Donnerstag, 28. März 2024 – Literatur und Kunst aus der jungen DDR

Ich lese gerade Brigitte Reimann: Die geliebte, die verfluchte Hoffnung. Tagebücher und Briefe 1947–1972, herausgegeben von Elisabeth Elten-Krause und Walter Lewerenz, 1983 erstmals im Verlag Neues Leben in der DDR erschienen, vor mir liegt die Lizenzausgabe „für die Bundesrepublik Deutschland, West-Berlin, Österreich und die Schweiz“. Ich stolpere immer gerne über Dinge, die mal völlig normal für mich waren und heute Geschichte. („West-Berlin“)

Ich stolperte auch über zwei Einträge vom Oktober 1955, wo Reimann über ihr zukünftiges Buch Kinder von Hellas nachdenkt, weil in ihnen so nebenbei die Planwirtschaft und die Zensur erwähnt werden:

„Das NL [Neues Leben] will gleich einen Vertrag auf mein neues Buch machen (Arbeitstitel ‚Mädchen von Chronos‘), obgleich sie es noch gar nicht kennen. Ich bin vorerst nicht darauf eingegangen – wenn es nun nicht gut wird? So ein Vertrag auf Treu und Glauben käme von seiten des Autors beinahe einem Betrug gleich. Das habe ich Lewerenz auch geschrieben, und ich habe ihn gebeten, die Sache noch aufzuschieben. Zudem wurmt es mich, daß ich in den Plan für 1956 nicht mehr hineinkommen kann – was ist das für ein Blödsinn, ein fertiges Manuskript ein ganzes Jahr lang liegenzulassen? Einerseits schreien sie nach guten Jugendbüchern, andererseits aber klammern sie sich stur an ihren Plan … ich will sie ein bißchen unter Druck setzen – vielleicht erreiche ich noch eine Veröffentlichung meines Buches im Jahre 1956.“ (30.10.1955, S. 31)

„Der kleine Lewerenz macht mich bange: Sein Chef Peterson habe getobt wegen des Abenteuerheftes, weil der Verlag es nicht hinbekommen hat. […] Peterson warnte mich: Es sei ein diffiziles Thema, da die Meinungen über den griechischen Befreiungskampf geteilt seien, auch wisse man nicht, wie sich unsere Beziehung zu Griechenland entwickeln werde etc. Das kratzte mich schon wieder: als ob Literatur von politischen Tagesfragen abhängig sei. … Der Partisanenkampf war zu seiner Zeit gut und richtig, außerdem geht es mir um das Schicksal meiner Liebenden, ihren menschlichen Konflikt.“ (9.11.1955, S. 32)

Ein paar Seiten weiter las ich erstaunt, dass Reimann ihr Buch Ankunft im Alltag, das ich gern und aufmerksam gelesen habe, als „Mädchenbuch“ bezeichnet. Überdenke gerade mein komplettes Leseerlebnis.

Privater Kunsthandel nach 1945 in Dresden

Von dem Forschungsprojekt hatte ich auf meiner Provenienzforschungsfortbildung schon gehört. Per Insta wurde ich auf das Online-Magazin „Voices“ der SKD aufmerksam, das gerade einen Blogeintrag zum Projekt veröffentlichte:

„Erste Untersuchungen zeigen, dass sich bereits kurz nach Ende des Zweiten Weltkrieges wieder ein privater Handel etablieren konnte. Gemälde, Grafiken, Antikmöbel, Porzellan und Münzen wurden angeboten und verkauft; Dresden galt als eine der wichtigsten Kunsthandelsstädte in der DDR. Auch die staatlichen Kunstsammlungen Dresden erwarben regelmäßig Kunstwerke bei hiesigen Händlern, mit denen die Institution ebenso im fachlichen Austausch stand.

Nach dem Führungswechsel in der SED (1971) und nach der Gründung der Staatlichen Kunst und Antiquitäten GmbH (1973) wurde dieser Privathandel jedoch durch Behörden wie die Staatssicherheit zunehmend kontrolliert und eingeschränkt, zum Teil der Steuerhinterziehung bezichtigt und schließlich bis auf wenige Ausnahmen zerschlagen. Ein zentrales Anliegen des Projekts ist, diesen bisher meist vergessenen Firmen und Personen eine Sichtbarkeit und Neubewertung zu geben.“

Die Ausstellung im Albertinum dazu ist noch bis 21. April zu sehen, lohnt sich.

Das Wandgemälde „Lebensfreude“ im Hygienemuseum Dresden, die Diplomarbeit von Gerhard Richter von 1956, wird teilweise freigelegt. Das Gemälde ist nicht in Richters Werkverzeichnis aufgeführt, das erst 1962 beginnt; laut eines Kommentars zur hauseigenen Insta-Reel hat er dem Projekt aber zugestimmt. Vielleicht wird das Archiv ja auch noch erweitert?

Mittwoch, 27. März 2024 – Bohnen und Bohnen

Mein Publikationsverzeichnis aktualisiert. Im Oktober 2022 gab es ja eine schöne Tagung in Bamberg, auf der ich etwas zu Herrn Protzen erzählen konnte und vielen weiteren spannenden Vorträgen lauschte. Im üblichen Gletschertempo der Wissenschaft erscheint nun im April endlich das Buch dazu.

Ein Kilo Espressobohnen gekauft.

Fenchel mit weißen Bohnen im Ofen geschmort, Fenchel bleibt tagesformabhängiges Gemüse, das nächste Mal nehme ich nur grünen Spargel oder ähnliches, die Gewürze waren nämlich super und weiße Bohnen gehen auch immer.

