Samstag bis Montag, 20. bis 22. März 2021 – „Tauben im Gras“

Wir begannen den Samstag mit ewig langem Rumlungern im Bett, ich bloggte ein bisschen, der Herr schlief noch mal ein, irgendwann war es Mittag und wir erledigten den Rest Champagner, F. mit dem restlichen Brot vom Vorabend, ich briet mir Rösti und hektisches Spiegelei. Einen Tag später ergoogelte ich den Champagner aus Langeweile und stieß auf schreckliche Beschreibungen: „Seine mundwässernd saline Ader schmiegt sich um den schlanken Säurenerv und verleiht ihm im Verbund mit der feinen Phenolik seine griffig animierende Haptik, die seine Trinkgeschwindigkeit immens beschleunigt.“ (Einfach selbst googeln.) Außerdem wurden auf der Website als begleitende Speisen „Ravioli mit jungem Spinat in Muskatbutter und Bröseln, Miesmuscheln mit Pommes Frites oder frittierte Hühnerflügel mit rot fermentiertem Tofu“ angegeben. Hase – nichts gegen rot fermentierten Tofu, was auch immer das ist, aber ernsthaft: Champagner schmeckt mit allem, sogar mit leicht angebranntem Rösti.

Ich las weiter in Wolfgang Koeppens „Tauben im Gras“ und beendete es am Sonntag. Ich weiß, ich komme 70 Jahre zu spät mit dieser Empfehlung, aber: Empfehlung. München wird nicht wörtlich als Ort der Handlung genannt, aber das erwähnte Bräuhaus sowie das Amerikahaus, das sich in einem Führerbau befindet, weist dann doch sehr deutlich auf diese Stadt hin. Auch deshalb las ich das Buch sehr gespannt, begeistert und gleichzeitig äußerst irritiert in einem Zug durch. Gespannt, weil ich mir nicht vorher von der Wikipedia alles habe erzählen lassen, begeistert, weil ich den gehetzten, modernen Stil, der an einen „Stream of Consciousness“ erinnert, sehr mochte – und irritiert, weil das N-Wort in mehreren Facetten auf gefühlt jeder dritten Seite vorkommt. Dazu sind die Beschreibungen gerade der Frauenfiguren grundsätzlich unsympathisch, die Männer kommen etwas besser weg, der Erzähler erinnerte mich ab und zu an einen blöden neidischen Nervkerl, der es Frauen grundsätzlich übel nimmt, wenn sie die männlichen Genies beim Denken stören. Oder generell andere Lebensentwürfe haben als die Herren. Ich habe von dem Buch viel über die Nachkriegszeit mitgenommen, mich über diverse Formulierungen gefreut und fand das sehr gut investierte Zeit.

Bei Booklooker bestellte ich gleich mal für einen Euro den letzten Teil der „Trilogie des Scheiterns“, „Das Treibhaus“ von Koeppen hatte ich bereits gelesen. Die „Tauben“ waren sogar umsonst, die hatte ich 2019 in einer Bücherkiste am Straßenrand gefunden.

Sonntag begann ich das nächste Buch, zu dem ich noch nicht viel sagen kann. Es liest sich auf jeden Fall sehr anders als das von 1951. Leider keine passende Sammeltasse zum Titel im Bestand.

Kuchen gebacken, das scheint momentan meine Hauptbeschäftigung zu sein, wenn ich nichts mit mir anzufangen weiß, bis die Impfung irgendwann kommt. Es wurde ein Kuchen aus Ottolenghis „Simple“, der eigentlich mit Zitrone, Mandeln und Blaubeeren gemacht wird, aber mit Himbeeren auch prima schmeckt. Keine Lust, das Rezept zu verbloggen, steht bestimmt schon irgendwo in diesem Interweb.

Erneut einen Versuch gestartet, Fleischersatz für Burger zu basteln. Dieses Mal testete ich ein Rezept von Smitten Kitchen, das mit Mohrrüben und weißen Bohnen arbeitete. Wie praktisch, wenn man wirklich alle Zutaten im Haus hat plus selbst gebackene Burger Buns, die flugs auftauen. Schmeckte gut – aber nicht wie ein Burger. Ich gebe das jetzt auf und esse weiter Rindfleisch. Außer jemand kennt ein Ersatzprodukt, das wie Rindfleisch schmeckt? Würde ich kaufen wollen.

Länger mit Schwester, Schwager und Mutter telefoniert, das scheint auch ein neuer Dauerzustand zu werden. Hasse das Virus noch mehr als eh schon, weil es mich daran hindert, mich einfach in den Zug zu setzen und anderen Menschen Arbeit abzunehmen, jetzt wo ich gerade nicht so irre eingespannt bin. Vielleicht bin ich übervorsichtig oder schlicht ein Schisser, andere Leute fahren ja auch Zug, aber ich habe wirklich Angst vor dieser Krankheit und will sie so gar nicht bekommen.

Gestern war wieder Schreibtischtag, allerdings wenig erfolgreich. Sehr müde und genervt von allem gewesen. Immerhin zum Sport aufgerafft, das tat gut.

Alles ist gerade ein großes Meh. Aber immerhin lese ich privat wieder mehr als in den Jahren zuvor, wo kunsthistorische Fachliteratur den Hauptteil meiner Zeit verschlang. Das ist schön.

Brownie-Shortbread mit Meersalz

Das Rezept aus der NYT möchte zartbittere Schokolade, aber ich hatte gerade blonde da, mit der ich schon länger backen wollte. Das klappt hier ganz hervorragend: Der tief-schokoladige Brownie hat im Abgang eine deutlich vernehmbare Karamellnote. Dafür ist er nicht ganz so bitter, wie das Originalrezept behauptet. Muss ich wohl nochmal backen, um das rauszufinden. Aber für die nächsten Wochen reicht diese Portion.

Meine Backform ist ca. 22 mal 30 cm breit und lang; aus dem Riesenkeks, der aus den unten stehenden Zutaten rauskommt, kann man mindestens 28 Brownies schneiden, vermutlich mehr. Jedes Stück ist äußerst reichhaltig, aber so soll’s ja auch sein.

Den Backofen auf 180° Ober- und Unterhitze vorheizen. Die Backform fetten und auf jeden Fall mit Backpapier auslegen, das über die Seitenränder hängt, sonst bekommt man den Schlotz nur sehr unelegant aus der Form.

Den Shortbreadteig kann man per Hand kneten (meine Methode) oder im Zerkleinerer zusammenfügen. Ihr braucht dazu:
340 g kalte Butter, in Würfel geschnitten,
385 g Mehl, Type 405,
150 g Kristallzucker und
1 1/2 TL Salz.

Alles zu einem Teig verarbeiten, in die Backform drücken, halbwegs glätten, gründlich mit einer Gabel überall einstechen und für 30 bis 35 Minuten backen. Die Oberfläche darf ruhig etwas dunkler werden. Das habe ich mich nicht ganz getraut, weswegen mein Shortbread so aussieht, als sei es nicht durch. Ist es aber, nur nicht ganz so knusprig wie es sein könnte.

Die Form aus dem Ofen nehmen, die Temperatur auf 190° erhöhen. Während das Shortbread bäckt, kann man schon den Brownieteig zubereiten.

Im Wasserbad
225 g Butter mit
80 g zartbitterer Schokolade schmelzen (bei mir, wie erwähnt, blonde Schokolade).

In einer Schüssel
265 g braunen Zucker (bei mir 250) mit
200 g Kristallzucker (bei mir 150, ich ahne, dass es 100 auch tun) und
45 g entöltem Kakaopulver vermischen.

In einer weiteren Schüssel
190 g Mehl, Type 405, mit
1/2 TL Salz mischen.

Die Schokobutter nun zur Zuckerschüssel geben und alles gründlich verrühren (bei mir mit dem Schneebesen, Mixer tut’s vermutlich auch). Danach Mehl und Salz dazugeben. Ganz zum Schluss noch
3 Eier untermixen. Wer Lust hat, gibt noch 90 g Nüsse dazu, ich lasse die weg.

Den Brownieteig auf das noch warme Shortbread geben und mit
ordentlich Meersalz in Flocken bestreuen. Ich war etwas zu zaghaft, aber das Backwerk verträgt wirklich ordentlich Salz. Für 23 bis 28 Minuten backen; darauf achten, die Form nicht zu lange im Ofen zu lassen – wenn die Oberfläche festgeworden ist, sollte alles aus dem Ofen. Darauf weisen auch mehrere Kommentator:innen beim Originalrezept hin, also habe ich mich brav daran gehalten.

Dringend auskühlen lassen, sonst läuft euch die Schokolade entgegen. Auch am Backtag selbst ist die Mitte zwischen durchgebackener Oberfläche und knusprigem Shortbread noch arg flüssig, erst am zweiten Tag kann man alles auf einen Teller drapieren, ohne dass die Mitte ausläuft. Aber dann! Dann schmeckt das alles unglaublich gut und trotz des Bergs an Zucker nicht zu süß.

Freitag, 19. März 2021 – Geburtstagsmenü

F. hatte uns wieder eine Kochbox zur Date Night angeschleppt, dieses Mal nicht vom Broeding, sondern eine vom Sparkling Bistro, das einen Stern sein eigen nennt und diese Box nur einmal anbot und nicht jede Woche. Nach fünf Gängen, Brot vorneweg und Pralinen hinterher bedauere ich das sehr, dass ich das nicht öfter zuhause genießen kann, aber das Bistro hat sich ganz nach vorne auf die Liste von Restaurants geschoben, in die wir frisch geimpft gehen werden.

