Dienstag, 14. März 2023 – Fanny

Mit Maske ins Büro gegangen und sie einfach den ganzen Tag lang getragen. Abendlicher Test war erneut negativ; der war nötig, weil wir Konzertkarten hatten für Isata Kanneh-Mason. Das Programm war schön, aber so richtig mitgerissen hat mich die Ostersonate in A-Dur von Fanny Mendelssohn. Kannte ich vorher nicht und das hatte mich vom ersten bis zu letzten Ton. Bei Klassik, gerade bei längeren Stücken, wandert mein Gehirn manchmal von der Musik weg und denkt über den Job nach (wenn ich unkonzentriert bin) oder über Essen (wenn ich mich langweile) oder über das große Ganze bzw. wahlweise meine Winzigkeit im Universum (wenn ich überfordert bin). Bei der Ostersonate wollte mein Gehirn aber einfach nur die ganze Zeit wissen, wie es weitergeht, weil das Stück so toll war.

Hier spielt Éric Heidsieck die Sonate.

Montag, 13. März 2023 – Umräumen

Mit dem Rad erst in die UB, dann in die Stabi gefahren, um je ein Buch abzuholen. Ein. Buch. Eins! Habe die Zeiten vermisst, in denen ich kaum noch geradeaus radeln konnte, weil der Gepäckträger so vollgeballert war.

Mal wieder das Arbeitszimmer umgeräumt. Dieser Raum wird turnusmäßig alle sechs Monate umgestellt, bis mir irgendwann mal eine Anordnung für länger als sechs Monate gefällt. Immerhin mag ich die Wandfarbe noch, die ich vor viereinhalb Jahren ausgesucht habe. Ansonsten sammeln sich in diesem Zimmer halt immer mehr Bücher und Unterlagen, je länger ich nicht mehr Uni-mäßig arbeite, wo man am Semesterende alles verklappen konnte, die in immer neue Regale müssen, die mich in ihrer Masse immer mehr nerven.

Mit Hamburg telefoniert. Mit dem Mütterchen telefoniert. Mit F. DMs geschrieben, eine davon war: „Die Dame, mit der wir Sonntag so schön beim Bierchen gesessen haben, ist positiv.“ So nah war ich noch nie wissentlich an einem Kontakt. Gestern abend negativ getestet, heute morgen auch. Fühle mich trotzdem unwohl, so locker-launig in die Arbeit und unter Menschen zu gehen. Werde mit Maske auflaufen und fragen, ob ich mit dem Bürorechner ins Home Office umziehen soll, von wo ich höchstwahrscheinlich auf keine Server kommen werde, was meine Arbeit etwas erschwert. Muss ich absprechen, ich Newbie, die seit Jahren nicht mehr in einem Büro gesessen hat.

Otto Freundlich, Ein Baum, 1927, Leinwand, 54,8 cm x 45,8 cm x 2,1 cm, Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau München, Dauerleihgabe der Gabriele Münter- und Johannes Eichner-Stiftung, München. Derzeit in „Kunst und Leben 1918 bis 1955“ zu sehen; eins meiner Lieblingsbilder in der Ausstellung.

Sonntag, 12. März 2023 – Pärt, Mendelssohn Bartholdy, Goldstein

Um 11 Uhr eine Runde klassische Musik in der Isarphilharmonie abgeholt. In der Pause dachte ich natürlich schon an den Blogeintrag und dass ich euch mal wieder schöne Musik weiterreichen kann, aber im gleichen Moment fiel mir ein, dass kaum ein YouTube-Video den Effekt hat, den Livemusik haben kann: emotionale Teilnahme, weil man die Musik körperlich spürt. Und sie nicht wegklicken kann, außer man möchte es sich mit seinen diversen Sitznachbar*innen verderben, wenn man mittendrin den Saal verlassen will.

Ich vertraue trotzdem auf YouTube, denn gerade das erste Stück, „Swan Song“ (2014) von Arvo Pärt, hat mir sehr gut gefallen. Dauert nur sieben Minuten, vielleicht was für den entspannten Wochenstart? Ist harmonischer als die Jahreszahl vermuten lässt.

