Tagebuch Mittwoch bis Freitag, 13. bis 15. Januar – Traurig, aber mit Kuchen

Am Mittwoch kam Wehner, mein Weizensauerteig, zum ersten Mal zum Einsatz. Aus ihm wurde ein helles Weizenbrot, das ich zu flach produzierte, weil mir das Gärkörbchen einen Hauch aus der Hand rutschte, als ich den Inhalt in den brüllheißen Gusseisentopf kippen wollte. Daher musste ich noch ein bisschen am Topf ruckeln, um das Brot vom Rand wegzukriegen, womit ich vermutlich jede Luft aus ihm rausdrosch. Es schmeckt aber sehr gut. Noch nicht ganz so, wie ich es haben möchte, aber es war nicht klietschig und hatte eine schöne Porung.

Mittwoch und Donnerstag waren aber ansonsten eher unproduktive Tage, weil mich ein bisschen Traurigkeit ereilte und die Coronapanik wieder hochkroch. Und weil alle Bibliotheken geschlossen sind, konnte ich nirgends hin als auf mein Sofa oder mal für einen kleinen Spaziergang vor die Tür, aber das half beides nicht so richtig. Also tat ich das, was ich auf Twitter gelernt hatte in den letzten Monaten: Sei nicht so hart zu dir, die Zeiten sind beschissen, nimm dir nen Keks. Das war in meinem Fall Schokolade, immerhin die funktioniert.

Gestern brachte F. zur Date Night eine kleine Selektion eines Münchner Betriebs vorbei: Truly Craft Chocolate nutzt nur Kakaobohnen und Zucker für ihre Köstlichkeiten. Wir probierten jeder ein Stück von vier Tafeln und das war alles hervorragend. Mein Favorit, was mich etwas überraschte, war ausgerechnet die Tafel mit dem höchsten Kakaogehalt: Sie schmolz ewig vor sich hin, beeindruckte mich zuerst mit einem tiefen Kakaogeschmack wie vom entölten Backkakao, den ich in Marmorkuchen werfe, aber ohne so fies staubig zu sein. Es ist etwas albern zu sagen, dass man den Kakao deutlich schmecken konnte, aber ich habe schon genug Vollmilchmassenschokolade gegessen, um zu wissen, dass der eben manchmal nicht durchkommt, sondern die Tafel einfach nur süß und angenehm schmeckt. Was für mich sehr lange okay war, aber eben nicht so, wie Schokolade eigentlich schmecken kann.

Gestern heiterte mich auch ein bisschen Backen auf. Ich schleiche seit Jahren um das Blog La Pâticesse herum, von dem ich noch nie etwas nachgebacken habe, weil sowohl Fotos als auch die ganzen Arbeitsschritte mich Hobbybäckerin total einschüchtern. Ich ahne, dass es wieder eine alte Masterchef-Folge war, die bei mir den dringenden Wunsch erzeugte, mich mal an Frangipane zu versuchen, auch um meine neuen Tarteletteförmchen einzuweihen. Beim wilden Rumgoogeln stieß ich auf diverse Rezepte, die alle supersimpel klangen – und wunderte mich, dass zum Beispiel dieses hier bei La Pâticesse deutlich mehr Aufwand wollte. Gestern war aber ein Tag, an dem ich Lust auf mehr Aufwand hatte, und so fertigte ich erstmals keinen simplen Mürbeteig, sondern total schick klingenden Pâte sablée an und danach eine Crème pâtissière sowie eine Crème d’amande, aus denen zusammen dann Frangipane wurde.

Für unsere Date Night hatte ich mir Soul Food gewünscht, also gab es Buttermilk Fried Chicken und Ofenkartoffel mit Sour Cream – und danach auf dem Goldrandtellchen mit der Silbergabel jeweils ein Tartelett mit Frangipane und Apfelspalten. Dazu Bier. Stay classy!


Natürlich beim Knipsen aus der Hüfte ausgerechnet den nicht ganz perfekten Rand nach vorne gedreht, ist klar. Der Teig war feiner als mein üblicher Keksteig, die Franginape mild und zart und überhaupt bin ich schwer begeistert. Alleine so seltsame Dinge zu tun, wie mit dem Teigschaber Butter weicher zu kriegen, aka sie zu Beurre pommade zu verarbeiten, hat mir sehr viel Freude gemacht. Lenkte halt auch gut ab.

Nachmittags war ich als Gast zu einem Podcast eingeladen, der noch nicht online ist. Also noch keine einzige Folge, daher kann ich hier nichts verlinken. Das war aber ein sehr schönes Gespräch, auch weil es mir einige Dinge klarmachte, über die ich gar nicht mehr nachdenke. Es ging um meine Entscheidung, in etwas gesetzterem Alter (ok boomer) noch einmal zu studieren. Momentan hadere ich an schlechten Tagen mal wieder mit dieser Entscheidung, muss mir aber immer wieder eingestehen, dass die letzten acht Jahre, trotz aller Schmerzen und Widrigkeiten mit die besten meines Lebens waren. Auf Trennung, Umzug und finanzielle Schwierigkeiten hätte ich gerne verzichtet, aber andererseits habe ich so viel mitgenommen aus der Zeit an der Uni bzw. während der Promotion und generell der Zeit in München, was immer überwiegt.

Im Gespräch wurde mir klar, dass ich schon einmal einen großen Sprung ins Ungewisse gewagt hatte, der im Prinzip gut gegangen ist – warum sollte das nicht noch einmal klappen? Und: Ich habe nun Fähigkeiten, die ich vor acht Jahren noch nicht hatte (und drei Uniabschlüsse), das kann ja wohl verdammt nochmal nichts Schlechtes sein. Es kam auch die Frage auf, wie ich mich zu diesem Sprung entschieden habe, ob ich ewig abgewogen oder Pro-Contra-Listen geschrieben hätte. Dabei wurde mir klar, dass ich eigentlich nur zwischen „Never touch a running system“ und „Ach, fuck it“ abgewogen hatte, und das fand ich im Nachhinein ganz spannend zu sehen – dass die ganzen möglichen Zwischentöne in meinem Kopf gar nicht da waren. Ich weiß noch nicht, was ich mit dieser Erkenntnis mache, aber vielleicht rettet sie mich an kommenden miesen Tagen, an denen ich mal über Zwischentöne nachdenken sollte und nicht über entweder „Ich werde unter einer Brücke schlafen müssen“ oder „Ich revolutioniere die Kunstgeschichtsschreibung, haue ein populärwissenschaftliches Werk nach dem anderen raus und wohne in einer Villa“.

Apropos Podcast: Holgi erzählt bei Wrint eine gute halbe Stunde lang, wie es ihm mit seiner Corona-Infektion ging, von der er immer noch nicht weiß, wo er sie sich eingefangen haben könnte.

Trump’s last days and the echo of one specific Hitler analogy

Die Washington Post fragt sich, ob man den Sturm aufs Kapitol mit dem Hitlerputsch 1923 vergleich kann. Pointe: Man sollte zumindest das ganze rechte Potenzial in der Bevölkerung im Auge behalten. Weil das ja in Deutschland auch so super geklappt hat und bis heute super klappt. Gnarf.

„The Beer Hall Putsch, as the episode would be remembered, was a failure. Hitler did not receive the local backing from politicians and security forces he expected. Sixteen Nazis were gunned down in the streets in clashes with police officers, four of whom were killed. Hitler slunk out of town and was later arrested and tried for treason. But his punishment ended up being lenient — he spent a few months in prison before being released with a pardon — and he emerged from the botched putsch as a more popular national figure. Within a decade, he would install the Third Reich.

Some observers of what happened this past week in Washington note potential echoes of the Beer Hall Putsch — not in the risk that Trump is about to turn into a genocidal monster, but in that there may not be meaningful consequences for the lies and subversion of democratic order that Trump appears to have encouraged.“

Die beim Putsch getöteten Nazis wurden übrigens zur Zeit des „Dritten Reichs“ in die sogenannten, neu erbauten Ehrentempel am Königsplatz überführt. Die wurden 1947 von der US-Armee gesprengt, jedenfalls die Bauten auf den Sockeln. Diese waren schlicht zu massiv und die Armee hatte noch was Anderes zu tun. Sie stehen bis heute, direkt vor dem NS-Dokuzentrum sowie dem ehemaligen NS-Verwaltungsgebäude, in dem sich das Zentralinstitut für Kunstgeschichte befindet. Dieser Sockel ist weiterhin von Grün überwuchert, der vor dem Dokuzentrum wurde für die Eröffnung desselben halbwegs wieder sichtbar gemacht. Ein, wie ich finde, sehr eindrucksvolles Relikt, gerade in seinen unterschiedlichen Zuständen.

Die Toten wurden erneut umgebettet, kann man bei Interesse ergoogeln, auf welchen Friedhöfen die alten Nazis liegen.

Das ist jetzt ein very Munich Schluss für diesen Blogeintrag.

Crêpes Suzette

Meine Orangen mussten weg. Wie praktisch, dass ich gerade bei einer alten Masterchef-Folge Crêpes Suzette gesehen und darauf totale Lust hatte. Das Rezept kommt, wie so ziemlich alle französischen Klassiker, von Aurélie. Aus dem Blog habe ich, soweit ich mich erinnere, noch nie was Schlechtes nachgekocht. Merci!


(Ja, das Foto ist mies, ich weiß. Wenn ich koche, will ich danach essen, nicht knipsen. Jedes gute Foto hier im Blog ist ein Glücksfall.)

Für drei Crêpes, also eine Portion. Ähem.