Was mir besonders gefiel: Ich musste selbst ein bisschen arbeiten. Meistens nur Dinge wie Plastiktüten aus Wasserbädern holen, Teller vorwärmen oder Brokkoli kurz anbraten, aber zum Schluss formte ich erstmals Topfenknödel, was nach einer Flasche Weißwein, einem Glas Champagner und einem Hauch Rotwein schon eine bemerkenswerte Leistung war. Ich fühlte mich total professionell, Einzelteile aus Gläsern und Plastikboxen zu ordnen, fertigzustellen und schließlich nach Anleitung auf Tellern zu drapieren. Ich hoffe, ich habe es halbwegs manierlich hinbekommen, ich neige beim Alltagskochen ja sehr dazu, Dinge einfach neben- und übereinander in tiefe Teller zu schaufeln und von da in meinen Mund. Anrichten ist eher nicht so meins, aber hier durfte ich mit meiner Palette rumspielen, die ich gerade zum Einstreichen meiner kleinen Sahne-Geburtstagstorte benutzt hatte, Cracker keck schräg auflegen und dramatisch Sauce auf Essen tropfen, was F. dann festhielt. Dementsprechend sind fast alle untenstehenden Fotos von ihm, nur ein paar sind von mir: Ich habe in den letzten Wochen ein bisschen geübt, mit der Spiegelreflex manuell scharfzustellen und mich auf irgendwas auf dem Tisch zu konzentrieren, aber so richtige Atmo haben meine Bilder immer noch nicht. Das merkte ich vor allem beim Himbeer-Marmorkuchen, wo ich Spiegelreflex- und iPhone-Fotos im Blogeintrag mischte, weil viele Bilder nicht so wurden wie ich sie gerne gehabt hätte.

F. holte die Box im Bistro ab und erwähnte, dass es ein Geburtstagsmenü sei, woraufhin die freundlichen Menschen ihm noch einen halben Liter Champagner mitgaben, „aufs Haus“. Dankeschön!

Bitte beachten Sie die Osterdeko im Hintergrund, die zu schweben scheint. Wegen des grünen und des pinkfarbenen Eis war der Tisch ebenfalls in rosa und hellgrün gehalten.

Ich klebte erstmal die vierseitigen Menüanweisungen an meine Küchenschränke, damit ich nicht dauernd blättern musste. Gleichzeitig wurde ein Brot aufgebacken, natürlich vom Brantner, von wem auch sonst. Endlich kam ich in den Genuss des hervorragenden Walnuss-Sesambrots, das es nur am Donnerstag gibt und das ich noch nie bekommen hatte, wenn ich spontan vorbeigeradelt war. Inzwischen sind die Produkte dort so gefragt, dass eine Vorbestellung ratsam ist, für die ich immer zu faul bin.

Für den ersten Gang gab ich ein Stück rote Bete in die Mitte eines tiefen Tellers, bröselte dann gehackte Haselnüsse darüber, die mich schon andufteten, als ich die Tüte mit ihnen öffnete. Darauf platzierte ich drei kleine geräucherte Stücke vom Saibling – und legte danach mit angehaltenem Atem eine kleine Decke aus Betesaft-Gelee über alles. Das wollte ich schon immer mal machen! Am Tisch beträufelte ich alles mit Betesud und vergaß dabei auch die weiße Tischdecke nicht. Knurr. Wenn ich kleckere, dann wenigstens richtig.

Der zweite Gang war schneller zusammengebaut: ein bisschen Kapaunleber auf den Teller, Apfelmarmelade darüber und als Abschluss einen Cracker. Den hätte ich vermutlich in kleinere Stücke brechen sollten, aber so ist es total dramatisch.

Wir blieben weiterhin beim Weißwein. F. hatte im Bistro nach einer Weinempfehlung gefragt, ihm wurde ein Chardonnay nahegelegt, den er aber nicht im Keller hatte. „Geht auch Furmint?“ Freude beim Bistro, dass jemand Furmint zuhause hat, „ja, der ist auch super.“ Stimmt, der passte gut.

Die Zwiebel mit Käsebouillon war quasi Zwiebelsuppe, nur andersrum, also großartig. Ich wärmte die Zwiebeln im Ofen auf, die Bouillon im Topf, aus dem Wasserbad holte ich außerdem Pumpernickelcreme, die als erstes auf den Teller kam. Darauf gab’s wieder was als Crunch, hier Pumpernickelbrösel, dann die Zwiebeln, und dann durfte ich wieder träufeln.

Der Hauptgang kam fast komplett aus dem Wasserbad, sehr praktisch. Normalerweise bin ich kein Trüffelfan, hier fand ich ihn aber angenehm, weil nicht zu stark und im Vordergrund. Die Kalbsbacke war der Star, das Selleriepüree schmolz im Mund, die Brokkolistengel waren herrlich bissfest. Wir schwelgten und hatten inzwischen den Rotwein geöffnet, den wir auch schon am Heiligabend getrunken hatten.

Dann rollte ich Topfenknödel, ließ ihn garziehen, wälzte ihn in Butterbröseln und legte ihn auf Marillenkompott. Als einzige nicht mitgegebene Zutat wurde nach Puderzucker verlangt, den ich natürlich im Haus hatte. Der Rotwein passte gar nicht mehr, wir wollten aber auch keinen Süßwein öffnen, also kippte ich den Portwein in Gläser, mit dem ich sonst koche. War erstaunlich gut, sollte ich vielleicht nicht so unbedacht in Saucen schütten.

Zum Abschluss gab’s Kürbiskernpralinen, ich kredenzte mir einen Espresso, wir verzichteten auf Schnaps, sondern öffneten stattdessen die zweite Flasche Champagner, die F. mitgebracht hatte. Mit der hatten wir eigentlich den Abend beginnen wollen, aber wenn man schon ein Fläschchen geschenkt kriegt, trinkt man natürlich erstmal das.

Den Marguet hatten wir als Rosé im Tantris getrunken, aber der weiße war noch toller. Neuer Lieblingschampagner, sehr fein, nicht zu hefig, viel Birne drin, tolles Zeug. Danach waren wir sehr glücklich und zufrieden und kugelten ins Bett. Okay, zunächst räumte ich den Geschirrspüler ein und wusch all das Zeug ab, das nicht in eben dieses technische Wunderwerk darf, dusseliger Goldrand, aber dann kugelten wir ins Bett. Das war ein wunderschöner Abend, der sehr gut tat nach den letzten Dreckstagen.

Donnerstag, 18. März 2021 – Geweint

Nachrichten aus der alten Heimat, zwei Stunden wütend gewesen, dann traurig, ist jetzt egal, betreffende Tweets gelöscht, wieder abgeregt und resigniert.

Ich finalisierte das überarbeitete Abbildungsverzeichnis der Dissertation, dessen Inhalt und Reihenfolge sich natürlich nach den Umstellungen im Text ebenfalls geändert hat. Immerhin hier konnte ich dramatisch kürzen und verzichte auf über 50 Bilder, die in der eingereichten Diss noch zu sehen waren. Mein Fokus liegt nun deutlicher auf der NS-Zeit und deswegen bilde ich gerade aus der Nachkriegszeit deutlich weniger ab. Mitten in diese Arbeit kamen die Nachrichten, und nach kurzem sinnlosen Anbrüllen meiner Wände klickte ich den Mix der Woche auf Spotify an, der mir passenderweise lauter 80er-Jahre-Pop anbot, was ich fast komplett mitsingen konnte. Aus dem Brüllen wurde daher Singen, mit externen Lautsprechern statt der kleinen schraddeligen Macbook-Tröten, erstmals auch richtig laut, genau wie mein Gesang, scheiß darauf, ob die Nachbarn das hören, das war nötig. Ich hatte ganz vergessen, wie laut ich werden kann, wenn ich mich lasse, und das tat sehr gut. Wenn ich auch wütend nicht wirklich vernünftig singen kann, aber ich versuchte, das zu kanalisieren, sang gegen meine Hand auf dem Bauch anstatt gegen die Wände und musste mich daher auf etwas konzentrieren anstatt nur zu brüllen.

Danach war klassische Musik mein Fallschirm und mein Rettungsboot (SCNR). Dvořáks 4. Satz des All-time-Klassikers „Aus der neuen Welt“ brachte mich dann zum Heulen, weil gerade da die ersten (und letzten) Töne geradezu körperlich spürbar sind, auch bei nicht ganz aufgedrehten Lautsprechern. Zum ersten Mal vermisste ich Musik von einer Bühne herunter so sehr, dass ich zu weinen begann. Meine Nerven erinnern mich an überspannte Berichte aus dem 19. Jahrhundert, und wenn ich eine Perlenkette und Riechsalz gehabt hätte, ich hätte sie benutzt. So heulte ich sinnlos in der Gegend rum und war danach ähnlich erschöpft wie am Mittwoch.

So langsam geht mir doch meine Kraft aus, wie ich irritiert feststellen muss. Als Mensch, der gerne alleine ist und seine Ruhe hat, dachte ich, ich könnte mir dem ganzen Irrsinn da draußen ganz okay umgehen, ich muss ihn ja nicht an mich ranlassen, ich kann ja zuhause bleiben und die Tür schließen und von hier arbeiten und denken. Das geht jetzt anscheinend nicht mehr ganz so halbwegs reibungslos wie im letzten Jahr. Ich habe für mich noch keine Lösung gefunden, ich sitze das aus, was bleibt mir übrig.

Re: klassische Musik. Hier ist ein hervorragender Twitter-Thread mit vielen Beispielen: „Lots of us learned classical music from watching old cartoons, so I’m going to identify the pieces that frequently popped up.“ (Via @ineshaeufler)

Die Calder-Foundation hat ihre Website überarbeitet und stellt nun viele, viele Fotos der Werke von Alexander Calder online. Meine liebste Unterkategorie: Schmuck.

Alexander Calder: Harps and Heart (um 1937), Messing, ca 100 cm, Schmuckelemente ca. 16 x 10 cm, Calder Foundation New York. Bildquelle: Calder Foundation.

Mittwoch, 17. März 2021 – Müde

Gemeinsam aufgewacht, das war wie ein kleiner Geburtstagsnachschlag aka schön.

Ich musste Bücher in die Stabi zurücktragen, drei waren gestern fällig, zwei hätte ich noch bis nächste Woche behalten können, aber meh, ich mache mal ne Pause von Fachliteratur zur NS-Zeit (und lese lieber Romane über Rassismus oder die Nachkriegszeit, super Plan). Das Fahrrad war frisch aufgepumpt, ich machte mich zur launigen Ausfahrt fertig, als es wüst zu schneien begann. Ich überlegte: doch den Bus nehmen, acht Kilo Bücher über der Schulter tragen, mit Maske unter (sehr wenigen) Menschen sitzen und auf dem Weg von der Haltestelle zur Bibliothek eingeschneit werden, wenn auch nur wenig? Oder: Mich aufs Fahrrad setzen, vermutlich sehr nass werden, aber dafür ohne Maske und in eigenem Tempo und alleine durch frische Luft radeln? Okay, die Entscheidung war doch einfacher als gedacht.