Richard Serra ist gestorben. Diese Absätze aus der NYT (ohne Paywall), die beschreiben, warum Serra die Malerei hinter sich ließ, fand ich aufschlussreich:

„In interviews and conversations, Mr. Serra’s telling, and retelling, of the important events in his life created an aura of singularity and destiny. For example, when he went east from the West Coast for the first time to study painting at the Yale School of Art and Architecture, his first off-campus trip was not to New York to see Jackson Pollock’s work, he said, but to the Barnes Foundation, then outside Philadelphia, for “my first good look at Cézanne.”

After Yale, while visiting Paris on a travel grant, he began to move away from painting with almost daily visits to Brancusi’s reconstructed studio — then housed at the Musée d’Art Moderne de la Ville de Paris — to repeatedly draw the simplified forms of that Romanian modernist’s sculpture and bases.

But it wasn’t until he got to Madrid and saw Velazquez’s “Las Meninas” at the Prado Museum there that he realized that he could not be a painter. As he told Mr. Tomkins: “I thought there was no possibility of me getting close to that. Cézanne hadn’t stopped me, de Kooning and Pollock hadn’t stopped me, but Velazquez seemed like a bigger thing to deal with.”“

An „Las Meninas“ erinnere ich mich auch gern, genau wie an „Guernica“. Man müsste mal wieder nach Madrid.

Dienstag, 26. März 2024 – Spätzle und Sterne

Eigentlich wollte ich abends zu einem Vortrag ins NS-Dokuzentrum gehen. Also „wollte“ im Sinne von „müsste ich wohl“. Aber dann hatte F. die hervorragende Idee, um 17 Uhr im Tschecherl einzukehren, die kleine nette, neu eröffnete Schwester vom Ein-Sterne-Restaurant Sparkling Bistro, in dem wir schon viel zu lange nicht gewesen sind. Als wir uns dem Laden näherten, trafen wir auf gleich zwei bekannte Gesichter aus dem Waltz und dem Brothers und dazu noch den uns bisher nur von Insta bekannten Küchenchef des Bistros. Anstatt irgendwo Platz zu nehmen, saßen wir plötzlich neben den dreien, unser Ruf eilte uns voraus – „bringst den beiden bittschön die große Weinkarte von nebenan“ –, der Rotwein lief gut, das Essen aus unter anderem Paprikahuhn, Spätzle und Palatschinken war hervorragend, die Gespräche noch mehr, und deswegen saß ich gegen kurz nach 19 Uhr nicht konzentriert bei Nazischeiß, sondern einen Hauch angeheitert vor dem Livestream des Guide Michelin, in dem die neuen Sterne für Deutschland für 2024 verkündet wurden.

Die SZ berichtet ein bisschen lokalpatriotisch:

„Von 32 Restaurants, die an diesem Abend erstmals mit einem Stern ausgezeichnet wurden, liegen mehr als ein Drittel, elf nämlich, in Bayern, quer über den Freistaat verteilt. Dazu gibt es drei neue Zwei-Sterne-Lokale, unter denen gleich zwei bayerische Häuser sind. Außerdem, das ist die wichtigste Nachricht, hat Deutschland einen neuen Drei-Sterne-Koch: Edip Sigl ist Küchenchef im Restaurant “Es:senz”, das in Grassau im Achental liegt, eindeutig Oberbayern also.“

F. und ich freuen uns besonders für Rosina Ostler, deren Menü im Alois uns an meinem Geburtstag überzeugen konnte. Und die aus dem Ganzen eine nicht mehr ganz so jungshaltige Jungsveranstaltung macht.

„Auch anderswo geht der Ausbau Oberbayerns zur Gourmethochburg weiter. Im “PUR”, dem Restaurant des Hotels “Kempinski” in Berchtesgaden, freuen sich Ulrich Heimann und sein Team über den zweiten Stern, 19 Jahre nachdem Heimann den ersten für das Haus erkocht hatte. In München wurde das “KOMU”, das neu eröffnete Restaurant von Christoph Kunz, aus dem Stand mit zwei Sternen bedacht. Einerseits ist das eine Seltenheit, doch war Kunz schon als Küchenchef im “Alois – Dallmayr Fine Dining” mit zwei Sternen dekoriert gewesen. Seiner Nachnachfolgerin Rosina Ostler wiederum gelang es, die beiden Sterne für das “Alois” zu halten. Ostler, die aus Oslo abgeworben wurde, ist erst seit November im Amt und nun bereits – neben Douce Steiner – Deutschlands höchstdekorierte Köchin.

Herausragende Restaurants etablierten sich stets dort, wo bereits Exzellenz vorhanden sei, die Gäste über die nötige Kaufkraft verfügten und gute Küche zu würdigen wüssten, sagt Michelin-Chefredakteur Ralf Flinkenflügel. Mit seinen nun 17 Sternerestaurants und den vielen weiteren Gourmetzielen im nahen Alpenvorland verfügt München, vor allem gemessen an seiner Größe, über eine konkurrenzlose Dichte an Spitzenadressen.“

Die SZ spricht aber auch Dinge an, über die wir nachdenken, unter anderem, dass es eben doch meist die halbwegs noch französische Küche ist, die irgendwann den dritten Stern bekommt. Wir drücken ja seit Jahren Tohru die Daumen und fragen uns schon, was er noch auf den Teller bringen muss.

„Sorge bereitet vielen Edelgastronomen allerdings, dass zu viele Tische zu oft leer bleiben. Im vergangenen Jahr gab es deshalb bereits mehrere Treffen in der bayerischen Landeshauptstadt, wie das zu ändern sei. Die vielen Auszeichnungen des deutschen Michelin sind oft auch ein Bekenntnis zur klassischen Küche. Das muss nicht verkehrt sein, die Qualität ist in der Fläche heute hervorragend, doch fehlt es an Alleinstellungsmerkmalen, an Innovation mit überregionaler, besser noch internationaler Strahlkraft, an Netzwerken und gutem Marketing.

