Tagebuch, Sonntag/Montag, 24./25. April 2016 – Bibliografieren und biografieren

Mein erstes Referat ist am 19. Mai, das zweite am 2. Juni. Beide sind ausgerechnet die gefühlt großen, also die, über die ich auch eine Hausarbeit schreiben werde. Die letzten beiden Referate sind nur das: Referate; da kann ich also bei eventuellem Zeitmangel darauf verzichten, mir jede Quelle rauszuschreiben, sondern nur wild exzerpieren und dann vortragen. Alleine diesen Satz zu schreiben, verursacht Schweißausbrüche, weswegen ich das natürlich nicht tun werde. Aber es ist nett zu wissen, dass ich es könnte.

Der erste Thema, das ich mir seit letzter Woche erschließe, sind die Familienfeste im 19. Jahrhundert. Unser Seminar heißt „Kindheit und Jugend im 19. Jahrhundert“, mein Referatsthema laut Seminarplan „Familienfeste von der Wiege bis zur Bahre“. Erster Gedanke war: Weihnachten und Geburtstag. Wobei sofort ein Nachgedanke aufpoppte: Das eine ist ein christliches Fest, das andere nicht. Oder Moment, was ist mit der Taufe? Gehen wir doch noch andere christliche Feste durch: Ostern? Pfingsten? Allerheiligen? Was wird gefeiert und von wem? Feiern Arbeiter anders als Bürgerinnen? (Davon gehe ich mal aus.) Dann: Was ist mit jüdischen Festen? Sind das Familienfeste, so wie ich Weihnachten als ein Familienfest verstehe? Moment, ist das überhaupt eins? Ist die religiöse Botschaft im 19. Jahrhundert noch wichtiger als der heutige Geschenkeberg unterm Baum? Ab wann stellte man in Deutschland (oder dem geografischen Bereich, der 1871 das Deutsche Reich wurde) überhaupt einen Weihnachtsbaum auf? Wer schenkte wem was? Und wie passt das Seminaroberthema da rein – die Kinder? Ist Allerheiligen ein Fest, in dem Kinder eine besondere Rolle spielen wie sie es Ostern tun beim Eiersuchen? Ab wann gibt es das olle Eiersuchen? Und so weiter und so fort.

Ich wusste also nicht mal genau, wonach ich suchte, als ich begann zu suchen. Immer eine gute Idee. Nicht.

Neben der Unfassbarkeit meines Themas bzw. den vielen kleinen Unterthemen, mit denen ich anfangen könnte, war ausgerechnet die Aufsatzsuche fast ergebnislos. Normalerweise sind Aufsatzdatenbanken mein großer Liebling, denn diese Textart lässt sich weitaus schneller konsumieren als ein Buch, und in den Fußnoten verbergen sich gerne grundsätzliche Texte zum Thema. Suchanfragen wie „Christmas“ „19th century“ plus „Germany“ ergaben aber quasi nix, und auch Anfragen wie „family celebration“, „Familienfest“, „Festkultur im 19. Jahrhundert“ und ähnlich warfen mir nur Quatsch entgegen. Meist hatte ich das Problem, etwas zu einem Fest zu finden, dann fehlte grundsätzlich das 19. Jahrhundert, oder ich fand was in der richtigen Zeit, aber nur über Erwachsenenfeste (Schützenfest, politische Festivitäten – auch noch mal ein anderes Thema, Wartburgfest etc.), und so war ich Ende der Woche schon komplett genervt von meinem Thema. Ich schleppte die halbe Stabi nach Hause und musste erstmals feststellen, dass ich fast nur Quatsch ausgeliehen hatte.

Deswegen setzte ich mich am Sonntag wie ein Erstsemesterchen in die Historicumsbibliothek und zog den Klassiker aus dem Regal: Die Geschichte des privaten Lebens von Philippe Ariès. Es ist zwar sehr aus der französischen Perspektive geschrieben, aber erste Anhaltspunkte – wie feierte das Bürgertum denn so generell und was überhaupt – konnte ich hier endlich mal gebündelt finden. In einem weiteren Buch entdeckte ich autobiografische Aufzeichnungen von Menschen, deren Kindheit im 19. Jahrhundert lag, was weiteren Aufschluss gab. Generell bin ich jetzt bei der Annahme, dass familiär begangene Festlichkeiten die offiziellen politischen und kirchlichen ergänzten (nicht ablösten). Die Familie war im 19. Jahrhundert wichtig genug geworden, um sie zu feiern, zum Beispiel ihre Kontinuität zu begehen, indem man Geburtstage beging. Jahrhundertelang waren außer von adeligen Personen keine Geburtsdaten notiert worden, und man sah sich als Individuum noch nicht als wichtig genug an, um sich zu feiern. Auch der Totenkult zu Allerheiligen begann im 19. Jahrhundert wieder aufzuleben. Nachdem die Kirche im 18. Jahrhundert erklärt hatte, der leibliche Körper wäre egal und daher müsste man nicht auf Friedhöfen rumhängen (in Paris wurden sie nach der französischen Revolution sogar zeitweise geschlossen), setzte sich im 19. Jahrhundert die familiäre Bedeutung der Ahnen durch. Genau wie beim Geburtstag wurde auch hier der Kontinuität der Sippe gedacht.

Aus den biografischen Aufzeichnungen fand ich den Ansatz spannend, dass Feste nur deshalb begangen wurden, weil sie den Kindern Freude machte – siehe Weihnachten, dessen religiöse Bedeutung schon im 19. Jahrhundert nachzulassen begann, während man anfing, den Kindern Geschenke zu überreichen. (Einige Quellen sagen, Kinder schenkten den Eltern oder Geschwistern nichts, andere sprechen von aufgesagten Gedichten oder extra eingeübten Klavierstücken.)

Ich bin noch nicht viel weiter in Bezug auf eine wissenschaftliche Fragestellung und ich habe mich auch noch nicht entschieden, auf welche Feste ich mich überhaupt konzentriere, aber das war Sonntag die erste produktive Lesesitzung.

Am Montag saß ich dann im Biografieforschungsseminar, das bis jetzt die Perle meines Stundenplans ist. Okay, ich hab fast nur Perlen, aber die hier glänzte von Anfang an. (/schwülstige Metapher off.) Wir lesen (für mich) sehr aufschlussreiche Texte und haben eine diskussionsfreudige Gruppe – besser geht’s nicht. Ich frage mich in den Geschichtssitzungen immer, warum diese Diskussionfreude in Kunstgeschichte nicht so präsent ist – auch bei mir, ich bin da auch etwas stummer als im Historicum. Bei mir mag es daran liegen, dass ich mich mit Geschichte und so simplen Grundlagen wie „Wann war welches Ereignis und wer hat dabei mitgespielt“ schlicht deutlich länger beschäftigt habe und eher weiß, in welchem historischen Kontext wir uns gerade bewegen. In Kunstgeschichte fallen mir hingegen immer wieder meine Lücken auf (Stile, Künstler*innen, künstlerische Positionen und Grundlagentexte), und ich muss mir dauernd selbst sagen, dass alle anderen auch Lücken haben, nur andere als ich, weswegen wir nicht ganz so selbstsicher argumentieren wie in Geschichte.

Gestern sprachen wir über die Biografie als Gattung und lasen einen Text eines Literaturwissenschaftlers, bei dem (in Zusammenhang mit einem Text der letzten Woche) mir erstmals klar wurde, dass eine Biografie Literatur ist. Ich hatte Biografien als historische Darstellungen im Hinterkopf abgelegt und nie wieder darüber nachgedacht, aber klar: Biograf*innen nutzen literarische Mittel, um Geschichte zu erzählen.

Dazu gab es ein schönes Zitat von Robert Littell aus Truth is a Stranger (The New Republic, 16. Dezember 1925):

„Biographer: We are both in the same business.
Novelist: How do you make that out?
Biographer: We are both writing about people.
Novelist: But your people have actually existed, while mine are made up inside my head.
Biographer: That difference is not as real as it seems on the surface. The people you believe you have invented get their start from people you have known in real life, or have read about. And the statesmen or adventurers whose lives I choose to retell are in great part my own creations.“

Wir sprachen auch darüber, dass eine Biografie so gut wie nie die letzte ist, die über einen Menschen geschrieben wird – nicht nur weil sich die Quellenlage ändern kann, sondern auch, weil jede Generation oder jeder Kulturraum die gleichen Quellen anders auslegt. In diesem Zusammenhang empfahl die Dozentin Christoph Nonns Biografie über Bismarck. Ich gebe das mal weiter, ohne sie zu kennen.

