Am Mittwoch letzter Woche führte mich der Herr F. zum Essen aus, in Geisels Werneckhof, der zwei hübsche Michelinsternchen hat. Das war alles ganz großartig, aber ich wollte gar nicht darüber bloggen, sondern es noch ein bisschen für mich behalten. Inzwischen will ich drüber bloggen, wenn auch nur kurz, weil ich mir keine Notizen gemacht habe.
Als Reinkommer ein bisschen Spargel in verschiedenen Aggregatszuständen. Da ich immer noch Zahnschmerzen hatte, musste ich nach einem Biss auf den sehr knackigen Spargel erstmal eine Schmerztablette nachlegen, aber diese Reservierung wollten wir gnadenlos nicht verfallen lassen.
Saibling mit Karotte, Feldsalat und Pistazie. Die niedlichen Kaviarkügelchen waren zu einer Art salzigem Bonbon verschweißt, was sehr lustig im Mund war.
Langustine, knusprige Sepiadekoschnörkel, Salat aus Brunnenkresse, Wasabi und Hijiki, einer Algenart. Ich weiß nicht mehr, was die Tupfer auf dem Meeresgetier waren, aber das war toll. Was übrigens auch toll war, aber nicht im Bild ist: die Weinbegleitung. Meine war recht ordentlich, aber es war kein Wein dabei, bei dem ich dachte, oh wowza. Der Herr F. hatte aber eine Sake-Begleitung gewählt, was ich für ein cleveres Angebot halte bei dieser japanisch-irgendwas-Fusionküche. Ich nippte auch brav an jedem Glas, aber an Sake muss ich mich erst rantrinken.
Glattbutt, Jakobsmuschel, Archischockenpüree und -stroh, schön gleichzeitig cremig und knusprig, Miso Pil Pil. War für mich der unspektakulärste Gang, aber wir verglichen eh die ganze Zeit mit Filippou und Tantris und den anderen Läden, in denen wir sternig gegessen hatten. Filippou hat irre Spaß gemacht, überraschte, nervte auch manchmal im guten Sinn, aber das hier war eher Zen: alles schmeckte unglaublich ausbalanciert, und das bei gefühlt jeweils 20 Zutaten auf dem Teller. Wir waren beeindruckt.
Mein Lieblingsgang: Schweinebauch mit Morcheln und Apfel, in der herrlichen Sauce war Liebstöckelöl, und ein frischer Sansho-Pfeffer hielt alles zusammen. Den Teller wollte ich gar nicht wieder hergeben, fast wie das Lamm im Villino. Hier ließ ich dann auch jedes Benehmen fahren: Wo ich sonst Sauce mit dem stets auf dem Tisch stehenden Brot auftunkte, wollte ich hier nur Sauce. Also nahm ich die Finger, wozu sind die sonst da.
Ozaki-Wagyu mit keine Ahnung, ich schwieg nur ehrfürchtig vor mich hin. War. Das. Gut. Alleine für dieses winzige, feine, hocharomatische Stück Fleisch würde ich da nochmal hinwollen. Okay, will ich eh, aber dafür so richtig. Außerdem bewunderte ich zum wiederholten Male die perfekte Nocke, hier aus Graupen. Ich habe mir schon hundert YouTube-Tutorials angeguckt, ich kriege keine Nocke hin. Gebt mir noch 100 Liter Eis, irgendwann wird das was.
Im Bild oben links ist übrigens ein Schüsselchen mit Schnittlauchöl, das ich gerne fassweise hätte mitnehmen wollen. Damit versaute ich mir jeden Nachhall jeden Ganges, denn sobald die Teller wegwaren, stippte ich wieder Brot in das Öl, weil’s so lecker war. Ein Teufelszeug.
Apropos Eis: Das hier war aus Mandel und dann war da noch Rhabarber und der frische Shiso (das Grünzeug) und ich war verzückt. Und es ist in der Sterneküche immer alles so HÜBSCH, ICH WILL DAS EIGENTLICH NIE ESSEN, WEIL OH SO PRETTY! Aber dann esse ich’s doch, wär ja Verschwendung.
Ich glaube, das war F.s Liebling: Unter der kupferfarbenen Hülle verbarg sich ein Gebäck aus Hojicha, einem Grüntee. Ich hatte nach „Himbeer“ nicht mehr zugehört, weil Himbeer auch super ist.