Der Michelin definiert die Lokale seiner beiden höchsten Bewertungskategorien mit den Attributen “eine Reise wert” oder mindestens “einen Umweg wert”. Doch als kulinarische Ziele spielen München und Bayern international bisher – wenn überhaupt – nur eine untergeordnete Rolle. In ganz Deutschland gibt es bis heute, anders als in Österreich, der Schweiz, Italien oder Spanien (von Frankreich und Skandinavien zu schweigen), kein wirklich führendes Restaurant.“

Alle Sterne auf einen Blick, darunter auch unser geliebtes Broeding, das gestern erstmals einen grünen Stern für Nachhaltigkeit bekam.

Montag, 25. März 2024 – Tee und Tippen

Schreibtischtag im Home Office mit Omis Teekanne hinter mir. Habe nun für ein Projekt den Ordner „Finale Dokumente“. Und Gott lachte.

Sonntag, 24. März 2024 – Bild und Ton

Noch kurz vor Schluss endlich die Ausstellung „Günter Fruhtrunk. Die Pariser Jahre (1954–1967)“ im Lenbachhaus gesehen. Sie läuft nur noch bis zum 7. April, schnell hin, lohnt sich. Mein Liebling war das hier:

Günter Fruhtrunk: Weiße Positionen, 1957–59, 125 x 185 cm, Lorenzelli Arte, Mailand.

Generell fand ich die 1950er Jahre einen winzigen Hauch spannender als die 1960er, weil ich dem Künstler gefühlt dabei zuschauen konnte, seine Sprache zu finden. Sprache war überhaupt ein Thema, das ich im Hinterkopf hatte. Mir fehlte früher etwas der Zugang zur konkreten Kunst, weil ich immer versuchte, die Farben und Formen in irgendwas zu übersetzen, zu dem ich eben Zugang habe: in Worte. So sprachen F. und ich gestern viel über einzelne Kreise, Linien und Raumempfindungen, aber was mir das Bild sagt, um mal diese einfache Formulierung zu nutzen, weiß ich nie. Das fand ich früher schwer auszuhalten, inzwischen ist es für mich befreiend. Dieses Werk will überhaupt nichts von mir, es ist einfach da.

Ich musste an den Podcast Hotel Matze denken, in dem letzte Woche Igor Levit zu Gast war. Der Gastgeber gibt irgendwann im Gespräch zu, keinen Zugang zu klassischer Musik zu haben – weil ihm der Text fehlt. Es fehlt ihm also etwas, das er, sorry, doofes Wort bei Kunst, versteht, mit dem er etwas anfangen, an dem er sich festhalten kann. Und auch hier merkte ich, wie sich mein Hören von klassischer Musik verändert hat. Ich komme aus der Oper, wo ich Text habe, wo ich ein Libretto nachlesen kann, wo es im besten Fall eine sinnvolle Geschichte gibt, der ich folge. Seit einigen Jahren bin ich aber eher bei Orchesterwerken oder Klavierstücken, wo ich zwar meine rudimentären Kenntnisse aus zwei Semestern Musikwissenschaft ausbuddeln und bei Igors Beethoven-CD den Sonatensatz aufspüren kann. Will ich aber gar nicht. Ich möchte im Konzertsaal sitzen und einfach nur zuhören, so wie ich ins Museum gehe, um einfach nur zu schauen.

Dass ich sowohl bei bildender Kunst als auch bei Musik irgendwann anfange, nach Schemen zu suchen, nach Haltegriffen, nach Wiederholungen, nach Strukturen, ja, logisch, so funktioniert mein Gehirn nun mal. Aber meist komme ich davon schnell wieder weg und denke einfach in der Gegend rum. Ich habe noch nie ernsthaft meditiert, aber so stelle ich mir das vor: den Geist einfach wandern lassen und gucken, wo er mich hinführt. Und notfalls aushalten müssen, dass ich in Sackgassen lande. Aber sehr oft lande ich auf weiten Anhöhen, von denen ich die halbe Welt überblicken kann. Wie großartig.

Zu Fruhtrunk hat die Kuratorin der Ausstellung einen sehr lesenswerten Blogbeitrag geschrieben:

„Ausgehend von seiner frühen Naturbeobachtung und dem Aquarellieren von Landschaften, einer Praxis, die er interessanterweise im Privaten immer beibehielt, gelangte Fruhtrunk von der gegenständlichen zur gegenstandslosen, zur konstruktiven und schließlich zur konkreten Malerei. Er nahm diese (Fort)Schritte von Anfang der 1950er bis Mitte der 1960er Jahre im Eiltempo. Von Anfang an haftet seinen Bildschöpfungen etwas Elementares an, selbst kleine Formate wirken nie “kleinlich”, sondern eher monumental. Das zeigt sich am besten vor den Bildern selbst, vor verwandten Motiven, die er in unterschiedlichen Größen ausführte.

Mit großer Präzision und Geduld malte er Bilder, die von allem Persönlichen befreit, nur Formen und Farben wirken lassen, jedes Element beeinflusst das nächstliegende – ein Prozess, den die Bilder festhalten. Ein Film von 1962 am Anfang der Ausstellung zeigt das besser als man es mit Worten beschreiben könnte.

Inzwischen gelang es Fruhtrunk, einen in der Bewegung des Auges auf der Bildfläche entstehenden Licht-Raum zu schaffen. Das klingt erst mal paradox. Doch gerade durch die Überforderung des Auges, das versucht, in dem übersteigerten Zusammenwirken von Formen und Farben ein Prinzip zu erkennen, entsteht die Illusion eines Lichtraums. Dieser Lichtraum ermöglicht, ja fordert, freies, aber intensives Schauen.“

Der Film „No Fear“ über Igor Levit ist seit gestern auf arte.tv zu sehen (bis 21. Juni). Mir hat der Film 2022 im Kino gut gefallen.