Danach gab’s Pärts dritte Sinfonie, wo der Paukist endlich mal zeigen konnte, was er draufhatte. Oder wie F. danach meinte: „All eyes on me: DRUM SOLO!“

Nach der Pause rauschte Mendelssohn Bartholdys 2. Sinfonie, „Lobgesang“ ein bisschen an mir vorbei. In einer Kirche wäre ich vermutlich vergnügt bis ergriffen gewesen, hier in den gemütlichen Plüschsesseln blieb ich etwas unbeteiligt. Muss ich mir nochmal anhören. Die Abendzeitung spricht aus, was ich fühlte:

„Das Problem dieses Werks, das als Symphonie beginnt und als Kantate endet, steckt bereits im Untertitel: “Lobgesang”. Felix Mendelssohn Bartholdy lässt den Chor, drei Solisten und das Orchester frohlocken, aber nicht mit vollem Herzen, sondern gebremst durch biedermeierlichen Anstand. Kontraste, die jede Kunst würzen, gibt es nicht, und so ist es kein Wunder, wenn der eine oder andere Hörer verhalten gähnt.“

Die SZ ist auch Pärt gegenüber hartherzig, das habe ich nicht so empfunden. Gerade den leisen Reinkommer mochte ich sehr. Und ich fand das Orchester extrem konzentriert und mochte diese wirklich spürbare Einigkeit.

„Klobig wirken die drei ineinander übergehenden Sätze bei Paavo Järvi, wie aus schweren Trümmern gefügt. Noch verlorener bleibt der vorangestellte “Swansong” desselben Komponisten aus dem Jahr 2014, bedarf die hier erreichte Einfachheit doch einer inneren Ruhe, die der Beginn eines Abends kaum leisten kann.“

Vielleicht als Rausschmeißer für heute etwas oder jemand, auf den wir uns alle einigen können: Brett Goldstein. Die NYT hat ein schönes Interview mit ihm – und einen Link zur Muppets-Weihnachtsgeschichte, die Goldstein in sechs Minuten in seinem Liveprogramm rockt. (Für euch ohne Paywall)

Aber ich mochte den Anfang und den letzten Absatz am liebsten: Brett Goldstein faces life after “Lasso”.

„A few minutes into coffee last spring, Brett Goldstein wanted to show me something on his phone.

I leaned over and saw puppeteers sitting on skateboards while they hid behind a table, rolling into one another in apparent bliss as their hands animated a clowder of felt cats above their heads. For Goldstein this represented a kind of creative ideal, as pure an expression of fun, craft and unbridled glee as any human is likely to encounter.

“Imagine this is your actual job,” he said, his breathtaking eyebrows raised in wonder.

Goldstein shot this behind-the-scenes video during his time as a guest star on “Sesame Street,” an experience this Emmy-winning, Marvel-starring comic actor and writer still describes as the single best day of his life. […]

But his Muppet affection does offer a glimpse at what motivates him as a performer, creator and workaholic, which is less about opportunities, franchises or scale than the vulnerability and risks of trying to reach someone and the openness required to take it in. The thing he’s always looking for, he told me over and over — to the point that he started apologizing for it — is a bit of human connection in a world that can seem designed to thwart it.

“They put up this Muppet and I’m gone,” he said. “But that requires from both of us a leap of faith, like, ‘We’re doing this, and I’m all in and you’re all in.’ And if one of us did not commit to this thing then it’s [expletive] stupid — it’s just a [expletive] felt thing on your hand, and I’m an idiot for talking to it and you’re an idiot for holding it.

“Do you know what I mean?”“

Samstag, 11. März 2023 – Fünfzudrei mit Puderzucker

Nach Monaten mal wieder im Stadion gewesen. In der Allianz-Arena stand es nach zwei Minuten 1:0 für Augsburg, am Ende dann 5:3 für Bayern. Nun ja. Eine Niederlage war nicht ganz unerwartet, und die Tore waren durch die Bank fast alle sehenswert, wenn es auch mehr für die Mannschaft waren, der ich nicht ganz so die Daumen gedrückt habe. Es war trotzdem nett, mal wieder Fußball vor Ort anzuschauen, in dickster Jacke mit Handschuhen. Dieses Mal war ich genau richtig angezogen, Sonnenbrille und Thermosocken gleichzeitig waren die richtige Wahl gewesen. Nach dem Spiel noch netten Menschen Hallo gesagt, abends alleine vor Netflix versackt.

Ach ja, und zum Frühstück konnte ich endlich mal den Topfuntersetzer vom Mütterchen benutzen, den sie in den 1950er Jahren liebevoll bestickt hatte. „Nimm mit, nimm mit, wenn du den magst, ich freu mich über alles, was aus diesem Haus rauskommt.“ Ja dann.

Es gab Waffeln für meine heimliche vierköpfige Familie.

