Tagebuch Donnerstag, 23. Mai 2019 – Stadtarchiv

Da das Stadtarchiv Freitags leider geschlossen hat, musste mein einziger Tag, an dem ich eigentlich in Uni-Vorlesungen sitze, dran glauben: Gestern ging ich dementsprechend ins Archiv und nicht in den Hörsaal. Schade drum. Dann aber auch wieder nicht, denn ich fand, wie immer, unerwartetes Zeug und dazu auch noch Zeug, das ich gesucht hatte.

Ich hatte mir nur vier Archivalien rauslegen lassen, und bei dreien wusste ich nicht so genau, was da kam. Eine war dann auch nur ein einzelnes Foto, das ich zwar brav irgendwie beschrieb, von dem ich aber jetzt schon weiß, dass ich nicht brauchen werde. Eine zweite Mappe beinhaltete eine äußerst geringe Zahl von Zeitungsartikeln zu einer Künstlervereinigung, in der Herr Protzen Mitglied gewesen war, aber das kann ich auch ziemlich vernachlässigen.

Dafür waren die anderen beiden Volltreffer. Die dicke Zeitungsartikelsammlung zum Künstlerbund München, vormals Feldgrauer Künstlerbund, weil direkt nach dem 1. Weltkrieg gegründet, gab irre viel her, auch was die inneren Vorgänge im Verein anging. Die zweite Akte war ein Vorgang aus dem Kulturamt, der ein Darlehen an diesen Künstlerbund beschreibt und den ich mit Genuss gelesen habe. Keine Ahnung, ob ich davon mehr als drei Zeilen oder auch nur eine Fußnote brauche, aber ich hatte viel Spaß mit den ungelenken Formulierungen und lernte dazu auch noch ein paar Namen von städtischen Beamten, die mir in anderen Zusammenhängen schon untergekommen waren.

Gnadenlos sieben Stunden durchgelesen und getippt, dann zu Fuß nach Hause gegangen und über Avocado und Brot hergefallen. Weiterhin Ibuprofen, weil’s angeblich Entzündungen hemmt. Davon habe ich in den vergangenen fünf Wochen zwar nicht viel gemerkt, aber ich werf’s trotzdem brav ein, weil mein Zahnarzt das so möchte.

Ich habe momentan keine tollen Links ins Interweb für euch, weil ich gerade nicht so viel online bin. Ändert sich garantiert wieder.

Tagebuch Mittwoch, 22. Mai 2019 – Bällebad und Gackerflash

Gemeinsam aufgewacht, neues Lieblingsduschgel genossen, einen hübschen, aber ungelenken Farn auf den Flat White gegossen, entspannt in den Tag gekommen.

Ab kurz nach 9 saß ich im ZI und wie immer, wenn ich dort sitze, vergesse ich die Zeit, die Welt und dass ich Hunger habe. Also bis gegen 15 Uhr, dann kann ich letzteres meist nicht mehr ignorieren. Wie schon des Öfteren gesagt: Das ZI ist mein Bällebad.

So langsam verfestigt sich die Struktur, die ich mir für die Diss überlegt habe. Ich wusste, dass ich noch einiges umschmeißen würde, sobald aus der Struktur ein Text wird, und genau damit fing ich gestern an. Vorgestern lautete meine Reihenfolge noch: Einleitung, Biografie, Ausstellungsbeteiligungen, Bildbesprechung einzelner Werke Protzens. Dann kommt der ganze Autobahnsumms und dann geht’s in die Bundesrepublik, wo eben dieser Autobahnsumms als Beispiel für ganz schlimmes Zeug an der Wand hing, was ich anprangern will. Wie genau meine Arbeit derzeit heißt, könnt ihr demnächst hier lesen, da müsste das irgendwann im Juni stehen. Ich brülle dann schon.

Am biografischen Kapitel hatte ich die letzten Wochen vom heimischen Schreibtisch aus gearbeitet, weil ich im Kunstarchiv Nürnberg wirklich eine Menge Dokumente abfotografiert hatte, an denen ich mich jetzt langhangele. Einige Daten hatte ich aus Protzens Spruchkammerbogen, wo er zum Beispiel Vereinsmitgliedschaften angab (diese Quelle ist natürlich mit Vorsicht zu genießen). Von diesen Vereinen ließ ich mir im Stadtarchiv Pressesammlungen rauslegen und konnte so teilweise abgleichen. Bei manchen Einträgen im Bogen merkte ich auch, dass der Herr da vielleicht ein bisschen geschummelt hatte, wer hätte es gedacht. Andere konnte ich hingegen nicht verifizieren, ihm aber auch keine Falschaussage nachweisen, weil ich noch keine Quellen oder Belege dafür oder dagegen gefunden hatte. In meine Fußnoten tippe ich derzeit wild Literaturtipps oder Dinge, die ich nachschlagen möchte, wenn ich nicht mehr am heimischen Schreibtisch sitze, und gestern war dazu mal wieder Gelegenheit.

Im ZI sammelte ich erstmal die ganzen Bücher und Zeitschriften zusammen, die mir vielleicht weiterhelfen, um biografische Details abzuklären. Das klappte mal mehr, mal weniger, aber wie immer, wenn man Zeug vor der Nase hat, stößt man auf Dinge, die man gar nicht gesucht hat. So habe ich schöne Zitate für die Selbstdarstellung der einzelnen Kunstvereine gefunden bzw. ihre politische Ausrichtung oder auch Künstlernamen, die mir bereits begegnet waren, die ich aber noch nirgendwo hinstecken konnte.

Dann begann ich mit dem Ausstellungskapitel, an dem ich zeigen will, dass Protzen kein ganz kleines Licht in der Kunstszene Münchens war – aber eben auch kein so großes, wie die Ausstellungspolitik der Bundesrepublik aus ihm gemacht hat. Ich habe immer noch keine Ahnung, ob mir diese These um die Ohren fliegt, aber ich erinnere mich gerne an einen Satz von F.s Doktorvater: When you know what you’re doing more than half of the time, it’s not research. Also suchte ich mir alle Ausstellungskataloge zusammen, die wir aus München ab circa 1925 im Regal stehen haben und blätterte.

Viele von Protzens Ausstellungen, jedenfalls zwischen 1933 und 45, kannte ich schon aus diesem hervorragenden Standardwerk, in dem man faul Namen oder Ausstellungsorte nachschlagen kann. Und natürlich gibt es ein paar Einträge zu Protzen in den einschlägigen Lexika, aber man weiß ja nie, und blättern ist super. Außerdem wird im Papenbrock/Saure nicht vermerkt, welches Werk genau ausgestellt wurde; es wird nur gesagt, der Mann oder die Frau hat in, Beispiel, München in der Sommerausstellung der Münchener Künstler-Genossenschaft 1933 zwei Bilder gehabt. Aber welche das waren, steht da nicht. Dafür muss man dann in den Katalog gucken, und wenn man Glück hat, sind die Werke sogar abgebildet – sind sie meistens nicht; wie ihr an obigem Bild seht, waren Ausstellungskataloge lange Zeit nicht die 300-seitigen farbigen Prachtbände wie heute, sondern nur eine postkartengroße Sammlung von Namen und wenigen schwarzweiß gedruckten Seiten. Titel wie „Stilleben“ helfen auch nicht wirklich weiter, selbst wenn man das vom Künstler selbst angelegte Werkverzeichnis hat – nur als Scan einer Kopie von den Pinakotheken, aber immerhin, wo das Original ist, weiß ich immer noch nicht und es macht mich IRRE! Jedenfalls riet ich gestern lustig in der Gegend rum, ob mit „Stilleben“ jetzt „Kaktus und Vase“ gemeint ist oder „Aloe und Äpfel“, versah halt beide Bilder mit ihren Maßen, dem Entstehungsjahr, der Werkverzeichnisnummer, dem eventuellen Alternativtitel, sowohl im Werkverzeichnis als auch in den Fotoalben der Werke, die ich im Nachlass gefunden hatte. Dann verargumentierte ich alles brav, legte einen Katalog weg und nahm mir den nächsten.

So fand ich ein Werk, das noch nirgends in der Literatur verzeichnet war, und ebenso eine Ausstellung, die noch keiner auf dem Plan gehabt hatte, ha! Bei einigen Werken musste ich eine kleine Beschreibung anfügen, um sie in den Kontext einzubetten, wobei mir einfiel, dass meine Struktur vielleicht doch nicht so clever war. Deswegen kommt jetzt nach der Biografie ein Überblick über Protzens Schaffen, und erst, wenn man ein paar Bilder kennt, erzähle ich, wo die mal hingen. Oder seine 500 anderen. Mal sehen, wie lange diese Struktur hält.

Nach sechs Stunden Blättern und Finden und „Ha!“ sagen und Schreiben trug ich 30 Kataloge ins Rückgabefach, zog die neuen Dokumente auf einen Stick, schob sie gleichzeitig in die Cloud und machte Feierabend.


Meine Fußnoten sind inzwischen bunt: rot heißt „nochmal checken, verifizieren oder eine bessere Quelle finden“, grün ist ein Hinweis, den ich vielleicht mal irgendwann in den Text schieben werde. Manchmal markiere ich auch Dinge gelb, das sind dann Bücher, die ich noch nicht kenne, in denen aber vielleicht noch was für mich zu finden ist. Die hatte ich aber gestern alle abgearbeitet, deswegen ist nichts Gelbes im Screenshot.

Wenn ich hungrig bin, will ich nicht kochen, dann will ich nur essen. Late Lunch daher Sandwich mit Salat, Hähnchenbrust, Käse und drei Schichten Gurken.

Neue Folge The Bold Type, neue Folge Bless This Mess, neue Folge Masterchef Australia, wo gestern Ottolenghi zu Gast war. Das war so niedlich, die ganzen Foodies zu Groupies werden zu sehen: „OMG IT’S YOTAAAAAM!”

Danach nickte ich auf dem Sofa ein, hatte mein Handy aber kongenial direkt neben dem Öhrchen liegen und stand daher sehr senkrecht, als es klingelte. Dem Lektorgirl verzeihe ich das aber, vor allem, weil ich während des Telefonats einen so lauten Gackerflash bekam, dass ich darauf wartete, dass besorgte (oder genervte) Nachbarn an der Tür klingelten.

Apropos Nachbarn: Meine Ex-Nachbarin und jetzt die Dame von schräg über mir legte mir gestern einen Strauß Pfingstrosen vor die Tür, worüber ich mich außerordentlich gefreut habe.

Tagebuch Dienstag, 21. Mai 2018 – Briefwahl

Um 5 Uhr morgens scheint es geregnet zu haben; ich musste die Zeitung erstmal über den Küchenstühlen trocknen, bevor sie lesbar war.

Einen kleinen Job erledigt und dann mein Wochenende nachgeholt, was aus Rumliegen, Seriengucken und Dem-Regen-Zuhören bestand.

Weil ich durch die Situation mit meinem Vater letzte Woche noch nicht wusste (und so ganz sicher immer noch nicht weiß), ob ich Sonntag in München sein werde, habe ich erstmals in meinem Leben Briefwahlunterlagen angefordert. Die lagen gestern in meinem Briefkasten und ich musste mir erstmal durchlesen, welcher Umschlag zu was gehört.

Vor ein paar Tagen erfuhr ich beim morgendlichen Radiohören im Bad, dass die Zahl der Briefwähler*innen seit Jahren steigt, bei der letzten Bundestagswahl lag sie schon bei fast 30 Prozent. Warum das ein Problem sein soll, wie es im Beitrag anklang, erschließt sich mir aber nicht: Die Briefstimmen werden wie alle anderen auch erst am Wahltag gezählt; dass sich die Wahl, wie im verlinkten Artikel angesprochen, über mehrere Wochen erstreckt, sehe ich daher nicht.

Ich gehe trotzdem lieber im Wahllokal wählen. Ich mag diese deutlich aktivere Ausübung meines demokratischen Rechts, indem ich irgendwo hingehen und den Umschlag selbst in eine extra für mich dorthin gebrachte Urne einwerfen muss anstatt am Schreibtisch zuhause auf einem Zettel rumzumalen und ihn dann in den gleichen Briefkasten zu schmeißen, in dem auch meine profanen Rechnungen landen. Eine Wahl ist etwas Besonderes, und so soll es sich für mich auch anfühlen.

Trotzdem bin ich natürlich dankbar dafür, dass ich dieses Recht auch anders ausüben kann.

