-isolation could mean a return to all the conveniences of a pre-pandemic food era, to an unstable, fragile food system. But for those who live through the pandemic, it could also shape a collective response, and all of these small habits could add up to a meaningful shift that changes our food culture.“