Freitagvormittag gemütliche Hinfahrt von München nach Frankfurt, ich arbeitete im Zug, die Zeit verging wie im Flug.
Rückfahrt einen Hauch ungeplant schon Sonntagabend statt Montag, denn heute geht ja nichts mehr wegen des Streiks, der völlig in Ordnung ist. Unsere Tickets behielten die Gültigkeit, wir reservierten nur zwei neue Sitzplätze, Zug fuhr püntklich und es gab sogar noch freie Plätze. Ich arbeitete nicht, die Zeit kroch dahin, und ich war darob nölig, wollte aber auch nicht mehr arbeiten, weil ich um 19 Uhr nicht mehr denken kann.
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Freitag bummelten wir nur durch die Gegend, lästerten über die Playmobilhäuser rund um den Römer, kehrten im Café an der Schirn ein, gingen aber noch nicht Kunst gucken. Freitag war quasi Reise- und Rumlungertag. Aber wir hatten abends einen Termin, nutzten die zuckelige U-Bahn nach habichvergessen, die 30 Minuten dauerte, vom dortigen Bahnhof holte uns ein alter Freund von F. ab, den er vor 20 Jahren in den USA kennengelernt hatte. Wir wurden köstlich bewirtet und beweint und vom (freiwillig nüchtern gebliebenen) Gastgeber mit dem Auto wieder zum Hotel zurückgebracht, was keine 15 Minuten dauerte, und so wird das nichts mit der Verkehrswende.
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Samstag kam zuerst Niki de Saint Phalle in der Schirn dran, die ich als gebürtige Hannoveranerin natürlich kenne, bei uns stehen ja drei Nanas rum, über die ich mir nie Gedanken gemacht habe als Kind, ich fand sie halt schön und bunt und gut war’s. Erst nach Jahren ist mir die kunsthistorische, feministische und soziologische Sprengkraft der Figuren klar und seitdem liebe ich sie noch mehr.
In der Ausstellung sah ich aber erstmals ausführlich ihr Frühwerk und das fand ich noch spannender.
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Danach gingen wir in den anderen Flügel der Schirn und sahen gefühlt ewig Videokunst von Elizabeth Price, die uns deutlich mehr gefiel als wir erwartet hatten. Ich zitiere die Schirn:
„Aus Kunstgegenständen und Dokumenten von historischen Ereignissen entwickelt Price im Zuge ihrer digitalen Aneignung neue Erzählungen. Ein wiederkehrendes Thema ist die durch die Digitalisierung veränderte Arbeitswelt, das Abwandern der manuellen Arbeit in Schwellenländer mit geringen Löhnen oder die Zunahme der Informationsarbeit, Bürotätigkeit und Verwaltung.“
In der Pressemitteilung stehen die Titel und genaueren Inhalte. Lesens- und vor allem sehenswert, das Ganze.
Bei der Arbeit „Night of the world“ von 2023 fühlte ich mich unangenehm ertappt. Ich zitiere die eben verlinkte Pressemitteilung:
„Sie widmet sich einem Schiff namens Tricolor, das im Dezember 2002 in einem West Hinder genannten Gebiet des Ärmelkanals zwischen den Britischen Inseln und dem europäischen Festland sank. Geschildert wird eine Fantasieerzählung, in der die Schiffsladung von 2896 Luxusautos eine Art Bewusstsein erlangt. Deren „intelligente Fahrzeugsteuerungssysteme“ entwickeln eine Sprache aus Benutzerhandbüchern und Pressemitteilungen. Als ein Chor synthetischer Stimmen wenden die Fahrzeuge sich mittels bewegter Grafiken auf dem Bildschirm an die Betrachterinnen und Betrachter.“
Die „Sprache aus Benutzerhandbüchern und Pressemitteilungen“ ist mir natürlich sehr vertraut, weil ich sie selbst jahrelang verfasst habe. Die ganzen Sprechblasen von „dynamischen Linien“, „kraftvollen Eindrücken“ und ähnlichem Firlefanz habe ich hier schön um die Ohren gehauen bekommen. Der Text verstieg sich zu „Arabesken aus“ irgendwas, vergessen, aber spätestens dann saß ich mit sehr roten Öhrchen da. Dass man „Truth in Engineering“ (BMW-Claim) auch als eine Art Manifest einer künstlichen Intelligenz lesen könnte, fand ich äußerst clever.