Und noch ein Lesetipp: Felix schreibt über die Bruder-Klaus-Feldkapelle in Wachendorf.

Tagebuchschnelldurchlauf Montag, 18. bis Samstag, 23. April

Ich hatte Uni.

Das war’s eigentlich.

Ich erinnere mich nicht mehr, ob ich bei jedem Semesteranfang (außer dem ersten) das Gefühl der latenten Überwältigung hatte; ich ahne, dass ja, aber ich weiß es nicht mehr. Jedenfalls denke ich gleichzeitig, oh wow, das ist alles so spannend und ich habe so tolle Themen, aber gleichzeitig denke ich, OMG ist das viel Zeug, das schaffe ich nie. Ist natürlich Blödsinn, ich habe bis jetzt alles immer geschafft, aber in dieser Woche habe ich gefühlt sehr viel die Nase in Büchern oder ausgedruckten Texten gehabt und die Welt um mich rum versucht zu ignorieren.

Dann gab es Dienstag bei mir um die Ecke etwas, das mich sehr ablenkte, dann musste ein mir nahestehender Mensch ins Krankenhaus (er ist schon wieder zuhause), dann bekam ich am Donnerstag eine Mail, die mich seitdem sehr blöd grinsend durch die Gegend schweben lässt, auch wenn sie noch mehr Arbeit bedeutet, und irgendwie habe ich in diesem Semester noch keinen Fuß gefasst. Ich stolpere gefühlt etwas suchend durch die Gegend und vergrabe mich hinter meinen Bücherbergen auf dem Schreibtisch, die dort natürlich bereits in der ersten Woche gewachsen sind.

Und gleich fahre ich in die Historicumsbibliothek. Was man halt Sonntags so macht.

Hausarbeit „Gibt es einen Peking-Effekt?“ über das Nationalstadion in Peking

Über die Note 1,3 hatte ich zunächst gequengelt (ja, auf hohem Niveau, ja, ich weiß), aber als ich heute die gedruckte Fassung mit den Anmerkungen des Dozenten aus unserer Bibliothek holte, verstand ich die Note und kann sie jetzt beruhigt und unquengelig abnicken.

Meine Arbeit stellt die Frage, ob es einen Peking-Effekt gibt – also ob ikonische Sportbauten einen ähnlich positiven Effekt auf eine Stadt haben wie ikonische Museumsbauten à la Guggenheim Bilbao. Der Dozent merkte dazu sehr treffend an: Peking ist nicht Bilbao; es geht hier nicht darum, eine wirtschaftliche schwache Stadt wieder auf die Füße zu kriegen, sondern einer ökonomischen Boom-Stadt ein hübscheres Antlitz zu verpassen. Damit ist eigentlich meine ganze Argumentation total sinnlos, und deswegen quengele ich auch nicht mehr. Da habe ich mich von meiner eigenen Wortschöpfung des Peking-Effekts vermutlich zu sehr einlullen lassen. Manchmal vergesse ich, dass ich keine Werberin mehr bin.

Der zweite Kritikpunkt war die Baubeschreibung, die dem Dozenten etwas zu kurz geraten war; er hätte sich unter anderem eine längere Auseinandersetzung mit dem Kontrast der runden Außenhülle zum eher kantigen Inneren gewünscht. Das war mir fast klar, dass die Baubeschreibung eventuell als zu kurz empfunden wird; ich musste mir während des Schreibens öfter selber sagen, dass ich hier was Kunsthistorisches abgebe und keine Arbeit in Stadtsoziologie. Hätte ich mir vielleicht noch öfter sagen müssen.

Das hat aber anscheinend alles nicht so irrsinnig geschadet, denn das Fazit, das ich mir einrahmen werde, lautete: „[…] ist der Rest der Arbeit von vorbildlicher Professionalität im Hinblick auf folgerichtig-sinnvolle Konzeption, intensive Recherche, klare Entwicklung der Gedanken und eine präzise und dabei flüssige, auch fehlerlose Sprache.“ BÄM! Ich mag das, wenn meine Sprache gewürdigt wird. An der bastele ich schließlich genauso lange rum wie an den Thesen, die ich mit ihr formuliere.

Das hier verlinkte pdf der Arbeit ist nicht die kurze Fassung mit 50.000 Zeichen, die ich abgegeben habe (warum ich sie dusseligerweise gekürzt habe, steht hier), sondern die lange mit knapp 65.000. Die kriegt ihr, damit ich die ganzen schönen Zeilen nicht umsonst geschrieben habe. Dass aber auch in der kurzen Fassung meine Gedankengänge anscheinend ausreichend klar ersichtlich waren, belegt mal wieder die gute alte Texterinnenregel, die jede Juniorette hoffentlich von ihrer CDeuse beigebracht bekommt: Schreib den Text so wie du ihn haben willst, schreib, bis alles drin ist, was du sagen willst, schreib, bis der Text perfekt ist – und dann kürz ihn um ein Drittel.

Geht immer.

Was schön war, Sonntag, 17. April 2016

Den ganzen Vormittag bei F. verdaddelt. Warme Croissants vom Bäcker. Pfirsiche aus der Dose. (Ist so ein Kindheitsding, glaube ich. Vielleicht esse ich auch nur gerne dieses eine Obst aus der Dose, alles andere finde ich eher doof. Nee, warte, Ananas aus der Dose ist auch super. Hmmm, Toast Hawaii. Das wäre auch schön gewesen, und das ist jetzt wirklich ein Kindheitsding.) Drei Stunden lang Texte für die Uni gelesen, unter anderem von Droysen und Dilthey. Interessant, aber kompliziert, daher drei Stunden. Zwei Folgen The Americans geguckt. Pseudo-Nizza-Salat gegessen. Gemeinsam eingeschlafen.

Was schön war, Samstag, 16. April 2016

Dass meine Lieblingspastateller jetzt in München sind und ich gestern zum wiederholten Male von ihnen gegessen habe.

Als ich im September die ersten Kisten packte, nahm ich nur Dinge mit, von denen ich mir sicher war, dass sie in meine kleine Münchner Wohnung passten. Als ich die vor dreieinhalb Jahren bezog, kaufte ich eine klassische Ferienwohnungsgrundausstattung, obwohl es ja keine Ferienwohnung war. Aber alle Ferienwohnungen, in denen ich bis jetzt war, sahen genauso aus: alles von Ikea. So ungefähr sah meine Studibutze auch aus, inklusive des Geschirrs: vier tiefe, vier flache große und vier flache kleine Teller. Nicht dass ich viel Besuch gehabt hätte, aber wer kocht, weiß: Teller und Besteck kann man nie genug haben.

So verzichtete ich im September darauf, meine vier geliebten Pastateller einzupacken, aus denen Kai und ich immer gerne gegessen hatten, denn ich hatte hier ja vier tiefe Teller und Kai hatte keine eigenen – jedenfalls keine, die so groß und so tief und überhaupt so toll waren.

Im Laufe des letzten halben Jahres merkte ich aber, dass ich neben anderen Dingen wie mein Nudelholz, ein paar CDs und DVDs, ein paar Glücksbringer und Lieblingsvasen ausgerechnet diese Pastateller vermisste. Ich dachte darüber nach, alles, was hier in München noch Platz hat – und ein bisschen Platz hatte ich nach 60 Kisten überraschenderweise doch noch –, in weitere drei Umzugskisten zu packen und die per Beifracht oder Paketdienst nach München zu schicken. Einiges Weiteres wollte ich in den drei Tagen in Hamburg noch bei eBay verticken, aber je näher der letzte Umzugstermin rückte, desto weniger wollte ich mit all dem zu tun haben.