Freitag, 10. März 2023 – Charlotte Salomon

Ich lese gerade Margret Greiners „Charlotte Salomon: ‚Es ist mein ganzes Leben‘“. Der Stil ist nicht ganz so meiner, aber das Buch hilft mir, mich auf unsere kommende Ausstellung zu Salomon vorzubereiten. Wir zeigen eine Auswahl aus den über 1000 Blättern, die Salomon hinterlassen hat und die einen Einblick in ihr Leben geben.

Im Buch werden die Nummern der jeweiligen Bilder angegeben, auf die sich ein Textteil bezieht; einige Werke sind abgebildet. Das Gesamtwerk ist tollerweise online und damit frei zugänglich. Die Seite entstand im Zuge einer Ausstellung von 2017 des Jüdischen Museums Amsterdam.

Ich bin sehr gespannt auf unsere Ausstellung und freue mich sehr auf sie. In den vergangenen Woche habe ich die Bilder in digitaler Form bereits sehr oft angesehen und kann es kaum erwarten, sie im Original anschauen zu können.

KW 9/10 – Der Man-kommt-ja-zu-nichts-Blogeintrag

*wühlt im Handy die Fotos durch, um sich zu erinnern, was sie die letzten zwei Wochen gemacht hat*


Team French Toast. Und Team Waffel und Team Pfannkuchen, aber wenn Weißbrot im Haus ist, dann immer Team French Toast. Hier mit schnell aufgekochten TK-Brombeeren.

Die Praktikantin im Soy verabschiedet. Lecker vegane vietnamesische Küche, gerne wieder. Auch wenn die Klamotten danach etwas länger rochen.

Viel gearbeitet. Mal wieder daran irre geworden, dass ich manche Jobs inzwischen aus dem Handgelenk kann und für andere meinen ewig langen Spickzettel durchsuchen muss. CMS, Social-Media-Anwendungen, diverse Programme und Websites und Datenbanken und Zeug, die sich manchmal in meinem Kopf zu einem Knäuel aus HILFE! verknoten und sich im nächsten Moment engelsgleich auflösen. Es bleibt kompliziert, aber es bleibt gleichzeitig so unfassbar großartig. Ich erzähle jedem im Haus, dass ich mich im August hier anketten werde. Man wird mich gewaltsam entfernen müssen, freiwillig gehe ich nicht wieder. Es macht so irrwitzig viel Spaß und ich hasse meine blöde Halbtagswoche. Was ich alles schaffen könnte, wenn ich 40 Stunden hätte!

Total im Waltz versackt bei äußerst sympathischer österreichischer Küche und noch mehr sympathischem Wein, nicht nur aus Österreich. Bitte gehen Sie dort hin und bleiben Sie lange.


An Omis Geburtstag gedacht und dass das Internet ihr blaues Blümchengeschirr genau so gerne mag wie ich.

F. und ich ertrinken uns gerade das Burgund. F. jammert zu recht darüber, dass wir damit 15 Jahre zu spät dran sind und es uns eigentlich nicht mehr leisten können, aber ich finde, das ist ein schöner Plan für die nächsten Jahre. Einfach mehr Burgunder trinken.

Am vergangenen Montag auf einer Lesung im Haus gewesen. Ich sage nur noch „im Haus“ und denke innerlich immer noch „in der Agentur“, weil ich das halt so lange gesagt und gedacht habe. Anatol Regnier las aus „Jeder schreibt für sich allein“, das ich am Sonntag vor der Lesung noch durchbekommen habe, Empfehlung! Außerdem sprach Ilka Voermann, die für die Frankfurter Schirn die thematisch ähnliche Ausstellung „Kunst für keinen“ kuratiert hatte. Den Katalog las ich am Montag vormittag nochmal schnell gründlich im ZI quer. In die Ausstellung hatte ich es nicht geschafft, von März bis Juni letzten Jahres waren andere Dinge wichtiger.

Aber die Lesung war toll, und danach bat Cheffe noch zu Quiche und Wein und dazu sagt man ja nicht nein. Ich nerdete mit Voermann über Quellen im Bundesarchiv rum und fand alles ganz wunderbar.

Aus dem Buch habe ich die Namen Ina Seidel und Ernst Wiechert gelernt. Wobei „gelernt“ das falsche Wort ist: Die beiden stehen im elterlichen Bücherregal, wo ich sie bisher aber total ignoriert hatte. Das werde ich beim nächsten Besuch im Norden ändern.

Im ZI war ich außerdem, um einer Kollegin aus Hannover ein paar Sachen einzuscannen. Die Dame ist hochschwanger und mag nicht mehr so recht Zugfahren, und für mich ist das ja eh immer wie ein Spa-Besuch, im ZI rumzuhängen.