80 g Mehl, Type 405, mit
1 TL Vanillezucker und
1 Prise Salz mischen.
1 Ei sowie
130 bis 150 ml Vollmilch dazugeben und mit einem Schneebesen zu einem glatten, eher dünnflüssigen Teig rühren. Den Teig für eine kurze Zeit stehen lassen, ich lasse ihn nur so lange in Ruhe, bis die Sauce auf dem Herd ist. Die kommt jetzt.

1 Orange ein wenig abreiben, danach filetieren, die Filets mit den Zesten zur Seite stellen.
2 weitere Orangen auspressen, den Saft aufheben.

In einer Pfanne
1 EL Butter schmelzen,
5 EL Zucker dazugeben sowie den Orangensaft. Alles aufkochen und sirupartig eindicken lassen.

Währenddessen in einer beschichteten Pfanne in wenig Butter die drei Crêpes ausbacken. Zu Vierteln zusammenklappen, kurz in der Siruppfanne durchschwenken.

5 EL Grand Marnier oder Cointreau dazugeben und flambieren, so dass der Alkohol verkocht. Die Filets mit den Zesten nur kurz vor Schluss dazugeben, sie sollten nicht kochen, sonst zerfallen sie.

Nun die Herrlichkeit auf einen (oder na gut, zwei) vorgewärmte/n Teller geben und schmecken lassen. Wer will, kann auch jetzt noch eine Runde flambieren, ich mache das lieber früher in der Pfanne.

Rote-Bete-Meerrettich-Terrine

Das Rezept will ich seit Wochen aufschreiben; wir hatten es im Rahmen des Menüs am Heiligabend und ich habe die Reste noch tagelang auf Brot gegessen. Das Rezept stammt aus der essen & trinken, ich habe es ein wenig vereinfacht und vor allem halbiert, weil wir nur zu zweit waren. Das sind die Mengen, die unten stehen. Wer für eine größere Runde kocht und unbedingt noch mit Pumpernickel rumspielen will, klickt bitte rüber.

Für eine Springform mit 18 bis 20 Zentimeter Durchmesser, die Terrine im Bild wurde in einer 18-Zentimeter-Form zubereitet. Diese leicht anfeuchten und dann mit Klarsichtfolie auslegen.

250 g rote Bete in Salzwasser weichkochen, pellen, in Stücke schneiden und warm weiter verarbeiten. Ich habe gleich vorgekochte Bete genommen und sie kalt verarbeitet.

Eine Marinade herstellen aus
3 EL Weißweinessig,
2 EL Zitronensaft,
3 EL Haselnussöl, mit
Salz, Zucker und Cayennepfeffer kräftig abschmecken. Die Beten-Stücke für mindestens 20 Minuten marinieren lassen. Danach mit der Marinade (!) im Mixer sehr fein pürieren.

2 Blatt weiße Gelatine in kaltem Wasser für einige Minuten einweichen.
1 EL Portwein lauwarm erwärmen und die ausgedrückte Gelatine darin unter Rühren auflösen. Gelatine unter die rote Bete mixen, in die Form gießen und mindestens 2 Stunden kalt stellen, bis alles geliert ist.

Für die Meerrettich-Mousse
3 EL scharfen Meerrettich aus dem Glas mit
75 g Crème fraîche und
75 g saurer Sahne verrühren.

100 ml Sahne steif schlagen.

3 Blatt weiße Gelatine für einige Minuten in kaltem Wasser einweichen,
1 EL Portwein lauwarm erwärmen und die ausgedrückte Gelatine darin unter Rühren auflösen. Sofort mit einem Schneebesen unter die Meerrettichmasse rühren, dann mit einem Teigschaber die Sahne unterheben.

Meerrettich-Mousse auf die gelierte Rote-Bete-Mousse geben und die Oberfläche glatt streichen. Mindestens 4 Stunden kalt stellen. Aus der Form heben bzw. den Ring der Form entfernen und die Terrine in sechs bis acht Stücke teilen.

Bei uns gab es noch Blattsalat mit einem Senfdressing dazu sowie angeröstete Kürbiskerne. Und wie gesagt, nach dem Festessen ist das ganze ein hervorragender Brotaufstrich. Man kann die Terrine schon einen Tag im Voraus zubereiten, dann kriecht das Rot der Bete langsam in die Meerrettichschicht. Je länger die Terrine steht, desto pinkfarbener wird sie.

Tagebuch Dienstag, 12. Januar 2021 – War ja klar

Ich blogge nie wieder triumphierend darüber, wie lange meine Tage schon nicht mehr da waren.

Tage sind da. Immerhin weiß ich jetzt, warum ich in der letzten Woche gefühlt eine Kuh hätte essen wollen, aus der dann Fenchelsalami und Wacholderschinken vom Lieblingsmetzger wurden. Der Eisenverlust, Sie wissen schon.

Schreibtischtag, wie vermutlich den ganzen Januar, das ist jedenfalls meine innere Deadline. Der Doktorvater hätte gerne Februar, März die überarbeitete Fassung, ich will das Ding schon früher vom Tisch haben, jedenfalls den Text, auch um bei Verlagen Angebote für den Druck einholen zu können. Für einige Bilder müsste ich nochmal nach Nürnberg, aber wann das Kunstarchiv wieder öffnet, steht in den Sternen. Ins Staatsarchiv Nürnberg würde ich auch gerne mal, da war ich noch nicht, das wurde bis September 2020 umgebaut und bis dahin hatte ich die Diss abgegeben. Da liegen aber noch Unterlagen zur Bundesautobahn, für die Protzen auch gearbeitet hat, und darüber weiß ich außer einem einzigen Schreiben in seinem Nachlass nichts. Deshalb würde ich da gerne mal wühlen; momentan suche ich noch online in den Findmitteln rum, aber es hat nicht oberste Priorität.

Biografie und Werkübersicht gefielen nach einer Nacht, in der die Texte rumliegen durften, ich kürzte noch ein wenig, da geht aber vermutlich noch was. Gestern saß ich an den Kapiteln zu den Künstlergenossenschaften und -vereinen sowie dem Beginn des langen, laaaangen Autobahnkapitels. Die neue Struktur scheint zu funktionieren, aber so ganz traue ich der Sache immer noch nicht. Wir basteln weiter.

Abends saß ich vor dem Rechner und sah Prof. Dr. Monika Betzler bei ihrem Vortrag im Rahmen der Corona Lectures der LMU zu, sie sprach über „Fake News“ und Verschwörungstheorien in Zeiten von COVID-19. Der Vortrag ist in einigen Tagen online. So lange könnt ihr bei Armin Nassehi reinschauen, der vor einigen Wochen sprach.

Ich lese weiterhin alles, was zum Sturm aufs Kapitol zu lesen ist, auch wenn es sehr schlechte Laune macht. Bei der NYT steht eine minutengenaue Rekonstruktion der Ereignisse, die ich sehr erhellend fand, auch weil sie einige Fotos und Videos einordnet, die seit Tagen durch die Timelines geistern.

Tagebuch Montag, 11. Januar 2021 – Mit der kleinen Machete

Schreibtischtag. Die neue Anordnung der Diss steht und funktioniert bis jetzt gut. Anstatt wie bisher chronologisch vorzugehen, gibt es jetzt Themenblöcke – das war auch die Anordnung, mit der ich den Schreibprozess begann, bis ich der Meinung war, dass ich chronologisch mehr aufarbeiten könne. Mit dem nötigen Abstand zu Arbeit und Subjekt ahne ich aber nun, dass vieles von dem, was ich äußerst spannend fand, sehr wahrscheinlich nur für mich, die Suchende, spannend war und nicht für diejenige, die später mal mein Buch aus dem Bibliotheksregal ziehen soll. Das Inhaltsverzeichnis, was quasi aus einer Ausstellung nach der anderen bestand, hat mich bis zum Schluss genervt in seiner Aussagelosigkeit, aber mir fiel schlicht nichts Besseres ein. Jetzt schon, weil ich inzwischen gewillt bin, von einem Großteil meiner Arbeit wieder Abschied zu nehmen, es hilft ja nichts.

Daher ging ich gestern weiter mit der kleinen Machete durch meine Zeilen (die große kommt noch), schrieb einen biografischen Teil und eine Werkübersicht und werde daran heute weiterarbeiten, mal sehen, wie die beiden die Nacht überstanden haben in ihrem Buchstabenbiwak.

Zum Mittag gab’s mal wieder Pasta. Durch das Leeressen der Tiefkühlfächer fiel mir dauernd die Tüte mit den TK-Erbsen in die Hand, die nie alle werden darf, und daher warf ich gestern Speck in die Pfanne (aka Bacon), machte aus den Erbsen Püree und gönnte mir die guten Orecchiette (hier genauer notiert).

Abends Sport gemacht, gelesen, „Cobra Kai“ geguckt, das übliche. Beim Crossword erst zwei Worte vor Schluss den Autocheck angemacht, mit dem man bei der Eingabe sieht, ob der Buchstabe stimmt. Das hat noch nie geklappt, dass ich das ganze Rätsel ohne Autocheck löse, aber so kurz vor Schluss war eine Premiere. Dafür gnadenlos bei der Spelling Bee versagt, nicht mal das Pangram gefunden (das ist das Wort, in dem alle angebotenen Buchstaben vorkommen). Ach, und die Arte-Sendung über Entnazifizierung geschaut, die ich gestern schon im Blog empfohlen hatte. Mir wurde der DDR-Sozialismus viel zu sehr in die Ecke der Nationalsozialisten gerückt und natürlich bleibt die Sendung sehr an der Oberfläche, aber ich fand sie trotzdem sehenswert.