Nass an der Stabi angekommen, beschaute ich mir das neue Eintrittsballett. Es wurde seit Beginn der Öffnungen, also schon im letzten Jahr, immer gezählt, wieviele Menschlein sich in der Rückgabe- und Ausleihhalle aufhalten dürfen, das war so geblieben. Auch die Bodenmarkierungen schienen sich nicht geändert zu haben. Ich hatte aber um kurz vor 11 anscheinend einen Slot erwischt, an dem viele ihre Bücher zurückgeben wollten, daher musste ich mich erstmal in eine Schlange in der Eingangshalle stellen, die von einem pflichtbewussten Mitarbeiter ständig durchgezählt wurde. Der Herr ging ab und zu nach hinten in die Ausleihhalle und zählte auch da, um sicher zu sein, dass nur 15 Leute hier unten zugange waren. Das beruhigte mich, auch wenn ich wusste, dass ich mit gleichzeitiger Rückgabe und neuer Ausleihe die Schlange in der Eingangshalle etwas verlangsamen würde.

Für die Rückgabe muss man Jacke und Taschen nicht abgeben, aber für die neue Ausleihe muss alles ins Schließfach, worin man theoretisch Bücher schmuggeln könnte. Ich hatte mich nach Monaten gerade noch mühsam daran erinnern können, eine Münze fürs Schließfach mitzunehmen, ich Profi. Da ich inzwischen die dritte Ausleihkarte für die Stabi habe und erst einmal mit der neuen Nummer ausgeliehen hatte, musste ich erstmal mein Regal suchen und dann die Stelle im Regal, wo meine Bücher sein könnten. Das ging dann aber doch alles sehr schnell, ich seufzte innerlich die ganze Zeit und wollte ins ZI und in Bücherbergen wühlen, aber mei, das muss jetzt warten, bis ich geimpft bin, fertig, aus.

Mit zwei neuen Büchern im Arm (ich nehme Bücher immer IN den Arm, anstand sie mir unter einen zu klemmen) ging ich zum Schließfach zurück, um Rucksack und Jacke herauszuholen, als fast direkt neben mir ein Kerl an sein Schließfach wollte, wofür er theoretisch hätte warten können, um Abstand zu halten, was er natürlich nicht tat, und da war der kleine schöne Bibliotheksmoment wieder im Arsch. Ich werde zum Profi-Misanthropen, je länger diese Scheiße dauert.

Auf dem Rad ging’s dann wieder, weil ich halt auf einem Fahrrad fuhr, was immer toll ist, selbst wenn es nur 500 Meter sind, es ist herrlich. Ich wurde weiter nass, aber das war egal, immerhin war mir nicht kalt, weil ich unter dem Hoodie (keine Winterjacke diese Saison angezogen und jetzt fange ich nicht mehr damit an) den dicken Stadionpulli trug. Kam der auch mal an die frische Luft, das nutzlose Ding.

Ich radelte an der Lieblingsbäckerei vorbei, aus der F. mittwochs immer seine Bestellung holt, rief ihn an, ob der schon dagewesen wäre, ich sei gerade da, aber der Mann hatte sein geliebtes französisches Landbrot bereits zuhause, ich war zu spät. Das hätten wir schlauer timen können, aber unsere Gehirne gehen immer mehr in den Pandemiemodus. (Bin ich froh, dass die Diss abgegeben ist.)

Zuhause schlüpfte ich in trockene Klamotten und vertiefte mich gleich in eins der ausgeliehenen Bücher – und nickte fast ein. Ich zog vom Sofa an den Schreibtisch – und schlief auch dort fast ein. Ich ignorierte alles, was ich für gestern auf meiner To-do-Liste hatte und verdöste quasi den ganzen Nachmittag. Seit Dezember hatte ich an der Diss-Überarbeitung gesessen, dann kam die Woche im Norden, dann musste der Geburtstag irgendwie rumgebracht werden – und jetzt konnte ich schlafen. Was ich dann auch ausgiebig tat.

Dafür war ich abends natürlich wach und las bis 2 Uhr morgens, aber das ist jetzt alles egal.

Gestern war St. Patricks Day, mir egal, aber diesen Post der Bayerischen Schlösserverwaltung fand ich gut.

Montag/Dienstag, 15./16. März 2021 – Zweiter Pandemiegeburtstag

Der Montag fing eigentlich gut an: Ich raffte mich zum Wohnungsputz auf und sah, danach am Schreibtisch sitzend, erfreut, dass ich neue Dinge auf der Seite für die Impfanmeldung in Bayern anklicken konnte, die mich in Priogruppe 2 brachten, wo ich hingehöre. Ich setzte ein Schreiben auf, ging zum Briefkasten und hatte das Gefühl, irgendwie aktiv geworden zu sein, selbst etwas machen zu können. Ab da ging der Tag leider den Bach runter.

Zunächst bekam ich mit, dass es dem Mütterchen nicht so gut ging, dann, dass sich das Schwesterherz ähnlich fühlte, alles war auf einmal wieder anstrengend und doof, und dann kam die Nachricht rein, dass die Impfungen mit Astra-Zeneca ausgesetzt werden, gerade jetzt, wo die Infiziertenzahlen wieder nach oben gehen und die ganze Impfkampagne eh nur schleppend läuft. Natürlich ist es richtig, dass man sich seltsame Häufungen von Krankheits- oder sogar Todesfällen anschaut, aber soweit ich das überblicke, ist das Risiko, bei Corona eine Thrombose zu entwickeln, deutlich höher als das bei der Impfung. Ich habe aber natürlich nicht wirklich eine Ahnung, nur mal wieder, erneut, dauernd das Gefühl, wieder machtlos geworden zu sein. Und da erwischte mich dann erstmals der Pandemie-Heulflash. Wegen Stress oder Überforderung nah am Wasser zu sein – geschenkt. Aber Montag ergriff mich eine dicke Dosis Hoffnungs- und Mutlosigkeit und ich wollte mir ein Mental Health Year nehmen und einfach unter die Bettdecke kriechen.

Aus der üblichen Frustpizza wurde immerhin eine Portion Frusttofu mit Frustgemüse und ordentlich Thai-Würze drüber, was der Kühlschrank gerade so hergab. Das tat gut und machte die Welt wenigstens ein winziges bisschen besser. Limette, Fischsauce, Koriander, Chili, Knoblauch, Palmzucker, ihr gewinnt gerade sehr.

Die kurzfristig bessere Laune nutzte ich, um mein vom Doktorvater abgenicktes Diss-Dokument an den Wunschverlag zu schicken. 1.050.000 Zeichen und ungefähr 130 Abbildungen aka laut meiner Prüfungsordnung acht bis zehn Masterarbeiten. Demnächst hoffentlich in Ihrer Bibliothek.

Gestern beging ich den zweiten Pandemiegeburtstag. Ich zitiere meinen Blogeintrag vom letzten Jahr:

„Als ersten Gratulanten hatte ich morgens Papa am Ohr; er rief aus seinem Hirn die üblichen Floskeln für Geburtstage ab, die er in seinem Leben schon tausendmal verwendet hatte („Ehrentag“, „gutes Wetter“, „hab einen schönen Tag“, „Gesundheit ist das Wichtigste“) und fragte mich viermal, wie es mir geht, weil er vergessen hatte, dass er mich das schon dreimal gefragt hatte. Er beendete das Gespräch mit der Floskel, mit der er schon vor dem Schlaganfall unsere Gespräche beendete: „Ich geb dir mal Mama.““

Als ersten Gratulanten hatte ich morgens Papa am Ohr; er konnte keine Floskeln mehr abrufen, die man ihm nicht einsoufflierte. Ich hörte Mama aus dem Hintergrund einsagen: „Herzlichen Glückwunsch zum Geburstag!“ Und dann ihn: „Ja, Glückwunsch zum Geburtstag.“ Stille. Ich: „Vielen Dank! Das freut mich, dass du anrufst. Geht es dir gut?“ „Ja, mir geht es gut.“ Stille. Mütterchen aus dem Hintergrund: „Geht’s dir auch gut?“ Papa: „Geht’s dir auch gut?“ Und so weiter. Alles im Falsett. Ich sagte ihm vor, was er mir sagen sollte, damit Mama das nicht machen musste, und bat ihn dann, mir Mama zu geben. Wenigstens das geht noch.

Danach wurde ein spontaner Tortenbeschluss gefasst, ich brauchte Zucker und Ablenkung und buk eine kleine Schwarzwälder Kirschtorte.

Während der Biskuit buk und danach die erste Sahneschicht im Kühlschrank festwurde, sah ich die neue Folge „Kitchen Impossible“, wo Sven Elverfeld ebenfalls Schwarzwälder Kirsch buk, was ich sehr lustig fand. Das wusste ich wirklich nicht, bevor ich mich für ein Rezept entschieden hatte; ich backe die Torte einfach gerne, weil Schokolade, Kirsch und Sahne halt immer funktionieren. Der Biskuit ging gestern nicht ganz so auf wie gewünscht, daher gab’s nur zwei Böden statt drei. Den untersten tränkte ich mit Kirschwasser und gab dann mit Stärke gebundene Kirschen darüber, die leicht mit Zimt und Zucker eingekocht worden waren. Darüber gab’s eine kleine Sahneschicht mit ein paar Schokostreuseln. Auf den zweiten Boden strich ich Kirschkonfitüre und klappte den dann so auf den ersten, dass die Konfitüre auf der Sahne über den Kirschen zu liegen kam. Danach wurde ordentlich Sahne auf die Außenhülle gespachelt und dann durfte er erstmal auskühlen.

Die komische Tortenplatte ist natürlich von meiner Mutter und die einzige, die ich besitze, die sich dreht. Mit der kann ich am besten Torten mit Sahne oder Buttercreme einstreichen, daher ist die bei Torten gesetzt, obwohl ich sie nicht übermäßig hübsch finde. Der Teller ist ebenfalls aus dem Norden und den mag ich.

Abends kam F. vorbei; im letzten Jahr hatte ich den Geburtstag ganz alleine verbracht, da war das Virus noch neu und wir dachten alle, wir sind im Frühjahr 2021 längst geimpft und gehen wieder ins Stadion. Ich mag gerade mal wieder nicht mehr darüber nachdenken, ich esse Käse und Torte und gehe auf die Yogamatte und nicht in die Bibliothek, bin traurig und ängstlich und entnervt und wütend und will immer noch unter die Bettdecke.