Gestern eine kleine Präsentation einer Agentur mitbekommen – und mittendrin gedacht, huch, ich bin ja jetzt Kunde. Sonst sitze ich doch immer auf der anderen Seite. Sofort ein superfreundliches Gesicht gemacht, weil mich selbst muffige Kunden beim Präsentieren immer genervt haben.

Innerlich aber auch die ganze Zeit gedacht, yeah, diese Art Präsentationen hast du auch ewig geschrieben oder konzipiert. Habe mich unmittelbar zuhause gefühlt in diesem Sprachduktus und Bildergezappel. Still my people!

Auch gelernt: Von der Agentur stammt die schicke „Du bist nicht allein“-Optik des Burgtheaters. Davon hatte ich beim letzten Wien-Besuch ein Foto gemacht, weil mir die so gefallen hat. Muss ich den Jungs und wenigen Mädels mal mitteilen.

Aus dem Meeting musste ich leider früher raus, denn ich durfte auf einer Führung durch „Kunst und Leben 1918 bis 1955“ mitlaufen – aus dem einfachen Grund, weil ich demnächst wohl auch führe. Ich hätte mir das auch so zugetraut, denn wenn ich über irgendwas Bescheid weiß, dann über den Kram, der bei „Kunst und Leben“ hängt; wenn ich durch die documenta-Ausstellung führen müsste, hätte ich sehr, sehr, sehr, sehr viel lesen müssen. Aber mich hat interessiert, was andere erzählen, die sich nicht seit fünf Jahren mit diesem Thema befassen. Und vor allem, was sie für wichtig halten. Was brauchen die Besucher und Besucherinnen als Grundlage, um mit der Ausstellung etwas anfangen zu können?

Danke an die charmanten Kolleginnen, denen ich zuhören durfte. Auch für den Satz: „Und falls Sie noch etwas zu Herrn Protzen wissen möchten, da drüben steht die Expertin.“ Wollte aber niemand was wissen. Ich schiebe das auf den fortgeschrittenen Zeitpunkt der Führung. Ist klar.

Mein Blogeintrag zu „Kunst und Leben“ hat es übrigens in unseren digitalen Pressespiegel geschafft, und mein Beitrag zu den Autobahnen liegt gerade auf dem analogen rum.

Gestern außerdem noch eine Speed-Führung durch einen Teil des Blauen Reiter bekommen und zwar von einer der Restauratorinnen im Haus, aus Gründen, wie es so schön heißt. Auch hier hätte ich stundenlang zuhören können. Ich freue mich immer so sehr über Nerdwissen, aus dem dann hoffentlich ein Text wird, der die Leser und Leserinnen so begeistert wie mich als Schreibende.

Nebenbei im Home Office latent an einem zweiten Job weitergearbeitet, der theoretisch Ende April losgeht, für den ich aber immer noch keinen Vertrag habe. Ich habe eine wissenschaftliche Mitarbeiterin, aber nichts Schriftliches. Daher ist meine Bereitschaft, schon richtig viel Energie in die Vorbereitung zu stecken, auch eher gleich null. Ich hoffe, das rächt sich nicht in ein paar Wochen.

Ich mag Asiashops ja auch deshalb gerne, weil ihre Packungsgrößen meinen Essgewohnheiten entsprechen.


Sonntagsfrühstück bei spontanem Apfelkuchen. Natürlich auf Omis Blümchengeschirr.