Ein moralisches Komplettversagen – Über die Rezeption von Leni Riefenstahl

Christina Dongowski rezensiert auf 54books Nina Gladitz’ Monografie über Leni Riefenstahl, Leni Riefenstahl: Karriere einer Täterin, und beschwert sich zu Recht über die sehr milde Berichterstattung der Bundesrepublik über die Regisseurin. Ich hatte schon mehrere Rezensionen über das Buch gelesen und bin mir immer noch nicht sicher, ob ich es dringend lesen möchte, weil mir schon die Leseprobe zu wenig Distanz zum Subjekt hat. Aber vielleicht ist sie genau deshalb lesenswert.

Mir hat an der Rezension gefallen, dass sich Dongowski generell mit der Auseinandersetzung mit NS-Täter:innen befasst, was für mich selbst auch nicht ganz unwichtig ist. Ich musste mir jedenfalls im Text des Öfteren an die Nase fassen.

„Gladitz macht die Funktion etlicher, scheinbar rein ästhetischer Argumente für die Verwischung und Normalisierung von Täterschaft im Kulturbetrieb der Nazi-Zeit und danach explizit zu einem der zentralen Themen des Buches. Diskutiert wurde die Biographie in den Feuilletons so aber nicht. Die Reaktion auf das Buch war trotzdem in gewissem Sinne einschlägig, hat es doch zu erstaunlichen (sozial)medialen Erkenntnisschüben geführt: Die Lieblingsregisseurin Adolf Hitlers und Regisseurin der wichtigsten und erfolgreichsten NSDAP-Propagandafilme war eine Nazi-Täterin. No shit, Sherlock! könnte man meinen. Bloß gehört die schlichte Erkenntnis, dass Leute, die freiwillig Nazi-Kunst machen, auch Nazis sind, eben noch immer nicht zu den Basics deutscher Debatten. Genauso wenig verbreitet ist das Wissen, dass man Menschen in Lager sperren und sie dort ermorden (lassen) und gleichzeitig Künstler:innen oder unglaublich belesen und gebildet sein kann. Mit dem Kunst-Bonus kommt der Persilschein. Immer noch. […]

Für die Karriere Riefenstahls als Lieblingskulturnazi des BRD- und später gesamtdeutschen Feuilletons war das Bekanntwerden ihres persönlichen Beitrags zum Porajmos, nun auch gerichtsfest, komplett folgenlos. Ihre 1987 bei Knaus erschienenen Memoiren wurden ein Bestseller und sind eine Meisterleistung des Herumdoktorns an der eigenen und der kollektiven Erinnerung und an der historischen Wahrheit. Auch international: Liberale und konservative französische, amerikanische und britische Kulturbetriebsmitglieder konnten ihre Faszination für den Faschismus und für seine elitäre, alles Gewöhnliche, Normale, Alltägliche, Kleinteilige, Hinfällige und Diffuse verachtende und ausmerzende Ästhetik ausleben. In verschämt-intellektuellen Essays wurde über die doch irgendwie Avantgarde-gewesen-seiende Riefenstahlsche Kamera- und Schnitttechnik geschrieben und sich dafür auf Walter Benjamin und Susan Sontag berufen. In Grafik, Photographie und Kunst wurde sich Riefenstahls Ästhetik bis hin zu konkreten Bildfindungen für die eigenen werblichen oder popkulturellen Bemühungen einfach direkt angeeignet. Peter Savilles Cover für Flesh + Blood von Roxy Music, bereits 1980 erschienen, kann wenigstens für sich in Anspruch nehmen, ein echtes Zeichen der Zeit gewesen zu sein: Der Canary in the Coal Mine, der anzeigt, dass die queeren, gender-fluiden, kollektiv-ekstatischen 70er vorbei sind und ab jetzt das Kraft durch Freude-gestählte, sich permanent selbst-optimierende Individuum der kapitalistische Leistungsgesellschaft gefragt sein wird. Die Endmoränen dieser Verpoppung der Ästhetik für einen Staat von Massenmörder:innen lassen sich in der Klamauk-Version der Blut-Boden-Brauchtum-Sitte-Ästhetik bewundern, mit denen heute Rammstein und andere Maskulinitäts-Performance-Künstler und Deutsch-Humor-Künstler:innen Fans und Feuilleton regalieren. Aber, natürlich!, „ironisch“!“

Six hours of paralysis: Inside Trump’s failure to act after a mob stormed the Capitol

Keine Einleitung nötig. (Evtl. €)

„Hiding from the rioters in a secret location away from the Capitol, House Minority Leader Kevin McCarthy (R-Calif.) appealed to Jared Kushner, President Trump’s son-in-law and senior adviser. Sen. Lindsey O. Graham (R-S.C.) phoned Ivanka Trump, the president’s daughter. And Kellyanne Conway, a longtime Trump confidante and former White House senior adviser, called an aide who she knew was standing at the president’s side.

But as senators and House members trapped inside the U.S. Capitol on Wednesday begged for immediate help during the siege, they struggled to get through to the president, who — safely ensconced in the West Wing — was too busy watching fiery TV images of the crisis unfolding around them to act or even bother to hear their pleas.

“He was hard to reach, and you know why? Because it was live TV,” said one close Trump adviser. “If it’s TiVo, he just hits pause and takes the calls. If it’s live TV, he watches it, and he was just watching it all unfold.”“

The Attack on the Capitol Was Even Worse Than It Looked

Der TV-Kritiker der NYT über den Sturm auf das Kapitol, zu dem immer mehr Videos auftauchen. (Evtl. €) Aus bildwissenschaftlicher Sicht nicht uninteressant, dass eben nicht die ersten, unmittelbaren Bilder die bleiben, an die wir uns möglicherweise noch länger erinnern, sondern die, die erst später auftauchen.

„Wednesday’s insurrection was one of the rare live-TV atrocities that grew only more sickening, more terrifying, more infuriating as more days passed. What we remember of the 9/11 attacks, for instance, is largely what we saw in the first few hours: the planes hitting, the towers collapsing, the pedestrians fleeing. Terror attacks, mass shootings — the shock hits us up front, and then we process it.

But last Wednesday seemed to last for days. New smartphone videos of violence came out one by one. The horror came in waves, the attack revealed with every image as more bloodthirsty and deplorable.

Watching the stunning coverage on Wednesday, I kept noticing all the flags waving in the crowd. In a video that aired on CNN this weekend, the flag becomes a weapon. An assailant outside an entrance beats a prostrate police officer with the pole of an American flag while others hurl them at defenders like javelins, the kind of too-perfect metaphor that only reality can get away with.“

Tagebuch Samstag/Sonntag, 9./10. Januar 2021 – Häuslichkeit und Sportlichkeit

Ich pendelte das Wochenende zwischen Schreibtisch, Sofa, Küche und Yogamatte hin und her, wobei der Schreibtisch nur ein kleines Zeitfenster bekam, die Konzentration wollte nicht so recht. Das neue Jahr hat angefangen, hier in Bayern ist quasi ab heute die erste richtige Arbeitswoche ohne Feiertag, und so hatte sich auch mein Gehirn darauf eingestellt, erst ab heute so richtig zu arbeiten. Als ob ich sonst eher unrichtig arbeite, aber gut, kleiner Klumpen, wenn du meinst. Daher war Wochenende eben Wochenende.

Ich las, löste das Crossword der NYT und die Spelling Bee, was ich halt so täglich mache, guckte ein paar Folgen „Cobra Kai“, las alles, was ich zum Thema Sturm aufs Capitol lesen konnte, aß zwischendurch weiter Reste aus der Tiefkühltruhe, was zu launigen Kombis wie Leipziger Allerlei mit Nürnberger Rostbratwürstchen führte, aber jetzt ist alles weg, was noch an Herzhaftem und Selbstgekochtem angebrochen oder in Kleinteilen eingefroren war. Nun bevölkern nur noch Eiswürfel, ein paar Stückchen Kuchen, die stets vorhandene Packung TK-Erbsen, tütenweise selbstgebackene Burger Buns und Croissants, ein paar Magnum Pfefferminz und die Notfall-Gustavo-Gusto-Pizza für Tage, an denen selbst eine Stunde Hefeteig gehen zu lassen, zu lange dauern würde, meine Kühlfächer. Und das Tütchen eingefrorener Ingwer in portionsgroßen Stückchen, die ich in Dinge reinreibe.

Die Sporteinheit vom Samstag waren die üblichen Bauchmuskelübungen, die ich dieses Mal anscheinend weniger hektisch erledigte, sondern langsam und aufmerksamer. Ich kam mir danach vor, als hätte ich Yoga gemacht, wenn ich wüsste, wie sich Yoga anfühlt; die wenigen Male, die ich es vor YouTube oder anderen Websites ausprobiert habe, dürften nicht ganz so zählen, weil ich eher damit beschäftigt war, Körperteile zu sortieren als mich tief zu versenken. Aber so fühlte es sich Samstag an, das war schön.

Gestern merkte ich, dass ich meinen Arm immer länger machen muss, um mit Brille Bücher lesen zu können, was mich extrem nervt. Ich erwarb ja im vorletzten Jahr nach über 15 Jahren eine neue Brille und damals hatte die Optikerin mir schon gesagt, eine Gleitsichtbrille wäre überlegenswert, was ich Jungspund natürlich weit von mir gewiesen hatte. (Gleichzeitig gucke ich Jungspund auf meine Zyklus-App und freue mich über inzwischen 160 Tage ohne das verdammte Rumgeblute, ich innerliche 25-Jährige, ich.) Also suchte ich gestern meine alte Brille, um zu überprüfen, ob ich mit der noch lesen könnte ohne Armschmerzen zu bekommen – fand sie aber nicht an dem Platz, an dem ich sie vermutete. Da lag immerhin meine vorletzte Brille, die ich natürlich auch gleich mal aufsetzte, um festzustellen, dass die noch ziemlich gut funktionierte. Seltsam.