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Wir verzichteten aufs Mittagessen, denn wir hatten abends eine Reservierung. Gestärkt durch Weingummi, Kekse und Cola gingen wir noch ins Museum für moderne Kunst, wo uns Rosemarie Trockel leider eher ratlos zurückließ. Ich mag ihre textilen Arbeiten sehr gern, aber für alles andere musste man das Begleitheft lesen, zu dem wir beide keine Lust hatten. Wenn von den dortigen, guten Texten ein Drittel an den Wänden gestanden hätte, wäre es uns vielleicht anders ergangen, aber so bummelten wir durch Konzeptkunst, die uns leider eher egal blieb.
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Abends saßen wir im Masa, aus dem wir völlig begeistert wieder herauskamen. Zwei Fotos gemacht, eins auf Insta gepostet, aber auch erst am Tag danach, ich wollte nur schauen und riechen und genießen. Das haben wir sehr ausführlich zelebriert. Kann erstmal kein Sashimi mehr essen, weil das dort schlicht herausragend war; solchen Fisch, solchen Reis hatte ich noch nie gegessen. Und Sake! Wie toll kann bitte Sake sein? Viel gelernt, dankbar gewesen.
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Gestern wartete noch das Jüdische Museum auf uns. In der Ausstellung „Zurück ins Licht“ konnte ich vier vergessene oder übersehenene Künstlerinnnen kennenlernen. Sehr gute Ausstellung, die man – leider, wie immer in diesem Kontext – mit der geballten Faust in der Tasche wieder verlässt. Danach schauten wir uns in aller Ruhe die Dauerausstellung an, die uns ebenfalls sehr gut gefallen hat. Man wird nicht zugeballert, bekommt aber alles mit, die Texte sind knapp, aber aussagekräftig, diverse Hörstationen bieten Vertiefung. Und: genug Sitzgelegenheiten! Und Kaffee für lau in einem Raum, der mit „Ask the Rabbi“ überschrieben ist und in dem man sich Videos mit Rabbiner*innen anschauen kann, die in Frankfurt arbeiten. Kenne deine Zielgruppe! Sehr gut.
Ich twitterte, dass die Schließfächer für Jacken und Rucksäcke keine Nummern, sondern Namen haben – erstmal Fritz Bauer gesichert –, worauf das Museum sich mit Grüßen meldete und einen schönen Besuch wünschte. Meine erste Reaktion: „Oh, nett.“ Meine zweite: „Verdammt, da muss jemand am Sonntag arbeiten.“
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Mittendrin-Reaktion leider auch: Wieso gibt es eine Eingangskontrolle, in der Rucksäcke durchwühlt werden und bei der man durch einen Metalldetektor geht. Wann hört dieser Scheiß endlich auf, nötig zu sein. Verdammtes Land. (Bin spätestens seit der Diss dauernd auf Krawall gebürstet, wenn es um Deutschland, seine Vergangenheit und seinen Umgang mit eben dieser geht.)
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Unsere Koffer waren noch im Hotel, wir mussten noch etwas Zeit bis zum Zug rumkriegen, also gingen wir in einen Burgerladen, dessen Burger sehr gut und heiß und fettig waren, wo wir aber leider noch einen kleinen Milkshake als Nachtisch orderten, der uns ins totale Zuckerkoma warf. Hätte man vielleicht erwarten können, wenn man etwas mit Skittles und Toffifee bestellt. Ich wunderte mich, dass die Freshman 15 nicht Freshmen 50 heißen. Wir machten einen Verdauungsspaziergang zur Plastikaltstadt und gingen in einen am Freitag entdeckten kleinen Hof, der nach Fried Lübbecke benannt wurde, den wir uns erstmal ergoogelten und über den ich im ZI etwas nachlesen werde. Wenn wir auf Bildungstour sind, dann richtig.
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Ereignislose Rückfahrt, ich erwähnte es bereits. F. döste rum, ich las in einer Diss über die sogenannte „innere Emigration“ einiger deutscher Künstler*innen (problematischer Wiki-Eintrag; nicht alle in Deutschland gebliebenen Künstler*innen waren dem Staat gegenüber in der Opposition) und wechselte dann zu Lion Feuchtwangers Tagebüchern, die ich im Museumsshop erworben hatte.
Und wenn ich mitgekriegt hätte, dass die U-Bahnen im Hauptbahnhof mal wieder im Wochenend-Baustellen-Modus fahren (also nicht auf den Gleisen, auf denen sie sonst fahren und die ich im Schlaf finde), hätte ich noch nicht mal auf eine Bahn warten müssen. Musste ich dann aber, Koffer war zu schwer zum Rennen. Alles wie immer also.