Als ich dann in der Hamburger Wohnung stand und überlegte, was packst du für München, was stellst du bei eBay ein, wurde mir endgültig klar: gar nix machst du. Du packst alles so schnell wie möglich ein, was zu den Eltern auf den Dachboden kommt, der Rest kommt in Kisten, auf denen „Sperrmüll“ steht, dann verabschiedest du dich anständig und dann fährst du nach Hause.

Genau so habe ich es gemacht – bis auf ein paar kleine Details. In meinen Koffer passten nämlich das Nudelholz, mein Sky-Receiver, ein paar Glücksbringer und Sentimentalitäten, zwei meiner Lieblingsschälchen, die auf einigen der alten Blog-Kochfotos drauf sind – und zwei von vier Pastatellern.

Ich mag den Gedanken, dass ich meine Lieblingsteller jetzt hier habe, sie aber gleichzeitig bei Kai sind. Ich bin noch ein bisschen da, auch wenn ich weg bin.

Was schön war, Freitag, 15. April 2016

Keine Uni gehabt, dafür in die Historicums-Bibliothek geradelt – nachdem ich unseren neuen tollen Sitzplatzfinder getestet habe – und dort lockere zwei Stündchen über Kindheit ab Mittelalter aufwärts gelesen. Leider etwas unkonzentriert, wie ich selber gemerkt habe, weswegen es eben nur zwei Stunden waren.

Zuhause die neue Doppelfolge Grey’s Anatomy geguckt und dazu Weißbrot gegessen, das ich in Bärlauchbutter in der Pfanne geröstet hatte.

Abends mit einem Bierchen an den Küchentisch gesetzt und das einzige Spiel ausgepackt, das ich aus Hamburg mitnehmen konnte, weil es kofferkompatibel war: meine ganzen Spielkarten und der Berg Pokerchips. Ich pokerte mit drei Geisterteilnehmerinnen Seven Card Stud, sortierte dann alles von 2 bis 6 aus und spielte Skat gegen mich selbst, wobei ich irritiert feststellen musste, dass ich außer Null und Grand alles verloren habe. Erst nach zehn, zwölf Runden fiel mir auf, dass ich irgendwie noch auf Doppelkopf gedrillt war, wo man immer eine*n Partner*in hat, der*die einen rettet, falls mal ein Stich danebengeht. Bei Null und Grand war mir das anscheinend deutlicher im Kopf, dass ich alleine bin, während ich bei Farbspielen leichtsinnig wurde.

(Ich muss immer an Stefan Zweigs Schachnovelle denken, wenn ich alleine mit mir Karten spiele.)

Gemeinsam eingeschlafen.

Was schön war, Donnerstag, 14. April 2016

Uni I: NS-Kunst.

Okay, das Aufstehen um 6 war nicht so toll. Der Kurs fängt um 8 Uhr an und ich bin, trotz nur fünfminütiger Laufstrecke zum Institut, eine Freundin des entspannten Wachwerdens, Frischmachens, Bloggens und Frühstückens, deswegen 6. Aber um 8 saß ich dann sehr hibbelig in meinem Lieblingsraum des Kunsthistorischen Instituts. Wir haben gerade mal drei Lehrräume (wir sind so putzig-klein) und zwei davon im Erdgeschoss sind eher nervig. Der eine ist so groß wie mein Wohnzimmer, wird im Sommer unerträglich warm und ist mit diesen fürchterlichen Sitzgelegenheiten bestuhlt, bei denen an den Stühlen ein kleines Ausklapptischchen befestigt ist, auf das man sich nicht vernünftig abstützen und auf dem man noch weniger gut schreiben kann. Der zweite Raum ist zwar anständig groß, aber unschön schlauchförmig. Studis neigen warum auch immer dazu, sich in den hinteren Reihen zu ballen, außer Frau Gröner, die ist alt und sieht und hört nicht mehr so gut, weswegen sie relativ weit vorne sitzt, um die Folien der Referentinnen entziffern und die manchmal vor sich hinpiepsenden Damen verstehen zu können. Wenn der Kurs eher leer ist, sitze ich also vorne, meist gesellen sich ein oder zwei weitere mutige Damen zu mir, und weitere zehn hocken hinten im Raum, weswegen viele Dozierende in diesem Raum dazu übergegangen sind, nicht mehr vorne zu stehen, sondern irgendwo in der Raummitte, damit sie besseren Kontakt zu uns haben. (Ich kenne nur eine Dozentin, die gnadenlos darauf besteht, dass wir alle nach vorne rücken, und ich liebe sie dafür.) Das heißt, dass ich doof nach vorne gucke, während der*die Dozent*in hinter mir doziert, und auch in diesem Raum stehen die blöden Stühle mit den blöden Klapptischen.

Aber der dritte Raum. OMG der dritte Raum. Er ist im obersten Stockwerk, heizt sich im Sommer auch etwas auf, hat aber größtenteils verdunkelte Dachfenster (yay!), weswegen die Hitze nicht so reinknallen kann. Und selbst wenn der irregeleitete Kurs darauf besteht, die restlichen Fenster zu öffnen (denn wir wissen ja: Ein Raum kühlt total aus, wenn von außen heiße Luft reinkommt), ist es nicht so laut wie im Erdgeschoss, weil der Straßenlärm nicht so nervt. Und: In diesem Raum stehen Tische. So richtige Tische! Nicht so kleine wie im Historicum, an dem ich sonst überhaupt nichts zu meckern habe, sondern solche, die ihren Namen verdienen, wo man nicht immer an den Ellenbogen der Kommilitonin dengelt, wenn man sich selbst was notiert, nein, richtige, große Tische!

Das war natürlich der Hauptgrund für mich, diesen Kurs zu wählen.

Schnickschnack. Aber ich gebe zu, ich habe mich sehr darüber gefreut, in diesem Raum zu sein, weswegen ich sogar halbwegs unquengelig um 6 aufgestanden bin.

Um diesen Kurs herum habe ich meinen ganzen Stundenplan gebastelt, weil er von einem meiner Lieblingsdozenten gegeben wird und genau das Thema behandelt, in dem ich mich dringend fortbilden will. Er heißt „Rosenheimer Künstler im Nationalsozialismus und in der Nachkriegszeit“. Was schon in unserem Onlinetool, über das wir Kurse belegen, stand, war, dass wir eine Ausstellung in der Städtischen Galerie Rosenheim erarbeiten werden, die im Herbst 2017 dort stattfinden soll. Die Galerie selbst wurde 1937 eröffnet, wenige Wochen nach dem Haus der (Deutschen) Kunst in München, und wir befassen uns mit den Bildern, die damals dort schon hingen und die wir jetzt in einen neuen Zusammenhang bringen werden.

Das klang für mich alle schon toll, aber ich hatte gar nicht durchdacht, was das alles genau bedeutet, außer dass wir ab und zu in Rosenheim sein werden. Das erzählte uns der Dozent gestern und meine Ohren begannen vorfreudig zu leuchten. Wir werden im Depot rumwühlen – darauf freue ich mich schon sehr, weil ich Kunst bisher nur im Kontext kenne, also museal, schön gehängt und ausgeleuchtet; ich war noch nie in einem Depot, wo die ganzen Werke irgendwie nebeneinander hängen und so der Eindruck von ihnen natürlich ein ganz anderer ist als der in einem White Cube. Wir werden außerdem im Stadtarchiv rumwühlen, das direkt neben der Galerie liegt, und dort ein bisschen Provenienzforschung betreiben. Auch darauf freue ich mich sehr; weniger auf die Provenienzforschung denn auf die generelle Archivarbeit, weil ich das noch nie gemacht habe. Ich wüsste hier im Stadtarchiv nicht mal, nach was ich überhaupt alles suchen kann. Dann werden wir einen Katalog erstellen und dafür die Texte schreiben, wir werden Pressearbeit und Werbung machen (das macht mal schön wer anders, das kann ich schon), wir werden uns um Drittmittel kümmern usw. Und im Lebenslauf steht dann brav „Konzeption und Durchführung einer Ausstellung“, was ja auch ganz hübsch ist.

Das Seminar wird im Wintersemester fortgesetzt, was mich auch freut, dann kann ich thematisch in der Spur bleiben. Oder ich merke in diesem Semester, nee, NS-Kunst war doch ne doofe Idee, lass mich mal weiter über Anselm Kiefer oder Architektur nachdenken. Wie auch immer: Ich bin sehr gespannt.

