Tagebuch Freitag/Samstag, 4./5. September 2020 – Restsommer

Freitagmorgen radelte ich zur Stabi, wo in einem der kleinen Forschungslesesäle mal wieder NS-Literatur auf mich wartete, die nicht in den normalen Lesesaal bestellt werden kann. Seit der Neuöffnung war ich in ihnen noch nicht wieder gewesen und so staunte ich über die gerade circa vier Sitzplätze, die von den geschätzt 18 noch übrig waren im Lesesaal für Musik und Karten, in den ich immer meine Giftschrank-Literatur ordere. Aber die musste ich erstmal finden: Normalerweise wird mir die von der Bibliothekarin persönlich ausgehändigt, die inzwischen hinter einer hohen Plastikscheibe sitzt; ich muss für dieses eine Buch, das ich inzwischen zum mindestens fünften Mal ausleihe, immer unterschreiben, das ich das für wissenschaftliche Zwecke benötige und nicht, weil ich es so toll finde. Als Quelle ist es allerdings toll, nur so nebenbei. Verfasser Otto Reismann war Pressereferent von Fritz Todt und von Anfang an beim Projekt Reichsautobahn dabei, wie mir durch Dokumente im Bundesarchiv Berlin klar wurde. Also ab 1933, davor muss ich leider passen, wie mir gerade erstmals selbst auffällt.

Jedenfalls lag das Buch nicht hinter der Dame im Regal, damit ich es persönlich und mit Unterschrift entgegennehmen konnte. Sie suchte das ganze Regal ab, rief noch eine zweite Dame zu Hilfe, beide wurden nicht fündig, bis ich meinte, ich würde einfach mal im Regal für mich nachschauen – wo es natürlich lag. Ich hatte aber auch noch ein zweites Buch bestellt, das weder dort noch im Regal hinter Plastik lag, woraufhin wieder gesucht wurde, bis es sich in einem falschen Fach wiederfand und ich endlich anfangen konnte zu arbeiten, leicht verschwitzt und verwirrt.

Ich blätterte das Buch zum wiederholten Male durch, denn nun hatte ich, für meinen Abstract, eine leicht veränderte Frage, die mich in der Diss null interessiert hatte. Ich hatte das Buch bereits am vergangenen Montag in der Bibliothek des Deutschen Museums durchgelesen, aber ich dachte, schadet ja nichts, wenn man das nochmal macht. Bei diesem Buch hatte ich recht lange mir mir gerungen, es antiquarisch zu erwerben, weil es eine recht zentrale Quelle für mein Thema ist, aber es ist schlicht zu teuer. Einige Bücher hatte ich mir für die Diss gegönnt und die auch so ziemlich für jedes Kapitel zerfleddert, aber der Reismann ist überall zu teuer, der wird weiterhin großflächig geliehen.

Das zweite Buch war neu für mich, das las ich sehr interessiert durch und beschäftigte mich vor allem mit den fotografischen Abbildungen. Ich genoss es sehr, ein ordentliches Grundwissen zum Thema mitzubringen und daher die Fotos anders anschauen zu können als ich es noch vor zwei Jahren gemacht hätte.

Nach nicht mal zwei Stunden wusste ich, was ich wissen wollte, dengelte am Abstract herum, gab dann die Bücher wieder zurück und radelte mit einem Umweg über den wöchentlich besuchten Supermarkt nach Hause, wo ich Sport trieb, Pflaumenkuchen buk, Orgakram erledigte und mal wieder nach dem Tagwerk auf dem Sofa einschlief.

Gestern trafen F. und ich uns mit einem Herrn im Biergarten. Ich musste leider von F. etwas Abstand halten; er hatte am Donnerstag mit 500 anderen Menschen in der Staatsoper bei Marina Abramovich gesessen, was ich partout nicht wollte und daher ist jetzt wieder für ein paar Tage Abstand und frische Luft angesagt. Ich hatte im Zuge dieser Opernkarten für mich beschlossen: nicht in diesem Jahr und im nächsten gucken wir mal. Ich werde 2020 noch mindestens achtmal in einem ICE nach oder von Hannover sitzen, weil ich keine Lust auf acht Stunden Autofahrt habe (nein, auch nicht auf den Autobahnen, die ich jetzt auch mit anderen Augen sehe). Und wir haben im Oktober eine Reservierung im Tantris, auf die ich mich seit Monaten freue, denn wie ich schon nach der Abgabe der Masterarbeit schrieb: Das mache ich nach Abgabe der Diss nochmal. Und so wird es sein. Aber das werden die einzigen Male in diesem Jahr sein, an denen ich mich mit vielen Leuten in einem Innenraum aufhalten werde; für Oper, Konzert oder Theater reicht mein Nervenkostüm (oder mein Immunsystem) noch nicht.

So saßen wir einen Meter voneinander entfernt auf der Bank, tranken zu dritt Radler und Wiesnbier, knabberten Brezn und Pommes, ich lernte viel über Punkbands, die es seit hundert Jahren gibt, und solche, die es noch nicht ganz so lange gibt, aber tolle Bandnamen haben und nur weibliche Mitglieder.

Getrenntes Aufbrechen und leider alleine eingeschlafen, es hilft ja nichts. Vorher noch einen Brief der LMU aus dem Briefkasten geholt, in dem sich meine Exmatrikulation befand. Ich wusste seit sechs Semestern, dass der irgendwann kommen wird am Ende des Promotionsstudiums, aber als ich ihn dann in den Händen hielt, war ich doch sehr traurig. Gleich mal das Seniorenstudium ergoogeln; müsste ja eh online stattfinden, perfekt!

Pflaumenkuchen mit Rührteig

Ein Rezept von Smitten Kitchen, das mich spontan anlachte, nachdem ich spontan Pflaumen gekauft hatte. Das Rezept verlangt nach einer 9-Inch-Springform, bei mir ist es die übliche 24-cm-Form geworden, und weil ich zu faul war, die Mengen hochzurechnen, ist der Teig ein bisschen zu dünn geworden. Stört den Geschmack aber gar nicht.

Der Pflaumenkuchen ist übrigens ein Klassiker von Marian Burros: In der New York Times wurde das Rezept jährlich im September von 1983 bis 1989 abgedruckt, das letzte Mal mit breitem Rand, damit die Nachbäcker:innen es sich endlich ausschneiden und aufheben würden. Hat nichts gebracht, es gab wütende Leser:innenbriefe zu der angekündigten Änderung. “The appearance of the recipe, like the torte itself, is bittersweet,” wrote a reader in Tarrytown, N.Y. “Summer is leaving, fall is coming. That’s what your annual recipe is all about. Don’t be grumpy about it.” Im eben verlinkten Abschnitt steht das Rezept mit Abwandlungsmöglichkeiten. Und hier nochmal die Geschichte etwas ausführlicher.

In einer Schüssel
150 bis 200 g Zucker mit
115 g weicher Butter schaumig schlagen.
2 Eier einzeln unterrühren.

125 g Mehl, Type 405, mit
1 TL Backpulver und
1 guten Prise Salz dazugeben und kurz verrühren. Alles in eine gefettete (wirklich gefettete) 9-Inch-Form geben bzw. eine 22-cm-Springform.

12 reife Pflaumen, halbiert und entsteint, mit der Hautseite nach oben leicht in den Teig drücken. Ruhig bis dicht an den Rand, das habe ich nicht gemacht, weswegen der Teig bei mir an der Form nach oben gewachsen ist. Außerdem habe ich die Pflaumen mit der Innenseite nach oben gebacken, jetzt muss ich den Kuchen nochmal machen, schlimm!

Alles mit
2 TL Zitronensaft und
1–3 TL Zimt, je nach Lust und Laune, bestreuen. Im auf 180 Grad vorgeheizten Ofen für 50 bis 60 Minuten backen. Bei mir war es recht wenig Zimt, so irre gern mag ich das Zeug nicht, aber ich habe ihn überhaupt nicht geschmeckt. Den Zitronensaft auch nicht, aber ich hatte das Gefühl, dass er ganz gut gegen den Zucker ansteuert. Wie gesagt, ich muss das eh nochmal machen und werde dann eifrig berichten.

Tagebuch Dienstag, 1. September 2020 – White Russian(s)

Den Vormittag auf diversen Jobbörsen verbracht, sehr viel schlechte Laune gehabt, mich über Formulierungen aufgedotzt und bei manchen Anzeigen gedacht: Wer einen „gradlinigen Lebenslauf“ will, kriegt dann halt auch nur Langweiler für die eigene Butze und macht langweiliges Zeug.