Behind the Scenes at a Five-Star Hotel

Stadtgeschichte, verknüpft mit Biografischem, gerne gelesen. Also bis auf die Details von verschuldeten oder gestorbenen Menschen.

„About eighty weddings took place at the Pierre in 2019. A certain subset of wealthy New Yorkers have attended numerous events at the hotel, and couples who’ve been married there have tried to transform the Grand Ballroom in ways that guaranteed that their wedding would not be forgotten. Sometimes, floral decorators have used netting to suspend thousands of flowers from the ceiling, so that guests felt as though they were standing beneath a garden. One decorator adorned the room with ten thousand peonies. There have been quite a few weddings with a winter-wonderland theme—at one, decorators used drapery to create the illusion of icicles hanging from above, rolled out a white carpet, and set up a snow machine. Jay Laut, a banquet captain at the Pierre, told me, “Sometimes we would just talk among ourselves and say, ‘Oh, my God, what a party they had!’ ”

To some of the staff, the wedding on March 7, 2020, stood out because it was a “second-generation wedding”—the bride’s mother had also been married at the hotel, three decades earlier. Seventy-eight employees worked the event, including thirty-two banquet servers, who performed their usual ballet of speed-walking into the ballroom while balancing a tray of plates on one palm. The role of banquet servers can be intensely demanding: they present multicourse meals, often on a razor-tight schedule, providing, as the hotel promises, “flawless five-star service.” “It’s a very stressful job,” Laut said. “We have to live up to the name of the Pierre.” During the busy seasons at the hotel—the spring and the fall, leading up to the holidays—banquet servers might have to work double and triple shifts. The March 7th wedding was the last large social event held at the Pierre. […]

Three months earlier, at the end of 2019, New York City had reached a record number of visitors for a single year: almost sixty-seven million. Its hotels had about a ninety-per-cent occupancy rate, the highest in the country. But in a matter of days covid-19 had put the entire industry in peril. When the pandemic began, there were about seven hundred hotels in the city, employing some fifty-five thousand people. A union called the Hotel Trades Council represents most of these workers, including those at the Pierre. On March 19th, the union’s president at the time, Peter Ward, appeared on the local news station NY1. “By this time next week, ninety-five per cent of the hotel industry is likely to be laid off,” he said. Ward’s grim prediction proved largely correct.“

Wir setzen die Reihe „Teetassen passend zur derzeitigen Lektüre“ locker fort.

Freitag bis Sonntag, 12. bis 14. März 2021 – Paul, Baldwin, Wenzel

Für die freitägliche Date Night griff ich endlich mal zu Stevan Pauls japanischem Kochbuch, das schon viel zu lange hier nur durchgeblättert, aber nicht nachgekocht wird. Lustigerweise kochte Juliane von „Schöner Tag noch“ genau dasselbe Rezept nach, das ich auch zubereitete, aber sie konnte das auch fotografisch belegen. Das hätte ich auch gekonnt, wollte ich aber nicht, weil ich totaler Honk die Nudeln als letztes in die Schüssel mit Ramen gab anstatt den ganzen hübschen Kleinkram wie ein halbiertes Ei, Möhrenstreifen, Mais, Tofuwürfel und Frühlingszwiebeln, weswegen der Teller fürchterlich aussah. Diese geistigen Aussetzer passieren quasi immer, wenn F. am Tisch sitzt; ich bin so daran gewöhnt, nur für mich und Insta zu kochen, das dauernd was schiefgeht, wenn noch jemand anders einen Teller haben will.

Daher muss das Interweb jetzt auf ein Foto bei gelblichem Küchenlicht verzichten, aber ich hatte immerhin einen schönen Freitag. Zeitgleich mit dem bereits verbloggten Himbeer-Marmorkuchen (da füge ich gleich noch kleine Edits ein, weil ich den Kuchen gestern gleich nochmal buk, aufgepasst!) kochte ich zunächst eine Gemüsesuppe, die dann ewig abkühlen musste. Gleichzeitig setzte ich ein Dashi an, wobei das nur ein halbes Dashi war: auf die Kombu-Alge hatte ich verzichtet (Schilddrüse, Jod, blablabla), daher war das eigentlich nur heißes Wasser mit Bonitoflocken, in das irgendwann noch ein Haufen Ingwer, Sake und Miso-Paste durften. Beides zusammen ergab mit den oben erwähnten Toppings ein ganz herrliches Essen, das ich mit frischem Koriander etwas ruinierte; ich dachte, Koriander passt zu allem, aber nein.

Gemeinsam eingeschlafen, beide erschöpft von der Woche, der Pandemie, Sie wissen schon, Sie kennen das.

Samstag konnte ich mich nicht zum Putzen aufraffen, egal, Pandemie, das ist jetzt meine Go-to-Ausrede. Stattdessen gab’s Himbeerkuchen, ich schwitzte wie noch nie auf der Yogamatte, fand es aber masochistischerweise total super, las ein weiteres Buch quer, das die Staatsbibliothek diese Woche zurückhaben möchte und schaute abends endlich „I am not your negro“, was null gute Laune machte. Soll der Film vermutlich auch nicht.

Die Bibliotheken, auch mein geliebtes ZI, haben seit letzter Woche in München wieder geöffnet, und ich könnte mir auch endlich ein Ticket fürs Lenbachhaus gönnen, um mal wieder in der Neuen Sachlichkeit rumzuhängen, oder für die Pinakothek der Moderne, um bei Herrn Protzen vorbeizuschauen und ihm zu erzählen, dass er als mittelbegabter Maler und NS-Profiteur jetzt ne fertige Diss hat, aber das verkneife ich mir alles, auch wenn’s weh tut. Die Inzidenzzahlen sind jetzt wieder da, wo sie Oktober waren; wo München im Februar mal kurz unter 30 war, sind wir jetzt wieder knapp unter 70, und ich ahne, dass das launig weiter nach oben gehen wird, bis ich mich nicht mehr in Züge traue, um im April das Mütterchen zu unterstützen. Danke, Öffnungspolitik, du bist so toll. Ich weiß, dass ich aus einer sehr privilegierten Perspektive argumentiere, ich muss hier nicht drei Kleinkinder bespaßen oder mich mit anderen Leuten um Ruhe in der Wohnung streiten, aber so ganz langsam fühle ich mich von diesem Land, in das ich trotz allem Gemeckere immer ein absolutes Grundvertrauen hatte, im Stich gelassen. An die Bevölkerung zu appellieren, doch bitte diszipliniert zu bleiben, aber gleichzeitig schulpflichtige Kinder in den Präsenzunterricht zu zerren und alle Gartencenter (und Bibliotheken) wieder zu öffnen, in der bescheuerten Hoffnung, niemand würde diese Angebote wahrnehmen, wenn man nur lange genug „bitte“ sagt, ist einfach irrsinnig und es macht mich sehr wütend und gleichzeitig kraft- und mutlos.

Deswegen war Sonntag auch Sofatag angesagt. Ich buk nebenbei den Himbeerkuchen noch einmal, um ein paar Dinge anzutesten, und las Olivia Wenzels „1000 serpentinen angst“, von dem ich auf 54 books das erste Mal etwas gehört hatte. Die Site besprach das Buch anhand einer weiteren Besprechung im Literaturclub, was mich schlicht neugierig machte. Dort wurde das Buch der Schwarzen Autorin anscheinend aus eher ignoranter Perspektive rezensiert, was zu solchen Absurditäten wie den folgenden endete:

„Im Literaturclub versucht die Gastgeberin Nicola Steiner, Philipp Tingler dann doch noch von der Legitimität Wenzels Erzählweise zu überzeugen. Es sei auf eine Art sperrig, auf eine andere aber auch sehr verspielt und spreche junge Frauen zwischen 20 und 30 sicher an. „Ist das jetzt meine Schuld, dass ich keine junge Frau zwischen 20 und 30 bin“, fragt Tingler. Nicht jedes Buch spreche Leser gleichermaßen an, entgegnet Steiner und Heidenreich bekundet am Bildschirm ihre Zustimmung. Steiner sagt:

„Ich kann mir vorstellen, dass junge Frauen das jetzt entdecken können und mit dieser Art der Literatur auch etwas Universales entdecken können, nämlich diese Ausgrenzung und Schablonen-Denken. Wir haben das ja auch – man wird festgelegt auf etwas, da ist man die Blondine oder der Bodybuilder und man versucht zwischendurch, diese Etiketten von sich zu werfen und zu sagen: ich bin ganz viele und ganz viele kaleidoskopmäßig.“

Im Folgenden greift Tingler seinen seltsamen Universalismusanspruch an die Literatur noch einmal auf. „Universalismus in der Literatur ist ein Aspekt, eine Kohorte von Frauen zwischen 20 und 30 ist ein anderer Aspekt“, so Tingler. „Warum bin ich nicht mitgemeint in diesem Buch?“ Reina Gehrig versucht dagegen zu halten, meint, dass das Buch nicht nur für Frauen zwischen 20 und 30 interessant sei. Ihr Einwand wird von Heidenreich auf dem Monitor abgeschnitten, die das bunte Cover des Buches vor die Kamera hält und in die Runde fragt, ob das Buch nicht „absurd hässlich“ sei. Ohne Umschlag sei es noch viel hässlicher, ergänzt Tingler.“

Ich finde das gelbe Schutzcover okay und das grell pinkfarbene Buch darunter sogar ziemlich super, das ist natürlich im Bezug auf den Inhalt total egal, aber ich kombinierte es trotzdem mit gelber Teetasse und gelbem Lesezeichen.

Ich muss gestehen, dass ich auch etwas mit dem Buch fremdelte, was aber nicht am Inhalt, sondern der Erzählweise lag. Zunächst liest es sich wie ein Dialog, bei dem wir erst herausfinden müssen, wer überhaupt spricht. Kaum hat man sich das irgendwie zurechtgelegt, wechselt das Buch in längere Beschreibungen von Fotos, die Heidenreich laut Eigenaussage quälend gelangweilt hätten; ich empfand sie als willkommene sprachliche Ruheinseln inmitten der vielen gesprochenen Sätze (und sie erinnerten mich natürlich an gewohnte kunsthistorische Bildbeschreibungen). Dann kommen wieder Dialoge, aber die Sprechenden scheinen ihre Plätze gewechselt zu haben; wo zunächst die Ich-Erzählerin gefragt wird, wo sie denn jetzt sei, fragt sie plötzlich selbst: „Wo bin ich jetzt?“ Dieses Dialogische, was eher an Skripte oder Theaterstücke erinnert, ließ mich zunächst etwas angestrengt zurück, weil ich mich auf einen klassischen Roman eingestellt hatte, aber es liest sich alles sehr schnell und unwiderstehlich weg, dass es mir nach wenigen Seiten kaum noch auffiel, eben keinen klassischen Roman zu lesen.

