Tagebuch Dienstag, 5. Mai 2020 – Zweiter Korrekturgang, 1926 bis 1932

Was die Überschrift sagt. Wobei ich kaum noch korrigieren muss, ich werfe nur Zeug raus oder in die Fußnoten. Außerdem entschlacke ich den Text, indem ich die ganzen Bildangaben auch in die Fußnoten verlagere. Ich freue mich jetzt schon darauf, diesen Absatz, der im Kapitel zu 1942 steht, zu entzerren:

„Protzen zeigte in der Ausstellung insgesamt 16 Ölgemälde aus seiner 1941 angefertigten Reihe „Deutscher Osten“: Ordensburg Golau (Gohlau/Gollub I, 1941, WV 390, 82 x 130 cm, Katalogpreis 2200 RM), Gollub (1941, WV 391, 82 x 130 cm, 2200 RM), Fischersiedlung bei Kulm (1941, WV 392, 82 x 130 cm, 2800 RM), Siedlung und Arbeitsdienst Kulm (1941, WV 393, 68 x 95 cm, 1200 RM), Kulm (1941, WV 394, 68 x 105 cm, 1500 RM), An der Drewenz (1941, WV 395, 80 x 110 cm, 1500 RM), In der Weichselniederung bei Kulm (1941, WV 396, 82 x 130 cm, 2200 RM), Weichsel bei Graudenz (1941, WV 398, 100 x 169 cm, 3500 RM), Danzig (1941, WV 402, 140 x 204 cm, 7000 RM), Krantor Danzig (1941, WV 403, 100 x 165 cm, 4000 RM), Danzig, am Fischmarkt (1941, WV 404, 140 x 204 cm, 6000 RM), Marienburg (1941, WV 405, 120 x 200 cm, 4000 RM), Marienwerder (1941, WV 406, 100 x 165 cm, 3000 RM), Marienburg im Winter (1942, WV 407, 100 x 165 cm, 3000 RM), Weichselniederung bei Graudenz (vermutlich Weichselniederung, 1941, WV 397, 82 x 130 cm, 2200 RM) sowie Kulm Marktplatz (1942, WV 408, 100 x 165 cm, 4000 RM), das im Katalog abgebildet wurde.“

Beim Schreiben war es einfacher, alles hintereinander wegzutippen, aber beim Lesen wird man irre. Die Bildtitel sind im Dokument kursiv, aber dafür bin ich im Blog zu faul.

Ansonsten bastelte ich am Abbildungsverzeichnis, jetzt, wo ich mich nicht mehr so stark auf den Text konzentrieren muss und bin jetzt schon bei 40 Abbildungen. Slow Clap.

Lustige Mailverkehre mit verschiedenen Bibliotheken gehabt, was Kopien von Ausstellungskatalogen angeht, die ich gerade als Fernleihe nicht bekommen kann wegen geschlossener Lesesäle. Gestern fragte ich in der Stabi Berlin nach einem Katalog, den ich mir Anfang März als Fernleihe hatte kommen lassen. Die UB München hatte mir am 17. März mitgeteilt, dass sie den Katalog wieder hätten zurückschicken müssen wegen Corona usw. Ich dachte also, der Katalog ist längst wieder in Berlin und fragte vor Ort nach. Dort sagte man mir lustigerweise, nee, der Katalog ist in München – ist das vielleicht sogar Ihre eigene Fernleihe? Ich also Mail an die UB mit Schilderung des Sachverhalts. Heute morgen Mail der UB: Katalog ist längst wieder in Berlin. Eventuell hat Corona jetzt eines der letzten Exemplare dieses Katalogs auf dem Gewissen, denn anscheinend weiß gerade niemand, wo er ist.

Immerhin ist er noch an zwei Standorten in Salzburg zu finden, frag ich halt da nach.

Eigentlich sollte er laut KVK sogar im ZI sein, aber da ist er nicht. Mein Bällebad ist seit heute wieder geöffnet, nur mit einem Drittel der Kapazität, aber immerhin. Und: Man kann nicht mehr durchgehend ab morgens im Lesesaal sitzen, es gibt zwischen 13 und 14 Uhr eine Zwangspause, in der irgendwas desinfiziert wird, und danach kommt man, wenn man vormittags da war, nicht mehr rein. Ich so: „NOOOOO!“ F. so: „Kriegste wenigstens mal ne zeitige Mittagspause.“

Mittags- aka Nachmittagsessen, WEIL ICH UM 13 UHR HALT NOCH KEINE PAUSE MACHEN WILL: Halloumi, Brokkoli und ne Runde Radieschen, die ich kurzerhand in ein Honigdressing warf, weil ich keine Lust auf diese ziepige Schärfe hatte. Abends hocherfreut festgestellt, dass der im Balkonkasten ausgesäte Salat zartgrün durch die Erde lugt. Und auch im Eierkarton auf dem Fensterbrett schaut eine einzige ausgesäte Tomate in Richtung Himmel. Wenn das hier alles wieder ohne Desinfektion und Mundschutz funktioniert, bin auch ich als Kinderlose wieder in den 1950er-Jahren angekommen mit meinem Sauerteig, meinem Minigärtchen und meinen Handarbeiten.

Das war’s. Sehr ruhiger, emsiger, schöner Tag. Bis auf den Ausstellungskatalog. (Vorletzte Hoffnung Uni Wuppertal. Ich zähle auf euch! Sonst: Servus, Salzburg, ihr Racker!)

Tagebuch Montag, 4. Mai 2020 – Mit Büchern arbeiten

Da konditioniert man sich wochenlang auf Datenbanken und PDFs und dann liegen da plötzlich wieder Bücher vor einem. Aus einer Bibliothek! Ich wusste gar nicht mehr, wie man mit denen umgehen soll.

Aber hey, ich fand mich doch recht schnell in dieses Medium hinein und ergänzte weiter lustig Dinge in der Diss, hauptsächlich in den Abschnitten, wo es um die Arbeiten von Protzen für das Deutsche Museum geht. Das Archiv ist leider immer noch geschlossen und auf der Website ist auch noch kein angepeilter Öffnungstermin zu erkennen. Aber auch durch Bücher – und ein paar Scans, die ich laut Dateiname im Januar 2018 vom Bestandskatalog des Deutschen Museums gemacht hatte – konnte ich ein bisschen was anlegen. Was mir allerdings erst gestern auffiel und mich seitdem wahnsinnig macht: Eins meiner liebsten Bilder des Herrn, über den ich eigentlich promovieren wollte, war eine Auftragsarbeit für das Deutsche Museum. Wusste ich nicht. Hätte ich wissen können. Hatte ich sogar schon mal im Original gesehen. Danke, Schirn.

Carl Grossberg: Der gelbe Kessel, 1933, Öl auf Holz, 94 x 74 cm, Von der Heydt-Museum Wuppertal.

(Quelle: WikiCommons. Das Bild ist in den USA bereits gemeinfrei, hier vermutlich nicht, mir gerade wurst. Bin immer noch auf die Erben stinkig.)

Am frühen Abend einen Doppelregenbogen gesehen, brav instagrammt und dabei gemerkt, dass gerade meine komplette Münchner Timeline Doppelregenbögen instagrammte. Like.

Abendbrot vom feinsten, dieses Mal nicht TK, aber mit Basilikum vom Balkon. #Was_schön_war

Will the Food Habits of Scallion Nation Outlast Quarantine?

Schöner Artikel über Dinge, die wir in seltsamen Zeiten tun. Im Artikel versteckt ist ein Twitter-Thread der Autorin, die ihre Leser*innen fragte, welche Angewohnheiten sie von Eltern und Großeltern übernommen hätten, mit denen man Geld sparen könnte. Interessante Antworten.

Ich bin in einem Haushalt groß geworden, in dem ich Kleidung meiner älteren Cousine auftrug und sie dann an meine jüngere Schwester weiterreichte. Bei uns wurde das Silberpapier von Schokoladentafeln aufgehoben, weil man damit noch Butterbrote einwickeln konnte, auf Briefumschlägen wurden Notizen gemacht, mein Vater schleppte altes Geschäftspapier – zum Beispiel mit veralteten Adressen oder Briefköpfen – kistenweise nach Hause, auf dem ich dann rummalte. Das Papier ist bis heute nicht aufgebraucht. Meine Mutter reicht mir heute noch Leinenhandtücher weiter, die sie aus Bettlaken meiner Großeltern genäht hat; es gibt keine besseren Geschirrtücher, ich habe in meinem ganzen Leben einmal Geschirrtücher gekauft, weil ich mal welche in bunt oder mit Mustern haben wollte, es aber danach gelassen, denn, wie erwähnt, es gibt keine besseren, fusselfreieren, schnelltrocknenden Geschirrtücher als diese. Gefrierbeutel wurden selbstverständlich ausgewaschen und mehrfach verwendet, und so herrliche Plastikbecher wie die Mövenpick-Eispackungen ersparten Tupperware. Ich habe es nach meinem Auszug von zuhause als absoluten Luxus empfunden, mir Tupperware (no name) zu kaufen, um endlich keine alten Eiscontainer mehr benutzen zu müssen, fange jetzt aber auch an, diese aufzuheben. Und seit bei mir das Geld nicht mehr ganz so locker ist, wasche ich Gefrierbeutel aus und benutze Backpapier mehrfach, solange es nicht völlig durchgefettet ist. Nahrungsmittel mit abgelaufenem Datum haben mich noch nie erschreckt, und ja, auch auf meinem Fensterbrett wachsen gerade Frühlingszwiebeln.