Abends mit F. über die beknackte Idee gesprochen, dass Personaler:innen misstrauisch werden, wenn man sagt, man will gar keine große Karriere, man will diese Verantwortung nicht, man will nicht die nächste Stufe erklimmen, nur weil alle anderen das machen, man will nicht mehr Geld, wenn das auch fünfzehn Stunden mehr im Büro heißt, man will einfach nur seinen Job gewissenhaft erledigen, zu menschenwürdigen Zeiten Feierabend machen und ein gutes Leben haben. In solchen Momenten denke ich immer an den langen Blogeintrag von Frau Kaltmamsell, die es gewagt hat, ähnliche Forderungen zu stellen und quasi kurz vor der Rente noch einen neuen Job haben wollte.

Ich hatte mich nach dem Master-Abschluss schon einmal halbherzig sowohl bei Museen als auch bei Werbeagenturen beworben, weil ich noch nicht ganz so sicher war, ob die Promotion eine gute Idee wäre, ich Irre. Damals hatte ich schon das Gefühl, dass man Jobs als Festangestellte ähnlich bekommt wie als Freie: über Empfehlungen, Tipps, jemand kennt jemanden, die … keine Ahnung, ob das immer noch so ist. Ich gehe diesen Schritt gerade etwas ängstlich an, weil ich weiß, dass ich in meinen 12 Jahren Selbständigkeit jeden, wirklich jeden Job ohne Akquise bekommen habe; es sind immer Auftraggeber auf mich zugekommen, nie umgekehrt.

Abends einen sehr schönen Abend mit F. verbracht. Wir hängen gerade beide etwas in den Seilen, ich, weil ich noch keinen genauen Plan habe für die nächsten Jahre UND ICH BRAUCHE HALT EINEN PLAN, er, weil ihm durch Corona wichtige Aktivitäten fehlen, die er für seinen seelischen Ausgleich braucht. Er meinte gestern, in den letzten Wochen hätten wir es irgendwie nie hinkriegt, mal gemeinsam gute Laune zu haben, irgendwer war immer nöckelig. Gestern passte mal wieder alles, ich kochte ein Risotto mit dem herrlichen Mängisch von Jamei (große Empfehlung für Risotto!), wir öffneten einen Orange Wine von Princic, tolles Weingut, und irgendwie versackten wir dann bei White Russians (ich) und Birnenschnaps (F.) vom Bekannten meines Patenonkels aus Baden-Württemberg, der für den Stoff Fallobstwiesen abgrast und ziemliches gutes Zeug davon brennt.

Sehr spät, aber auch sehr glücklich gemeinsam ins Bett gefallen.

Noch nicht alles gehört bzw. gesehen, aber ich lasse das schon mal hier liegen: „Wie wir wurden, was wir sind“ – das Staatliche Museum Ägyptischer Kunst in München hat zu seinem 50. Geburtstag ein paar Vorträge erstellt. Gestern kam einer zu den Jahren 1930 bis 1950, die natürlich genau meine Zeit umfassen.

Einer meiner liebsten Insta-Accounts derzeit: Fashion Deconstruction.

Oder Carole Tanenbaum:

Tagebuch Montag, 31. August 2020 – Drei Jahre (von acht)

Gute-Laune-Programm für den Vormittag: zur Bibliothek des Deutschen Museums radeln und dort in alten Büchern blättern. Habe ich gemacht, war gut; das Paper, das mir vorschwebt, ist damit in Arbeit und wird demnächst als Abstract eingereicht.

Ich stieß mal wieder auf die üblichen Lustigkeiten zwischen NS-Staat und Bundesrepublik, rollte mit den Augen und blätterte weiter. Stunde Null my ass.

Nachmittags erinnerte mich @ellebil an einen alten Tweet von mir:

Den retweetete ich, woraufhin @bilsandbytes meinte, ich sei die erste, die sie kenne, die das wirklich in drei Jahren geschafft hätte.

Nun.

Dafür bin ich jetzt pleite, und an miesen Tagen frage ich mich ab und zu immer noch, ob das alles so eine schnafte Idee gewesen ist. Ich denke an das Ende einer Beziehung mit einem guten Kerl, an eine nette Stadt mit netten Menschen, in der ich nicht mehr wohne und ja, an den verdammten Kontostand, der mal ganz anders aussah und aus dem ich durchaus Selbstbewusstsein und Seelenruhe schöpfen konnte. Gut, München hat sich als noch nettere Stadt entpuppt und der neue Kerl ist auch super, aber das Geld macht mir wirklich etwas Sorgen, gerade weil München, du verdammtes überteuertes Nest.

Aber dann denke ich daran, dass ich beruflich, wenn man das Studium mal als Beruf ansieht, noch nie so viel Spaß gehabt habe wie in den letzten acht Jahren. Ich denke daran, dass ich aus so ziemlich jedem Seminar und jeder Vorlesung mit einem breiten Grinsen oder mit ungläubigem Staunen, aber immer mit riesiger Neugier und Leselust gekommen bin und es kaum erwarten konnte bis zur nächsten Einheit. Die 8-Uhr-morgens-Vorlesungen mal ausgenommen, und bei den 16-Uhr-Seminaren war mein Kopf auch schon arg auf Feierabend eingestellt, aber das waren Lerneffekte aus den ersten Semestern. Ich denke daran, wie gerne ich die allermeisten universitären Aufgaben erledigt habe; dämliches Faktenbüffeln für die Klausuren weniger, lasst mich einfach noch ein paar Hausarbeiten schreiben, den selbst erabeiteten Kram merke ich mir nämlich jahrelang und nicht nur bis zum Prüfungstermin. Gerade im Vergleich zu manchen Kundenaufträgen, bei denen man schon beim Briefing mit den Augen rollt und an die vergeudete Lebenszeit denkt bzw. daran, dass man die Rechnung unter „Schmerzensgeld“ ablegt, war das Arbeiten für die Uni ein Genuss und ein Geschenk. Ich hatte fast konstant das Gefühl, etwas Wichtiges, etwas Gutes, etwas Sinnvolles zu tun und nicht nur irgendwas, was die Miete zahlt und die nächste Pizza. Dass das ein Luxus war, habe ich mir immer selbst gesagt, aber jetzt, wo das alles zuende sein soll, frage ich mich schon, wieso das ein Luxus ist und wieso wir nicht alle so arbeiten können. Stichwort bedingungsloses Grundeinkommen. Wieso müssen viele von uns Jobs erledigen, die nicht ausfüllen, die unnötig anstrengen, die sinnlos sind, um ein Dach über dem Kopf zu haben und zu Lidl zu können, weil der Biomarkt nicht drin ist? Aber das ist eine andere Diskussion.

Ich war nach dem Tweet gestern gleichzeitig stolz und traurig, weil ich ahne, dass jetzt wieder Deppenjobs erledigt werden müssen und Bibliothekszeit erst recht Luxus werden wird. Ich bin traurig darüber, dass ich die Zeit an der Uni in meinen Zwanzigern nicht würdigen konnte, aber das kann ich leider nicht mehr ändern. Keine Ahnung, ob aus meiner Begeisterung noch eine Karriere wird, was ich innerlich natürlich hoffe, aber ebenfalls innerlich stellte ich mich neben den Bewerbungen auf Jobs, die ich wirklich haben möchte, auch auf Bewerbungen auf Jobs ein, die mir total egal sein werden. Meine innere Protestantin wird auch die gut und brav und gewissenhaft erledigen, aber vermutlich mit deutlich weniger Begeisterung als die, die mich in jedem Archiv, jeder Bibliothek und jeder wissenschaftlichen Datenbank ereilt.

Abends Beethoven. (Noch bis zum 3.9. abrufbar, schnell hin.)

Tagebuch Samstag/Sonntag, 29./30. August 2020 – Jeder Name zählt

Im Kunstfoyer der Versicherungskammer läuft gerade eine Retrospektive mit Fotos von Toni Schneiders, die bis Ende September verlängert wurde, und die ich euch hiermit sehr ans Herz lege. Kostet wie immer dort nichts und ist jeden Tag zu sehen.

Ich mochte vor allem die Fotografien aus den 1950er-Jahren, weil sie ein bisschen an mein Forschungsgebiet anknüpfen. Es waren an ihnen gleichzeitig der Rückgriff auf die reduzierte, neusachliche Bildgestaltung der 1920er-Jahre zu sehen sowie die Weiterentwicklung und damit die Abgrenzung zur Zeit von vor 1945. Wobei auch zur NS-Zeit die Fotosprache, im Gegensatz zur Malerei, durchaus schlicht abbildend, reportagehaft sein konnte, während in der Malerei gerne überdeutlich verherrlicht wurde. Nicht jedes Fotos, das zwischen 1933 und 1945 in offiziellen Publikationen auftauchte, wird heute als eben das erkannt; das fiel mir vor allem bei Architekturabbildungen auf, die ich im Zuge der Diss hundertfach angeschaut habe. Wenn ich nicht gewusst hätte, was ich sehe und wann es aufgenommen wurde, hätte ich die Bilder auch in die Zwanziger datieren können.