Ich mochte, dass man sich die Geschichte oft selbst zusammenstückeln muss, die mir aus Halbsätzen und Fotobeschreibungen angeboten wird, ich mochte die Perspektivwechsel und das Hin- und Herspringen in der Zeit, man wird als Leserin selten für dumm gehalten. Nur manchmal schleichen sich Absätze in die unterschiedlichen Textformen, die ein bisschen wie ein Wikipedia-Artikel klingen, mit denen der Leserin Rassismus beigebracht werden soll. Die haben genervt und ich weiß auch nicht, warum Wenzel sie einfügte, denn ihre Dialoge und Schilderungen von erfahrenem Wissen sind weitaus eindringlicher als angelesenes. Das Buch geht clever auf innere Kritik ein, indem es die bis zum Schluss nicht aufgelösten Dialogpartner Sätze sagen lässt wie „Immer wieder diese Geschichten, in denen dir fast etwas passiert, aber letztlich doch nicht“, was völlig verkennt, dass ein Leben in konstanter Erwartung von Gefahr ein ständiges Passieren ist. Auch ein launiges „Du sitzt am Ufer, die Sonne scheint, keine Nazis in Sicht. Was genau ist dein Problem?“ fassen gut zusammen, wie wenig ich als weißer Mensch die Situation von Schwarzen Menschen nachvollziehen kann. Insofern sind Sätze wie oben – „Warum bin ich nicht mitgemeint?“ – von so dusseliger Egozentrik, das man sich fragt, wie oft marginalisierte Menschen ihre Geschichte eigentlich noch erzählen müssen: Du bist nicht mitgemeint, weil es dir nie so ergehen wird wie der Erzählerin. Aus dem simplen Grund, dass du weiß bist. Setz dich hin und hör zu. Oder lies das Buch nochmal. Auch wenn du dich nicht für Hautfarben interessierst; vielleicht magst du ja ein cleveres Buch über Angststörungen, Selbsterkenntnis ohne Esoterik, DDR-Geschichte, Liebe und Freundschaft lesen. Das ist es nämlich auch.

Himbeer-Marmorkuchen

Das Rezept bei La Paticesse klang so verführerisch simpel, Himbeer statt Schokolade, total logisch, macht dann aber erstaunlicherweise einen Hauch mehr Arbeit. Hat sich aber gelohnt.

Meine kleine Kastenform ist 20 cm lang, die passte perfekt. La Paticesse bäckt auf 18 Zentimeter.

175 g Himbeeren, TK oder frisch, bei mir TK, mit
15 g Zucker und
1 EL Wasser erhitzen und durch ein Sieb streichen, um die Kerne zu entfernen. Das durchgestrichene Püree auf 60 g einkochen und leicht abkühlen lassen.

Das Entfernen der Kerne ist mir nicht vollständig gelungen, aber es ist auch nicht dringend nötig. Beim zweiten Backen habe ich gleich nur 60 g TK-Himbeeren genommen und sie mit einer Gabel zerdrückt; das sah im fertigen Kuchen ähnlich hübsch aus wie das Püree beim ersten Versuch, nur einen Hauch weniger farbintensiv.

100 g Butter schmelzen und leicht abkühlen lassen.

Die Kastenform buttern und mit Backpapier auslegen, den Ofen auf 170° Umluft (!) vorheizen. Bei Ober- und Unterhitze wurde ich auf 180° gehen.

In Schüssel 1
110 g Zucker mit
1 Prise Salz und
2 Eiern weißlich-cremig aufschlagen, bis sich der Zucker aufgelöst hat.
100 g Mehl, Type 405,
25 g gemahlene Mandeln und
4 g Backpulver durchsieben und dazugeben.
65 g Crème fraîche unterrühren, danach
50 g der flüssigen Butter.

Jetzt fast dasselbe nochmal. In Schüssel 2
110 g Zucker mit
1 Prise Salz und
2 Eiern weißlich-cremig aufschlagen, bis sich der Zucker aufgelöst hat.
100 g Mehl, Type 405,
25 g gemahlene Mandeln und
4 g Backpulver durchsieben und dazugeben.
Neu: das Himbeerpüree unterrühren, wer mag, gibt noch
1 EL Rosenwasser dazu (habe ich weggelassen) und zum Schluss erneut
50 g der flüssigen Butter.

Nun die Hälfte des hellen Teigs in die Form füllen, danach den kompletten Himbeerteig, dann den Rest des hellen. Die Teige sind recht flüssig und verbinden sich daher fast von alleine, kein Rumstochern mit Gabeln mehr nötig, um das Marmormuster hinzukriegen.

Im vorgeheizten Ofen für 10 Minuten backen, dann – das kannte ich noch nicht bei Kastenkuchen – ein Messer in flüssige Butter tauchen und damit einmal längs durch den Kuchen gehen. Ich behaupte, das gute Ding ging dadurch gleichmäßiger auf als meine bisherigen Kuchen. Weitere 35 bis 40 Minuten backen, bei mir hat das Backwerk fast eine Stunde gebraucht. Auf jeden Fall Stäbchenprobe machen.

50 g Himbeer-Konfitüre mit
1 TL Wasser erhitzen (Mikrowelle reicht, wenn man eine hat).
Den noch warmen Kuchen vorsichtig aus der Backform heben; Backpapier nehme ich sonst bei Kastenkuchen nie, hier war es sehr hilfreich. Den Kuchen sehr dünn mit der erhitzten Konfitüre bepinseln und vollständig auskühlen lassen.

Danach
Eine gute Handvoll frische Himbeeren putzen und bereit legen.
160 g weiße Kuvertüre im Wasserbad schmelzen,
40 g weiße Kuvertüre einrühren, so dass die Temperatur auf 29 bis 30 Grad fällt. Das habe ich nicht gemessen, lippenwarm ist eine gute Richtschnur, aber eigentlich sieht man ganz gut, wie zähflüssig die Schokolade sein muss, um nicht kläglich am Kuchen herunterzulaufen. Mit eben dieser leicht zähen Kuvertüre den Kuchen übergießen und sofort mit den Himbeeren bestücken. Erneut vollständig auskühlen lassen. Beim zweiten Backen versuchte ich zarbittere Kuvertüre; das könnt ihr getrost bleibenlassen, weiße Kuvertüre rockt hier eindeutig mehr.

Ich mochte die Konsistenz sehr gerne, der Kuchen ist eher leicht und fluffig, wo ich sonst eher Brocken backe. Und hübsch ist er! Ich war ganz verliebt und habe mich kaum getraut, ihn anzuschneiden. Tipp: Er ist am zweiten Tag meiner Meinung nach besser als am ersten, die Frucht kommt besser durch und er ist etwas fester geworden. Gleich mal damit gefrühstückt.

Donnerstag, 11. März 2021 – Accepted with minor revisions

Fürchterlich schlecht geschlafen, ich lag bis vier mehr oder weniger wach. Ich weiß nicht, ob es am bevorstehenden Gespräch mit dem Doktorvater lag, dem ich das stark überarbeitete Diss-Dokument geschickt hatte, oder daran, dass ich nach fast zwei Wochen Quasi-Abstinenz unbedingt zwei Liter Tee trinken musste, die letzte Tasse dann auch locker um 21 Uhr abends, ich Hirn.

Das Gespräch war dann äußerst erfreulich, auch die zweite Herausgeberin nach dem Herrn Erstprüfer ist dafür, mich in der gemeinsamen Reihe zu verlegen; fehlt nur noch der Verlag, aber da der ja mein Geld kriegt und nicht umgekehrt wie in der Belletristik bzw. Populärwissenschaft, wüsste ich nicht, was er dagegen haben sollte. (Knurr.)

Die Mitherausgeberin hatte allerdings ein paar Anmerkungen, die Papa und mir völlig durchgerutscht waren, Betriebsblindheit irgendwann, bei mir inzwischen eh, ich habe überhaupt keinen Abstand mehr zu meinem Text, obwohl ich bei der Überarbeitung genau darauf noch einmal geachtet hatte. Aber ausgerechnet im Inhaltsverzeichnis, also der Visitenkarte des ganzen Dings, nutzte ich einige Begrifflichkeiten, an die ich dringend noch einmal ran muss. Generelle Mitteilung war auch, und darüber musste ich als Immer-auch-noch-Werberin innerlich sehr lachen: „Das klingt noch wie eine Diss – das darf mehr wie ein Buch klingen.“ Anders formuliert: mehr werbischer werden, damit jemand das Buch lesen will. Das kriege ich hin.

Wir sprachen auch über die Inanspruchnahme meiner Arbeit durch eher unangenehme Zeitgenoss:innen bzw. auf die aller, die sich mit dem Thema NS beschäftigen. Dadurch, dass ich eine lange Arbeit über Protzen veröffentlichen werde, in der auch Abbildungen enthalten sind, hole ich diese Werke in den Diskurs, aus dem sie bisher ausgeschlossen waren. Ich zeige diese Werke zwar in einem streng wissenschaftlichen Kontext und mache auch im Text meinen kritischen Zugriff sehr deutlich, aber auch das wird mich vermutlich nicht davor bewahren, dass irgendwelche rechtsdenkenden Menschen jetzt schönes neues Bildmaterial haben, das sie unwissenschaftlich und unkritisch nutzen könnten. Oder die Autobahn selbst, die manchmal von einer bemerkenswerten Geschichtsblindheit überfallen wird.

Auch deswegen sollte ich im Inhaltsverzeichnis noch einmal sehr genau schauen, ob dieser kritische Zugriff nicht noch deutlicher formuliert werden könnte. Die Kapitelüberschrift „Gemälde aus den besetzten Ostgebieten“ kann man mit sehr viel geistiger Verrenkung auch im Sinne von „Guck mal, der Osten gehört jetzt uns, hier sind hübsche Abbildungen“ lesen anstatt in meinem Sinne von „Abbildungen aus den besetzten Ostgebieten machten Protzen zum wissentlichen Akteur eines unmenschlichen Systems“.