„Recently, the writer Jenny G. Zhang called the trend of growing scallions in jars “Victory Sills.” A perfect name, and a nod to the food gardens people were first encouraged to grow as their civic duty during World War I.

But liberty or victory gardens, fueled by wartime scarcity, were a relatively short-lived movement (though provision gardening has made a comeback recently). As soon as many Americans realized that gardens weren’t totally necessary, that all the extra work of maintaining them year round was, well, work, millions of gardens were abandoned.

The end of self-isolation could mean a return to all the conveniences of a pre-pandemic food era, to an unstable, fragile food system. But for those who live through the pandemic, it could also shape a collective response, and all of these small habits could add up to a meaningful shift that changes our food culture.“

Tagebuch Samstag/Sonntag, 2./3. Mai 2020 – Wochenende

Das Motto war: ausruhen. Nichts erledigen, nichts müssen, nichts machen. Nichts gebacken, nichts gekocht, die gute TK-Pizza genossen, den Tee kalt werden gelassen, die Diss ignoriert. Viel gelesen und viel nachgedacht über Dinge, die ich hier im Blog nicht verhandele. Das war nötig und das hat sehr gut getan.

Einzige produktive Tätigkeit: einen weiteren Mundschutz produziert, dank eines Leserinnentipps mit nur zwei Nähten (man kann aber noch eine dritte setzen, was ich beim nächsten Mal vermutlich tun werde). Die einfach nachzubastelnde Videoanleitung steht hier, mein Exemplar sieht so aus und hat nicht mal eine halbe Stunde gedauert.

Haha, sehe gerade auf dem Bild, dass ich das eine Gummiband nochmal vernähen muss. Danke, Weblog. Ich hatte den Mundschutz gestern schon getragen und danach ausgekocht, anscheinend hat das schon gereicht, um meine rustikale Fertigung auf den Prüfstand zu stellen.

Tagebuch Donnerstag/Freitag, 30. April/1. Mai 2020 – Nähen und Nähe

Donnerstag war Schreibtischtag, eher unkonzentriert, aber immerhin ist mir eine Sache fürs Abbildungsverzeichnis eingefallen, über die ich tagelang gegrübelt habe. Für den Rest des Lebens merken: vielleicht einfach mal Dinge machen anstatt ewig Pro-und-Contra-Listen im Kopf aufstellen und paralysiert rumsitzen.

Am Freitag habe ich dann Dinge gemacht.

Donnerstag holte ich nach einem kurzen Spaziergang zur Packstation die erste Stofflieferung meines Lebens für mich ab und packte sie zuhause sehr ehrfürchtig aus.

Nach dem Bewundern kam alles in die Waschmaschine und Freitag wurden die drei Stücke erstmal gebügelt. Ich hatte nach günstigen Stoffen geschaut, weil ich ahnte, dass die Mundschutze daraus keine Design- und Schönheitspreise gewinnen würden, aber ich mochte Muster und Farben natürlich, sonst hätte ich kein Geld dafür ausgegeben.

Der Akademikerinnenschreibtisch wurde hergerichtet, wie ein Foto aus der Hüfte für F. zeigt. Auf dem Rechner holte ich das vorgestrige Hauskonzert von Herrn Levit nach.

Omas Nähkiste hatte ich vor ein paar Tagen sortiert; was ich mit dem ganzen Stopfgarn anfange, weiß ich noch nicht, aber wenn die Pandemie mich irgendwas gelehrt hat, dann: erstmal aufheben. Außerdem habe ich Nähgarn in vielen Farben, ein paar Spulen (? wie nennt man die Papierröllchen, auf denen das Garn wohnt?) hatte ich selbst auch schon angeschafft für die wenigen Näharbeiten, die ich mir in der Vergangenheit zugetraut hatte, hier mal eine aufgerissene Naht am Lieblingsshirt, da ein Knopf an der Bluse locker.

Neben den Stoffen hatte ich bei einem anderen Laden ein bisschen Zubehör gekauft: Schneiderkreide, einen Nahtauftrenner und 200 Stecknadeln. Stoffschere und Bügelbrett sind vorhanden, eine Nähmaschine leider nicht. Bestellt hatte ich bei Butinette – die machen Bandenwerbung beim FC Augsburg und den Namen hatte ich mir gemerkt, weil er so albern klang und ich ihn deshalb googeln musste. Bandenwerbung wirkt, People!

Den gebügelten Stoff zurechtgelegt und dabei gemerkt, dass mein Schreibtisch kein Nähtisch ist, vielleicht nächstes Mal doch in der Küche arbeiten weil mehr Platz? Dann die Maskengröße abgemessen. Beim letzten Basteln hatte ich mir die Maße von 17 x 34 cm gemerkt, die passt mir gut. Außerdem zwei Ohrengummis mit je 20 cm Länge. Danke, Oma, dass du Gummiband aufgehoben hast. Meine Mutter erzählte neulich am Telefon, sie habe im Radio gehört, dass Gummiband knapp wird, weil gerade alle Mundschutze nähten. Noch ein Lerneffekt der Pandemie: Dieses Just-in-Time, also eine Produktion nach momentanem Bedarf, hat auch seine Tücken. Hey, generell hat der Kapitalismus Tücken, irre Erkenntnis.

Beim letzten Mal hatte ich einfach die Stofflage gefaltet und zusammengenäht, wobei ich außen nicht unbedingt hübsche Nähte produzierte. Noch ein Lerneffekt, ich lerne momentan ja dauernd: den Stoff auf die hässliche Seite drehen, dann zusammennähen, dann umdrehen – unsichtbare Nähte. Toll. Irgendeinen Denkfehler hatte ich beim Gummibandannähen gemacht, womit auch der Nahtauftrenner zum Einsatz kam (sehr vorausschauend eingekauft), aber mir fällt schon nicht mehr ein, was genau ich verdaddelt habe.

Mit meinen schicken und fies spitzen Stecknadeln, wundert mich, dass ich den Stoff nicht vollgeblutet habe, konnte ich auch eine Falte mehr anstecken als bei der letzten Produktion. Ich gab mir auch mehr Mühe beim Rand, aber mit dem bin ich immer noch unglücklich, weil er so fransig aussieht. Auf Insta kam der Tipp, die Ränder einzuschlagen, um sie zu versäumen, das teste ich mal. Ist das etwa die legendäre Nahtzugabe, von der ich schon so viel gehört habe? Oder ich nähe fies einen Stoffstreifen über den Rand, den ich natürlich auch erstmal säumen müsste. Mit Maschine in zehn Sekunden gemacht (glaube ich), aber per Hand dauert das halt.

Auch den Drahtbügel für die Nase nähte ich anders ein als beim letzten Mal, wo ich einfach um den Bügel rumgenäht hatte. Hier nähte ich unter ihm eine Naht, allerdings nicht über die ganze Breite; an den Seiten wird er eh von den Gummienden am Platz gehalten.

Das hat viel Freude gemacht, auch wenn ich alle zehn Minuten „Au!“ gesagt habe. Diese sehr neue Beschäftigung fühlt sich an wie meine ersten Kochversuche vor über zehn Jahren: Da fand ich es sehr hilfreich, jemanden mit mir am Herd und auf dem Markt zu haben, der mich an die Hand nimmt. Hier finde ich es gerade sehr spannend, Dinge selbst herauszufinden. Hey, falls jemand in München seine Nähmaschine zu einem pandemiegerechten Preis loswerden will und sie mir an die Haustür bringt (kein Auto zum Abholen), täte ich die mit Kusshand nehmen. Mail genügt. Ansonsten stümpere ich einfach weiter vor mich hin.

Nebenbei: Eine Bekannte von mir näht gerade Mundschutze und verkauft sie, falls noch jemand einen braucht. Das ist die Lebensgefährtin des Herrn, dessen Dauerkarte vom FCA ich besitze. Sag noch mal jemand, dass Fußball alberner Zeitvertreib ist. Ich bin trotzdem dagegen, dass die Bundesliga ihren Spielbetrieb wieder aufnimmt. Aber falls sie es trotz meines Unwillens tun, sitze ich natürlich beim Anstoß am Laptop, ist klar.

Abends hatte ich ein Date mit F. Darüber breite ich den Mantel des Schweigens, aber das war sehr schön und wir waren etwas weniger viktorianisch als die beiden Male davor. Trotzdem getrennt geschlafen, weil wir beide gerade unruhige Nächte haben. Aber das hat mich sehr gefreut, dass wir uns beide getraut haben, dem anderen wieder näher zu kommen.

Links vom 1. Mai 2020

Zwei Longreads für den Feiertag.

Pilgrimage

Susan Sontag traf als 14-Jährige ihren literarischen Helden Thomas Mann und ich möchte jeden Absatz rauskopieren, weil es um so viel mehr geht: um die Faszination des Lesens, um die Suche nach Gleichgesinnten und die Suche nach sich selbst.

„I considered telling him that I loved “The Magic Mountain” so much that I had read it twice, but that seemed silly. I also feared he might ask me about some book of his which I had not read, though so far he hadn’t asked a single question. “ ‘The Magic Mountain’ has meant so much to me,” I finally ventured, feeling that it was now or never.

“It sometimes happens,” he said, “that I am asked which I consider to be my greatest novel.”

“Oh,” I said.

“Yes,” said Merrill.