Apropos: Im Bundesarchiv finden sich Fotos von Schneiders, die er als Kriegsberichterstatter gemacht hat. Dort ist, gerade in seinen Aufnahmen von Menschen, doch ein deutlicher Unterschied zu den Bildern nach 1945 zu sehen. Nur wenige Fotos lassen schon seine Handschrift erahnen. Hier wurde noch Wert auf die Abbildung von Gemeinschaft und Gruppe gelegt, während sich Schneiders nach 1945 deutlich mehr auf die Einzelperson konzentriert; in wenigen Bildern klingt das hier schon an, zum Beispiel im Bild 101I-567-1503D-32, Seite 5 von 7, wo man zwei Männer auf einem Lastwagen sieht, beide scharf im Profil. Es ist kein Horizont zu erkennen, die Männer überragen alles, aber sie wirken nicht übermächtig wie in der zu erwartenden heldischen Inszenierung, sondern trotz ihrer eindeutig modernen Umgebung fast wie antike Büsten oder italienische Porträts des ausgehenden 15. Jahrhunderts, klassisch, still und schlicht.

Genau diese Stimmung mochte ich an Schneiders Arbeiten in den 1950er-Jahren. Dort konzentriert er sich auf ebensolche Details oder wenige Figuren, die er in kontrastreichem Schwarzweiß abbildet.


(Anstreicher, 1967; „Zwei, die auf Draht sind“, 1954.)

Auch toll: die Hängung, die teilweise aus seinen Büchern übernommen wurde, so wie hier das Flugzeug, das an einen „Rosinenbomber“ erinnert direkt neben dem Denkmal für eben diese Flugzeuge.


(„Tag und Nacht brummten die Transportflugzeuge“, 1959; „Das Luftbrückendenkmal, 1959.)

Oder einfach die Konstraste zwischen viel und wenig, hell und dunkel.


(Signalpfahl, 1954; Schneefangzaun, 1956.)


(„Weiß auf Schwarz“, 1965; „Ein Mann allein“, 1951.)

Dass der winzige Fleck links ein Segelboot auf dem bewegten Bleder See ist, habe ich erst zehn Zentimeter vor dem Bild erkennen können. Ich hing eh die meiste Zeit mit der Nase an den Rahmen, um nichts zu verpassen an Linien, Formen, Anschnitten und Ausschnitten.

Schneiders begann recht früh mit Reisereportagen. Vor diesen Bildern hatte ich ein wenig Angst, ich erwartete exotisierende Abbildungen aus zum Beispiel Äthopien, konnte aber aufatmen. F. nannte es sehr richtig „Begegnungen auf Augenhöhe“ von Fotograf und Subjekten.

Nochmal: Anschauempfehlung. (Und ich muss mich endlich mal um größere Bilder im Blog kümmern. Will ich schließlich erst seit acht Jahren machen. Man kommt zu nix.)

F. und ich waren nicht alleine in der Ausstellung, sondern wurden von Ben und Sven begleitet, mit denen wir danach noch auf ein bis drei Bierchen einkehrten. Das hat sich mal wieder so schön normal angefühlt, Kunst gucken, quatschen, zusammensitzen. Zwar bei Regen und 15 Grad draußen unter einer Augustiner-Markise, aber das war auch okay. Besser so als gar nicht. Wenn ich richtig gezählt habe, war das das vierte Mal seit März, dass ich andere Leute als F. oder Familie für längere Zeit um mich herum hatte, von den ICEs mal abgesehen sowie den Bibliotheken, wo man aber prima Abstand halten kann.

Gestern hatte ich viel Spaß mit dem Kreuzworträtsel der NYT, das sogar visuelle Hinweise bereithielt. Verlinken bringt vermutlich nur für Abonnent:innen was, aber falls ihr noch zögert, die Times zu abonnieren – hier wäre noch ein toller Grund.

Nachmittags hatte ich weitaus weniger Spaß, weil ich mich in den Arolsen Archives rumtrieb, aber das muss halt gemacht werden. Ich arbeitete erneut bei #JederNamezählt mit, bei dem jede:r, hey, ihr auch, ja du! mitmachen kann. Es geht um die Erfassung von gescannten Dokumenten, genauer gesagt, um Häftlingsakten aus Konzentrationslagern, deren Daten nun von Freiwilligen vom Scan in eine Datenbank übertragen werden. Man muss sich nicht mal anmelden. Nachdem ich aber die Daten eines vierzehnjährigen griechischen Schülers übertragen hatte, der 1944 verhaftet worden war, machte ich erstmal wieder Pause.

Abends Käse und Wein mit F. Meine Tage schwanken immer noch zwischen Nazischeiß und dem Rest der Welt, der einem immer surrealer vorkommt.

Tagebuch Freitag, 28. August 2020 – Wurstauflauf Royal

Eigentlich wollte ich in die Uni-Bib radeln, um drei schöne Bücher abzuholen, aber es war erst eins da und für ein Buch verlasse ich das Haus nicht. Also Schreibtisch daheim. Ich las diverse Texte, die ich mir als pdf runtergeladen hatte und bastelte weiter an meinem Abstract.

Das Fernsehprogramm des Tages waren ein paar alte Folgen Scrubs. Immer noch lustig, und der Hausmeister ist eine großartige Figur.

Zum Abendessen löste ich ein leichtsinnig gegebenes Versprechen ein:


(Klicken Sie ruhig das Bild an, darunter ist ein Thread mit weiteren nahrhaften Rezepten.)

Das Rezept, das SCHICHT FÜR SCHICHT EIN WURSTGENUSS sein sollte (nein danke), verlangte Bandnudeln, von denen ich dachte, dass ich noch welche hätte; wir sagen heute Tagliatelle dazu, hatte ich aber auch nicht. Champignons wollte ich nicht, und ich wollte auch meine geliebten Mohrrüben nicht mit Zwiebeln anbraten. Also kochte ich Spaghetti (halb durchgebrochen), erwarb Geflügelmortadella (hätte ich dünner schneiden lassen sollen) und kleidete mit letzter eine kleine Kinderbackform aus, denn ich wollte wirklich, wirklich keine ganze Kuchenform mit Wurstscheiben auslegen.

Ich verrührte ein Ei mit ordentlich Parmesan und Basilikum vom Balkon, würzte mit Salz und Pfeffer, mischte alles mit den halb gekochten Spaghetti und wurschtelte (haha) alles in die Form, die mit Alufolie und Wurst ausgekleidet war. Oben drauf noch eine Schicht Wurst, alles schön mit noch mehr Alufolie umhüllen und bei 180 Grad für 45 Minuten in den Ofen.

Die Deko-Zucchini schenkte ich mir und deshalb sah zum Schluss alles so aus:

Und es schmeckte gar nicht mal so ganz übel. Nicht so gut, dass ich es dringend nochmal machen muss, aber nicht so schlimm wie erwartet.

Und jetzt möchte ich bitte wieder mal was mit Chilis kochen.

Heute sehr spät aufgewacht und unter anderem von Papa geträumt. Ich träumte, dass mich meine Eltern am Flughafen verabschiedeten, ich umarmte beide und Papa meinte, gut, dass Germanwings mich nach Wien bringe, woraufhin ich dachte, ich flieg doch nach Madrid, egal, das hat Papa wohl wieder vergessen. Erst beim Aufwachen fiel mir auf, dass ich ihn im Stehen umarmt hatte wie Mama. Aber stehen kann Papa ja nicht mehr, ich umarme ihn jetzt im Rollstuhl oder im Bett. Das fand ich bemerkenswert, dass mein Kopf einen Teil von Papa an die neue Situation anpasst und einen anderen nicht.

Was schön war, Donnerstag, 27. August 2020 – Es wird gelesen

Schlechte-Laune-Bekämpfen durch Radfahren in Richtung ZI und dort in der Bibliothek sitzen. Hat wie immer funktioniert. Ich hatte vorgestern abend beim Reservierungs-Tool des ZI gesehen, dass von den fünf reservierbaren Plätzen (von 31) noch vier verfügbar waren und mir daher gedacht, das wird wohl nicht voll werden, die Hausarbeiten scheinen alle abgegeben zu sein. Außerdem ist München im August sowieso ähnlich leer wie zur Weihnachtszeit, was mich immer noch irritiert, weil das in Hamburg nicht so war.

Ich zog relativ willkürlich Bücher zu zwei Fotograf:innen aus dem Regal, dazu ein bisschen Sekundärliteratur und blätterte mehr als das ich las. Dabei stieß ich aber durchaus auf spannende Quellen, und ehe ich mir die in die Stabi bestellte, wo ich erst in knapp zwei Wochen einen Sitzplatz ergattern konnte, fiel mir tollerweise die Bibliothek des Deutschen Museums wieder ein, die ich, warum auch immer, stets wieder vergesse. An meiner Wohnungstür hängt ein Post-it, auf dem „Schließfachmünzen?“ steht, damit ich die nicht vergesse. F. meinte, ich sollte noch ein Post-it mit der Aufschrift „DAS DEUTSCHE MUSEUM HAT EINE TOLLE BIBLIOTHEK“ daneben hängen. Gerade für mich, deren Forschungsgebiet an ein technisches Thema angedockt ist, ist diese Bib eine Goldgrube. So fand ich denn auch alles (und noch viel meeeeehr, dumdida), was ich mir in den letzten Tagen in die Stabi bestellt hatte, dort und bestellte es einfach nochmal. Montag werde ich da genüsslich sitzen und lesen und kostenlos scannen.