Samstag, 23. März 2024 – Erdnuss und Soja

Katerchen auskuriert mit einer ordentlichen Portion Nudeln mit Gemüse und Erdnuss-Soja-Sauce. Chili Crisp hilft auch immer. So halb nach diesem Rezept, nur mit Tofu statt Hack und noch einer Runde Spinat dazu.

Ansonsten Fußball geguckt (Frauen WOBFCB, Herren FRAGER), am Handy rumgedaddelt, nichts gemacht. Ganz hervorragender Tag.

Freitag, 22. März 2024 – Adonis und Oliven

Mit F. ein zweites Mal „Die Passagierin“ gesehen. Macht auch aus dem Rang keinen Spaß, hat uns aber erneut sehr gut gefallen und den Rest des Abends beschäftigt.

Nach dem ersten Besuch wollten wir dringend irgendwo hin, wo es uns immer gut geht, also wurde es das charmante Waltz, wo wir sonst immer gut gelaunt reinrollen und viel Spaß mit viel Rotwein haben. Nach der Oper waren wir aber erschüttert und überwältigt – und sahen anscheinend auch so aus. Wenn ich mich richtig erinnere, kamen nacheinander Cheffe und eine der Servierkräfte jeweils zweimal zu uns an den Tisch, um nochmal und nochmal nachzufragen, ob’s uns denn wirklich gut ginge.

Gestern war es schon zu spät für das Waltz, aber noch früh genug für unseren anderen Wohlfühlort in München: die Bar Tantris. Die Küche hatte schon fast geschlossen, aber einen sehr guten Käseteller gab’s noch, und dazu die gewohnt optimale Betreuung durch den Barchef. Es wurde zum Käse ein Adonis, darauf folgte ein extrem klassischer Martini mit drei Oliven drin, der vermutlich erwachsendste Cocktail, den ich je hatte. Dann ließen wir uns einen Martinez schmecken, den ich in der Bar bisher zweimal mit Rum hatte, was für mich der tollste Drink ever war, aber auch die Gin-Variante, also das Original, gefiel. (Rum ist mir trotzdem gerade lieber.) Als Rausschmeißer bat ich um einen Drink, der irgendwie um alles ein Schleifchen bindet, und das wurde dann, perfekter Name auch noch, ein Last Word.

Lustigerweise wurden wir auch gestern nach dem Platznehmen an der Theke gefragt, wie’s uns denn ginge; obwohl wir ja schon wussten, was in der Oper auf uns zukommen würde, hatte es uns erneut so mitgenommen wie beim ersten Mal. Vielleicht nicht ganz so wuchtig, aber immer noch genug, um etwas stiller zu sein als sonst. Aber wie im Waltz war das auch in der Bar kein Problem. Ich wusste das sehr zu würdigen, dass wir mitten im Freitag-Händehoch-Wochenende-Trubel einfach nur da sitzen und nippen konnten.

Donnerstag, 21. März 2024 – Frei und Weizsäcker

Abends die Buchvorstellung von Norbert Frei angeschaut, auf die ich gestern hingewiesen habe. Ist leider nicht mehr als Video online; manchmal belässt das Fritz-Bauer-Institut Veranstaltungen auf YouTube. Falls das Video online geht, gerne nachschauen, das war eine spannende Stunde.

Erschrocken festgestellt, dass die Rede zum 8. Mai 1985 von Weizsäcker fast 40 Jahre her ist. Kann gar nicht sein, das war gefühlt vorgestern. Außerdem gelernt, dass diese Rede die national und international am meisten beachtete und erforschte Rede eines Bundespräsidenten ist. Und dass bis kurz vor Schluss noch ein Gnadengesuch für Rudolf Heß drin stand. Ähem.

Ich copypaste (aka fotografiere mit dem iPhone den Text, das Handy erkennt ja Text und schicke diesen dann per Mail an mich, um ihn hierhin zu kopieren) mal vier Seiten aus Freis Buch dazu. Der besseren Lesbarkeit wegen habe ich ihn nicht eingerückt:

„Die Ambivalenz, mit der Weizsäcker am 8. Mai 1985 – wie in seinen am Ende nur wenigen noch folgenden Reden über die Vergangenheit – einerseits die Autorität des Zeitzeugen in Anspruch nahm, andererseits aber seine persönlichen Erfahrungen weitestgehend beschwieg, unterschied ihn nicht von Carstens oder Scheel, die ebenfalls Uniform getragen hatten, und letztlich auch nicht von den älteren Vorgängern im Amt. Was ihn heraushob und seiner Rede Gültigkeit verlieh, war die Haltung, in der er zu sprechen verstand. Denn wirklich Neues sagte Weizsäcker ja selbst nach eigenem Dafürhalten nicht, und er ging auch nicht über das Mitte der achtziger Jahre gesellschaftlich Diskutierte hinaus. Aber wenn er konstatierte, dass «jeder Deutsche» miterleben konnte, «was jüdische Mitbürger erleiden mussten, von kalter Gleichgültigkeit über versteckte Intoleranz bis zum offenen Hass», wenn er fragte, wer «arglos bleiben» konnte nach den «Bränden der Synagogen», dann tat er dies mit der Macht und Sprachgewalt des Staatsoberhaupts, das im Namen der Deutschen Zeugnis ablegte: «Wer seine Ohren und Augen aufmachte, wer sich informieren wollte, dem konnte nicht entgehen, dass Deportationszüge rollten. Die Phantasie der Menschen mochte für Art und Ausmaß der Vernichtung nicht ausreichen. Aber in Wirklichkeit trat zu den Verbrechen selbst der Versuch allzu vieler, auch in meiner Generation, die wir jung und an der Planung und Ausführung der Ereignisse unbeteiligt waren, nicht zur Kenntnis zu nehmen, was geschah.»