“I would say, and have so replied recently in interviews . . .” He paused. I held my breath. “ ‘The Magic Mountain.’ ” I exhaled.“

Why the Coronavirus Is So Confusing

Der Untertitel schubst in die richtige Richtung: „A guide to making sense of a problem that is now too big for any one person to fully comprehend.“

„The coronavirus is not unlike the Y2K bug—a real but invisible risk. When a hurricane or an earthquake hits, the danger is evident, the risk self-explanatory, and the aftermath visible. It is obvious when to take shelter, and when it’s safe to come out. But viruses lie below the threshold of the senses. Neither peril nor safety is clear. Whenever I go outside for a brief (masked) walk, I reel from cognitive dissonance as I wander a world that has been irrevocably altered but that looks much the same. I can still read accounts of people less lucky—those who have lost, and those who have been lost. But I cannot read about the losses that never occurred, because they were averted. Prevention may be better than cure, but it is also less visceral.

The coronavirus not only co-opts our cells, but exploits our cognitive biases. Humans construct stories to wrangle meaning from uncertainty and purpose from chaos. We crave simple narratives, but the pandemic offers none.“

Tagebuch Mittwoch, 29. April 2020 – 49 Tage

49 Tage durfte ich nicht in eine Bibliothek. So ganz darf ich immer noch nicht rein, die Lesesäle bleiben noch bis mindestens 4. Mai geschlossen, wenn ich gerade auf dem neuesten Informationsstand bin. Die Stabi denkt darüber nach, die kleineren Säle zu öffnen – also die, in die ich immer den Nazikram aus dem Giftschrank geliefert kriege. Und mein geliebtes ZI öffnet auch ab nächster Woche wieder seine Pforten, und ich bin schon sehr gespannt, wieviele Leute dann in mein Stamm-Lesesälchen dürfen, der sonst 36 bis 40 Leuten Platz bietet. In den anderen beiden, noch kleineren Sälen sitze ich nie, keine Ahnung, wieviele da reingehen.

Gestern besuchte ich immerhin zwei meiner Lieblinge, um ein Buch loszuwerden und einige neue mitzunehmen. Es regnete, was mir recht war, denn dann sind weniger Leute unterwegs. Mundschutz auf, Regenjacke an, Fahrrad aus dem Keller gezerrt und erstmal zur Packstation geradelt, an der ich eine Retoure loswerden wollte. Schon nach wenigen Metern merkte ich: Mein toller Serviettenmundschutz, den ich bisher immer mit fast unbeschlagener Brille und guter Durchlüftung getragen habe, ist bei Regen eher Waterboarding. Das Atmen fällt durch nasse Baumwolle sehr schwer, wer hätte es gedacht, und anscheinend geht dann auch meine Atemluft nicht mehr nach unten oder zur Seite, sondern fies nach oben – wobei das auch an den gestrigen, eher kühlen Temperaturen gelegen haben könnte. Ich radelte also mit beschlagener und regennasser Brille durch die Gegend und schnappte undamenhaft nach Luft. Das war alles eher unschön.

Aber: In Busse und Trams (*wimmer* MISS YOU *wimmer*) will ich gerade nicht. Außerdem hatte ich ja die schönsten Ziele der Welt vor Augen (neben dem Schokoladenladen in Wien und dem Bodensee), die Packstation hatte problemlos noch Platz für mich, ist ja auch was, also weiter. Bis zur Unibibliothek war ich nassgeregnet und konnte kaum noch was gucken, aber egal. BIBLIOTHEK!

Die Uni-Bib ist nie so richtig überlaufen. Der Abholbereich ist Selbstbedienung, das heißt, man geht in den, keine Ahnung, wenn’s hochkommt, 50 qm großen Raum, in dem 20 Regale stehen, holt sich seine Bücher, verbucht die selbst an einem Terminal und verschwindet wieder. Daher hätte ich gedacht, dass das alles so geblieben wäre, aber nein. Pfeile auf dem Boden, Schilder und Absperrbänder führen einen an der gesperrten Selbstbedienungsausgabe vorbei zu zwei Fenstern, einmal die Rückgabe, die eh ohne Menschen funktioniert und dann das Fenster zur Abholung. Dort sind auf dem Boden Markierungen geklebt zum Abstandhalten, man legt seinen Bibliotheksausweis auf ein Lesegerät, die Dame hinter der Scheibe bekommt dadurch mitgeteilt, was für einen im Regal liegt, holt es nach vorn und verbucht es. Mit mir standen noch fünf weitere Leute in der Schlange, alle mit Mundschutz (genau wie die Bibliothekarinnen), alle geduldig und freundlich.

Ich erhielt meine zwei Ausleihen – und einen Umschlag mit Kopien, der mir die Frage nach den 1,50 Euro Gebühren auf meinem Konto ersparte, die mich etwas erstaunt hatten. Für mich war am 9. oder 10. März eine Fernleihe angekommen, die ich aber warum auch immer damals nicht abgeholt hatte. Ich ahne, dass das an meiner Nicht-Liebe zum Unibib-Lesesaal lag, den mag ich überhaupt nicht. Ich weiß auch noch, dass ich in der Woche vor den Ausgangsbeschränkungen (bitte sagt nicht Lockdown, wir hatten keinen Lockdown und auch keine Ausgangssperre) schön im Archiv gesessen habe und vermutlich auch deshalb nicht in den doofen Lesesaal wollte, weil der halt trübe und langweilig ist und meine gute Laune ruiniert. 49 Tage lang sagte ich mir selber WÄRSTE MAL HINGEGANGEN, DU NUSS, dann hättest du jetzt deinen Ausstellungskatalog aus Berlin, aber nee, Frau Gröner war sich ja zu fein für das runtergerockte Ding. Der Katalog war immer noch in meinem Konto zu sehen, daher dachte ich, der liegt da jetzt ewig, bis die Lesesäle wieder öffnen, aber nein, viel besser: Da der Katalog nur aus 20 Seiten bestand, wurde er einfach kopiert, ich zahlte 1,50 Euro, die Berliner bekamen „Deutscher Bauer, deutsches Land“ (1938) wieder, ich erhielt Kopien und weiß nun, dass Protzen dort die Meisterwerke Frühling im Bayerischen Wald (1937, WV 326, Tempera, 82 x 130 cm) sowie Landschaft vor Tegernsee (vermutlich Vor Tegernsee, 1935, WV 291, Öl, 82 x 130 cm) gezeigt hat.

Außerdem in der UB erledigt: meine LMU Card auf Sommersemester gestellt. Seit dem vorletzten Semester haben wir keine labbrigen Papierausweise mehr, sondern eine schicke Plastikkarte, die man zu jedem Semesteranfang in ein seltsames Lese- und Druckgerät steckt, das alte Semester wird abgefräst und das neue draufgedruckt. Da momentan aber alle Unigebäude gesperrt sind, kommt man nicht an diese Geräte. Hätte ich mir ein Semesterticket gegönnt, wäre das aber in Ordnung gewesen, LMU und die Münchner Verkehrsbetriebe haben einen Deal gemacht, dass die alten Cards als gültig angesehen werden, wie mir eine Mail der Uni mitteilte. Es geht momentan so vieles nicht, aber dafür geht vieles andere, was ich bei unserem deutschen Ordnungswahn nie gedacht hätte. Jedenfalls hatte irgendjemand die gute Idee, eins der Geräte aus dem Nebentrakt zu holen, wo es sonst steht, und es in halbwegs okayer Entfernung zur Warteschlange der Bibliothek zu platzieren. Ich bin dann jetzt auch offiziell im letzten Semester.

Nach der UB fuhr ich zur Stabi. Auch dort sagten einem schon Schilder, dass nur Ausleihe und Buchrückgabe geöffnet hatten, Pfeile auf dem Boden wiesen Besuchern und Personal die unterschiedlichen Wege. Die Stabi hatte ich noch nie so leer erlebt, die ist eigentlich nie wirklich leer, jedenfalls nicht zu den Zeiten, in denen ich sie besuche. Um kurz vor Mitternacht war ich allerdings noch nie drin, aber ich ahne, dass sie selbst dann belebter ist. Das war schon fast ein bisschen spooky, an einem Wachmenschen mit Mundschutz vorbeizugehen, der einen weiterwinkte, falls man sich auf dem Weg von der Eingangstür geradeaus zu den Schließfächern verirren sollte. Aber nach dem Bericht der SZ (oben verlinkt) ahne ich, dass der Herr vielleicht ein bisschen mitzählt, damit sich nicht zu viele Leute gleichzeitig im Gebäude aufhalten.

Die Schließfächer waren fast alle geschlossen, ich überlegte, ob ich jetzt überhaupt Jacke und Rucksack abgeben müsste, vielleicht funktionierte auch hier die Ausleihe jetzt nicht mehr mit der Hilfe des Ausleihenden. Mehr aus Gewohnheit warf ich alles ins Schließfach, zückte meine 1-Euro-Münze aus der Hosentasche, schloss ab und ging mit einem Buch und meinem Portemonnaie, in dem sich mein Bibausweis befindet, in den großen Raum, in dem normalerweise vielstimmig rumgewimmelt wird. Hier guckten mir zwei Menschen mit Mundschutz, aber ohne Abstand zueinander dabei zu, wie ich alleine zum Rückgabeschalter ging, wo ein gelangweilter Herr mein Buch entgegennahm, ich glaube, nun hinter einer Plastikscheibe und nicht mehr ohne. Weiß ich aber gerade nicht. Ich tippe auf Plastik.