Danach verbrachte ich eine knappe Stunde damit, meine Brille zu suchen, dachte mir dann, ach, egal, back halt Kuchen, der macht gute Laune und du kannst innerlich weiter darüber grübeln, wo du das Etui wohl hingetan haben könntest. Ich testete ein neues Rezept, das mir das Internet als „the best ever“ angepriesen hatte – und fluchte vermutlich selten so bei einem simplen Rührteig wie hier, weil sich der Teig in Einzelschritten und Verarbeitungsqualität als total nervig entpuppte. Extrem pissig warf ich die gefüllte Form in den Ofen und zog mir die Sportklamotten an, um meine Aggressionen loszuwerden. Gestern war die fiese Cardio-Einheit dran, bei der ich nach fünf Minuten nach Luft schnappe, aber das war genau das richtige. Als ich kurz vor dem Cooldown an meinen Therabändern zerrte und meine Oberarme wimmerten wie schon der Rest des Körpers, fiel mir noch eine abwegige Stelle ein, an der das Etui sein könnte; die nicht-abwegigen Stellen hatte ich natürlich alle abgeklappert.

Als ich im Sommer an der Nähmaschine saß, fiel mir auch dort schon auf, dass es mir mit der neuen Brille schwer fällt, einen Faden durch eine Nadel zu bekommen, das ging ohne Brille am besten. Der Wechsel zwischen Brille und keiner Brille nervte mich so sehr, dass ich meine alte Brille wieder hervorkramte, mit der das noch ging. Und daher legte ich das Etui in mein Nähkästchen, damit ich sie dort immer griffbereit hatte, wo ich sie gestern auch fand. Jetzt liegt das Etui wieder neben dem mit meiner vorletzten Brille. Falls ich es wieder vergesse, kann ich jetzt das Internet fragen.

Und dann war der Kuchen auch nur so halb okay, aber das war egal, ich war ausgepowert und hatte Netflix.

Entnazifizierung. Eine Geschichte vom Scheitern

50 Minuten auf arte, habe ich selbst noch nicht gesehen, aber ich lasse das mal hier.

The Nazi art dealer who supplied Hermann Göring and operated in a shadowy art underworld after the war

Ein neues Buch über Bruno Lohse. In der Rezension wird die Problematik erwähnt, über Täter der NS-Zeit zu schreiben, was für mich nicht ganz uninteressant war.

Don’t be fooled by the aesthetics

Eine meiner Lieblingskünstlerinnen, Henrike Naumann, schreibt auf Instagram über die lächerlichen Outfits und Verkleidungen der rechten Szene – siehe den Herrn mit den Hörnern auf dem Kopf im Senat. Ich zitiere: „What I have realized is that it is difficult to convince people of the danger of people and movements, when their looks and self-staging seem weird, funny and laughable.“

Hier noch ein, zwei weitere Installationsansichten.

Links am Sonntag, 10. Januar 2021

Zwei längere Artikel aus der Times und der Post, die ich beide abonniert habe; sie könnten hinter einer Paywall sein. Trotzdem Empfehlungen.

Die Post schreibt genauer über die Ereignisse im Kapitol, wie und wo genau die viel zu wenigen Polizeikräfte überrannt wurden und wie knapp einige Menschen dem Mob entgingen – es waren teilweise nur Sekunden. Der Artikel setzt die Attacke in den Kontext der Ereignisse, die diesem Tag vorausgingen.

Inside the Capitol siege: How barricaded lawmakers and aides sounded urgent pleas for help as police lost control

„The growing crowds outside the Capitol on Wednesday afternoon sounded menacing but at bay as senators began to debate challenges to the electoral college vote. A top adviser to Majority Leader Mitch McConnell stepped out of the ornate chamber for a short break. Alone in the Capitol’s marble halls, just outside the chamber’s bronze doors, it was suddenly apparent that the citadel of U.S. democracy was falling to the mob incited by President Trump.

A cacophony of screaming, shouting and banging echoed from the floor below. McConnell’s security detail rushed past and into the chamber. The adviser began walking toward the Rotunda and came face to face with a U.S. Capitol Police officer sprinting in the opposite direction. The two made eye contact and the officer forced out a single word: “Run!” […]

House Democrats were also concerned. At a House Caucus meeting before Christmas, Rep. Maxine Waters of California asked where Capitol police would allow people to gather, and if they would be allowed on the Capitol plaza, the brick and paved area immediately around the building that leads to walking paths to the offices of lawmakers.

In the back of Waters’s mind was a 2010 incident when protesters had gathered against a vote on Obama’s health-care plan. Some surrounded and followed then Rep. John Lewis (D-Ga.) back toward his office, hurling racial epithets. One even spit on him.

In an hour-long conversation on New Year’s Eve, Waters said Sund told her he had a plan for keeping protesters far from the building. They would be corralled beyond the plaza, in a grassy area east of the Capitol, she recalled. If counterprotesters showed up, his officers would form a line between the two groups, and as a precaution for lawmakers, Capitol security would direct all members of Congress and their staffers to travel by the network of underground tunnels that connect the Capitol with House and Senate office buildings.

Waters recalled asking Sund what intelligence the force had about how big the gathering would be. Sund, she said, didn’t have a clear answer. She hung up the phone at her home in D.C. thinking, “They don’t know who’s coming. They don’t know whether any of these are violent groups.” […]

On the morning of the rally, lawmakers and their aides on their way to work passed a smattering of protesters around the Capitol. Many held or wore blue and red Trump 2020 flags and yellow-and-green “Don’t Tread on Me” banners. Homemade signs with QAnon symbols dotted the Mall. Most protesters were walking west toward the White House, near where Trump planned to address the crowd.

Inside their offices, lawmakers prepared for Republicans to force a marathon day — perhaps 12 hours or more of floor debate — before formalizing Biden’s victory. By around 1 p.m., as the joint session began, the mood in the crowd outside began to shift. Trump had just given a one-hour speech to thousands of supporters amassed on the Ellipse near the White House, excoriating his enemies and reiterating his baseless claims of fraud. GOP lawmakers, he emphasized, needed to take a stand.

“We’re going to the Capitol,” he said. “We’re going to try and give them the kind of pride and boldness that they need to take back our country.” The president added: “If you don’t fight like hell, you’re not going to have a country anymore.”

Trump returned to the White House; he did not go to Capitol Hill. But his supporters began streaming east along Pennsylvania Avenue.

They first reached the west side of the building — several blocks away from the area that Sund had told lawmakers was the designated protest area. The crowd grew 10 deep, then 20 deep as the soon-to-be rioters spilled in along all sides of the Capitol. In many places, a line of waist-high, movable metal barriers was all that separated protesters from clumps of police and the building. […]

At 2:14 p.m., Rep. Paul A. Gosar (R-Ariz.) had begun his speech objecting to Arizona’s electoral college results. As he spoke, Pelosi’s protective detail agents hustled her away. Moments later, there was yelling in the gallery, as staff and security details started to move around with a heightened sense of alarm. […]

A video captured by Igor Bobic, a congressional reporter for HuffPost on the scene, shows the officer trying to hold back a few dozen rioters who push him back and up the steps leading almost directly to the chamber.

For almost a minute, the officer held them back — at the exact moment that, inside the Senate, police were frantically racing around the chamber trying to lock down more than a dozen doors leading to the chamber floor and the galleries above.

“Second floor!” the officer yelled into his radio, alerting other officers and command that the mob had reached the precipice of the Senate.

Had the rioters turned right, they would have been a few feet away from the main entrance into the chamber. On the other side of that door, had they made their way into the Senate, were at least a half-dozen armed officers, including one with a semiautomatic weapon in the middle of the floor scanning each entrance for intruders.

Instead, the group — all White men — followed the Black officer in the other direction and met a group of police in a back corridor outside the Senate. At 2:16 p.m., Bobic tweeted a photo of a half-dozen police confronting the protesters. According to the contemporaneous notes of a Washington Post reporter inside the chamber, it was mere seconds of a differential: “2:15 p.m., Senate sealed.”“

Der Historiker Timothy Snyder über „Trump, the mob and what comes next“. Es geht auch um das verlorene Vertrauen in staatliche und kommunale Institutionen, ein Phänomen, das auch in Deutschland um sich greift, siehe die Corona-Leugner:innen, die sich durch ihre irrationale Verbundenheit wieder stark fühlen, wo sie sonst gegenüber der komplexen Lebenswirklichkeit Schwäche spüren. Snyder geht auf die rassistische Geschichte der demokratischen Wahlen in den USA ein.

Ich musste dabei an Hedwig Richters Demokratie denken, das ich gerade lese. Bei jeder US-Wahl wundere ich mich über die 1000 Hindernisse, deren Wählende begegnen, aber das war von Anfang an so und hat sich anscheinend nicht groß geändert. Der folgende Absatz beginnt Anfang des 19. Jahrhunderts:

„Zum Aufbau eines effizienten Staates gehörte auch die Erfassung und Durchdringung des Raums. Das mit Grenzen klar definierte Territorium nivellierte die Unterschiede und formte Adlige und Bauern, Herren und Untertanen zu ‚Einwohnern‘. Der Staat hatte nicht mehr lediglich ein Territorium, sondern er war wesentlich Staatsgebiet. […] Auch hier erwiesen sich Wahlen als ein Teil des Veränderungsprozesses. Ein modernes Wahlrecht erforderte einen klar definierten Wohnsitz. Meistens kam eine Mindestdauer hinzu, die der Wähler am Ort der Wahl und zudem in dem größeren Staatsterritorium gelebt haben muss. Die Kontrolle des Wohnortes aber gilt als zentrales Instrument moderner Staatsmacht. […] Die Kontrolle der Wohnsitzregelung bedurfte einer modernen effizienten Bürokratie. Ein Land wie die USA mit nur rudimentärer Bürokratie besaß keine feste Wählerregistratur und verlangte zunehmend – häufig während großer Einwanderungswellen –, dass die Wähler selbst vor jeder Wahl ihre Wahlbefugnis bei einer Registratur nachweisen sollten. Die Unfähigkeit der Staatsmacht, den Wohnort der Wähler zu registrieren, eröffnete zahlreiche Möglichkeiten der Wahlfälschung.“

(Hedwig Richter: Demokratie: Eine deutsche Affäre, München 2020, S. 53/54.)