Der hoffentlich letzte Zahnarzttermin für den kleinen Molar verlief ereignislos. Die Playlist, die letztes Mal für mich erklang, lief dieses Mal leider nicht. Die Zahnarzthelfer hatten schon den Kofferdam angelegt und alles für den Arzt vorbereitet, als ihnen einfiel, dass sich mich nach meinen Musikwünschen fragen könnten. Ich mag bei Ärzt*innen eigentlich nie Musik, aber wenn man mich schon fragt? Weil ich nicht mehr sprechen konnte, deutete ich mit beiden Armen die Bewegung an, die man beim Geigespielen macht, was auch sofort verstanden wurde. „Klassik!“ … „Geht auch Klavier?“ Ich nickte und hörte dann einer Stunde Chill Out Piano für Einkaufszentren zu, was aber eigentlich ganz nett war.

Den Abend mit F. und einer Flasche Schaumwein verbracht. Schmerzfreiheit wird neuerdings gefeiert.

Gemeinsam eingeschlafen.

Gestern abend im Badradio zufällig reingeschaltet und dann per Smartphone im Bett zuende gehört, weil jemand anders ins Bad wollte: Asiatische Musiker. Vorurteile, Chancen, Widersprüche vom Deutschlandfunk. Ich copypaste mal den Teasertext zur Sendung: „Asiatische Musiker könnten keine deutschen Lieder singen, finden manche Professoren. Andere loben die eiserne Disziplin der Studierenden aus China, Japan oder Südkorea, die an deutsche Musikhochschulen kommen, um sich künstlerisch weiterzuentwickeln. Eine Sendung über Kulturenclash, Inspirationsquellen und neue Klassikmärkte.“ Hier kann man sich die 40 Minuten anhören.

Tagebuch Freitag bis Montag, 17. bis 20. Mai 2019 – Krankenbesuch

Der Starbucks-Barista am Münchner Hauptbahnhof goss mir ein Herzchen auf den Irgendwas Latte, obwohl noch ein Deckel auf den Becher kam.

Im Zug entdeckte ich den geschätzten Herrn Doktorvater in einer Fußnote der hervorragenden Speer-Biografie von Magnus Brechtken. War ja klar.

Das Buch möchte ich euch dringend ans Herz legen. Keine Angst vor der Dicke des Werks: Von den 900 Seiten sind 300 Fußnoten, Quellen- und Literaturangaben; mein babywissenschaftliches Herz lacht. Die restlichen 600 Seiten reißt man runter wie geschnitten Brot: stets informativ und mit 1000 Quellen unterfüttert, aber immer sehr gut lesbar und verständlich. Ich habe viel gelernt, nicht nur über das „Dritte Reich“ und einen weiteren Bereich, der in die Kunst desselben hineinreicht, sondern noch mehr über die junge Bundesrepublik und ihren Umgang mit der Vergangenheit. Auch wenn euch Architektur nicht die Bohne interessiert – lest einfach mal rein.

Ich sitze seit ein paar Wochen in der Vorlesung von Herrn Brechtken und kann daher berichten: Der Mann schreibt wie er spricht und umgekehrt. Toll.

Als Profinutzerin von öffentlichen Verkehrsmitteln hatte ich natürlich noch ein weiteres Buch im Gepäck, als ich irgendwo zwischen Kassel und Göttingen mit dem Speer durch war. Jetzt lese ich gerade »Wehvolles Erbe«: Richard Wagner in Deutschland. Hitler, Knappertsbusch, Mann. Die Einleitung war etwas zäh, ich hoffe, es geht flüssiger weiter. Und mit weniger latent zweideutigen Sätzen: Wenn Vaget von der „ästhetischen Kluft“ zwischen Hitler und der Partei schreibt, habe ich sofort wieder die Theorie im Kopf, dass Hitler eigentlich ein Einzeltäter war und das ganze deutsche Volk fies getäuscht wurde. Was natürlich Blödsinn ist. An dieser hübschen Entschuldigung hat Speer übrigens auch einen nicht kleinen Anteil.

Auf der S-Bahn-Fahrt von Hannover in die alte Heimat wie immer geguckt, wo früher der Bahnhof im Wohnort der Großeltern war, der für die S-Bahn verlegt wurde. Ich finde die Stelle nicht mehr wieder.

In Krankenhäusern werden auch Glücksschweine beschriftet.

Mein Vater erkennt uns alle.

Die blöden Zahnschmerzen waren wieder da, nachdem sie immerhin einen Tag weg waren (Montag). Ob ich Ibu nehme oder nicht, scheint inzwischen egal zu sein. Samstag abend nötigte mich das Mütterlein, den Notdienst anzurufen, obwohl ich die am Freitag getestete Methode (Ibu plus Rotwein!) vorgezogen hätte. Weil sich der Zahn anscheinend einfach nicht beruhigen will, hatte ich in letzter Zeit des Öfteren mein Lieblingszitat aus Im Dutzend billiger im Ohr: „Reißt mir das Zeug mit einem stumpfen Schuhlöffel raus!“ Im Originalzitat geht es um die Mandeln der Kinder, die sich anstellen, und der Vater möchte zeigen, wie mannhaft man das alles aushalten kann, wenn ich mich richtig erinnere.

Der Notzahnarzt machte das, was in der letzten Zeit mehrere Ärzte gemacht haben: röntgen, irgendwas murmeln, das inzwischen mit einem Bluterguss versehene Zahnfleisch ärgern, um mir eine Spritze zu geben, am Zahn rumwursteln, Antibiotika verschreiben, gute Besserung wünschen. Damit kann ich ja leben, wenn auch sehr genervt.

(Einschub: Wer Zahnärzte oder die Behandlungen echt nicht abkann, sollte jetzt bis zu den nächsten Spiegelstrichen springen und sich was Schönes vorstellen.)

Samstag kam nämlich plötzlich eine Attacke auf die Entzündung unter dem Scheißzahn, auf die ich seelisch nicht vorbereitet gewesen war. Der Arzt meinte, er spüle das mal durch, und dann fuhr er vermutlich mit einer winzigen Spritze in meine Zahnfleischtaschen, die sich aber anfühlte wie eine glühende Mistgabel. Die Arzthelferin gab mir ihre Hand zum Festhalten, was ein bisschen geholfen hat, aber sobald das vorbei war, heulte ich los, weil es so scheiße verfickt nochmal dreckswehgetan hatte, und durfte danach kurz zu Atem kommen. Ich kriegte noch ein Rezept, glaube ich, dann wankte ich zur Tür, wo mein Mütterchen wartete, die mich hingefahren hatte, denn auf dem Dorf geht ohne Auto ja nichts.

Im Auto löste sich dann der Schock und ich gab tiefe, ursprüngliche Schmerzenslaute von mir, von denen ich nicht geahnt hatte, dass sie in mir waren bzw. ich sie produzieren kann. Als ich wieder denken konnte, wuchs meine Hochachtung vor gebärenden Frauen ins Unermessliche. Achtung, Dünnes-Eis-Vergleich: Ich ahne, wie Frauen nach einem Kind noch weitere in die Welt setzen können. Samstag war ich der Meinung, das seien die schlimmsten Schmerzen gewesen, die ich je gehabt hatte, Sonntag fehlten mir schon die Worte, um sie F. zu beschreiben. Ich kann mich netterweise auch nicht an den Bandscheibenvorfall von 2001 erinnern.

Zurück zum Fun Saturday: Das Mütterchen holte die Medikamente aus der Notapotheke, während ich im Auto wieder zu Atem kam, fuhr mich nach Hause, setzte mich an den Küchentisch, gab mir was zum Kühlen und tätschelte mir eine halbe Stunde lang den Rücken, dann ging’s wieder. Ich hatte aus der Apotheke ein paar Codein-Tabletten für die Nacht gehabt, aber vor dem Zeug habe ich zuviel Respekt, lauschte also eine weitere Nacht dem Pochen unter dem Backenzahn, schlief aber irgendwann ein.

Und seitdem bin ich schmerzfrei und der Zahn fühlt sich auch nicht mehr zu hoch an so wie in den letzten Tagen, als die Entzündung das Ding ernsthaft nach oben gedrückt hatte. Sagt zumindest mein Zahnarzt, der eigentlich bisher einen richtig guten Job gemacht hat, aber dieses Mal irgendwie nicht klarkommt. Ich würde mich freuen, wenn das mit dem „schmerzfrei“ jetzt so bliebe.

(STUMPFER SCHUHLÖFFEL!)

Hallo, Zahnarztphobiker*innen, wir reden jetzt wieder über flauschiges Zeug. Okay, eigentlich über Ex-flauschiges Zeug.

Grumpy Cat hat einen Nachruf in der New York Times bekommen. Miss you already, kleine Meckerschnute. We had fun once. It was awful.

Samstag gab’s auch noch Fußball. Sollte eigentlich egal sein bei den derzeitigen Umständen, war’s mir aber dann doch nicht. Ich habe den ganzen Winter lang Scheißspiele geguckt und gefroren und geflucht, dann will ich jetzt auch den letzten Spieltag sehen. Da meine Eltern kein Internet haben, durfte ich bei meiner Schwester auf dem Sofa den Laptop aufklappen. Ich verabschiedete mich innerlich von Franck Ribéry, wegen dem ich Bayern-Fan geworden war, rollte die Augen über all die Hass-Tweets – ja, er war ein Mistkerl auf dem Platz, aber er war UNSER Mistkerl – und fluchte mal wieder über Augsburg, die ernsthaft in Wolfsburg einszuacht untergingen. Klassenerhalt ist geschafft, aber meine Güte, ist das peinlich.

Mein Vater hatte in den letzten Tagen Geburtstag. Wir brachten Kaffee und Kuchen mit ins Krankenhaus, aßen und tranken aber dann doch alles alleine in der Besucherecke. Vaddern ließ sich zu ein paar Löffeln Spargel, Pilze und Reis überreden, einer Banane und einem Jogurt. Das Frikassee war das Krankenhausessen, und auf dem Zettel, der unter dem Teller lag, wo Patient und Mahlzeit verzeichnet sind, stand „HAPPY BIRTHDAY!“ Außerdem gab’s ein Stück Extrakuchen in Plastikfolie, von dem die Krankenschwester launig meinte, den hätte sie gebacken.

Papa war auf drei verschiedenen Stationen. Überall äußerst freundliche und geduldige Pfleger*innen, die uns hilflosen Hühnern alle Fragen beantworteten. Heute kommt mein Vater in die Reha und meine Mutter verteilt Trinkgeld im Haus. Ich habe ihr gesagt, dass sie bloß kein Merci mitgeben soll, jedenfalls habe ich Twitter und die ganzen Pflegeblogs so verstanden.

An alle, die sich angesprochen fühlen: Ihr seid großartig. Jedes ruhige Wort und jede Sekunde, die ihr für uns und Papa Zeit hattet, haben geholfen. Danke.

Ein Elternteil gefüttert, das andere bekocht.

Den letzten Abend mit F. bei Schwester und Schwager auf deren Terrasse verbracht, stumm ins dunkler werdende Grün geschaut, Element of Crime gehört. Der Kasten voll krauser Petersilie sah aus wie ein Bonsaigarten. Unerwartet entspannt gewesen und an mein Lindau-Gefühl gedacht. Vielleicht doch an den Stadtrand ziehen und Gemüse anpflanzen.

In meinem Koffer für die Rückreise lagen Dokumente, mit denen ich mich eigentlich noch ein paar Jahre gar nicht befassen wollte, ein halber Hefewürfel (Pizzateigreste vom Freitag) und zwei Kilo Rhabarber aus dem Garten meiner Eltern.

In München Regen, wie sich das gehört. Sag Bescheid, wenn du mich liebst.

Update

Mein Vater hatte letzte Woche eine Hirnblutung und ist Donnerstag operiert worden, weswegen ich ein paar Tage in der alten Heimat war. Sonntag war ich dann zweimal beim Notfallzahnarzt, weil ich die Schmerzen nicht mehr ausgehalten habe. Habe gerade nicht so viel Lust, mit dem Internet zu reden. (Keine Mails, bitte. Be right back.)

Tagebuch Mittwoch, 8. Mai 2019 – Hugo Helbing Lecture

Gearbeitet. Beim Zahnarzt gewesen. Frisches Brot mit Himbeermarmelade.