Präziser und zugleich eleganter – auch in der Differenzierung von Schuld und Verantwortlichkeit – konnte man das kaum sagen, ohne genauer von sich selbst zu sprechen: «Es gab viele Formen, das Gewissen ablenken zu lassen, nicht zuständig zu sein, wegzuschauen, zu schweigen. Als dann am Ende des Krieges die ganze unsagbare Wahrheit des Holocaust herauskam, da beriefen sich allzu viele von uns darauf, nichts gewusst oder auch nur geahnt zu haben.»

Das war einerseits deutlich, beließ anderseits aber jedem, der die Rede verfolgte (die ARD übertrug live aus dem Bundestag), die Möglichkeit individueller Selbstexkulpation: Wenn «allzu viele» sich auf Nichtwissen beriefen, beriefen sich manche eben doch zu Recht darauf, zumal in Verbindung mit dem zweifellos gern gehörten, von vielen wohl geradezu erwarteten nächsten Satz: «Schuld oder Unschuld eines ganzen Volkes gibt es nicht. Schuld ist, wie Unschuld, nicht kollektiv, sondern persönlich.» Aber auch darauf folgte sogleich wieder eine Einschränkung, zutreffend und vieldeutig und sehr protestantisch: «Es gibt entdeckte und verborgen gebliebene Schuld von Menschen. Es gibt Schuld, die sich Menschen eingestanden oder abgeleugnet haben. Jeder, der die Zeit mit vollem Bewusstsein erlebt hat, frage sich heute im Stillen selbst nach seiner Verstrickung.»

Auf solchen Sätzen, gesprochen von einem Präsidenten, der sich auf religiöse Metaphern und liturgische Formen verstand, beruhte zweifellos ein Großteil der Wirkung von Weizsäckers Rede. Allein die Entscheidung, von seinem einleitenden Kurzpsychogramm des Kriegsendes nicht sogleich in die historische Darstellung überzugehen, sondern im Duktus säkularisierter Fürbitten zunächst der einzelnen Opfergruppen zu gedenken, veränderte den Rezeptionsrahmen und setzte einen sehr besonderen, erhabenen Ton. Dahinter verschwanden manche Defizite: Sei es, dass sich Weizsäcker des fragwürdigen Begriffs der «Verstrickung» bediente, sei es, dass er an keiner Stelle von der Verantwortung der Eliten sprach oder dass er Hitler gewissermaßen als Einzeltäter auftreten ließ, der das «ganze Volk zum Werkzeug» seines Judenhasses gemacht hatte. Oder dass er, im Grunde nicht anders als einst Heuss oder Lübke, die Deutschen am Ende des Krieges von Hitler «gequält, geknechtet und geschändet» sah.

Selbst professionellen Beobachtern scheint derlei seinerzeit entgangen zu sein, zumal den vielen Gesinnungsfreunden des Präsidenten. Marion Gräfin Dönhoff und Fritz Stern, die die Ansprache vor dem Bildschirm verfolgten, hörten die «unerschrockenen, eloquenten und irgendwie tröstlichen Worte» – und waren sich, so erinnerte sich der Historiker, einig: «Es war die wichtigste Rede, die nach dem Krieg in Deutschland gehalten worden war. Es war die Abrechnung eines echten Konservativen, genau zur rechten Zeit und Gelegenheit.» (S. 275/276)

Die Resonanz auf Weizsäckers Rede war gewaltig. Nach den bedrückenden Debatten um den Staatsbesuch des US-Präsidenten und dem Fiasko von Bitburg wirkte der Vormittag geradezu befreiend, im Parlament wie für Hunderttausende vor den Bildschirmen oder am Radio. Die bundesrepublikanische Presse berichtete anderntags auf ihren Titelseiten, zahlreiche Redaktionen druckten die Rede im Wortlaut und stellten anerkennende Kommentare dazu. Aber auch weltweit, vor allem in den USA und in Israel, wo es zuletzt harsche Kritik am Verhältnis der Deutschen zu ihrer Vergangenheit gegeben hatte, gingen die Medien vielfach ausführlich auf die Ansprache ein.

So eindeutig allerdings, wie es der Aufmacher der Süddeutschen zusammenfasste – «Weizsäcker: Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung» –, war die Botschaft zunächst jedoch nicht überall verstanden worden. Im Unterschied zur Frankfurter Rundschau, die ähnlich formulierte, und der Welt, die zusätzlich «kein Tag zum Feiern» in die Überschrift nahm, gab sich die Frankfurter Allgemeine, die Kohls Bitburg-Kurs bis zuletzt verteidigt hatte, eher zugeknöpft: «Weizsäcker: Ein Tag der Trauer und der Hoffnung».

Wirkungsmächtiger als der Tagesjournalismus war ohnehin das sich rasch erweisende – und anhaltende – gesellschaftliche Interesse an der Rede. Friedbert Pflügers effiziente Offentlichkeitsarbeit mochte dazu einiges beitragen, auch wenn es zum Beispiel eine Schallplatte, von der die Produktionsfirma zehntausend Exemplare für weiterführende Schulen zur Verfügung stellte, schon zu Zeiten von Theodor Heuss gegeben hatte, 1952 nach seiner Belsen-Rede. Doch mit guten Kontakten in die Medien und in die Landeszentralen für politische Bildung ließ sich weder erklären, dass die Nachfrage nach dem Text über viele Monate anhielt, noch, dass sich das Präsidialamt veranlasst sah, Ubersetzungen in zwanzig Sprachen in Auftrag zu geben. Gunter Hofmann, damals Bonner Bürochef der Zeit, brachte die eigentümliche Wirkung der Rede später auf den Punkt: «Uns jungen Journalisten, die sich vielleicht ein paar mehr Verstöße gegen die herrschenden Denkmuster gewünscht hatten, wurde dennoch unmittelbar bewusst, dass nichts davon eine Selbstverständlichkeit war. Das war die Paradoxie: Neu waren die Einsichten nicht, und trotzdem zogen sie einen Schleier weg. Man atmete durch.»