Mein Referatsthema ist Leo von Welden, der (laut Google) zu den sogenannten „entarteten“ Künstlern gehörte, laut Dozent aber nicht ganz so. In der Großen Deutschen Kunstausstellung hingen mehrere Werke von ihm, und mein Job wird es sein, herauszufinden, ob er nun ideologiekonform war oder nicht.

Uni II: Kindheit und Jugend im 19. Jahrhundert

Nach einer Stunde Pause fuhr ich ins Historicum (das Ding mit den kleinen Tischen) und freute mich über ein winziges Seminar; wir sind, glaube ich, keine 15 Leute, sehr entspannt. Auch dieser Kurs war einer, um den ich den Rest herumgebaut hatte, der Titel steht oben fett. Mein Referatsthema hier lautet „Familienfeste von der Wiege bis zur Bahre“. Eigentlich wollte ich mich mit dem Kinderzimmer (Architektur) und Spielzeug (Kunsthandwerk) befassen, aber das wollte jemand anders auch gerne, und vom Termin her passten mir die Feste sogar besser. Hier musste ich sofort an das neue Medium der Fotografie denken und die Tatsache, dass man begann, tote Kinder abzulichten, um eine Erinnerung an sie zu haben. Ich versuche in Geschichte, soweit das möglich ist, auch immer irgendwie was kunsthistorisch Relevantes als Thema zu kriegen, und ich glaube, das klappt hier ganz gut. Familiendarstellungen in Öl kenne ich massenweise.

Einziger Wermutstropfen: Ich werde zwei Sitzungen verpassen, weil wir zwei Donnerstage ganztägig in Rosenheim sein werden. Das war bei der Kurswahl noch nicht klar; ich wusste, dass wir ab und zu vor Ort sein würden, hatte aber gedacht, bei einer Stunde Fahrzeit komme ich zwar etwas zu spät, aber ich komme. Der Dozent im NS-Kurs hat aber leider in drei Sitzungen bereits andere Verpflichtungen, und zwei Termine fallen wegen Feiertagen aus (Bayern!), weswegen wir diese Stunden irgendwie nachholen müssen. Das ist mir generell natürlich recht – wir haben ja auch genug zu tun –, aber von vornherein zu wissen, zwei Sitzungen ausfallen lassen zu müssen, ist natürlich doof. Ich fragte den Dozenten des Kindheitskurses, ob das okay wäre; glücklich war er nicht (frag mich mal), aber er meinte, es wäre okay. Da war es dann doch mal vorteilhaft für mich, dass keine Anwesenheitslisten mehr geführt werden dürfen. Trotzdem schade; die Referate zu Burschenschaften und zum Frauenstudium werde ich leider nicht hören.

Was schön war, Mittwoch, 13. April 2016

Eigentlich hätte ich die Vorlesung „Why Photography Matters – Wechselverhältnisse von Kunst und Fotografie 1960 bis 2015“ gehabt, aber die fängt erst nächste Woche an. Also bloggte ich morgens entspannt und radelte dann in die Historicums-Bibliothek, um mich vier Stunden lang festzulesen – in die Politik der Bundesrepublik und der DDR nach 1945, wie sie mit OMG dicken Körper klarkamen und wie ihre Ernährungsempfehlungen aussahen, damit bloß niemand dick wird (hat ja super geklappt, wie wir wissen), wie die Frankfurter Küche entstanden ist, wie überhaupt aus dem großen Lebensraum Küche das kleine, normierte Kabinett wurde, in der die Hausfrauen vom Rest der Welt abgeschnitten waren uswusf. Ich finde Kulturgeschichte grundsätzlich spannender als den ganzen Politikkram, weswegen ich auch gerne Kurse in dieser Richtung belege, aber die gestrigen vier Stunden haben besonders viel Spaß gemacht, weil mir das Thema sehr am Herzen liegt.

#12von12 im April

Alle anderen Mitspieler*innen gibt’s bei Caro.

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Mein Wecker sollte um 8 klingeln, ich war aber lange vorher wach. Bis kurz nach halb 7 las ich Twitter leer, dann döste ich anscheinend doch noch mal weg. Um halb 8 war ich wach.

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Auf meinem Frühstückstablett gibt es eine bahnbrechende Neuerung: Grapefruitsaft statt Multivitamin!

Als ich in Wien war, griff ich morgens im Hotel spontan nach der Karaffe mit dem Grapefruitsaft und ließ den O-Saft stehen, der sonst in Hotels mein Kaffeebegleiter ist. Überhaupt: Hotel-Angewohnheiten. Bei mir kriegt jedes Hotel Abzüge in der Sympathienote, wenn es kein geschnittenes Obst auf dem Frühstücksbuffet gibt. Ich esse in Hotels grundsätzlich Müsli zum Frühstück, und ich habe nie Lust, mit den stumpfen Buttermesserchen einen Apfel oder eine Banane zu zerteilen. Fruchtcocktail aus der Dose lasse ich knurrend geltend. Das Hotel in Wien hatte nicht nur geschnittenes Obst, sondern neben den Fruchtsaftkaraffen charmanterweise auch noch einen kleinen Sektkühler stehen, zu dem ich am letzten Tag gut gelaunt griff. Seit Wien gibt es bei mir zuhause auch Grapefruitsaft, weil ich den bitteren Kick als einen sehr angenehmen Reinkommer in den Tag empfunden habe. (Keinen Sekt allerdings.)

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Um 10 stand meine erste Übung in der Uni an: „Europäische Esskulturen nach dem Zweiten Weltkrieg.“ Weil ich um 14 Uhr die nächste Vorlesung hatte und damit zwei Stunden Zeit zwischen den Veranstaltungen, griff ich zum Radl, um zur Uni zu kommen, weil ich damit am schnellsten wieder zuhause bin.

Ich habe drei Jahre gequengelt, weil links neben meinem schönen Rad immer ein total verstaubtes Rad stand, das offensichtlich nie benutzt wurde, an dem ich gerne meine Klamotten eingesaut habe. Neuerdings steht das Rad mit dem Kindersitz neben mir, und jetzt quengele ich, weil ich über das Rad rübergreifen muss, um an meins zu kommen, um es dann mit der rechten Hand in den Gang zu ziehen, während ich mit der linken Hand versuche, den Lenker zwischen den beiden Rädern durchzubalancieren. Der Fahrradkeller ist meiner Meinung nach viel zu eng, aber ich bin froh, dass wir ihn überhaupt haben. Die Abstellmöglichkeiten sind blöderweise nach Wohnungseinheit vorgegeben, das heißt, ich kann mein Rad nicht irgendwo hinstellen, wo Platz ist, sondern habe einen festen Stellplatz. Was auch heißt, dass anscheinend jemand mit Kind dort eingezogen ist, wo bisher der Besitzer des Staubrades wohnte.

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Im Historicum mit Blick auf die Schellingstraße. Hinter meinem Rücken verläuft die Amalienstraße. Der Kurs ist leider etwas voll, wir sind fast 20, weswegen die Referatsthemen natürlich mal wieder nicht ausgereicht haben. Generell bin ich noch etwas skeptisch, weil mir die Themen sehr zusammengewürfelt aussehen, aber ich lasse mich mal überraschen. Worüber ich grinsen musste: Sieben Semester lang ist mir nirgends Bourdieu begegnet, jetzt in zwei Tagen gleich zweimal, vorgestern bei den Biografien (Habituskonzept), gestern beim Essen (Distinktionsbedürfnis). Wie zu erwarten war, wollte keiner den Bourdieu als Referatsthema haben, obwohl der gestrige Dozent zum Originaltext noch eine zweiten im Seminarplan verzeichnet hatte, der den Franzosen quasi in Simpeldeutsch übersetzt.