The American Abyss

„When Donald Trump stood before his followers on Jan. 6 and urged them to march on the United States Capitol, he was doing what he had always done. He never took electoral democracy seriously nor accepted the legitimacy of its American version.

Even when he won, in 2016, he insisted that the election was fraudulent — that millions of false votes were cast for his opponent. In 2020, in the knowledge that he was trailing Joseph R. Biden in the polls, he spent months claiming that the presidential election would be rigged and signaling that he would not accept the results if they did not favor him. […] People believed him, which is not at all surprising. It takes a tremendous amount of work to educate citizens to resist the powerful pull of believing what they already believe, or what others around them believe, or what would make sense of their own previous choices. Plato noted a particular risk for tyrants: that they would be surrounded in the end by yes-men and enablers. Aristotle worried that, in a democracy, a wealthy and talented demagogue could all too easily master the minds of the populace. […]

In this sense, the responsibility for Trump’s push to overturn an election must be shared by a very large number of Republican members of Congress. Rather than contradict Trump from the beginning, they allowed his electoral fiction to flourish. They had different reasons for doing so. One group of Republicans is concerned above all with gaming the system to maintain power, taking full advantage of constitutional obscurities, gerrymandering and dark money to win elections with a minority of motivated voters. […] Yet other Republicans saw the situation differently: They might actually break the system and have power without democracy. […] For some Republicans, the invasion of the Capitol must have been a shock, or even a lesson. For the breakers, however, it may have been a taste of the future. Afterward, eight senators and more than 100 representatives voted for the lie that had forced them to flee their chambers. […]

Post-truth is pre-fascism, and Trump has been our post-truth president. When we give up on truth, we concede power to those with the wealth and charisma to create spectacle in its place. Without agreement about some basic facts, citizens cannot form the civil society that would allow them to defend themselves. If we lose the institutions that produce facts that are pertinent to us, then we tend to wallow in attractive abstractions and fictions. Truth defends itself particularly poorly when there is not very much of it around, and the era of Trump — like the era of Vladimir Putin in Russia — is one of the decline of local news. Social media is no substitute: It supercharges the mental habits by which we seek emotional stimulation and comfort, which means losing the distinction between what feels true and what actually is true. […]

The force of a big lie resides in its demand that many other things must be believed or disbelieved. To make sense of a world in which the 2020 presidential election was stolen requires distrust not only of reporters and of experts but also of local, state and federal government institutions, from poll workers to elected officials, Homeland Security and all the way to the Supreme Court. It brings with it, of necessity, a conspiracy theory: Imagine all the people who must have been in on such a plot and all the people who would have had to work on the cover-up. […] On the surface, a conspiracy theory makes its victim look strong: It sees Trump as resisting the Democrats, the Republicans, the Deep State, the pedophiles, the Satanists. More profoundly, however, it inverts the position of the strong and the weak. […]

When Senator Ted Cruz announced his intention to challenge the Electoral College vote, he invoked the Compromise of 1877, which resolved the presidential election of 1876. Commentators pointed out that this was no relevant precedent, since back then there really were serious voter irregularities and there really was a stalemate in Congress. For African-Americans, however, the seemingly gratuitous reference led somewhere else. The Compromise of 1877 — in which Rutherford B. Hayes would have the presidency, provided that he withdrew federal power from the South — was the very arrangement whereby African-Americans were driven from voting booths for the better part of a century. It was effectively the end of Reconstruction, the beginning of segregation, legal discrimination and Jim Crow. It is the original sin of American history in the post-slavery era, our closest brush with fascism so far.

If the reference seemed distant when Ted Cruz and 10 senatorial colleagues released their statement on Jan. 2, it was brought very close four days later, when Confederate flags were paraded through the Capitol.“

Von all den Bildern, die ich vom 6. Januar gesehen habe, hat mich dieses auch mit am meisten verstört, weil es sehr viel mehr transportiert als eine spontane Entladung von Gewalt – es setzt diese Gewalt in einen historischen Kontext: Die Flagge der aufständischen Südstaaten hat es auch im Bürgerkrieg nie bis in das Herz Washingtons geschafft. Das schafften erst Trump und sein Mob.

Tagebuch Freitag, 8. Januar 2021 – Der Baum ist weg

Mein Weihnachtsbaum hatte die letzten Tage abgeschmückt auf dem Balkon verbracht, weil ich ihn nicht mehr in der Bibliothek haben wollte, Weihnachten ist lange vorbei. Gefühlt eine Ewigkeit. Seit dem 7. Januar hätte ich ihn auf einen der Sammelplätze bringen können, mein nächster ist netterweise nur wenige hundert Meter von der Haustür entfernt. Am Donnerstag konnte ich mich nicht dazu aufraffen, aber gestern war das mein erster Tagesordnungspunkt. F. hatte eine große Plane mit Kabelbindern vorbeigebracht, damit ich den Baum nadelfrei durchs Treppenhaus kriegen könnte, aber, wie ich interessiert feststellte, nadelte das gute Ding so gut wie gar nicht, als ich es brachial vom Balkon ins Arbeitszimmer zog. Daher verzichtete ich auf die Plane, trug ihn durchs Treppenhaus und zur Sammelstelle und musste danach nur wenige Minuten in der Wohnung staubsaugen. Mach’s gut, Bäumchen, schön, dass du da warst.

Im letzten Jahr war ich übrigens eine der ersten gewesen, die den Baum ablegten, gestern quollen mir schon die Bäume bis auf den Gehweg entgegen. Ich nehme das als Zeichen dafür, dass viele Menschen Weihnachten zuhause geblieben sind und sich vielleicht mal ein Baum gelohnt hat. Oder es war Zufall, aber ich möchte mal wieder an das Gute im Menschen glauben.

F. hat auch wieder etwas Hoffnung. Wenn auch weniger auf die Menschen.

Meine Diss ist zerhackt, die Biografie Protzens neu geschrieben, die neue Struktur funktioniert bis jetzt. Ein Tipp vom Lektorgirl war, beim Umschreiben an die Leserin zu denken, und ich musste mir eingestehen, dass ich die ernsthaft vergessen hatte. Stattdessen hatte ich die Prüfungskommission im Kopf, der ich zeigen wollte, in wievielen tollen Archiven ich irre viel gelesen hatte. Darüber ärgere ich mich jetzt wieder wochenlang, dass ich als Werberin meine Zielgruppe verfehlt habe. Aber gut, dann denke ich daran eben jetzt.

Zwischendurch aus dem Roggensauerteig ein Mischbrot gebacken, das die Nacht im neuen Gärkörbchen verbringen durfte. Das sah dementsprechend hübscher aus als alles, was ich bisher produziert hatte. Leider war es innen, ähnlich wie mein erstes reines Roggenbrot, viel zu dicht und klietschig, schmeckte aber trotzdem gut.

Ich buk trotzdem abends noch ein schnelles Toastbrot, weil ich Lust auf ein unkompliziertes Brot hatte. Dafür griff ich zum Buch, aus dem ich das Rezept hatte, anstatt meine Abschrift nachzulesen und stellte wieder fest, dass der Teig viel zu flüssig war. Habe jetzt gnadenlos im Buch notiert, dass ich erstmal ein Ei statt zweien in den Teig werfe. F. panisch: „NIMM DOCH EIN POST-IT!“ Ich bockig: „In meine Bücher darf ich so viel reinmalen wie ich will.“

Nachmittags ein schönes Zoom-Gespräch gehabt und mich als Kunsthistorikerin ernstgenommen gefühlt, das ist immer noch neu für mich.

Abends war wieder unsere wöchentliche Date Night. Wir besprachen die Situation in den USA, aber bevor wir endgültig schlechte Laune bekamen, zogen wir wieder Karten mit Gesprächsthemen.

Ich erfuhr entsetzt, dass F. den Klassiker „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“ noch nicht gelesen hatte und drängte ihm sofort mein Exemplar auf, das weniger Unterstreichungen aufwies als ich dachte. Ich musste mich fragen lassen, was ich im Louvre anschauen wollte, wenn wir denn endlich mal wieder hinkämen, denn, peinlich, ich weiß, aber egal, ich mach ja nix mit Kunstgeschichte, ich war noch nie im Louvre. Dabei fiel mir auf, dass ich eigentlich nur zwei Werke wirklich sehen wollte: die Nike von Samothrake sowie das angeblich einzige Reiterstandbild aus karolingischer Zeit, von dem uns ein Dozent im, keine Ahnung, dritten Semester mal erzählt hatte. Auch die Mona Lisa würde ich gerne sehen, aber die kann man ja gar nicht vernünftig anschauen, und dann isses auch egal. In diesem Zusammenhang fiel mir auf, wie toll das war, dem Milchmädchen im Rijksmuseum so nahe gekommen zu sein, und wir vermissten kurz gemeinsam Amsterdam. F. wies zu Recht auf die Freiheit, die das Volk anführt hin, ja, klar, guck ich mir an. Und eben beim Googeln sah ich, dass auch Ingres’ Odaliske da hängt, die nehme ich auch noch mit. Und den ganzen italienischen Flügel. Aber eigentlich möchte ich mehr das Gebäude ansehen und mal die langen Gänge runterbummeln.