Abends bei der diesjährigen Hugo Helbing Lecture gewesen. Hugo Helbing war ein bekannter jüdischer Kunsthändler in München, der während der Reichspogromnacht so schwer verletzt wurde, dass er wenige Wochen danach verstarb. Sein Geschäft wurde „arisiert“, Adolf Weinmüller übernahm seine Firma. Die Auktionsbücher Weinmüllers sind bis heute die einzigen, die der Forschung zur Verfügung gestellt wurden; Julia Voss schrieb darüber 2014 in der FAZ und erläuterte den großen Wert dieser Unterlagen für die Provenienzforschung.

Die gestrige Lecture fand nicht im Zentralinstitut, sondern im NS-Dokumentationszentrum statt, wo sie aufgezeichnet wurde (ist noch nicht online). Michael Kauffmann sprach über „Refugee Art Dealers in England in the 1930s–40s“; sein Vater hatte die Helbing-Filiale in Frankfurt geführt, war mit ihm persönlich bekannt gewesen und emigrierte 1938 mit seiner Familie nach London. Er erzählte eher aus seinen Erinnerungen anstatt eine akademische Vorlesung zu halten, was aber durchaus spannend war, wenn auch für meine persönliche Forschung nicht so wirklich ergiebig. Aber mir wurde wieder einmal der Wert von Zeitzeugen klar. Nach dem Vortrag gab es Gelegenheit für Fragen. Eine davon war, ob im Kreis der Familie oder eben mit den vielen Händlern und Händlerinnen, die wir gerade kennengelernt hatten, das Deutsche Reich ein Thema war. Kauffmann meinte, nein, man sah sich nicht als Exilanten, die zurückkehren wollten, sondern als Geflüchtete, als refugees. Das Deutschland, an das man sich erinnerte, war das vor 1933, und das war verloren.

The Triumph of German Democracy

Passend zum Tag schrieb der Atlantic über den Erfolg des deutschen Grundgesetzes, nutzte aber dämlicherweise wieder eine falsche Formulierung, die von der angeblichen Grenzöffnung Angela Merkels. Ich fand die Betrachtung der Nachkriegszeit, auch mit Blick auf die DDR, aber durchaus lesenswert. (Der Satz fiel mir besonders auf, weil die Washington Post vor ein paar Tagen so schön korrekt „Nearly four years after German Chancellor Angela Merkel chose to leave the country’s borders open amid a vast influx of asylum seekers to Europe“ in einem Artikel über junge ausländische Auszubildende schrieb.) Hier der Atlantic:

„German society led the courts rather than the other way around, as so often in the United States. The constitutional idea drew its power from the complex workings of the German federal system, from the give-and-take of German parliamentary life, from a media culture that did champion dissenters and minorities, and from a public opinion that since 1949 has grown ever more self-confident and tolerant.

It’s a sobering mirror image for Americans, who have arguably over-relied on judicial guardianship even as their local government has become less democratic, their political culture more polarized, their media system more reactionary and extreme, and their public opinion more authoritarian.

Much of the success of Germany’s democratic development depended on unique circumstances of time and place. “Economic miracles” like that which buoyed German democracy from 1950 to 1970 don’t come along every day. (If they did, we wouldn’t call them miracles.) The Cold War incubated German democracy, too. Democracy gained West Germany entry into NATO in 1955; democracy drew a sharp distinction between the freedom of western Germany and the police state in the Soviet-controlled eastern zone.

Yet there are nonunique lessons too—lessons applicable to less-extreme democratic transitions.

In his superb history of the postwar aftermath in the two divided Germanies, Jeffrey Herf attributes this insight to Konrad Adenauer, West Germany’s first chancellor: You could have democracy in post-Nazi Germany or justice in post-Nazi Germany, but not both.“

Ein amerikanisches Dankeschön …

… an Gabi, die mich mit Michelle Obamas Autobiografie Becoming überraschte. Ich bin auf Twitter immer erstaunt, wenn ich mal einen Tweet von Barack Obama in die Timeline gespült bekomme und dort die Replys lese: Die meisten klingen dramatisch nach “WE MISS YOU SO MUCH!”, obwohl Obama nicht unbedingt ein herausragender Präsident gewesen war. Aber im Vergleich zum derzeitigen Amtsinhaber ist er natürlich ein Abbild von Weitsicht, Diplomatie und Menschlichkeit.

Für Michelle Obama hege ich schlicht Sympathien, auch weil sie sich als schwarze Frau noch mehr Quatsch von den Medien anhören musste als die weißen First Ladys vor ihr – ich erinnere an den SKANDAL, als sie ein ärmelloses Kleid trug, obwohl bereits Eleanor Roosevelt das gleiche getan hatte. Und quasi dauernd Jackie Kennedy, aber das war natürlich etwas ganz anderes. *knurr* Ich finde ihre Let’s-Move-Kampagne zwar bis heute bescheuert, weil sie dicke Kinder eher stigmatisiert, anstatt sich generell für Obst, Gemüse und Bewegung für alle einzusetzen, aber alleine für die Auswahl ihres Porträts kriegt sie von mir alle Sympathiepunkte wieder zurück. Zu den Porträts pilgern übrigens gerade vermutliche alle, die Vermissungsreplys schreiben.

Deswegen wollte ich ihr Buch gerne lesen und das kann ich jetzt. Vielen Dank für das Geschenk, ich habe mich sehr gefreut.

Wobei das Abholen ein kleines Abenteuer war. Vor mir war noch eine junge Frau, die ein Paket nach dem anderen aus den Fächern der Packstation entnahm. Ich stand an der u-förmigen Station ganz am Rand, um nicht so nah in ihren Tanzbereich zu kommen, direkt neben mir öffnete sich wieder ein Fach, sie entnahm etwas und ging wieder zum Display, um das nächste Päckchen anzufordern. Ein Türchen direkt neben mir öffnete sich erneut, ich dachte, es wäre das von eben gewesen, das nicht ganz verschlossen war, wollte der Dame den Weg ersparen und schloss es wieder – als sie meinte, äh, nein, das war ein anderes, da liegt noch was drin. Ich entschuldigte mich mehrfach, die Frau meinte, ach, ich geb’s einfach nochmal ein, mal sehen, ob’s klappt, und jetzt wissen wir beide, dass man einmal geöffnete Fächer alle nochmal öffnen kann. Puh.

Tagebuch, Mittwoch bis Montag, 1. bis 6. Mai 2019 – Sterne, Uni, Podcast, Hurz

Am Mittwoch letzter Woche führte mich der Herr F. zum Essen aus, in Geisels Werneckhof, der zwei hübsche Michelinsternchen hat. Das war alles ganz großartig, aber ich wollte gar nicht darüber bloggen, sondern es noch ein bisschen für mich behalten. Inzwischen will ich drüber bloggen, wenn auch nur kurz, weil ich mir keine Notizen gemacht habe.


Als Reinkommer ein bisschen Spargel in verschiedenen Aggregatszuständen. Da ich immer noch Zahnschmerzen hatte, musste ich nach einem Biss auf den sehr knackigen Spargel erstmal eine Schmerztablette nachlegen, aber diese Reservierung wollten wir gnadenlos nicht verfallen lassen.


Saibling mit Karotte, Feldsalat und Pistazie. Die niedlichen Kaviarkügelchen waren zu einer Art salzigem Bonbon verschweißt, was sehr lustig im Mund war.


Langustine, knusprige Sepiadekoschnörkel, Salat aus Brunnenkresse, Wasabi und Hijiki, einer Algenart. Ich weiß nicht mehr, was die Tupfer auf dem Meeresgetier waren, aber das war toll. Was übrigens auch toll war, aber nicht im Bild ist: die Weinbegleitung. Meine war recht ordentlich, aber es war kein Wein dabei, bei dem ich dachte, oh wowza. Der Herr F. hatte aber eine Sake-Begleitung gewählt, was ich für ein cleveres Angebot halte bei dieser japanisch-irgendwas-Fusionküche. Ich nippte auch brav an jedem Glas, aber an Sake muss ich mich erst rantrinken.


Glattbutt, Jakobsmuschel, Archischockenpüree und -stroh, schön gleichzeitig cremig und knusprig, Miso Pil Pil. War für mich der unspektakulärste Gang, aber wir verglichen eh die ganze Zeit mit Filippou und Tantris und den anderen Läden, in denen wir sternig gegessen hatten. Filippou hat irre Spaß gemacht, überraschte, nervte auch manchmal im guten Sinn, aber das hier war eher Zen: alles schmeckte unglaublich ausbalanciert, und das bei gefühlt jeweils 20 Zutaten auf dem Teller. Wir waren beeindruckt.


Mein Lieblingsgang: Schweinebauch mit Morcheln und Apfel, in der herrlichen Sauce war Liebstöckelöl, und ein frischer Sansho-Pfeffer hielt alles zusammen. Den Teller wollte ich gar nicht wieder hergeben, fast wie das Lamm im Villino. Hier ließ ich dann auch jedes Benehmen fahren: Wo ich sonst Sauce mit dem stets auf dem Tisch stehenden Brot auftunkte, wollte ich hier nur Sauce. Also nahm ich die Finger, wozu sind die sonst da.


Ozaki-Wagyu mit keine Ahnung, ich schwieg nur ehrfürchtig vor mich hin. War. Das. Gut. Alleine für dieses winzige, feine, hocharomatische Stück Fleisch würde ich da nochmal hinwollen. Okay, will ich eh, aber dafür so richtig. Außerdem bewunderte ich zum wiederholten Male die perfekte Nocke, hier aus Graupen. Ich habe mir schon hundert YouTube-Tutorials angeguckt, ich kriege keine Nocke hin. Gebt mir noch 100 Liter Eis, irgendwann wird das was.

Im Bild oben links ist übrigens ein Schüsselchen mit Schnittlauchöl, das ich gerne fassweise hätte mitnehmen wollen. Damit versaute ich mir jeden Nachhall jeden Ganges, denn sobald die Teller wegwaren, stippte ich wieder Brot in das Öl, weil’s so lecker war. Ein Teufelszeug.


Apropos Eis: Das hier war aus Mandel und dann war da noch Rhabarber und der frische Shiso (das Grünzeug) und ich war verzückt. Und es ist in der Sterneküche immer alles so HÜBSCH, ICH WILL DAS EIGENTLICH NIE ESSEN, WEIL OH SO PRETTY! Aber dann esse ich’s doch, wär ja Verschwendung.


Ich glaube, das war F.s Liebling: Unter der kupferfarbenen Hülle verbarg sich ein Gebäck aus Hojicha, einem Grüntee. Ich hatte nach „Himbeer“ nicht mehr zugehört, weil Himbeer auch super ist.


Der Abend begann übrigens damit, dass man in die Küche geführt wurde, wovon ich völlig überfordert war. Ich hatte kaum Zeit, mich richtig umzugucken, aber das sah so aus, als würde da quasi niemand kochen. Meine Küche ist schon chaotisch, wenn ich mir nur einen Kaffee mache.

Und nach dem dritten Gang wurden wir dann nochmal in eine andere Ecke des Restaurants geführt, aber das verrate ich nicht, die Überraschung will ich denjenigen, die vielleicht noch hingehen, nicht verderben. Aber wenn man zurück an den Tisch kommt, an dem der Service mal wieder die Servietten neu gefaltet hat, wozu er sich übrigens Handschuhe anzieht, klebt auf der Menükarte ein Aufkleber, über den nicht nur ich mich gefreut habe, weil es so ein kleines, liebevolles Detail ist.

Zum Abschied wird einem in die Jacke geholfen, ist klar, und dann sagt jemand: „Tohru wartet dann draußen auf Sie“, also der Koch, und ich noch so innerlich, haha, guter Witz, als ob der Mann nichts Besseres zu tun hat, aber hat er anscheinend nicht. So konnte ich immerhin noch „Danke für den außergewöhnlichen Abend“ piepsen. Hab ich auch mal einem Zwei-Sterne-Koch die Hand gegeben.

Donnerstag begann dann endlich das Semester für mich. Das hätte eigentlich schon vorletzte Woche angefangen, aber da musste ich ja zum Zahnarzt anstatt zur Kunstgeschichte.

Zunächst saß ich aber bei dem Mann in der Geschichtsvorlesung, dessen Speer-Biografie ich gerade begeistert lese. Herr Brechtken erzählte dem vollen Hörsaal etwas über die Problematik des Westens, auf alle anderen Erdteile zu gucken, begann damit, die politische Aufladung des Begriffs „Abendland“ aufzudröseln und kam irgendwie auf Max Weber und seine protestantische Ethik, Samuel Huntingtons Clash of Cultures und Francis Fukuyamas Ende der Geschichte.