Danach ging ich durch das geöffnete Drehkreuz, das man nun nicht mehr antippen musste, in den Ausleihbereich. Hier sah ich ungefähr drei oder vier Menschlein, wo sonst gerne mal 25 rumlaufen und ihre Bücher suchen (wir waren alle mal Erstis). Auch ich musste ernsthaft wieder neu suchen und behaupte, die Stabi ändert dauern ihre Regalnummerierung. Die Dame, die meine zwei Bücher verbuchte, saß hinter Plastik und sie fasste auch meinen Ausweis nicht an, sondern las ihn nur per Handscanner ein und wartete, dass ich ihn mir wieder nahm. Auch das Drehkreuz zum Ausgang musste nun nicht mehr von ihr entsperrt werden, ich ging einfach so hinaus, wie üblich mit meinen Büchern im Arm, was sich fast wieder normal anfühlte.

Am Schließfach hörte ich meine Münze in den Rückgabeschacht fallen, was aber anders klang als sonst, und freute mich über ein 2-Euro-Stück, das da anscheinend vergessen wurde. Darauf habe ich acht Studiumsjahre gewartet! Sieben Nuggets in der Sechserbox bei McDonald’s hatte ich aber immer noch nicht. Könnte auch daran liegen, dass ich die schon sehr lange nicht mehr bestellt habe. (Habe jetzt Lust auf Chicken McNuggets.)

Für die Rückfahrt nahm ich den Mundschutz ab, das Atmen fiel wirklich schwer und ich sehe dann doch ganz gerne den Straßenverkehr, durch den ich radele. Der war gestern netterweise merklich geringer als sonst, und so radelte ich nass, aber sehr zufrieden wieder nach Hause. Dort erledigte ich das neuerdings übliche Desinfektionstänzchen – was fasst man an, was nicht, wie oft wäscht man sich die Hände, nachdem man wieder reingekommen ist – und kochte danach meinen Mundschutz aus. Daher kam ich etwas unsanfter wieder in der Realität an, die ich eben für ein knappes Stündchen hatte ausblenden können.

Meine erste Aktion nach dem Ende der Promotion, wenn mein Bibliotheksausweis nicht mehr gültig ist, wird sein, mir einen neuen zu holen. Dann zwar ohne LMU-Aufdruck UND SCHON WIEDER MIT EINER NEUEN REGALNUMMER, aber ich weiß gar nicht mehr, wie ich ohne Bibliotheken auskommen soll. Das hat gestern wirklich sehr gut getan.

Es gibt viel zu tun

Katrin Schuster von der Stadtbibliothek München beschreibt die Herausforderungen gerade an digitale Möglichkeiten, die Bibliotheken besser meistern müssen.

„Nicht erst seit gestern akut ist etwa die Frage nach der Lizenzierung digitaler Medien. Den meisten unserer Nutzer*innen erscheint es zum Beispiel absurd, dass ein eBook nicht mehrmals gleichzeitig ausgeliehen werden kann, sondern sie vormerken und abwarten müssen wie bei gedruckten Büchern. Der Lobbyverband der Verlage und Buchhandlungen wiederum fürchtet um die Verkäufe, wenn Lizenzen unbegrenzt vergeben werden (und versucht das auch in Studien nachzuweisen). Noch immer gibt es keinen für alle tauglichen Entwurf für ein zeitgemäßes Urheberrecht, das sowohl den Erlösmodellen als auch der Informationsfreiheit wirklich gerecht wird. Ein Problem, das von der Pandemie in mehrfacher Hinsicht verschärft wurde: Buchhandlungen haben Umsatzeinbrüche zu verkraften, während Bibliotheken den Bedarf an eBooks bei weitem nicht mehr decken konnten. Presse und Rundfunk geht es ähnlich: Vielfach herrscht Kurzarbeit, während doch gerade jetzt seriöse Aufklärung und Einordnung wichtiger wären denn je; Bibliotheken sind darauf jedenfalls unbedingt angewiesen.“

#LibraryLife in der Coronakrise (1) : Digitale Bibliotheksangebote brauchen eine digitale Community

Stephan Schwering weist (für uns Interweb-Affine vermutlich nicht neu) darauf hin, dass der Aufbau einer Community mehr ist als Bilder von Büchertischen zu posten. Gerade die Stadtbibliothek München nehme ich übrigens als sehr engagiert im Digitalen wahr.

„Gleichzeitig merken wir, wie wichtig die digitalen Angebote der Bibliotheken wirklich sind. Viele Bibliotheken erleben gerade einen unheimlichen Run auf Ihre digitalen Angebote (auch weil viele Bibliotheken, wie wir in Düsseldorf ein kostenfreies, befristetes DigitalAbo anbieten). Viele Bürger*innen nehmen sie wohl sogar zum ersten Mal war. Gut, dass viele Bibliotheken einen – wenn auch befristeten – kostenfreien Zugang auf ihre Angebote gewähren. Gut aber auch, wenn die Bibliotheken diese in den sozialen Netzwerken kommunizieren, erläutern und erklären können und dort auch für Fragen und Anliegen ansprechbar sind.

Spätestens jetzt wird klar, wie wichtig es ist, das digitale Angebot einer Bibliothek wie z.B. die onleihe eigenständig zu denken. Es ist ein eigener, digitaler Ort. Bibliotheken bieten den Zugang dazu und sind vertrauenswürdige Partnerinnen für die Bürger*innen im Netz, virtuelle Inseln für fundierte Information und gute Inhalte. Die digitalen Nutzer*innen werden zum großen Teil die Bibliothek als analogen Ort in ihrer Stadt nie aufsuchen – akzeptieren wir das. Die Coronakrise und die damit verbundene Schließung von Bibliotheken wird wahrscheinlich zu einer größeren Verbreitung der digitalen Bibliotheksangebote führen, als jede andere Werbemaßnahme der geöffneten Bibliotheken zuvor es je vermocht hat. Das ist nicht überraschend und dennoch kann es uns etwas verdeutlichen: Die digitalen Angebote und die digitale Kommunikation finden in dieser Zeit gerade neu zueinander – und das ist notwendig. Insofern bietet diese Krise auch in Bibliotheken eine Chance über eine reine Nutzungssteigerung der digitalen Angebote hinaus.“

Tagebuch Dienstag, 28. April 2020 – Erste Machetenkorrektur

Am Wochenende bereitete ich mir bereits Darjeelingtee zu, weil mein gelieber Bünting Grünpack sehr zur Neige geht, und das ist mein Arbeitstee, der wird also für die Woche aufgespart. Bitte keine Zusendungen, ich möchte keine Päckchen empfangen. (Ich sage das nur, weil ihr in letzter Zeit damit recht freigiebig seid, was mich einerseits freut, mir aber auch jedesmal einen menschlichen Kontakt einbringt. Entschuldigung für diese Undankbarkeit.)

Ich erinnerte mich an meine letzte Suche nach Grünpack, die mich durch halb München führte, was jetzt sowieso nicht möglich ist, aber sie endete damit, dass ich online beim Teehaus bestellte. Danach erzählten mir diverse Leser*innen von Grünpack-Sichtungen in ihrer Nachbarschaft in München, ich überprüfte einige Verkaufsstellen, an denen ich ohne große Umwege vorbeikomme, fand das Vorkommen dieses herrlichen Getränks bestätigt und merkte mir, wenn deine zwei Online-Kilo weggetrunken sind, kannst du da entspannt vorbeigehen.

Ich glaube inzwischen, in totaler Überschätzung meiner eigenen Wichtigkeit, dass damals viele Menschen in Geschäften nach Grünpack gefragt haben, er deswegen geordert wurde und bei meinem Besuch daher vorrätig war. Anscheinend kauft den aber niemand hier im Süden außer mir, weswegen er wieder schnell aus dem Sortiment verschwand, denn an den beiden Stellen, die ich mir gemerkt hatte, war er in letzter Zeit nicht mehr erhältlich.

Jetzt habe ich noch ungefähr bis Ende dieser Woche den Lieblingstee und dann mache ich alle anderen Tüten in der Teekiste leer. Wenn diese Pandemie irgendwas Gutes hat, dann, dass ich endlich meine Vorräte wegtrinke und -esse anstatt ständig was nachzukaufen. Aber sobald ich keine Angst mehr vor Menschen habe, wird wieder Ostfriesentee geordert. In Massen.

Gestern wieder mies geschlafen, aber immerhin bis 5. Trotzdem erst um 7 aufgestanden, vorher schon im Bett das Internet leergelesen. Das war gestern wieder ein Tag, an dem man den Twitter-Account kündigen möchte, weil alte, weiße Männer(TM) mal wieder Müll von sich gegeben habe, dem nicht zu entgehen war. Den Theatermenschen und den Grünen habe ich noch mitbekommen, als der FDP-Typ plötzlich in den Trends auftauchte, machte ich mir nicht einmal die Mühe zu gucken, was der denn wohl Dusseliges gesagt hat. Ignoriert, Handy weggelegt, lieber Offline-Dinge getan. Wie Lesen.

„Möchten Sie, lieber Herr, nicht auch da seßhaft sein, wo es absolut keinen Nimbus, keine Kunst- und Literaturgötter und keinen Politiker gibt, dem man sonderlich viel zutraut? Wenn ja, dann kommen Sie nach München. (Nebenbei: Ich bin in keiner Weise vom Fremdenverkehrsverein bestochen, ich sage das rein aus mir heraus.)