Ich hätte gerne zum Text „Der dicke Körper und sein Konsum im Visier von Wissenschaft und Politik in der DDR und der BRD“ von Ulrike Thoms (Comparativ 21 (2011), Heft 3, S. 97–113) referiert, aber das schnappte mir jemand weg. Überhaupt war die Referatvergabe gestern eher doof, da der Dozent einfach der Reihe herum fragte, was gewünscht war, weswegen wir armen Hascherls, die am weitesten von ihm wegsaßen, keine Chance mehr auf ein gutes Thema hatten. Normalerweise stellen Dozierende die Themenliste einmal vor, gehen dann vom ersten Referatstermin nach hinten durch und fragen bei jedem Termin, wer das Thema gerne hätte. Wenn sich dann mehrere melden, wird kurz ausdiskutiert, was meistens immer klappt; eine KuGi-Dozentin, deren Kurse immer voll sind, ist inzwischen zum Auslosen übergangen: „Sie denken sich jeder eine Zahl zwischen 1 und 10, ich denke mir eine, wer am nächsten an meiner ist, kriegt das Thema.“

Gestern war das, wie gesagt, leider nicht so, weswegen ich mich erstmal an das Thema ranhängen durfte, weil der Dozent meinte, das könnten wir splitten. Im Laufe der Übung meinte er, zur Architektur von Küchen könnte man auch mal was machen, woraufhin ich mich sofort meldete und, in höflicher Form, „HABEN!“ signalisierte. Der dicke Körper und die Küchenarchitektur sind jetzt in einer Sitzung, und wir sollen versuchen, das Thema Norm, Normsetzung und das Abweichen davon als Überthema zu nehmen. Zwei Buchtipps hatte der Dozent auch schon für mich: Cold War Kitchen und Versuch über den Normalismus: wie Normalität produziert wird, die ich gestern sofort bei der Stabi bestellte.

Die anderen Referatsthemen drehen sich um die Soziologie des Essens, Ernährungsgeschichte als psychosoziales Problem, ausländische Gastronomie in der Bundesrepublik, Fleisch- bzw. Gemüsekonsum, die Technik hinter der Essensherstellung, Kultivierung des Appetits (durch Frauen- oder Gourmetzeitschriften) und Essen im Film. Klingt für mich erstmal nach einer sehr bunten Mischung, ich bin gespannt, ob da ein roter Faden bleibt oder wir einfach lustige Referate zum Essen kriegen. Auch wegen dieser bunten Mischung fand ich es schön, das Thema Dicksein auf der Liste zu finden, weil es für mich bedeutet, dass wir über die schon angesprochene Norm nachdenken und, Achtung, doofes Wort, andere Körper betrachten, also die, die nicht einer Norm entsprechen. Gerade deshalb hätte ich gerne das Thema „Dicker Körper“ gehabt, um aus simplem Eigeninteresse dafür zu werben, dass alle Körper okay sind und die politische Idee, gewisse Körper ausradieren zu wollen, eine ganz widerliche ist. Aber dann wappne ich mich im Vorfeld für die Diskussion und gucke mal, wie tolerant mein Seminar so ist.

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Nach dem ganzen Reden übers Essen wollte ich Essen kaufen. Vor einigen Tagen wurde in meiner Instagram-Timeline schon angespargelt, und seitdem will ich das auch. Ich radelte zum Wochenmarkt in der Zieblandstraße und kaufte Spargel, Kräuter und Kartoffeln.

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Nach einer kurzen Pause zuhause fuhr ich wieder in die Uni, genauer gesagt, ins Hauptgebäude. Dort fand meine erste Vorlesung in Kunstgeschichte statt: „Skulptur im Land der Maler? Niederländische Bildhauerkunst im 15. bis 17. Jahrhundert.“ Die war leider sehr schwach besucht, und es gingen während des Vortrags noch einige Studierende. Ich muss zugeben, ich fand es auch recht anstrengend, der polnischstämmigen Dozentin mit ihrem deutlichen Akzent zuzuhören, aber was sie sagte, reichte dann locker, um mich bei der Stange zu halten. Ihr Vortrag ging von Willem van Haechts Die Kunstkammer des Cornelis van der Geest (1628) aus, in dem wir die gleichwertige Präsentation von Gemälden und Skulpturen sehen. Der Hauptteil des Raumen wird zwar von Bildwerken bestimmt, aber auf der linken Seite sehen wir zwei Männer, die eine kleine Skulptur genauer betrachten; an der rechten Wand stehen Nachbildungen der antiken Meisterwerke (unter anderem meinen Liebling aus den Vatikanischen Museen), auf dem Tisch im Vordergrund stehen und liegen mehrere Kleinplastiken sowie Reliefs, die gerne aus Alabaster oder Elfenbein gefertigt wurden – die Dozentin meinte, gerade Materialgeschichte wäre ihr Steckenpferd, darauf kämen wir noch zurück –, in der Zimmermitte hängt ein Kronleuchter (Kunsthandwerk) und im Hof ist ein Brunnen zu sehen (Bauskulptur). Anhand dieses Bildes und einer kleinen historischen Einführung in die Geschichte der Niederlande entwarf die Dozentin ihren Seminarplan, und das klang alles sehr spannend. Unter anderem wies sie auf ein stilgeschichtliches Klischee hin, von dem ich noch nie gehört hatte: Nach der Reformation trennte sich das Gebiet aus den heutigen Niederlanden, Flamen und dem heutigen Belgien in die nördlichen und die südlichen Niederlande; der Norden galt nun als das Land Rembrandts: calvinistisch und intellektuell, während der Süden das Land Rubens’ war: katholisch und emotional. Ist nachweislich Quatsch, habe ich mir jetzt aber natürlich gemerkt.

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Nach der Uni ging ich zu Fuß nach Hause. Neuerdings nervt mein linkes Knie ein wenig und ich weiß, ebenfalls seit Wien, dass ihm Bewegung gut tut. Radfahren leider nicht so sehr, weil es genau das Beugen ist, dass ihm weh tut. Rumlaufen ist hingegen super, ich bin völlig schmerzfrei und bleibe es danach auch. Bis ich eben wieder zwei Stunden in einem Hörsaal hocke und das Bein nicht ausstrecken kann. Dieses Phänomen hatte ich vor einigen Jahren schon mal im rechten Knie, das ging irgendwann wieder weg, weswegen ich das dieses Mal auch wieder aussitzen bzw. rauslaufen kann. Hoffe ich jedenfalls.

Auf dem Nachhauseweg ging ich zunächst die Schellingstraße entlang, wo zwischen Ludwig- und Türkenstraße diese kleine Tafel, neben einigen Bildtafeln, auf den Türkengraben hinweist. Den kannte ich auch schon aus einem kunsthistorischen Seminar, wo uns der Dozent erzählte, das Kanalsystem von Nymphenburg wäre auch eine schöne Masterarbeit. Habe ich im Hinterkopf.

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Eingekauft, unter anderem den Schinken für den geplanten Spargel. (Nein, nicht die Chips.)

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Die neue Folge Better Call Saul geguckt und entsetzt festgestellt, dass das schon die vorletzte dieser Staffel ist.

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Die ersten Texte fürs Biografie-Seminar gelesen. Die Zeit der Textmarker hat wieder begonnen, wo-hoo!

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There is no happiness like Spargel happiness.

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Real-Wolfsburg nebenbei laufen gelassen, während ich Hay Day und Candy Crush spielte. Danach mit Buch ins Bett. Guter Tag.

Was schön war, Samstag bis Montag, 9. bis 11. April 2016

Kochen.

Das fast letzte Eckchen Platz in meiner Küche wird seit Samstag von einem Waffeleisen in Beschlag genommen. So ein Ding wollte ich schon länger haben, aber nach der kräftezehrenden Umzugswoche fand ich, jetzt wäre genau der richtige Zeitpunkt, um es zu kaufen. Samstag testete ich dieses Rezept an und buk damit ganz hervorragende, grundsolide, außen knusprige und innen saftige Waffeln – wobei ich die Flüssigkeitsmenge verdoppelte, um einen fließenden Teig zu bekommen; vorher klebte da ein dicker Batzen an meinem Teigschaber, ich wollte aber eine Kelle Teig einfüllen und keinen Brocken. Das war eine sehr gute Idee.

Am Sonntag durfte F. dann mitfrühstücken bzw. mitmittagessen, als ich Schokowaffeln mit Himbeersahne buk, auch hier wieder mit mehr Flüssigkeit.

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Lesen, Serien gucken, in Ruhe auf dem Sofa sitzen.