In den nächsten Tagen gehe ich an diese Baustelle also noch einmal ran, dann kriegt der Verlag Post und dann darf ich mich um 130 Abbildungen kümmern, von denen ich diverse einkaufen muss. Seufz.

Spotify spülte mir gestern KT Tunstall in den Mix der Woche. Die Songzeile „There is paradise / In the loneliness / But I’m counting on you coming by“ fand ich zu COVID-Zeiten sehr passend.

Der Account Midwest Modern (gefunden über, ich glaube, @LangeAlexandra) erfreute mich gestern mit hübschem Geschirr.

Montag bis Mittwoch, 8. bis 10. März 2021 – Gute Laune, schlechte Laune

Ich bin nach der Woche im Norden meist erstmal erledigt und will nur rumliegen, das habe ich am Wochenende auch großflächig gemacht, neben dem Tartebacken. Außerdem stellte ich überrascht fest, dass die Knieschmerzen fast weg sind, wenn ich im Vierfüßlerstand auf der Yogamatte bin oder Ausfallschritte mache. Hat das ewige schmerzhafte Treppensteigen der letzten Woche vielleicht doch einen guten Nebeneffekt gehabt. Fight fire with fire!

Montagabend genoss ich einen Vortrag von Henrike Naumann, deren Arbeiten ich seit längerem verfolge. Als F. und ich das letzte Mal in Wien waren, unserer zweiten Heimat, irgendwann ziehen wir da hin, es hilft ja nichts, sahen wir ein Ausstellungsplakat am Bahnhof, woraufhin wir dann gleich nach dem Kofferauspacken ins Museum gingen. Und die Ausstellung im Haus der Kunst nahmen wir auch noch mit, bevor alles geschlossen wurde.

Naumann sprach per Zoom im Kunstverein Hannover, nicht nur über die Installationen zu Reichsbürgern und ähnlichen, die ich kannte, sondern auch zu Hannover-zentrierten wie „Mensch. Natur. Twipsy“ (2019), für die sie ins Originalkostüm von Twipsy schlüpfen durfte. Alle Hannoveraner:innen kennen Twipsy und wissen, dass „Mensch. Natur. Technik“ das Motto der Expo 2000 in Hannover war. Ich erinnere mich noch lebhaft an die unwürdigen Diskussionen, dass Kraftwerk (KRAFTWERK!) Geld für den Jingle zur Ausstellung haben wollte, diese unverschämten Wegelagerer. Beim Wiederanschauen: Ich mag das wabernde Logo der Expo immer noch.

Naumann sprach über ihre ortsinspirierten Installationen, über die Materialien und die Rechercheprozesse. Normalerweise will ich gar nicht wissen, was Künstler:innen zu ihren Werken sagen, das ist ja mein Job, mir darüber Gedanken zu machen, aber ich hörte sehr fasziniert zu. Auch weil sie fast nebenbei den Effekt von bildender Kunst erklärte, ohne es zu wollen: Sie wurde gefragt, ob sie Worte oder Bilder der Neuen Rechten gefährlicher fände – siehe den dusseligen Schamanen beim Sturm aufs Kapitol, der jetzt schon eine gewisse ikonische Wirkung hat –, und in der mäandernden Antwort meinte sie, dass man bei Texten immer so viel erklären müsse, während Bilder, Objekte, Installationen bei jedem andere Reaktionen hervorriefen, jeder empfände diese Dinge anders. Anders formuliert: Bilder wirkten stärker, weil sie assoziativer sind. Tach, Kunst.

Das erinnerte mich an mein Lieblingszitat von Gerhard Richter, der in den 60ern, wenn ich mich richtig erinnere, mal meinte, er könne nur mit Malerei ausdrücken, was er zu sagen hätte; wenn er es mit Worten könne, würde er schreiben. Das habe ich gerne im Hinterkopf, wenn ich in meinen Bildbeschreibungen zu blumig, zu persönlich oder zu weit weg von allem werde und mich ermahnen muss, schlicht aufs Bild zu schauen und nicht schon rumzuinterpretieren. Das ist erst der zweite Schritt.

Seit ein paar Tagen weiß ich, dass ich Prio 2 bei den Impfungen bin, aber das kann ich leider nirgends auf der bayerischen Seite anklicken, auf der man sich anmelden soll. Laut der bin ich nämlich Prio 3, wie das in einer älteren Verordnung festgelegt wurde. Die Nummer beim Imfpzentrum, die ich mich gestern traute anzurufen, fragt per Menü erstmal ein paar Dinge ab, bevor sie einen weiterverbindet, nämlich ob ich über 80 bin und Pflegepersonal etc., und weil ich das wahrheitsgemäß verneinte, flog ich aus der Leitung: „Sie sind noch nicht dran, bitte informieren Sie sich in den Medien, wann Ihre Gruppe geimpft wird.“ Hmpf. Die bundesweite Nummer will ich nicht wählen, weil die vermutlich irre oft von anderen gewählt wird, die noch nicht wissen, wo ihr Impfzentrum ist. Überhaupt will ich mich nicht vordrängeln oder ähnliches, aber wenn ich Prio 2 bin, würde ich auch gerne früher rankommen. Ich nehme auch AstraZeneca. Ich nehme Sputnik, wenn’s sein muss!

Launig textete ich F., dass meine Hausärztin mich vermutlich eher impfen würde als das Impfzentrum, aber dann kam gestern die Nachricht, dass man darüber wohl nochmal nachdenken müsse, Anfang April ist ja auch echt überstürzt, Mitte des Monats reicht auch, die zwei Wochen mehr machen uswusf. Ich mag nicht mehr. Ich will nicht mehr auf gute Nachrichten hoffen, ich lese jetzt einfach ein halbes Jahr keine Nachrichten mehr, warte ergeben darauf, dass mein Handy pingt und mir einen Impftermin nennt, von mir aus mit Sägespänen, ich kann dieses Gefühl nicht mehr ertragen, dass unser aller Gesundheit an Bürokratie, Dokumentationswahn und Logistik hängt.

Vorgestern schrieb mich eine Neu-Doktorandin meines Doktorvaters an (der Herr verknüpft uns gerne alle miteinander). Sie arbeitet zu einem weiteren Künstler aus dem Münchner Raum, über den es kaum bis gar keine Literatur gibt, und wie es der Zufall will, hat der Mann auch mindestens eine Autobahn gemalt. Dazu wusste die Dame nichts, kein Wunder, es gibt ja auch keine Literatur zu diesen Bildern, BIS JETZT, MUHARHAR!, also fragte sie mich und ich konnte sehr viel schreiben. Das hat mich gefreut zu merken, dass ich doch ein, zwei Dinge rausfinden konnte in den letzten Jahren.

Apropos: Heute abend um 18 Uhr gibt es einen Online-Vortrag von dem Herrn, der mein Kontakt in den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen war, wann immer ich eine wilde Frage zu Protzens Werken im Haus hatte. Gramlich stellt sein Buch Begehrt, beschwiegen, belastend. Die Kunst der NS-Elite, die Alliierten und die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen (1943–2020) vor, und aus berufener Quelle wurde mir gesagt, dass auch ein Werk von Protzen auf einer Powerpoint-Folie zu sehen sein wird, ich tippe natürlich auf die Donaubrücke bei Leipheim, weil die von einem NS-Funktionär gekauft wurde und 1953 als sogenannte Überweisung aus Staatsbesitz im Depot der Pinakotheken landete. Schalten Sie ein, schauen Sie Autobahnen! Oder wenigstens eine.

Für das bzw. die Foto/s der Schokoladentarte probierte ich tagelang mit den neuen, alten Tellern rum, die ich aus dem Norden mitgeschleppt hatte. Ich habe keine Ahnung, warum ich, die gerne so schlicht wie möglich wohnt, auf einmal überkandidelte Blümchenteller mit Goldrand mag, aber egal, dann ist das jetzt so, dann verbiedermeiere ich jetzt halt. Auf simples Skandinavisches gucke ich seit 30 Jahren, vielleicht ist jetzt die Zeit für Schnörkel gekommen. (ORNAMENT UND VERBRECHEN!)

Daher esse ich seit Tagen mein Käsebrot von bunten Tellerchen, und gestern trug ich erstmals eine der alten Tassen an den Schreibtisch.

Das ist, wie ich merkte, eine Rechtshänderinnentasse. Wenn man sie mit links greift, sieht man keine Blume, sondern nur weiß. Gemein!

Schokoladentarte

Ich teste anscheinend gerade alle Mürbeteige dieser Welt an. Dieser hier – zusammen mit dem Schokoschlotz oben drauf – stammt aus Die neue bayerische Küche von Florian Lechner. Mir gefiel daran das deutliche Zitronenaroma, das bei der Menge an Schokolade dringend nötig ist. Außerdem ließ er sich ausnehmend gut verarbeiten und war nicht so eine rissige Diva, was Mürbeteige beim Tarteformauskleiden ja gerne mal sind. Ein netter Teig.

Aus der untenstehenden Menge ist bei mir eine 28-cm-Form entspannt voll geworden plus zwei kleine Tarteletteförmchen. Ich bin immer zu faul zum Umrechnen; wenn ihr keine kleinen Förmchen habt, backt einfach ein paar Kekse aus dem Rest. Oder macht vom ganzen Rezept inklusive Füllung nur drei Viertel, das müsste auch halbwegs hinkommen.

360 g Mehl, Type 405, mit
120 g Puderzucker,
20 g Speisestärke,
15 g Vanillezucker und
der abgeriebenen Schale einer Biozitrone vermischen. Im Rezept stand was von 2 EL, ich rieb zu enthusiastisch, ließ es dabei und fand es super.

Aus den trockenen Zutaten einen kleinen Berg bauen, in der Mitte eine Mulde formen, darin
30 g Eigelb geben, das waren bei mir zwei kleine Eier.
220 g kalte Butter in Würfeln auf dem Berg verteilen und dann alles mit einem großen Messer grob hacken, bis sich alles verbindet und man einen glatten Teig kneten kann. Man kann auch alles in den Zerkleinerer werfen, aber ich habe gehackt. Mürbeteig ist bei mir Tagesform.