„Am Weihnachtsabend des Jahres 1918 kehrte ich heim. Elf zeigte die Uhr am Westbahnhof. Durch die Mariahilfer Straße ging ich. Ein körniger Regen, mißratener Schnee und kümmerlicher Bruder des Hagels, fiel in schrägen Strichen vom mißgünstigen Himmel. Meine Kappe war nackt, man hatte ihr die Rosette abgerissen. Mein Kragen war nackt, man hatte ihm die Sterne abgerissen. Ich selbst war nackt. Die Steine waren nackt, die Mauern und die Dächer. Nackt waren die spärlichen Laternen. Der körnige Regen prasselte gegen ihr mattes Glas, als würfe der Himmel sandige Kiesel gegen arme, große Glasmurmeln. Die Mäntel der Wachtposten vor den öffentlichen Gebäuden wehten, und die Schöße blähten sich trotz der Nässe. Die aufgepflanzten Bajonette erschienen gar nicht echt, die Gewehre hingen halb schief an den Schultern der Leute. Es war, als wollten sich die Gewehre schlafen legen, müde wie wir, von vier Jahren Schießen. Ich war keineswegs erstaunt, daß mich die Leute nicht grüßten, meine nackte Kappe, mein nackter Blusenkragen verpflichteten niemanden. Ich rebellierte nicht. Es war nur jämmerlich. Es war das Ende. Ich dachte an den alten Traum meines Vaters, den von einer dreifältigen Monarchie, und daß er mich dazu bestimmt hatte, einmal seinen Traum wirklich zu machen. Mein Vater lag begraben auf dem Hietzinger Friedhof, und der Kaiser Franz Joseph, dessen treuer Deserteur er gewesen war, in der Kapuzinergruft. Ich war der Erbe, und der körnige Regen fiel über mich, und ich wanderte dem Hause meines Vaters und meiner Mutter zu. Ich machte einen Umweg. Ich ging an der Kapuzinergruft vorbei. Auch vor ihr ging ein Wachtposten auf und ab. Was hatte er noch zu bewachen? die Sarkophage? das Andenken? die Geschichte? Ich, ein Erbe, ich blieb eine Weile vor der Kirche stehen. Der Posten kümmerte sich nicht um mich. Ich zog die Kappe. Dann ging ich weiter dem väterlichen Hause zu, von einem Haus zum andern.“

Joseph Roth: „Die Kapuzinergruft“, München 2009, S. 110/111 im Kapitel 23.

Freitag, 24. Februar 2023 – Glück

Abends mit F. im Tantris DNA gewesen – und erstaunt einen großen Unterschied zwischen dem Haupthaus und dem kleineren DNA festgestellt. Eigentlich kein Wunder, denn es sind zwei verschiedene Köch*innen für die beiden Räume zuständig. Aber wie anders die Atmosphäre im hinteren, etwas intimeren Teil des Hauses ist, hat mich doch überrascht. Positiv!

Wir begannen mit sechs Austern zum Teilen und einem Glas Champagner. Austern sind bei mir immer Tagesform, mal finde ich sie großartig, mal kämpfe ich mit der Konsistenz. Gestern waren sie großartig, schon optisch ein Traum, und mit der feinen Vinaigrette dazu noch frischer als erhofft. Und, Allgemeinplatz, Entschuldigung, aber ich habe zum ersten Mal verstanden, warum die Kombination Austern und Champagner so beliebt ist. Weil sie einfach perfekt ist in ihrer Schlichtheit und der Konzentration auf das Produkt, die so viel mitbringt. Ich war schlagartig wach und sehr gut gelaunt und das hielt den ganzen Abend an.

Zum Champagner kamen noch zwei kleine Bissen aus der Küche und vor den weiteren Gängen noch ein Gruß, aber wir waren im Kopf schon beim Hauptgang und dem Wein. Denn: Normalerweise mögen wir die vom Haus vorgeschlagenen Menüs und nehmen auch immer die Weinbegleitung, einfach um so viel wie möglich zu probieren, aber seit einigen Wochen wollen wir nur noch eins: endlich mal eine ganze Flasche aus dem heiligen Tantris-Weinkeller für uns und eben nicht mehr ein unterschiedliches Glas nach dem nächsten. Also suchte F., der sich länger mit der Karte im Vorfeld beschäftigt hatte, einen Burgunder aus, wobei der Sommelier freundlicherweise mithalf. Wir erwischten die letzte Flasche dieser Sorte aus dem Keller, F. so: „Schade, wenn uns der jetzt so richtig gut schmeckt, wird es vermutlich schwierig, noch eine zweite Flasche aufzutreiben.“ Sommelier: „In Deutschland ja, aber in Frankreich müsste noch was gehen.“ Oder möglicherweise online.

Aber vor dem Rotwein zum Hauptgang kam erstmal die Entscheidung für einen Weißwein für mich und einen Cidre für F., der Blutwurst vor sich hatte, während ich glückselig mit zwei Jakobsmuscheln in Champagner-Hollandaise beschäftigt war, wobei mir die verschiedenen Texturen von Topinambur fast noch mehr Spaß machten. Ein Chip, eine Art Kraut, beides brachte hölzerne Noten mit, die die perfekt nussig-buttrigen Muscheln ergänzten. Ich genoss einen kalifornischen Chardonnay, der genug Säure mitbrachte, um gegen den Butterberg anzustinken. Ich vergaß das Etikett zu fotografieren, egal, es wird weitere tolle Weine geben. F. weiß alles: Es war ein 2016er Tyler Dierberg Vineyard Chardonnay.