Keiner wollte was von mir, ich musste keine Kiste packen, ich konnte einfach so rumsitzen und es mir gut gehen lassen. Das hat größtenteils geklappt, aber Abschiedstränen kamen immer wieder; als ich die Pastateller benutzte, als ich die zwei kleinen Schälchen abwusch, die ich auch in den Koffer quetschen konnte (dieses türkise hatte ich sehr vermisst), als ich endlich mein geliebtes Nudelholz in die Kiste im Regal packte und es passte, im Gegensatz zu dem blöden Nudelholz, das ich hier vor dreieinhalb Jahren gekauft hatte und das nicht passte, weswegen ich es unten im Erdgeschoss in unsere Hausflohmarktecke legte, wo alle Bewohner*innen Zeug ablegen, das sie nicht mehr brauchen, das aber zu gut zum Wegschmeißen ist. War auch kurze Zeit später weg.

Zuneigung gezeigt bekommen.

Als ich meinen Koffer am späten Freitagnachmittag in die Wohnung rollte, warteten auf meinem Küchentisch ein paar Kleinigkeiten von F. auf mich: eine Flasche Wein von meinem liebsten Neuseeländer Weingut, eine Packung Nougatpralinen (TEAM NOUGAT!), ein kleines Stofftier und eine Postkarte mit Münchner Motiven, auf der nur „Welcome home“ stand. Darüber musste ich zwar schon wieder heulen, aber ich habe mich gleichzeitig sehr gefreut. Sonntag abend brachte mir der Mann dann fast 400 Gramm Bärlauch aus dem Garten seiner Eltern mit, womit Montag die Pasten-, Pesto- und Butterproduktion anlaufen konnte, und zusätzlich noch ein paar Zweige Kirschblüten, die jetzt auf meinem Küchentisch stehen. (Und vor sich hinrieseln, aber das ist ausnahmsweise egal.)

Semesterbeginn.

Ich freute mich seit Wochen auf diesen Montag, weil dann endlich wieder Uni ist und ich keine Zeit mehr zum Rumheulen habe. Als der Tag dann endlich da war, war ich aber ziemlich matschig vom Wochenende, wo ich krampfhaft versucht hatte, gute Laune zu haben. Wenn ich nicht hätte aufstehen müssen, wäre ich den ganzen Tag unter der Bettdecke geblieben. So twitterte ich hilflos vor mich hin …

… und raffte mich ins Historicum auf, was sich – natürlich – lohnte.

Mein erster Kurs in diesem Semester ist in meinem Nebenfach, das ich ein Jahr lang des Öfteren vermisst habe: Geschichte. Wir erinnern uns: Im sechsten Semester schrieb ich meine Bachelorarbeit und machte sonst quasi nix, und im ersten MA-Semester, meinem siebten Semester insgesamt, war laut Prüfungsordnung noch kein Nebenfach vorgesehen. Die ist in diesem Fall nicht bindend, wann wir was innerhalb der vier Semester belegen, ist eigentlich egal, aber ich habe mich im BA immer brav an die Vorschläge gehalten und fand den Aufbau sehr sinnvoll, also mache ich einfach so weiter.

In München muss man zu den 90 Hauptfach-ECTS-Punkten noch 30 im Nebenfach erwerben, das aus dem gemeinsamen geistes- und sozialwissenschaftlichen Profilbereich gewählt werden kann. Thereotisch wild durcheinander, praktisch nicht so ganz: Ich kann jetzt nicht einfach 30 KuGi-Punkte im Nebenfach sammeln, sondern nur … weiß ich nicht, weniger halt, ich könnte beispielsweise Kurse aus drei Fächern belegen, hier einen in Philosophie, da einen in den Gender Studies und dazu einen Hauch Kunstgeschichte. Darüber hatte ich kurz nachgedacht, denn künstlerischen Werken kann man sich auf verschiedene Art nähern, also ist es eigentlich ganz nett von der Uni, dass sie mir die Möglichkeit dazu gibt.

Ich habe aber im BA gemerkt, wie sehr ich in Geschichte von Kunstgeschichte und umgekehrt profitiert habe. Bei meiner kunsthistorischen Arbeit über Frauenchiemsee war es praktisch, ein Semester vorher in Geschichte einen Kurs belegt zu haben, in dem ich über die Funktionsweise von Klöstern im Mittelalter viel erfahren habe, unter anderem, aus welchen Gebäuden eine derartige Anlage überhaupt bestehen kann (Stichwort St. Galler Klosterplan). Deswegen wusste ich, wie besonders die Torhalle auf Frauenchiemsee ist, sowohl von ihrer Lage als auch ihrer Funktion, die wir bis heute nicht genau benennen können. Beim Geschichtskurs über die Stadt im Mittelalter erinnerte ich mich an eine Vorlesung über bürgerliche Bauten in mittelalterlichen Städten und wusste so, dass es damals bereits Kaufhäuser gab, nach denen der Dozent fragte. Und generell ist es nie verkehrt, halbwegs zu wissen, in welchen politischen und kulturellen Umständen Kunstwerke entstanden sind, um sie einzuordnen.

Zurück zum Wildwählen: Falls ich ein Seminar in Amerikanistik, eins in Kulturgeschichte, eins in Archäologie und eins in Vergleichender Literaturwissenschaft belegen würde, wäre das zwar bestimmt spannend, ich wäre aber viermal ein blödes Erstsemester. Ich habe von diesen Fächern überhaupt keine Ahnung, kenne die einschlägigen Bibliothekskataloge nicht, die Größen des Fachs, die Standardwerke, die Basics, die man so drauf haben sollte, um eine halbwegs anständige Hausarbeit abzugeben. Ich bin nicht mehr im BA, wo ich mir lustig Grundlagen schuf, sondern ich bin im MA und will dazu auch noch eine sehr gute Abschlussnote. Die hilft mir zwar, wie ich allmählich weiß, einen Dreck bei der Jobsuche, aber mein ganz persönlicher Ehrgeiz ist es, wieder zu den besten zehn Prozent zu gehören wie im BA.

Aus diesen beiden Gründen fiel die Wahl auf das Nebenfach Geschichte sehr leicht. Die Historiker*innen sind dazu auch noch etwas speziell: Wenn man ein Seminar bei ihnen belegt, muss man alle bei ihnen machen, da geht also nix mit wild Rumwählen. Ist mir recht.

Gestern saß ich in einer der zwei Übungen, die in diesem Semester anstehen plus ein Hauptseminar: Biografieforschung. Da ich erstens gerne Biografien lese und zweitens immer noch die Biografie eines NS-Künstlers (die Damen sind schon ganz gut von der Genderforschung abgegrast worden) im Hinterkopf habe für eine eventuelle Masterarbeit, fiel die Wahl nicht schwer. Scheint eine gute Wahl gewesen zu sein: Die Dozentin hat mir gefallen, der Kurs besteht aus entspannten zwölf Menschlein, und mein Referat wird sich mit Rebekka HabermasFrauen und Männer des Bürgertums. Eine Familiengeschichte (1750–1850) befassen.

Wir referieren alle über eine Biografie, die ein bestimmtes methodisches Vorgehen oder eine thematische Einordnung beim Biografieschreiben verdeutlicht; mein Referat gehört zum Themenkomplex „Mentalität und Erfahrung“. Ich kann mir unter den vielen Methoden und Ansätzen auf dem Seminarplan noch nicht viel vorstellen und bin daher entsprechend gespannt. Das Thema gefiel mir auch deshalb, weil mein Hauptseminar in Geschichte sich mit Kindheit und Jugend im 19. Jahrhundert befasst, wo sicher auch das Bürgertum eine Rolle spielen wird. Und schließlich muss ich zugeben, dass ich die bürgerliche Kunst des 19. Jahrhunderts mag – ja, auch das Biedermeier; hier eins meiner liebsten Porträts, es hat schon seinen Grund, warum ausgerechnet ein Bild wie Luise an meiner Wand hängt und mein Lieblingsbild in der Hamburger Kunsthalle von 1881 ist, von dem ich mich leider nicht verabschieden konnte, weil die Kunsthalle so gerade noch geschlossen ist. Und nicht zuletzt bediente sich die Kunst der NS-Zeit stilistisch unter anderem gerne in dieser Epoche.