Über Tim & Struppi und Hellboy gesprochen (meine Lieblingscomics), Bone und Asterix (F.s Lieblingscomics), Calvin & Hobbes (außer Konkurrenz), Alan Moore, klassische amerikanische Filme, Kinoerlebnisse und bestimmt noch mehr.

Gemeinsam eingeschlafen.

Tagebuch Donnerstag, 7. Januar 2021 – Grobes Zerhacken

Den ganzen Tag am Schreibtisch gesessen und meine Diss in Einzelteile zerlegt. Wo ich in den letzten Tagen vorsichtig hin- und herschob, wurde mir gestern klar, dass doch eher gröbere Werkzeuge eingesetzt werden müssen. Ich nahm die einzelnen Dokumente, in die ich bisher sehr großflächig, aber eben neu angeordnet, alte Teile der Diss kopiert hatte und kürzte sehr brachial. Erst abends wurde mir klar, dass ich vermutlich vieles neu schreiben müsste, weil die einzelnen Brocken sich jetzt eher seltsam lesen.

Als mir das klar wurde, aß ich Schokolade und ging aufs Sofa, wo ich viel zu spät Cobra Kai für mich entdeckte. Ich habe Karate Kid nie gesehen und weiß auch, dass Filme aus den 80ern, gerade aus feministischer Perspektive, meist sehr schlecht altern, daher werde ich das nicht nachholen. Aber Cobra Kai fand ich größtenteils sehr hübsch und unterhaltsam.

Was schön war, Sonntag bis Mittwoch, 3. bis 6. Januar 2021 – Bis 19 Uhr am Mittwoch war’s okay

Beim Sauerteigauffrischen am Samstag war ich dusselig gegen meine Schüssel mit Wasser gekommen, in der ich das nächste Glas und den Löffel, mit dem ich das Mehl aus der Tüte schöpfe, abkoche, es ergoss sich über meine flache Digitalwaage, ich dachte mir nichts dabei, trocknete das Ding oberflächlich ab und stellte es wie immer hochkant in die Fensterlaibung, wo es hingehört.

Am Sonntagmorgen wollte ich mein erstes Roggensauerteigbrot ansetzen – ich hatte noch nie mit Roggen gearbeitet, mit Weizensauerteig im vergangenen April, Mai, keine Ahnung, das letzte Jahr verschwimmt total, ich weiß nur, wann ich die Diss abgegeben und verteidigt habe und wann ich im Norden war, alles dazwischen ist egal. Ich wusste also nicht, wie das Brot aussehen musste, aber zunächst wollte ich alle Zutaten abwiegen, wobei meine Waage mir nicht meine übliche „0“ anzeigte, sondern irgendwelche kryptischen Zeichen. Ich erinnerte mich ungut an das Wasser, drückte auf alle Knöpfe, die da waren, aber es blieben kryptische Zeichen. Ich versuchte einen Batteriewechsel, der nichts brachte, aber bei dem ich merkte, dass die alte Batterie feucht zu sein schien. Ich schraubte die Waage auf, was nur an drei Ecken möglich war, trocknete das Innere so gut es ging mit Papiertüchern ab, schraubte sie wieder zusammen – und bekam nun „Error“ angezeigt. Fluchend holte ich Mütterchens uralte Analogwaage aus dem Schrank, die ich genau für solche Fälle aufgehoben habe – oder solche, wo ich vergessen haben könnte, Batterien nachzukaufen, was mir nur einmal passiert ist und dann, genau deshalb, nie wieder, jede, die Sonntags spontan Kuchen ohne Waage backen wollte, weiß was ich meine. Mit dieser Waage schätzte ich mehr als dass ich vernünftig abwog, die Zutaten für das Roggenbrot, vergewisserte mich auf Twitter, dass der Teig sich wirklich wie Fensterkitt anfühlen müsse und nicht wie mein gelieber Weizenteig, und ließ das Brot stehen.

Montag morgen wurde es gebacken – und es war schon ziemlich nah dran an dem, was ich erhofft hatte. Es war vermutlich etwas zu kurz im Ofen, von außen sah es top aus, innen am Boden war es etwas zu klietschig und generell etwas zu fest, aber geschmacklich war es herrlich.

Ach, und die Waage ging nach ein paar Stunden auch wieder, yay!

Montag abend kam F. vorbei. Wir merken seit einigen Wochen, dass uns die Gesprächsthemen ausgehen, weil uns Impulse von außen fehlen, die Arbeit so vor sich hinbummelt, die Diss-Umarbeitung noch etwas stockt, und irgendwann kann man sich auch nicht mehr über die Pandemie oder Trump unterhalten. Also schlug ich vor, eine Taktik von Monty Python anzuwenden. Ich weiß nicht mehr, in welchem Film oder in welcher Flying-Circus-Episode es vorkam, aber irgendwann werden Gästen in einem Restaurant Gesprächskarten angeboten für die Konversation. Also holte ich meine alten, leeren Vokabelkarten aus dem Bürocontainer, wir schrieben wild Zeug darauf und zogen unsere Themen.

In meinem Insta-Stream und auf Twitter sehe ich dauern Leute Brettspiele spielen, was ich jahrelang gern gemacht habe (Inkognito! Risiko! Monopoly!) und nun überhaupt nicht mehr tue, weil die Gelegenheit fehlt. Vom letzten Besuch im Norden brachte ich Jenga mit, Abalone und eine dieser unvermeidlichen „400 SPIELE IN EINEM“-Sammlungen, die ich mal für den Ex-Kerl und mich angeschafft hatte; da waren sogar noch Spielfiguren und Würfel eingeschweißt. So viel zum Thema Spielen mit dem Kerl. Wir sprachen über Kindheitserinnerungen und welche Spiele wir sonst noch mochten und verabredeten uns für Trivial Pursuit.

Auf Proust kamen wir durch einen kurzen Artikel im Tagesspiegel, den ich retweetet hatte, in Rom waren bei beide schon mal, aber noch nicht gemeinsam (noch einmal in die Vatikanischen Museen ohne Gruppenzwang!), und beim Thema Cocktails erinnerte ich mich daran, dass ich schon lange keinen French 75 mehr getrunken hatte, einen meiner Lieblinge, während F. eher Sours zuspricht. Das Thema Ausstellungen war eher bittersüß, wir vermissen Museen sehr. Ein Lerneffekt dieses Abends: Sobald es geht, rennen wir ins Haus der Kunst und schießen uns danach gepflegt in der Goldenen Bar ab. (Vielleicht bringe ich Jenga mit.)

Dienstag morgen saß ich früh am Schreibtisch, um mich endlich dazu zu überwinden, die Diss komplett auseinanderzupflücken und neu zusammenzusetzen. F. schlief aus, er hat noch Urlaub, und weil sein Warmwasser am Montag nur lauwarm war, blieb er länger hier und duschte gleich noch. Das passiert sehr selten, dass einer von uns beim anderen duscht oder sogar frühstückt, meistens trennen wir uns gleich nach dem Aufstehen und jeder beginnt seinen Tag für sich. Das fiel mir irgendwann im Norden auf, als das Mütterchen vor einem Besuch von F. fragte, was er denn frühstücke, was ich gar nicht so genau wusste, weil wir eigentlich nur im Urlaub in Hotels gemeinsam morgens am Tisch sitzen. Das war schön, ihn etwas länger hier zu haben, es hat sich fast wie Zusammenwohnen angefühlt. Hier den üblichen Eintrag zu Wohnungen für Paare in München einfügen und dass wir schon gar nicht mehr suchen, auch weil wir nicht an den Stadtrand ziehen wollen, und deswegen wohnen wir halt weiter getrennt. An manchen Tagen finde ich das mehr schade als an anderen, und deswegen freue ich mich immer, wenn sich die räumliche Trennung kurz nicht mehr so anfühlt.

Der Diss-Umbau dauerte den ganzen Tag und fiel mir ungewohnt schwer. Eigentlich kann ich ganz gut Darlings killen, und ich habe inzwischen auch genug Abstand von der Diss, um zu sehen, welche Teile wirklich verzichtbar sind, aber es zog und zog und zog sich. Zwischendurch schrieb ich eine Hilfemail an das Lektorgirl, ob sie Tipps habe, was ein bisschen half. Ich weiß immer noch nicht, ob das der richtige Weg ist, aber ich wollte es einmal konsequent durchspielen. Verwerfen kann ich es immer noch. Gestern war ich der Meinung, es ist top, heute denke ich, ach, ich lass alles so, wie es ist.

Abends las ich 1979 von Kracht in zwei Stunden durch, den ich vorher aus der Packstation geholt hatte, und fing gleich mit Faserland noch einmal an. Das beendete ich gestern. Das Ding ist überraschend gut gealtert, mir gefällt es sogar jetzt, als eine Art Zeitkapsel, deutlich besser als direkt nach Erscheinen.

Gestern morgen wachte ich bereits um 4.30 Uhr auf und war nervigerweise hellwach. Zwei Stunden las ich das Internet leer, bis ich aufstand. Mein Gehirn war allerdings eher Matsch, aber da gestern in Bayern Feiertag war, nahm ich mir den einfach, aß Roggenbrot und zwei aufgetaute Croissants und ein paar Stücke dieser tollen Schokolade von François Pralus (immer noch nicht alle, an der knabbere ich seit zwei Wochen, das gab’s noch nie). Ich freute mich über den ersten Schnee im Jahr und das Licht, das in dieser Wohnung liegt, wenn draußen alles weiß ist.

Um 19 Uhr schaltete ich C-SPAN ein, um mir anzuschauen, wie die Electoral Votes vom Senat ratifiziert wurden, aber dann kam erst einmal alles anders. Hamburg rief an, als ich gerade panisch CNN online suchte, was ich während der Wahl problemlos schauen konnte, aber jetzt nicht mehr (auf dieser Seite geht’s), und wir sahen dem Idiotenaufstand 30 Minuten lang gemeinsam fassungslos zu.