Gegen Ende meines Zeitslots stellte ich meine Bücher wieder in die Rückgabefächer und entdeckte dort zum ersten Mal eins der Bücher, an denen ich mitgearbeitet hatte. Aww! Es wird gelesen! Das war schön.

Nachmittags traf ich mich mit meiner Nachbarin auf einen Flat White im Freien, wir klönten und ich stellte interessiert fest, dass die kleine Kaffeebar gerade Barista…s? …i? suchte. Hm. Kaffee machen kann ich.

Abends schaute F. vorbei, ich kochte ein bisschen, wir tranken einen herrlichen Orange Wine (2017), bei dem ich beim ersten Schluck das Gesicht verzog, weil er mir irre sauer vorkam, der sich aber dann als sehr erfrischend herausstellte. Wir unterhielten uns über Lösungsworte des NYT-Kreuzworträtsels, wir Irren. Statt zu lesen, im Bett nur noch Candy Crush gedaddelt und zufrieden gemeinsam eingeschlafen.

Tagebuch Mittwoch, 26. August 2020 – Call for papers

Die Nach-Abgabe-Depri, die mich seit acht Jahren bzw. zehn Semestern verlässlich ereilt, dauert dieses Mal besonders lange, vermutlich weil die letzte abgegebene Arbeit eine so umfangreiche war. Gestern stolperte ich aber über einen Call for papers, der mich motivieren konnte, wieder am Schreibtisch zu sitzen und zu wissenschafteln. Ich ließ mir Bücher in den Lesesaal der Stabi legen, die nicht im ZI stehen (was mich schon bei der Diss irre gemacht hat), freute mich darüber, dass sie am 1. September für mich da sind – und ergatterte einen Sitzplatz am 8. Mpf. Außerdem lieh ich für den Aufsatz, den ich aus Spaß an der Freude schreibe, noch ein paar Bücher aus der UB, die eventuell schon am Freitag für mich bereit liegen. Dazu lud ich diverse Bücher als pdf runter, danke Uni-Bib, und musste wie schon vorgestern in Papiertüten atmen, weil ich das bald nicht mehr darf. Glaube ich. Ich werde mit jemandem an der Stabi sprechen müssen, wie ich weiter an meine ganzen herrlichen Quellen komme. Oder ich immatrikuliere mich für irgendein Fach ohne Zulassungsbeschränkungen, damit ich weiter in alle Fachbereichsbibliotheken darf. Bis man 56 ist, darf man sich an der LMU als reguläre Studentin einschreiben, jedenfalls war das vor acht Jahren so. Ich gucke das jetzt nicht nach, sonst mache ich noch einen Bachelor in Soziologie.

Hat latent was mit meinem Aufsatz zu tun: Alex Ross über Richard Wagner als Filmmusik.

How Wagner Shaped Hollywood

(Unter dem Link auch als Audiodatei zu finden, aber dann entgehen euch die schönen Filmschnipsel.)

„More than a thousand movies and TV shows feature the composer on their soundtracks, yoking him to all manner of rampaging hordes, marching armies, swashbuckling heroes, and scheming evildoers. The “Ride” turns up in a particularly dizzying variety of scenarios. In “What’s Opera, Doc?,” Elmer Fudd chants “Kill da wabbit” while pursuing Bugs Bunny. In John Landis’s “The Blues Brothers” (1980), the “Ride” plays while buffoonish neo-Nazis chase the heroes down a highway and fly off an overpass. Most indelibly, Francis Ford Coppola’s “Apocalypse Now” (1979) upends Griffith’s racial duality, making white Americans the heralds of destruction: a helicopter squadron blares the “Ride” as it lays waste to a Vietnamese village. […]

When the lights went down at the Bayreuth Festspielhaus in 1876, for the première of the “Ring of the Nibelung” cycle, a kind of cinema came into being. The Viennese critic Eduard Hanslick, no friend of Wagner’s, felt that he was looking at a “bright-colored picture in a dark frame,” as in a diorama display. The composer had intended as much, saying that the stage picture should have the “unapproachability of a dream vision.” The orchestra was hidden in a sunken pit known as the “mystic abyss”; its sound wafted through the room as if it were transmitted by a speaker system. The inaugural performances took place in a near-blackout. From the Festspielhaus, according to the media theorist Friedrich Kittler, “the darkness of all our cinemas derives.”

Bayreuth’s technical achievements predicted cinematic sleights of hand. In the “Ring,” magic-lantern projections evoked the Valkyries on their flying steeds; in “Parsifal,” the Grail glowed with electric light. Clouds of steam generated by two locomotive boilers smoothed over changes of scene, in anticipation of the techniques of dissolve and fade-out. Wagner’s music itself provides hypnotic continuity. When the action of “Das Rheingold” shifts from the Rhine to the area around Valhalla, the stage directions say, “Gradually the waves turn into clouds, which resolve into a fine mist.” In the score, rushing river patterns give way to shimmering tremolos and then to a more rarefied texture of flutes and violins—what the scholar Peter Franklin describes as an “elaborate upward panning shot.” In the descent into Nibelheim, the realm of the dwarves, the sound of hammering anvils swells in a long crescendo before fading away. This is like a dolly shot: a camera moves in on the Nibelungs at work, then draws back.

The convocation of the nine Valkyries in Act III of “Walküre” is Wagner’s finest action sequence—a virtuoso exercise in the massing of forces and the accumulation of energy. At the beginning, winds trill against quick upward swoops in the strings; horns, bassoons, and cellos establish a galloping rhythm, at medium volume; then comes a trickier wind-and-string texture, with staggered entries and downward-swooping patterns; and, finally, horns and bass trumpet lay out the main theme. Successive iterations of the material are bolstered with trumpets, more horns, and four stentorian trombones, but the players are initially held at a dynamic marking of forte, allowing for a further crescendo to fortissimo. When two tarrying Valkyries, Rossweisse and Grimgerde, finally join the group, the contrabass tuba enters fortissimo beneath the trombones, giving a sense of powerful reinforcements arriving.

Jaja, hier noch der Coppola.

Tagebuch Dienstag, 25. August 2020 – Schreiben, lesen, Geschenke kriegen

An einem Aufsatz weitergepuschelt, an dem ich gefühlt seit fünf Jahren sitze; der war mal eine Hausarbeit, dann Teil der Masterarbeit und irgendwie ist das Thema für mich immer noch nicht abgefrühstückt. Mal sehen, was dieses Mal daraus wird. Vielleicht nur ein langer Blogeintrag. Nach ein paar Wochen Pause wieder in universitäten Datenbanken gewühlt und mich gefragt, was ich bloß mache, wenn meine ganzen Zugänge Ende September einfach im Nichts verschwinden. Gleich mal in eine Papiertüte geatmet und Schokolade gegessen.

Das Hamilton-Buch durchgelesen (tolles Ding) und erstmals länger HipHop auf Spotify gehört. Quellenstudium per Ohr, auch neu.

Stellenanzeigen durchwühlt und gedacht, ach, ich geh wieder kellnern. Anscheinend reicht ein fast-Doktortitel immer noch nicht für die Jobs, die ich haben möchte.

Auf Netflix die Umbrella Academy beendet. Die erste Staffel kannte ich als Comicvorlage und sie kam mir ewig ausgewalzt vor, die zweite kannte ich nicht und die fand ich deutlich zügiger. Schöner Cliffhanger, bitte schnell weiterdrehen.

Viel Spaß mit dem Kreuzworträtsel der New York Times gehabt, in dem vier Shakespeare-Zitate versteckt waren, die aber sehr unterhaltsam angeteasert wurden: 16-ounce sirloin that Shylock brought to the cookout? – The Pound of Flesh / Mark Antony’s request to the farmer when he realized he didn’t have enough corn for the cookout? – Lend me your ears / Cry from Hamlet when he spotted his favorite spice mix at the cookout? – Ay there’s the rub / und mein Liebling: Lady Macbeth’s declaration upon checking the steaks at the cookout? – What’s done is done.

Abends kam F. vorbei und überreichte mir ein sehr unerwartetes nachträgliches Geburstagsgeschenk. Eigentlich hatten wir Karten für die sieben Tode der Maria Callas von Marina Abramovich im April aber DIE SITUATION. Dass es in Kürze für 200 Leute doch noch live aufgeführt wurde, hatte ich schon gar nicht mehr mitbekommen, aber dafür konnte F. leider keine Karten ergattern. Deshalb bekam ich ein Buch I love Women in Art, ein Crowdfunding-Projekt, bei dem Kuratorinnen, Galeristinnen und Kunsthistorikerinnen ein bisschen was zu ihren Lieblingskünstlerinnen erzählen. Habe meine Zweitprüferin unter den Autorinnen entdeckt und mich über Anita Rée und Eva Hesse gefreut sowie über 50 Frauen, deren Arbeiten ich noch nicht kannte.

