Eigentlich wollten wir ausschlafen, aber das klappt ja nie, wenn man sich das vornimmt. Der Herr neben mir war gegen 7 wach, gegen halb 8 wachte ich dann auch auf, wir gammelten noch kurz rum, aber irgendwie wollten wir auch nicht mehr liegenbleiben.
F. ging zu sich und ich bekämpfte den Nachdurst, der sich total überraschend eingestellt hatte. Das waren doch nur zwei Flaschen Bubbly am Vorabend? Aber ich bin ja jetzt alt, ich vertrage nichts mehr. Ehrlich gesagt, vertrage ich seit fünf Jahren nicht mehr so viel, aber ich vergesse das immer und habe deswegen des Öfteren Nachdurst.
Ein starker Flat White, Espressomühlenglück, bestes Geschenk ever!, eine Serienfolge und dann trafen wir uns zum Mittagessen im Burgerladen. Der Nachtisch wurde stilecht beim Ballabeni eingenommen, bei dem ich diese Saison noch nicht war. Mein Besuch aus Hannover war vor mir beim Ballabeni! So geht das nicht. Darauf eine Kugel Salzkaramell, eine Birne-Ananas und einen Probelöffel Mango-Maracuja. Davon demnächst bitte einfach die ganze Wanne zum Mitnehmen.
Wir stöberten in einigen Antiquariaten herum, der Herr kaufte ein Buch (Robert Musils Der Mann ohne Eigenschaften – an dem bin ich bisher zweimal gescheitert, aber ich habe ihn immer noch auf Wiedervorlage –, ich zwei (Joseph Roths Radetzkymarsch und Erzählungen von Arthur Schnitzler, beide für drei Euro), dann blätterte ich durch einen Berg Drucke, fand aber nichts, was bei mir an die Wand gehörte, wir bummelten zu F. und saßen noch ein wenig auf dem etwas zu kühlen Balkon, bis ich nach Hause wollte.
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Dort fand ich im Briefkasten einen großen Umschlag aus dem Zentralinstitut für Kunstgeschichte vor und wunderte mich eine Sekunde, bis mir klar wurde, dass das garantiert mein Exposé war, das der Herr Doktorvater ausgedruckt und handschriftlich korrigiert hatte anstatt Kommentare in ein PDF zu setzen. So war’s dann auch.
Ich bin mit dem Feedback äußerst zufrieden, auch weil es detaillierter ausfiel als ich erwartet hatte. Ich dachte, das Ding ist einfach eine Art schriftliches Arbeitsvorhaben – das würde ich gerne machen und zwar so –, aber wie ich selbst ja schon merkte, wird das vermutlich das Grundgerüst der Einleitung. Daher hat mich der folgende Kommentar auch sehr gefreut: „Sehr schön, da würde man einfach gerne gleich weiterlesen.“
Ein bisschen Kritik kam natürlich auch, der Doktorvater vermisste Forschungsstand und Quellenlage, die ich beide bewusst ausgespart hatte, um das Ding nicht noch länger werden zu lassen. Aber ja, das kommt selbstverständlich noch. Er hätte auch gerne eine Grobgliederung; die reiche ich nach, denn die habe ich inzwischen auch für mich erarbeitet, wobei die Betonung noch auf „grob“ liegt.
Ich mochte auch seine Genauigkeit in der Korrektur. Er ist der einzige meiner Dozierenden, der mir häufiger Ungenauigkeiten angestrichen hat – nichts, was falsch war, aber: Das hätte man präziser formulieren können. Hier zum Beispiel mein Satz mit seinen Korrekturvorschlägen in eckigen Klammern: „In meiner Arbeit werde ich [bestimmte/zentrale/wesentliche] Teile des malerischen Gesamtwerks von Protzen aufarbeiten [fokussieren/analysieren] und dabei zeigen“ usw. Zwei winzige Anmerkungen, die den Satz aber deutlich verbessern. Oder eine Fußnote, in der ich eine Biografie eines Malers erwähne, die von einem Privatmann, Nicht-Wissenschaftler, Nicht-Kunsthistoriker, sondern Hobby-Interessierten erstellt wurde, die sich leider auch so liest – für mich mit zu wenig Abstand zum Subjekt, und die Verwendung des Worts „Führers“ ohne Anführungszeichen halte ich auch für problematisch; es ist aber zu diesem Maler das mit Abstand umfangreichste Werk und beinhaltet bergeweise Quellen. Ich weiß natürlich, dass mein Doktorvater das Werk kennt, also schluderte ich sowas hin: „Vgl. zu Vollbehr die nicht unkritisch zu wertende, aber äußerst ausführliche Biografie von“ usw. Woraufhin er völlig zu recht anmerkte: „Wie verhält sich kritisch zu ausführlich? Nicht kritisch = lang, kritisch = kurz?“ Ich mag solche Aufmerksamkeit. Ich ahne, dass ich mir auch durch meinen Plauderton hier im Blog zu diesen Themen manchmal selber die präzise Sprache abgewöhnt habe. Dann kehrt hier mal wieder ein bisschen mehr wissenschaftliche Qualität ein, meine Damen und Herren!
