Morgens wurde ich in einem der kleinen Lesesäle der Stabi folgendermaßen begrüßt: „Ach, Frau Gröner! Man erkennt die Leute ohne Maske ja gar nicht mehr!“ Den ganzen Tag darüber amüsiert.
In der Stabi blätterte ich satte 1500 Seiten Propagandascheiß durch, wofür ich wieder den üblichen Zettel ausfüllen musste, dass ich mit dem Nazirotz nichts Böses anstelle. Mir fiel zum ersten Mal neben der Checkbox „Wissenschaft“ die Box „Kunst“ auf. Das darf man also auch aus Adolfs Fotos machen, sehr schön.
Ich fand genau eine Autobahn, die angeblich auf „Die Straßen Adolf Hitlers in der Kunst“ gezeigt wurde und dachte, oh cool, immerhin ein Werk einer der wenigen Malerinnen, Rose Walter. Beim Durchklicken des Katalogs auf meinem Rechner stellte ich aber fest, dass es ein Herr Walter Rose war, der eine unaufregende, aber formschöne moderne Brücke bei Rosenheim abgebildet hatte. (Nein, ich kann immer noch nicht alle 300 Künstler*innen auswendig, die im Katalog versammelt sind.)
Nach diesen vielen Seiten mit vielen, vielen Hakenkreuzen musste ich nicht nur die Hände, sondern auch mein Hirn waschen.
Eine U- und S-Bahn-Fahrt weiter wartete die Bibliothek des Deutschen Museums auf mich, wo ich für einen Bamberger Kollegen (there, I said it) etwas nachschauen wollte. Der mir bis vor wenigen Tagen noch nicht bekannte Reichsausschuss für Fremdenverkehr gab ein Werbeblättchen namens „Deutschland“ heraus, das auf 30 Seiten pro Monat hübsche Fotos versammelte, um Reisende ins Land zu holen. Angeblich sollte auf einer Ausgabe von 1935 eine Autobahn von Fritz Bayerlein auf dem Titel sein. Ich suchte in der Stabi nach der Zeitschrift, fand sie aber nur auf Englisch (da heißt sie „Germany“), aber in der unerschöpflichen und immer wieder überraschenden Bib des Deutschen Museum war sie auf Deutsch und es stand sogar der Jahrgang 1935 rum, den die Stabi leider nicht hatte. Und, ja, Autobahn.
Ich kam ausgerechnet zur Mittagspause ins Deutsche Museum, weil es in der Stabi doch länger gedauert hatte als ich dachte; ich hatte nicht geahnt, wie dick der Jahrgang Zeitschriften war. Zwischen 12 und 13 Uhr kann man im DM keine Bücher abholen, aber ich konnte mich natürlich beschäftigen, indem ich am Protzen-Aufsatz für unseren Konferenz-Sammelband weiterschrieb. Auch bei dem hätte ich gedacht, längst damit fertig zu sein, aber ich alte Streberin will halt nicht nur die Kurzfassung meiner Diss copypasten, sondern noch etwas Neues anfügen, die Diss ist schließlich schon vor einem Jahr veröffentlicht worden. Also sammele ich immer noch anstatt das Ding endlich runterzuschreiben, denn es muss bis Ende Februar abgegeben werden. Ein paar Dinge hatte ich schon für den Artikel in „Unser Bayern“ verwurstet, aber das ist natürlich keine wissenschaftliche Veröffentlichung. (Der Artikel steht jetzt auch als Print-Version auf meiner Website.)
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Gegen 14 Uhr verließ ich die Bib, ging zur Bushaltestelle und sah, dass der Bus noch sieben Minuten auf sich warten ließ. Daher stapfte ich einfach die zwei Stationen zu Fuß an der Isar entlang, obwohl ich in einem Anfall von sinnloser Eitelkeit die Stiefeletten mit den Absätzen angezogen hatte, in denen ich eigentlich keine Alltagserledigungen mache. Die fühlten sich aber gut an und damit fühlte ich mich gut und überhaupt war alles wieder gut.
Schnelle Mittagspause zuhause, dann ging ich ins Stadtarchiv, wo ein winziger, noch unverzeichneter Nachlass von Henny Protzen-Kundmüller auf mich wartete, ich erwähnte es bereits. Dort sollte sich auch ein Werkverzeichnis von Herrn Protzen befinden, auf das ich mich irre gefreut hatte, aber: Es waren stattdessen zwei Verzeichnisse von ihr; die Handschriften der beiden kenne ich gut aus dem Nachlass in Nürnberg. Ich war kurz enttäuscht (okay, länger), aber hey: Zwei noch nicht für die Forschung ausgewertete Werkverzeichnisse! Einmal ihre Ölgemälde, einmal die Aquarelle, und zwar im Original und nicht nur als blöden Scan, den ich von Protzen habe, weil ich nicht herausfinden konnte, ob hier das Original noch existiert, weil keiner der Menschen, die als Erben in Frage kommen, auf meine Post reagiert haben.
Durch meine Arbeit zu Protzen hatte ich diverse Ausstellungskataloge als Digitalisat auf dem Rechner, netterweise haben die beiden sehr oft gemeinsam ausgestellt, und so konnte ich einfach mal in ihren Verzeichnissen nach Werken suchen, die ich aus seinen Katalogen kannte. Ihre Verzeichnisse sind weitaus weniger penibel geführt als das von Herrn Protzen. Ich habe ewig gemeckert, dass ich nur so wenig Material hatte für die Diss und 1000 Spuren versandeten, aber ich merke immer mehr, dass ich mit dem Werkverzeichnis einen absoluten Schatz hatte, den ich erst jetzt zu würdigen weiß. Einige Werke von ihr konnte ich identifizieren und so immerhin die Jahre ahnen, in denen sie verzeichnet wurden, denn selbst diese simple Angabe fehlt bei ihr – im Gegensatz zum Verzeichnis von ihm, wo teilweise taggenaue Daten stehen, wenn auch nicht oft. Aber die Jahre sind seit 1927 brav aufgeschrieben, was die Arbeit sehr erleichterte.
Was bei ihr spannend ist und für Protzen fehlt: die längere Nachkriegszeit. Protzens Verzeichnis geht bis Ende der 1940er Jahre, warum er das Verzeichnis nicht weiterführte, ist nicht klar. Bei ihr wechseln irgendwann die (erhofften) Verkaufspreise zu „DM“ (deutlich notiert), daher gehe ich davon aus, dass ihr Verzeichnis bis mindestens Ende der 1950er Jahre geht (sie starb 1967, Protzen bereits 1956). Ich hatte gestern nicht genug Zeit, um mich wirklich vertieft mit den Verzeichnissen zu beschäftigen, werde aber natürlich noch einmal reingucken.
Ebenfalls noch nicht ausgewertet: zwei Tagebücher von ihr, von denen ich mir ein bisschen Infos zum Kennenlernen und der gemeinsamen Zeit an der Kunstakademie erhofft hatte oder wenigstens ein paar Einträge zu ihrem Werk, aber die Tagebücher sind aus ihrer Jugendzeit und waren mir damit eher egal. Aber wer sich länger mit Henny beschäftigen möchte – tolles Zeug!
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Sehr hungrig nach Hause gekommen, aber für mehr als einen riesigen Salat und ein ebenso riesiges Käsebrot hat es nicht gereicht. Fußball geguckt und dabei eingeschlafen.