(Gerade beim Verlinken irritiert gedacht: Wieso heißt das Ding nicht „I heart Women in Art“, wo doch ein Herz auf dem Titel abgebildet ist und es sich so schön reimt, aber nun gut.)

Tagebuch letzte Woche und Sonntag, 23. August 2020 – Bauernskat und Fußnoten

Schwester, Schwager, F. und ich hatten uns fürs Mütterlein eine kleine Überraschung überlegt, von der ich im Nachhinein nicht mehr weiß, ob sie eine gute Idee gewesen ist. Ich wusste von zwei Terminen, die sie letzte Woche hatte, für die sie außer Haus sein wollte, weswegen ich eben in dieser Woche in den Norden fuhr. Es stellte sich heraus, dass sie an vier Tagen unterwegs war, zudem war es gerade Donnerstag und Freitag fürchterlich heiß und dazu noch sehr schwül, so dass wir alle ein bisschen matter und gereizter waren als gewöhnlich und am Freitag dann auch alle ein bisschen erschöpft von der ganzen Woche.

Ausgerechnet für diesen Tag hatten wir vier uns ein winziges kleines Familienfest überlegt. Vaddern ist jetzt seit einem Jahr wieder zuhause, und eigentlich wollte das emsige Mütterlein das mit einem Sommerfest feiern, zu dem auch Verwandte und Nachbarn eingeladen werden sollten. Dank Corona mussten wir ihr das gar nicht erst ausreden, das hatte sich von alleine erledigt. Trotzdem dachten wir, dass es sie freuen würde, wenn wenigstens die engste Familie da sei und mit ihr ein Sektchen köpfen würde.

Das sollte eigentlich eine Überraschung bis Donnerstag nachmittag bleiben, wenn ich mir das Auto ausgeborgt hätte, um F. vom Bahnhof abzuholen, aber das darf ich ja versicherungstechnisch (noch) nicht fahren. Außerdem wollte das Mütterlein gerne den Speiseplan für die ganze Woche planen, und nach zwei Tagen Rumlavieren musste ich ihr dann doch sagen, dass sie sich um Freitag bitte keinen Kopf machen müsse, da kämen zwei Leute mit Grill, mobilem Gartenpavillon und einem Arm voller Bratwürste vorbei. Sie schien sich über den Gedanken zu freuen, aber der Tag selbst wurde dann doch ein bisschen unentspannt, leider.

Zwischen 15 und 19 Uhr sitzt Papa im Rollstuhl, in den ihn die Pflegekräfte setzen, die dann abends wieder vorbeikommen und ihn ins Bett bringen. Mit Hilfe des Lifters vor der Tür kriegen wir ihn also immerhin in den Garten, wenn auch nicht auf die Terrasse, aber der Schwager baute eben auf dem Rasen einen Pavillon auf, damit wir nicht so fies in der Sonne sitzen mussten, und brachte auch ein Gestell mit, das sie für ihn zu Silvester gebaut hatten: zwei Böcke, auf die eine Tischplatte passt, die höher ist als normale Tischplatten, denn durch die Armlehnen kommt er mit dem Rollstuhl nicht unter eben diese. Er sitzt sonst immer seitwärts beim Essen am Tisch, denn mit dem mobilen Tisch, den man theoretisch auf die Armlehnen anbringen kann, kommt er überhaupt nicht klar, das haben wir recht schnell aufgegeben. Zunächst hatten wir vermutet, dass es ihn irritiert, dass die Platte vor ihm transparent ist, aber auch eine kleine Decke darauf hat nicht geholfen. Er hat seinen Teller einfach immer davon heruntergenommen und ihn seitlich von sich auf den Küchentisch gestellt, an dem er seit 40 Jahren sitzt und isst. Daher haben wir das beibehalten.

Nun schoben wir ihn gegen 17 Uhr durch den Garten (neu verlegter fester Weg statt rollstuhlunfreundlichem Trampelpfad) auf den Rasen und gruppierten uns um seinen Tisch. Ich war wie immer auf Wespenwatch, aber auch Mama übernahm das Aufpassen und kam so ebenso wenig wie ich zum entspannten frühen Abendessen. (Scheißviecher.) Auch das gemütliche Beisammensein danach verlief nicht so, wie ich mir das gedacht hatte, nämlich alle gemeinsam (mit Maske) in Papas Zimmer, so wie immerhin F. und ich dort Weihnachten verbracht hatten, als Schwester und Schwager erkältet im Bett lagen. Stattdessen hatte Papa einen normalen Abend mit Fernsehen im Bett, das Mütterlein räumte irgendwas auf, und der Rest saß noch draußen. Ich pendelte zwischen allem hin und her, wollte wenigstens kurz mal ein Glas trinken, konnte mich aber auch nicht entspannen, und irgendwie war das alles halbgar. Sehr schade. Wir merken uns: keine Überraschungen mehr, immer alles absprechen. Hätten wir auch von selbst drauf kommen können bei einem so durchgetakteten Tag, wie ihn Papa nun einmal hat und an dem sich Mamas Arbeitslast (sehr viel waschen, kochen, tausend Telefonate mit Krankenkassen führen) bzw. in dieser Woche meine orientiert.

Die Woche war für mich okay, nicht ganz so entspannt wie der letzte Besuch, auch wegen der verdammten Hitze, aber immer noch weniger stressig als alle im letzten Jahr bzw. bis Februar oder wann immer ich das letzte Mal vor Corona da war. Ich habe mir inzwischen eine lange Liste angelegt: wann aufstehen, was zum Frühstück, welche Medikamente wann, wie geht die Geschirrspülmaschine, wo steht das Waschmittel. Das hilft, und ich muss nicht alle 20 Minuten was fragen.

Was schön war: Nach einem Jahr konnte ich Papa zu immerhin einer Partie Bauernskat überreden. Er hat jahrzehntelang Skat gespielt, meine Schwester und ich haben das von ihm gelernt und in den Ferien immer mit ihm und Opa gespielt, Schwester und er sind auch jahrelang regelmäßig zum Preisskat im Nachbardorf gefahren. Seit dem Schlaganfall interessiert ihn aber gar nichts mehr, es macht ihm scheinbar auch nichts aus, einfach so stundenlang in die Gegend zu gucken. Wir versuchen trotzdem, ihn zu irgendwas zu animieren, er hat zum Beispiel Duplo-Steine am Bett oder Bilderbücher zum Blättern (er liest nicht mehr, er kann es aber noch, wie ich an Einkaufsprospekten merke). Und jeden Nachmittag, wenn wir nach dem Kaffeetrinken noch am Küchentisch sitzen, versuche ich ihn zum Kartenspielen zu kriegen. Meist hat er keine Lust, und wenn er mal Lust hat, reicht es für einen Stich und dann mag er nicht mehr. Dieses Mal nicht: Er wusste noch, was gemeint war, als ich sagte: „Und was ist Trumpf?“, er kann die Karten noch korrekt identifizieren, aber er wusste nicht mehr, wie man spielt. Also habe ich souffliert: „Hier, die Karte, was ist da? Herz-Dame, genau. Ich habe eine … genau, Herz 9. Wenn du die Karte ausspielst, muss ich dir meine 9 geben. Heb die Karte mal hoch … leg sie hier in die Mitte … so dass man das Bild erkennt …“ – „Da ist kein Bild.“ – „Hast recht. So dass nicht die blaue Rückseite oben liegt … genau … jetzt muss ich bedienen, ich geb dir zu deiner Herz-Dame meine 9. Das ist jetzt dein Stich. Den kannst du jetzt nehmen … nimm mal beide Karten … und leg sie auf deine anderen Stiche … ja, da hin. Du bist weiter dran. Ich hab hier eine … genau, Kreuz 8.“ Und so weiter. Wir bekamen alle Karten leergespielt und dann zählten wir zusammen. Rechnen kann er auch noch. „Der König hier zählt 4, die … genau, Dame, zählt 3, 4 plus 3 ist …? Genau, 7. 7 plus 10 ist …?“ Das war die erste Partie Skat, wenn auch nur Bauernskat, die er seit Mai 2019 gespielt hat, und das hat mich gefreut.

Am nächsten Tag wollte ich das wiederholen, aber ich stellte irritiert fest, dass eine Karte fehlte, die Kreuz-Dame. Als ich ein neues Blatt holen wollte, hatte er schon wieder keine Lust mehr. Ich suchte die Küche nach der Karte ab, fand sie aber nicht. Dafür am nächsten Morgen. Schon nach dem gelungenen Spiel hatte ich zwei Karten auf dem Küchenfußboden gefunden, mir nichts dabei gedacht und sie weggeräumt. Nun lernte ich, dass Papa anscheinend drei Karten runtergefallen waren, was ich nicht gemerkt hatte. Eine davon hatte die Pflegerin abends im Rollstuhl oder in seinen Klamotten gefunden und sie auf den Schrank hinter seinem Bett gelegt, wo ich sie erst einen Tag später fand.