Da ich ja nur aus Spaß in der Vorlesung sitze (wie im letzten Sommer bei den Eichhörnchen), kann ich entspannt zuhören und seinem Gedankengang folgen anstatt besinnungslos mitzuschreiben. Ich weiß, ich kann keinen Studi davon überzeugen, es anders zu machen, hätte ich vor dem Abschluss auch nicht, weil ich’s nicht geglaubt hätte und nachher habe ich mir DEN EINEN WICHTIGEN PUNKT für die Klausur nicht notiert, aber echt jetzt: Stift weglegen, zuhören, vielleicht ein paar Stichworte machen. Ist ernsthaft besser und man kriegt mehr mit. Zum Beispiel den schönen Schlenker zur Tagespolitik, denn der Untertitel der Vorlesung lautet „Vom Wert der Geschichte“, und Brechtken meinte, man könne jeden Morgen zwei beliebige Zeitungen aufschlagen und zwei Artikel rauspicken, an denen der Wert vom Wissen über die Historie sichtbar wird; letzten Donnerstag war es ein Artikel in der Welt, wo über das falsche Bild des Westens in islamischen Schulbüchern geklagt wurde (Bezahlschranke), und natürlich das Zeit-Interview mit Kevin Kühnert (auch Bezahlschranke, ihr Narren).

Nach der Vorlesung tat ich das, was ich schon seit diversen Semestern nicht mehr gemacht hatte: Ich stand im Gang am Fenster und löffelte einen Jogurt, weil ich in 30 Minuten die nächste Vorlesung hatte. Und wie ebenfalls vor diversen Semestern fand ich drei Tage später den Löffel im Rucksack, den ich natürlich vergessen hatte.

In der Beckmann-Vorlesung sprachen wir lange über die „Jungen Männer am Meer“, bitte selbst googeln, und ich sah erstmals eine Vorstudie dazu, die mir fast noch besser gefällt als das eigentliche Bild.


(1904 und damit hoffentlich gemeinfrei. Ich weiß inzwischen nicht mehr, was bei Abbildungen geht.)

Freitag saßen F. und ich in einem Konzert im Herkulessaal der Residenz. Ich hatte den perfekten Mittelplatz im Balkon und dachte gerade noch so an ein Foto, bevor sich Menschen direkt vor mich in die erste Reihe setzten. Immer schön ans Interweb denken!

Das bayerische Symphonieorchester spielte unter der Leitung von Peter Eötvös drei Werke von eben diesem Herrn. Das erste ging völlig an mir vorbei (Zahnschmerzen), das zweite gefiel mir dann gut (Alle vittime senza nome, 2016). Im Programmheft las ich nachträglich, dass das eine Art Requiem war für die vielen Menschen, die sinnloserweise im Mittelmeer ertrinken auf ihrer Flucht nach Europa. Das habe ich zwar nicht gehört, aber ich kann jetzt die leisen, fast suchenden Satzenden verstehen.

Beim dritten Stück, dem stotternden Oratorium Halleluja – Oratorium balbulum von 2015, dachte ich die ganze Zeit nur: Hurz. Ernsthaft. Das überstieg absolut meine geistigen Fähigkeiten, meine musikalischen Kenntnisse oder auch nur meinen Humor, und so saß ich seit Langem mal wieder in einem klassischen Konzert und dachte nur, was für ein Quatsch. Ich fühlte mich zwar wie eine Kulturbanausin, aber come on: Eine Textzeile lautete „Die Fleischbrühe der Kultur …“ und weiter habe ich nicht zugehört, weil da sämtliche Texterhirnzellen die Jalousien knallend runtergelassen hatten. Immerhin war F. auch nicht ganz so begeistert, weswegen ich mich danach nur noch halb banausig fühlte, aber nee. Das war nicht meins. Muss es ja aber auch nicht sein.

Samstag bastelte ich Ravioli und nahm mit den üblichen Mitstreitern unseren Podcast auf, Sonntag schauten F. und ich fassungslos und äußerst gelangweilt dem FCA zu, wie er bei Schalke ein schnarchiges 0:0 fabrizierte, woraufhin F., der eh bis 10 geschlafen hatte, gleich nochmal ins Bett ging, und ich zuhause den restlichen Nudelteig zu nochmal Ravioli verwandelte. Das Rezept dafür gab’s gestern.

Montag war halb Arbeit für Geld, halb Arbeit für die Diss, ich puschelte rum und freute mich, nach drei Wochen mal wieder auf der rechten Seite kauen zu können. Vielleicht wird das doch alles wieder schmerzlos. Gleich mal die nächste Sterne-Reservierung angehen.

In der gestrigen Masterchef-Australia-Folge fand die erste Elimination Challenge der Staffel statt. Drei Kandidatinnen mussten ein Dessert eines Spitzenkochs nachbauen, das ist das übliche Eliminationformat: angucken, probieren, nachkochen, so gut wie immer mit einem mehrseitigen Rezept. Beim Probieren passierte gestern etwas, was ich in der Sendung noch nicht gesehen hatte. Eine der Kandidatinnen ist Muslima, was im Einspielerfilm bildlich thematisiert wurde; sie hüllte sich in ein weites Gewand und betete, während sie im Offtext darüber sprach, wie sie sich auf Herausforderungen vorbereite. Und während die anderen beiden Kandidatinnen bei der Challenge mit ihren Gabeln in das präsentierte Dessert stocherten, holte einer der Juroren ohne großen Aufwand einen Extrateller unter dem Tisch hervor und meinte nur: „We’ve prepared one for you without alcohol.“ Es geht so einfach.

Ich kann sogar noch was anlegen: Dass gestern der Ramadan begonnen hatte, erfuhr ich vor allem auf Instagram. Dort folge ich ein paar Hashtags wie #germaninterior oder ähnlich, weil ich gerne anderer Leute aufgeräumte Wohnungen angucke, in denen malerisch dicke Decken auf Sofas drapiert werden oder kleinteiliger Dekoschnickschnack rumsteht. (Ich kann keine Tafeln, Leuchtkästen oder Tapeten mit englischen Sinnsprüchen mehr sehen!) Gestern sah ich dort diverse Küchen, in denen der Tisch schon gedeckt war, aber im Text meist sowas stand wie „Ich freue mich schon auf heute abend“, Hashtag #ramadan. Oder: Eine Mutter hatte ihren Kindern einen Ramadan-Kalender gebastelt, den ich noch gar nicht kannte. Wieder was gelernt.

Ricotta-Ravioli mit Bärlauchbutter

Total simples Rezept, das mir aber so gut gefallen hat, dass ich es verbloggen möchte. Ich hatte einfach nach „Ravioli Ricotta vegetarisch“ gegoogelt – und da kam unter anderem das hier. Kommt ins Repertoire, weil überraschend frisch, gut, schmackhaft.

Für drei Personen als Hauptspeise oder vier als Vorspeise. Bei mir sind 36 Ravioli rausgekommen und es blieb noch eine Handvoll Teig für eine Einzelportion Nudeln übrig. Netterweise hält sich der Teig im Kühlschrank ein paar Tage (vielleicht auch länger, aber das musste ich noch nie ausprobieren).

3 Eier mit
300 g Mehl, Type 405,
1/2 TL Salz und
1–2 EL Olivenöl mischen und zu einem geschmeidigen Teig verkneten. Falls der Teig zu hart ist, die Finger anfeuchten und weiterkneten. Das dauert durchaus so zehn Minuten, bis er sich verbindet und kein harter, bröseliger Klotz mehr ist. Nach dem Kneten zu einem dicken Rechteck formen, in Frischhaltefolie einschlagen und für mindestens eine halbe Stunde bei Zimmertemperatur rumliegen lassen. Der Teig wird durch die Ruhezeit noch weicher.

Für die Füllung
250 g Ricotta (eventuell abtropfen lassen) mit
1 Eigelb,
dem Abrieb einer halben Bio-Zitrone,
40 g frisch geriebenem Parmesan,
2–4 fein gehackten getrockneten oder eingelegten Tomaten und
2–4 Blätter fein gehacktem Bärlauch mischen. Mit
Muskat, Piment d’Espelette und Salz würzen.

Mir hat das Rezept am Samstagabend so gut geschmeckt, dass ich es Sonntag gleich noch mal zubereitet habe. Dabei habe ich Frischkäse statt Ricotta genommen und Eigelb, Muskat und Piment weggelassen. Was ich nur geschmeckt habe, war die tolle Zitrone sowie Tomate und Bärlauch. Schmeckt ebenfalls hervorragend und behält auch ohne Ei die Bindung.

Aus Teig und Füllung Ravioli zubereiten; ich habe so ein lustiges Brett, man kann aber auch einfach den Teig sehr dünn ausrollen und mit einem Glas Kreise ausstechen. Jeweils ein Teelöffelchen Füllung drauf und mit einer zweiten Lage Teig abdecken. In sprudelndem Salzwasser für zwei, drei Minuten kochen.

Für die Bärlauchbutter
50 g Butter bei hoher Hitze zu brauner Butter verwandeln. Also einfach erhitzen: Zunächst schäumt es und dann bräunt es blitzschnell und riecht herrlich nussig. Schnell umrühren, damit man den Bodensatz aufwirbelt und dann alles durch ein Sieb gießen, in dem ein Blatt Küchenkrepp liegt. Da bleiben dann die Schwebstoffe, und unter dem Sieb habt ihr wundervolle braune Butter.

In einem zweiten Topf nochmal
50 g Butter erwärmen,
2–3 EL (bei mir gnadenlos alles) der braunen Butter dazugeben,
1 EL Zitronensaft sowie kurz vor Schluss
25 g Bärlauch, in feine Streifen geschnitten.

Ich habe noch ein paar Stangen grünen Spargel in Olivenöl scharf angebraten und mit ein bisschen Zitronensaft gewürzt. Ravioli drüber, Butter drüber, Wein aufmachen, lecker.

Fehlfarben 20 – Am I What You’re Looking For? // Little Boy’s Luminous Legacies

Letztes Mal zwei Ausstellungen in Versalien, dieses Mal zwei mit englischen Titeln. Wir geben uns echt Mühe für sowas. (Nein, tun wir nicht.)

Podcast herunterladen (MP3-Direktlink, 88 MB, 110 min), abonnieren (RSS-Feed für den Podcatcher eurer Wahl), via iTunes anhören.

00.00:00. Begrüßung und Vorstellung.

00.01:10. Blindverkostung des ersten Weins. Wir trinken heute Rotweine aus Israel.

00.02:50. Die erste Ausstellung sind Fotografien, die im Amerikahaus München zu sehen sind. Endia Beal, Fotografin und Dozentin, inszeniert junge schwarze Frauen in ihrem Zuhause, aber vor einer Fototapete eines Büros (angeblich eine Aufnahme eines Büros, in dem sie selbst gearbeitet hat). Sie befragt die Frauen, die sich in selbstgewählten Outfits präsentieren, die sie als bürotauglich ansehen, zu ihrer Stellung im corporate America – was sie sich vorstellen oder wie sie es bereits erlebt haben. Am I What You’re Looking For?

Ich mochte an der Ausstellung, dass schwarze Frauen eine Stimme bekommen. Ich mochte auch die Grundidee, aber die einzelnen Aussagen haben mich teilweise fertiggemacht. Bei vielen Frauen ist zu lesen, dass sie sich der Hindernisse bewusst sind, die auf sie warten, aber damit muss man eben fertigwerden. Ich ahne, dass weiße Männer nicht unbedingt so in ihren ersten Job nach der Uni reingehen.