Unsere Stadt ist in jeder Weise finster und kleinbürgerlich. Sie ist katholisch und alles, was davon abweicht, ist bolschewistisch. (Als die Josefine Baker auftreten wollte, hieß man das so, und als der Glaspalast abbrannte, war das ein Werk ‚abgewiesener, bolschewistisch infizierter Künstler‘.)

München ist seit langer, langer Zeit sozusagen auf den Hund gekommen, München ist sicher von allen deutschen Städten die provinzlerischste, wenngleich man von unseren wortreichen Reise- und Kunstphilosophen Hausenstein bis zu unserem ehrengeachteten Oberbürgermeister eifrigst bemüht ist, das Vergangene dieser Stadt wieder zu Glanz zu bringen. (Zukunft kennt man hierorts nicht, kaum Gegenwärtiges.) Verlassen Sie sich drauf, daß das auch nie anders wird. da hilft keine Revolution, kein Hitler, ja nicht einmal der Rückgang der Fremdenfrequenz. Wir sind und bleiben ein stadtähnliches Dorf und können wirklich nichts anderes mehr tun, als gemütlich sterben.

Grad aber dieses gemütliche Sterben ist das Faszinierende dieser Stadt. Es macht uneitel, versöhnlich und wunderbar glaubenslos. Und weil wir alle, wir echten Münchner, durch unsere katholische Herkunft nihilistisch in einem herrlich wurschtigen Sinn angekränkelt sind, darum läßt sich’s hier gut leben. Wir sind froh, daß uns irgend jemand regiert, daß jemand immer wieder versucht, uns auf diese oder jene Weise vorwärts zu bringen. ‚Laßt ihn nur! Wird’s was, haben wir den Nutzen! Wird’s nichts, kann man darüber granteln!‘ Das ungefähr ist unsere Grundeinstellung.“

Oskar Maria Graf: Notizbuch eines Provinzschriftstellers, Basel 1932, S. 49/50. Sehr lesenswert. Nebenbei: Von Protzen verbrannten acht Werke im Glaspalast.

Ich tippe übrigens aus einer Originalausgabe von 1932 ab, die F. mal in einem Antiquariat gefunden hat. Deswegen traue ich mich nicht, die Seiten so gnadenlos zu beschweren, wie ich das sonst beim Abtippen mache: iPhone auf die eine Seite, kleine externe Festplatte auf die andere. Dieses Buch schlage ich quasi nur 45 Grad weit auf – und vermisse gerade NOCH MEHR ALS EH SCHON diese lustigen Schaumstoffkeile, die man in Archiven kriegt, damit man Bücher oder Aktenberge nicht so weit aufschlagen muss. Und die Bleischlange, die man so hinlegen kann, wie man möchte und die weniger kaputtmacht als iPhones und Festplatten.

Ansonsten erneut durch die Diss gegangen, nun erstmals mit der Machete. Da meine Arbeit noch aus zehn Einzeldokumenten besteht, weil ich sonst wahnsinnig beim Bearbeiten werde, zählte ich gestern mal händisch durch, wo ich nach dem ersten Korrekturgang geendet war: 342 Seiten. Das ist zuviel. Nun begann also die Phase des „So richtig wichtig ist es nicht“, wie ich es gerne nenne. Dieser Brief von Vaddern an Sohnemann Protzen von 1921? Ja, hübsch, aber zahlt er auf die Forschungsfrage ein? Nein. Raus damit. Dieses funky Zitat zur Landschaftsgestaltung der Reichsautobahn? Ja, hübsch, aber hatte ich sinngemäß schon mal sehr ähnlich, nur in anderer Formulierung. Raus damit. Dieser detaillierte Forschungsstand, den man vielleicht auch raffen könnte? Ab in die Fußnoten. Jetzt sind aus meinen 50 Seiten Einleitung (Quellen, Forschungsstand, Ziel dieser Arbeit und Autobahnen: Wer sie sind und wieso sie gemalt wurden) immerhin schon nur noch 45 Seiten geworden. Da gehe ich beim nächsten Korrekturgang nochmal exzessiv rüber.

Gegessen: Kuchenreste von vorgestern, Tomatensalat, Butterbrot. Gerade sehr kochfaul, vorgestern gab’s auch nur eine Riesenschüssel Bohnensalat plus Kuchen und Butterbrot. Und eine Tüte Chips, die F. unvorsichtigerweise hiergelassen hatte. Sind sie da, sind sie weg, da bin ich völlig disziplinlos.

Tagebuch Montag, 27. April 2020 – Einleitung und Hefeteig

Sehr gut geschlafen – aber nur bis 4 Uhr morgens. Dann rumgewälzt bis 6, den Wecker um 7 ignoriert und bis 9 geschlafen. Eher mies gelaunt in den Tag gekommen. Festgestellt, dass jetzt eine Baustelle unter meinem Schlafzimmerfenster ist, die ich leider auch im Arbeitszimmer höre, so lange die Fenster geöffnet sind.

Den Tag verbrachte ich entweder am Schreibtisch – weiter am Abbildungsverzeichnis arbeitend und nebenbei den zweiten Korrekturgang durchführend, gestern wurde die Einleitung abgeschlossen – oder in der Küche, wo ich in Etappen meinen ersten Kouign amann zubereitete. Ich bin noch nicht ganz zufrieden (zu früh aus dem Ofen genommen, zu wenig Karamell), aber Zucker und Butter schmecken zusammen schon sehr gut.

Abends mit F. per Facetime gesprochen, wir sind für Freitag wieder so altmodisch persönlich miteinander verabredet. Danach alleine auf dem Balkon rumgesessen und in die Dämmerung geguckt. Es ist immer noch ein bisschen Stoff in der Prosecco-Flasche, die ich letzte Woche zum Abschluss der Erstfassung der Diss geöffnet hatte.

What We Miss Without Museums

Ich mochte an dem Text die Zärtlichkeit, mit der über Gemälde gesprochen wird. Und dass die olle Aura eben doch vorhanden ist. (Walter Benjamin Ultras.)

„The other morning, I woke in the dark with terrifying visions. To quiet myself, I imagined walking into the great lobby of the Metropolitan Museum of Art—hundreds of miles away from my dark room in Chicago. There would be cherry blossoms in the huge vases, maybe dogwood. I ascended the stone stairs, turned to the right, and threw myself down before Nicolas Poussin’s “Blind Orion Searching for the Rising Sun,” from 1658. I wanted to watch mythic Orion, his eyes closed and hand outstretched, making his way along the soft dirt path toward the radiant, arriving day.

I went to the Met every Friday night for sixteen years, until I left New York in 2011. I visited “Blind Orion” over and over. In the painting, Orion is a giant. He has been blinded by an angry king and is being guided by Cedalion, a small figure on his shoulder, toward the light of the sun, which will bring back his sight. It’s a painting about vision and wonder: look at the beautiful world he is about to see again.

When I reluctantly left my inward vision to begin another day of sheltering in place with our two young children, I laughed a little, thinking that, of all the work at the Met, I’d chosen to remember this painting, in which damage is repaired, and everything that has been taken away will be restored in the morning.“

Und den Absatz fand ich auch schön:

„Museums know the desires of our hands. That is why they have so many “Do Not Touch” signs, so many guards to caution us back. The special presence of paintings comes from their being at once untouchable and viscerally evocative of touch.“

Weniger zärtlich, sondern seltsam: „A UK Museum Challenged Bored Curators Worldwide to Share the Creepiest Objects in Their Collections. Things Got Really Weird, Fast.

Das Altpapier des MDR fasst meine derzeitige Medienmüdigkeit ganz gut zusammen, wo gelangweilte (meist) Herren meinen, ihre schlichte „Dagegen“-Position sei gerade irgendwie förderlich.

„Nun sind die Maßnahmen zur Eindämmung des Virus nicht alternativlos, aber das meinen die Autoren meinem Textverständnis nach auch nicht. Sie begründen vor allem, warum sie nach der Beschäftigung mit den sich ständig verändernden Erkenntnissen davon absehen, gegebenenfalls begründungsschwache Gegenpositionen einzunehmen, nur um dadurch Meinungsstärke zu demonstrieren.

Die taz touchiert hier eine der größeren Fragen, die sich Medien in der Pandemiesituation stellen: Wie weit kommt man mit den Werkzeugen, die so im Debattenkasten herumliegen? Was nützen sie, wenn man doch nun auf einer ganz neuen Baustelle arbeitet? Kann es unter Laien große Meinungsvielfalt über epidemiologische Erkenntnisse geben, und wenn ja: Ist der Dunning-Kruger-Effekt auch eine Meinung? Wie entsteht Erkenntnisgewinn?“

Tagebuch Sonntag, 26. April 2020 – Sofatag

Fast. Ein paar Stündchen saß ich am Abbildungsverzeichnis, aber eher unkonzentriert.

Der Tag begann mit dem Nachschauen von Saturday Night Live.

SNL hatte vor zwei Wochen, nach der inzwischen überall eingetretenen Zwangspause, aus den Wohnungen und Häusern der Darstellenden gesendet. Das war alles eher Schülertheater bis auf wenige Sketche, die damit spielten, dass alle am Rechner saßen und Stress mit Zoom hatten. Aber ansonsten war das ein sehr anderes Niveau als das, was man sonst von der Show gewohnt ist. Daher war ich gestern etwas skeptisch, wie die zweite Corona-Ausgabe aussehen würde – und wurde positiv überrascht.