Nach dem Kurs ging ich zu Fuß nach Hause, genoss die Sonne und freute mich, dass das Semester wieder losgegangen war. Trotzdem liegt über allem derzeit eine gewisse Grundtraurigkeit, aber ich weiß ja, warum sie da ist und sie darf auch da sein. Wenn sie vorbeischaut, achte ich auf sie, gebe ihr wahlweise Schokolade, Schnaps, Bibliotheksaufenthalte oder Bärlauchbutter und versuche, sie und mich ernstzunehmen.

Tagebuch, Donnerstag/Freitag, 7./8. April 2016

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März 2015, wenige Tage vor unserer Trennung. Ich habe das Bild auf Instagram mit der Unterschrift „Home“ veröffentlicht, vielleicht um mir selbst zu suggerieren, dass wir das noch hinkriegen.

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Haben wir nicht.

Seit September 2015 steht München als Wohnort in meinem Personalausweis, aber ich hatte immer noch die Schlüssel zur Hamburger Wohnung, denn beim Umzug ist nicht all mein Zeug mitgekommen; sich von 120 auf 44 Quadratmeter zu verkleinern, bedeutet auch, Dinge zurückzulassen.

Am Mittwoch packte ich die letzten 20 Kisten und stellte mein Akkordeon, mein Golfbag, die Boxen meiner Stereoanlage, die ich zur Konfirmation bekommen hatte, und eine Stehlampe daneben. Freitag morgen holten die Umzugsjungs alles ab, bauten den Schrank auseinander und trugen seine Einzelteile, genau wie Tisch und Stühle, in den LKW. Das steht jetzt schon alles bei meinen Eltern in der Nähe von Hannover, und ich bin auch schon wieder in München.

Donnerstag habe ich mich tränenreich und offiziell vom Kerl verabschiedet, mich abends heulend mit den besten Freundinnen in der Lieblingsweinbar betrunken und Freitag morgen, nachdem die Jungs da waren, weinend die Schlüssel in die Briefkasten geworfen. Die letzten Tränen kamen im Flugzeug nach dem Start, als das blöde Hamburger Wetter mir einen letzten Blick auf den Hafen verwehrte.

Der lange Abschied ist durch.

Mach’s gut, Hamburg. Mach’s gut, Kai. Ich habe euch im Herzen.

Tagebuch, Mittwoch, 6. April 2016

Die letzte Kiste, die ich in Hamburg eingepackt habe. Ich bin traurig.

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Tagebuch, Montag/Dienstag 4./5. April

Montag war Warteschleife. Die ganze Wohnung geputzt, um mich noch mehr auf sie zu freuen, wenn ich Freitag wiederkomme und dann endgültig nur noch in München wohne. Umsatzsteuervoranmeldung gemacht, was okay war, weil ich so schöne Belege hatte. Abends großartigen geräucherten Lachs in Senfkruste genossen, den F. mitbrachte und zu dem ich nur noch einen Salat machen musste, schon war das Abendessen perfekt. Dazu einen Rosé, ich bin gerade auf dem Rosé-Trip.

Dienstag um kurz vor sechs wach geworden, einen Alptraum abschüttelnd, der mit dem Kerl zu tun hatte. Manchmal ist mein Unterbewusstsein erschreckend einfallslos.

Ereignisloser Flug bis auf das kotzende Kind vor mir (armes Hascherl), im Flugzeug schon das ÖPNV-Ticket gebucht (hat sich doch gelohnt, die HVV-App noch nicht gelöscht zu haben), den Koffer in die S- und U-Bahn gewuchtet und die ganze Zeit gedacht, anywhere but here. Das ist nicht mehr Zuhause, was eigentlich okay ist, weil ich mich dann nicht noch mal trennen muss, aber es hat mich doch sehr traurig gemacht.

Eine letzte Wohnungsbegehung mit dem Kerl, ein betrübtes Gespräch von beiden Seiten. Abends charmante Hilfe beim Lampenabschrauben gehabt.

Heute packe ich 20 Kisten und dann müsste ich durch sein.

Hurra.

*wimmer*

Was schön war, Samstag/Sonntag, 2./3. April 2016

Samstag traf ich mich morgens mit der charmanten Frau Nessy im Café Puck. Wir sprachen über Body Acceptance, Bücherschreiben und Blogzeug, und ich ging mit drei geschenkten Büchern nach Hause. Habe immer noch ein schlechtes Gewissen, weil ich bräsigerweise nicht die ganze Frühstücksrechnung bezahlt habe, was irgendwie ein netter Gegenzug gewesen wäre, ich Soziodeppin. Hiermit spreche ich eine Einladung fürs nächste Treffen aus.

Ansonsten: Fußball geguckt, weiter Franzen gelesen, ein bisschen rumgekocht. Neues Dressing für den Karottensalat ausprobiert, den ich sonst immer mit Zitrone und Zucker anmache; dieses Mal mit Honig, Essig und Öl. Sehr gut.

Am Sonntag war das Wetter so schön, dass ich mich aufs Rad setzte und in den Englischen Garten fuhr. Das hatte ich das letzte Mal mit dem alten, schweren Fahrrad gemacht, weswegen ich an der Nordecke beim Aumeister schon ein wenig aus der Puste war. Dieses Mal radelte ich vergnügt vor mich hin und dachte irgendwann, huch, hier ist schon der Aumeister? Ich schwitze ja noch nicht mal richtig. Gutes Fahrrad. (Schaltung zickt immer noch. Keine Ahnung.)

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Auf dem Rückweg setzte ich mich ein bisschen auf eine Bank am Kleinhesseloher See und zog mein Buch aus dem Rucksack, aber es war zu voll und damit zu unruhig, um zu lesen. Also radelte ich nach einer kleinen Pause gut gelaunt nach Hause.

Tagebuch, Freitag, 1. April 2016 – Die Böhmermann-Edition

Ich habe gestern sehr lange über Böhmermanns Be Deutsch nachgedacht.

Der Clip landete vorgestern in meiner Twitter-Timeline, ich fand ihn spontan gut und verlinkte ihn. Im Laufe des Tages hatte ich ihn noch dutzende Male in meiner Timeline, aber auch die ersten kritischen Stimmen (beides Twitter*innen, auf die ich sehr gerne höre, weil sie noch Metaebenen aufbohren, wenn ich es mir schon längst auf der obersten Ebene bequem gemacht habe). Gestern las ich dann, was zum Beispiel die Vice (ja, schon gut) oder Sascha Lobo zu sagen hatten. Ich versuche mal zusammenzufassen:

– Das Video ist scheiße, weil es den Nazi-Nationalstolz durch einen „Wir sind jetzt nicht mehr stolz und darauf stolz“-Nationalstolz ersetzt.
– Das Video ist scheiße, weil es den Holocaust als Sprungbrett für den guten Deutschen (TM) nutzt à la „Wir haben gelernt“ – und damit nicht genug: Weil wir gelernt haben, können wir dem Rest der Welt jetzt helfen, genauso zu lernen bzw. die Fehler der Deutschen gar nicht erst zu machen.
– Das Video ist scheiße, weil es gar keine Satire ist, sondern Böhmermann das ernst meint mit dem „Wir sind jetzt gute Deutsche, habt uns lieb“.
– Das Video ist scheiße, weil wir Deutschen nach Auschwitz überhaupt kein Recht mehr haben, in irgendeiner Weise auf dieses Land stolz zu sein.

Was das Video bei mir ausgelöst hat, war zunächst Belustigung, weil ich beim ersten Sehen hauptsächlich auf die ganzen Witze geachtet habe: dass wir komische Hütchen oder Fahrradhelme tragen und die Liegestühle mit Handtüchern sichern, dass wir Jack Wolfskin, Birkenstocks, Fanta und Scooter mögen und selbst als Veganer*in noch Wurst essen. Alles verpackt in den Sound der deutschesten aller Bands, Rammstein. Das Englisch fand ich albern, tat mir aber nicht weh. Was mir weh tat, war der blöde Kant/Cunt-Witz, den ich nicht witzig fand, weil ich cunt als Schimpfwort scheiße finde. Meine cunt ist großartig, sie ist alles andere als eine Beleidigung. (TMI.)