Neben den Fotos standen nur die Namen der Frauen, ihr Alter und eben ihr Statement. Eine Frau meinte, sie müsse sich halt den Normen anpassen, die von ihr erwartet werden. Klar, jede*r von uns passt sich im beruflichen Umfeld an (leider, will ich mir selbst auch des Öfteren zubrüllen). Aber die porträtierten Frauen sehen sich deutlich mehr angeblichen Normen – also Standards, die nicht von ihnen gesetzt wurden – gegenüber: Sie müssen zunächst den Normen entsprechen, die an sie als Frau gestellt werden, die von vornherein bescheuert sind. Ich musste an die ganzen Karriereratgeber denken, die Frauen eintrichtern: Um in einer Männerwelt voranzukommen, musst du dich wie ein Mann verhalten (Stichworte keine betont weibliche Kleidung, aber auch nicht wie ein Kerl, fester Händedruck, aber bloß nicht zu fest, in Meetings das Wort ergreifen, aber dann bitte nicht so bossy. Ihr wisst, was ich meine). Die zweite Norm ist generell die der Berufswelt, wozu eine Dame schlau meinte: “Dressing like a Republican isn’t going to make me something I’m not.” Aber gerade im Büro lauern die fiesen Kleiderfallen, über die jede Zeitung im Sommer atemlos berichten kann: Wieviel Bein ist noch bürotauglich? Wie tief darf der Ausschnitt sein? Darf man überhaupt etwas tragen, was einen Ausschnitt hat? Die Jungs werfen sich in einen Anzug und sind fein raus. Als Frau ist man im Zweireiher allerdings ein Mannweib oder, noch schlimmer, eine Karrierefrau, was auch immer das sein soll. Und die dritte Norm, die die Damen berücksichtigen, ist eine Untergruppe der Kategorie Frau, denn als nicht-weiße Frau gelten nochmal andere Spielregeln für dich, siehe natural hair. Ich persönlich wurde immer wahnsinniger vor den Bildern, weil ich bei fast allen dachte, wie haltet ihr das bloß aus. Ich bin schon gestresst von dem ganzen Anpassungsfirlefanz, aber wegen meiner Hautfarbe oder meiner Haartracht hat mich noch niemand angemault.

Einige Frauen sagten, ihnen seien die Hürden zu hoch, sie hätten sich bewusst gegen eine Karriere im corporate America entschieden. Andere wiesen darauf hin, dass viele Firmen eine neue Einstellungspolitik hätten, in der bevorzugt Minderheiten eingestellt wurden – der Bedarf für Vielfalt sei also offensichtlich da. Eine Frau erzählte, sie wäre bewusst zum marketing to minorities ausgewählt worden, was die Situation extrem bescheuert auf die Spitze treibt.

Viele Statements erinnerten mich schmerzlich an meine eigenen Zwanziger, in denen ich auch frohgemut dachte, Männer und Frauen sind gleichberechtigt, wir haben alle die gleichen Chancen, wenn ich gut genug bin, klappt das alles. Nur um dann – natürlich – zu merken, dass man manchmal nicht dagegen ankommt, wenn der weniger begabte Art Director befördert wird, weil er mit dem Chef gerne ein Bierchen trinkt, und nicht die Frau, die bis Mitternacht in der Agentur sitzt, um ihren Job nicht nur gut, sondern exzellent zu machen. (Ob das so sinnvoll ist, spielt hier keine Rolle.) Irgendwann habe ich gemerkt, dass mir meine derzeitige Karrierestufe reicht, dass ich keine Kreativdirektorin werden will, sondern nur irgendwo in der Ecke sitzen und schreiben möchte, aber ich habe ernsthaft deswegen ein schlechtes Gewissen. Hätte ich den Schritt nicht wegen der Vorbildfunktion eifriger verfolgen müssen? Denn wie eine Dame in der Ausstellung so schön sagte: “Not a lot of people in power look like me.” Wir brauchen Vorbilder, wir brauchen Vorreiterinnen. Aber das wissen wir ja alle.

Auch das hat mich ein bisschen deprimiert: die hoffnungsvollen Statements, die noch an die eigene Stärke glauben, an den Bonus, den die eigenen Individualität der Firma bringen wird. Ich würde die Frauen gerne in 20 Jahren noch einmal vor die Businesstapete stellen und fragen, wie’s ihnen jetzt geht. Ich hoffe, besser als ich erwarte.

Fazit der ersten Ausstellung: natürlich eine Anguckempfehlung. Läuft noch bis zum 2. Juni, der Eintritt ist frei. Wir erwähnen im Gespräch einen VICE-Artikel über das Projekt (2016, nicht 2013, wie ich anfangs rumplappere) sowie meine Rezension zu Ibram X. Kendis Stamped from the Beginning.

00.48:00. Der zweite Wein.

00.50:35. Die zweite Ausstellung: Little Boy’s Luminous Legacies läuft in der Lothringer 13 und beschäftigt sich, der Titel lässt es erahnen, mit dem Atomzeitalter.

Wir erwähnten die Postwar-Ausstellung im Haus der Kunst, die eine für uns zunächst überraschende, aber dann sehr sinnvolle Zeiteinteilung schuf: Dort wurde mit der Stunde Null nicht der Sieg über den Faschismus bzw. Hitler-Deutschland bezeichnet, sondern der Atombombenabwurf auf Hiroshima und Nagasaki. Damit begann eine neue Zeitrechnung. Die Exponate dort waren ungleich stärker, was mir persönlich die Ausstellung in der Lothringer 13 etwas verleidete; sie kam mir etwas zahn- und ziellos vor, und ich weiß immer noch nicht so recht, was ich von ihr halten soll.

Wir sprachen längst nicht über alle Kunstwerke; mir hat ein Werk von Henrik Plenge Jakobsen am besten gefallen: „Manhattan Engineering District“, wo ein Diaprojektor 80 Bilder an die Wand warf, die im Laufe des Manhattan Projects entstanden waren. Sie haben keinen Zusammenhang und kein Narrativ, zeigen Menschen, Gebäude, Fahrzeuge, technische Apparaturen, die für mich auch für die Ostereierproduktion hätten sein können (der Physiker am Tisch verneinte). Ich mochte genau diese Zusammenhangslosigkeit, das Zufällige, Unscheinbare, das nur dadurch eine Bedeutung bekommt, weil man weiß, was das Manhattan-Projekt war.

Von Jakobsen war noch ein zweites Werk in der Ausstellung. In einer Vitrine lag ein Stück Trinitit, ein künstliches Glas, das beim Trinity Test im Juli 1945 durch die große Hitze entstand. Neben dem kleinen Klumpen lag strahlendes Uranit, und auf beide war ein Geigerzähler gerichtet, der an einen Laptop angeschlossen war, auf dessen Bildschirm anscheinend Strahlung angezeigt wurde, ich konnte mit den Maßeinheiten oder der Tabelle, die dort sichtbar war, nichts anfangen. Aber es war das einzige Ausstellungsstück, das mir sehr deutlich vor Augen führte, dass diese Strahlung da ist. Um mich herum waren Foto- und Filmprojekte, die sich mit Fukushima beschäftigten, die aber für mich so aussahen wie kleine Störungen in der Matrix, nichts Aufregendes. Der sich bewegende Graph auf dem Bildschirm hat mich eher überzeugt. Wir sprachen in der Aufnahme auch über die bewussten Euphemismen wie „Kernkraft“ statt „Atomkraft“, weil’s halt ungefährlicher klingt.

Fazit: auch hier drei Daumen nach oben, von mir eher nach der Diskussion entstanden. Als ich aus der Ausstellung rauskam, war ich nicht so überzeugt, nach unserem Gespräch schon. Ihr habt noch bis zum 9. Juni, mal selbst zu gucken, wie’s euch geht.

01.17:00. Der dritte Wein.

01.45:10. Wir lösen die Weine auf: Nummer 1 hat uns allen am besten geschmeckt, aber wir würden alle drei wieder kaufen.

Wein 1: Hommage 2016 von der Yaffo Winery, Cuvée aus Merlot und Syrah, 13,5%, koscher, für 24 Euro beim Partnerweingut Schaetzle. (Auf der isrealischen Website steht, dass der Wein zu 10% aus Merlot besteht, auf meiner Flasche stehen 40.)

Wein 2: Mount Hermon Red von der Golan Heights Winery, 2017, Cuvée aus Cabernet Sauvignon, Merlot, Cabernet Franc, Petit Verdot und Malbec, 14%, koscher, für 11 Euro bei Karstadt.

Wein 3: Judean Hills von Tzora Wineyards, 2015, Cuvée aus Cabernet Sauvignon, Syrah, Petit Verdot und Merlot, 13,5%, koscher, für 35 Euro bei Lobenbergs gute Weine.

1000 Fragen, 221 bis 240

(Ich paraphrasiere Christian: „Die Fragen stammen ursprünglich aus dem Flow-Magazin, Johanna von pink-e-pank.de hat daraus eine persönliche Blog-Challenge gemacht, und Beyhan von my-herzblut.com hat das PDF erstellt.“)

221. Gibt es Freundschaft auf den ersten Blick?

Ich glaube, es gibt Sympathie auf den ersten Blick, aber für Freundschaft oder sogar Liebe braucht es mehr als einmal rübergucken.

222. Gönnst du dir selbst regelmäßig eine Pause?

Ja. Immer. Das modische Wort „Self-Care“ habe ich ziemlich verinnerlicht.

223. Bist du jemals verliebt gewesen, ohne es zu wollen?

Ja. Das war eher scheiße. Aber auch toll, weil es ja schön ist, jemanden so irre gern zu haben. Aber dann doch eher wieder scheiße.

224. Steckst du Menschen in Schubladen?

Spontane Antwort: garantiert. Nach ein bisschen Nachdenken: weiß ich gar nicht. Ich teile Menschen ein in Freunde, Bekannte, Kolleginnen. Aber danach? Vermutlich stecke ich fremde Menschen oder neue Bekanntschaften irgendwo hin, aber mir fallen gerade keine Kategorien neben dem Level an Sympathie ein.

225. Welches Geräusch magst du?

Zusammenklirrende Eiswürfel im Getränk. Wind, der den Baum vor meinem Schlafzimmer verwuschelt. Das Entkorken von Wein. Das Umblättern von Buchseiten oder mein ewiges Rumgespiele an ihnen (auch ein Grund dafür, warum ich nicht einfach auf meinem Handy lese, wenn ich ins Stadion fahre). Biergarten-Atmo. Alles, was mit Wasser zu tun hat, vor allem Regen, auch wenn ich reingerate. Kirchenlieder. Meine nackten Füße auf dem Holzfußboden. Die ersten Takte jeder Ouvertüre. Die MacBook-Tastatur. Den Atem von F. Stille.

226. Wann warst du am glücklichsten?

Wieso „warst“?

227. Mit wem bist du gern zusammen?

Mit mir.

228. Willst du immer alles erklären?

Ich glaube, ich will eher immer alles erklärt bekommen.

229. Wann hast du zuletzt deine Angst überwunden?

Ich kann mich gerade an nichts erinnern. Wenn ich vor irgendwas wirklich Angst habe, mache ich es nicht, für blöde Mutproben bin ich zu alt. Wenn mir irgendwas unangenehm ist, aber halt sein muss, bin ich hoffentlich groß genug dafür, es frauhaft zu ertragen (Zahnarzt, Smalltalk, endlose Meetings).

230. Was war deine größte Jugendsünde?

Senfgelber Strickpulli zu grauer Kunstlederhose. Vermutlich noch Glitzerstulpen.

231. Was willst du einfach nicht einsehen?

Warum Finger- und Fußnägel wachsen. Die schneide ich doch immer wieder ab! Jetzt bleibt doch mal kurz!

232. Welche Anekdote über dich hörst du noch häufig?

Da fällt mir keine ein.

233. Welchen Tag in deinem Leben würdest du gern noch einmal erleben?

Ich erlebe lieber noch ein paar neue.

234. Hättest du lieber mehr Zeit oder mehr Geld?

Zeit schaufele ich mir frei. Also Geld. Ja, Geld hätte ich gerne viel mehr. Hallo, Penthouse in München, ich zahl dich in bar!

235. Würdest du gern in die Zukunft schauen können?

Nein. Wenn ich wüsste, was alles passiert, würde ich mich vermutlich um nichts mehr bemühen, nichts Neues mehr anfangen, ich weiß ja schon, was kommt.

236. Kannst du gut deine Grenzen definieren?

Ich arbeite immer noch daran. Manchmal geht’s: Ich habe kein schlechtes Gewissen mehr, Partys abzusagen, gerne per DM oder Mail. Manchmal geht’s nicht: Direkter persönlicher Konfrontation weiche ich immer noch größtenteils aus. Aber mein Neinsageimpuls wird immer besser!

237. Bist du jemals in eine gefährliche Situation geraten?

Im Straßenverkehr vermutlich dauernd. Einer der Gründe, warum ich kein Motorrad mehr fahre. Irgendwann ist mir klar geworden, wie bescheuert diese Art der Fortbewegung ist, so als knautschzonenfreies Wesen ohne Anschnallgurt.

238. Hast du einen Tick?

Ich erledige Dinge gerne nach bestimmten Regeln (Monica: „YOU DON’T KNOW THE SYSTEM!“), aber Tick? Ich achte jedenfalls nicht darauf, mit welchem Fuß ich aufstehe oder dass erst alle roten M&Ms gegessen werden müssen oder sowas.