Dieses Bild blieb bei mir länger hängen, es stammt von Mike Theiler/Reuters.

Um Mitternacht war ich für diesen Hinweis sehr dankbar und ging, sehr ernüchtert und aufgewühlt, schlafen.

Ein fangirliges Dankeschön …

… an Thomas, der mich mit Christian Krachts 1979 überraschte. Das Buch war der letzte Roman, der mir in der Kracht-Reihe im eigenen Regal noch fehlte. Und weil er nur 182 Seiten lang ist, fing ich gestern spontan an zu lesen. Zwei Stunden später hatte ich das Büchlein durch, insofern ist diese Danksagung auch gleich eine Kurzrezension: hat mir sehr gefallen, aber mir gefällt ja alles von Kracht.

So schön im Schwung zog ich gleich noch seinen Erstling Faserland aus dem Regal, den hatte ich laut Stempel im Buch 2002 erworben und vermutlich gleich gelesen. (Erneut ein Dankeschön an den ersten Ex-Freund, der Stempel ist immer noch eines der besten Geburtstagsgeschenke ever.)

Dort musste ich auf Seite 35 kurz mit den Augen rollen, weil ich nicht mal in meiner Freizeit vor meinem Diss-Thema sicher bin. Dort schreibt Kracht nämlich, faktisch falsch, aber wir sind hier schließlich in einem Roman mit einer bräsigen Hauptfigur: „Das ist nämlich so: In Deutschland gibt es eine Art Abkürzungswahn, der von den Nazis erfunden worden ist. Gestapo und Schupo und Kripo, das ist ja klar, was das heißt. Aber es gab auch zum Beispiel die Hafraba, und das wissen, glaube ich, nur wenige, das heißt Hamburg-Frankfurt-Basel, und das war die Abkürzung für die Hitler-Autobahn.“

Vielen Dank für das Geschenk, ich habe mich offensichtlich sehr gefreut.

Ein kulturelles Dankeschön …

an Andreas, der mich mit Jörg Osterlohs »Ausschaltung der Juden und des jüdischen Geistes«: Nationalsozialistische Kulturpolitik 1920–1945 überraschte. Auf das Buch wurde ich durch einen Tweet des Fritz-Bauer-Instituts aufmerksam gemacht – generell ein sehr folgenswerter Account, wenn man sich nicht nur mit der Geschichte zwischen 1933 und 1945 beschäftigt, sondern auch mit den Nachwirkungen, vor allem in der Bundesrepublik. Über die Website des Instituts fand ich zum Beispiel auch folgenden Aufsatz von Jens-Christian Wagner: „Arbeit und Vernichtung im Nationalsozialismus. Ökonomische Sachzwänge und das ideologische Projekt des Massenmords“, in: Einsicht. Bulletin des Fritz-Bauer-Instituts: Arbeiten für das Reich: Ehre, Ausbeutung, Vernichtung 12 (2014), S. 20–27, das hier abrufbar ist. Darin fand ich noch Details zur Zwangsarbeit an den Reichsautobahnen, die ich in der Diss zitieren konnte.

Vielen Dank für das Geschenk, ich habe mich sehr gefreut – und im Buch gleich nach weiterer Literatur für die Druckfassung der Diss gestöbert.

Blaubeermuffins

Ich bin gerade beim Projekt „Tiefkühlfächer leeressen“. Dort fand sich beim Abtauen noch ein Rest TK-Blaubeeren, der am Wochenende in Muffins wanderte. Leider hatte ich die unglaublich bescheuerte Idee, blaue Speisefarbe in Schokoladenbuttercreme zu tropfen, weswegen das hübsche Häubchen auf dem Backwerk die Farbe von Baby Yoda hat. Fazit: Die Muffins waren super, weswegen ich mir das Rezept merken möchte, die Creme schmeckte auch, aber das Foto zum Rezept ist wirklich grauenhaft. Entschuldigung. Wird ersetzt, sobald ich wieder Blaubeeren habe – die dann zwei Jahre im Tiefkühler liegen.

Für ca. 12 Stück – ich habe die Menge unten gedrittelt und fünf ordentliche Muffins herausbekommen. Auch praktisch: Wir brauchen kaum Geschirr, ein nicht zu kleiner Topf sowie das Muffinblech, mit Papierförmchen ausgelegt, reichen schon.

250 g TK-Blaubeeren auftauen und abtropfen lassen, die Beeren mit ein wenig Mehl bestäuben. Bei frischen Blaubeeren entfällt dieser Schritt.

125 g Butter im Topf schmelzen. Mit einem Schneebesen
135 g Kristallzucker,
1/2 TL Vanillezucker einrühren, danach
125 ml Milch und
2 Eier.

Zu diesen Zutaten nun
350 g Mehl, Type 405,
2 TL Backpulver und
eine gute Prise Salz geben und vorsichtig verrühren. Abschließend die bemehlten Blaubeeren genauso vorsichtig unterheben.

Die Muffinförmchen zu gut zwei Dritteln füllen und im auf 190° (Ober- und Unterhitze) vorgeheizten Ofen für ca. 18 Minuten backen, Stäbchenprobe machen, bei mir kamen 18 genau hin.

Ich fand die Muffins nicht zu süß, schön locker, mit genau der richtigen Menge Frucht darin, und wenn ich nicht die seltsame Idee mit der Buttercreme gehabt hätte, aber egal. Und die restliche Weihnachtskuvertüre ist nicht mal alle geworden, verdammt. Wir merken uns: Speisefarbe nur in Macarons.


(Bildquelle)

Fotorückblick 2020

Die Idee stammt von Joel, die Kaltmamsell erinnerte mich vorgestern in ihrem Blog daran. Hier sind die Spielregeln – kurz gesagt: 24 Bilder, möglichst zwei Bilder pro Monat, selbst erstellt –, unter Joels Rückblick werden alle Einträge gesammelt.

Wie praktisch, dass WordPress einen die Monate einzeln anwählen lässt, so hatte ich einen guten Überblick über die Bilder, die ich im Blog hatte – und konnte wenig überrascht sehen, dass ich hauptsächlich meine Mahlzeiten fotografiere. Instagram und Twitter habe ich nicht durchsucht, das dürftet ihr aber laut Spielregeln.

Januar


2019 bereits erworben, 2020 endlich aufgehängt: ein Foto von Christian. Leider immer noch nicht hinter vernünftigem entspiegeltem Glas, das ist gerade finanziell nicht drin.


Das erste Mal Genius bei der Spelling Bee der NYT. Dass die Biene dann einen Doktorhut kriegt, war durchaus ein Ansporn. Inzwischen weiß ich, dass nach der vermeintlich höchsten Spielstufe Genius noch die Queen Bee kommt; für die muss man alle Worte erraten, die es gibt, es wird aber nirgends angezeigt, wieviele das sein könnten. Dazu fehlt mir grundsätzlich der Ehrgeiz, das habe ich noch nie geschafft.

Februar


Papa übt seine Unterschrift.


Zum ersten Mal in der Bibliothek des Deutschen Museums gewesen. Auf die Idee hätte ich, die ein technisches Thema in der Diss hat, auch mal früher kommen können.

März


Der für einige Zeit letzte Archivbesuch, hier das der Technischen Universität München, wo ich erfolglos in Personalakten blätterte.


Ausnahmsweise drei Bilder pro Monat, die Grippeimpfung wollte ich festhalten, auch weil die im November wegen fehlendem Impfstoff nicht geklappt hat.


Erstmals richtig gute Croissants hingekriegt, danke, Aurélie.

April


Erste selbstgenähte Maske, dazu zerschnitt ich eine Stoffserviette, die ich noch nie benutzt hatte. Die Maske trug ich einmal fürs Foto und einmal draußen, danach nähte ich bessere, die ich aber sehr schnell durch die blauen OP-Masken und irgendwann FFP2 austauschte.


Der erste Spargel.


Das letzte Mal, dass ich im Historicum in der Bibliothek saß – nicht nur für die erste Welle, sondern bis heute. Das wusste ich aber zu diesem Zeitpunkt noch nicht, sonst hätte ich emotionale Übersprungshandlungen ausgeführt. Die Historicums-Bib ist eine meiner liebsten im Studium gewesen, direkt hinter der im Zentralinstitut für Kunstgeschichte.

Mai


Das erste Mal im Asiashop groß eingekauft.

Juni


Der erste Kneipenbesuch seit Ewigkeiten. Kein Bier schmeckte je besser.


Das wichtigste Bild des Jahres: vier Exemplare der ausgedruckten Dissertation, drei bekam die Uni per Post, eins trug ich dem Mütterlein in den Norden – nur um es ein paar Monate später als Vorbereitung für die Verteidigung wieder mitzunehmen. Liegt immer noch hier, Mama kriegt dieses Jahr die Buchversion.

Juli


Ich besitze nun eine Nähmaschine.


Einer von zwei Biergartenbesuchen im letzten Jahr.

August


Beim Besuch im Norden an das uralte Gericht der Apfelklößchen erinnert worden, die hatte ich seit meiner Kindheit nicht mehr gegessen. Rezept von Mama: Pro Person ein Ei, dann Mehl, „bis der Teig gut aussieht“ und Stückchen von geschälten Äpfeln. Der Teig sollte sehr zäh sein, so dass man halbwegs Nocken abstechen kann. In kochendes Wasser geben, bis sie fest sind (dauert nicht lange), dann in Butter anbraten und mit Zimt und Zucker servieren.

September


Ein Mitbringsel vom Besuch: das altes Beilchen von Omi. Verstanden, warum Hackfleisch Hackfleisch heißt. Hier im Bild Ente, daraus wurde ein hervorragender thailändischer Salat.