Beim zweiten Sehen fand ich es immer noch unterhaltsam, aber es mischte sich ein leichtes Unbehagen in den Sehgenuss, weil die erste Metaebene – wir sind jetzt darauf stolz, auf nichts mehr stolz zu sein – zwar klar intendiert war, aber nicht so recht funktionierte. Alleine die Nennung „Weltmeister“ ließ mich an die schwarzrotgoldene Fanmeile am Brandenburger Tor denken, wo der ach so lustige „So geh’n die Gauchos“-Song vor zwei Jahren ein Aufreger war. Gerade beim Fußball, bei Olympischen Spielen oder anderen Wettbewerben, bei denen eine Gruppe als Vertreterin ihrer Nation auftritt, kippt der launige Party-Patriotismus (was auch immer das sein mag) in echten Patriotismus um. Dann ist Twitter wieder voll von Klischeeschimpfwörtern über andere Nationen, wenn Italien, Spanien oder die Niederlande es wagen, der Mannschaft ein Tor einzuschenken oder gar zu gewinnen.

Beim weiteren Sehen kam noch ein anderes unbehagliches Gefühl dazu: das Gefühl, dem Video gnadenlos auf den Leim gegangen zu sein. Be Deutsch bejubelt die guten Deutschen (TM), die verständnisvoll, tolerant und aufgeschlossen sind und sich dem blöden Faschomob entgegenstellen. Das fühlt sich natürlich toll an, wenn man sich selbst als gute Deutsche sieht und jetzt mal auf die Schulter geklopft bekommt. Ich musste mir eingestehen, dass das genau meine Sichtweise auf mich und auch auf große Teile unseres Landes ist: Wir haben gelernt, wir sind jetzt okay, wir machen sogar Witze über uns. Und ich frage mich, ob das nicht eine genauso gefährliche Ecke ist wie die derjenigen, die sagen, wir sind auf Deutschland stolz, weil wir alles Nicht-Deutsche draußen halten wollen (auch hier: was auch immer das ist).

Im Video wird textlich der 9. November erwähnt, unter anderem der Tag des Hitlerputsches 1923 und der Reichspogromnacht 1938 (deren Datum bewusst gewählt wurde). Es ist aber auch der Tag des Mauerfalls 1989, und wenn man fies ist, kann man Böhmermann vorwerfen, nicht ganz eindeutig zu argumentieren. „Broken glass, fire, and plot“ sowie „our own treason“ weisen intuitiv auf die Pogrome hin, könnten aber auch auf 1989 bezogen werden; auch dort gingen Scheiben zu Bruch, und die ostdeutsche Bevölkerung beging durch ihren Aufstand im großen Stil Landesverrat. Das mag spitzfindig sein, aber wenn man sich den restlichen Kontext des Videos anschaut, der auf Clausnitz und die AfD-Wahlergebnisse in Ostdeutschland anspielt, könnte man Böhmermann unterstellen, dass er genau diesen Bevölkerungsteilen sagen möchte: Wir haben nicht vergessen, warum ihr zum jetzigen bundesdeutschen Gebiet gehört („Remember, remember“), reißt euch mal zusammen, um auch so gute Deutsche (TM) wie wir zu werden. Was sehr ironisch ist, denn die Bundesrepublik hat sich in ihrer Gründungszeit durch eine sehr lässige Auseinandersetzung mit der Vergangenheit hervorgetan, während in der DDR weitaus radikaler entnazifiziert wurde. Ich zitiere als Beispiel die FAZ vom November 2015:

„Nach den Untersuchungen des Instituts für Zeitgeschichte […] waren 54 Prozent aller Mitarbeiter ab Referatsleiterebene [im bundesdeutschen Innenministerium] zwischen 1949 und 1970 früher Mitglieder der NSDAP gewesen; im Juli 1961 waren es sogar 66 Prozent. Im Innenministerium der DDR waren es 14 Prozent, ein vergleichsweise geringer Wert, der aber höher als bislang vermutet ist.“

In diesem Zusammenhang finde ich es sehr gewagt, ausgerechnet „Wake up, Deutschland“ – also „Deutschland, erwache“ – als Textzeile zu nutzen und davon zu sprechen, aus Pflichtgefühl wiederzukommen; im Bild erheben sich dazu Menschen aus der Erde. Nazi-Zombies, diesmal in Gut? Auch weitere Textstücke wie „maniacs with wicked hair“ oder „assholery“, die beide auf Hitler anspielen, werden mir zu lässig genutzt. Hitler als ein Arschloch mit komischer Frisur zu beschreiben und ihn bildlich fragmentiert und mit Neonblitzern versetzt zu zeigen, verharmlost ihn zu sehr.

Außer dem aufblitzenden Hitler sehen wir kein einziges Bild, das genau sagt, dass Böhmermann sich hier auf die NS-Zeit bezieht. Und das ist meiner Meinung nach (die volle zwei Tage für ihre Bildung gebraucht hat) das größte Versäumnis des Videos, aber auch der einzige Grund, warum es funktioniert und ich es beim ersten Ansehen als lustig empfunden habe. Jede Erinnerung an die NS-Verbrechen wie den Holocaust hätten das Video zu sehr geerdet und seine bräsige Geschmacklosigkeit sehr deutlich werden lassen. Das Bild Hitlers haben wir zu oft parodiert, als dass man es alleinstehend noch als bedrohlich oder als Mahnung wahrnehmen kann. Trotzdem ist es interessant, dass die Macher*innen Hitler nicht einfach so zeigen, sondern verfremden und zerschnipseln, so als ob sie wüssten, dass es eben dem ganzen lustigen Treiben einen argen Dämpfer verpassen würde, wenn man ihn, wenn auch nur für wenige Sekunden, ohne bildliche Verfremdung sehen könnte.

Stellt man sich nun vor, im Video wären Bilder von zum Beispiel Anne Frank oder dem Jungen aus dem Warschauer Ghetto mit den erhobenen Händen zu sehen gewesen, wäre genau das passiert, was ich eben andeutete: Die ganzen Witze mit Scooter und den Fahrradhelmen ziehen nicht mehr. Kein Bild dieser Welt kann die erstgenannten weniger schmerzhaft machen. Und kein gutes Deutschsein (TM) kann dieses Land von seiner Vergangenheit befreien oder sie gar entschuldigen.

Im Prinzip macht Böhmermann mit diesem Video genau das, was auch die AfD mit ihrem Parteiprogramm will: Wir sollten aufhören, die deutsche Geschichte auf die Zeit zwischen 1933 und 1945 zu beschränken und auch mal wieder das Gute sehen, was wir so geschafft haben. Die AfD meint damit die sprichwörtlichen Dichter und Denker, die sie gerne wieder mehr auf deutschen Bühnen sehen möchte; Böhmermann meint damit uns (ja, mich) aufgeklärte Deutsche, die aus der Geschichte gelernt haben und nun wieder selbstbewusst (aber bloß nicht stolz) deutsch sein können.

Ich muss gestehen, dass ich immer noch nicht weiß, was genau Böhmermann mit dem Video wollte – für wen soll es sein und was will es mir sagen? Vielleicht wollte es nur genau diese Unbehaglichkeit rauskitzeln, die ich eben lange beschrieb; dann hätte es wunderbar funktioniert und mir als nach Selbsteinschätzung guter Staatsbürgerin und Verfassungspatriotin einen schönen Spiegel vorgehalten.

Blöderweise glaube ich nicht, dass das die Intention war. Durch den englischen Text und dem Rumreiten auf typisch teutonischen Klischees ist dieses Video auch außerhalb des deutschen Sprachraums verständlich, und deshalb kommt es mir inzwischen wie eine Werbung fürs gute Deutschland (TM) vor und keine ironische Brechnung eben dessen. Und dann frage ich mich wieder: Warum das ganze? Für wen? Vielleicht doch genau für die Menschen, die AfD gewählt haben, um ihnen zu sagen, hey, du kannst ruhig auf Deutschland stolz sein, aber dann doch bitte auf andere Dinge. Dann kannst du dich entspannt als gute*n Deutsche*n (TM) sehen und wir müssen keine Videos mehr machen.