239. Ist Glück ein Ziel oder eine Momentaufnahme?

Schöne Frage.

Ich habe recht lange bei den täglichen Blogeinträgen die Überschrift „Was schön war“ gehabt, um mich selbst daran zu erinnern, wie oft es mir am Tag eigentlich gut geht, auch wenn meine Gesamtverfassung gefühlt eher mau war. Zu merken, wie glücklich mich Kleinigkeiten machen, hat sehr geholfen – und mir auch klargemacht, wie wenig es manchmal braucht, damit ich völlig erfüllt und zufrieden bin. Eine Glühbirne über dem Kopf in der Vorlesung. Ein perfektes Zitat in einem Aufsatz. Spaghetti Carbonara. Erdbeeren! Mich in meine Bettdecke einkuscheln. Ein richtig gutes Ende einer Serienfolge. Oder einfach nur langsam mit dem Fahrrad unter grünem Blätterdach zur Uni zu rollen. Das macht mich verlässlich glücklich, obwohl es nur kurze Momente sind.

Trotzdem habe ich irgendwo „Glück“ als Ziel im Hinterkopf, wenn ich über den Rest meines Lebens nachdenke. Ganz oben auf der Liste steht Gesundheit, aber dann kommen Dinge, die mich heute schon glücklich machen und die ich daher gerne behalten würde: eine schöne Wohnung, möglichst bezahlbar. Freunde, eine gute Beziehung, the interwebs. Lesen und schreiben können. Geistig klar zu bleiben. (Oder zu werden, höre ich aus den hinteren Reihen. Ich sehe euch!) Ein selbstbestimmtes Leben führen, so lange es irgendwie geht. Kurz gesagt: Das Leben, das ich jetzt führe, hätte ich gerne noch 40 Jahre lang. Alle Momentaufnahmen sind also irgendwie auch ein Ziel.

240. Mit wem würdest du deine letzten Minuten verbringen wollen?

Darüber habe ich noch nie nachgedacht. Mit dem Lebensgefährten vermutlich. Sollte zu dem Zeitpunkt keiner da sein, mit meinem Kuschelteddy und viel Schokolade.

Tagebuch Montag/Dienstag, 29./30. April 2019 – Texterflöz

Meine Kontakterin und ich raten weiterhin, was die Kundin wohl lesen möchte, ich texte, sie korrigiert, ich texte um, wir schicken es rüber, und im Prinzip kommt als Feedback: „Ja, so, aber anders.“ Davon machen wir heute einen Tag Pause und ich bin sehr gespannt auf morgen.

Seit Montag kann mich aber eigentlich eh nichts erschüttern, denn die neue, die elfte Staffel der tollsten Kochshow der Welt begann: Masterchef Australia. Schon bei der ersten Folge lachte und weinte ich wieder, was man halt so bei Kochsendungen macht, und fand alles ganz großartig. Wie immer halt. Bis auf die letzte Staffel, da war mir das Finale egal.

Der Guardian weiß es auch: Move over, Bake Off! Why MasterChef Australia is TV’s best cookery show. Der Artikel beschreibt, dass man natürlich weiß, eine Reality-Soap zu gucken, die perfekt geschnitten ist und darauf abzielt, Emotionen aus dir rauszukitzeln. Aber was die Show so besonders macht, gerade im Unterschied zur amerikanischen, kanadischen, britischen oder (fuck off) der deutschen Version: die vielfältige Küche. (Mehr als die fünf Versionen kenne ich nicht.) Der Artikel beschreibt die letzte Staffel, aber das passt auf alle. Ja, ich habe nachträglich alle gesehen, obwohl ich mit der achten angefangen habe.

Ich hatte dazu auch mal einen ewig langen Artikel im Blog von jemandem anders, der auch sämtliche Staffeln nachgeguckt und über die Unterschiede gebloggt hatte, aber ich finde den selbst nicht mehr. Dafür habe ich meine eigene Liebeserklärung von 2016 wiedergefunden. Aber jetzt darf der Guardian was sagen:

„Australia was the first country to turbocharge the MasterChef format. Over seven months of filming, 24 finalists are hothoused, living together, cooking together every day, and facing challenges up to and including replicating Michelin-starred dishes, that are purpose made to push them over the edge. There are times when it feels like you’re watching some sort of shamanic initiation, as keen amateurs are broken down to the point of dissolution of ego, only to be rebuilt as superhuman cooks. And it reaps rewards: it has consistently been one of the most-watched shows on Australian TV, and not just its winners but more and more of the finalists each season instantly become part of the Australian culinary establishment. […]

[T]here’s an unmistakeable Aussie camaraderie, a give-a-bloke-a-fair go attitude among the contestants and judges that pulls the rug out from the cynical viewer again and again. And actually, you don’t get that much back story. Most of the emotional tug is from the relationships and the growing personalities that you see developing in front of you on screen, episode by episode. […]

But all of this would just be theatre if it weren’t for the substance of the show – the cooking. And that is where its Australianness comes into its own, because what we see is not the inward-looking, protectionist country of Malcolm Turnbull and Tony Abbott, but an immigrant nation, a part of the Asia-Pacific region, where people’s stories are told through food.

This season’s stars include a burly, bear-like Indian-Singaporean prison officer, a fearsomely high-camp Vietnamese EDM DJ born in a refugee camp, an almost impossibly lovable young Mauritian boxer, an effervescent Italian nonna, and on it goes. And through them you can learn more about the multiple strands and fusions of cuisine that run through that whole corner of the globe. There are guest spots too, from Nigella Lawson, Heston Blumenthal, Gordon Ramsay, Prince Charles – and some of them are fun – but they pale in comparison to the real reasons for watching MasterChef Australia, the real reasons you will laugh, cry and salivate: the people, their lives, and their food.“

Ich hoffe, dass ich niemanden spoilere – das letzte Finale war im Juli –, daher: Der erwähnte „burly, bear-like Indian-Singaporean prison officer“ hat das Ganze dann gewonnen. Der Mann heißt Sashi Cheliah.

Was außerdem den Montag schön gemacht hat: der Herr F. ist wieder im Land. Und wie immer, wenn er aus dem Ausland kommt, kriege ich die obligatorische Flughafen-Toblerone. Dieses Mal vom Münchner Flughafen, denn die kannten wir beide noch nicht.

Ich finde die Idee mit dem dreieckigen Lebkuchenherz großartig! Wir ignorieren mal die dusselige Carmen-Bluse und das Hängerkleid des Rotkäppchens oder was auch immer diese Dame darstellen soll.

„Waschen Sie sich die Hände, dann dürfen Sie auch mal zupfen!“

Eine schönes Interview mit der Harfenistin Silke Aichhorn – was wiegt so ein Ding überhaupt, können das auch Männer spielen und mögen Sie lieber Hochzeiten oder Beerdigungen?

„Wie berühmt sind Sie?

Unter den Solistinnen gehöre ich sicher zu den bekanntesten in Europa. Aber das ist wie bei Profi-Ruderern: Die kennt auch kaum einer. […]

Warum spielen Sie nicht in einem Orchester?

Ich habe viel in Orchestern gespielt, auch an großen Häusern. Aber ehrlich: Mich macht das nicht glücklich, ich bin kein guter Teamplayer, sondern ein typischer Freiberufler. Als Orchester-Harfe muss man unglaublich viel Geduld und super Nerven haben. Man hat in vielen Werken sehr wenig zu spielen, sitzt und sitzt und sitzt, dann spielt man ein paar Töne, dann sitzt man wieder eine halbe Stunde. Das ist wie in der Registratur in einem Amt, da kommt auch alle halbe Tage mal was rein, und dann ist wieder Ruhe. Ich kann so nicht arbeiten, bewundere aber die Menschen, die das gerne und gut machen.

Die Pauke hat auch nicht so viel zu tun.

Aber sie gehört wenigstens zur coolen Schlagwerkgruppe. Die Harfe hingegen ist meistens alleine, man muss alle Entscheidungen selbständig treffen. Oft wird man dann auch noch vom Dirigenten im Stich gelassen. Wenn zum Beispiel die Geigen 17 Takte Pause haben, bekommen sie natürlich ihren Einsatz. Wenn aber die Harfe 358 Takte Pause hat, kann sie sich selbst zusammensuchen, wann sie wieder dran ist. Dann macht sie einmal drrrt, und alle sagen, huch, Harfe ist auch dabei. […]

Sie spielen neben ihren vielen Konzerten und kabarettistischen Lesungen auch bei Hochzeiten und Beerdigungen. Was ist Ihnen lieber?

Unbedingt Beerdigungen. Die Harfe ist in solchen Momenten wunderbar für die Seele. Viele sagen mir danach, danke, ich hätte Ihnen gerne noch Stunden zugehört, nach Tagen konnte ich wieder einmal durchschnaufen. Das kann die Harfe wie kein anderes Instrument: Ruhe reinbringen in den Wahnsinn der Welt. Bei Hochzeiten ist das ganz anders: Mittlerweile machen sich viele Brautpaare so einen Druck, dass der schönste Tag des Lebens auch ultraperfekt sein muss. Wenn man dann als Harfenistin erst mal 50 Wochen lang in E-Mails Musikvorschläge und -wünsche diskutieren muss, wird mir das definitiv zu viel. So viel Bohei – und dann lassen sie sich oft gleich wieder scheiden.“

A symbol of slavery — and survival

Gerade hatte ich das Datum selbst bei der Rezension des Kendi-Buchs über die Geschichte des Rassismus erwähnt: Im August 1619 landete das erste europäische Sklavenschiff in Nordamerika. Ich hatte gar nicht überrissen, dass das jetzt genau 400 Jahre werden. Vor zwei Jahren wurde daher in Jamestown ein archäologisches Programm gestartet, das mehr über die ersten Sklaven herausfinden möchte. Vor allem über eine: Angela, die vermutlich erste Afrikanerin, die in die späteren Vereinigten Staaten verschleppt wurde und die wir nur noch unter ihrem neuen Namen kennen.

„She is listed in the 1624 and 1625 census as living in the household of Capt. William Pierce, first as “Angelo a Negar” and then as “Angela Negro woman in by Treasurer.” By then, she had survived two other harrowing events: a Powhatan Indian attack in 1622 that left 347 colonists dead and the famine that followed.

Yet little is known about her beyond those facts.

“It is presumed she was youngish — maybe in her early 20s,” said Cassandra Newby-Alexander, a history professor at Norfolk State University and co-author of “Black America Series: Portsmouth, Virginia.” “Angela was her Anglicized name. We don’t know what her original name was.”

“If they find the remains, we can know how old she was when she arrived,” Newby-Alexander said. “Did she have children? What did she die of? We will know more about this person, and we can reclaim her humanity.”“

Zitronenschnecken mit Frischkäseglasur

Ich werde mit Zimtschnecken nie so recht glücklich, weil mir die immer zu trocken sind. Die Zitronenschnecken kamen mir deutlich weniger trocken vor – keine Ahnung, ob es an der doppelten Menge Butter lag oder an der dreifachen Menge Ei. Mir gefiel der Teig jedenfalls deutlich besser als mein Standardrezept für Zimtschnecken. Vielleicht gebe ich diesem Teig mit Zimt noch eine Chance.

In der New York Times heißen die Dinger übrigens Lemon Sweet Rolls With Cream Cheese Icing und damit ist dann auch alles gesagt.

Für 12 Schnecken.

240 ml Buttermilch lauwarm erwärmen. Darin
1 EL Zucker und
7 g Trockenhefe (ein Tütchen) verrühren und ein paar Minuten quellen lassen.

In einer großen Schüssel
100 g weiche Butter mit
3 EL Zucker,
1 TL Salz,
1/2 TL gemahlenem Kardamom und
dem Abrieb einer Bio-Zitrone verrühren. Im Originalrezept sind es 110 g Butter und 1 EL Zitronenschale, aber das war mir zu albern. Zitronenschale kann man nie genug in Dingen haben. Im Nachhinein glaube ich, auch die Kardamommenge kann man verdoppeln.

Langsam die Buttermilch-Hefe-Mischung dazugeben sowie
3 Eier, leicht verquirlt.

Wenn ihr bis hierhin mit dem Mixer gearbeitet habt, dann jetzt von den Rührstäben auf die Teighaken wechseln. Was man in einer Küchenmaschine macht, keine Ahnung, hab ich nicht.