Aus der inzwischen nahezu verdoppelten zeitlichen Distanz zum Kriegsende 1945 lässt sich konstatieren, dass keiner anderen politischen Rede, die seitdem in Deutschland gehalten wurde – auch nicht in den geschichtsträchtigen Jahren 1989/90 – ein ähnliches Maß an Beachtung und internationaler Anerkennung zuteil geworden ist wie jener Weizsäckers am 8. Mai 1985. Und unübersehbar ist auch: Die Ansprache des sechsten Bundespräsidenten gehört in die Reihe jener erinnerungspolitischen Großereignisse, die 1979 mit der Serie «Holocaust» begonnen hatte und jene «Erinnerungskultur» begründen sollte, die das vereinte Deutschland bis in die Gegenwart prägt. Zum Ende von Weizsäckers Amtszeit 1994 war «die Rede» in einer Gesamtauflage von zwei Millionen Exemplaren verbreitet, darunter auch eine Ausgabe bei Siedler, in Leinen gebunden wie einst die Heuss-Texte bei Leins.“ (S. 279/280)

Aus: Norbert Frei: Im Namen der Deutschen. Die Bundespräsidenten und die NS-Vergangenheit 1949–1994, München 2023.

Mittwoch, 20. März 2024 – Hopfen und Malz

Seit wenigen Tagen gibt es endlich auch von der schnuffigen Augustiner-Brauerei alkoholfreies Helles. Das konnte ich gestern bei einer Verabredung mit einer Ex-Kollegin aus dem Lenbachhaus gleich mal im Obacht antesten. Erster Eindruck: Das Etikett ist schon mal hübsch. Zweiter Eindruck: schmeckt und löscht den Durst. Das macht Apfelschorle allerdings auch, wenn ich keinen Alkohol trinken möchte. Nach dem alkoholfreien bestellte ich dann doch lieber noch zwei mit Umdrehungen. Aber ich finde es gut, dass es nun die Alternative gibt.


Ein kleiner Veranstaltungshinweis für Frankfurt und das Internet: Heute stellt Norbert Frei beim Fritz-Bauer-Institut das Buch vor, mit dem ich seit Weihnachten hadere. Ab 18.15 Uhr kann man auch per YouTube dabei sein.

Dienstag, 19. März 2024 – Fanny und Felix

Gestern lud das Jewish Chamber Orchestra in das Jüdische Gemeindezentrum am Jakobsplatz ein, es gab Musik von Fanny Hensel, ihrem Bruder Felix Mendelssohn und Gustav Mahler. Als Gast war die Sopranistin Chen Reiss zu hören, auch bei Mahlers 4. Sinfonie, worauf ich gar nicht vorbereitet war.

Das Konzert begann mit einer kurzen Ansprache von Charlotte Knobloch. Wenn die ausfahrbaren Poller am Jakobsplatz, auf dem auch die neue Synagoge steht, oder der Metalldetektor am Eingang noch nicht genug Hinweis darauf gaben, wo wir uns befanden, dann spätestens die üblichen Leibwächter mit dem Knopf im Ohr. Und am Ende des Abends die gepanzerten Limousinen, die vorfuhren.

Laut F., der das Orchester schon mal im NS-Doku gesehen hatte, beginnen viele Aufführungen des JCOM mit einer kleinen Einführung von Daniel Grossmann, dem Gründer und Dirigenten. Das Ensemble hat sich auf jüdische Komponist*innen (eat this, Söder) spezialisiert, und Grossmann hat es sich zur Aufgabe gemacht, dem Publikum immer noch etwas zu diesem Thema mitzugeben. So erfuhr ich gestern, dass sowohl Fanny als auch Felix bereits als Kinder christlich getauft wurden, was den Hass der Nazis auf speziell Mendelssohn noch absurder macht. Aber ich will gar nicht mit den Absurditäten des NS-Staats anfangen, das ist ein Hass ohne Boden. Mahler hat sich als Erwachsener taufen lassen, kurz bevor er sich in Wien als Musikdirektor bewarb, wenn ich mich richtig erinnere, also eine Karriere, die Juden trotz der Emanzipation im 19. Jahrhundert noch nicht offenstand. Laut Hoffmann gibt es keine Belege dafür, dass Mahler je Weihnachten gefeiert oder überhaupt in einem christlichen Gottesdienst gewesen ist. Wieder was gelernt. Aber jetzt zur Musik.

Es ging los mit vier Liedern von Hensel, von denen ich Die frühen Gräber op. 9, Nr. 4 am schönsten fand, hier mit dem JCOM in Bukarest. Aber generell war das für mich alles schön; ein Kammerorchester schmeißt logischerweise nicht die akustische Breitseite, die ich aus der Isarphilharmonie gewohnt bin, ist aber auch deutlich dichter als ein Wohnzimmerkonzert. Das war gestern genau das richtige – und dazu die wunderschöne lyrische Stimme von Reiss, die mir vorher leider nicht bekannt war. Das änderte sich gestern so sehr, dass ich in der Pause gleich mal eine CD erstand, auf der unter anderem das gestrige Abendprogramm komplett drauf ist. Die CD läuft gerade, während ich tippe und ich freue mich erneut. (Ist auch auf Spotify.)

Ebenfalls vor der Pause gab es noch Infelice! von Mendelssohn, was mich ebenfalls überraschend gut abholen konnte. Eigentlich ist Romantik nicht so meins, erst recht nicht auf Italienisch, aber gestern passte einfach alles. Ich behaupte, es lag hauptsächlich an Reiss.