Anscheinend wurden per Kurier diverse Greenscreens zu den Darstellenden geschickt, so dass zum Beispiel die Weekend-Update-Nachrichten ihren ganz normalen grafischen Hintergrund hatten und man nicht mehr die geschickt drapierte Akustikgitarre von Colin Jost auf dem Sofa bewundern konnte. Meine Lieblinge Aidy Bryant und Kate McKinnon gaben ihre üblichen ungelenken Businesspartnerinnen, absichtlich so geschnitten, dass man deutlich sieht, dass sie nicht gemeinsam in einem Supermarkt stehen, und so nochmal extra komisch. Generell war das Graphics Department anscheinend wieder bei der Arbeit und es gab mehr Schnitte.

Auf den sonst üblichen Gastgeber, den vor zwei Wochen noch Tom Hanks aus seiner Küche gemimt hatte, verzichtete man, denn der ergibt bei diesem Setting überhaupt keinen Sinn. Normalerweise spielt der Host nach seinem Opening Monologue in mehreren Sketchen mit, aber das war nun ja nicht möglich. So durfte Brad Pitt den Reinkommer machen, der eigentlich mit „Live from New York, it’s Saturday Night“ endet und den er hier etwas abänderte. Sein einziger weiterer „Auftritt“ war die Ankündigung von Miley Cyrus als musikalischem Gast, die ausgerechnet Pink Floyds „Wish you were here“ bot und mich ein bisschen zum Weinen brachte. (Tolle Stimme.)

Zusammengefasst: kein uplifting Schülertheater mehr, sondern wieder eine engagierte TV-Produktion. Gefällt.

Zwei Instagrambilder von Christian Siriano vertwittert, weil ich es schick finde, dass er aus doofen Mundschutzen ein Fashion Statement macht. Der Tweet wurde von einem Aluhutträger retweetet – „SO GEHT VERSCHLEIERUNG BLABLABLA“ –, den ich schnellstmöglich blockte. Netterweise hat der Herr anscheinend kaum Follower, jedenfalls konnte ich Twitter weiter nutzen, ohne angekackt zu werden.

Ein Mann mit eigenem Kopf

Ein Nachruf auf Norbert Blüm.

„Norbert Blüm war 16 Jahre lang Arbeits- und Sozialminister, von 1982 bis 1998. Er war der Einzige, der den Kabinetten von Helmut Kohl vom ersten bis zum letzten Tag angehörte. Kurz danach zerbrach ihre Beziehung, Anfang des Jahres 2000. In Kohls Spendenaffäre kritisierte Blüm öffentlich, dass der langjährige Chef sein angebliches Ehrenwort, die Namen der Geldgeber nicht zu nennen, über Verfassung und Gesetz stellte. Solche Kritik war etwas, das Helmut Kohl für Verrat hielt, und wem der Mann übel nahm, dem nahm er übel für immer. Geißler, Süssmuth, Schäuble, Späth, Weizsäcker, seine beiden Söhne, sein Fahrer oder eben Blüm – mit vielen, die zuvor zu seinem Leben gehörten, sprach Kohl zeitlebens kein Wort mehr.

Norbert Blüm war ein vom Herzen gebildeter Mensch, auf keinen Fall einer, der unversöhnt mit jemandem bleiben wollte, der ihm einst etwas bedeutete, erst recht nicht im Alter. Also erzählte er bei jenem Mittagessen, dass er Kohl einige Zeit zuvor einen Brief geschrieben hatte, den Inhalt konnte er auswendig. Sie beide seien nun über 80, sie hätten so einen langen gemeinsamen Weg zurückgelegt, ob sie nicht ihr Zerwürfnis beilegen sollten, bevor einer von ihnen ins Grab geht. Blüm sagte: “Wenn er wenigstens zurückgeschrieben hätte: Du Arschloch, mit dir nie wieder.”

Aber von Kohl kam nichts. Einfach nichts. Zur Trauerfeier fuhr Blüm gerade deshalb, obwohl er eigentlich kein Beerdigungsgänger war; “ich kriege das Feierliche einfach nicht hin”, pflegte er zu sagen. Aber die Trauerfeier zu ignorieren hätte bedeutet, Gegnerschaft über den Tod hinaus zu dokumentieren.“

Igor Levit spielte gestern „Palais de Mari“ von Morton Feldman. Kannte ich noch nicht, hatte mich aber 23 Minuten im Griff. Ich kann verstehen, dass Levit weinen musste, wie er selbst twitterte. Das Stück wirft einen sehr auf sich selbst zurück und das ist derzeit gerade manchmal schwer erträglich.

Tagebuch Samstag, 25. April 2020 – Rosen und Kerzen (nein, nicht, was ihr jetzt denkt)

Als total sinnvolle Vorbereitung auf den Krankheitsfall aka meine persönliche Beruhigung, IRGENDWAS zu tun, mache ich meine Lungenübungen wieder etwas regelmäßiger. Simpel ausgedrückt: gaaaanz tief durch die Nase einatmen, anhalten und gaaaanz lange durch den Mund ausatmen, noch länger, noch länger, noch länger, noch länger, jedenfalls sind das die Kommandos, die man bei der Lungenärztin immer hört. Sinnbild für die kleine Anke, die mit visuellen Hilfsmitteln besser arbeiten kann, auch wenn sie nur im eigenen Kopf stattfinden: Erst total enthusiastisch an Rosen riechen, dann 100 Kerzen auf meiner Geburtstagstorte auspusten, noch länger, noch länger, noch länger.

Ich hatte Freitag schon begonnen, das Abbildungsverzeichnis der Dissertation zu überarbeiten, das in den letzten Wochen so halbwegs nebenher lief, aber eigentlich war da der Punkt, auf den ich mich konzentrierte, der Text. Jetzt müsste ich mich aber mal so langsam entscheiden, was ich alles für Bilder hinter den Text stellen möchte, damit die interessierte Leserschaft auch weiß, wovon ich die ganze Zeit schreibe. Inzwischen weiß ich ja, wie die Arbeit aufgebaut ist und wie sie aufhört, welche Vergleiche ich anstelle und welche Schlüsse ich ziehe, daher kann ich das jetzt besser eingrenzen. Im Text steht quasi noch hinter jedem zweiten Bild, das ich erwähne, „Abb. x“, aber das ändere ich gerade bzw. grenze ich sehr streng ein. Wir wollen das Ding ja nicht noch länger werden lassen.

Zu diesem Zweck fange ich wieder von vorn in der Arbeit an und lese den ganzen Brocken, den ich in den letzten fünf Wochen einmal durchkorrigiert bzw. finalisiert habe, nochmal durch. Bei jedem „Abb. x“ wird aus dem x eine Nummer, und im Abbildungsverzeichnis notiere ich den anständigen Bildtitel, die kunsthistorisch relevanten Daten und den heutigen Aufbewahrungsort des Gemäldes, falls bekannt. Für mich selbst notiere ich eine Angabe, wo zum Teufel ich eventuell schon mal eine Abbildung in Farbe und guter Qualität gesehen habe – das habe ich meist im Text notiert, damit ich es nicht vergesse –, aber zum allergrößten Teil steht da „Nachlass Nürnberg“. Wenn ich Glück habe, sieht das so aus: Abb. 2: Carl Theodor Protzen: Donaubrücke bei Leipheim, 1936, WV 309, 111 x 130,5 cm, Pinakothek der Moderne München. Bildquelle: pinakothek! farbig? Kat. Ausst. Straßen AH in der Kunst München, als farbige Postkarte. WV heißt Werkverzeichnis, und was hier zum Schluss kursiv ist, ist in meinem Dokument neongelb, damit ich sehe, dass da noch was zu tun ist, meh.

Mit diesem Job beschäftigte ich mich gestern wie auch vorgestern eher halbherzig, aber der zweite Korrekturgang fließt – natürlich – deutlich besser als der erste. Auch weil ich gerade am Ende der Arbeit angekommen war und mir wieder ins Gedächtnis rufen konnte, was ich in den letzten eineinviertel Jahren so aufgeschrieben habe. Deswegen konnte ich gestern in der Einleitung auch gleich Dinge ändern, die ich im Schlussteil anders formuliert hatte: „Diese Arbeit wird zeigen, dass …“ Nee, wird sie nicht, gleich mal wegstreichen.

Ansonsten viel geschlafen, viel Community geguckt, gelesen, GELESEN! ICH LESE WIEDER! Zum Beispiel das Notizbuch des Provinzschriftstellers Oskar Maria Graf (1932), in dem sich ein Kapitelchen mit Künstlerfaschingsfesten in Schwabing beschäftigt, für die Herr Protzen des Öfteren Plakate gestaltete. Da wollte ich einfach mal gucken, ob sich eventuell eine hübsche Fußnote basteln lässt. Stattdessen blieb ich gleich beim Vorwort länger hängen.

Bestes Tagwerk: einen Hefezopf gebacken und Lemon Curd angerührt. Gibt’s gleich beides zum Frühstück. Das war irgendwie beruhigend zu merken, dass ich für manche Lieblingsspeisen auch während einer Pandemie immer alles im Haus habe. Butter, Zucker, eine Zitrone, ein Ei. Und außerdem konnte ich überprüfen, ob Geruchs- und Geschmackssinn in Ordnung sind. Sind sie.