Die Rückfahrt am Samstag war ereignislos, ein recht leerer ICE und es gibt wieder Goodies für die 1. Klasse. Stupid Kekse, will Schokolade. Ich vergaß mir eine Zeitung zu kaufen, daddelte am Handy und hörte weiter den Beethoven-Podcast, den ich vermutlich erst im nächsten Jahr komplett durch haben werde, denn ich höre immer eine Folge, dann das dazugehörige Klavierkonzert und mehr als zwei bis drei hintereinander schaffe ich nie.

Gestern war ich den ganzen Tag mit dem tollen Geschenk beschäftigt, das ein paar Tage in der Packstation auf mich hatte warten müssen. Ich las fast das ganze Buch durch, aber eben nur fast, Rest kommt heute, ha! Auf Twitter zeigte ich ein paar schöne Fußnoten zu den Songtexten rum und freute mich darüber, genau die Songs toll zu finden, die auch Herrn Miranda viel bedeuten.

Abends gewann Bayern München nicht nur die Champions League, sondern damit auch das Triple, über das ich mich 2013 irre gefreut hatte. Gestern war es eine Geisterfeier und es war mir deutlich egaler. Trotzdem gerne gesehen, und ja, ich gucke auch die nächste Saison wieder. Hilft ja nix.

Ein sieben- oder achtfaches Dankeschön …

… an Franziska, die mich mit wertvoller Sekundärliteratur beschenkte: Lin-Manuel Mirandas und Jeremy McCarters Hamilton: The Revolution, ein dickes Begleitbuch zu diesem Musical da auf Disney, das ich höchstens sieben- oder achtmal gesehen habe. Ähem.

Im Moment ist Hamilton ein verbindendes Glied zu vielen Dingen, die ich lese oder sehe; so erinnerte mich das Buch, wie hier im Blog bereits erwähnt, bei der arte-Serie über die Städte Amsterdam, Neu-Amsterdam/New York und London, daran, dass New York kurz Hauptstadt der Vereinigten Staaten gewesen war. Im Musical kommt die schöne Zeile von Aaron Burr vor: „What did they say to you to get you to sell New York down the river? […] Or did you know, even then, it doesn’t matter where you put the U.S. capital?“, was nebenbei noch ein schöner lautmalerischer Gag mit capital/capitol ist. Der Song heißt The Room Where It Happens, und fast diesen Titel (The Room Where It Happened) trägt auch das vor Kurzem erschienene Buch von John Bolton. Als ich den Titel hörte, überlegte ich, ob das eine feststehende Redewendung sei, bis ich in einem der Trillionen Hamilton-Videos auf YouTube Herrn Miranda hörte, der darob ziemlich entgeistert war. Überhaupt spannend: wie anders sich die Texte lesen nach fast vier Jahren Trump-Administration. Auf den Gedanken ist auch die NYT gekommen:

„“Hamilton” is motivated, above all, by a faith in the self-correcting potential of the American experiment, by the old and noble idea that a usable past — and therefore a more perfect future — can be fashioned from a record that bristles with violence, injustice and contradiction. The optimism of this vision, filtered through a sensibility as generous as Miranda’s, is inspiring.

It’s also heartbreaking. One lesson that the past few years should have taught — or reconfirmed — is that there aren’t any good old days. We can’t go back to 1789 or 2016 or any other year to escape from the failures that plague us now. This four-year-old performance of “Hamilton,” viewed without nostalgia, feels more vital, more challenging than ever.“

Was mir auch erst durch das Musical aufgefallen ist: wie seltsam Wahlen sind, wenn man sie vom Standpunkt einer nicht-wählenden Gesellschaft aus sieht. So singt der stets indignierte König George III, als Washington sich nicht mehr zur Präsidentschaftswahl aufstellen lässt:

„They say
George Washington’s yielding his power and stepping away
Is that true?
I wasn’t aware that was something a person could do
I’m perplexed
Are they going to keep on replacing whoever’s in charge?
If so, who’s next?
There’s nobody else in their country who looms quite as large.“

Auch hier wieder so eine kleine Idee, die fast untergeht: dass Abtreten nicht zu einem königlichen oder kaiserlichen Selbstverständnis gehört. Und eben die Tatsache, dass wir unsere Staatsführungen ständig neu aufstellen anstatt Leute, die es können, einfach weitermachen lassen.

Was hier im Video untergeht, weil es keine bewegten Bilder hat: die air quotes, also die Anführungszeichen, die der König beim Wort „country“ macht. Die USA waren noch nicht lange eine Gemeinschaft, ein Land oder sogar eine Weltmacht wie das Vereinigte Königreich. Daran musste ich denken, als ich einen Absatz in der Hamilton-Biografie von Chernow las. Wir befinden uns im Jahr 1787, und die Gründungsstaaten sind damit beschäftigt, die neu geschriebene Verfassung zu ratifizieren: Sie tritt in Kraft, wenn neun der dreizehn Staaten sie abnicken. Zu ihrer Verteidigung und Erläuterung hatte unter anderem und größtenteils Hamilton die Federalist Papers geschrieben, die auch im Musical erwähnt werden. Auch dazu hat Chernow eine Information, die ich spannend fand: Mit dem 85. Essay „ended the most persuasive defense of the Constitution ever written. By the year 2000, it had been quoted no fewer than 291 times in Supreme Court opinions, with the frequency of citations rising with the years.“ (S. 260)

Zurück zu den Conventions der einzelnen Staaten, welche die Verfassung nun beschließen müssen. Hamilton war Abgeordneter des Staates New York und verteidigte sie dort in den Versammlungen. Sein Gegenspieler war Gouverneur George Clinton, der nicht mit einer starken Staatsregierung einverstanden war und lieber den Einzelstaaten mehr Macht zusprechen wollte. Chernow:

„Governor Clinton argued that the United States covered so vast a territory and possessed such a variety of peoples ‚that no general free government can suit‘ all the states. In rebuttal, Hamilton outlined his visions of American nationalism, showing that a true nation, with a unified culture, had been fused from the diverse groups and regions of the original colonies. In all essential matters, ‚from New Hampshire to Georgia, the people of America are as uniform in their interests and manners as those of any established in Europe.‘ A national interest and a national culture now existed beyond state concerns. This was an assertion pregnant with significance, for if America already constituted a new political culture, they needed a new order to certify that reality. And the Constitution bodied forth that order.“ (S. 265)

Dass bei diesen Interessen sämtliche Anliegen der Ureinwohner ignoriert wurden, erwähnt Chernow nicht, wobei ich ahne, dass diese gar nicht als „amerikanisch“ wahrgenommen wurden. Ich fand es spannend zu lesen, dass ein so junges Staatengefüge angeblich schon eine gemeinschaftliche Kultur bzw. eine gemeinsame politische Grundhaltung verspürte oder sie sich zumindest auf die Fahnen schrieb. Gleichzeitig ist es bemerkenswert, dass man Ende des 18. Jahrhunderts die Einflüsse vieler unterschiedlicher Menschen anscheinend zu würdigen wusste, während in den heutigen USA der weiße Mensch des Mittleren Westens die Messlatte ist, an der sich bitte alle orientieren sollen.

An die Conventions musste ich erneut denken, seit die US-Post in den Schlagzeilen ist; ihre Mittel sollen gekürzt werden, damit Briefwahl schwieriger wird. (Mir fällt derzeit nur das Wort „absurd“ zu so ziemlich allem ein, was da drüben passiert.) Der New Yorker hat einen schönen historischen Überblick über die Post, nur so als Einschub. Worauf ich hinauswollte: Auch in Virginia tagte eine Convention, und Hamilton ahnte, dass New York vermutlich gegen die Verfassung stimmen würde. Seine Taktik: alle möglichst lange bis zur finalen Abstimmung hinhalten, bis Virginia ja gesagt hatte, denn dann würde sich New York vielleicht verpflichtet fühlen, ebenfalls zuzustimmen. Und wie wurde er darüber informiert, wie’s Virginia so ging? Durch Postreiter.