Den Teig zu einer dicken Scheibe formen, diese in Klarsichtfolie wickeln und für mindestens 30 Minuten im Kühlschrank parken. Danach zwischen zwei Lagen Folie oder Backpapier ausrollen, ich nehme immer die Folie, in die der Teig eingewickelt war plus eine Lage Backpapier oben drauf.

Die Tarteform buttern und mit
2–3 EL braunem Zucker bestreuen. Form mit dem ausgerollten Teig auskleiden, den Teig etwas andrücken, mit einer Gabel ordentlich einstechen und erneut zehn Minuten kühlstellen. Danach im auf 170° Ober- und Unterhitze vorgeheizten Ofen für etwa 20 Minuten backen. Der Rand sollte goldig-braun sein, die Mitte soll durchgebacken aussehen.

Mir ging der Boden etwas zu stark auf, weswegen ich nach der Hälfte der Zeit die Form mit Backpapier ausgelegt und meine Blindbackkugeln darauf verteilt habe. Im Buch steht nichts vom Blindbacken, aber ich meine, bei Tartes ist das gesetzt. Ich erinnere daran, vor allem alle Leute, die per Google hier vorbeischauen, dass ich keine Foodbloggerin bin, diese Rezepte sind meine Gedächtnisstütze für die nächsten Versuche. Wenn ich nett bin, editiere ich dann den Text. Wenn ich faul bin, dann nicht, was mich im letzten Jahr beim Stollenbacken, das ich jahrelang nicht gemacht hatte, etwas in den Hintern biss, aber ich schweife ab.

Den gebackenen Boden auskühlen lassen.

In einer Schüssel im Wasserbad
250 g Zartbitter-Kuvertüre und
200 g Butter schmelzen.

In einer weiteren Schüssel
80 g Mehl mit
6 g Backpulver und
20 g dunklem Kakaopulver mischen.

4 Eier mit
100 g Vanillezucker schaumig aufschlagen. In diese Masse nun nach und nach die Mehlmischung geben. Zum Schluss die Kuvertüre-Butter-Mischung geben und alles noch einmal gründlich durchrühren. Auf den Mürbeteigboden geben, glattstreichen und im auf 175° Ober- und Unterhitze vorgeheizten Ofen für etwa zehn Minuten backen. Vollständig auskühlen lassen, erst dann anschneiden, ja, das tut weh, ich weiß.

Zum Servieren kann man das Prachstück erneut mit dunklem Kakao und/oder Puderzucker bestreuen. Die Tarte ist, wer hätte es gedacht, irre süß und verträgt sich daher hervorragend mit säuerlichem Obst. Ich bin immer Team Himbeer.

Donnerstag bis Sonntag, 4. bis 7. März 2021 – Kulenty, Kracht, Suk

Die Tage im Norden sind immer anstrengend und sie sind vor allem auf immer neue Art anstrengend, weil ich vorher nie weiß, wie es Papa geht. Ich war im November nach meiner Verteidigung und vor der zweiten Welle da, danach blieb ich lieber zuhause, wobei das eine gute Vorbereitung war, denn alle Kontakte, die ich mir in den letzten drei Monaten verkniffen hatte, bekam ich jetzt in einer Woche: mehrere Pflegende, Physio- und Ergotherapeut:in, Hauswirtschaftshilfe, Putzfrau, ein winziger Einkauf, Nachbar, Schwester und Mütterchen, die sich natürlich alle Termine in diese Woche gelegt hatte, so dass ich indirekt noch drei Ärztewartezimmer mitbekam. Ich trug den ganzen Tag Maske, außer beim gemeinsamen Essen, weswegen der Rest der Zeit vermutlich egal oder Placebo war.

Papa findet immer schwerer Worte, er spricht kaum noch aus eigenem Antrieb, nur wenn man ihn etwas fragt, und dann muss man meist soufflieren, weil er nicht mehr weiß, was er antworten soll. Ich weiß nicht, ob das an den neuen Medikamenten liegt; vor wenigen Wochen konnte er gar nichts mehr sagen, woraufhin die damals ausprobierten Tabletten sofort abgesetzt wurden. Es ist also wieder besser geworden, aber trotzdem deutlich schlechter als es im November war. Er spricht fast nur noch im Falsett, warum auch immer, wiederholt fiepsend Phrasen, schreit laut auf, als ob er Schmerzen hätte, wenn ihm Dinge herunterfallen. Er erkennt mich noch, auch mit Maske, er stiert aber sehr oft einfach vor sich hin, schaut einen nicht mehr an, wenn man mit ihm spricht, er lächelt nicht mehr so oft, die alten Kalauer klappen noch, aber so langsam verschwindet mein Vater, wie ich ihn kannte, vor meinen Augen.

Auf der Zugrückfahrt hörte ich die 23. Episode des Beethoven-Podcasts und dementsprechend die 23. Klaviersonate, die „Appassionata“. Das war schön, aber ich muss nach Tagen im Norden immer aufpassen, im Zug nicht zu heulen, weil dann alles hochkommt. War dieses Mal egal, dann heule ich halt im Zug, sieht eh keiner, war netterweise recht leer.

Gabriel Yoran schreibt einen Newsletter, in dem er Klassikstücke vorstellt. Gleich das erste war ein Volltreffer: Hanna KulentysConcerto Rosso“ (2017), zu dem Yoran meinte, es klinge wie Minimalismus auf Speed, was genau die Art von Musik ist, die ich dringend hören wollte. Da hüpfen ein paar Geigen in der Gegend rum und plötzlich kommt die Streichergang aus der Nachbarschaft und die beiden beefen miteinander, aber zum Schluss gibt’s ein Bierchen beim Sonnenuntergang.

Das gefiel mir so gut, dass ich auf Spotify einfach noch ein Stück von Kulenty hörte, zu dem ich entgeistert twitterte: „Jetzt höre ich schon freiwillig Cembalo! Ich mag gar kein Cembalo!“ Nerviges Plinkerding, aber „GG Concerto“ ist fast genauso toll wie „Concerto Rosso“, weil das Cembalo hier den totalen Punk macht.

Zuhause erwarteten mich ein Buchgeschenk und Schokolade und abends F., endlich wieder gemeinsam einschlafen. Sonntag konnte ich mich dann ein paar Stunden „Eurotrash“ von Kracht widmen, denn länger braucht man nicht für das schnelle Buch, wie immer. Ich mochte es sehr, das überrascht jetzt vermutlich niemanden, aber ich mochte es jetzt gerade besonders, weil es Dinge verband, die eh gerade in meiner Wahrnehmung herumwabern bzw. mit denen ich mich beschäftige: Nazischeiß und Familie.

„Eurotrash“ erzählt von einer Reise durch die Schweiz, die ein Autor namens Christian Kracht mit seiner Mutter unternimmt, die eigentlich glaube, man würde nach Afrika fliegen. Deswegen wird ordentlich Bargeld in einer Plastiktüte von der Bank geholt, man schnappt sich ein Taxi und fährt durch die Gegend, Kracht immer bemüht, die Fassung zu wahren, während die laut Kracht geisteskranke Mutter ungeniert Wodka säuft, Pillen schluckt und bündelweise Geld verschenkt. Trotz der schlichten Handlung und der zunächst groben Schilderung gerade der Mutter ist das Buch überraschend zärtlich, weniger oberflächlich als andere Krachts, auch wenn unter dieser Oberfläche natürlich viel mitschwingt.

Dieses Mitschwingen wird hier deutlicher: Kracht wirft mit Namen, Jahreszahlen und Chiffren nur so um sich und entblößt die NS-Vergangenheit seiner fiktiven Familie mit übergroßer Geste. Opa war Untersturmführer der SS, da nimmt es der Erzähler schon ganz genau, und ließ sich gerne von isländischen Arierinnen sadomasochistisch quälen, auch der Patenonkel war dieser Spielart zugeneigt und verbarg hinter einem „unbezahlbaren Gobelin“, auch hier immer schön auf die Details achten, ein geheimes Zimmer, „ganz genau wie beim Vater meiner Mutter, nur in viel prächtigeren Ausführungen, Dildos aus Gold etwa, Kettenkaskaden, schöne Gasmasken und schwarze, augenlose Kapuzen aus Samt und Stahl.“ SS, Gasmasken, Stahl, ist klar, später fallen mitten in irgendwelchen Absätze noch Begriffe wie Eichenlaub, Osten und Gutshof. Die Eltern besaßen expressionistische Kunst, Kracht lässt gerne Maler- und Werknamen fallen, erinnert so auch an Kunstraub und NS-Kunstpolitik, erwähnt Ralph Giardono, Axel Springer und Heinz Rühmann, die man als Codes lesen kann für „Vergangenheitsbewältigung und Scham“, „Wiederaufbau und Antikommunismus“ und „Wir machen einfach so weiter wie vorher, weil Filme ja keine Nazis waren“. Es liest sich distanziert (auch der fiktive Kracht ist Schweizer) und gleichzeitig intim, wie Familiengeschichten nun mal so sind, und über allem liegt das Verzweifeln an Deutschland genau wie an der Schweiz; wo hier alles nationalsozialistisch und geil ist und durch „das große, jahrzehntelange, jahrhundertelange Schweigen, das eingefressene, eingefräste, verbohrte, verbiesterte Schweigen“ nicht vom Fleck kommt, genau wie die eigene Familie, die auch großflächig schweigt, ist dort alles zu teuer, trübe, kalt, protestantisch und schrecklich. „Und das Essen in der Schweiz, das immer viel besser schmeckte als anderswo, es war von Kindersklaven mit irgendwelchen Drogen versehen von der Firma Nestlé, damit die Menschen es gerne aßen und auch spurten und gute Schweizer blieben.“

Man mag einige biografische Details ernster nehmen als andere, wenn der fiktive Kracht seine Mutter einen Missbrauch erleben lässt, der dem echten Kracht angetan wurde, man kann aber auch diese Sätze in die Reihe der vielen anderen stellen, die die Leserin bewusst in die Irre führen wollen, was bei Kracht dann so klingt: „Na jedenfalls, und jetzt komme ich drauf, waren die Figur oder dessen Monologe, denn Dialoge kamen in dem Buch ja gar nicht vor, so glaubhaft, daß die Leser von Faserland dachten, das sei tatsächlich ich, der da so schrieb.“ Und nur zwei Seiten später, als er erzählt, dass sein Großvater „nach der Zeit im Entnazifizierungslager seine Kenntnisse aus der Reichspropagandaleitung direkt bei der Werbeagentur Lintas anwenden durfte“ und sich dort die Produktnamen Badedas und Duschdas ausgedacht hätte: „Es war kaum zu glauben eigentlich, wenn man einmal wirklich darüber nachdachte.“

(Bei Lintas muss ich immer an den alten Hamburger Großkotzwerberwitz denken, wenn eine Idee nur so mittel war, dann sagte der CD, nicht die CD, nein, meist der: „Du, bei Lintas würden die sich das auf den Flur hängen.“)

Ich fand die vielen Anspielungen charmant und anstrengend gleichzeitig, weil man sich nie sicher sein kann, was ernst gemeint ist, was wirklich eine Botschaft transportiert und was nur hübsches Wortgeklingel ist. Aber so schreibt Kracht immer und ich lese es gern.