Dann kam der Rotwein in die Gläser und wir nippten und diskutieren und freuten uns, dass nach diesem einen Glas nicht schon Schluss damit war.

Der Hauptgang war der Grund, warum wir überhaupt ins DNA wollten: das Kalbsbries Rumohr ist ein Klassiker auf der Karte, bei Witzigmann noch mit Strudelteig, nun unter Virginie Protat im Blätterteig. Die Pastete wird am Tisch tranchiert, es gab einen Hauch Sauce dazu, die Sauciere blieb am Tisch, was ein sehr guter Plan war, und dann genossen wir weiter wie schon seit Stunden. Ich hatte jedes Zeitgefühl verloren, wie sich das gehört, wenn die Zeit so herrlich ist.

Nach einer angemessenen Pause rollte dann der Patisseriewagen an den Tisch, ich entschied mich für ein Birnentartelette, F. sich für eins mit Zitrusfrüchten, wir erfuhren, dass das Haus die Kalamansi aus Frankreich bezieht, natürlich, aber eigentlich egal, es war ein neuer Wein im Glas – ein 2014er Cave Yves Cuilleron Condrieu Ayguets –, auch hier gönnten wir uns 0,5 statt 0,1 und zogen den Abend noch etwas in die Länge.

Kein Kaffee, kein Schnaps mehr, aber als wir schon unsere Mäntel gereicht bekamen, guckte ich so sehnsüchtig in die Bar, als der Barkeeper uns wiederbegrüßte, es war keine Diskussion nötig, wir zogen die Mäntel wieder aus, es regnete eh gerade draußen, wir gönnten uns noch einen kleinen Drink, aus dem dann zwei wurden. Normalerweise kommt auch in der Bar noch ein käsiger Gruß aus der Küche, aber gestern war ich wirklich froh, dass die Küche schon Feierabend hatte, denn außer Flüssigkeit passte nichts mehr in mich hinein. Der ganze Abend hat sich deutlich lustvoller angefühlt als vorne im Tantris, entspannter, leutseliger, ein Kellner meinte lächelnd, als ich das sagte, dass für ihn Protat quasi kocht wie eine französische Großmutter, und ja, genau so fühlt sich das an. Wie bei Oma, nur modern, aber heimelig. Vorne wird sehr eifrig nach den Sternen gegriffen und das sieht man den Tellern an und schmeckt man auch, aber hinten kann man es sich einfach verdammt gut gehen lassen. Ich möchte sofort wieder hin.

Mittwoch/Donnerstag, 22./23. Februar 2023 – Hach und Hm

Am Mittwoch abend saßen wir bei Lise Davidsen im Prinzregententheater. Wir kannten die Dame aus dem Bayreuther „Tannhäuser“, den es, wie wir vorgestern bemerkten, inzwischen auf DVD gibt, kleiner Kauftipp nebenbei.

Die Arie der Elisabeth kam ganz zum Schluss und war natürlich toll, aber was mich überraschte: Ich kann anscheinend doch mit Verdi. Jedenfalls liefen bei „Ave Maria“ aus „Othello“ ein paar Tränchen, und auch die zwei anderen Arien davor aus „Ein Maskenball“ und „Don Carlo“ haben mir sehr gefallen. Dafür langweilte mich dann ausgerechnet Beethoven total. Ich mag gefühlt alles von ihm, aber mit „Fidelio“ hadere ich weiterhin.

Und gehadert habe ich – mal wieder – gestern bei der Arbeit. Eine Kollegin aus dem Haus fragte mich, ob ich Lust hätte, an einem Projekt mitzuarbeiten, das mich kunsthistorisch total interessiert. Ich sagte freudig zu und erwähnte das gestern im Team-Status, wo wir alle vortragen, was wir gerade so machen. Daraufhin bekam ich einen kleinen Rüffel, dass ich das doch bitte hätte absprechen sollen und dass ich genug zu tun hätte.

Erst abends fiel mir auf, dass ich im Kopf noch im Selbständigen-Modus gewesen war bei meiner Zusage. Seit 15 Jahren arbeite ich nämlich als Default so: Jemand fragt, ob ich einen Job machen will, woraufhin ich ja sage. Ohne nachzudenken. Natürlich kann ich das, natürlich will ich das, natürlich habe ich Zeit. Immer. So wird man erneut gebucht („Anke hat immer Zeit“) und weiterempfohlen („arbeitet sich schnell in alles rein“).