In der letzten Woche hielten die Demokraten ihre Convention ab, um Joe Biden offiziell zum Präsidentschaftskandidaten zu küren. Durch meine Woche in der alten Heimat bekam ich weniger mit als sonst, weil’s da halt vor Ort Wichtigeres gibt, aber die Rede von Michelle Obama las ich durch und sah auch das erste Video der Veranstaltung: The Rising von Bruce Springsteen. Die NYT kommentierte zum ersten Tag der Convention:

„The opening video was beautifully done: unifying, patriotic, diverse. Democrats offered the nation less identity politics than an American identity. It was an effort to make former Republicans like me feel emotionally comfortable with Joe Biden’s Democratic Party. No real hectoring, lecturing or cultural condescension. Oh, and the Springsteen music video, “The Rising,” was great. The people who produced the opening night are not only talented; they have the right theory of the case. Or at least they did on the first night.“

Auch hier wieder: American Identity. Ich ahne nach vier Jahren Trump, dass es eben diese Identität nicht gibt oder sie jede:r anders auslegt, womit es einfach ist, andere als „nicht-amerikanisch“ zu bezeichnen. Ich finde es spannend, wie oft ich inzwischen Dinge anders sehe, weil mir Musical und Buch einen großen historischen Bogen geöffnet haben.

Um an den ersten Absatz anzuschließen: Vielen Dank für das Geschenk, ich habe mich sehr gefreut.

Tagebuch Dienstag/Mittwoch, 18./19. August 2020 – Hefeteig, Wespenwatch und Apfelklößchen

Der Nachbar brachte vorgestern einen Eimer Falläpfel rüber, und das Mütterlein schlug Apfelklößchen als gestriges Mittagsmahl vor. Die hatte ich seit Kindertagen nicht mehr gegessen, dieses Essen war überhaupt nicht mehr auf meinem Radar, aber den Geschmack hatte ich sofort wieder auf der Zunge. So verbrachte ich eine Stunde damit, teilweise angematschte Äpfel zu schälen und in kleine Stückchen zu schneiden, nachdem Mama die ganzen Wespen verscheucht hatte, vor denen ich immer noch vermutlich zu viel Respekt habe. Scheißviecher.

Zwei Drittel des Apfelstückchenbergs wurde zu Apfelmus, das andere Drittel mischte ich mit drei Eiern (eins pro Esser:in laut dem Mütterchen, wobei ich das beim nächsten Mal vielleicht etwas reduzieren würde) und „so viel Mehl, bis der Teig gut aussieht“. Ich kippte Mehl in die Masse, rührte, befand den Teig für zu flüssig, kippte, rührte, befand, kippte usw. Irgendwann war der Teig ein zäher Brocken, aus dem ich mit zwei Esslöffeln eine Art Nocke abstechen konnte, die dann in kochendes Wasser umgesiedelt wurde. Nach wenigen Minuten erschien mir der Kloß fertig. Als alle Klöße gekocht waren, wurden sie in Butter gebräunt, und zum Servieren gab es haufenweise Zimt und Zucker drüber. Ganz hervorragend.

Vorgestern wühlte ich wieder in altem Kram und stieß auf einen Karton mit Omas Handarbeitsunterlagen. Ihr Nähkästchen schleppe ich seit Jahrzehnten von Wohnung zu Wohnung und habe es in diesem Jahr erstmals vernünftig benutzt, nämlich zum Mundschutznähen, was dazu geführt hat, dass ich inzwischen eine Nähmaschine besitze. In diesem Karton lagen ein paar alte Handarbeitszeitschriften, in denen ich mich durchaus an Kleidungsstücken begeistern konnte. Leider sind die Schnittmuster nicht mehr im Heft, danach wurde auf Twitter schon gefragt, als ich die Bilder dort postete.


Beyers Handarbeit und Wäsche – Strickmoden 6 (1956).


Burda Moden Dezember 1968.

Gestern kauften das Mütterlein und ich gemeinsam ein. Ich darf das neue Auto nicht fahren, wegen der Versicherung und so, Mist, darauf hatte mich schon gefreut, aber jetzt war ich halt nölige Beifahrerin. Wir brachten unter anderem Zwetschgen mit (Sonderangebot!), die aber nicht auf einen Kuchen sollen – ich bemerkte vorsichtig, dass Kuchenbacken bei 30 Grad vielleicht nicht so der Bringer sei. Wir sprachen dann kurz über das ewige Streitthema „Zwetschgenkuchen als Hefe- oder als Rührteig“ und Mama erwähnte, dass es das Backwerk – natürlich mit Hefe – früher für die Helfer:innen bei der Kartoffelernte gegeben habe. Mit Hefe, denn: „Hefeteig ist ein armer Teig“, da kommen deutlich weniger Eier und Fett hinein. Auch noch nie drüber nachgedacht. Ich überlege seitdem, ob man die Vorliebe für den einen oder den anderen Teig lokalisieren kann: Landbevölkerung eher Hefe, Städter:innen eher Rührteig?

Vom Einkaufen brachten wir daher fertigen Kuchen vom Bäcker mit, weswegen mich die Wespen derzeit auch nerven: Ich weiß nicht, ob Papa es mitkriegt, wenn eine von den Viechern auf seinem Kuchen sitzt bzw. in seiner Teetasse hängt. Falls er gestochen wird und er möglicherweise ärztliche Hilfe braucht, wird das schwierig: Wir kriegen ihn nicht ohne Hilfe vom Bett in den Rollstuhl und von da sowieso nirgends anders mehr hin, erst recht nicht ins Auto, das wegen seines hohen Einstiegs überhaupt erst angeschafft wurde, aber das war wohl eher Wunschdenken. Falls ihm etwas passiert, brauchen wir einen Rettungswagen. Deswegen sind Mahlzeiten momentan etwas unentspannt für mich, weil ich dauernd auf Insektenwatch bin. Vermutlich übertrieben, aber ich bin halt ein Schisser.

Gestern abend wollte ich eigentlich gerne mit dem Väterchen Fußball gucken, wie ich das aus Kindheitstagen kenne. Bayern gegen Lyon lief nicht im Free-TV, und da meine Eltern immer noch kein Internet haben, suchte ich einen total legalen Stream per Handy-Hotspot. Der Empfang ist leider ausgerechnet im Zimmer von Vaddern eher unterirdisch – Edge kenne ich sonst nur aus Zügen. So guckte er wie gewohnt Naturdokus im Fernsehen, ich saß in der Küche bei LTE und berichtete die Spielstände. Beim 3:0 schlief er allerdings schon.

Tagebuch Sonntag/Montag, 16./17. August 2020 – Zeitung, Duschen, Wurstauflauf

Sonntag saß ich im ICE in Richtung Norden, um mal wieder mein Mütterlein zu unterstützen. Direkt neben mir, über den Gang rüber, saß ein Ehepaar, das von seiner Tochter zum Zug gebracht worden war. Die beiden plapperten auf die Tochter ein, immerhin alle mit Maske, und vom Gehalt des Gesprächs war klar: Alle alten Eltern sind gleich. Die beiden guckten neidisch auf meine FAS, denn ich wusste ja seit der letzten Fahrt, dass es in der 1. Klasse keine Zeitungen mehr gab (totale Unverschämtheit, logisch) und hatte mich daher bevorratet. Das wurde auch verbalisiert, dass es keine Zeitungen mehr gab.

Ich griff anstatt zur Zeitung erstmal zu den Noise-Cancelling-Kopfhörern und wartete ein halbes Stündchen, bis das Paar vor sich hinschwieg. Dann las ich Zeitung. Der Schaffner kam, das Paar erzählte, dass es bis Würzburg führe und dann in die Rhön, der Schaffner stieg offensichtlich gerne in die Unterhaltung ein, man einigte sich, dass Bücher nur in Papierform super sind und ab da hörte ich nicht mehr zu. Auch der Schaffner wurde darauf aufmerksam gemacht, dass es keine Zeitungen mehr gebe, was er bedauerte, aber Corona, Sie wissen ja, schlimm alles.

Dann wurde wieder geschwiegen, ich las Zeitung, und als ich das erste Buch durchgelesen hatte, fragte ich über den Gang, ob sie vielleicht wenigstens einen Teil Zeitung haben wollten. Selten haben sich Menschen so über Lesestoff gefreut wie da. Meine gute Tat des Tages.

Beim Aussteigen in Hannover dann noch einer Dame mit Kinderwagen und zwei Kindern beim Aussteigen geholfen, alle Karmapunkte an mich, zack-zack. Das hat das Universum aber nicht mitgekriegt, denn es ließ meine S-Bahn ausfallen und ich musste drei Telefonate mit zwei Teilnehmenden führen, damit mich irgendwer von irgendwo mit dem Koffer einsammelt. Nebenbei war es irre schwül anstatt einfach nur knochentrocken heiß wie in München und ich wollte ab 16 Uhr nur noch duschen. Von mir aus auch gleich mit Klamotten.

Eigentlich hatte ich mir diverse Rezepte mitgenommen, um die Tiefkühltruhe des Mütterleins aufzufüllen (danke an die Leserinnen für die Tipps!), aber anscheinend ist der Plan diese Woche, die Truhe eher leerzukochen. Gestern verarbeitete ich eine kleinkindgroße Zucchini aus dem Garten und füllte sie launig mit Hack und Käse und Zucchini, was auch hervorragend schmeckte. Ein Teil davon landete allerding wieder in der Truhe, wo ich gerade das Hackfleisch hergenommen hatte, aber gut, so bleibt alles im Gleichgewicht.