Der Abend begann übrigens damit, dass man in die Küche geführt wurde, wovon ich völlig überfordert war. Ich hatte kaum Zeit, mich richtig umzugucken, aber das sah so aus, als würde da quasi niemand kochen. Meine Küche ist schon chaotisch, wenn ich mir nur einen Kaffee mache.
Und nach dem dritten Gang wurden wir dann nochmal in eine andere Ecke des Restaurants geführt, aber das verrate ich nicht, die Überraschung will ich denjenigen, die vielleicht noch hingehen, nicht verderben. Aber wenn man zurück an den Tisch kommt, an dem der Service mal wieder die Servietten neu gefaltet hat, wozu er sich übrigens Handschuhe anzieht, klebt auf der Menükarte ein Aufkleber, über den nicht nur ich mich gefreut habe, weil es so ein kleines, liebevolles Detail ist.
Zum Abschied wird einem in die Jacke geholfen, ist klar, und dann sagt jemand: „Tohru wartet dann draußen auf Sie“, also der Koch, und ich noch so innerlich, haha, guter Witz, als ob der Mann nichts Besseres zu tun hat, aber hat er anscheinend nicht. So konnte ich immerhin noch „Danke für den außergewöhnlichen Abend“ piepsen. Hab ich auch mal einem Zwei-Sterne-Koch die Hand gegeben.
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Donnerstag begann dann endlich das Semester für mich. Das hätte eigentlich schon vorletzte Woche angefangen, aber da musste ich ja zum Zahnarzt anstatt zur Kunstgeschichte.
Zunächst saß ich aber bei dem Mann in der Geschichtsvorlesung, dessen Speer-Biografie ich gerade begeistert lese. Herr Brechtken erzählte dem vollen Hörsaal etwas über die Problematik des Westens, auf alle anderen Erdteile zu gucken, begann damit, die politische Aufladung des Begriffs „Abendland“ aufzudröseln und kam irgendwie auf Max Weber und seine protestantische Ethik, Samuel Huntingtons Clash of Cultures und Francis Fukuyamas Ende der Geschichte.
Da ich ja nur aus Spaß in der Vorlesung sitze (wie im letzten Sommer bei den Eichhörnchen), kann ich entspannt zuhören und seinem Gedankengang folgen anstatt besinnungslos mitzuschreiben. Ich weiß, ich kann keinen Studi davon überzeugen, es anders zu machen, hätte ich vor dem Abschluss auch nicht, weil ich’s nicht geglaubt hätte und nachher habe ich mir DEN EINEN WICHTIGEN PUNKT für die Klausur nicht notiert, aber echt jetzt: Stift weglegen, zuhören, vielleicht ein paar Stichworte machen. Ist ernsthaft besser und man kriegt mehr mit. Zum Beispiel den schönen Schlenker zur Tagespolitik, denn der Untertitel der Vorlesung lautet „Vom Wert der Geschichte“, und Brechtken meinte, man könne jeden Morgen zwei beliebige Zeitungen aufschlagen und zwei Artikel rauspicken, an denen der Wert vom Wissen über die Historie sichtbar wird; letzten Donnerstag war es ein Artikel in der Welt, wo über das falsche Bild des Westens in islamischen Schulbüchern geklagt wurde (Bezahlschranke), und natürlich das Zeit-Interview mit Kevin Kühnert (auch Bezahlschranke, ihr Narren).
Nach der Vorlesung tat ich das, was ich schon seit diversen Semestern nicht mehr gemacht hatte: Ich stand im Gang am Fenster und löffelte einen Jogurt, weil ich in 30 Minuten die nächste Vorlesung hatte. Und wie ebenfalls vor diversen Semestern fand ich drei Tage später den Löffel im Rucksack, den ich natürlich vergessen hatte.
In der Beckmann-Vorlesung sprachen wir lange über die „Jungen Männer am Meer“, bitte selbst googeln, und ich sah erstmals eine Vorstudie dazu, die mir fast noch besser gefällt als das eigentliche Bild.
(1904 und damit hoffentlich gemeinfrei. Ich weiß inzwischen nicht mehr, was bei Abbildungen geht.)