Nach der Pause kam dann die Mahler-Sinfonie, und da musste ich doch zugeben, dass ich gerne 80 Musiker*innen auf der Bühne gehabt hätte. Dem Percussionisten dabei zuzusehen, wie er die Becken nur ganz sanft aneinanderschlug, damit uns nicht allen das Trommelfell platzt, war doch ein bisschen schade. Also für den Percussionisten, nicht für unser Trommelfell. Aber gerade Mahler fährt ja gerne alles auf, was das klassische Instrumentarium so zu bieten hat, und das war gestern dann ungewohnt zurückhaltend. Tat aber trotzdem gut. Nur doof, dass man nach einem so schönen Abend von den oben erwähnten gepanzerten Fahrzeugen und den blöden Pollern wieder in die Realität geholt wird.

An der Synagoge brennen Kerzen und es lagen ein paar Blumen am Eingang, wenn ich richtig gesehen habe.

Montag, 18. März 2024 – Kirchner und kein Kokos

Einen netten Termin gehabt, überraschend einen Grossberg gesehen, hach, sowie einen Hofer und einen Kirchner.

Meal Prep gemacht, dafür eingekauft – und erst zuhause gemerkt, dass ich keine Kokosmilch mehr im Schrank hatte. Wie kann das bitte passieren? Daher also wieder mit eingeweichten Cashews und Nährhefe gearbeitet, was zwar okay ist, aber eine Dose Kokosmilch öffnet sich schneller.

Rest der Bohnensuppe von Sonntag verspeist, weiterhin hervorragend, auch wenn ich jetzt weiß, dass ich auf Artischockenherzen verzichten kann. Ich lerne jeden Tag etwas Neues.

Eine Verabredung getroffen, ansonsten am Schreibtisch vor mich hingepuschelt. Abends Käsebrot, weil Käsebrot großartig ist, vor allem wenn man im Schrank noch Gewürzgürkchen findet, wo man die Kokosmilch vermutet hatte.

Igor Levit war zu Gast im Hotel Matze.

Ich habe zu Weihnachten ein vermutlich sehr empfehlenswertes Buch bekommen, mit dem ich Schwierigkeiten habe, es durchzulesen, weil ich mich dauernd über den Inhalt aufrege. Es geht um Norbert Freis Im Namen der Deutschen. Die Bundespräsidenten und die NS-Vergangenheit 1949–1994. Jetzt gerade hänge ich auf der lausigen Seite 25 oder so fest, weil ich immer noch stinkig auf die Seiten 21/22 bin. Nicht wegen Frei, nicht wegen seines Schreibstils, sondern wegen der beschriebenen Geistesverfassung der jungen Bundesrepublik. Die mir ja klar ist, logisch, aber genau wie zur Zeit der Diss, wo mich jede NS-Quelle umgehauen hat, obwohl ich wusste, was in ihr drinsteht, hauen mich derzeit Quellen aus den Nachkriegsjahren um.

Im Buch geht es um die öffentlichen Äußerungen der Bundespräsidenten, hier muss man nicht gendern, was Frei kurz im Vorwort anspricht: „Seit dem Amtsantritt von Theodor Heuss im September 1949 ist die öffentliche Rede das zentrale politische Instrument des deutschen Staatsoberhaupts, und dabei wird es auch bleiben, wenn irgendwann eine Bundespräsidentin das Wort ergreift. Der Bundespräsident handelt, indem er spricht.“ (S. 7)

Frei lässt sein Buch mit Richard von Weizsäcker enden, „der, ebenso wie Scheel und Carstens, die Jahre des Zweiten Weltkriegs als Soldat erlebt hatte“, mit ihm „ging die Zeit der NS-Zeitgenossenschaft im Präsidialamt 1994 zu Ende; alle späteren Bundespräsidenten waren bei Kriegsende noch nicht erwachsen oder noch gar nicht geboren.“ (S. 8)

Auf S. 21/22 geht es um die Nürnberger Prozesse; Frei zitiert hier Heuss, der zur „kleinen Gruppe handverlesener Journalisten“ gehörte, die sich nach Kriegsende in Zeitungen äußern durften, nachdem der sogenannte Blackout, das vollständige Verbot deutscher Zeitungen, im Sommer 1945 von den Alliierten aufgehoben wurde.

„Zum Thema Nationalsozialismus hatte der Leitartikler Heuss erstaunlich wenig zu sagen; prinzipiell präsentierte er sich als die Stimme derer, die von sich glaubten, dem verflossenen Regime mit Distanz und Ablehnung begegnet zu sein. Entsprechend bekundete er angesichts des beginnenden Nürnberger Prozesses im Oktober 1945 ‚Enttäuschung, dass diese Abrechnung nicht von Deutschen selbst vorgenommen werden kann‘. (Ganz ähnlich dachte, ohne dass er Gelegenheit gehabt hätte, dies damals zu publizieren, der junge Richard von Weizsäcker.) Mit frappierender Direktheit nahm Heuss jene post-volksgemeinschaftliche Stimmung auf, die Besucher wie Hannah Arendt bei ihren Reisen im Nachkriegsdeutschland so empörte: ‚Hat die „Welt“ ein Interesse, ein Recht, Ruchlosigkeiten und Gesetzesverletzungen einer Bestrafung zuzuführen, wie viel mehr das deutsche Volk, das in Einzelschicksalen und Massennot das eigentliche Opfer einer verderblichen Politik geworden ist. Wir müssten die Ankläger sein, wir müssten die Richter stellen!‘ (S. 21/22)

Norbert Frei: Im Namen der Deutschen. Die Bundespräsidenten und die NS-Vergangenheit 1949–1994, München 2023.