500 g Mehl, Type 405, in die Schüssel geben und fünf Minuten rühren. Der Teig bleibt recht klebrig und löst sich auch nicht vollständig von der Schüssel (aber fast). Falls er euch wirklich zu flüssig vorkommt, bis zu 70 g Mehl dazugeben. Bei mir dürften das frei Schnauze 30 bis 40 g gewesen sein.

Den Teig in eine saubere, leicht geölte Schüssel umsiedeln und abgedeckt an einem warmen Ort gehen lassen, bis er sich verdoppelt hat. (Stündchen oder mehr.) Die NYT schlägt vor, den Teig alternativ bis zu 24 Stunden lang im Kühlschrank gehen zu lassen. Die (dort immer verlässlichen) Kommentator*innen haben beide Varianten ausprobiert und schmecken angeblich keinen Unterschied.

Für die Füllung
200 g Zucker (bei mir 150 g) mit
1/4 TL gemahlenem Kardamom,
einer Prise Salz und nochmal
dem Abrieb einer Bio-Zitrone mischen. Auch hier steht im Originalrezept was von einem Esslöffel, was mir auch hier egal war.

Eine Backform, im Original 9 x 13 inch, fetten und mit Backpapier auslegen. Bei mir hat fetten gereicht.

Den Teig auf circa 30 mal 40 Zentimeter ausrollen. Darauf
85 g sehr weiche Butter verteilen und dann die Zitronen-Zucker-Mischung halbwegs gleichmäßig darüberstreuen. Den Teig fest zu einer Rolle aufrollen und ihn mit einem gezackten Messer oder Zahnseide in zwölf Teile teilen. Diese in die Form legen, die Form wieder abdecken und eine weitere Stunde gehen lassen oder bis die Teile die ganze Form ausfüllen. Wieder ein Stündchen, bei mir waren es fast zwei. Auch hier kann man sich für die Gehzeit im Kühlschrank entscheiden, zum Beispiel abends reinstellen und morgens zum Frühstück nur noch aufbacken.

Die Schnecken nach der Gehzeit im auf 180° C vorgeheizten Ofen für 30 bis 35 Minuten backen, bis sie goldbraun sind. Achtung: Sie sollten wirklich goldbraun sein, sonst neigen sie dazu, innen nicht ganz durch zu sein. Am besten gnadenlos die 35 Minuten drinlassen, gerne noch ein paar mehr, und ab dem gewünschten Bräunungszustand alles locker mit Alufolie abdecken. Dürfen gerne dunkler werden als bei mir oben auf dem Bild (das ich dringend ersetzen sollte).

In der Zeit den Guss herstellen. Dazu
170 g Frischkäse mit
120 g Puderzucker und
1 bis 2 EL Zitronensaft vermischen. Der Guss sollte recht fest, aber streichbar sein. Das habe ich nicht hinbekommen, ich habe im Überschwang zuviel Zitronensaft dazugegeben, weswegen ich nur klecksen, aber nicht streichen konnte. War auch okay. Aber vielleicht fangt ihr erstmal mit wenig Zitronensaft an und justiert notfalls nach.

Nach der Backzeit die Schnecken aus dem Ofen nehmen und nur wenige Minuten abkühlen lassen; noch warm die Glasur aufstreichen oder verteilen und ebenfalls noch warm genießen. Wie ich seit gestern weiß, schmecken die Schnecken aber auch kalt und nach einem Tag Rumstehen, sie sind dann aber natürlich nicht mehr ganz so fluffig.

Wie erwähnt, war ich mit dem Teig sehr zufrieden, aber hätte gerne fünfmal soviel Zitronengeschmack gehabt. Durch die Reduzierung der Zuckermenge war das Gebäck aber angenehm unsüß, schon fast neutral hefezopfig. Das Icing ruiniert das natürlich gleich wieder, und auch das hätte ich gerne deutlich saurer gehabt. Trotzdem: gutes Ding, mache ich wieder. Vielleicht noch eine Zitrone abreiben und in den Guss mischen!

Tagebuch Freitag bis Sonntag, 26. bis 28. April 2019 – Traurig, aber mit Hefeteig

Freitag mittag erwartete ich endlich Feedback auf meine Texte von vor Ostern, weswegen ich die ganze Woche so halb auf Standby rumgewurstelt hatte – keine Archivzeit ausgemacht, zwar am Schreibtisch gearbeitet, aber auch immer nur stundenweise, irgendwie stets auf Abruf. Das war eher unbefriedigend. Das Feedback war dann die Ankündigung fürs Feedback für Montag vormittag und zwar auch erst, als ich schon im Zug nach Augsburg saß. Dafür kann meine Kontaktperson natürlich nichts, dass die Kundin so lange braucht, aber am Freitagabend kam mir die ganze Woche sehr rausgeschmissen vor. Ich war eh angeknockt wegen der Zahnschmerzen, die mal mehr, mal weniger spürbar waren, missgelaunt war ich auch, weil ich seit zwei Wochen nichts Vernünftiges essen kann und sprechen anscheinend auch nicht unbedingt gut ist, weswegen ich fast das ganze Wochenende lang latent traurig war und hier mal kurz Ruhe einkehrte. Denn wenn irgendwas auf mein Gemüt schlägt, dann die Tatsache, nicht essen und nicht sprechen zu können, meine zwei privaten Hauptbeschäftigungen.

Der Freitagvormittag war aber schön, denn den verbrachte ich endlich mal wieder im Historicum bzw. in dessen Bibliothek, in der ich nun seit geschätzt drei Semestern nicht mehr war. Ich erwähnte es bereits: Durch die Lektüre der Speer-Biografie wurde ich in die Richtung von Goebbels’ Tagebüchern geschubst. Ich bestellte zwei der, keine Ahnung, 20 Bände in der Stabi vor, und erst danach fiel mir die Historicumsbibliothek ein, wo sie garantiert frei zugänglich im Regal stehen. Standen sie natürlich, also fuhr ich hin und stellte als eine Änderung mit dem neuen Plastikstudiausweis fest: Man muss ihn nicht mehr an der Pforte abgeben wie früher, wo man im Austausch dafür ein Nümmerchen bekommen hatte, damit die Pforte einen Überblick darüber hat, wieviele Menschen schon im Gebäude sind und ab wann sie die ganzen BWLer und Medizinerinnen abweisen darf, die gefälligst in ihren eigenen Bibliotheken lernen sollen. Ich durfte meinen Ausweis behalten und bekam statt der Nummer eine Parkscheibe, die ich schon aus der kunsthistorischen Bibliothek kenne: Damit markiert man seinen Platz, wenn man kurz Mittag macht, und wenn man einen Platz sucht und eine abgelaufene Parkscheibe findet, darf man sich dort hinsetzen. Musste ich noch nie, ich fange immer morgens an, arbeite, bis ich nicht mehr denken kann und gehe dann nach Hause, soweit es der Brotberuf erlaubt.

Da ich aber auf Feedback mittags wartete, hatte ich nur wenige Stunden. Die reichten aber auch, um bei den Tagebüchern schlechte Laune zu kriegen. Mein Sprachgefühl war nach der Lektüre für den Rest des Tages jedenfalls im Eimer. Konnte nur noch Telegrammstil schreiben. (Beispiel-Tweets.)

Zuhause wartete ich sinnlos, bis ich mich fürs Stadion feinmachen musste. Es war zu kalt für Hoodie und Trikot, aber zu warm für die dicke Winterwolljacke. Ich kombinierte total clever mein Hoodie mit einer Regenjacke darüber, die tollerweise eine irre große Innentasche hatte: Statt des schmalen Taschenbuchs fanden darin 900 Seiten Speer Platz. Auf die Thermotights unter der Jeans verzichtete ich, und das war der einzige Fehler: kalte Knie, wie immer. Rest war aber warm genug.

Ich fuhr ausnahmsweise alleine in Stadion, der Herr F. war letzte Woche unterwegs, was ich aber ganz nett finde, alleine zum Fuppes. Ich kann in meinem eigenen Tempo gehen und muss mich nicht dauernd innerlich dafür entschuldigen, langsamer zu sein als die anderen, ich kann die ganze Zeit lesen und muss im Zug nicht reden, ich kann einfach stumm alleine vor mich hinpuscheln. Mir fehlte allerdings ein Schluck Spezi auf der Hinfahrt; F. hat immer eine Weg-Spezi dabei. Eine ganze will ich nie trinken, aber ich vermisse inzwischen ernsthaft ein, zwei Schlückchen Spezi auf dem Weg nach Augschburg.

Es waren kaum Leverkusen-Fans unterwegs, auf der Hinfahrt sah ich keinen einzigen, aber bei einem Spiel am Freitagabend kann ich das sehr verstehen. Die Fahrt zum Stadion sowie der Fußweg waren ereignislos, der Einlass auch – ich hatte keine scheiß Handtasche dabei, konnte daher in die schnellen Schlangen, wo mein Buch zwar wieder eine hochgezogene Augenbraue verursachte, aber anstandslos durchgewunken wurde. Statt der üblichen Stadionwurst gab’s eine Portion Pommes, die ich als kaufreundlich empfand.

Als Nebenmann hatte ich dieses Mal einen Herrn in ungefähr meinem Alter, der 90 Minuten lang halblaut die Kurvengesänge mitsang und dauernd klatschte. Auf der anderen Seite, auf F.s Platz, saß die Ehefrau des Herren, der rechts von F. sitzt. Sie war erst das zweite Mal im Stadion dabei und fand alles toll. Bis auf das Endergebnis von 1:4, nehme ich an.

Das Spiel war fürchterlich, was aber nicht unbedingt daran lag, dass Augsburg so scheiße war, sondern Leverkusen so gut. Der FCA hat noch nie gegen LEV gewonnen, soweit ich weiß, und ich ahne langsam warum. Die SZ fasst gut zusammen:

„Augsburg ging früh in Führung, durch einen Kopfball von Kevin Danso nach einem Eckball in der 12. Minute. Doch schon bald darauf musste man an einen berühmten Dialog aus Tarantinos Pulp Fiction denken, obwohl es darin nicht um Fußball, sondern um die Bedeutung von Fußmassagen geht: “Es ist nicht dieselbe Liga, es ist noch nicht mal derselbe verdammte Sport”, sagt Samuel L. Jackson als Jules Winnfield zu John Travolta als Vincent Vega. Und war es wirklich derselbe Sport, den Augsburg und Leverkusen ausübten?

“Sie haben uns sehr früh unter Druck gesetzt, sehr gut unter Druck gesetzt”, sagte Augsburgs Torwart Gregor Kobel, “eine herausragende Truppe”, das müsse man einfach mal anerkennen. In Zahlen hatte Bayer 04 am Ende exakt 578 Pässe mehr gespielt als Augsburg, 91 Prozent der insgesamt 867 Pässe zum Mitspieler gebracht und 74 Prozent Ballbesitz gehabt. Der FCA kam manchmal gefühlte Minuten nicht an den Ball, Bayer 04 verteilte sich kurze Pässe spielend über das ganze Feld. Augsburgs Trainer Schmidt lobte: “champions-league-mäßig”.“

Ich kann Fußball immer noch nicht analytisch gucken, ganz egal, wieviele Taktikbücher ich noch lese (hier mein Favorit). Ich habe es mir zwar inzwischen angewöhnt, nicht mehr nur auf den Ball zu gucken, sondern das gesamte Feld zu erfassen, aber bei diesem Spiel ist mir vermutlich das gleiche passiert wie der Augsburger Verteidigung: Ich dachte mehrfach: „Huch, wo kommen denn da auf einmal drei Leverkusener her?“ Eben war der Strafraum noch leer, jetzt war der Gegner mit gefühlt 20 Mann da und das Spiel hätte locker noch schlimmer ausfallen können. Ich quengelte innerlich des Öfteren, wo denn die gerühmte Zweikampfstärke der Augsburger bliebe, aber die Jungs kamen gar nicht in diese Zweikämpfe, weil der Ball so schnell wieder weg war. Das war ein sehr ungewohntes Spiel, und ich musste irgendwann schlicht zugeben, dass am Freitag gegen diese Truppe nichts, absolut nichts auszurichten war.