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Freitag saßen F. und ich in einem Konzert im Herkulessaal der Residenz. Ich hatte den perfekten Mittelplatz im Balkon und dachte gerade noch so an ein Foto, bevor sich Menschen direkt vor mich in die erste Reihe setzten. Immer schön ans Interweb denken!
Das bayerische Symphonieorchester spielte unter der Leitung von Peter Eötvös drei Werke von eben diesem Herrn. Das erste ging völlig an mir vorbei (Zahnschmerzen), das zweite gefiel mir dann gut (Alle vittime senza nome, 2016). Im Programmheft las ich nachträglich, dass das eine Art Requiem war für die vielen Menschen, die sinnloserweise im Mittelmeer ertrinken auf ihrer Flucht nach Europa. Das habe ich zwar nicht gehört, aber ich kann jetzt die leisen, fast suchenden Satzenden verstehen.
Beim dritten Stück, dem stotternden Oratorium Halleluja – Oratorium balbulum von 2015, dachte ich die ganze Zeit nur: Hurz. Ernsthaft. Das überstieg absolut meine geistigen Fähigkeiten, meine musikalischen Kenntnisse oder auch nur meinen Humor, und so saß ich seit Langem mal wieder in einem klassischen Konzert und dachte nur, was für ein Quatsch. Ich fühlte mich zwar wie eine Kulturbanausin, aber come on: Eine Textzeile lautete „Die Fleischbrühe der Kultur …“ und weiter habe ich nicht zugehört, weil da sämtliche Texterhirnzellen die Jalousien knallend runtergelassen hatten. Immerhin war F. auch nicht ganz so begeistert, weswegen ich mich danach nur noch halb banausig fühlte, aber nee. Das war nicht meins. Muss es ja aber auch nicht sein.
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Samstag bastelte ich Ravioli und nahm mit den üblichen Mitstreitern unseren Podcast auf, Sonntag schauten F. und ich fassungslos und äußerst gelangweilt dem FCA zu, wie er bei Schalke ein schnarchiges 0:0 fabrizierte, woraufhin F., der eh bis 10 geschlafen hatte, gleich nochmal ins Bett ging, und ich zuhause den restlichen Nudelteig zu nochmal Ravioli verwandelte. Das Rezept dafür gab’s gestern.
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Montag war halb Arbeit für Geld, halb Arbeit für die Diss, ich puschelte rum und freute mich, nach drei Wochen mal wieder auf der rechten Seite kauen zu können. Vielleicht wird das doch alles wieder schmerzlos. Gleich mal die nächste Sterne-Reservierung angehen.
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In der gestrigen Masterchef-Australia-Folge fand die erste Elimination Challenge der Staffel statt. Drei Kandidatinnen mussten ein Dessert eines Spitzenkochs nachbauen, das ist das übliche Eliminationformat: angucken, probieren, nachkochen, so gut wie immer mit einem mehrseitigen Rezept. Beim Probieren passierte gestern etwas, was ich in der Sendung noch nicht gesehen hatte. Eine der Kandidatinnen ist Muslima, was im Einspielerfilm bildlich thematisiert wurde; sie hüllte sich in ein weites Gewand und betete, während sie im Offtext darüber sprach, wie sie sich auf Herausforderungen vorbereite. Und während die anderen beiden Kandidatinnen bei der Challenge mit ihren Gabeln in das präsentierte Dessert stocherten, holte einer der Juroren ohne großen Aufwand einen Extrateller unter dem Tisch hervor und meinte nur: „We’ve prepared one for you without alcohol.“ Es geht so einfach.
Ich kann sogar noch was anlegen: Dass gestern der Ramadan begonnen hatte, erfuhr ich vor allem auf Instagram. Dort folge ich ein paar Hashtags wie #germaninterior oder ähnlich, weil ich gerne anderer Leute aufgeräumte Wohnungen angucke, in denen malerisch dicke Decken auf Sofas drapiert werden oder kleinteiliger Dekoschnickschnack rumsteht. (Ich kann keine Tafeln, Leuchtkästen oder Tapeten mit englischen Sinnsprüchen mehr sehen!) Gestern sah ich dort diverse Küchen, in denen der Tisch schon gedeckt war, aber im Text meist sowas stand wie „Ich freue mich schon auf heute abend“, Hashtag #ramadan. Oder: Eine Mutter hatte ihren Kindern einen Ramadan-Kalender gebastelt, den ich noch gar nicht kannte. Wieder was gelernt.