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Ein Nachtrag zu Mittwoch, als ich beim Fußball war. Natürlich darf man auch in diesen winzige Stadion keine Rucksäcke mitnehmen, weswegen ich mein Stadiontäschchen packte. In das passten aber beim besten Willen weder Kendis Rassismus-Buch noch Dostojewskis Idiot mit seinen 900 Seiten, aber ohne Buch kann ich keine öffentlichen Verkehrsmittel benutzen! Also steckte ich ein drittes Buch ein, das hervorragendes Taschenbuch- und damit Winterjackenformat hatte: Heinrich Manns Der Untertan. Das liest sich überraschend gut weg, hätte ich gar nicht gedacht. Das lag bei uns vor ein paar Tagen im Hausflohmarkt, wo anscheinend jemand gerade sein Bücherregal von Klassikern ausmistet: Ich habe zwei Bücher von Thomas Mann ergattert, dann den Heinrich, und Mittwoch lag eine siebenbändige Suhrkamp-Kassette mit dem Gesamtwerk von Max Frisch dort. Ich war gerade auf dem Weg ins Archiv und sagte mir selbst, nee, du nimmst das jetzt nicht mit und du fährst damit auch nicht wieder hoch in die Wohnung, du gehst jetzt ins Archiv, aber wenn das nachher noch da liegt, wenn du wiederkommst, dann nimmst du’s mit.
Ich habe dann jetzt diverse Frisch-Werke doppelt, denn Stiller, Mein Name sei Gantenbein, Homo Faber, Andorra und die Tagebücher hatte ich schon. Aber in die Suhrkamp-Kassette hat vermutlich noch nie jemand reingeguckt, die Bücher sehen aus wie neu. Ich gebe ihnen aus reiner Barmherzigkeit ein neues Zuhause!
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Und noch ein Nachtrag zum Fußball und zu den gekauften Büchern, weil er gerade thematisch passt. Am Donnerstag lief in den USA die neueste Folge von Grey’s Anatomy. Von dieser Serie, die inzwischen in der 15. Staffel läuft, habe ich jede Folge gesehen, manche Staffeln mehrmals, weil ich sie wirklich gut finde. In den letzten zwei, drei Jahren kam mir die Serie allerdings etwas nachlässiger vor, die meisten Figuren waren gefühlt ausgereizt, ich vermisste das Neue, das über rein neue Figuren hinausgeht. Gerade in dieser Staffel dachte ich des Öfteren, okay, das wird dann wohl meine letzte sein, die ich schaue, irgendwie ist mir vieles egal geworden, und ich daddele nebenbei auf dem Handy herum, wenn die Serie läuft. Nicht so bei dieser Folge.
Ich will nicht spoilern – das überlasse ich anderen –, aber das große Thema, das sich durch alle drei Handlungsstränge zieht, ist sexuelle Gewalt bzw. consent, also das Einverständis zu sexuellen Handlungen. Eine Szenenfolge befasst sich mit einem Vergewaltigungsopfer, das medizinisch betreut wird, und das schließlich in den OP gefahren werden muss. Die Frau ängstigt sich aber zu sehr vor jedem Mann, der gerade in der Nähe ist, und so kam diese Szene zustande, die aus dem Zusammenhang gerissen vielleicht pathetisch und albern aussieht, eingebunden in die Spielhandlung aber eine einzige Demonstration von weiblicher Stärke und von weiblichem Zusammenhalt war:
Ich empfand diese Ansammlung von Frauen, mit ihren unterschiedlichen Aussehen, mit ihren unterschiedlichen Hautfarben, mit vermutlich unterschiedlichen Ansichten und Biografien, aber vereint im Ziel, sich gegenseitig zu beschützen und zu schätzen und aufeinander aufzupassen, als ein sehr mächtiges Zeichen. Und ich wünschte mir, es gebe dieses Zeichen im realen Leben häufiger.
In meiner Timeline gehen öfter Tweets mit dem Hashtag #frauenlesen rum, in dem Bücher von Autorinnen angepriesen oder besprochen werden. Nicht nur, um auf gute Bücher aufmerksam zu machen, sondern um generell mehr weibliche Autoren schlicht bekannt zu machen, ihre Namen zu nennen. Ich denke jedesmal daran, wenn ich wieder einen männlichen Autor lese, so wie jetzt gerade in gleich dreifacher Ausführung. Und wenn ich selbst in Antiquariaten nur männliche Autoren kaufe, weil ich weiß, dass ihre Werke für die Literaturgeschichte – und für mein Verständnis dieser Zeit – wichtig sind. Genauso weiß ich aber auch, dass sie nur wichtig werden konnten, weil Autorinnen schlicht die Schöpfungskraft abgesprochen wurde und sie nicht die Möglichkeiten hatten, publiziert zu werden wie die Kerle.
Und ich denke an das Verhältnis zwischen Männern und Frauen auch beim Fußball. Frauen wird ja gerne unterstellt, wir gingen nur zum Fuppes, um die knackigen Jungs anzuschmachten. Dementsprechend hätten beim Spiel der FC Bayern-Damen gegen Prag die Zuschauerränge mehrheitlich mit Männern besetzt sein müssen, die sich die knackigen Mädels anschauen wollten. Waren sie aber nicht. Ich schätze, es war wenigstens 50:50, glaube aber, dass sogar mehr Frauen im Stadion waren als Männer. Ich werde das morgen überprüfen, wenn die Bayern-Frauen gegen Wolfsburg im DFB-Pokal spielen, 15.15 Uhr, FC-Bayern-Campus, falls noch jemand kommen möchte.
Und nebenbei: Es gab beim Champions-League-Spiel eine Szene, wo sich eine Spielerin zu Unrecht von der Schiedsrichterin verpfiffen fühlte – und anstatt dem weiblich antrainierten Reflex nachzugeben, sich zu entschuldigen und dementsprechend einfach weiterzuspielen, wurde sie laut, machte sich breit und hatte Widerworte.
Ich muss gestehen, ich sehe ein derartiges Verhalten in meiner Umgebung – und auch an mir – viel zu selten: eine Frau, die sich Platz nimmt und ihre Meinung lautstark vertritt. Das war meine persönliche Szene des Spiels und ich kann mich besser an sie erinnern als an die fünf Tore, die ich laut bejubelt habe, während ich bei dieser Szene nur stumm bewundernd da saß.