F. war und ist mein knuffelcontact und so ziemlich meine ganze Blase im letzten Jahr. Die einzigen Menschen, die ich sonst regelmäßig traf, waren die Kassierer:innen im Supermarkt und meine Eltern im Norden. Hier fotografiert mein Herzblatt gerade Bienen im Garten seiner Tante.

Oktober


F. fotografierte ein paar großformatige Protzens, die ich professionell gerade hielt.


Ein Besuch im Tantris. Entschuldigung, dass ich das Restaurant auf seine Damentoilette reduziere, aber sie ist so großartig.

November


Die Dissertation erfolgreich per Zoom verteidigt und mit F. drei Flaschen Champagner darauf geleert. Wann wenn nicht jetzt, wann wenn nicht in diesem Jahr.


Meine Schwester bastelte mir einen Doktorhut.

Dezember


Wieder im Norden gewesen, Papa für drei Wochen in die Kurzzeitpflege gebracht, weil meine Mutter das nicht konnte.


Den Weihnachtsbaum schon am 9. Dezember aufgestellt und geschmückt, weil ich Weihnachtsbäume so gerne mag. Er ist aber bereits abgeschmückt, das passiert spätestens am 28. Dezember, wie ich das aus dem protestantischen Norden gewöhnt bin, der lungert hier nicht noch bei Dreikönigstag rum. Das alte Jahr ist durch, weg damit.

Sieht jetzt im Rückblick aber doch ganz gut aus, danke für die Idee!

Tagebuch Samstag, 2. Januar 2021 – Someone, something, yourself

Die NY Times beginnt gerade eine siebentägige Serie, in der sie uns dazu auffordert, gute Eigenschaften, die wir uns während der Pandemie (bzw., ich ergänze, ihrer Anfangszeit, wir sind ja noch mittendrin) angewöhnt haben, beizubehalten. Der erste Tipp war: Dankbarkeit zeigen.

Das ist für mich kein ganz neuer Gedanke. Als es mir vor Jahren schlechter ging, Umzug, Trennung, was weiß ich noch, begann ich hier im Blog die Rubrik „Was schön war“, um mich selbst daran zu erinnern, dass ich zwar gerade in einem Loch sitze, mich da aber auch wieder herausbuddeln kann anstatt immer tiefer einzugraben. Vorsicht, traurig sein ist etwas anderes als depressiv zu sein, daher stolperte ich auch über einige Formulierungen im Artikel zur Serie, in dem stand: „Numerous studies show that people who have a daily gratitude practice, in which they consciously count their blessings, tend to be happier, have lower stress levels, sleep better and are less likely to experience depression.“ Ich bin mir nicht sicher, ob Bloggen über gute Dinge wirklich davor bewahrt, depressive Schübe zu haben, aber schaden kann es sehr sicher nicht.

Der Artikel schlägt verschiedene Taktiken vor: Mails oder Briefe an Menschen schreiben, denen man für irgendwas dankbar ist – die muss man nicht abschicken, aber man sollte seine Gedanken verschriftlichen. Das kann das Mütterlein sein, das einen finanziell unterstützt (ich habe diese Dankbarkeit auf einer Weihnachtskarte notiert, die ich auch abgeschickte) oder die Verkäuferin beim Bäcker, die heute besonders freundlich war, oder der Mensch auf Twitter, der einen durch ein niedliche-Tiere-Video kurz hat lächeln lassen, was auch immer.

Eine Idee war, sich gleich auf drei Items zu konzentrieren, denen man dankbar ist: Someone, something, yourself. Denn das vergessen manche von uns auch gerne: sich selbst für etwas zu danken, auf sich selbst stolz zu sein, froh darüber zu sein, dass man sich hat. Musste ich auch erst lernen.

Ich möchte nicht wieder jeden Blogeintrag mit „Was schön war“ übertiteln, aber gestern passte das gut, weil ich gefühlt gar nichts gemacht habe, aber dann doch so viel, was schön war. Also: Was schön war, Sonntag, 2. Januar 2021, was gleichzeitig eine Übung in Dankbarkeit ist.

Zum ersten Mal ein neues Jahresdatum getippt. F. hatte gestern einen guten Gedanken: Er meinte, auch wenn alle sagen, 2021 ist erstmal wie 2020, die Grundsitation hat sich ja nicht geändert, hätte es für ihn doch einen psychologischen Effekt, eine neue Jahreszahl zu schreiben. 2020 war ein Jahr, in dem er konstant daran erinnert wurde, was gerade NICHT geht oder ging: die letzten vier Beethoven-Sinfonien der Wiener Philharmoniker, die im März abgesagt wurden. Wir hatten Karten für die Fußball-EM der Männer, er wäre in Budapest und Dublin gewesen, nach Dublin wäre ich mitgekommen, wir wollten am Bloomsday dort sein. Er hatte sich auf Wacken und Rage against the machine in Wien gefreut, auch nach Wien wäre ich mitgekommen, wobei mein Plan statt Musik eher rumliegen und Torte essen gewesen wäre, das geht in Wien ganz hervorragend. 2021 ist noch ein unbeschriebenes Blatt. Wir haben noch keine Termine, keinen gebuchten Urlaub, einzig eine Konzertkarte für Igor Levit im April liegt hier rum, aber wir gehen jetzt schon davon aus, dass das Konzert verschoben wird. 2021 ist anders anstrengend als 2020 und vielleicht ein bisschen weniger, ich zitiere seine DM: „Die Leere fühlt sich nicht mehr wie ein Verlust an, sie ist halt einfach.“

Ich bin dankbar dafür, einen schlauen Herrn an meiner Seite zu haben.

Einen Roggensauerteig in die Welt gesetzt. Heute ist erstmals Backtag mit dem neuen Wunderwerk. Als F. unser Silvestermenü aus der Innenstadt abholte, brachte er mir gleichzeitig aus der Hofbräuhaus-Kunstmühle sieben Kilo Mehl mit, ich habe nun erstmals Roggenvollkornmehl im Haus und noch drei andere Sorten, die ich vorher nicht besaß. Daraus wächst seit Tagen ein Sauerteig vor sich hin, und heute werde ich erstmals ein Roggenbrot ansetzen. Der Teig heißt Rosinante, wei Roggenbrot, RO, gell? Für den Weizensauerteig, den ich auch noch ansetze, fiel mir als erstes der Name Wehner ein, warum auch immer, also wird er so heißen.

Ich bin dankbar dafür, dass mir Blogleser:innen Bücher schenken, unter anderem eins über Sauerteig.

Lieblings-Frühlingszwiebelfladen gemacht. Beim letzten Einkauf clevererweise an Frühlingszwiebeln gedacht, daraus wird immer einmal Ottolenghis scharfer Tofu und einmal die Fladen. Ich glaube, das sind meine am häufigsten zubereiteten Gerichte, die schmecken einfach immer und immer wieder.

Ich bin immer noch und jeden Tag und wirklich wirklich wirklich dankbar für mein Foodcoaching im Jahr 2009 und meine nicht aufhörende Neugier auf Essen und Kochen, was jahrzehntelang für mich ein Trauerspiel, mit Angst besetzt und ein Weg zum Körperhass war. Es ist so großartig, einfach essen zu können. Deswegen gab es abends noch ein paar kleine Blueberry-Pancakes, ich esse gerade meine Gefrierfächer leer. (TK-Blaubeeren, Rest kommt heute ins Müsli. Oder mir fällt noch ein Kuchen ein, der dringend gebacken werden muss.)

Sport gemacht. Gestern war wieder die Cardio-Einheit dran, die ernsthaft anstrengt, weil sie viele Bewegungen erfordert, die mein Wackelfüßchen sowie meine Puddingärmchen nicht so gern mögen. Es ist die einzige Übungseinheit, bei der ich schon zwei, drei Stunden später spüre, dass ich was getan habe, es zieht hinten in den Oberarmen und hinten an den Oberschenkeln. Und genau das mag ich so gerne: meinen Körper als etwas Aktives zu spüren, als etwas, das etwas geleistet, geschafft hat. Wie eben schon angedeutet, war ich jahrzehntelang damit beschäftigt, meinen Körper zu hassen und ihn zu beschimpfen, weil er nicht dieser einen, winzigen akzeptierten Norm entspricht, die ich nicht mal selbst definiert habe, was für ein Scheiß! Dass ich meinen Körper inzwischen als etwas wahrnehme, das mir gefällt, das kräftig ist (im Rahmen meiner dieses Mal selbst gesetzten Maßstäbe), dass er mich trägt und schützt und er ein tolles Gehirn hat, das Doktortitel ausbrüten kann, dafür bin ich ähnlich dankbar wie für die Lust am Essen, denn damit hatte ich schlicht nicht mehr gerechnet.

Weiteres Tagwerk: Ein schlaues Buch weitergelesen und dankbar für den Input gewesen. Wieder mit der ersten Staffel des „Mandalorians“ angefangen, weil Baby Yoda großartig und niedlich und lustig ist; dankbar für hervorragendes Timing und gute Skripte von irgendwas, wo „Star Wars“ draufsteht, gewesen, das ist keine Selbstverständlichkeit. Dankbar für Sofa, Tee, mein Bett und ein Dach über dem Kopf gewesen.

Tischlein roll dich. Ein Artikel in der SZ über den neuen, alten Trend Teewägen. Ich kann euch leider gerade keinen Absatz daraus kopieren, weil ich mein wöchentliches Kontingent an Umsonst-Artikeln erreicht habe, aber das las ich gestern gern. Manchmal dankbar für Paywalls, bei denen ich selten auf Abonnieren klicke, sondern achselzuckend denke, dann eben nicht.