Ich hatte schlicht vergessen, dass ich derzeit nicht immer selbständig bin, sondern in meiner Funktion im Museum a) eine Chefin habe, die nicht mehr ich bin, b) eine Kollegin habe, die nicht nur ihre Zeit, sondern auch meine einteilt und c) ich nur eine halbe Woche Zeit und nicht unendlich für all die spannenden Dinge habe, die auf meinem Tisch landen.

Es ist alles toll, ich freue mich jeden Morgen wie blöd, durch die Museumstür zu treten, aber manchmal fühle ich mich trotz ewig langer Berufserfahrung wie beim ersten Schülerjob im Supermarkt, bei dem ich noch keine Ahnung von gar nichts hatte. Sehr ungewohnt.

Schönes neues Wort gelernt:

„Am Abend traf ich den Grafen Chojnicki in unserem Café Wimmerl. Ich wußte wohl, daß man ihm kaum einen größeren Gefallen bereiten konnte, als wenn man ihn bat, für einen seiner Landsleute Vergünstigungen zu verschaffen. Er hatte nicht nur keinen Beruf, er hatte auch keine Beschäftigung. Er, der in der Armee, in der Verwaltung, in der Diplomatie eine sogenannte »brillante Karriere« hätte einschlagen können und der sie geradezu ausgeschlagen hatte, aus Verachtung gegen die Trottel, die Tölpel, die Pallawatsche, alle jene, die den Staat verwalteten und die er »Knödelhirne« zu nennen liebte, machte sich ein delikates Vergnügen daraus, Hofräte seine Macht fühlen zu lassen, die wirkliche Macht eben, die gerade eine nicht-offizielle Würde verlieh. Und er, der so freundlich, so nachsichtig, ja entgegenkommend Kellnern, Kutschern, Dienstmännern und Briefträgern gegenüber war, der niemals versäumte, den Hut abzunehmen, wenn er einen Wachmann oder einen Portier um irgendeine gleichgültige Auskunft bat, bekam ein kaum wiedererkennbares Gesicht, wenn er eine seiner Protektionsdemarchen am Ballhausplatz, in der Statthalterei, im Kultus- und Unterrichtsministerium unternahm: Ein eisiger Hochmut lag, ein durchsichtiges Visier, über seinen Zügen. War er noch unten vor dem livrierten Portier am Portal einigermaßen herablassend, manchmal sogar gütig, so steigerte sich sein Widerstand gegen die Beamten sichtbarlich bei jeder Stufe, die er emporstieg, und war er einmal im letzten Stock angekommen, machte er den Eindruck eines Mannes, der hierhergekommen war, um ein fürchterliches Strafgericht zu halten. Man kannte ihn schon in einigen Ämtern. Und wenn er im Korridor dem Amtsdiener mit einer gefährlich leisen Stimme sagte: »Melden Sie mich beim Hofrat!«, so fragte man nur selten nach seinem Namen, und geschah es dennoch, wiederholte er, womöglich noch leiser: »Melden Sie mich sofort bitte!« Das Wort »bitte!« klang allerdings schon lauter.“

Knödelhirne Herzchen-Emoji.

Joseph Roth: „Die Kapuzinergruft“, München 2009 (deutsche Erstausgabe 1949? so steht’s in meinem Taschenbuch), S. 28. Oder beim Gutenberg-Projekt.

Dienstag, 21. Februar 2023 – Fasching

Seit letzter Woche, als es dramatisch wärmer wurde, sitze ich morgens wieder auf dem Sofa im Arbeitszimmer und gucke über den Balkon in die Bäume, die demnächst grüner werden. Sonst hocke ich in der Bibliothek auf dem Sofa unter Decken, aber die Zeit scheint vorerst vorbei zu sein. Die Balkontür ist noch zu, geschweige denn, dass ich den Kaffee auf dem Balkon trinke, aber das fühlt sich schon vorsichtig nach Frühling an. Im Februar, schon gut.

Als städtische Angestellte hatte ich gestern ernsthaft und zum ersten Mal in meinem Leben offiziell faschingsfrei: Ab 12 durften wir (unbezahlt) nach Hause gehen. Kein Wunder, dass es gestern in den Büros recht leer war, die meisten haben vermutlich Home Office gemacht anstatt für einen halben Tag reinzukommen. Ich nicht, ich brauche immer noch alles und alle um mich herum, weil ich noch nicht so ganz genau weiß, was ich eigentlich tue.