Tagebuch Freitag, 24. April 2020 – Wiedersehen und Rotwein

Ich habe nach fünf Wochen F. wieder von Angesicht zu Angesicht gesehen und nicht nur per Facetime und ihn auch gnadenlos umarmt, wobei wir allerdings beide Mundschutze trugen und vermutlich in unterschiedliche Richtungen geatmet haben. Fühlte sich gleichzeitig sehr gut und sehr doof an. Ich weiß selbst noch nicht, wie ich dieses Distanzieren mit dem eigenen Lebensgefährten in Zukunft praktizieren möchte. Ich weiß, dass wir uns näher sein dürften, aber momentan habe ich Panik vor meinem eigenen Freund, was mich noch mehr nervt als geschlossene Bibliotheken JA DAS IST MÖGLICH.

Ich hatte eine Runde Pittole gemacht und es gab einen schönen serbischen Rotwein dazu, während wir zwei Meter voneinander entfernt rumsaßen. Es ist alles absurd und tut weh.

‘While You Were Sleeping’ turns 25: An oral history of the Sandra Bullock rom-com favorite

Einer meiner Lieblingsfilme, wenn ich einfach nur rumschnuffeln will.

„Co-writers Daniel G. Sullivan and Fredric Lebow first pitched the idea of a man falling in love with an unconscious woman.

DANIEL G. SULLIVAN, co-writer: Nobody liked it. We went to Meg Ryan’s company and the development person there said, “Why would Meg Ryan want to do this movie? She’s unconscious the whole time.” So we decided to flip it, and once we made that switch, everything worked. When a guy is sitting next to a brain dead woman, it’s very predatory. But when you put a woman next to a guy, it’s sweet. We started calling it “Coma Guy,” but everyone still passed until we took it to a producer named Arthur Sarkissian.

ARTHUR SARKISSIAN, executive producer: I thought it was terrific, and I had known them to be good writers from another script we worked on together that never got made. […]

CATHY SANDRICH, casting co-director: There are a few auditions in your life as a casting director that you really remember, and Sandy’s was one of the most remarkable things I’ve ever seen. We were all crying. She did the monologue at Peter’s bedside where she first explains everything, and it was just so beautiful.

TURTELTAUB: Sandy has that overwhelming charm that makes her so irresistible. As soon as she left the room, [producer] Joe Roth stood up and said, “That’s our girl.”

BULLOCK: I believe it’s because Demi Moore couldn’t do it, I got it. So, I’m grateful to Demi Moore every single day. […]

TURTELTAUB: The best compliment I ever got was a woman told me, “I went to that movie with my boyfriend, and by the end of the night he was my fiance.” That’s when you know you’ve done something right, when you can get inside a person’s soul a little bit.

PULLMAN: Usually people say, “My mom was in love with you.” My son Lewis is an actor now, and he’s really good with the YouTube stuff. By accident, I saw that he had saved two scenes from “While You Were Sleeping.” That was the most touching thing.“

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Und als Kontrastprogramm:

Blood, Boycott, and Body Bags: An Oral History of ‘American Psycho’

Das Buch las ich mehrfach, allerdings beim ersten Mal immer nur in Abschnitten, bevor ich es angewidert in die Ecke warf oder in den Kleiderschrank sperrte, weil es mir Angst machte. (True Story.) Ich habe es schon länger nicht mehr gelesen und ich kann bis heute nicht verstehen, dass ein Film daraus geworden ist. Ich hatte an der Oral History jedenfalls mehr Vergnügen als am Film.

„Gloria Steinem was one of a number of prominent feminists who expressed outrage over a novel that featured scenes where Bateman tortured women. After director Mary Harron turned it into a film, though, the story would become the basis for one of the most prominent works of feminist cinema of the early 2000s. Co-written by Harron and Guinevere Turner, the 2000 dark comedy offers a biting, satirical look at toxic masculinity, inviting us into a world where the men around Bateman are so oblivious to his psychotic tendencies that he literally gets away with murder.

The film had a rough start. It changed directors and screenwriters numerous times, each with a different vision for what the film should look like. After originally attaching David Cronenburg to the film, Lionsgate ultimately landed on Harron—only to let her go, and briefly replace her with Oliver Stone, because she was against hiring Leonardo DiCaprio for the Bateman role. Lionsgate eventually realized its mistake and re-enlisted Harron to write and direct. She insisted on hiring Christian Bale for the part, long before he became one of Hollywood’s biggest names. […]

Ellis: Ultimately, [having Leo] did not work out. Leo supposedly—this is the story—got cold feet.

Turner: I believe I’m the one who started that rumor. I mean, I don’t know if it’s a rumor. My friend, who had just spoken to Gloria Steinem, said that Gloria Steinem took Leonard DiCaprio to a Yankees game, I believe, and said, “Please don’t do this movie. Coming off of Titanic, there is an entire planet full of 13-year-old girls waiting to see what you do next, and this is going to be a movie that has horrible violence toward women.”

Soon after that, Leo dropped out, so who knows what really happened? Gloria Steinem ended up marrying Christian Bale’s dad, which is really interesting. I wonder what Thanksgiving was like!“

Tagebuch Donnerstag, 23. April 2020 – Letzter Satz

Verschlafen, bei Flat White und O-Saft Masterchef Australia geguckt, interessiert festgestellt, wie DHL momentan bei uns im Haus Pakete zustellt, die ich nicht in die Packstation hatte kommen lassen können: Sie werden unten im Hausflur abgelegt, während oben mein Handy mit der Nachricht „Paket zugestellt“ plingt. Okee. Ist ein gutes Haus, hier kommt nix weg.

Eingekauft, an einer Ladentür ein Gut erworben, das ich nicht näher beschreiben kann (Empfänger liest mit), mit ausgestrecktem Arm und Mundschutz Bargeld rübergereicht wie eine Bankräuberin in Bizarro-World. Die Community-Folge mit den unterschiedlichen Timelines geguckt und wie immer völlig verliebt in alles gewesen. Selbst die Menschen, die diese Serienfolge nicht kennen, kennen vermutlich ein Gif daraus.

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Ich habe das Gefühl, alle zwei Wochen zu twittern, dass ich jetzt quasi fertig bin, weil ich mal wieder ein Meilensteinchen den Berg hochgeschoben habe; ich hoffe, das liest sich da nicht so. Gestern war dann aber mal wieder ein Tweet nötig, denn nach dem vermuffelten freien Tag am Mittwoch war ich gestern wieder motiviert und so okay gut gelaunt, dass ich mich an die Diss setzte und in wenigen Stunden den Schlussteil ausformulierte. Da waren doch nicht so viele Platitüden, wie ich vermutet hatte, und die Mail, die ich mir nachts beim schreckhaften Aufwachen um 2 noch selbst geschickt hatte – „mercker vollbehr vgl nachkrieg“ – half auch, die letzten Gedanken auszuformulieren, um den Teil nicht zu einer Nacherzählung der 300 Seiten vorher werden zu lassen. Um 16 Uhr 11 twitterte ich dann den frisch getippten Schlusssatz meines Textdokuments, der den Teil „Ausblick“ beendete: „Auch dazu trägt diese Arbeit bei.“ Backups erledigt, aufs Sofa gegangen, Kopf ausgemacht und nach kurzer Zeit ein Fläschchen Prosecco geöffnet und brav sozial distanziert angetrunken.

Nochmal: Ich bin noch nicht fertig. Auf Instagram kommentierte auch jemand zu Recht, dass der letzte Satz nie der letzte Satz bleibt, aber er ist jetzt erstmal geschrieben, der letzte Punkt am Ende des Brockens ist getippt. Um einen viel zu großen Vergleich rauszuholen: Die Statue ist aus dem Marmorblock geschlagen. Nun kommt das Finetuning. Anke Buonarroti nippt weiter am Prosecco.

Zur Feier des Tages mal meinen Mittagsteller, also den, den ich nach dem morgendlichen Flat White zwischen 14 und 17 Uhr zu mir nehme, je nachdem, wann mein Kopf Pause machen will, also diesen Teller nicht hübsch angerichtet, nicht nur die Hälfte fotografiert und die fürchterlich hässliche Arbeitsplatte nicht mit einem Tischläufer abgedeckt, was ich sonst immer für die Instaposts mache. Einfach alles auf den Teller geschaufelt, was ich sonst esse, geknipst, gepostet, fertig. Ist auch kein Filter drauf, was ich eh selten mache, aber falls jemandem das Grün des Brokkoli verdächtig vorkommt: Ich habe gestern einfach perfekt blanchiert, und mein Tageslicht in der Küche ist fast durchgehend großartig.

Der Rest ist Tofu in Soja-Ahornsirup-Ingwer-Chili-Schlotz, etwas zu enthusiastisch angebraten. War sehr gut.

Abends immerhin noch per Facetime mit F. angestoßen. Das war nicht ganz die Feier, die ich mir vorgestellt hatte, aber momentan ist ja alles anders. Ich war auch darüber erstaunt, dass mich das nahende Ende am Montag und Dienstag so fertig gemacht hat, während ich gestern glücklich und stolz war, als das Ende dann wirklich geschrieben war. Ich schiebe momentan jede emotionale Reaktion meinerseits auf eine komplette Überforderung von der Welt da draußen. Mehr Prosecco hilft bestimmt.