Einen großen Teil des Tages war ich damit beschäftigt, die Rezeptbox meiner Mutter aufzuräumen, die ihr runtergefallen war, und nun lagen eine Million Rezepte, die geschätzt in den 1980er Jahren begonnen wurden, ungeordnet rum. Ich durfte wegschmeißen und tat das auch (siebenmal Grüne Soße, achtmal Zwiebelkuchen, Pfannkuchen? Frikadellen? Das macht sie doch aus dem Handgelenk, weg damit). Bitte lesen Sie diesen Thread für weitere Einblicke und ein schlimmes Rezept, von dem ich leichtsinnigerweise meinte, es nachkochen zu müssen. Ich überlege noch, wie ich da wieder rauskomme.

Danach durchsuchte ich auf Wunsch das halbe Haus nach einem Gegenstand, leider erfolglos, und wollte ab 16 Uhr erneut duschen. Aber immerhin hatte ich einen Ventilator, denn auf dem Dachboden meiner Eltern liegen noch 20 Kisten, die ich vom Wegzug aus Hamburg nicht nach München hatte mitnehmen können. Und in einer dieser Kisten wusste ich einen Ventilator, der netterweise auch gleich in der zweiten, selbstverständlich hervorragend beschrifteten Umzugskiste lag.

Abends eine Spinne neben dem Kopfende meines Bettes weggesaugt, verdammtes Landleben.

Die Rede von Michelle Obama auf dem Zoom-Parteitag der Demokraten.

Tagebuch Freitag, 14. August 2020 – Zeit, Radio, Zeitenwende

Dinge, die ich gelernt habe: Es gibt erst seit 1893 eine einheitliche Zeit in Deutschland. Erst mit dem regelmäßigen Eisenbahnverkehr war es wichtig, dass es in Karlsruhe nicht zwölf Minuten früher war als in Berlin. Mehr bei Frau Nessy.

Auch gelernt: Die Rundfunkgebühren gab es von Anfang an, was Menschen mit geringerem Einkommen die Teilhabe an diesem Medium zunächst erschwerte – auch weil die Geräte vorerst recht teuer waren. Trotzdem gab es Ende 1925 eine Million registrierte Hörer:innen. Siehe die Ausstellungstexte im Lenbachhaus dazu. 1923/24 wurden neun Stationen des deutschen Rundfunks in Großstädten gegründet, für deren Empfang man monatlich 2 Reichsmark zahlen musste. Im Zuge der Diss bin ich auf Löhne von Arbeitern in den 1930er-Jahren gestoßen: Tiefbauarbeiter und Bauhilfsarbeiter an der Autobahnstrecke Hamburg–Bremen erhielten 1935 einen Stundenlohn von 50 Rpf. Wie immer: Vorsicht mit Vergleichen, Löhne von 1924 kenne ich nicht, aber vielleicht hilft das bei der Orientierung. 1928 hatten das Radio bereits schätzungsweise 10 Millionen Hörer:innen, was einem Fünftel der Gesamtbevölkerung entsprach. Vgl. zur Frühzeit des Radios Andreas Zeising: Radiokunstgeschichte. Bildende Kunst und Kunstvermittlung im frühen Rundfunk der 1920er bis 1940er Jahre, Köln/Weimar 2018, S. 40 (Gebühren, Rundfunkgründung) und S. 44 (Teilnehmende 1928).

Schon von 2017, aber für mich neu: How to make a blockbuster movie trailer.

Fand ich sehr clever, wie man sofort Bilder im Kopf hat und es erinnerte mich an eine meiner liebsten Werbekampagnen, die ich leider nicht ergoogelt bekomme. Eine uralte Nikon-Anzeige, die nur aus weißer Schrift auf schwarzem Grund bestand. Die Lines gingen in die Richtung von „If in your mind you now see a boy saluting a coffin, it was probably shot with a Nikon.“ Die Anzeige funktionert genau wie der Trailer: Man hat sofort Bilder im Kopf, und die sind vermutlich stärker als wenn man das Foto vom jungen John-John erneut abdrucken würde.

Der FC Bayern spielte gestern im Viertelfinale der Champions League ein KO-Spiel gegen Barcelona und gewann unglaublicherweise mit 8:2. Die NYT wird dramatisch: Bayern 8, Barcelona 2. The End.

„Rome was bad, in 2018. Barcelona had won the first leg of that quarterfinal easily, by 4-1 at Camp Nou. Few gave Roma much of a chance in the return: a chance to restore a bit of pride, maybe. But Barcelona collapsed, losing by 3-0. Messi and his teammates brooded on it for months. At the start of the next season, he gave a speech outlining his determination to put it right.

Anfield was worse, in 2019. Messi had been as good as his word. Barcelona had cruised to the semifinals this time, and had dismantled Liverpool on Catalan soil. Arturo Vidal, the grizzled Chilean midfielder, had promised to make a particularly personal donation to science if Barcelona did not make the final. Trent Alexander-Arnold took a corner quickly, and Barcelona buckled and broke.

But this? This was something else entirely. “The bottom,” was how Gerard Piqué, almost teary, put it. This was not a momentary lapse in concentration, a few minutes of madness. This was not hubris or overconfidence or some character flaw, unearthed in the white heat of the Stadio Olimpico or Anfield.

This was a brutal, ruthless, surgical exposure of all that is wrong with Barcelona. There is no need to reel through that long list — the dreadful recruitment, the total absence of planning, the boardroom infighting, the negligent squandering of a legacy — but, in the space of 90 minutes on Friday, Bayern Munich laid it all bare.“

Ich sah das Spiel als Stream von BT Sports, aber ohne Ton, weil der Sender Publikumsgeräusche aus der Dose über das Geisterspiel legt, was mich wahnsinnig macht. Der Ton kam von Sky, allerdings zwei Minuten zu spät, was aber egal war, ich wusste eh immer früher, wie’s steht, weil die Jubelschreie der Nachbarn noch vor BT Sports bei mir ankamen. Schönster Tweet dazu:

Tagebuch Donnerstag, 13. August 2020 – Negativ

Gemeinsam aufgewacht, immer schön. Wobei ich gefühlt fünfmal gemeinsam aufgewacht bin, weil das viele Bier vom Mittwochabend nicht bis morgens in mir bleiben wollte. Nach dem Aufstehen viel Wasser getrunken. (Das sind schöne Abende immer wert.)

Beim Doc angerufen, bei dem ich Montag den Corona-Test habe machen lassen. Das stundenlange Übergeben sowie einige weitere Dinge, die mein Körper sonst nicht macht, hatten mich etwas stutzig werden lassen. Oder ich habe mich von der NYT irre machen lassen, die eine Grafik über unterschiedliche Symptome hatten, die ich gerade dooferweise nicht wiederfinde. Daher der Test, und gestern war das Ergebnis da, und es ist, wie erhofft, ein negatives. Das hatte ich zwar erwartet, aber man weiß ja nie, wer neben einem an der Supermarktkasse stand, und daher war ich doch erleichtert.

Diverse Rezepte notiert, die ich mit in den Norden nehme, um sie dem Mütterlein vorzuschlagen. Auf was immer sie Lust hat, wird gekocht und in Mengen eingefroren. Memo to me: die guten Messer mitnehmen und meine Microplane und die grobe Küchenreibe, damit ich nicht wahnsinnig werde.

Beim Kreuzworträtsel der NYT fast wahnsinnig geworden, weil ich nicht kapiert hatte, dass überall da, wo vom Wortsinn her „one“ stehen müsste, stattdessen „all“ steht, weil der Lösungsansatz „three musketeers“ auf den Spruch der Herren „One for all and all for one“ hinwies, weswegen die Lösungsworte teilweise bewusst falsch waren. Eine Weinregion in Frankreich war dementsprechend das „Rhall Voneey“ und nicht das „Rhone Valley“, und ich zweifelte sehr an meinen Englischkenntnissen, bis ich den dazugehörigen Artikel las, den ich immer erst nach dem Lösen lese, weil dort schon einige Lösungswörter vorkommen. Was ich auch interessiert feststellte: Man kann zu einem Artikel über ein Kreuzworträtsel über 500 Kommentare kriegen, darunter Newbies wie ich, die ihr Entsetzen äußern und Profis, die darauf hinweisen, dass die Donnerstagsrätsel halt immer arschig sind, deal with it oder spiel weiter Spelling Bee.

Sehr gelacht habe ich allerdings über „6D. Wow, that’s a tough clue. The winner of the 1966 World Cup (abbr.) was ENGland“, was so ziemlich das erste Lösungswort war, das ich wusste, wie vermutlich alle lösenden fußballinteressierten Deutschen weil WEMBLEY.

Den Abend mit F. auf dem Balkon verbracht und Spezi getrunken. Gemeinsam eingeschlafen, immer schön.