„Erzähl mir doch etwas.“
„Wahrheit oder Fiktion?“
„Das ist mir egal. Entscheide Du.“

Abends im Bad blieb ich bei Josef SuksSerenade für Streicher Es-Dur, op. 6“ hängen, die gerade im Deutschlandfunk lief. Das Adagio kannte ich sogar, das kam in der langen Liste von „Year of Wonder“ vor und gefällt mir sehr gut. Die Playlist gibt es auf Spotify, aber netterweise auch auf YouTube.

Ein mülliges Dankeschön …

… an eine:n unbekannte: Leser:in, der oder die mich mit Christian Krachts Eurotrash überraschte. Das Buch lag im Laufe der vergangenen Woche in der Packstation, von wo es der liebe F. auf meinen Küchentisch transportierte, damit ich etwas Schönes hatte, das auf mich wartete nach der Woche im Norden. Der gute Mann legte gleich noch ein paar Nougatherzen und frische Brötchen vom Lieblingsbäcker dazu, hach!

In meiner Twitter-Timeline kommt Kracht nicht ganz so gut weg, aber was soll ich sagen, ich lese den Mann offensichtlich ganz gerne. Vor wenigen Wochen las ich Faserland noch einmal, das hat sich meiner Meinung nach als eine Art Zeitkapsel recht gut gehalten. Vielen Dank für das Geschenk, ich habe mich sehr gefreut und für heute eine schöne Tagesbeschäftigung.

Mittwoch, 3. März 2021 – Unerwarteter Muskelzuwachs

Die Ergotherapeutin, die mich seit November nicht mehr gesehen hatte, fragte, ob ich abgenommen hätte. Ich weiß inzwischen schon gar nicht mehr, wie ich auf diese Frage reagieren soll, weil ich mich von Menschen, die sowas fragen, sehr weit entfernt halte. Ich verneinte wie schon tausendmal in meinem Leben, woraufhin sie meinte, vielleicht wären die Klamotten gerade sehr schmeichelnd.

Ich trage hier im Norden die ältesten Shirts und Hosen, die ich habe, weil ich hier den halben Tag rumlaufe, koche, schwitze und Zeug mache, was ich zuhause nicht in diesem Tempo erledige bzw. da eher am Schreibtisch sitze. Gekocht wird zuhause in Rumschlumpfklamotten, denen es egal ist, ob sie Tomatensauce abkriegen; mit Schürzen bin ich nie zurecht gekommen, ich suche immer noch eine, die mich nicht wahnsinnig macht, zum Beispiel durch Bänder im Nacken. Vielleicht sollte ich mal eine Art Dirndlschürze ausprobieren, ich kleckere sowieso eher unterhalb der Gürtellinie rum bzw. will meine Hände irgendwo abwischen, weswegen ich beim Kochen immer ein Leinentuch über der Schulter habe.

Was ich sagen wollte: An den Klamotten dürfte der anscheinend positive Gesamteindruck nicht gelegen haben. Dann fiel mir ein, dass F. ja auch mal meinte, ich würde mich anders anfühlen nach den launigen Sportprogrammen. Gestern bat mich das Mütterchen um Hilfe beim Abtauen der Truhe, was wir im letzten Jahr schon einmal gemeinsam erledigt hatten. Und dabei merkte ich dann auch, wofür die ganzen seltsamen Ausfallschritte, das Balancieren, Dehnen, die Planks, Liegestütze, die weiteren Bauchmuskelübungen und das Rumgezerre an Therabändern gut gewesen waren. Ich beugte mich ständig nach vorne, um aus den Tiefen der Truhe Zeug zu holen, was meinem Rücken völlig egal war. Danach schleppte ich wannenweise Gefrorenes in die Garage, wo es zwischenlagerte, wobei ich auf einem Bein stehend die Türen öffnete, ohne dabei umzufallen (das war nett). Nach dem Abtauen wischte ich die Truhe mit Handtüchern trocken, und auch dabei zickte der Rücken nicht ein einziges Mal, während ich erneut auf einem Bein stehend kopfüber in der Truhe steckte. In die Truhe hatten wir zwei Eimer mit heißem Wasser gestellt, um das Abtauen zu beschleunigen. Die hob ich nun wieder hinaus, wrang ein Dutzend Handtücher mit dem Abtauwasser in ihnen aus, was sie noch schwerer machte – und trug dann beide gleichzeitig und innerlich achselzuckend, weil piece of cake, aus dem Keller.

So anstrengend die Zeit hier auch immer ist und so sehr mein Knie die ganzen Treppen hasst – das fand ich ausgesprochen schön zu merken, dass ich anscheinend wirklich an Kraft, Stabilität und Mobilität zugelegt hatte, ohne es wirklich mitzukriegen.

Und eben beim Frühstück guckte ich einer keckernden Elster zu und einem Eichhörnchen auf seinem lustig gehüpften Weg über zehn Bäume, die hier halt rumstehen. Das war auch schön.

Montag/Dienstag, 1./2. März 2021 – Ankommen, absahnen und aufatmen

Der erste Tag im Norden ist immer erstmal wieder reinkommen, sich an all die vielen Handgriffe erinnern bzw. dafür in der langen Liste nachschauen, die ich irgendwann mal angelegt habe. Die Medikation von Vaddern hat sich seit meinem letzten Besuch im November vor der zweiten Welle leicht geändert, das muss ich anpassen, der Geschirrspüler funktioniert noch wie immer, gut. Papas Zustand ist etwas schlechter, leider erwartbar. Das Mütterchen wartet auf ihre Kur, die ihr zwar bewilligt wurde, für die sie aber nach Sachsen an einen Ort soll, wo jetzt gerade ein Inzidenzwert von über 230 herrscht. Wir sind darüber nicht ganz so glücklich, auch weil man in das kleine Kaff nur mit mindestens dreimal Umsteigen und einer Fahrtzeit von über sechs Stunden kommt; für eine allein reisende Ü80-Dame nicht ganz so entspannt. Es ist auch abgemacht, dass sie erst nach der Impfung fährt, aber Niedersachsen ist ziemlich weit hinten mit dem Impfen. Schwesterchen hat sie auf eine Warteliste bekommen, und daher warten wir.

Bei den Eltern sein bedeutet für mich immer, alten Kram abzusahnen. Dieses Mal war es ein Berg Sammeltassen – im Bild ist die Hälfte zu sehen –, die ich jahrelang total albern fand, aber jetzt gerade total toll. Instagram kann sich schon mal auf viele neue Kuchenfotos freuen. Evil plan: immer dasselbe Stück Marmorkuchen auf 15 verschiedenen Tellern. Wird super.

Gestern nachmittag war eine Helferin bei Vaddern und fuhr mit ihm bei besten Wetter ein bisschen im Rollstuhl um den Block. Daher hatte ich frei, spazierte zur Schwester und knipste ein bisschen Fachwerkromantik. Seit F. den ganzen Tag fotografiert und ich sehe, was mit einer guten Optik machbar ist, kann ich meine iPhone-Fotos nicht mehr so gut leiden.


Aber meine Heimatbibliothek musste ich dann doch ablichten. Ich habe recht wenige Erinnerungen an meine Kindheit – ist auch schon lange her –, aber an die Bibliothek mit am meisten. Ich weiß noch genau, wie es aussah, wenn man reinkam, ich weiß, wo die damalige Multimedia-Ecke war, die vermutlich aus Hörspielkassetten bestand, ich kann mich noch an einige Regale erinnern, weil ich die fast komplett der Reihe nach durchgelesen habe, und ich weiß noch, an welchem Platz ich gerne saß, weil da die Sonne hinschien, ohne zu blenden oder zu heiß zu sein. Hinter einem der Fenster links im Bild.

Ich fragte mich schon öfter, wann das aufhörte, dass ich gerne in Bibliotheken ging, und ich finde es schade, dass ich es erst mit Ende 40 wiederentdeckte. Aber immerhin.

Um kurz nach 22 Uhr abends pingte WhatsApp. Das Schwesterchen schrieb mit diversen Sektglas- und Jubeltröten-Emojis, dass das Mütterchen ihre Impftermine hätte: Ende März den ersten und drei Wochen später den zweiten. Google verriet mir, dass sie dann vermutlich Biontech bekommt, weil das in diesem Abstand gespritzt wird; Moderna im Abstand von vier Wochen, AstraZeneca neun bis zwölf, sagt jedenfalls das Interweb, dem ich ja alles glaube. Das beruhigte sie sehr, denn eine der Pflegenden hatte uns von ihren zwei eher unerfreulichen Tagen nach einer AstraZeneca-Impfung erzählt. Das klang wie eine nervige Grippe, was bestimmt nicht schön war, aber verdammt nochmal ich nehme auch eine Grippe, wenn ich danach einen halbwegs okayen Impfschutz habe. Aber gut. Jetzt ist das Mütterchen dran. Als über 80-Jährige pflegende Angehörige mit einer Lungenvorerkrankung ist sie dann Ende April geimpft. Das läuft alles total supi. Ich will mich nicht mehr aufregen, weil ich eh nichts machen kann, aber ich rege mich trotzdem auf. Egal. IMPFTERMIN! JUBELTRÖTE!

Ach ja, weil Papa eher immobil ist, muss er warten, bis die Hausärzte zu ihm kommen können. Eine Jubeltröte mussen wir leider abziehen.