Sonntag, 17. März 2024 – Croissants und Bohnen

Ausgeschlafen. Gemeinsam gefrühstückt, ich hatte extra Samstag noch vom Brantner Croissants geholt, die sind selbst einen Tag alt besser als die von den anderen Bäckereien um mich herum. Es gab außerdem Cannelés, auch gleich mal drei mitgebracht, sehr genossen. Wie immer nach Fine-Dining-Abenden ewig über den Fine-Dining-Abend geredet. Außerdem immer noch über „Die Passagierin“ – wir haben schon Karten für eine weitere Aufführung, das müssen wir noch einmal sehen. Sollten Sie auch tun.

Ansonsten einen faulen Sonntag eingelegt, nichts gemacht außer mich auf ein heutiges Gespräch vorbereitet. Viel gelesen, ein bisschen Bohnensuppe aus den Meal Plans gekocht, die – natürlich – auch wieder weitaus spannender war als das Wort „Bohnensuppe“ vermuten lässt. Gerne wieder.

Samstag, 16. März 2024 – Alois und Rosina


Die Feierlichkeiten begannen alleine und etwas low key, aber sehr schmackhaft.


Ich schenkte mir selber Blumen, freute mich über eine Karte einer Leserin und natürlich auch total über die von F. („Ich wollte was aus dem 19. Jahrhundert und hier ist eine Frau mit Büchern, die etwas genervt guckt.“)

Ich freute mich außerdem über ein Buch von Klaus Kinold und über eins von Hermann Kesten, das ich selbst antiquarisch bestellt hatte und das genau am Geburtstag kam. Fühlte sich daher wie ein Geschenk an, so einfach geht’s.

Außerdem gab es je eine Tafel Noisette und Salzkaramell aus dem Tantris – und einen Schokodrachen. Ich liebe diese Fabelwesen, die nicht nur außen am Gebäude zu sehen sind, sondern auch innen aus den Wänden kommen und von denen jeweils eins auf jedem Tisch steht. Kann ich natürlich nicht essen, wird jetzt ewig auf dem Küchentisch stehen. Also bis zum Hochsommer oder dem ersten Heißhungeranfall, wenn keine Schokolade mehr im Haus ist und ich nicht mal Lust habe, schnell ein Marmorküchlein zu backen.

Abends wurde ich ins Alois ausgeführt, das ist mein Liebling in München. Dort wurde vor kurzem aus dem Chefkoch Natmessnig die Chefköchin Rosina Ostler, bei der wir noch nie gegessen hatten. Das ist keine Reinfallenlassenküche wie von Natmessnig, das war etwas verkopfter, aber genauso genussreich. Ich bin schockverliebt und muss ganz dringend wieder Geburtstag haben.

F. nannte die Abfolge von Jakobsmuschel, Hummer und Steinbutt eine „murderous row“. Wieder einen Sportbegriff gelernt und ja, das nicke ich ab. Die Jakobsmuschel hatte eine schlicht unglaubliche Konsistenz. Mein persönlicher Lieblingsgang war der Steinbutt, bei dessen Sauce ich gefühlt nach dem ersten Geschmack noch einen weiteren und dann noch einen und dann noch einen im Mund hatte, das hörte gar nicht mehr auf mit den Aromen.

Daher gab es zum Abschluss auch gleich zweimal Cognac pro Nase, das hatte der Abend aber sowas von verdient.

Freitag, 15. März 2024 – Zwei Kirchen nicht gesehen

Die Auscheckzeit im Hotel bis zum Schluss ausgenutzt und den Vormittag arbeitend im Zimmerchen verbracht. Nachmittags ein netter Termin und dann ging es schon wieder zurück nach München, leider nicht erneut im schicken ICE neo, sondern in einem gewohnten mit blauem Plastik. Die eine Fahrt hat mich viel zu sehr verwöhnt, ich wimmerte die ganze Zeit innerlich vor mich hin. Dann saß ich auch noch auf der falschen Zugseite für den Kölner Dom, und abends war es in Ulm schon zu dunkel, um wenigstens das Münster noch erkennen zu können. Aber: mal neben der Wuppertaler Schwebebahn vorbeigefahren, das war schön.

Der empfehlenswerte Newsletter „Reportagen aus der Vergangenheit“ hat heute ein Stück von Joseph Roth: „20 Minuten vor dem Krieg (1926)“ – „heute geht Joseph Roth im Jahr 1926 ins Kino und schaut sich Filme aus der Vorlesungszeit und dem Kaiserreich an.“

(Vorlesungszeit?)

Donnerstag, 14. März 2024 – Zug und Chip

Ich saß gestern recht lange in einem Zug, aber dafür in einem sehr schicken: im ICE 3neo. Ich fahre seit Ewigkeiten in der 1. Klasse, daher kann ich nur über die berichten, aber statt des blöden blauen Plastiks gibt es jetzt warmes Holz(imitat?) und graue Sitze, die sich sehr gut anfühlen und auf denen man nicht so rumrutscht wie auf dem blaugrauen Pseudoleder. Auch die mobilfunkfähigen Scheiben scheinen zu funktionieren: Ich hatte nie weniger als 5G, selbst in den ewig langen Tunneln um Stuttgart herum.

Heute fahre ich schon wieder zurück und befürchte, wieder in einem alten ICE sitzen zu müssen. Das ist nicht fair! Jetzt habe ich mich doch schon an das schicke Ding gewöhnt!

Sowohl das Museum Ostwall als auch das Museum für Kunst und Kulturgeschichte in Dortmund haben Plastikchips vorrätig, mit denen man die Schließfächer für Jacken und Rucksäcke entsperrt. Als Museums- und Bibliothekenprofi habe ich natürlich immer eine 1- und eine 2-Euro-Münze in der Hosentasche, aber das ist mal eine praktische und besucher*innenfreundliche Idee.

Wahrscheinlich habe ich mir gestern einen Sonnenbrand geholt, ich bin dieses rheinische Wetter nicht gewöhnt.