Deswegen überlegte ich auch, etwas früher zu gehen, um den Zug um 22.45 nach München zu kriegen. Aber mir wurde von allen Fußballmenschen dieser Welt in den letzten Jahren eingebleut, dass man das nicht macht, man bleibt bis zum Ende, fertig, aus. Also blieb ich bis zum Ende, verpasste den Zug um fünf Minuten, fuhr daher bis zum Hauptbahnhof weiter und las noch ein Stündchen, bis ich um 23.41 endlich im warmen Regionalzug saß. Gegen ein Uhr war ich leicht verfroren und sehr müde wieder zuhause, fiel sofort ins Bett – und wurde um 3 mit Zahnschmerzen wach. Ich – habe – keine – Lust – mehr.

Ach, was mir während des Spiels noch auffiel: Erstmals – jedenfalls habe ich es zum ersten Mal mitgekriegt – wurde auf der Leinwand eingeblendet, wenn der Video-Schiedsrichter sich meldete. Sonst hatte man als Stadiongänger einfach immer die Arschkarte: Man sah, dass der Schiri die Hand am Ohr hatte, wusste aber nie, über welche Entscheidung gerade in Köln nachgedacht wurde. Dieses Mal wurde eingeblendet, worum es ging, und auch wie die Entscheidung ausfiel. Zwar erst, nachdem der Schiedsrichter schon angezeigt hatte, wie’s weitergeht, aber immerhin. Gute Sache.

Samstag morgen musste ich Zeug erledigen, was nicht ganz planmäßig klappte, ich war mal wieder genervt, ich hatte Zahnschmerzen, der Job ging mir auf den Keks, ich vermisste die Archivarbeit, die ich theoretisch die ganze Woche lang entspannt hätte machen können, ich war also innerlich ein unbefriedigtes Quengelkind und musste dazu auch noch durch die ganzen Tourist*innen navigieren, die gefühlt alle auf einmal am Samstag in der Stadt waren. Wie gut, dass hier überall Kirchen rumstehen, in denen man sich kurz eine Auszeit nehmen kann. Ich ging wie schon so oft in St. Michael, setzte mich in eine Bank und guckte auf den Hochaltar. Das Praktische an katholischen Kirchen ist ja, dass in ihnen SO VIEL ZEUG ist, dass der Kopf total beschäftigt wird und die innere Quengelnase nicht mehr zu Wort kommt. Ich blieb bestimmt 20 Minuten einfach nur sitzen und versuchte, an nichts anderes zu denken als „alles so schön gold hier“.

Dann setzte sich ein Touristenpärchen direkt hinter mich und probierte Tastentöne aus und ich flüchtete, immerhin halbwegs ausgequengelt. Meine Münze in der riesigen Spendendose machte irre viel Krach.

Den Rest des Wochenendes verbrachte ich quasi regungslos auf der Couch, sah Serien, las, schlief natürlich bei der Samstagskonferenz ein, wie sich’s gehört und war traurig über die gefühlt vertane Woche. Erst Sonntag nachmittag kam ich ein bisschen aus meinem Loch raus, denn ein neues Rezept für Zitronenschnecken mit Frischkäseglasur entpuppte sich als sehr schmackhaft. Noch nicht perfekt, aber schon sehr gut.

Und noch eine weitere Sache erfreute mich sehr, und es freut mich, dass sie auch auf Twitter so wohlwollend angenommen wurde: Eine Bibliothekarin des Deutschen Museums hatte hier im Blog gelesen, dass ich dort demnächst mal vorbeikommen wollte und bot mir einen Blick hinter die Kulissen an. Darauf bin ich schon sehr gespannt. Danke für das Angebot! Büchermenschen saving the day again!

Tagebuch Donnerstag, 25. April 2019 – Kein Beckmann für Gröner

Eigentlich wollte ich um 12 Uhr mal wieder in einem Hörsaal sitzen und mir eine Vorlesung zu Max Beckmann anhören – endlich eine Vorlesung, die die Zeit behandelt, in der ich mich mit der Diss bewege. Aber weil ich gestern im Blog so gequengelt habe, hat das Universum anscheinend zugehört und mir einen Zahnarzttermin genau zu dem Zeitpunkt verschafft, an dem ich vorhatte, die ganzen Senioren um mich herum zu ignorieren und mich auf Unikram zu freuen.

So saß ich stattdessen mal wieder im Zahnarztstuhl, stellte aber befriedigt fest, dass die Schiene jetzt passte und war erstmal glücklich. Durch das Rumdrücken und Zähneklappern, um zu gucken, ob an der Schiene noch was abgeschliffen werden muss, hatte ich aber danach wieder den ganzen Tag Schmerzen, und allmählich weiß ich auch nicht mehr, was ich noch machen soll. Der Zahn ist, wie bereits erwähnt, eh nur noch eine Ruine ohne Nerven und irgendwas, und eine ewig nicht abklingende Entzündung ist laut dem neuesten Röntgenbild auch so gut wie weg, daher weiß ich wirklich nicht, was da überhaupt noch weh tut.

Mir fiel erst gestern auf, dass das der gleiche Zahn ist, für den ich das einzige Mal in meinem Leben in eine nächtliche Zahnarztnotfallsprechstunde gefahren bin; der tat ewig weh und nachts dann so sehr, dass wirklich nichts mehr ging, so dass ich mir morgens um 3 die dickste Spritze ever habe geben lassen, so dass ich wenigstens ein bisschen und ohne weiterzuweinen schlafen konnte. Um 7 Uhr morgens stand ich dann bei meinem Hamburger Zahnarzt auf der Matte, der netterweise so früh Sprechstunde hatte, wo sich erstmal das Model am Empfang darüber beschwerte, dass ich keinen Termin hätte, aber ich war zu kaputtgeschossen, um Dinge nach ihr zu werfen. Der Zahn wurde aufgebohrt, der Nerv vernichtet, die Krone erneuert, die schon drüber war, und seitdem gibt er Ruhe.

Mein zweiter Zahnarzt in Hamburg stellte irgendwann eine Entzündung an den Wurzelenden fest, die noch da waren, er überwies mich zu einem Spezialisten, der sich angeblich damit auskannte, feinst verfieselte Wurzeln auszuputzen, damit da keine Entzündungsherde mehr drin sein könnten, ich lag knapp zwei Stunden mit dem Kopf nach unten bei miesester Musik und spürte dem eifrigen Herrn dabei zu, wie er sich darüber beschwerte, wie verfieselt meine Zahnwurzeln wären. Nach zwei Stunden gab er auf und meinte, der Zahn müsse raus, Zurücküberweisung zum Zahnarzt.

Aber da war ich dann bockig. Der Zahn tat nicht weh, überhaupt nicht, mit der damals neuen Schiene schon gar nicht – der wird nicht gezogen, basta. Mein Zahnarzt war nicht glücklich, meinte, man müsse die Entzündung beobachten, toll wäre das nicht, aber wenn ich nicht wollte, dann eben nicht. Ich wollte nicht, wir beobachteten, die Entzündung war jahrelang da (ich höre das medizinische Fachpersonal wimmern, das hier mitliest, keine Bange), ich zog nach München, vergaß drei Jahre lang, zum Zahnarzt zu gehen, mein schönes Bonusheft wurde wieder auf Null gestellt, dann suchte ich vor zwei Jahren, als sich mein Leben so langsam wieder beruhigte, den Arzt in meiner Nachbarschaft auf, an dessen Praxisschild ich beim Einkaufen immer vorbeikam, der Mann putzte ohne großes Tamtam die Wurzeln aus, füllte den Zahn auf, und seit dem Röntgenbild von vor zwei Wochen weiß ich, dass die Entzündung weg ist. Iss das, Hamburch!

Aber jetzt zickt halt irgendwas an dem toten Stumpf doch rum. Ich hoffe, meine schöne Schiene kriegt das wieder hin. Und wenn nicht, ist seine Stunde anscheinend doch mal gekommen. Seufz.

Bei einem Spontantermin muss man natürlich etwas im Wartezimmer rumsitzen, aber das war mir sehr recht, denn die Albert-Speer-Biografie von Magnus Brechtken liest sich ganz herrlich weg und aus den Fußnoten habe ich mir, wie immer, schon mehrere Bücher rausgesucht, die vielleicht für die Diss interessant wären. Speer hatte Anfang der 30er Kontakt mit Paul Ludwig Troost, den ich natürlich als Architekt des Hauses der Kunst kenne sowie der NS-Bauten am Königsplatz; in einer von denen befindet sich heute das ZI. Aber auf die Idee, eine Troost-Biografie anzulesen, um zu gucken, ob da vielleicht auch Protzen auftaucht, ist mir bisher noch nicht eingefallen; aus einem privaten Fotoalbum im Nachlass kenne ich Fotos, die Protzen bei der Grundsteinlegung des Hauses der Kunst 1933 gemacht hatte. Und vielleicht ist auch in den Goebbels-Tagebüchern, die Brechtken viel zu Rate zieht, was zum Autobahnbau zu finden.

Eine Formulierung, im Zitat von mir gefettet, kannte ich noch nicht, habe sie aber auf Anhieb als sehr passend gesehen:

„Wie so viele Nationalsozialisten, die Hitlers Kanzlerschaft euphorisch begrüßten, begann Speer seine Rolle im neuen Regime seit dem Januar 1933 rasch zu etablieren. […] sein Aufstieg war kein Selbstläufer. […] Dabei fällt auf, dass er in den ersten zwei Jahren primär als Agent in eigener Sache handelte, um sich zunächst einmal durchzusetzen. Zugleich verstand er sich als Teil der neuen Macht, die sich legitimiert sah, den Staat und dessen Mittel an sich zu reißen. Er agierte dabei wie ein expansiver Unternehmer, eroberte sich einen Marktanteil und sicherte sein eigenes Herrschaftsgebiet.

‚Leute wie Speer oder Heydrich akzeptierten nicht die Grenzen, die ihnen die Wirklichkeit setzte‘, hat Michael Wildt zu Recht betont, ‚sondern wollten sie mit noch radikaleren Mitteln durchbrechen, um ihre Ziele zu erreichen.‘ Speer war ein Prototyp dieser ‚Generation des Unbedingten‘, die im Nationalsozialismus hinter der Fassade uniformierter Bürgerlichkeit und akademischer Fachlichkeit ihre sozialdarwinistischen, Gefühle demonstrativ ablehnenden Einstellungen auslebte. Aufstiegswille, Machtbewusstsein und Bereicherungsabsicht liefen bei ihr regelmäßig ineins. Dass sich dies mit der nationalsozialistischen Rassenkampfideologie verband, ist kein Zufall, sondern entsprang einem Lebenskalkül.“

Magnus Brechtken: Albert Speer: Eine deutsche Karriere, München 2017, S. 45.

Da kann man jetzt durchaus Parallelen zu einer neueren Partei ziehen, aber das überlasse ich euch.

Als Stadionbuch ist Speer leider zu dick, das passt in keine Jackentasche. Da steckt stattdessen momentan ein Buch von Ruth Klüger, aus dem ich auch noch ein Zitat habe. Es geht um „Frauenromane“ des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts und ich musste sofort an Fontane denken, auch wenn der nicht in diese Kategorie fällt:

„Die Traditionsgebundenheit dieser Literatur ist dermaßen stark, dass sie überhaupt nur solche Leser ansprechen kann, die sich mit dem Status quo abfinden müssen oder glauben, es zu müssen. Sie trägt zur Anpassungsfähigkeit der Minderberechtigten bei, und nur in diesem Sinne handelt es sich um ‚Frauen‘-Romane. Denn ein vorurteilsloser Beobachter könnte doch wohl erwarten, dass diese Bücher das weibliche Leben mit liebevoller Sorgfalt und realistischen Einzelheiten beschreiben. Davon kann aber gar keine Rede sein. Vom Alltagsleben der Frauen wird nur sehr beschränkt gehandelt; Küche und Kinderzimmer, wo ja die Mehrzahl der Frauen ihre Lebensarbeit verrichten, sind nur selten der Schauplatz der Ereignisse. Schwangerschaften werden idealisiert oder ausgelassen; Kinder kommen in höchstens zwei Sätzen zur Welt, von denen anderthalb von der Aufregung des Vaters, ein weiterer halber von der Blässe der Mutter berichten. Einmal zur Welt gekommen, brauchen diese Wesen offenbar keine Windeln; denn die eigentliche Mühe der Kinderpflege wird ausgeklammert, während Männerarbeit stets betont wird. Menstruiert wird nie, nicht einmal andeutungsweise.“

Der Aufsatz ist bereits von 1974, heute dürfte das jede*r klar sein, aber ich mochte die Formulierung gerade zur Geburt so gern.

Ruth Klüger: Frauen lesen anders: Essays, München 2016, Erstauflage 1996, S. 12.