Tagebuch Mittwoch, 22. April 2020 – Muffigkeit rausradeln

Ausgeschlafen, traurig gewesen, Kaffee getrunken, die neue Folge Masterchef Australia gesehen, damit der Tag wenigstens halbwegs gut anfängt. Danach so genervt von der eigenen Muffigkeit gewesen, um nicht an den Schreibtisch zu gehen, sondern stattdessen in den Fahrradkeller. Mit dem Ziel Englischer Garten losgefahren, ohne Plan, ohne Zeitvorgabe, das einzige, was ich wollte, war, mich ein bisschen zu bewegen. Das tat ich dann auch deutlich länger als gedacht: Da ich mich im Englischen Garten grundsätzlich verfahre, weil ich nie weiß, wo ich eigentlich hinwill und gerne auch mal aus dem Garten wieder herausradele und dann den Weg wieder zurückfinden muss, sind es laut Google Maps und der inneren Maßeinheit „Pi mal Daumen“ so um die 15 bis 17 Kilometer gewesen, die ich gefahren bin. Das hat mich doch sehr gefreut, dass die Kondition auch nach fünf Wochen Rumsitzen noch für mehr als „bis zum ZI und zurück“ da ist. Ja, gut, die Knie taten danach etwas weh, aber meine Güte, ich bin alt und untrainiert.

Das Foto habe ich von der St.-Emmeram-Brücke aus gemacht.

Wieder zuhause habe ich die Diss weiterhin ignoriert und Dinge getan, von denen ich vor ein paar Wochen noch nicht gedacht hätte, sie zu tun. Bei meinen zwei naiv handgenähten Mundschutzen aus einer Stoffserviette, die ich nicht mehr mochte, hatte ich den unteren Saum offen gelassen, um eventuell noch ein Vlies einschieben zu können. Inzwischen war ich öfter mit den Masken draußen und habe eine von ihnen auch gestern auf der ganzen Fahrt getragen, was vermutlich nicht nötig gewesen wäre. Aber der südliche Teil vom Englischen Garten war doch recht bevölkert, da war ich ganz froh, einen Mundschutz zu tragen. Alleine neben der Isar entlangradelnd war er vermutlich egal. Was ich sagen wollte: Inzwischen weiß ich, dass er sehr tragefreundlich ist und ich auch gut durch ihn atmen kann, daher möchte ich kein Vlies einlegen, um mir das nicht zu erschweren. Also tat ich die eben angesprochenen Dinge bzw. eigentlich nur ein Ding: Ich versäumte den Mundschutz mal anständig. So anständig wie das per Hand halt geht, wenn man das noch nie gemacht hat. Sobald mein schöner blauer Stoff da ist, werde ich den Mundschutz auch brav umdrehen, so dass die doofen Nähte innenliegen, bevor ich die Bänder randengele. Das sieht dann natürlich gleich irre professionell aus. Hoffe ich.

Orecchiette mit Bärlauchpesto und viel Wasser, weil ich keine Coke Zero mehr im Haus hatte, aber auch nicht einkaufen gehen wollte. Über einen Sodastream nachgedacht und es wieder verworfen. Und endlich mal wieder ein bisschen in einem Roman gelesen anstatt ständig in Sachbüchern rumzuhängen. Besserer Tag, aber da ist noch Luft nach oben.

„Alles war auf der Flucht, alles war nur vorübergehend, aber wir wussten noch nicht, ob dieser Zustand bis morgen dauern würde oder noch ein paar Wochen oder Jahre oder gar unser ganzes Leben.“

Anna Seghers: Transit, Berlin 2019, S. 41. (Erstmals erschienen 1947.)

Folgeempfehlung: Die Kunsthistorikerin und Sachverständige Diana Lamprecht nutzt für ihre lehrreichen Insta-Posts frei verfügbare Bilder, hauptsächlich aus dem Metropolitan. Immer spannend. Momentan sind Eierbecher ein Thema, und gestern betrachtete ich fasziniert ein Reiseset mit Besteck aus Augsburger Silber und Griffen aus Meißener Porzellan.

Der Onkel von Herrn Heinser instagrammt gerade Fotos seines Vaters aus dem Paris der 1960er Jahre. Das weiß ich durch diesen Newsletter.

Tagebuch Dienstag, 21. April 2020 – Mürbe

Sehr doofer Tag. Um 7 Uhr den Wecker in meine Träume eingebaut und ausgeschaltet, um 8 die Gute-Morgen-DM von F. in meine Träume eingebaut und ansonsten nicht reagiert, um 9 aufgewacht und gleich traurig gewesen. Davon habe ich mich den ganzen Tag nicht erholt.

Den verbrachte ich am Schreibtisch. Heute schreibe ich vermutlich noch ungefähr eine Seite, dann ist auch das Schlusskapitel durch, mit dem ich aber noch nicht so recht glücklich bin. Die Zusammenfassung ging schnell, kein Wunder, ich habe in den letzten fünf Wochen ja auch brav alles einmal durchgelesen, was zusammengefasst werden musste. Bei der Beantwortung meiner Forschungsfrage kam ich aber in einen etwas stockenden Schreibfluss und hatte abends das Gefühl, nur noch Platitüden abzusondern, also ließ ich das sein, machte meine üblichen fünf Backups und tunkte danach viel Brot in Schnittlauchöl. Keine Lust zum Kochen gehabt.

Ich ahne, dass meine derzeitige Dünnhäutigkeit eine Kombination ist aus dem Ende der Diss, die eigentlich vermutlich was Tolles sein sollte, mich aber nur daran erinnert, dass ich keine Ahnung habe, was ich danach mit mir anfangen soll außer wieder kellnern zu gehen, aus dem Fehlen von Körperkontakt, von Menschenkontakt außer einmal die Woche mit der Supermarktkassiererin, von regelmäßiger Bewegung und wenn es nur die Radfahrt zur Bibliothek ist, von fehlendem Bibliothekskontakt verdammt nochmal ich vermisse meine Bücherregale wirklich fast mehr als die anderen Dinge, und natürlich von dieser blöden Pandemie, die trotz Ladenöffnungen in Nordrhein-Westfalen noch längst nicht vorbei ist und mir jeden Tag Angst macht. Auch Facetime mit F. konnte mich nicht aufheitern, sondern hat irgendwie alles noch schlimmer gemacht. Ja, ich weiß, ich bin keine Alleinerziehende mit zwei Kindern und ich muss auch keine Abiturklasse per iPad unterrichten, aber gestern fand ich den Tag sehr schwer erträglich.

Tagebuch Montag, 20. April 2020 – Entscheidende-Absätze-Formuliert-Haben-Depri-Loch #disslife

(Fällt mir jetzt erst beim Tippen auf, dass gestern des „Führers“ Geburtstag war. Wie passend.)

Seit September 2017 grabe ich an meinem Thema rum und habe diverse Schlenker gemacht, bis ich angekommen bin, wo ich jetzt stehe. Mit dem eigentlichen Schreiben begann ich im Februar 2019. Ich bin noch nicht ganz fertig, aber es fehlt nur noch das letzte Drittel des Schlusskapitelchens mit der Einordnung und der Zusammenfassung. Aber im Prinzip bin ich jetzt fast durch. Jedenfalls schrieb ich gestern den Satz, der genau das Gegenteil von dem sagte, was ich eigentlich sagen wollte, als ich mit diesem Thema loslief: „Damit kann man Protzen eindeutig als Profiteur des NS-Systems einordnen.“ Forschung. So überraschend!

Direkt nach diesem Satz fiel ich in das erste Depri-Loch des Tages, kämpfte mich aber wacker durch die Jahre 1946 bis 1956, dem Todesjahr des Herrn. Jetzt kommt noch der Schlussteil, der zu einem Großteil schon steht, aber zu dem hatte ich gestern keine Konzentration mehr. Ich bin nur noch aufs Sofa gekrochen und war traurig darüber, dass die Diss gefühlt fast fertig ist.

Natürlich bin ich noch nicht fertig. Ich brauche per Fernleihe noch die Kataloge zu vier Ausstellungen, die nicht in München sind. Einer davon war sogar schon mal hier, aber an irgendeinem Freitag im März meinte ich launig zu mir, ach, den hole ich mir Montag, und dann ging Montag gar nichts mehr. Die anderen drei haben sich nie auf den Weg gemacht, die muss ich nochmal anfordern. Die Unibibliothek beginnt in dieser Woche wieder langsam, ihren Ausleihbetrieb hochzufahren, die Lesesäle bleiben aber weiterhin geschlossen, daher weiß ich selbst noch nicht, ob die Fernleihe funktioniert, denn die so angeforderten Werke bekommt man ja eigentlich in einen Lesesaal geliefert.

Außerdem muss ich mir zwei Archivalien aus dem Staatsarchiv noch einmal ausheben lassen, da habe ich etwas schludrig zitiert, das würde ich doch gerne nochmal im Original vor mir haben und notfalls korrigieren. Dann fehlt noch total das Archiv des Deutschen Museums, in dem ich noch nie war, und in der dortigen Bibliothek wollte ich noch ein paar Jahrgänge technische Zeitschriften durchblättern. Und als Abschluss fahre ich nochmal ins Kunstarchiv in Nürnberg, um ein viertes und letztes Mal durch den kompletten Nachlass zu wühlen, ob ich was Entscheidendes übersehen habe, wovon ich nicht ausgehe.

Für das Abbildungsverzeichnis muss ich noch in diverse Bibliotheken und ebenfalls ins Kunstarchiv, weil viele von Protzens Gemälden dort immerhin als Schwarzweißfoto vorhanden sind, aber sonst nirgends. Und dann kommen natürlich noch die üblichen 17 weiteren Korrekturgänge, der erste war gestern durch. Ich habe also noch was zu tun, aber die großen Absätze und Erkenntnisse, auf die man 300 Seiten lang zuschreibt, die stehen jetzt.

Ich habe kein Schlusswort für diesen Eintrag. Ich war gestern seltsamerweise sehr traurig und gar nicht gut gelaunt.