Das fiel mir letzte Woche ein, als ich so mit dem Format und den Formulierungen des Newsletters haderte: Ich habe momentan noch schlicht keine Zeit, mich mal kurz aus allem rauszunehmen, einen Schritt zurückzugehen und auf alles draufzugucken: Ist das eigentlich gut, was ich da mache oder arbeite ich nur besinnungslos etwas ab? Ich lerne jeden Tag etwas Neues und kann an Altes anlegen, aber den großen Gesamtüberblick, der sich mit Routine und Erfahrung automatisch einstellt, habe ich noch nicht. Das ist vielleicht auch etwas zu viel verlangt nach gerade gut drei Wochen, aber ich erwarte diesen Überblick inzwischen einfach von mir Berufserfahrener – und vergesse dabei, dass ich derzeit wieder Anfängerin bin. Die Praktikantin quasi, nur mit Geld.

Erstmals in diesem Jahr Wäsche auf dem Balkon getrocknet, die ich abends auch schrankfertig wieder reinholen konnte. Im Februar, schon gut.

Montag, 20. Februar 2023 – Stiftlos

Im ganzen Ikea Brunnthal keinen der kleinen Bleistifte gefunden, mit denen ich mir hätte Notizen machen können. Musste ich halt Schilder fotografieren.

Matratzen probegelegen und Schilder fotografiert.

Kleinste Rechnung ever bei Ikea bezahlt, weil ich mir jeden Schnickschnack verbat. Aber zwei Pfannenwender und Servietten mussten mit, die gibt es schließlich nur hier.

Gelesen, Linsen gekocht, Butterscotch Blondies gebacken, die großartig sind, die ich aber nie wieder backen werde, weil man schon nach einem Eckchen im Zuckerkoma landet.

Sonntag, 19. Februar 2023 – Sonntagstee

Früher – also vor der derzeitigen Festanstellung – war Wochenende eher variabel als Arbeitszeit im Hinterkopf. Sie kennen den Spruch mit „selbst“ und „ständig“. Seit den wenigen Wochen im neuen Job ist Wochenende das, was es sein soll: Freizeit. Okay, ein bisschen Putzzeit, aber Samstag ist halt Putztag, das wird erledigt, und dann hab ich frei.

Das hatte ich nicht geplant, es ergab sich so. Mal gucken, wie lange es hält, aber momentan finde ich das sehr nett, mich wieder wie eine Old-School-Arbeitnehmerin zu fühlen, schön nach Tarif bezahlt, mit Mitarbeiter*innenausweis und fest gelegter Mittagsdauer.

Deswegen habe ich gestern nur gelesen, dann F. zum Tee bewirtet, schön aus Mamas Sammeltassen, abends schlug ich eine Mayonnaise für Caesar Salad auf, die netterweise im ersten Versuch gelang, dazu Croutons aus dem Samstag gebackenen Ciabatta, und dann war der Tag schon rum.

Samstag, 18. Februar 2023 – Wochenende

Wohnung geputzt. Ciabatta gebacken. Kuchen gebacken. Fußball geguckt. Gelesen. Einer Kollegin eine Autobahnbrücke von Protzen geschickt. Früh ins Bett gegangen.

Freitag, 17. Februar 2023 – Unblutig

Vom bräsigerweise nicht ausgestellten Wecker aus dem Tiefschlaf mit wirren Träumen gerissen worden. Kaffee, Schreibtisch, Fußnoten aufgehübscht. Eine UPS-Sendung entgegengenommen. Altpapier runtergebracht. Eingekauft. Bürozeug erledigt. Einen Zweidrittel-Kuchen mit Marzipan und Mohn (bei mir Chia) gebacken nach einem Rezept von Feed me up before you go go. Meine Blutorangen waren nicht blutig genug für die quietschrosa Glasur von nebenan, und außerdem ist mir der Kuchen aus der Hand gerutscht, als ich ihn aus der Form holte, weswegen er in der Taille eine unschöne Delle hat, aber die sieht man kaum, danke, unblutige Deko-Orangen, und latent verzerrte Aufsichtsperspektive beim Fotografieren. Schmeckt ganz hervorragend, empfehle ich hiermit zum Nachbacken. Brotteig angesetzt. Abends beim Fußball eingeschlafen und Augsburgs einziges Tor verpasst. Egal, ich hatte guten Kuchen auf einer kleinen Platte, die ich mir beim letzten Elternbesuch mitnehmen durfte. (Ich schreibe weiterhin Eltern, ich habe kein Argument dafür, ich möchte das halt schreiben, auch wenn nur noch ein Elter da ist.)